Beschäftigungseffekte von Mindest-löhnen: Die Dosis macht das Gift - CESifo Group Munich
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FORSCHUNGSERGEBNISSE Monika Köppl-Turyna, Michael Christl und Dénes Kucsera* Beschäftigungseffekte von Mindest- löhnen: Die Dosis macht das Gift Die Diskussion über die Beschäftigungseffekte von Mindestlöhnen ist seit vielen Jahrzehn- ten im Gange. In ihrem Beitrag verwenden Monika Köppl-Turyna, Michael Christl und Dénes Kucsera ihr empirisches Modell, das auf der Annahme von nicht-linearen Beschäfti- gungseffekten von Mindestlöhnen basiert (vgl. Christl, Köppl-Turyna und Kucsera 2018). Diese Effekte entstehen aus zwei Gründen: Einerseits reduzieren Unternehmen aufgrund höherer Mindestlöhne die Anzahl der angebotenen Stellen (»Jobangebot«-Effekt), ander- seits führen steigende Löhne zu einem höheren Anreiz, einen Job anzunehmen (»Job annahme«-Effekt). Der signifikante, nicht-lineare empirische Zusammenhang zwischen Mindestlohn und Beschäftigung ermöglicht die Berechnung einer Mindestlohnhöhe, bei der die Beschäftigung maximiert wird. Die Autoren zeigen zudem, dass dieser »optimale« Mindestlohn nicht nur signifikant von der Arbeitsproduktivität, sondern auch von der Kon- junktur abhängt: In wirtschaftlich guten Zeiten beziehungsweise in Ländern mit hoher Arbeitsproduktivität ist ein höherer Mindestlohn ohne negative Beschäftigungseffekte möglich. Für Deutschland kommen sie zu dem Ergebnis, dass der derzeitige Mindestlohn beinahe dem Optimalen entspricht. Ihr Modell impliziert, dass der deutsche Mindestlohn nur minimal negative Beschäftigungseffekte mit sich bringt. Es zeigt sich aber auch, dass bei einer veränderten Konjunktur oder bei einer Anhebung des Mindestlohns mit stärkeren negativen Beschäftigungseffekten zu rechnen ist. Die Diskussion über die Beschäftigungseffekte von Knabe et al. (2014) prognostizieren, dass die Ein- Mindestlöhnen ist seit vielen Jahrzehnten in Gange führung des Mindestlohnes von 8,50 Euro zu einem und erreichte in den 1990er Jahren einen Höhe- Verlust von 425 000 bis 910 000 Arbeitsplätzen füh- punkt, als Neumark und Wascher (1992) und Card et ren würde. Die Unterschiede liegen an den ver- al. (1994) unter Verwendung desselben Datensatzes wendeten Modellen: Kleinere Verluste wurden für ein unterschiedliche Beschäftigungseffekte von Mindest Monopson-Modell prognostiziert, deutlich höhere löhnen fanden. Dieser Dissens war Auslöser für eine im neoklassischen Modell. Für das neoklassische Vielzahl an Forschungen im Bereich der Beschäfti- Modell wurde eine hohe Elastizität der Arbeitsnach- gungseffekte von Mindestlöhnen. Laut Neumark und frage von –0,75 unterstellt, die zwangsläufig zu hohen Wascher (2006) deutet eine beträchtliche Mehrheit Schätzungen der Jobverluste führt. Andererseits der Untersuchungen darauf hin, dass sich Mindest- wurde im Monopson-Modell eine 20%ige Differenz löhne nachteilig auf die Beschäftigung auswirken, ins- zwischen dem Bruttolohn und dem Grenzprodukt besondere für die am stärksten gefährdeten Gruppen der Arbeit unterstellt. Somit werden positive Effekte auf dem Arbeitsmarkt – typischerweise geringquali- bis zu einer Erhöhung von 20% erwartet. Teil der fizierte oder unerfahrene (junge) Arbeitnehmer. Mit Unterschiede zwischen den Prognosen und Ex-post- der Einführung eines Mindestlohns in Deutschland Evaluierungen können allerdings auch auf die Zeit- im Jahr 2015 wurde die Diskussion über die Beschäf- spanne zurückgeführt werden, da sich die Pro- tigungseffekte von Mindestlöhnen wieder entzündet, gnosen größtenteils auf langfristigen Effekten insbesondere weil die prognostizierten Beschäfti- konzentrierten. gungsverluste deutlich geringer ausfielen, als vor der Auch in der internationalen Literatur sind die Einführung gewarnt wurde. Beschäftigungseffekte nicht eindeutig identifiziert. * Dr. Monika Köppl-Turyna, Mag. Michael Christl und Dr. Dénes In vielen neueren Studien wird die Beschäfti- Kucsera, Agenda Austria, Wien. gung durch den Mindestlohn bei geringqualifizier- 40 ifo Schnelldienst 2 / 2019 72. Jahrgang 24. Januar 2019
FORSCHUNGSERGEBNISSE ten oder jungen Beschäftigten entweder nicht oder »Jobangebotsrate« ( job offer) senken. Andererseits negativ beeinflusst. Neumark und Wascher (2006) erhöhen höhere Löhne die »Jobannahmerate« ( job fassen empirische Studien zu den Beschäftigungs- acceptance), da der Wert der Arbeit im Verhältnis zur effekten von Mindestlöhnen zusammen. Sie zei- Arbeitslosigkeit steigt. Bei einem hohen Mindestlohn- gen, dass eine beträchtliche Mehrheit der unter- niveau erreicht die Beschäftigungsquote jedoch ihre suchten Studien einen relativ konsistenten (wenn Obergrenze, da sich irgendwann jeder für eine Arbeit auch nicht immer statistisch signif ikanten) Hin- entscheiden wird. Die Autoren argumentieren, dass weis auf die negativen Auswirkungen von Mindest- für niedrigere Mindestlöhne der zweite Effekt über- löhnen auf die Beschäftigung gibt. Für eine aktuel- wiegt und die Beschäftigung mit dem Lohn steigt. Die lere Diskussion über die Mindestlohnliteratur fasst Jobakzeptanz steigt über ein bestimmtes Niveau aber Neumark (2017) die laufende Debatte zusammen. nicht mehr, und der klassische Jobangebotseffekt Neumark und Wascher (2017) geben einen Überblick dominiert. Ähnliche Schlussfolgerungen können dem über die jüngsten Mindestlohnstudien, in denen die Search-Modell von Blömer et al. (2018) entnommen Beschäftigungseffekte für die USA geschätzt werden, werden, das für Deutschland einen nicht-monotonen und finden, dass eine Mehrheit auf negative Effekte Zusammenhang zwischen Mindestlohn und Arbeitslo- hinweist. sigkeit findet. Für Deutschland versuchen mehrere Studien, Darüber hinaus können mit diesem Modell Hypo- die kausalen Auswirkungen der Einführung des Min- thesen über die Auswirkungen bestimmter Arbeits- destlohns im Jahr 2015 zu messen. Die Ergebnisse marktmerkmale auf die Beschäftigung formuliert sind im Hinblick auf geringfügige Beschäftigung kon- werden. Insbesondere zeigt das Modell, wie Einstel- sistent. Der Mindestlohn führte zu einem Rückgang lungs- und Entlassungskosten sowie die Höhe der der geringfügigen Beschäftigung (vgl. beispielsweise Arbeitslosenunterstützung und die Produktivität der Bonin et al. 2018; Holtemöller und Pohle 2017; Cali- Arbeitnehmer die Jobannahme sowie die Entschei- endo et al. 2018; Schmitz 2017) im Vergleich zu einer dung des Unternehmens über das Jobangebot beein- Situation ohne Einführung des Mindestlohns. Fokus- flussen. Erstens würde eine Erhöhung der durch- siert man lediglich auf die sozialversicherungspflich- schnittlichen Produktivität der Arbeitnehmer, wenn tige Beschäftigung, sind die Ergebnisse gemischt. alle anderen Faktoren gleich sind, Anreize für die Unter- Einige Studien stellen positive Auswirkungen fest, nehmen schaffen, mehr Arbeitnehmer einzustellen während andere keine oder negative Auswirkungen und den negativen Jobangebotseffekt zu schwächen. aufweisen. Insgesamt sind diese Auswirkungen im Folglich wäre das Niveau des Mindestlohns, bei dem Vergleich zur Gesamtbeschäftigung jedenfalls gering. der Beschäftigungseffekt negativ wird, höher. Zwei- Daher ist der gesamte Beschäftigungseffekt in den tens würde eine Erhöhung der Eins tellungskosten zu meisten Studien leicht negativ (vgl. beispielsweise einer geringeren Einstellung durch die Unternehmen Bossler und Gerner 2016; Bossler et al. 2018). Weitere führen und somit den negativen Effekt auf das Stel- Studien legen nahe, dass die Einführung des Mindest- lenangebot verstärken. Das optimale Mindestlohnni- lohns überhaupt keine Auswirkungen auf die Beschäf- veau wäre daher niedriger. Drittens führen höhere tigung hatte (vgl. z. B. Garloff 2017). Leistungen bei Arbeitslosigkeit zu einer niedrigeren Angesichts der nicht abgeschlossenen Debatte Akzeptanzquote, da die Menschen weniger bereit über die Auswirkungen des deutschen Mindestlohns sind, eine niedrig entlohnte Arbeit anzunehmen. auf die Beschäftigung bzw. des Vorschlags des deut- Daher führen höhere Leistungen bei Arbeitslosigkeit schen Finanzministers Olaf Scholz, den Mindestlohn zu einem niedrigeren beschäftigungsmaximierenden auf 12 Euro zu erhöhen, beschäftigt sich diese Ana- Mindestlohn. lyse mit den möglichen Auswirkungen des höheren Zusammenfassend erwarten wir von der Theorie, Mindestlohns aus Sicht der neueren Literatur, die dass die Mindestlohneffekte auf die Beschäftigung nicht-lineare Beschäftigungseffekte von Mindest- nicht linear sind. Daher gibt es ein optimales (beschäf- löhne vorsieht. tigungsmaximierendes) Niveau von Mindestlöhnen, das sich zwischen den Ländern und über die Zeit DIE THEORIE ändern kann. In Ländern mit hoher Arbeitsproduk- tivität geht das Modell von einem höheren Mindest- Neuere theoretische Überlegungen zu den Auswir- lohnniveau aus als in Ländern mit niedriger Produk- kungen von Mindestlöhnen auf die Beschäftigung tivität. In Ländern mit stark regulierten Arbeitsmärk- legen nahe, dass die Auswirkungen nicht linear sein ten oder höheren Arbeitslosenleistungen deutet das könnten. Ein theoretisches Modell von Brown et Modell darauf hin, dass das optimale Mindestlohn al. (2014) dient als Basis für unsere empirische Ana- niveau niedriger sein wird. lyse. Es ist ein zweiseitiges Arbeitsmarktflussmo- dell, das implizit die Entscheidung des Unternehmens DATEN UND METHODOLOGIE über das Jobangebot und die Entscheidung über die Annahme eines Arbeitsplatzes modelliert. Die Auto- In diesem Beitrag verwenden wir ein ähnliches Modell ren zeigen, dass höhere Mindestlöhne einerseits die wie Christl, Köppl-Turyna und Kucsera (2018). Der ifo Schnelldienst 2 / 2019 72. Jahrgang 24. 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FORSCHUNGSERGEBNISSE Abb. 1 Mindestlöhne im europäischen Vergleich, 2016 Mindestlohn (jährlich, US-Dollar PPP) Kaitz-Index Tschechische Republik Spanien Estland Griechenland Ungarn Tschechische Republik Slowakei Estland Polen Slowakei Griechenland Irland Portugal Niederlande Slowenien Ungarn Spanien Vereinigtes Königreich Vereinigtes Königreich Belgien Irland Portugal Frankreich Deutschland Deutschland Polen Belgien Slowenien Niederlande Frankreich 0 5 000 10 000 15 000 20 000 25 000 0 10 20 30 40 50 % Quelle: OECD. © ifo Institut Datensatz aus der Studie wurde um Deutschland ver- Variable Beschreibung größert und auch bis 2016 verlängert. Als Mindest- Annual Jährlicher Mindestlohn (in PPP US-Dollar) lohnvariable verwenden wir sowohl den jährlichen AWP Durchschnittliche Arbeitsproduktivität (BIP pro Beschäftigten) Mindestlohn (in PPP US-Dollar) und den Kaitz-Index, HiringCosts Anstellung und Entlastungskosten der das Verhältnis zwischen dem Mindestlohn und (EFW 5B Indikator des Frasers Institute – dem Durchschnittslohn angibt. höherer Wert deutet auf flexiblere Ar- Ein erster Blick auf die Daten zeigt, dass sowohl beitsmärkte hin) der um Kaufkraft und Wechselkurse bereinigte Min- EmpMid Beschäftigungsrate der zwischen 25- und 54-Jährigen destlohn in den europäischen Ländern deutlich var i- EmpYoung Beschäftigungsrate der zwischen 15- und iert (vgl. Abb. 1). Auch der Kaitz-Index, der als Maß für 24-Jährigen den Einschnitt des Mindestlohns in die Einkommens- PREmpYoung Kohortengröße der jungen Bevölkerung verteilung gilt, ist äußerst heterogen, wie die Abbil- (zwischen 15- und 24-Jährigen) dung 1 zeigt. Während im Jahr 2016 der jährliche Min- Bargaining Stärke der Kollektivverhandlungen (Index zwischen 1 und 7, niedriger Wert deutet destlohn in der Tschechischen Republik bei knapp auf stärkere Kollektivverhandlung hin) 9 150 US-Dollar PPP lag, war er in den Niederlan- Conscription Existenz des Wehrpflichtes den bei knapp 22 600 US-Dollar PPP. Der Kaitz-Index Recession Berücksichtigt Perioden mit negativen lag 2016 in Spanien bei 31% des durchschnittlichen BIP-Wachstum Lohns, während er in Frankreich bei knapp 50% war. Weil wir besonders auch an den Auswirkungen einer Rezession auf den sogenannten Wendepunkt ERGEBNISSE interessiert sind, erlauben wir im verwendeten em pirischen Modell auch eine Interaktion zwischen dem Unsere Berechnung basiert auf der Annahme, dass Mindestlohn und unserer Kontrollvariable für die die Beschäftigungseffekte von Mindestlöhnen nicht wirtschaftliche Entwicklung (die Beschäftigungsrate linear sind. Zusätzlich gehen wir davon aus, dass der Bevölkerung zwischen 25 und 54 Jahren). Kont- sowohl die Produktivität als auch die allgemeine rolliert wird zusätzlich, wie bereits eingangs erwähnt wirtschaftliche Lage und die Arbeitsmarktregulie- und wie auch in Christl, Köppl-Turyna und Kucsera rung die Beschäftigungseffekte von Mindestlöhnen (2018) nachzulesen ist, auf die Arbeitsproduktivität, beeinflussen. die Regulierung am Arbeitsmarkt und vieles mehr. Die Unser empirisches Modell zeigt in beiden Spe- verwendeten Variablen sind: zifikationen einen signifikanten nicht-linearen Zu- 42 ifo Schnelldienst 2 / 2019 72. Jahrgang 24. Januar 2019
FORSCHUNGSERGEBNISSE Tab. 1 Tab. 1 schaftlich guten Zeiten sowie Zusammenhang zwischen Mindestlohn und Beschäftigungsrate der Jüngeren bei hoher Arbeitsproduktivi- (EmpYoung). tät ist ein höherer Mindest- Variable EmpYoung (1) EmpYoung (2) lohn möglich, ohne nega- Annual 0,3056*** 0,2582** tive Beschäftigungseffekte zu (3,92) (– 2,00) erhalten. Tabelle 1 zeigt die Annual # Annual – 0,1059*** – 0,0716*** Ergebnisse unseres Modells. (– 3,41) (– 3,82) Unser Modell ermöglicht AWP – 0,0534* – 0,0274* (– 1,79) (– 1,80) uns, den »beschäftigungs Annual # AWP 0,0361*** 0,0111* maximierenden« Mindestlohn (2,72) (1,73) in jedem Land und zu jedem HiringCosts – 0,0051 – 0,0160 Zeitpunkt zu berechnen. Wie (– 0,32) (– 1,20) bereits erwähnt, gibt es deut- Annual # Hiring 0,0144 0,0224** (1,31) (2,26) liche Unterschiede zwischen EmpMid 1,2389** 0,3878* den europäischen Ländern. (2,57) (1,91) Besonders in den osteuro Annual # EmpMid 0,6424*** päischen Ländern haben (5,46) unserer vorherigen Studien PREmpYoung 0,1421 0,1840 gezeigt, dass es bis 2012 (0,45) (0,54) Bargaining – 0,0004 – 0,0053 jedenfalls durchaus Poten- (– 0,02) (– 0,28) zial für eine Erhöhung des Conscription – 0,0089 – 0,0072 Mindestlohns gegeben hat. (– 0,53) (– 0,63) In anderen Ländern hingegen Recession – 0,0032 – 0,0015 lag der Mindestlohn aller- (– 0,50) (– 0,28) Constant – 0,7345** – 0,0439 dings oft über den optimalen (– 2,00) (– 0,18) Werten. Beobachtungen 317 320 Abbildung 2 gibt einen Anmerkung: Signfikanz *0,1, **0,05, ***0,01; Standardfehler clustered auf Länderebene; t-Statistiken in Klammer. Überblick über die »beschäf- Quelle: Berechnungen der Autoren. tigungsmaximierenden« Min- destlöhnen im Jahr 2016 und sammenhang zwischen Mindestlohn und Beschäfti- deren Unterschied zum aktuellen Mindestlohnni- gungsrate der Jüngeren (EmpYoung). Zusätzlich zeigt veau. Für einige Länder, wie zum Beispiel Spanien, sich, dass vor allem die Arbeitsproduktivität sowie Deutschland oder Irland, ist die Höhe des Mindest- die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung (Emp- lohns dem optimalen Wert sehr nahe. Griechen- Mid) signifikant den Zusammenhang zwischen Min- land, Belgien, Frankreich und die Niederlande hinge- destlohn und der Beschäftigungsrate Jüngeren gen weisen Mindestlöhne über dem beschäftigungs beeinflusst. Kurz gesagt, Änderungen in der Pro- optimierenden Niveau auf. In den anderen Ländern duktivität (cet. par.) sowie die wirtschaftliche Lage zeigt unser Modell keine negativen Beschäftigungs- (cet. par.) beeinflussen die Auswirkungen des Min- effekte des aktuellen Mindestlohns. Im Gegenteil, destlohns auf die Beschäftigung Jüngerer. In wirt- eine Erhöhung könnte aufgrund eines steigenden Ar beitsangebots sogar zu höhe- Abb. 2 rer Beschäftigung führen. Beschäftigungsmaximierende Mindestlöhne in den einzelnen Ländern Wendepunkt Mindestlohn MODELLRECHNUNG FÜR DEUTSCHLAND Belgien Deutschland Estland Um die Ergebnisse unseres Frankreich Modells etwas besser dar- Griechenland zustellen, verwenden wir Irland Niederlande die Ergebnisse für Deutsch- Polen land im Jahr 2016. Das ist Portugal besonders interessant, da die Slowenien Spanien meisten Studien in Deutsch- Tschechische Republik land vor der Einführung von Ungarn massiven negativen Beschäf- Vereinigtes Königreich tigungseffekten ausgegan- 5 000 10 000 15 000 20 000 25 000 gen sind, nicht zuletzt, weil US-Dollar PPP die Modelle auf einem linea- Quelle: Berechnungen der Autoren. © ifo Institut ren Zusammenhang zwischen ifo Schnelldienst 2 / 2019 72. Jahrgang 24. Januar 2019 43
FORSCHUNGSERGEBNISSE Mindestlohn und Beschäfti- Abb. 3 gung basierten. Zusammenhang von Mindestlohn und Beschäftigung in Deutschland Unser Modell berech- Beschäftigungsquote 46 net für Deutschland im Jahr 2016 einen beschäftigungs- maximierenden Mindestlohn von 20 500 US-Dollar PPP. Die- 44 ser Wert liegt nur knapp unter dem Wert des Mindestlohns für 2016 von knapp 21 200 US-Dol- lar PPP. Das entspricht einem 42 optimalen Mindestlohn im Jahr 2016 von 8,23 Euro. Der aktu- elle Wert des Mindestlohns 40 von 8,50 Euro liegt in der sta- tistischen Schwankungsbreite 10 000 15 000 20 000 25 000 30 000 unseres Modells. Somit würde Mindestlohn, US-Dollar PPP Quelle: Berechnungen der Autoren. © ifo Institut unser Modell auch nur äußerst geringe negative Beschäfti- gungseffekte für den deutschen Mindestlohn voraussa- 2000er, die Beschäftigungsrate der 25- bis 54-Jäh- gen, die statistisch nicht signifikant sind. Trotz- rigen um knapp 2 Prozentpunkte fallen würde dem aber zeigt sich, dass eine Erhöhung des Mindest- (cet. par.)1. lohns mit Vorsicht zu genießen ist. So wird der ne- –– Im zweiten Szenario verwenden wir das Rezes- gative Zusammenhang deutlich stärker, je höher sionsszenario zusammen mit einem Produk der Mindestlohn wird, wie Abbildung 3 veranschau- tivitätsschock, indem wir zusätzlich die Arbeits- licht. produktivität um eine Standardabweichung redu- Würden wir ein lineares Modell verwenden, zieren (cet. par.). so würden wir einen deutlich höheren negativen (und signifikanten) Beschäftigungseffekt für Deutsch- Abbildung 4 stellt die Beschäftigungseffekte gra- land prognostizieren. Je nach Annahmen würden phisch dar. Im Falle des Rezessionsszenarios fällt der wir auf einen Beschäftigungsrückgang von knapp Turning Point im Jahr 2016 in Deutschland um knapp 150 000 bei den 15- bis 24-Jährigen berechnen, jener 800 US-Dollar PPP. Das entspricht einer Reduktion des Gruppe, die vom Mindestlohn am meisten betroffen optimalen Mindestlohns von 8,23 Euro auf 7,90 Euro. wäre. Die Beschäftigungseffekte würden in diesem Fall zwar Zusätzlich zu diesen Ergebnissen wollen höher ausfallen. Wie Abbildung 4. aber zeigt, würde wir genauer auf den Einfluss von Produktivitäts- die Beschäftigungsrate der 15- bis 24-Jährigen deut- schocks und Rezessionen eingehen. Oft wird argu- lich zurückgehen, allerdings wäre nur ein kleiner mentiert, dass der deutsche Mindestlohn kaum negative Effekte entfaltete, weil sich die deut- 1 Effekte der Rezession auf Produktivität oder ähnliches werden sche Wirtschaft deutlich besser entwickelt hat, jedoch ausgeklammert. als dies in vielen anderen EU-Ländern der Fall war. Un- Abb. 4 ser empirisches Modell zeigt Beschäftigungseffekte verschiedener Szenarien auch, dass die Beschäfti- Faktisch gungseffekte des Mindest- Produktivitätsschock Beschäftigungsquote lohns stark von der wirt- Rezession schaftlichen Entwicklung und 45 der Arbeitsproduktivität ab- hängen. Um die Effekte zu veran- schaulichen, verwenden wir zwei hypothetische Szena- 40 rien: –– Im ersten Szenario ver- wenden wir ein Rezessi- 35 onsszenario, in dem, ähn- lich wie in der deutschen 10 000 15 000 20 000 25 000 30 000 Mindestlohn, US-Dollar PPP Rezession zu Beginn der Quelle: Berechnungen der Autoren. © ifo Institut 44 ifo Schnelldienst 2 / 2019 72. Jahrgang 24. Januar 2019
FORSCHUNGSERGEBNISSE Teil dieses Rückganges auch durch den Mindestlohn Am Beispiel Deutschlands zeigt dieser Beitrag verursacht. auf, dass in Modellen, die die Nicht-Linearität berück- Anders sieht der Beschäftigungsrückgang im sichtigen, die Einführung des deutschen Mindestlohns Rezessionsmodell mit Produktivitätsschock aus. Auch nur minimal negative (und nicht signifikante) Beschäf- hier würde die Beschäftigungsrate der 15- bis 24-Jäh- tigungseffekte bewirkte. Aus unserer Sicht waren rigen deutlich abnehmen, der Effekt des Mindest- daher auch einiger der Prognosen aufgrund ande- lohns wäre aber deutlich stärker. Der beschäftigungs ren Modellannahmen überzogen. Es gilt trotzdem zu maximierende Mindestlohn würde bei knapp 7,50 Euro berücksichtigen, dass im Falle einer Rezession (mit pro Stunde liegen. einem Anstieg der Arbeitslosigkeit und einem Rück- Unsere Modellrechnungen zeigen, dass für Län- gang der Arbeitsproduktivität) das aktuelle Niveau der wie Deutschland, die den Mindestlohn in der Nähe des Mindestlohns zu höheren negativen Beschäfti- des beschäftigungsmaximierenden Mindestlohns gungseffekten führen kann. Allerdings wäre dieser gesetzt haben, kaum große Beschäftigungseffekte Beschäftigungsrückgang (aufgrund des Mindestlohns) durch die Einführung zu erwarten sind. Trotzdem gilt weiterhin überschaubar. es zu beachten, dass es in wirtschaftlichen Krisen Trotzdem gilt aber, dass Anhebungen des Min- durchaus zu negativen Beschäftigungseffekten kom- destlohns in Deutschland mit äußerster Sorgfalt zu men kann und wird, je nachdem wie stark die Krise betrachten sind. Zwar zeigt unser Modell, dass klei- ein Land trifft. nen Anhebungen des Mindestlohns in Deutschland Dass eine Anhebung des Mindestlohns auf derzeit nicht sonderlich (negativ) beschäftigungs- 12 Euro auch in unserem Modell deutlich negative wirksam sind. Eine Anhebung des Mindestlohns auf Beschäftigungseffekte mit sich bringen würde, zeigt 12 Euro die Stunde, wie sie erst kürzlich in die wirt- sich in der Abbildung 4. 12 Euro Mindestlohn würde schaftspolitische Debatte in Deutschland eingebracht im Jahr 2016 knapp 29 900 US-Dollar PPP bedeuten. wurde, würde allerdings auch in unserem Modell die Anders gesagt, wäre das Mindestlohnniveau um gut Beschäftigung doch massiv reduzieren. 7 000 Dollar bzw. 32% höher als der derzeit höchste Mindestlohn in Europa in den Niederlanden. Bei die- LITERATUR ser Höhe würde unser Modell eine Beschäftigungs- Bonin, H., I. Isphording, A. Krause, A. Lichter, N. Pestel, U, Rinne, rate der 15- bis 24-Jährigen von rund 40% vorhersa- M. Caliendo, C. Obst, M. Pruess, C. Schröder und M. Grabka (2018), Aus- gen. Das entspricht einem Rückgang von mehr als 5 wirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf Beschäftigung, Arbeitszeit und Arbeitslosigkeit, Studie im Auftrag der Mindestlohnkommission, For- Prozentpunkten. Bei Anhebungen auf ein solches schungsinstitut zur Zukunft der Arbeit, Evaluation Office Caliendo, Deut- Niveau würde auch unser Modell signifikante negative sches Institut für Wirtschaftsforschung, Bonn. Beschäftigungseffekte prognostizieren. Bossler, M., N. Gürtzgen, B. Lochner, U. Betzl, L. Feist und J. Wegmann (2018), Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf Betriebe und Unternehmen, Studie im Auftrag der Mindestlohnkommission, Institut für ZUSAMMENFASSUNG Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nürnberg. Bossler, M. und H.-D. Gerner (2016), »Employment effects of the new German minimum wage. Evidence from establishment-level micro data«, Die wirtschaftspolitische Diskussion über die Be- IAB-Discussion Paper 10/2016, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsfor- schäftigungseffekte von Mindestlöhnen nach der schung, Nürnberg. Einführung des Mindestlohns in Deutschland ist Blömer, M., N. Guertzgen, L. Pohlan, H. Stichnoth und G. J. Van den Berg von unterschiedlichsten Meinungen geprägt. Wäh- (2018), »Unemployment effects of the German minimum wage in an equilibrium job search model«, CESifo Working Papers 7160, 2018. rend die eine Seite davon ausgeht, dass die Pro- Brown, A. J., C. Merkl und D. J. Snower (2014), »The minimum wage from a gnosen vor der Einführung, die sehr hohe nega- two-sided perspective«, Economics Letters 124(3), 389–391. tive Beschäftigungseffekte vorhersagten, nie einge- Brown, C. (1999), »Minimum wages, employment, and the distribution of treten sind und man daher den Mindestlohn beliebig income«, Handbook of labor economics 3, 2101–2163. in die Höhe schrauben kann, ohne negative Beschäfti- Caliendo, M., A. Fedorets, M. Preuss, C. Schröder und L. Wittbrodt (2018), »The short-run employment effects of the German minimum wage gungseffekte zu haben, bezieht sich die andere Seite reform«, Labour Economics 53, 46–62. darauf, dass die Prognosen nur nicht eintraten, weil Card, D., L. F. Katz, und A. B. Krueger (1994), »Comment on David Neumark sich die deutsche Wirtschaft sich äußerst gut entwi- and William Wascher, ›Employment effects of minimum and subminimum wages: Panel data on state minimum wage laws‹«, ILR Review 47(3), ckelt hat. Man wisse aber nicht, was im Falle eines 487–497. wirtschaftlichen Abschwungs tatsächlich passieren Christl, M., M. Köppl-Turyna und D. Kucsera (2017), »Effects of collective würde. minimum wages on youth employment in Austria«, Empirica 44(4), 781–805. Unser Beitrag zeigt, dass die prognostizierten Christl, M., M. Köppl-Turyna und D. Kucsera (2018), »Revisiting the hohen Beschäftigungseffekte aus unserer Sicht aus employment effects of minimum wages in Europe«, German Economic nicht zutreffenden Modellannahmen resultierten. So Review 19(4), 426-465 zeigen wir, dass der Beschäftigungseffekt von Min- Garloff, A. (2017), »Side effects of the introduction of the German minimum wage on employment and unemployment: Evidence from destlöhnen nicht linear ist – bisherige Modelle berück- regional data – Update«, Diskussionspapier 4, Bundesministerium für sichtigten diese Nicht-Linearität nicht. Zusätzlich zei- Wirtschaft und Energie, Berlin. gen wir, dass die Beschäftigungseffekte stark von der Holtemöller, O. und F. Pohle (2017), »Employment effects of introdu- cing a minimum wage: The case of Germany«, IWH Discussion Papers, Arbeitsproduktivität, aber auch von der wirtschaftli- No. 28/2017. chen Situation abhängen. ifo Schnelldienst 2 / 2019 72. Jahrgang 24. Januar 2019 45
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