Berufsübergreifend Denken - Interprofessionell Handeln - IMPP

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Berufsübergreifend Denken - Interprofessionell Handeln - IMPP
Berufsübergreifend Denken
– Interprofessionell Handeln
Empfehlung zur Gestaltung der interprofessionellen
Lehre an den medizinischen Fakultäten

                                                   „Natio
                                               Muste      nales
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                                              Interpr urriculum
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                                                                        1
Berufsübergreifend Denken - Interprofessionell Handeln - IMPP
PROJEKTLEITUNG

                                                               Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP), Mainz
                                                               Leitung: Prof. Dr. med. Jana Jünger, MME (Bern)
                                                               Wissenschaftliche Gesamtkoordination: Maryna Gornostayeva

                                                               KOOPERATIONSPARTNERINNEN

                                                               Charité – Universitätsmedizin Berlin, Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft
                                                               Leitung: Prof. Dr. Michael Ewers, MPH
                                                               Wissenschaftliche Mitarbeiterin: Heike Wild

                                                               Universität Bremen, Institut für Public Health und Pflegeforschung (IPP)
                                                               Leitung: Prof. Dr. Ingrid Darmann-Finck
                                                               Wissenschaftliche Mitarbeiterin: Claudia Einig

                                                               Universitätsklinikum Heidelberg, Abteilung allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik
                                                               Leitung: Dr. med. Franziska Bäßler, MME (Bern)

                                                               WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT
                                                               (in alphabetischer Reihenfolge)

                                                               Prof. Dr. med. Erika Baum, Dr. Antje Beppel, Birgit Burkhardt, Irina Cichon,
                                                               Prof. Dr. Stephan Dettmers, Axel Doll, Prof. Dr. med. Martin Fischer, Prof. Dr. med. Matthias Frosch,
                                                               Prof. Dr. Jürgen Härlein, Alexander Heinrich, Prof. Dr. Heidi Höppner, Dr. Stephan Kolb,
                                                               Prof. Dr. Stefan Laufer, Dr. Bernhard Opolony, Ute Repschläger, Tom Rutert-Klein, Prof. Dr. Doris Schaeffer,
                                                               Prof. Theresa Scherer, Dr. med. Gerhard Schillinger, Dr. med. Christian Schirlo, Prof. Dr. Anke Steckelberg,
                                                               Gertrud Stöcker, Dr. med. Ute Teichert, Katrin Ulmer, Daniel Wecht, Dr. med. Susanne Weinbrenner

                                                               MITWIRKENDE AN DER ERSTELLUNG DER EMPFEHLUNGEN
                                                               (in alphabetischer Reihenfolge)

                                                               Katrin Balzer, Franziska Bäßler, Erika Baum, Tabea C. Baumann, Wulf Bertram, Silke Biller, Christian Brünahl,
Impressum:                                                     Peter Jan Chabiera, Ingrid Darmann-Finck, Nicole Deis, Claudia Einig, Michael Ewers, Martin Fischer,
Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen   Maryna Gornostayeva, Jürgen Härlein, Alexander Heinrich, Barbara Hinding, Heidi Höppner,
Rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts                   Anke Hollinderbäumer, Jana Jünger, Stephan Kolb, Johannes Korporal, Birgitta Kütting, Käthe Lewicki,
Rheinstraße 4 F · 55116 Mainz                                  Pauline Lieder, Richard Lux, Anna Mutschler, Sarah Reinecke, Ute Repschläger, Kirsten Reschke,
                                                               Ulrich Scherer, Gerhard Schillinger, Christian Schirlo, Katja Stahl, Anke Steckelberg, Gertrud Stöcker,
Mainz, September 2019                                          Ute Teichert, Moritz Völker, Daniel Wecht, Jil Weigelt, Susanne Weinbrenner, Swantje Wienand, Heike Wild

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Berufsübergreifend Denken - Interprofessionell Handeln - IMPP
DANKSAGUNG
            Wir bedanken uns ganz herzlich bei allen Projektmitwirkenden. Durch die interprofes-
            sionelle Zusammenarbeit mit zahlreichen motivierten und engagierten TeilnehmerIn-
            nen, denen das Thema am Herzen liegt, ist es uns gelungen, das Projekt so erfolgreich
            und mit dieser Reichweite realisieren zu können. Aus der Überzeugung, dass eine
            berufsgruppenübergreifende Zusammenarbeit die Patientenversorgung verbessert, ist
            mithilfe von Fachwissen, kreativen Ideen und unermüdlichem Einsatz ein Konzept
            entstanden, welches das Potential hat, die interprofessionelle Ausbildung nachhaltig
            zu implementieren.

            Unser besonderer Dank gilt der Robert Bosch Stiftung, die es mit ihrem mitreißenden
            Engagement für das Thema und ihrer finanziellen Förderung ermöglicht hat, einen
            entscheidenden Schritt in Richtung Etablierung der Interprofessionalität in Deutschland
            nach vorne zu gehen.

            Wir sehen dieses Projekt als einen Startpunkt für weitere zentrale Entwicklungen. Auf-
            bauend auf den Projektergebnissen wurden bereits die nächsten Aktivitäten zur nach-
            haltigen Verstetigung des Erfolges initiiert. Wir freuen uns sehr, dabei weiterhin Unter-
            stützung erfahren zu dürfen und gemeinsam einen Beitrag zur Verbesserung der
            Patientenversorgung leisten zu können.

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Berufsübergreifend Denken - Interprofessionell Handeln - IMPP
VORWORT
              Sektorenübergreifende, integrierte und interprofessionelle Versorgung wird von der
              Gesundheitspolitik als ein zentrales Desiderat zur Stärkung der Patientenorientierung
              und Patientensicherheit definiert. Die Stärkung der Patientenorientierung in der
              Gesundheitsversorgung ist unabdingbar für eine vertrauensvolle und prozessübergrei-
              fende Zusammenarbeit mit PatientInnen. Eine fachübergreifende, effektive Zusam-
              menarbeit zwischen den Angehörigen aller an der Patientenversorgung beteiligten
              Berufsgruppen verbessert die Versorgungsqualität. Zudem steigert es die Arbeitsplatz-
              zufriedenheit der Gesundheitsberufe. In Kombination führt dies zu einer Steigerung
              der Patientensicherheit.

              Auf der Gesundheitsministerkonferenz 2018 wurde die Einbeziehung von PatientInnen
              in sie betreffende Fragen und Entscheidungen der gesundheitlichen Versorgung als ein
              grundlegendes Element zukunftsweisender Gesundheitspolitik beschlossen. In gleicher
              Weise zielen weitere Gesundheitsprogramme, wie der Nationale Krebsplan, auf eine
              Stärkung der Patientenorientierung. Dies steht im Einklang mit dem Masterplan Medi-
              zinstudium 2020, der in der medizinischen Ausbildung auf eine frühzeitige und konse-
              quente Orientierung an den PatientInnen und deren Bedürfnissen hinwirkt.
              Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung dieser Maßnahmen ist u. a. die flächen-
              deckende Implementierung sektorenübergreifender, interprofessioneller und arbeits-
              platzbasierter Trainings bereits in der Ausbildung. Eine Unterstützung der Kooperatio-
              nen zwischen den Gesundheitsberufen im Rahmen der Ausbildung führt im späteren
              Berufsalltag zu einer qualitativ hochwertigen Patientenversorgung. Die Trainingsinhalte
              sollen in alle Ausbildungscurricula der Gesundheitsberufe interprofessionell abgestimmt
              aufgenommen werden. Die aktive Einbindung der PatientInnen in die Trainings soll
              dazu beitragen, dass das Verständnis für die Patientenperspektive und Bedürfnisse der
              PatientInnen steigt.

              Patientenorientierung und Kompetenzvermittlung werden bei der Weiterentwicklung
              des Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkataloges Medizin sowie bei der Neuge-
              staltung und Umstrukturierung der fakultären Prüfungen, der medizinischen Staatsex-
              amina und der dazugehörigen Gegenstandskataloge aufgegriffen und als wesentliche
              Ziele der Ausbildung definiert.

              In Ausbildungsgängen anderer Gesundheitsberufe gewinnt die Thematik ebenfalls an
              Relevanz. Beispielsweise wird für die zukünftige Ausbildung von PharmazeutInnen und
              von PsychotherapeutInnen eine gesteigerte Kompetenzorientierung gefordert. Gesund-
              heits- und Krankenpflege, Physiotherapie, Logopädie oder Hebammen befassen sich
              angesichts der Erweiterung ihrer Ausbildung zunehmend mit der Patienten- und
              Kompetenzorientierung im Versorgungsprozess.

              Die Ausbildungsaktivitäten sollen als Grundlage für eine flächenhafte Überführung in
              die Versorgungspraxis dienen und somit zu einer erhöhten Patientenorientierung,
              verbesserten Patientenversorgung sowie Reduktion des Ressourcenverbrauchs durch
              Steigerung der Effizienz führen. Durch konsequente Weiterentwicklung der kompe-
              tenzorientierten und interprofessionellen Ausbildung soll ein substanzieller Beitrag zur
              Steigerung der Patientensicherheit geleistet werden.

              Prof. Dr. med. Jana Jünger, MME (Bern)
              Projektleitung

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Berufsübergreifend Denken - Interprofessionell Handeln - IMPP
GLIEDERUNG

    1     Einleitung und Übersicht                                                                           11
    2		   Ziele des Projektes                                                                                14
    3		   Was bisher geschah                                                                                 16
    		    Ausgangslage und Hintergrund

    3.1   Gesundheitspolitik für mehr Interprofessionalität in der Ausbildung                                18
    3.2   Das Menschenbild in der Medizin                                                                    19
    		    Forderung nach einer Stärkung der interprofessionellen Ausbildung

    3.3   Was gibt es schon?                                                                                 21
    		    Projekte zur Förderung interprofessioneller Kompetenzen in der Ausbildung

    3.4   Ein Gewinn für alle Beteiligten                                                                    23
    		    Evidenz zur Relevanz der interprofessionellen Zusammenarbeit für die Versorgung

    4		   Zusammen den Weg gestalten                                                                         25
    		    Empfehlung zur interprofessionellen Curriculumentwicklung für Medizinstudierende

    4.1   Gemeinsame Handlungsbereiche definieren                                                            26
    		    Themenbereiche für die interprofessionelle Lehre im Medizinstudium

    4.2   Ziele abstimmen und festlegen                                                                      30
    		    Lernziele für interprofessionelle Zusammenarbeit und Kommunikation

    4.3   Wie gehen wir vor?                                                                                 34
    		    Didaktische Prinzipien interprofessioneller Curriculumentwicklung

    4.4   Früh anfangen und kontinuierlich verfolgen                                                         36
    		    Longitudinale Vermittlung interprofessioneller Kompetenzen

    4.5   Es wird das gelernt, was geprüft wird!                                                             38
    		    Überprüfung interprofessioneller Kompetenzen

    4.6   Interprofessionell lehren muss gelernt sein                                                        41
    		    Qualifizierung von Dozierenden und studentischen TutorInnen

    4.7   Qualitätssicherung gehört dazu!                                                                    46
    		    Evaluation des interprofessionellen Curriculums

    5		   Veränderungskultur aufbauen und pflegen – Strukturen und Prozesse anpassen                         47
    		    Institutionelle Empfehlungen zur nachhaltigen Implementierung der Interprofessionalität in der
    		    Ausbildung und in den medizinischen Staatsexamina

    6		   Gemeinsam an einem Strang ziehen                                                                   51
    		    Empfehlung für die Vermittlung interprofessioneller Kompetenzen an weitere Gesundheitsfachberufe

    7		   Wo klemmt es?                                                                                      53
    		    Implementierungshürden und politische Verantwortung

    8		   Wie setzen wir es um?                                                                              57
    		    Aktionsplan zur Umsetzung der interprofessionellen Lehre an den medizinischen Fakultäten und
    		    Überprüfung im Staatsexamen

    9		   Der Weg ist das Ziel – Veränderungen verstehen und erfolgreich etablieren                          61
    		    Ausblick und Weiterführung

    10    Literaturliste                                                                                     67

8                                                                                                             9
Berufsübergreifend Denken - Interprofessionell Handeln - IMPP
EINLEITUNG UND ÜBERSICHT
10
Berufsübergreifend Denken - Interprofessionell Handeln - IMPP
1.       EINLEITUNG UND ÜBERSICHT

Das von der Robert Bosch Stiftung geförderte Projekt                 Für die Entwicklung des Mustercurriculums „Interprofes-
„Nationales Mustercurriculum Interprofessionelle Zusam-              sionelle Zusammenarbeit und Kommunikation“ wurden
menarbeit und Kommunikation für Medizinstudierende“                  VertreterInnen verschiedener Gesundheitsfachberufe
hat zum Ziel, die Verbreitung von qualitativ hochwertiger            einbezogen, um möglichst viele Perspektiven und Ansich-
interprofessioneller Ausbildung in den Gesundheitsfach-              ten im Hinblick auf interprofessionelle Aspekte in der
berufen in Deutschland nachhaltig zu fördern. Im Hin-                Ausbildung berücksichtigen und miteinander abstimmen
blick auf die Neugestaltung der medizinischen Ausbil-                zu können. Mehr als 500 Personen – Verantwortliche für
dung im Rahmen des Masterplanes Medizinstudium 2020                  Kommunikationscurricula, ExpertInnen für den Schwer-
wurde beschlossen, Empfehlungen zur Gestaltung der in-               punkt interprofessionelle Ausbildung sowie weitere auf
terprofessionellen Lehre und Prüfungen an den medizini-              das Thema spezialisierte ExpertInnen – waren zur Betei-
schen Fakultäten zu erarbeiten sowie die Abstimmung                  ligung eingeladen. Im Rahmen des Projektes wurden die
zwischen den Staats­examina und den fakultären Prüf-                 in der Abbildung 1 dargestellten Teilziele definiert.
ungen zu unterstützen.
                                                                     Im Rahmen der Projekttreffen wurden vier Arbeitsgrup-
Die Empfehlungen sollen dazu beitragen:                              pen zu den Teilzielen gebildet und konkrete Themen
                                                                     ausgearbeitet. Zudem wurden Workshops auf Kongres-
1. die politischen Vorgaben für die Ausbildung in den                sen und Tagungen mit dem Schwerpunkt „Prüfen inter-
   Gesundheitsfachberufen umzusetzen und dabei die                   professioneller Kompetenzen“ durchgeführt. Auf Basis
   Vernetzung verschiedener Professionen in der                      der Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen und Workshops
   Gesundheitsversorgung zu fördern.                                 wurde ein Entwurf für ein Mustercurriculum erstellt so-
                                                                     wie ein übergeordnetes Konzept zur Überprüfung inter-
2. die medizinischen Fakultäten bei der Entwicklung und              professioneller Kompetenzen erarbeitet. Um eine adäquate
   Implementierung von interprofessionellen Lehr- und                Umsetzung der empfohlenen interprofessionellen Lehre         Abbildung 2: Gruppenfoto vom Arbeitstreffen „Masterplan Medizinstudium 2020: Kommunikative und interprofessionelle Kompeten-
   Prüfformaten zu unterstützen.                                     zu unterstützen, konzipierten die TeilnehmerInnen zu-        zen in Lehre und Prüfung stärken“ am 20. und 21. Juni 2018 in Nürnberg
                                                                     dem Module für die Qualifizierung von Dozierenden bzw.
3. Forschungsaktivitäten anzuregen, insbesondere                     studentischen TutorInnen und fassten Empfehlungen zur
   bezüglich der Wirkung von interprofessioneller Lehre              Implementierung zusammen.
   auf die spätere Patientenversorgung.

                                                Entwicklung des Bausteins
                                „Interprofessionelle Zusammenarbeit und Kommunikation“

          Longitudinale              Sammlung von Best Practice       Staatsexamen Medizin und           Qualifizierung der
     Curriculumsentwicklung                Beispielen für die         fakultätsinterne Prüfungen           Lehrenden und
      (inkl. Lernzielkatalog)       interprofessionelle Ausbildung                                    „institutional readiness“

Abbildung 1: Teilziele im Rahmen der Entwicklung des Bausteins „Interprofessionelle Zusammenarbeit und Kommunikation“

12                                                                                                                                                                                                                                                           13
Berufsübergreifend Denken - Interprofessionell Handeln - IMPP
2.     ZIELE DES PROJEKTES

                      Die Patientenversorgung erfordert die Zusammenarbeit           Aufbauend auf den gesundheitspolitischen Vorgaben,
                      von ÄrztInnen, professionell Pflegenden, Heilmitteler-         Literaturrecherchen, den Ergebnissen des Projektes „Long-
                      bringerInnen und weiteren in der Gesundheitsversorgung         itudinales Mustercurriculum Kommunikation“ und den
                      tätigen Berufsgruppen. Die Qualität dieser Zusammenar-         Erfahrungen aus den Projekten des Programms „Operation
                      beit hat dabei einen direkten Einfluss auf Qualität und        Team – Interprofessionelles Lernen in den Gesundheits-
                      Effizienz der Patientenversorgung [1]. In konkreten Alltags-   fachberufen“ wurde mit VertreterInnen aus den unter-
                      situationen ist es die Kommunikation, die zwischen den         schiedlichen Berufsgruppen ein Entwurf für ein „Muster-
                      VertreterInnen der beteiligten Berufsgruppen immer wieder      curriculum Interprofessionelle Zusammenarbeit und
                      misslingt. Studien zeigen, dass solche Kommunikations-         Kommunikation“ für Medizinstudierende entwickelt. Dabei
                      defizite zu einer Gefährdung der Patientensicherheit und       stand die Erarbeitung und Anwendung gezielter Lehr-
                      zu Unzufriedenheit bei den Mitarbeitenden führen können        und Prüfformate, welche konkret an die tatsächlichen inter-
                      [2, 3]. Weitere, für den Erfolg der interprofessionellen       professionellen Schnittstellen angepasst sind, im Fokus.
                      Zusammenarbeit relevante Aspekte sind Rollen- und
                      Kompetenzwahrnehmung, Verantwortlichkeiten sowie               Dieser Entwurf soll den medizinischen Fakultäten als
                      das persönliche und berufliche Werteverständnis [4].           Orientierung und Hilfestellung dienen, um die unter-
                                                                                     schiedlichen Kompetenzen zur Förderung der Teamarbeit
                                                                                     und -kommunikation in bereits bestehende Curricula zu
                                                                                     integrieren bzw. weiterzuentwickeln. Diese Broschüre
                                  Das Projekt hat zum Ziel,                          fasst die erfolgten Vorarbeiten und aktuellen Projektent-
                              interprofessionelle Kompetenzen                        wicklungen zusammen und stellt daraus abgeleitete
                                                                                     Empfehlungen zu Inhalt und Organisation der interpro-
                             bereits im Studium zu fördern, und                      fessionellen Lehre im Rahmen des Medizinstudiums dar.

                           einen Beitrag zu leisten, entsprechende
                           Lehrveranstaltungen und Prüfungen in
                            Curricula verpflichtend zu integrieren.

ZIELE DES PROJEKTES
14                                                                                                                                            15
Berufsübergreifend Denken - Interprofessionell Handeln - IMPP
3.     WAS BISHER GESCHAH
                                      AUSGANGSLAGE UND HINTERGRUND

                               In Deutschland gibt es bisher keine flächendeckende      In diesem Kapitel werden vor dem Hintergrund der
                               interprofessionelle Versorgung. Hierzu haben folgende    beschriebenen Defizite der gesundheitspolitische
                               Sachverhalte beigetragen:                                Rahmen sowie theoretische Ansätze aufgezeigt, die den
                                                                                        Bedarf an der interprofessionellen Zusammenarbeit in
                               1. Berufsübergreifendes Arbeiten im Team wird weder      den Gesundheitsfachberufen stützen. Zudem werden
                                  monoprofessionell, noch interprofessionell von den    verschiedene Vorläuferprojekte zur Verbesserung der
                                  im Gesundheitswesen tätigen Professionen geübt.       interprofessionellen Ausbildung skizziert, auf dem das in
                                                                                        diesem Papier vorgestellten Projekt aufbaut.
                               2. In Aus-, Fort- oder Weiterbildung findet ein
                                  interprofessionelles und arbeitsplatzbasiertes        Abschließend wird eine Auswahl an Studien und deren
                                  Training nur vereinzelt statt.                        Ergebnissen vorgestellt, die für das Projekt relevant sind,
                                                                                        aber auch Erkenntnislücken angemerkt.
                               3. Die frühe berufliche Sozialisation erfolgt über-
                                  wiegend in den klassischen „Silostrukturen“ [5].

                               4. Es findet kein kontinuierlicher Austausch zwischen
                                  den am Versorgungsprozess Beteiligten und dem
                                  Gesetz­geber statt.

                               Die Konsequenzen sind u. a. Unzufriedenheit am
                               Arbeitsplatz, Konflikte zwischen den Berufsgruppen und
                               Gefährdung der Patientensicherheit.

WAS BISHER GESCHAH
AUSGANGSLAGE UND HINTERGRUND
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Berufsübergreifend Denken - Interprofessionell Handeln - IMPP
3.1 GESUNDHEITSPOLITIK FÜR MEHR                                                                                       3.2 DAS MENSCHENBILD IN DER MEDIZIN
    INTERPROFESSIONALITÄT IN DER AUSBILDUNG                                                                               FORDERUNG NACH EINER STÄRKUNG DER
                                                                                                                          INTERPROFESSIONELLEN AUSBILDUNG

In den letzten Jahren wurde die Förderung interprofessio-   Maßnahme  hat zum Ziel, „das Mustercurriculum          Die Forderung nach einer interprofessionell abgestimmten
neller Aus-, Fort- und Weiterbildung durch verschiedene     ‚Nationales longitudinales Kommunikationscurriculum       Behandlung von PatientInnen lässt sich anhand von unter-
gesundheitspolitische Maßnahmen gestärkt. Diese unter-      in der Medizin‘ in den Curricula der Hochschulen          schiedlichen theoretischen Ansätzen begründen. Neben
                                                                                                                                                                                                Gesundheit ist ein
stützen die Integration interprofessioneller Kompetenzen    umzusetzen und spezielle Prüfungs­formate hierfür         beispielsweise organisationssoziologischen Theorien             Zustand vollkommenen körperlichen,
in die Curricula:                                           zu entwickeln“ [9].                                       kann die Forderung nach einer Stärkung interprofessio-
                                                                                                                      neller Ausbildung auf das veränderte Menschenbild in            geistigen und sozialen Wohl­befindens
1.    In der Approbationsordnung für Ärzte wird expli-      6.   In den Umsetzungsempfehlungen zu Ziel 12a            der Medizin und das sich wandelnde Verständnis der
                                                                                                                                                                                         und nicht allein das Fehlen von
zit darauf hingewiesen, dass die Ausbildung „…die Be-       „Kommunikative Kompetenzen im ärztlichen und pfle-        Medizin als systemische Handlungswissenschaft zurück-
reitschaft zur Zusammenarbeit mit anderen Ärzten            gerischen Beruf“ des Nationalen Krebsplans, Hand-         geführt werden.                                                       Krankheit und Gebrechen.
und mit Angehörigen anderer Berufe des Gesund-              lungsfeld 4 „Stärkung der Patientenorientierung“, wird
heitswesens fördern…“ soll.                                 eine flächendeckende Implementierung u. a. inter-                                                                                WHO-Definition von Gesundheit 1946
                                                            professioneller Kommunikation in der Aus-, Fort-          Der Wandel des Menschenbilds in der Medizin und
2.   In der Denkschrift der Robert Bosch Stiftung „Ge-      und Weiterbildung empfohlen [10].                         die Bedeutung für die interprofessionelle Ausbildung
sundheitsberufe neu denken, Gesundheitsberufe                                                                                                                                     Das biopsychosoziale Menschenbild ist heute als Grund-
neu regeln“ wird „…die Notwendigkeit einer Neuord-          7.   In dem Gutachten des Sachverständigenrates           Ausgehend von Descartes‘ Dualismus von Leib und Seele       lage der ärztlichen Ausbildung anerkannt, dennoch wird
nung der Aufgabenteilung, Kompetenzzuweisungen und          „Kooperation und Verantwortung – Voraussetzungen          wurde die Medizin über Jahrhunderte von der Favorisierung   es bei der Patientenbehandlung in konkreten Versorgungs-
Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe im deutschen           einer zielorientierten Gesundheitsversorgung“ aus dem     einer körperfokussierten Ausrichtung bestimmt. Seit         kontexten häufig noch nicht realisiert. Biologische, psycho-
Versorgungssystem“ beschrieben [6]. Auch im Memo-           Jahre 2007 wird zur verbesserten interprofessionellen     Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich ein Men-        logische und soziale Aspekte bedingen sich nicht nur
randum der Robert Bosch Stiftung „Kooperation der           Zusammenarbeit der unterschiedlichen Berufsgruppen        schenbild, das die psychosozialen Aspekte zunehmend         gegenseitig, sie stehen auch im Austausch mit ihrer so-
Gesundheitsberufe“ wird auf Lehr- und Lernangebote          aufgerufen. Diese soll unter anderem durch die stärkere   stärker wahrnimmt und integriert.                           zialen und materiellen Umwelt. So wirken zum Beispiel
der Ausbildungseinrichtung als Voraussetzung für die        Einbeziehung von anderen Heil- und Gesundheits-                                                                       soziale Erfahrungen wie Vernachlässigung oder Miss-
Aneignung interdisziplinärer Kompetenz hingewiesen [7].     fachberufen in der Versorgung und durch eine              Ludolf Krehl (1861–1937), Begründer der Heidelberger        handlung, aber auch positive Erfahrungen wie das Gefühl
                                                            neue Verantwortungs- und Aufgabenverteilungen             Schule der psychosomatischen Medizin, forderte, die         von Geborgenheit über psychische und neurobiologische
3.   In den Empfehlungen zur Weiterentwicklung des          gefördert werden [11].                                    Menschen als Einheit aus Körper, Seele und Geist zu         Prozesse auf das Körpersystem ein.
Medizintudiums in Deutschland von 2014 spricht sich der                                                               behandeln: „Wir behandeln keine Krankheiten, sondern
Wissenschaftsrat für eine Verstärkung der interpro-         8.    In den Empfehlungen des Wissenschaftsrates          kranke Menschen“.                                           Thure von Uexküll (1908–2004) beschäftigten Fragen
fessionellen Ausbildung aus und empfiehlt, eine Ver-        zu hochschulischen Qualifikationen für das Ge-                                                                        nach den verbindenden Prozessen zwischen den Teil-
netzung human- und zahnmedizinischer Studiengänge           sundheitswesen von 2012 wird empfohlen, die human-        Sein Schüler Viktor von Weizsäcker (1886–1957) führte       bereichen sowie ihrem Verhältnis zur Umwelt [17]. Er
mit pflege-, therapie- und hebammenwissenschaftlichen       und zahnmedizinischen Studiengänge mit den pflege-,       diesen Ansatz fort und entwickelte die Idee von einer       betrachtete Organismen zusammen mit ihrer Umwelt als
Studiengängen vorzunehmen [8].                              therapie- und hebammenwissenschaftlichen Studien-         Medizin, die ihre Aufmerksamkeit auf die Person der         eine Einheit – ein einziges lebendes System. Ein zentraler
                                                            gängen stärker als bisher zu vernetzen, um so eine        Patientin/des Patienten als erlebendes und handelndes       Begriff seiner Systemtheorie war die „Passung“: Aus
4.    In der Stellungnahme der Bundesärztekammer            interprofessionelle Ausbildung zu ermöglichen [12].       Subjekt richtet. Diesem Konzept ist die Zusammenarbeit      seiner Sicht waren Krankheiten eine Störung der Passung
„Zukunft der deutschen Universitätsmedizin – kritische                                                                mit anderen Disziplinen, vor allem mit Psychologie und      zwischen einem Individuum und seiner Umwelt – unab-
Faktoren für eine nachhaltige Entwicklung“ werden die       Auch weitere Rahmenpapiere unterstützen die Förde-        Psychotherapie, immanent.                                   hängig davon, ob primär auf somatischer, psychischer oder
medizinischen Fakultäten aufgefordert, Verantwortung        rung interprofessioneller Kompetenzen in der Aus-,                                                                    sozialer Ebene, in der Folge jedoch stets in Wechselwir-
für die kooperationsfördernde und professionsüber-          Fort- und Weiterbildung, zum Beispiel:                    Im 20. Jahrhundert gewannen systemtheoretische Ansätze      kung miteinander. Diesem Konzept nach führen Passungs-
greifende Lehre und Forschung im Bereich aller                                                                        auch für das Denken und Handeln in der Medizin an           störungen zu Fehlfunktionen, Reibungsverlusten und dys-
                                                            • Working Paper der Careum Stiftung „Umrisse einer
Gesundheitsfachberufe zu übernehmen [1].                      neuen Gesundheitsbildungspolitik“ [13]                  Bedeutung. Der Mensch oder gesellschaftliche Phänome-       funktionalen Reaktionen. Das gilt von der molekularen bis
                                                                                                                      ne wie die Gesundheitsversorgung können als Systeme         zur sozialen Ebene, von organischen Abläufen bis zu
5.    Im Masterplan Medizinstudium 2020 sind expli-         • Positionspapier „Interprofessionalität in der medi-     mit Strukturen, Dynamiken und Funktionen beschrieben        gruppendynamischen Prozessen.
zit Maßnahmen zur Förderung kommunikativer und                zinischen Ausbildung“ der Bundesvertretung der          werden. Diese Betrachtungsweise fand Eingang in das
interprofessioneller Kompetenzen in der medizinischen         Medizinstudierenden in Deutschland e. V. (bvmd) [14]    biopsychosoziale Modell, in welchem die dynamischen         Passung kennzeichnet demnach ein Konstrukt, um spezi-
Ausbildung definiert. Maßnahme  bestimmt, „dass                                                                    Wechselwirkungen und Prozesse zwischen biologischen,        fische Übereinstimmungen zwischen Individuum und Um-
die Hochschulen aufbauend auf den gemachten Erfah-          • Allianz für Gesundheitskompetenz – gemeinsame           psychologischen und sozialen Faktoren Gesundheit und        welt, zwischen Individuen untereinander, Subjekten und
rungen gemeinsame Lehrveranstaltungen mit Auszu-              Erklärung [15]                                          Krankheit aufrechterhalten oder entstehen lassen.           Institutionen sowie Institutionen untereinander kennzeich-
bildenden bzw. Studierenden anderer Gesundheits-                                                                                                                                  nen zu können. Die Erforschung und Förderung der inter-
fachberufe verstärkt in ihre Curricula aufnehmen“.          • Nationaler Aktionsplan Gesundheitskompetenz [16].                                                                   professionellen Ausbildung erfordert dementsprechend

18                                                                                                                                                                                                                                          19
3.3 WAS GIBT ES SCHON?
                                                                                                                             PROJEKTE ZUR FÖRDERUNG INTERPROFESSIONELLER KOMPETENZEN
                                                                                                                             IN DER AUSBILDUNG

eine Analyse der Passung zwischen ganz unterschiedlichen     Die in nationalen und internationalen Rahmenwerken          Die gesundheitspolitischen Initiativen haben dazu geführt,     2.   Förderprogramm der Robert Bosch Stiftung
medizinischen Disziplinen und Gesundheitsberufen und als     beschriebenen Teilkompetenzen interprofessioneller Kom-     dass in den letzten Jahren viele Projekte zur Verbesse-             „Operation Team – Interprofessionelles Lernen
Konsequenz ihre Optimierung im Sinne einer besseren Pa-      petenz werden in verschiedenen Arbeiten systematisiert      rung der interprofessionellen Ausbildung durchgeführt               in den Gesundheitsberufen“
tientenversorgung.                                           [22, 23]. Reichel und Herinek identifizieren drei Kern-     wurden. Das hier vorgestellte Projekt versucht, darauf
                                                             kompetenzen oder Kompetenzbereiche, die in allen            aufbauend ein Curriculum für Medizinstudierende zu             Das Programm unterstützt zahlreiche Projekte zur Verbesse-
Eine weitere Konsequenz aus der systemischen Perspektive     Rahmenpapieren – wenn auch teilweise mit unterschied-       entwickeln und allen medizinischen Fakultäten zur Verfü-       rung der Vermittlung von interprofessioneller Zusammen-
ist, dass von Diagnostik und Therapie dann der größte        lichen Schwerpunktsetzungen und etwas unterschiedlicher     gung zu stellen. Wesentliche Vorläuferprojekte sind im         arbeit und Kommunikation in der Ausbildung (s. Tab. 1) [28].
Erfolg zu erwarten ist, wenn sie auf verschiedenen System-   Bedeutung – aufgeführt werden:                              Folgenden kurz skizziert:
ebenen zugleich ansetzen. Auch das ist nur möglich,                                                                                                                                     Die Berliner Projekte „INTER-M-E-P-P“ und „interTUT“
wenn interdisziplinär und interprofessionell gearbeitet      • Interprofessionelle Kommunikation                                                                                        haben beispielhaft einen „Berliner Aufruf für interprofes-
wird. Das Wissen und die Kompetenzen aus verschiede-         • Klärung von Rollen und Verantwortlichkeiten               1.   Projekt des Bundesministeriums für Gesundheit             sionelle Ausbildung und Kooperation in den Gesundheits-
nen Fachgebieten und Professionen müssen zusammen-           • Interprofessionelle Zusammenarbeit.                                                                                      berufen“ veröffentlicht, der Anregungen enthält, wie
gebracht werden, um eine größere Versorgungsqualität                                                                     In einem vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG)            interprofessionelles Denken und Handeln in der Ausbildung
zu erreichen. Von einer Intensivierung der interprofessio-   Weitere Kompetenzen bzw. Kompetenzbereiche, die             im Rahmen des Nationalen Krebsplans geförderten Projekt        und in der Gesundheitsversorgung nachhaltig gefördert
nellen Zusammenarbeit im Gesundheitswesen ist daher          aber nicht in allen Papieren vorkommen und die eher         wurde das „Mustercurriculum Nationales longitudinales          werden können [29].
neben einer Steigerung der Effizienz vor allem eine stär-    gemeinsame Grundlagen darstellen, sind Lernen, kriti-       Kommunikationscurriculum in der Medizin“ entwickelt
kere Patientenorientierung und -zufriedenheit zu erwarten.   sche Reflexion sowie Werte und Ethik [18–20]. Bei der       (Longkomm-Projekt) [24–26]. Dieses besteht aus dem
                                                             Entwicklung des Entwurfs für ein „Mustercurriculum          sogenannten Kerncurriculum „Ärztliche Kommunikation“                Sonstige Projekte von Seiten der medizini-
                                                             Interprofessionelle Zusammenarbeit und Kommunikation“       mit einem Umfang von 300 Unterrichtseinheiten (UE;             3.   schen Fakultäten
Modelle interprofessioneller Zusammenarbeit                  hingegen wurde entsprechend dem Rahmenpapier „Ac-           1 UE = 45 min.) und dem Baustein „Interprofessionelle
                                                             tion on Interprofessional Education & Collaborative Prac-   Kommunikation“ mit einem Umfang von 50 UE, die für             An den medizinischen Fakultäten werden bereits einzelne
In der internationalen Literatur zu interprofessionellen     tice“ von vier Kernkompetenzbereichen ausgegangen.          alle Studierenden empfohlen sind. Ergänzend soll ein           interprofessionelle Lehrveranstaltungen umgesetzt, z. B.
Bezugsrahmen wird der Zusammenhang zwischen                                                                              Wahlpflichtbereich zur Vertiefung der Kommunikation mit        ein interprofessioneller Basisuntersuchungskurs für Studie-
interprofessioneller Ausbildung und interprofessioneller                                                                 einem Umfang von 100 UE angeboten werden (s. Abb. 3).          rende der Pflegewissenschaft und der Humanmedizin sowie
Praxis dargestellt [18–20]. Die meisten Projekte beziehen       Vier Kernkompetenzbereiche                                                                                              die interprofessionelle Anamnesegruppe „Kommunikati-
sich auf das Modell, das im Rahmenpapier „Action on                                                                      Das Curriculum steht bereits allen medizinischen Fakultäten    on und professionelle Interaktion“ in Freiburg [30, 31].
Interprofessional Education & Collaborative Practice“           •   Werte und Ethik im interprofessionellen Team         als Mustervorschlag für Kommunikationslehre zur Verfü-         Zusätzlich wird an der medizinischen Fakultät Freiburg ein
beschrieben wird [21]. Hier wird die interprofessionelle        •   Interprofessionelle Kommunikation                    gung [27]. Im hier beschriebenen Projekt erfolgt die inhalt-   longitudinaler Studienstrang „Interprofessionalität“ aufge-
Ausbildung als notwendiger Schritt für eine kooperative         •   Rollen und Verantwortlichkeiten                      liche Ausarbeitung der 50 UE, die für den Baustein „Inter-     baut. München bietet einen gemeinsamen Unterricht für
Versorgungspraxis gesehen, in der unterschiedliche              •   Interprofessionelle Zusammenarbeit.                  professionelle Kommunikation“ definiert wurden.                angehende MedizinerInnen und ApothekerInnen an [32].
Gesundheitsberufe miteinander sowie mit PatientInnen,
Angehörigen und weiteren öffentlichen, gemeinnützigen
und privatwirtschaftlichen AkteurInnen bis hin zu den        Die Aufnahme der Kategorie „Werte und Ethik im inter-
Kommunen zusammenarbeiten.                                   professionellen Team“ erschien uns wichtig, um nicht
                                                             nur die technischen und institutionellen, sondern auch
                                                             die moralisch normativen Aspekte der interprofessionel-
  Die gemeinsame Ausbildung soll zu einer                    len Zusammenarbeit zu berücksichtigen.

    besseren Versorgungsqualität führen.
   Das heißt, die Studierenden und Auszu-
 bildenden unterschiedlicher Berufsgruppen
  lernen „über-, von- und mit­einander“ mit
 dem Ziel, PatientInnen besser zu versorgen.
                                                                                                                         Abbildung 3: Longitudinales Mustercurriculum Kommunikation

20                                                                                                                                                                                                                                                21
Projekt 						                                                      Beteiligte Institutionen                                            3.4 EIN GEWINN FÜR ALLE BETEILIGTEN
 KOMPIDEM – Bessere Kompetenzen für die interprofessionelle und
 individuell angemessene Versorgung von Menschen mit Demenz
                                                                     Universität zu Lübeck, Institut für Sozialmedizin und Epidemiolo-
                                                                     gie, Sektion für Forschung und Lehre in der Pflege
                                                                                                                                             EVIDENZ ZUR RELEVANZ DER INTERPROFESSIONELLEN
                                                                     Universität zu Lübeck, Institut für Allgemeinmedizin                    ZUSAMMENARBEIT FÜR DIE VERSORGUNG
                                                                     Pflegeschule Lübeck, UKSH Akademie

 Erhöhung der Patientensicherheit durch die Integration von          Universitätsmedizin Greifswald
 interprofessionellem Human Factor-Training in die Ausbildung        Berufliche Schule für Gesundheitsfachberufe an der
 von Gesundheitsberufen                                              Universitätsmedizin Greifswald
                                                                                                                                         Es gibt zahlreiche Studien, die die positive Wirkung und      Literaturreviews aus verschiedenen Ländern. Alle Studien
 GESUND&HUMAN: Studierende und Auszubildende von GESUND-             Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf                              den Nutzen der interprofessionellen Zusammenarbeit            zeigen positive Auswirkungen der interprofessionellen
 heitsberufen und der HUMANmedizin im interprofessionellen
 Kompetenztraining                                                                                                                       darstellen. Besonders in Bezug auf Patienten- und Mitar-      Kooperation und Praxis auf z. B. Qualität der Versorgung,
                                                                                                                                         beiterzufriedenheit, Ressourceneinsatz, Fachkräftesiche-      Patientensicherheit, Kosteneffizienz, Patientenakzeptanz,
 MEDPhysio in Klinik und Forschung                             Stiftung Fachhochschule Osnabrück                                         rung, Patienten-Outcomes (z. B. Belegzeiten, Drehtüref-       Mitarbeitermotivation [47].
                                                               Hochschule Osnabrück
 							                                                                                                                                 fekte) und die Qualität der Patientenversorgung ist der
 InHAnds: Interprofessionelle Health Alliance Südniedersachsen Georg-August-Universität Göttingen                                        Mehrwert interprofessioneller Zusammenarbeit unbe-
                                                               Universitätsmedizin Göttingen (UMG)                                       stritten [33–36].                                               Positive Effekte der interprofessionellen
 interTUT – interprofessionelles Peer-Teaching. Gemeinsame           Charité – Universitätsmedizin Berlin, Prodekanat für Studium                                                                        Zusammenarbeit
 Tutorien für Auszubildende und Studierende der Medizin, Pflege,     und Lehre
 Ergo- und Physiotherapie                                            Lernzentrum Charité – Universitätsmedizin Berlin, Institut für
                                                                                                                                         Ergebnisse der Evaluationsstudien                               • Senkung von Patientenunfällen und Verbesserung
                                                                     Gesundheits- und Pflegewissenschaft
                                                                     Alice Salomon Hochschule (ASH)                                                                                                    		 der Behandlungsqualität
                                                                     Evangelische Hochschule Berlin (EHB)                                Im Hinblick auf die Patientensicherheit können struktu-
 INTER-M-E-P-P Berlin: Interprofessionelles Lernen und Lehren in     Charité – Universitätsmedizin Berlin
                                                                                                                                         rierte interprofessionelle Übergaben beispielsweise zu         • bessere Beteiligung von PatientInnen im
 Medizin, Ergotherapie, Physiotherapie und Pflege                    Alice Salomon Hochschule (ASH)                                      einer Senkung von Patientenunfällen und Verbesserung          		Entscheidungsprozess
                                                                     Evangelische Hochschule Berlin (EHB)                                der Behandlungsqualität führen [37]. Im Bereich der Re-
 Interprofessionelle Teamarbeit „Durch Barrieren schneiden“          Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
                                                                                                                                         habilitation konnte gezeigt werden, dass eine interprofes-     • höhere Patientenzufriedenheit bei der klinischen
                                                                     Universitätsklinik für Unfallchirurgie                              sionelle Zusammenarbeit bei der klinischen Entscheidungs-     		Entscheidungsfindung
                                                                                                                                         findung zu einer höheren Patientenzufriedenheit führt
 GReTL2.0 – Interprofessionelle Ausbildung der                       Medizinische Fakultät
 Gesundheitsberufe im reflexiven und transformativen Lernen          Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg                          und die Teamarbeit stärkster Prädikator für Patienten-          • Rückgang erneuter Notfalleinweisungen und
                                                                                                                                         zufriedenheit ist [38, 39]. Ferner kann eine interprofessi-   		 Neuaufnahmen nach Entlassung
 IPHiGen – Interprofessionelles Handeln im Gesundheitswesen          Medizinische Fakultät, Ruhr-Universität Bochum                      onelle Entscheidungsfindung die Beteiligung von Patien-
                                                                     Department für Angewandte Gesundheitswissenschaften,
                                                                     Hochschule für Gesundheit, Bochum                                   tInnen im Entscheidungsprozess erleichtern [40]. Auch           • höhere Mitarbeiterzufriedenheit
                                                                                                                                         bei der interprofessionellen Entlassungsplanung zeigten
 Interprofessionelles Ernährungsmanagement in der stationären        Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf                               sich signifikante Effekte: So führte eine enge Kooperati-       • bessere Qualität der Entlassungsberatung
 und häuslichen Versorgung                                           Medizinische Fakultät des Universitätsklinikums Düsseldorf
                                                                                                                                         on zwischen den verschiedenen Berufsgruppen zu einem
 Einander schätzen – im Team versorgen: Interprofessionelle          Fachbereich Medizin der Philipps-Universität Marburg                Rückgang erneuter Notfalleinweisungen und Neuaufnah-            • kürzere Liegezeiten, geringere Komplikationsraten
 Pflege- und Therapieplanung                                         Dr. Reinfried Pohl-Zentrum für medizinische Lehre
                                                                                                                                         men nach Entlassung [41]. Eine interprofessionelle Ent-       		 und weniger Verlegungen auf die Intensivstation
 Interprofessionelle Teamarbeit „Durch Barrieren schneiden“          Medizinische Fakultät                                               lassungsplanung hatte eine höhere Patienten- und Mit-
                                                                     Institut für medizinische Lehre und Ausbildungsforschung            arbeiterzufriedenheit zur Folge, ebenso wie eine bessere        • positive Auswirkungen auf die Lebensqualität
                                                                     der Julius-Maximilians-Universität Würzburg
                                                                                                                                         Qualität der Entlassungsberatung [42]. Darüber hinaus         		 und Zufriedenheit von PatientInnen mit
 In Kooperation be-greifen: Mediziner und Physiotherapeuten          Medizinische Fakultät Mannheim der Ruprecht-Karls Universität       bewirkten Initiativen zur Verbesserung der Qualität inter-    		 chronischen Erkrankungen
 lernen im Team                                                      Heidelberg                                                          professioneller Teamprozesse auf chirurgischen Stationen
                                                                     Ausbildungszentrum UMM-Schule für Physiotherapeuten/-innen
                                                                                                                                         kürzere Liegezeiten, geringere Komplikationsraten und
 HIPSTA – Heidelberger interprofessionelle Ausbildungsstation        Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie,     weniger Verlegungen auf die Intensivstation [43].
                                                                     Universitätsklinik Heidelberg
                                                                     Akademie für Gesundheitsberufe Heidelberg, Gesundheits- und
                                                                     Krankenpflegeschule                                                 Weiterhin gibt es Hinweise auf positive Wirkungen inter-
                                                                     Studiengang Interprofessionelle Gesundheitsversorgung,              professioneller Zusammenarbeit bei der Behandlung von
                                                                     Universitätsklinikum Heidelberg, Abt. Allgemeinmedizin und          PatientInnen mit chronischen Erkrankungen. So sind bei-
                                                                     Versorgungsforschung
                                                                                                                                         spielsweise bei der Therapie von Depressionen positive
 IPAPÄD – Interprofessionelle Ausbildungsstation in der Pädiatrie:   Klinik für Allgemeine Kinder- und Jugendmedizin                     Auswirkungen auf die Lebensqualität und Patientenzu-
 Grenzen überwinden – Zusammen lernen und arbeiten                   Universitätsklinikum Freiburg
                                                                                                                                         friedenheit beschrieben worden [44–46]. Sottas und
 FInKo – Förderung der interprofessionellen Kommunikation            Klinikum der Universität München, Lehrstuhl für Didaktik und        Kissmann dokumentieren und analysieren in ihrem
                                                                     Ausbildungsforschung in der Medizin                                 Expertenbericht zu Nutzen und Wirksamkeit der inter-
                                                                     Berufsfachschule für Krankenpflege Maria Regina
                                                                                                                                         professionellen Praxis Fallstudien, Metaanalysen und
Tabelle 1: Übersicht der Projekte „Operation Team – Interprofessionelles Lernen in den Gesundheitsberufen“
http://www.bosch-stiftung.de/de/projekt/operation-team-interprofessionelles-lernen-den-gesundheitsberufen/projekte

22                                                                                                                                                                                                                                                            23
Relevanz gelungener interprofessioneller
Kommunikation
                                                                    Durch verschiedene Maßnahmen wie
Die Kommunikation ist ein zentrales Element der inter-            standardisierte Abläufe, klar zugeordnete
professionellen Praxis. Misslungene bzw. unvollständige
Kommunikation kann zu einer Gefährdung der Patien-                    Verantwortungs­bereiche im Team,
tensicherheit führen [2]. Bis zu zwei Drittel aller medizini-         Reflexion der Teamarbeitsprozesse,
schen Fehler gehen auf ungenügende Kommunikation
zurück [48]. Eine mangelhafte Kommunikation der Ar-                offener Umgang mit Fehlern und Fehler-
beitsteams und ungenügender Informationsaustausch
können dazu führen, dass das Team nicht in der Lage ist,
                                                                   analyse usw. soll die Patientensicherheit
auf eine Krise zu reagieren. Der „Faktor Mensch“ gilt                         erhöht werden [52].
dabei als Hauptursache für viele vermeidbare Fehler [49].
In der Luftfahrt gibt es viele Parallelen zur Medizin. Der
Aspekt Sicherheit und der Faktor Mensch als Fehlerquelle
spielen dort eine entscheidende Rolle. Mit der Einführung       Im Hinblick auf die Bildungsangebote gibt es Studien, die
regelmäßiger Trainings, u. a. zum Erlernen von Entschei-        positive Effekte der interprofessionellen Trainings zeigen
dungsfindung, Führung und sicherer Kommunikation,               [53]. In der Ausbildung führte beispielsweise eine inter-
wurde die Sicherheitskultur im Luftverkehr nachweisbar          professionelle Lerneinheit, in der mit einer Entlassungs-
verbessert [50]. Diese Erfahrungen wurden bereits in die        simulation gearbeitet wurde, bei Studierenden der Me-
Medizin übertragen. In den interprofessionellen Teams           dizin, Ergo- und Physiotherapie zu deutlichen Verände-
erwerben die Berufsgruppen, die in der Patientenversor-         rungen in der Wahrnehmung der eigenen Berufsrolle
gung tätig sind, gemeinsam spezifische sozial-kommuni-          sowie der anderen Teammitglieder im Entlassungspro-
kative Fähigkeiten, um die Risiken und Gefahren für die         zess [54]. Außerdem konnten interprofessionelle Lehr-
PatientInnen zu minimieren [51].                                angebote den TeilnehmerInnen sowohl die Bedeutung
                                                                effektiver Kommunikation als auch die Komplexität von
                                                                Teamarbeit und -entscheidungen verdeutlichen [55].
Nutzen interprofessioneller Teamtrainings in
Aus-, Fort- und Weiterbildung                                   Über den langfristigen Einfluss interprofessioneller Aus-,
                                                                Fort- und Weiterbildung auf die spätere Zusammenarbeit
Interprofessionelle Teamtrainings für die Aus-, Fort-           und das Patienten-Outcome liegen bislang nur wenige
und Weiterbildung müssen entwickelt, regelmäßig                 wissenschaftliche Erkenntnisse vor [56, 57].
durchgeführt und nachhaltig implementiert werden.

                                                                                                                             ZUSAMMEN DEN WEG GESTALTEN
                                                                                                                             EMPFEHLUNG ZUR INTERPROFESSIONELLEN
                                                                                                                             CURRICULUMENTWICKLUNG FÜR MEDIZIN-
                                                                                                                             STUDIERENDE
24                                                                                                                                                                 25
4.       ZUSAMMEN DEN WEG GESTALTEN
         EMPFEHLUNG ZUR INTERPROFESSIONELLEN
         CURRICULUMENTWICKLUNG FÜR MEDIZINSTUDIERENDE

In diesem Kapitel wird ein Vorschlag für ein Mustercurriculum           Ausbildung abgebildet werden sollen. Zu diesen Inhalten         Am Beispiel dieser beruflichen Anforderungssituationen                      Diese Kategorien bieten den Curriculumentwickelnden an
beschrieben, welches auf den in Kapitel 3 dargestellten                 werden operationalisierte Lernziele formuliert und Vor-         können die vier interprofessionellen Kernkompetenzbe-                       den Fakultäten Flexibilität bei der inhaltlichen Ausgestaltung
Aspekten basiert. Hierfür werden relevante Anlässe inter-               schläge zur Curriculumentwicklung fallbasiert, kompetenz­       reiche jeweils mit steigendem Schwierigkeitsgrad erar-                      der Lehrveranstaltungen. Abhängig vom bereits vorhandenen
professioneller Zusammenarbeit aus den klinischen Alltag                orientiert und entwicklungslogisch erarbeitet.                  beitet werden:                                                              Lehrangebot können Symptome/Krankheiten, Settings und
aufgegriffen, die als wesentliche Inhalte bereits in der                                                                                                                                                            Problemmuster flexibel kombiniert werden.
                                                                                                                                           1.   Werte und Ethik im interprofessionellen Team
                                                                                                                                           2.   Interprofessionelle Kommunikation
                                                                                                                                           3.   Rollen und Verantwortlichkeiten
4.1         GEMEINSAME HANDLUNGSBEREICHE DEFINIEREN                                                                                        4.   Interprofessionelle Zusammenarbeit.
            THEMENBEREICHE FÜR DIE INTERPROFESSIONELLE LEHRE IM
                                                                                                                                        Um die inhaltliche Ausgestaltung der interprofessionellen
            MEDIZINSTUDIUM                                                                                                              Lehrveranstaltungen zu unterstützen, wurden zusätzliche
                                                                                                                                        Kategorien definiert (s. Tab. 3):

Für das Mustercurriculum wurde gemeinsam mit Vertre-                                                                                      1.    Symptome bzw. Krankheiten
terInnen verschiedener Gesundheitsberufe in einem mehr-                                                                                   2.    Settings
schrittigen Abstimmungsprozess ein Entwurf erarbeitet.                                                                                    3.    Typische Problemmuster in der interprofessio-
Dieser sieht 50 UE vor, die exemplarisch aus acht Tagen à                                                                               		      nellen Kommunikation und Zusammenarbeit.
6 UE Lehre und 2 UE Prüfungen bestehen. Entsprechend
der Empfehlungen zur Ausrichtung interprofessioneller
Lerninhalte an konkreten beruflichen Fallsituationen wur-                                                                                  1. Symptome | Krankheiten |                  2. Settings | Raum                                3. Problemmuster
                                                                                                                                           Gesundheitsförderung
den im Rahmen verschiedener Arbeitsgruppen mit Exper-
tInnen die Versorgungsanlässe identifiziert, bei denen
                                                                                                                                           • Adipositas                                 • Notfallambulanz                                 • Hierarchiegefälle
eine effektive interprofessionelle Zusammenarbeit und
                                                                                                                                           • Diabetes mellitus                          • Langzeitversorgung (chronisch)                  • Zielgruppenorientierte
Kommunikation zur besseren Patientenversorgung führen
                                                                                                                                           • Demenz                                                                                         strukturierte Information
kann. Diese Anlässe wurden zunächst überprüft, ob sie                                                                                                                                   • Palliation
                                                                                                                                           • Herzinsuffizienz                                                                             • Unterschiedliches Evidenzverständnis
inhaltlich für die Ausbildung angemessen sind, anschlie-                                                                                                                                • Rehabilitation
                                                                        Abbildung 4: Foto aus einem Workshop im Rahmen des Kick-                                                                                                          • Unterschiedliche Zielvorstellung
ßend kategorisiert und zu einem sogenannten Blueprint                                                                                      • Mangelnde Gesundheitskompetenz             • Prävention
                                                                        off-Meetings „Nationales Mustercurriculum Interprofessionelle
                                                                                                                                                                                                                                          • Unterschiedliche Informationsstände
(Übersicht) zusammengefasst. (s. Tab. 2).                               Zusammenarbeit und Kommunikation am 16.11.2016 in Mainz            • Nosokomiale Infektion, Hygiene             • Akutversorgung
                                                                                                                                           • Onkologische Erkrankungen                                                                    • Aussprechen von Sicherheitsbedenken
                                                                                                                                                                                        • Ambulante Versorgung
                                                                                                                                                                                                                                            (Speak-Up)
                                                                                                                                           • Psychische Erkrankungen                    • Stationäre Versorgung
                                                                                                                                             (z. B. Depression)                                                                           • Ressourcenverteilung
                                                                                                                                                                                        • Intensive/Critical Care
 Tag 1                               Tag 2                              Tag 3                                Tag 4                                                                                                                        • Ethischer Konflikt
                                                                                                                                           • Schlaganfall
                                                                                                                                                                                        • Selbsthilfegruppe
                                                                                                                                           • Schmerz                                                                                      • Kostendeckung
  • Aufnahme                         • Übergabe                         • Entlassungsmanagement              • Aufklärung
                                                                                                                                           • Unfallversorgung
  • Anamnese                         • Dokumentation (II)               • Sozialrechtliche 		                • Sicherheitskultur,
                                                                          Entscheidungsfindung                 Fehlerkommunikation         • Vermeidung von
  • Dokumentation (I)                                                                                          und -offenbarung              Eingriffsverwechslung
                                                                                                                                           •…

                                                                                                                                        Tabelle 3: Kategorien zur Klassifikation von interprofessionellen Lehr- und Prüfbeispielen
  Tag 5                              Tag 6                              Tag 7                                Tag 8

  • Visite (I)                       • Visite (II)                      • Klinische                          • Überbringen
                                                                          Entscheidungsfindung                 schlechter Nachrichten
  • Fallbesprechung (I)              • Fallbesprechung (II)

  • Therapieplanung (I)              • Therapieplanung (II)

Tabelle 2: Interprofessionelle Versorgungsanlässe zur verpflichtenden curricularen Integration (Blueprint)

26                                                                                                                                                                                                                                                                                 27
Mit dem Blueprint wird ein einheitlicher Rahmen für die                 Die Lehr- und Prüfbeispiele aus den medizinischen Fakul-         Übersicht interprofessioneller Best Practice-Beispiele
interprofessionelle Lehre geschaffen. Dabei können die                  täten und den Projekten des Programms „Operation-
medizinischen Fakultäten ihre Veranstaltungen individuell               Team“ werden systematisch aufbereitet, klassifiziert und         1     Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD): interprofessionelle Übergabe am Telefon
anhand verschiedener Krankheitsbilder, Settings und Pro-                interessierten AnwenderInnen über eine Online-Plattform
                                                                                                                                         2     Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD): Kritikgespräch mit einer Pflegefachperson
blemmuster gestalten und fakultätsspezifische Schwer-                   zur Verfügung gestellt (s. Tab. 4) [58]. Dadurch wird den
punkte bilden. Außerdem können bereits bestehende                       Lehr- und Prüfungsbeauftragten an den Fakultäten und             3     Entlassung eines/r palliativen Patienten/in: Angehörigengespräch
interprofessionelle Lehr-/Lernformate anhand des Blue-                  Ausbildungseinrichtungen ermöglicht, sich untereinander
                                                                                                                                         4     Fehlerkommunikation im Team: Entscheidungskonflikte
prints genutzt und ggf. angepasst werden. So können                     zu vernetzen, vorhandene Ressourcen zu bündeln und
verschiedene Settings ausgewählt werden, um Sympto-                     die Qualität im Bereich der interprofessionellen Zusam-          5     Einnahme eines falschen Medikaments: Umgang mit Fehlern
me bzw. Krankheitsbilder in interprofessionellen Lehrver-               menarbeit und Kommunikation zu stärken und nachhaltig            6     Aggressive/r Patient/in: Umgang mit Aggressionen im Gespräch
anstaltungen zu adressieren: Schlaganfall z. B. kann so-                zu sichern.
wohl im Setting Notfallambulanz, stationäre Versorgung                                                                                   7     Akute gastrointestinale Blutung präoperativ bei Gonarthrose: interprofessionelle Übergabe
als auch in der Rehabilitation angesiedelt werden. Auch                                                                                  8     POP ART – PatientInnen Orientierte Pharmazie für Ärzte und Apotheker: ein interprofessionelles Lernprojekt in klinischer Pharmazie
die Auswahl der Problemmuster kann flexibel an die curri-
cularen Erfordernisse angepasst werden. Je nach Setting                                                                                  9     Schockraum-Teamtraining: Einfluss eines interdisziplinären-interprofessionellen Team-Trainings
                                                                                                                                               auf die klinische Versorgung schwerverletzter PatientInnen
und curricularen Voraussetzungen könnten beispielswei-
se unterschiedliche Informationsstände oder unterschied-                                                                                 10    Interprofessionelle evidenzbasierte Versorgung von Menschen mit Demenz
liche Zielvorstellungen bei der Behandlung von PatientIn-
                                                                                                                                         11    Medizinstudierende und Pflegeschüler üben den Notfall
nen nach Schlaganfall im Vordergrund stehen.
                                                                                                                                         12    Förderung der interprofessionellen Kommunikation durch gemeinsame Fallbesprechungen und Visitensimulationen
Als Beispiel für die Umsetzung eines solchen Blueprints
                                                                                                                                         13    Interprofessionelle Lehre: Visitendokumentation und Entlassungsmanagement
kann das interprofessionelle Curriculum für Medizin und
Pflege am Standort Nürnberg1, 2 dienen. Die Veranstal-                                                                                   14    Heidelberger Interprofessionelle Ausbildungsstation (HIPSTA)
tungen im Rahmen dieses Curriculums werden von Medi-
                                                                                                                                         15    Interprofessionelles Training in der Infektionsprävention
zinstudierenden der Paracelsus Medizinischen Privatuni-
versität, Studierenden im Studiengang Pflege Dual der                                                                                    16    Interprofessionelle Teamarbeit: „Durch Barrieren schneiden“
Evangelischen Hochschule Nürnberg und SchülerInnen                                                                                       17    „Was machst Du an meinem/r Patienten/in?“ Miteinander übereinander lernen
der Krankenpflegeschule des Klinikums Nürnberg absol-
viert. In der Gestaltung lehnt sich das Curriculum u. a. an                                                                              18    Konflikt erkannt, Konflikt gebannt! Kommunikationshürden im interprofessionellen Kontext
die oben beschriebenen Kategorien an und bildet die In-                                                                                  19    „Gemeinsam stark!“ Einer für alle, alle für einen! Ganzheitliche Patientenversorgung durch Nutzung spezifischer Qualitäten
halte Fehlerkultur, Notfallversorgung, Ethik, Wundma-                                                                                          der Gesundheitsberufe in Befunderhebung und -planung
nagement, Anamnese sowie Übergabe oder Überbringen
                                                                                                                                         20    „Open Skills Lab. Zeig, was Du kannst“ Interprofessionelles Peer-Teaching berufstypischer Fertigkeiten
schlechter Nachrichten ab.
                                                                                                                                         21    Interprofessionelles Lernen und Lehren in Medizin, Ergotherapie, Physiotherapie und Pflege: Konflikte im Team

                                                                                                                                         22    Interprofessionelles Lernen und Lehren in Medizin, Ergotherapie, Physiotherapie und Pflege:
                                                                                                                                               Grundlagen des Umgangs mit bewegungseingeschränkten Menschen

                                                                                                                                         23    Visitentraining bei einem/r Patienten/in nach Herzinfarkt: Beratung zur Verhaltens- und Lebensstilveränderung

                                                                                                                                         24    Medizin-Ethische Fragestellungen und Herausforderungen im Umgang mit demenziell erkrankten PatientInnen und deren Angehörigen­-
                                                                                                                                               Interprof. Training kommunikativer Fertigkeiten im Umgang mit demenziell erkrankten PatientInnen und deren Angehörigen

1
    https://idw-online.de/de/news698063                                                                                                  Tabelle 4: Übersicht interprofessioneller Best Practice-Beispiele
2
    Härlein et al. „Interprofessionelles Curriculum für Medizin und Pflege am Standort Nürnberg: Zwischenbericht 2015 – 2019“. Vortrag
    gehalten am 27.06.19 bei der Abschlussveranstaltung „Nationales Mustercurriculum interprofessionelle Zusammenarbeit und
    Kommunikation“ in Mainz.

28                                                                                                                                                                                                                                                                                  29
4.2 ZIELE ABSTIMMEN UND FESTLEGEN
    LERNZIELE FÜR INTERPROFESSIONELLE ZUSAMMENARBEIT
    UND KOMMUNIKATION

Zur Abstimmung der longitudinalen Curriculumentwicklung       Darüber hinaus wurden bei der Lernzielerstellung die drei
und der Konzeption der Lehreinheiten sind konkrete            Ebenen der Kooperation beim gemeinsamen Problemlö-
operationalisierbare Lernziele notwendig. Als Grundlage zur   sen adressiert [61, 62]:
Entwicklung von Lernzielen für Interprofessionelle Zu-
sammenarbeit und Kommunikation diente u. a. das Kapitel          1. Informationsaustausch („Information sharing“)
8 „Die Ärztin/der Arzt als Teammitglied“ des Nationalen          2. Aushandeln („Negotiating“)
Kompetenzbasierten Lernzielkataloges Medizin [59, 60].           3. Reflexion und Regulation („Regulation“).

In dieser Fassung sind die Lernziele im Kapitel 8 aller-      Bei der Entwicklung des Szenarios für das Fehlermanage-
dings noch übergeordnet formuliert, z. B. „…sich aktiv        ment wurden beispielsweise zunächst spezifische und
und konstruktiv in Teambesprechungen einbringen.“             operationalisierbare Lernziele zu potentiellen Fehlersitua-
                                                              tionen definiert. Die gewählten Situationen waren einer-
In verschiedenen Workshops und Arbeitsgruppen im              seits so konstruiert, dass diese durch interprofessionelle
Rahmen des hier beschriebenen Projektes wurde deut-           Kommunikation vermeidbar gewesen wären. Anderer-
lich, dass übergeordnete Ziele von den TeilnehmerInnen        seits wurden Situationen gewählt, bei denen bereits
sehr unterschiedlich verstanden und bei der Konzeption        Fehler aufgetreten waren und die somit eine interprofes-
des Unterrichts bzw. der Prüfungsaufgaben unterschied-        sionelle Kommunikation zur Bearbeitung erfordern.
lich umgesetzt wurden.
                                                              Im nächsten Schritt wurden die erarbeiteten bzw. bereits
Deshalb wurden für die im Musterentwurf definierten           vorhandenen Lernziele im Nationalen Kompetenzbasier-
Themen konkrete Beispielszenarien entwickelt und              ten Lernzielkatalog Medizin (NKLM) in einer zum Teil
dazu spezifische Lernziele formuliert, z. B. „Im Rahmen       modifizierten Fassung mit den vier Kernkompetenzbe-
eines Entlassmanagements eine zielgruppenorientierte          reichen der interprofessionellen Praxis verknüpft
Dokumentation durchführen.“                                   (Werte/Ethik; Rolle/Verantwortung; Kommunikation;
                                                              Teamarbeit) [18–20]. Für jeden Kernkompetenzbereich
                                                              wurden die Teilkompetenzen definiert und die Lernziele
                                                              diesen entsprechend zugeordnet (s. Tab. 5).

                                                              Beide Herangehensweisen zur Entwicklung von Lernzielen
                                                              waren erfolgreiche Strategien. Es zeigte sich bei beiden
                                                              Themenfeldern, dass der für die medizinische Ausbildung
                                                              in seiner ersten Fassung rahmengebende NKLM hilfreich
                                                              ist. Zum einen kann erfolgreich von den übergeordneten
                                                              Lernzielen im NKLM ausgegangen werden, welche für
                                                              die interprofessionelle Zusammenarbeit und Kommunikation
                                                              modifiziert und ausdifferenziert werden können. Zum
                                                              anderen hat sich herausgestellt, dass im Prozess auch primär
                                                              auf konkreten Fallsituationen basierend operationalisierte
                                                              detaillierte Lernziele für die interprofessionelle Zusam-
                                                              menarbeit und Kommunikation erstellt werden können.

Abbildung 5: Ergebnis aus dem Workshop zum Thema
„Entwicklung von Beispielszenarien“, Klausurtagung vom
01.-04.08.2017 in Waren (Müritz) im Rahmen des Projektes
„Nationales Mustercurriculum Interprofessionelle Zusammen-
arbeit und Kommunikation“

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