Beteiligung und Mitwirkung im kommunalen Klimaschutz - Erkenntnisse und Ergebnisse aus dem Vorhaben Klima-KomPakt
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Im Unterauftrag: Beteiligung und Mitwirkung im kommunalen Klimaschutz Erkenntnisse und Ergebnisse aus dem Vorhaben Klima-KomPakt Autorinnen: Dr. Minu Hemmati, Celia Schmidt Berlin, März 2020
Der vorliegende Bericht wurde im Rahmen des Projektes „Klima-KomPakt: Bedarfserfassung, Beteiligung und Verstetigung im Kommunalen Klimaschutz“ erstellt (Laufzeit: 2017 bis 2020). Projektteam: ifeu - Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg GmbH (Hauptauftragnehmer), www.ifeu.de Deutsches Institut für Urbanistik, www.difu.de nextpractice GmbH, www.nextpractice.de Dr. Minu Hemmati Consulting www.minuhemmati.net 2
Inhalt 1. Einführung 4 1.1 Überblick 4 1.2 Der Prozess-Wegweiser 5 2. Grundlagen 7 2.1 Bürgerbeteiligung 9 2.2 Akteursbeteiligung 9 2.3 Intensität und typische Phasen von Beteiligung und Mitwirkung 10 3. Die Vielfalt von Formaten und Methoden 14 3.1 Informelle und formelle Verfahren 14 3.2 Vorhandene Instrumente, Leitfäden und Handbücher 15 4. Nutzen und Risiken von Beteiligung und Mitwirkung 18 4.1 Potentieller Nutzen von Beteiligung und Mitwirkung 18 4.2. Potentielle Risiken von Beteiligung und Mitwirkung 20 5. Erfahrungen und Erfolgsfaktoren für die Beteiligung und Mitwirkung von Bürger*innen und Akteuren 21 5.1 Erfahrungen mit Beteiligung und Mitwirkung 21 5.2 Erfolgsfaktoren in der Bürgerbeteiligung 25 5.3 Erfolgsfaktoren in der Zusammenarbeit mit Akteuren 26 Literatur 28 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Begriffe im Zusammenhang mit Beteiligung und Mitwirkung 7 Abbildung 2: Relevante Akteursgruppen im kommunalen Klimaschutz 10 Abbildung 3: Prozessphasen aus dem MSP Guide 11 Abbildung 4: Beteiligungspyramide 12 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Vorhandene Leitfäden und Wegweiser 15 3 3
1 Einführung 1.1 Überblick Bei Prozessen der Beteiligung und Mitwirkung geht es immer auch darum, Dinge anders anzupacken als Beteiligung und Mitwirkung aller relevanten Akteure bisher – in der Hoffnung, neue und erfolgreiche Lö- und Bürger*innen ist für eine wirkungsvolle Klima- sungen für drängende Probleme zu finden.2 Idealer- schutzpolitik in Kommunen unabdingbar. Dement- weise führt ein Beteiligungsprozess zu einem prakti- sprechend ist in der Kommunalrichtlinie im Rahmen schen Ergebnis, das breitere und stärkere Akzeptanz der Erstellung und Umsetzung von kommunalen findet, und das besser umgesetzt werden kann, weil Klimaschutzkonzepten eine angemessene Infor- alle Beteiligten mehr Verantwortung übernehmen, mation und Beteiligung vorgesehen, ebenso wie in als wenn sie nicht beteiligt gewesen wären. anderen Förderangeboten und Vorhaben im Rah- men der Nationalen Klimaschutzinitiative (NKI) des Erfolgreiche Beteiligungsprozesse beruhen auf sorg- Bundesumweltministeriums. Die Kommunen sind fältigen Zielgruppen- bzw. Akteurs-Analysen und der aufgefordert, Bürger*innen und andere Akteure Auswahl geeigneter Wege der Ansprache und Inter- über ihr Klimaschutzengagement zu informieren und aktion. Für die Transformation hin zu Klimaschutz sie aktiv mit in die Formulierung und die Umsetzung und Nachhaltigkeit sind frühzeitige und (mindestens von Klimaschutzmaßnahmen einzubeziehen. teilweise) ergebnisoffene Beteiligungsverfahren entscheidend. Die transparente Einbindung aller Klimaschutz und Nachhaltigkeit erfordern eine relevanten Akteure auf Augenhöhe und der produk- grundlegende Transformation, die einzelne Akteu- tive Umgang mit Vielfalt sind zudem Schlüssel zur re nicht alleine erarbeiten, beschließen oder um- Außenwahrnehmung eines glaubwürdigen, sinnvol- setzen können. Regierungen und andere Akteure len Beteiligungsprozesses. experimentieren daher zunehmend mit neuartigen Methoden, erweiterten Beteiligungsprozessen und Im Vorhaben Klima-KomPakt wurden u. a. bestehende konkreter Zusammenarbeit.1 Das langfristige und Beteiligungs- und Mitwirkungsprozesse analysiert übergeordnete Ziel ist die Entwicklung einer Kultur sowie Modelle und Werkzeuge für mögliche Betei- der Beteiligung und der Zusammenarbeit im kom- ligungs- und Mitwirkungsprozesse entwickelt und munalen Klimaschutz. erprobt. 1 S. z.B. Scharmer 2007; Pruitt & Thomas 2007; Hemmati 2007a, b; Narval 2018. 2 s. z.B. Scharmer 2007, Pruitt & Thomas 2007; Lederach 2003; Hemmati 2007a; Hemmati & Rogers 2015. 4
Einführung Die vorliegende Publikation fußt auf folgenden Der vorliegende Bericht wendet sich an Klimaschutz- Grundlagen: manager*innen, Beteiligungsmanager*innen und Berater*innen von Kommunen, die im kommunalen • Zusammenfassung aktueller Forschungsliteratur Klimaschutz Beteiligung und Mitwirkung gestalten, zu Fragen der Beteiligung und Mitwirkung; umsetzen und/oder evaluieren. Zunächst werden die • Analyse existierender Handbücher und Leitfäden wichtigsten Begriffe erläutert und Bürgerbeteiligung zum Thema; in Abgrenzung zu Akteursbeteiligung diskutiert. An- • Empirische Untersuchung bestehender Beteili- schließend werden typische Ebenen und Phasen von gungs- und Mitwirkungsprozesse im kommunalen Beteiligung und Mitwirkung skizziert. Einer kurzen Klimaschutz im Vorhaben Klima-KomPakt, und Übersicht von Formaten und Methoden folgt die zwar in einer quantitativen Fragebogenstudie Darstellung der Nutzen und Risiken von Beteiligungs- und einer qualitativen Interview-Studie; prozessen. Anschließend werden Erfahrungen und 1 • Interviews mit acht Expert*innen im Bereich Erfolgsfaktoren aus der Praxis der Beteiligung und in Beteiligung bzw. kommunaler Klimaschutz, die der Zusammenarbeit mit Akteuren diskutiert. die Ergebnisse der empirischen Untersuchung kommentierten und Fragen nach wichtigen 1.2 Der Prozess-Wegweiser Lernerfahrungen und nützlichen Instrumenten beantworteten; 3 Wir möchten hier auch auf den Prozess-Wegweiser • Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Modell- hinweisen, der im Projekt Klima-KomPakt entwickelt kommunen im Vorhaben Klima-KomPakt4: über wurde: Dies ist das erste web-basierte Instrument, 9-18 Monate wurden Kommunen und Landkreise das speziell Beteiligung und Mitwirkung im kom- in Beteiligungsprozessen zu unterschiedlichen munalen Klimaschutz unterstützt (www.prozess- Themen begleitet: das Spektrum reichte von der wegweiser.de). Der Wegweiser bietet praktische Veranstaltung einer Konferenz der Akteure über Hilfestellung und Anregung für alle, die Klimaschutz einen Generationendialog mit Schüler*innen bis in Kommunen vorantreiben wollen, sich mit typi- hin zur Bearbeitung von verwaltungsinternen schen Herausforderungen konfrontiert sehen und Konflikten. auf der Suche nach neuen Ideen und Inspiration • zwei bundesweite Workshops mit Modellkom- sind. Die Materialien wurden nutzerfreundlich struk- munen und Mitgliedern des Steuerungskreises turiert, aufbereitet und verlinkt. Es gibt eine Einfüh- des Vorhabens Klima-KomPakt,5 bei denen sich rung; eine interaktive Komponente für individuelle Erfahrungen ausgetauscht und die notwendige Empfehlungen; typische Prozessverläufe für ver- Unterstützung von Beteiligungsprozessen disku- schiedene Zwecke; Praxisbeispiele; eine Methoden- tiert wurde; sammlung und eine Bibliothek mit weiterführender • der Arbeit am web-basierten Prozess-Wegweiser Literatur, Links und Glossar. für Beteiligung und Mitwirkung im kommunalen Klimaschutz (s. 1.2), der im Rahmen des Vor- Im Sinne einer kollaborativen Demokratie wird die habens entwickelt wurde: viele Elemente und Beteiligung von Bürger*innen und Akteuren nicht Darstellungen wurden wiederholt Mitgliedern der nur als Akzeptanzbeschaffungsmaßnahme oder Zielgruppen vorgestellt und deren Feedback bei Konsultationsmechanismus, sondern vielmehr als der Fertigstellung berücksichtigt. gemeinsamer Gestaltungsprozess verstanden.6 3 Die Expert*innen sind Kolleg*innen im Klima-KomPakt-Vorhaben sowie andere im Rahmen der NKI Engagierte: wir danken Helmut Bauer, Miriam Dingeldey, Hans Hertle (ifeu), Franziska Wittkötter (difu), Andrea Steckert (Pestel-Institut), Dr. Marcus Andreas, und Julia Schirrmacher (Europa-Universität Flensburg) für ihre Zeit und Expertise. 4 Zu den Modellkommunen gehörten: Bühl, Landkreis Heilbronn, Landkreis Lüchow-Dannenberg, Norderstedt, Potsdam, Rehfelde, Rietberg, Schwetzingen, Singen. Die Stadt Schwetzingen war dankenswerterweise auch Gastgeber bei einem der bundesweiten Workshops. 5 Mitglieder des Steuerungskreises waren: T. Brenner, BMU; P. Busch, Landeshauptstadt Potsdam; N. Eichler, BMU; J. Hagel-stange, difu / SK:KK; M. Haufe, Hansestadt Greifswald; R. Joswig, Com-Consult, Lemgo; L. Judick, Bundesverband Klimaschutz; C. Lippert, Landeshauptstadt Potsdam; Dr. T. Mertins, Deutscher Landkreistag; T.H. Munoz, Bundesverband Klimaschutz; Dr. P. Pichl, UBA; D. Raphael, Deutscher Städtetag; O. Reif-Dietzel, difu / SK:KK; S. Schäfter, difu / SK:KK; J. Schirrmacher, Klimaschutzregion Flensburg; L. Sieck, UBA; A. Steckert, Pestel-Institut; T. Steidle, KEA Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg; D. Willeke, Bundesverband Klimaschutz, Dr. B. Wittann, PtJ 6 Krause 2013: 2; Narval 2018 5
Einführung Dementsprechend sollen Kommunen ermutigt und Während viele Kommunen bereits über Erfahrungen unterstützt werden, über das reine Informieren und in der Öffentlichkeitsarbeit und Akzeptanzförderung Öffentlichkeitsarbeit hinauszugehen, mit Bürger*in- verfügen, hat sich gezeigt, dass insbesondere Verfah- nen und Akteuren den Austausch auf Augenhöhe ren zur Mitentscheidung und Mitgestaltung bislang zu suchen und verschiedene informelle Formen des eher selten eingesetzt werden.7 gemeinsamen Entscheidens und der konkreten Zu- sammenarbeit auszuprobieren. 1 Webseite: www.prozess-wegweiser.de 7 Landua et al. 2013: 12 6
2 Grundlagen Beteiligung von Bürger*innen und Akteuren ist ein Die Fülle an Begriffen zeigt, wie viele verschiedene breites und vielfältiges Feld, und es ist aktuell: Disziplinen sich damit beschäftigen – u. a. die Politik- Bürger*innen, Expert*innen, Verwaltungen, Unter- wissenschaft, die Verwaltungswissenschaft, die nehmen und viele andere diskutieren darüber. In Rechtswissenschaft, die Soziologie und die Psycho- Abbildung 1 sind einige der gängigen Begriffe im logie. Kontext von Beteiligung, Multi-Akteurs-Partnerschaf- ten und verwandten Prozessen zusammengestellt. Multi-Stakeholder Prozess Interaktive Entscheidungsfindung Stakeholder Dialoge RundeTische Demokratie Partizipative Demokratie Kollektiver Ansatz Kross-sektorale Zusammenarbeit Soziale Lernprozesse Kollaboratives Handeln Lern-Allianzen Public-Private Partnerships (PPPs) Innovationsplattform Ko-kreieren von Wissen Soziale Laboratorien Abbildung 1 Begriffe im Zusammenhang mit Beteiligung und Mitwirkung 7
Grundlagen Definitionen zu Beteiligung und Demokratie Partizipation Partizipation heißt (politische) Teilhabe. Die Teilnahme am politischen Prozess bedeu- tet, dass man bei Entscheidungsprozessen beteiligt ist, von denen man indirekt oder direkt betroffen ist. Partizipation kann Unterstützung für die Regierenden oder Protest gegen sie bedeuten. Je mehr Menschen sich aktiv an Politik beteiligen, desto sicht- barer werden deren Interessen auch für politische Parteien und Politiker*innen.8 Partizipative Partizipative Demokratie - oder partizipatorische Demokratie (von Partizipation: Demokratie Teilhaben, Teilnehmen und Demokratie: Volksherrschaft) bezeichnet die politische 2 Mitwirkung möglichst vieler in möglichst vielen Bereichen, sowie deren praktische Umsetzung. Die Legitimität einer Demokratie wird dementsprechend über die Be- teiligung an und Einflussnahme auf Entscheidungen auf verschiedenen politischen Ebenen und in der Zivilgesellschaft gewährleistet.9 Kollaborative Kollaborative Demokratie ermöglicht Prozesse der demokratischen Zusammenarbeit Demokratie und lässt sich dabei von Ansätzen moderner Informationstechnologien inspirieren, die zeigen, dass auf vielfältige Weise Kommunikation und Zusammenarbeit organisiert werden kann. […] Die Kollaborative Demokratie ist keine explizit neue virtuelle Netz- demokratie. Sie versucht im Gegenteil die Akteure räumlich, zeitlich und inhaltlich so nah miteinander in Beziehung zu setzen wie möglich.10 Direkte Eine Form der Demokratie, in der die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar selbst Demokratie die politischen Entscheidungen fällen und dies nicht gewählten Vertreter*innen (Repräsentant*innen) überlassen. Beispiele für direkte Demokratie in der Gegenwart sind Volksentscheide und Referenda. Der Gegensatz ist die Repräsentative Demo- kratie.11 Repräsentative Im Gegensatz zur direkten Demokratie treffen die Bürger*innen politische Entschei- Demokratie dungen nicht direkt selbst, sondern überlassen sie -auf Zeit- gewählten Vertreter*in- nen (Repräsentant*innen), die für sie stellvertretend tätig sind.12 Bürgergesellschaft Eine starke, auf Freiwilligkeit beruhende Bürgergesellschaft kann und soll die par- lamentarische Demokratie ergänzen. Kern der solidarischen Bürgergesellschaft ist zudem, staatliche Angebote zu bereichern, ohne sie abschaffen zu wollen. Auch spielt hier die Möglichkeit zur Selbsthilfe eine Rolle.13 Beteiligungskultur Eine „Beteiligungskultur“ bedeutet, dass Beteiligung nicht nur punktuell ermöglicht wird, sondern zu einem dauerhaften und verlässlichen Bestandteil der kommunalen Entscheidungsprozesse gemacht wird und hierfür ein Rahmen geschaffen wird. Dies als „Kultur“ zu sehen bedeutet, den Zusammenhang zwischen Regeln, Gewohnheiten und Haltungen der Akteure in den Blick zu nehmen.14 8 http://www.politik-lexikon.at/partizipation/, s. auch Walz et al. 2011: 19ff.; Kallen 1996: 9 9 https://de.wikipedia.org/wiki/Partizipatorische_Demokratie 10 https://de.partizipativ-gestalten.de/kollaborative-demokratie-konzeptionelle-grundlagen 11 http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/pocket-politik/16390/direkte-demokratie 12 http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/pocket-politik/16544/repraesentative-demokratie 13 https://fes-online-akademie.de/wissenssnack/was-ist-die-solidarische-buergergesellschaft/? 14 http://kommunalwiki.boell.de/index.php/Beteiligungskultur 8
Grundlagen 2.1 Bürgerbeteiligung Hinzu kommt die Verbindlichkeit der Ergebnisse von Beteiligungsprozessen: je intensiver die Bürgerbe- Kommunaler Klimaschutz ist eine Gemeinschafts- teiligung desto verbindlicher die Ergebnisse für die aufgabe. Daher ist es unerlässlich, ausreichend Kommune und andere Entscheidungsträger*innen.18 Mitsprache- und Mitwirkungsmöglichkeiten für die Bürger*innen zu schaffen. Bürgerbeteiligung ist zwar Im Idealfall führt Bürgerbeteiligung zu einer aktivier- keine Neuheit, spielt jedoch bei der Umsetzung ten und selbstbewussten Bürgerschaft und stärkt einer erfolgreichen kommunalen Energie- und Klima- den lokalen Zusammenhalt. Um die Verantwor- schutzpolitik eine immer entscheidendere Rolle.15 tungs- und Mitwirkungsbereitschaft von Beteiligten zu aktivieren, kann eine Kommune neben gesetzlich In Deutschland wurde Bürgerbeteiligung seit den geregelten Formen der Beteiligung auf eine Reihe 1990er Jahren immer mehr als Querschnittsauf- wirkungsvoller Kommunikations- und Partizipations- 2 gabe in den Kommunalverwaltungen verankert. In formen zurückgreifen.19 einer idealtypischen „Bürgerkommune“ werden Bürger*innen in Entscheidungen eingebunden und 2.2 Akteursbeteiligung politisch Interessierte erreicht und zum Mitwirken aktiviert. Dabei handelt es sich weniger um ein klar Während im aktuellen Diskurs über Beteiligung definiertes Ziel, als um eine Haltung und einen fort- meist (nur) Bürger-Beteiligung gemeint ist, wird hier währenden Prozess.16 explizit auch die Beteiligung und Mitwirkung von Akteuren behandelt. Zur Kooperation mit Akteuren Die Beteiligung von Bürger*innen umfasst jede Form liegen weniger Erfahrungen und Empfehlungen vor, der Einbeziehung in politische Entscheidungen und gleichzeitig wird dies aber immer wichtiger. deren Umsetzung. Dabei ist entscheidend, dass Bürger*innen nicht ausschließlich passive Empfän- Akteure sind Personen oder Institutionen, die ein ger*innen von Informationen oder Kampagnen sind, direktes oder indirektes Interesse an einer Entschei- sondern aktiv mitgestalten und auch mitbestimmen dung oder einem Projekt haben, als Individuen oder können. Zudem sollten geeignete Prozesse von Poli- als Repräsentant*innen einer Gruppe oder Organisa- tik und Verwaltung initiiert und begleitet werden, tion. Dazu gehören Akteure, die eine Entscheidung sodass die Anbindung an offizielle, formale Entschei- beeinflussen oder beeinflussen können; solche, die dungswege erkennbar ist. So können nicht nur die für die Umsetzung zentral sind und/oder solche, die Bedürfnisse und Probleme der Bürger*innen identi- von einer Entscheidung betroffen sind.20 Oft werden fiziert, sondern auch Ideen entwickelt und Maßnah- drei Sektoren gesellschaftlicher Akteure unterschie- men gemeinsam geplant werden. Außerdem können den: Öffentlicher Sektor, Privatsektor und Zivilge- gute Beteiligungsprozesse das Potential für Konflikte sellschaft. Manche Autor*innen fügen die Wissen- vermindern und die Akzeptanz von Entscheidungen schaft als vierten Sektor hinzu.21 In vielen Prozessen stärken.17 sollten Akteursgruppen aber stärker differenziert werden, um eine nützliche Grundlage für Strategie- Im Folgenden wird Bürgerbeteiligung deshalb von entwicklung und Planung zu schaffen. der Öffentlichkeitsarbeit abgegrenzt, bei der die Kommunikation meist nur in eine Richtung verläuft: die Kommune informiert die Bürger*innen und Akteure. Das Ausmaß an Mitwirkung und Mit-Ent- scheidung ist aber ein zentrales Kriterium für wahr- genommenen Nutzen und Erfolg von Beteiligung. 15 Bunzel et al. 2011: 143 16 Fiedler 2015; Granzow & Horst 2015, Deutscher Städtetag 2013; Bunzel et al. 2011: 131; Zoellner et al. 2011 17 http://www.beteiligungskompass.org/pages/index/about#was; Zoellner et al. 2011; Narval 2018. 18 Walz et al. 2011: 29 19 Bunzel et al. 2011: 143, Kallen et al. 1998 20 nach Hemmati 2002: 2 21 z.B. Brouwer et al. 2015 9
Grundlagen Kommunal- verwaltung Interessen- Kommunal- vertretungen politik Vereine, Bürgerinnen Verbände und Bürger Wohnungs- Gewerbe, Handel, 2 Klimaschutz- / wirtschaft Dienstleistungen Masterplan- management Regionale Industrie Banken Kommunale Land- und Unternehmen Forstwirtschaft Lokale Forschungs- und Energieversorger Bildungseinrichtungen Religions- gemeinschaften Abbildung 2 Relevante Akteursgruppen im kommunalen Klimaschutz (Quelle: SK:KK/Difu) Abbildung 2 zeigt relevante Akteure im kommunalen Ein weiteres Beispiel ist der politische Rückhalt für Klimaschutz: Verwaltung, Politik, Bürger*innen, Ge- Klimaschutzaktivitäten: Parallel zur verwaltungs- werbe, Handel, Industrie, Landwirtschaft, Forschung, internen Abstimmung sollten hierbei auch Stadt- Religionsgemeinschaften, lokale Energieversorger, parlamente, Landkreistage oder andere politische kommunale Unternehmen, regionale Banken, Woh- Entscheider*innen an der Entwicklung beteiligt nungswirtschaft, Vereine/Verbände sowie Interes- werden. Durch den Austausch über verschiedene sensvertretungen. Seit dem Erstarken von Fridays Interessen können frühzeitig Konfliktpotentiale er- for Future sollte man zusätzlich auch Schüler*innen, kannt, Lösungsansätze entwickelt und das weitere Jugendliche und Studierende und als eigene Akteurs- Vorgehen geplant werden, damit Verwaltung und gruppe in die Betrachtung aufnehmen. Politik an einem Strang ziehen.22 Viele Akteure sind unmittelbar relevant für Ent- 2.3 Intensität und typische Phasen scheidungen oder Umsetzungsprojekte: Sie sind von von Beteiligung und Mitwirkung Entscheidungen direkt betroffen, können personelle oder finanzielle Ressourcen beisteuern, bringen In der Literatur finden sich zahlreiche Kategorisie- wertvolles Wissen und Erfahrungen mit, können auf- rungen der vielfältigen Formen von Partizipation - so grund ihres Ansehens andere mobilisieren und/oder zum Beispiel anhand der Intensität von Beteiligung die Aktivitäten entsprechen ihrem Geschäftsinteres- und Engagement, die oft als Pyramide dargestellt se. Es kommt jeweils darauf an, um was es geht und wird. Intensität reicht vom unidirektionalen Infor- welche Ziele verfolgt werden. mieren über das Konsultieren und den Dialog bis hin zum gemeinsamen Gestalten, auch in Multi-Akteurs- Partnerschaften.23 24 25 22 Difu 2018: 33 23 Krause 2013: 6-10 24 http://www.bpb.de/lernen/grafstat/partizipation-20/163706/m-02-09-intensitaetsgrade-von-partizipation 10
Grundlagen Analog hat Bauer (2014) sechs Ebenen der Beteili- Studien sehen Kommunen die Information der gung im Klimaschutz beschrieben: Sie reichen Bürger*innen, die Akzeptanz von kommunalen Ent- vom Informieren (Ebene 1, bzw. Information/ scheidungen sowie die Förderung von Transparenz Transparenz), bis zum Dialog (Ebene 2 – hier Kom- als bedeutsam an.28 munikation), Austausch und Diskussion (Ebene 3 – Vernetzung), über die gemeinsame Erarbeitung Von Seiten der Bürger*innen wird zunehmend die von Ergebnissen (Ebene 4 - Konsultation) bis hin Forderung nach stärkerer Einbindung und Mitwir- zur Mitentscheidung (Ebene 5) und der kritischen kung laut. Laut einer Umfrage in 201129 wünschen Begleitung der Umsetzung (Ebene 6) - hier Beteili- sich 81 Prozent der deutschen Bürger*innen Beteili- gung. Die letzten beiden Ebenen (also die Spitze der gungs- und Mitsprachemöglichkeiten im politischen „Beteiligungs-Pyramide“) werden in der Praxis nur Prozess. 60 Prozent sind darüber hinaus bereit, selten erreicht und meist auch nicht angestrebt. Das sich in Form von Bürgerbegehren, Diskussionsforen 2 hat zur Folge, dass Bürger*innen nur selten mitent- oder Anhörungen aktiv an Entscheidungsprozessen scheiden oder bei der Umsetzung direkt mitwirken.26 zu beteiligen. Auch wenn im Einzelfall abzuwarten bleibt, ob diese hohe Bereitschaft wirklich in die Tat Aus Sicht der Kommunen hat Beteiligung insgesamt umgesetzt wird, zeigt sie doch deutlich, dass eine sowohl auf Verwaltungs- als auch auf der politischen Verständigung über neue Formen lokaler Demokra- Ebene einen hohen Stellenwert.27 Laut aktuellen tie und Beteiligungskulturen notwendig ist.30 connection shared language divergence co-creation convergence commitment Abbildung 3 Typische Phasen von Multi-Akteurs-Prozessen: Verbindung; gemeinsame Sprache; Vielfalt; Ko-Kreation; Einigung; „Commitment“ (s. Brouwer et al. 2015) Man kann auch verschiedene typische Phasen eines Vor allem intensivere Formen von Beteiligung und (Beteiligungs-)Prozesses unterscheiden (s. Abb. 3): Mitwirkung, wie etwa Multi-Akteurs-Partnerschaf- Egal ob es sich um einen eintägigen Workshop oder ten, sind vielen Kommunen noch nicht vertraut. Um um einen mehrwöchigen Prozess handelt, steigen die Transformation zu erreichen, wird es aber in Intensität und Mitwirkung über die dargestellten einer wachsenden Zahl von Prozessen darum gehen Phasen hinweg an. Abb. 4 stellt die Beteiligungs- müssen, mehr Akteure in das Klimaschutz-Handeln pyramide, die Ebenen der Beteiligung sowie die einzubinden, auch in partnerschaftlicher Zusam- typischen Phasen von Multi-Akteurs-Partnerschaften menarbeit. Das geht über Öffentlichkeitsarbeit und vergleichend nebeneinander.31 Austausch hinaus und hier benötigen Kommunen Information, Anregung und Begleitung. 25 Andere Autor*innen entwerfen andere Stufenmodelle, die unterschiedliche Intensitäten des Engagements differenzieren, s. z.B. bei: Stufen der Partizipation (Ber- liner Senatsverwaltung 2016); Partizipationsstufen (Walz et al. 2011, S. 28), Stufenmodell der Akteursbeteiligung im aktuellen Leitfaden Kommunaler Klimaschutz (2018, S. 36) oder Beteiligungsformen geordnet nach der Intensität der Zusammenarbeit (ebd. S. 40). Vgl. auch die Entwicklungsstufen der Beteiligung bei Kallen (1996, S. 11) und die Beteiligungsleiter in Nanz & Fritsche (2012, S. 23) und die damit verbundenen unterschiedlichen Rollen und Positionen von Bürger*innen (ebd., S. 125). 26 Bauer 2014: 28 27 Landua et al. 2013 28 Landua et al. 2013: 25 29 http://www.bertelsmann-stiftung.de/de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/pid/umfrage-buerger-wollen-sich-an-politik-beteiligen/ 30 Deutscher Städtetag 2013: 8 31 Brouwer et al. 2015: The MSP Guide. - Ähnliche Phasenmodelle finden sich z.B. bei Krause 2013: 39ff, Hemmati 2007a: 349f, Tennyson 2003. 11
Grundlagen Information / Transparenz Kommunikation 2 Vernetzung ‹‹ Intensität des Engagements ›› Konsultation Beteiligung ‹‹ Anzahl Personen ›› Beteiligungspyramide (eigene Darstellung angelehnt an http://www.stadtmarketing.eu/lebenswerte-staedte/gebaeude/) Abbildung 4: Beteiligungspyramide, Ebenen der Beteiligung und Typische Phasen von Multi-Akteurs-Partnerschaften 12
Grundlagen Ebene 1 Informieren: Ohne umfassende, ehrliche Informationen seitens der Verwaltung ist Mitsprache und Mitwirken nicht mög- lich. Probleme, Vorhaben und Ziele aus Verwaltungs- sicht sind verständlich und transparent darzustellen. Ebene 2 Dialog: Ebene 2: die Meinungen, Erfahrungen und Erwartungen der Phase Verbindung Beteiligten einholen und ernst nehmen. Ebene 3 Austausch und Diskussion: gemeinsam Ziele festlegen, gemeinsam gestalten und Ebene 3: Phase gemeinsame Ebenen 2-4: 2 planen, gemeinsam Kriterien entwickeln. Sprache Phase Vielfalt Ebene 4 Ergebnis erarbeiten: Ebene 4: Konsens-Lösungen entwickeln, Pläne, Prozesse oder Phasen Ko-Kreation Projekte gemeinsam planen. & Einigung Ebene 5 Mitentscheiden: In angemessener und legitimierter Weise bei der Ent- scheidungsfindung und beim Entscheidungsprozess mitwirken. Ebenen 5 und 6: Phase Ebene 6 Umsetzung: „Commitment“ Kritisches Begleiten und/oder aktive Mitwirkung bei der Umsetzung von Maßnahmen oder bei der Durch- führung von Projekten; Mitfinanzierung von Projekten. Typische Phasen von Multi-Akteurs-Partnerschaften Ebenen der Beteiligung (nach Bauer, 2014: 28) (Brouwer et al 2016) 13
3 Die Vielfalt von Formaten und Methoden Für Kommunen in Deutschland gehört die Beteiligung • World Café, Open Space, Zukunftswerkstätten, von Bürger*innen, Akteuren und Interessensgruppen Ideenwettbewerbe zu einem immer stärker genutzten Instrumentarium, • Planungswerkstätten das den Einsatz immer wieder unterschiedlicher und • Planungszellen und Bürgergutachten den Bedürfnissen angepasster Formen und Metho- • Beiräte, Befragungen den verlangt. Grundsätzlich lassen sich Beteiligungs- • Online-Formate (Online-Befragungen, verfahren in zwei Kategorien einteilen: in formelle, Online-Foren…)33 also gesetzlich vorgegebene und administrativ ver- ankerte Verfahren und informelle, freiwillig durch- Zu den formellen (vorgeschriebenen) Verfahren geführte und nicht formal geregelte Verfahren. In gehören u. a.: der Praxis sind auch Kombinationen formeller und informeller Verfahren möglich.32 • Öffentlichkeitsbeteiligung (Bebauungs- und Genehmigungsverfahren) 3.1 Informelle und formelle Verfahren • Verfahren der direkten Demokratie (Bürger- begehren, Bürgerentscheide, Volksbegehren Zu den informellen Formaten und Methoden der und –entscheide, Volksinitiativen) Bürgerbeteiligung gehören beispielsweise: Frühe informelle Beteiligung ist ein immer wichtige- • Informationsschriften, Vortrags- und Diskussions- res Instrument geworden und auch die Verzahnung veranstaltungen mit formellen Verfahren wird vermehrt in den Blick • Informationsveranstaltungen, Aktionstage genommen. Öffentlichkeitsbeteiligung kann wesent- • Ausstellungen und Exkursionen lich dazu beitragen, Bürger*innen und Träger*innen • Bürgerversammlungen, Bürgerbüros öffentlicher Belange auf formelle Beteiligungsver- • Arbeitskreise, (Bürger-)Foren, Runde Tische fahren durch die Genehmigungsbehörde vorzu- • Öffentliche Energie- und Klimaschutzforen bereiten.34 Um die Verwechslung mit der formalen 32 Vorwerk 2015: 6-7 33 Digitale Formate werden immer wichtiger und stehen nicht im Gegensatz zu analogen Formaten; vielmehr sollte man über zweckdienliche Kombinationen ana- loger und digitaler Formate nachdenken, z.B. Online-Befragungen im Vorfeld von Konsultationen; oder die digitale Fortführung von kleineren Arbeitsgruppen von Beteiligten, die sich bereits persönlich kennen. 34 https://www.netzwerk-buergerbeteiligung.de/informieren-mitmachen/beitraege-themenschwerpunkte/einzelansicht-beitraege-themenschwerpunkte/article/ oeffentlichkeitsbeteiligung-beim-netzausbau-mit-informeller-beteiligung-das-formelle-verfahren-vorb/ 14
Die Vielfalt von Formaten und Methoden Öffentlichkeitsbeteiligung35 bei Genehmigungsver- Beteiligung von Bürger*innen und Akteuren ent- fahren zu vermeiden, wird statt „Bürgerbeteiligung“ halten. Diese Leitfäden und Wegweiser werden von oftmals auch der Begriff „Bürgerdialog“ verwendet. Praktiker*innen im kommunalen Klimaschutz ebenso Dieser dient oft dazu, ein sich eventuell anschließen- verwendet wie in Trainings und Weiterbildungen von des formelles Verfahren zu unterstützen. Klimaschutzmanager*innen, anderen Verwaltungs- mitarbeiter*innen, Beratungsbüros, Bürger*innen 3.2 Vorhandene Instrumente, und Akteuren. Leitfäden und Handbücher In der Literatur gibt es zu „Öffentlichkeitsbeteiligung“ keine einheitliche Be- 35 Im Folgenden ist eine Auswahl von Publikationen griffsklärung oder Abgrenzung formeller und informellen Verfahren. So fassen Bock et al. (2017, S. 33) auch informelle Verfahren unter (Öffentlichkeits-) aufgeführt, die praxisrelevantes Wissen, Beispiele und Anleitungen zur Gestaltung und Umsetzung der Beteiligung und meinen mit Öffentlichkeit nicht nur Bürger*innen, sondern z.B. auch Verbände. 3 Tabelle 1 - Vorhandene Leitfäden und Wegweiser (Teil 1) Titel Kurzbeschreibung Praxisleitfaden Der Praxisleitfaden unterstützt Kommunen bei einem strukturierten Vorgehen im „Klimaschutz in Klimaschutz und dient als Arbeitshilfe für die Initiierung und Durchführung von Klima- Kommunen“ schutzaktivitäten. Der Leitfaden bietet Grundlagenwissen sowie eine Vielzahl von (3. Auflage 2018) sinnvollen Handlungsmöglichkeiten in unterschiedlichen Teilbereichen des kommu- nalen Klimaschutzes. Den individuellen Bedürfnissen und Kapazitäten der Kommunen entsprechend, werden verschiedene Herangehensweisen thematisiert. Dies wird ergänzt durch zahlreiche Praxisbeispiele, die zur Nachahmung inspirieren sollen. https://leitfaden.kommunaler-klimaschutz.de Prozess-Wegweiser Das erste web-basierte Instrument, das speziell Beteiligung und Mitwirkung im Beteiligung und kommunalen Klimaschutz unterstützt. Praktische Handreichung mit Einführung; Mitwirkung im kom- interaktiver Komponente für individuelle Empfehlungen; typischen Prozessverläufe munalen Klimaschutz für verschiedene Zwecke; Praxisbeispiele; Methodensammlung und Bibliothek mit Vorhaben Klima-Kom- weiterführender Literatur, Links, Glossar. Pakt des BMU, 2020 www.prozess-wegweiser.de Praxisleitfaden Der Praxisleitfaden von „Impuls – Agentur für angewandte Utopien e.V., Berlin“ stellt Bürgerbeteiligung. Grundprinzipien, Möglichkeiten und Grenzen von Bürgerbeteiligung vor, gibt Orientie- Die Energiewende rung beim Umgang mit unterschiedlichen Situationen und vermittelt praktische Tipps gemeinsam gestalten für die verschiedenen Phasen der Umsetzung eines Beteiligungsprozesses. (2013) http://www.leitfaden-buergerbeteiligung.de/ Handbuch Der Berliner Senat zeigt anhand zahlreicher Praxisbeispiele, wie mannigfaltig Partizi- Partizipation pationsprozesse sein können. Verwaltungsmitarbeiter*innen erhalten einen Überblick L.I.S.T. Stadtentwick- über die wichtigsten Definitionen und Rahmenbedingungen, lernen konkrete Metho- lungsgesellschaft im den kennen und erhalten nützliche Handlungsempfehlungen für die Vorbereitung Auftrag der Berliner und Durchführung von Beteiligungsprozessen. Themenbereiche: Stadt- und Freiraum- Senatsverwaltung planung, Bürgerhaushalt, Stadtteilbudgets, Netzwerke und bürgerschaftliches Engage- (2. Auflage 2012) ment, Kinder- und Jugendbeteiligung und E-Partizipation. Mit theoretischen Erkennt- nissen, Fallbeispielen aus Berlin und Handlungsempfehlungen. http://www.stadtentwicklung.berlin.de/soziale_stadt/partizipation/download/Hand- buch_Partizipation.pdf 15
Die Vielfalt von Formaten und Methoden Tabelle 1 - Vorhandene Leitfäden und Wegweiser (Teil 2) Titel Kurzbeschreibung Beteiligungskompass Ein umfangreiches Instrument mit Basiswissen, Praxisbeispielen, Methoden und der Bertelsmann zahlreichen Leitfäden, u. a. zur gemeinsamen Gestaltung der Energiewende. Zudem Stiftung gibt es die Möglichkeit, eigene Vorhaben zu planen. Anhand verschiedener Kriterien (Budget, Zielgruppe, Thema etc.) werden passende Methoden, Experten und Praxis- beispiele vorgeschlagen; ergänzt durch zahlreiche Erklär-Videos. www.beteiligungskompass.org 3 Wegweiser Ein Projekt der Stiftung Mitarbeit: Hier finden sich nützliche Tools, Leitfäden, Praxishil- Bürgergesellschaft fen und Methoden in den Bereichen „Mitgestalten“, „Mitentscheiden“, „Mitteilen“. https://www.buergergesellschaft.de/ Bürgerbeteiligung Überblick über dialogische Bürgerbeteiligung und Demokratie. Die Autor*innen in der Praxis. Ein stellen sowohl erprobte und geläufige als auch weniger bekannte Methoden, Formate Methodenhandbuch und Verfahren vor; abgerundet durch Praxisbeispiele. (2018) https://www.mitarbeit.de/publikationen/shop/buergerbeteiligung_in_der_praxis/ Leitfaden „Praxis- Der Leitfaden baut auf der Breite und Vielfalt internationaler und Wiener Erfahrungen buch Partizipation – auf, und fasst Methoden und Maßnahmen zusammen, die für Beteiligungsprozesse Gemeinsam die Stadt benötigt werden. Herzstück ist ein Prozessplaner, der der Verwaltung als Leitfaden bei entwickeln“ der Stadt der Konzeption von Beteiligungsprozessen dient. Wien https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/partizipation/praxisbuch.html Handbuch Bürger- Umfassende Informationsquelle sowie praxisnaher Einstieg: das Handbuch diskutiert beteiligung. Verfahren dialogorientierte Bürgerbeteiligung in der modernen Demokratie und gibt einen Über- und Akteure, Chancen blick über die prominentesten Verfahren sowohl der klassischen Präsenz- als auch der und Grenzen (2012) internet-gestützten Beteiligung. Es gibt Informationen zu Dauer, Zielgruppe, geeig- neten Themen, Herausforderungen, relevanten Akteuren und Organisationen. Eine vergleichende Bewertung hilft bei der Auswahl der besten Verfahren für verschiedene Situationen. https://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/76038/handbuch-buergerbeteiligung Procedere - Verbund Darstellung von Methoden und Formaten zur politischen Prozessbegleitung, die nach für Procedurale einer Reihe von Kriterien kategorisiert wurden. Praxis: Toolpool http://procedere.org/?p=608 Qualitätskriterien Praktische Checkliste des Netzwerks Bürgerbeteiligung („10 Anforderungen an eine Bürgerbeteiligung gute Bürgerbeteiligung“), die gemeinsam mit Netzwerker*innen erarbeitet wurde. www.netzwerk-buergerbeteiligung.de Leitfaden Online- Aufgrund der Analyse von Erfahrungen mit Beteiligung über das Internet wurden Konsultation - Praxis- Handlungsempfehlungen für die Praxis erarbeitet, inklusive der Diskussion typischer empfehlungen für Fragen und Herausforderungen sowie Checklisten für verschiedene Methoden. die Einbeziehung der Möglichkeiten und Grenzen von Online-Beteiligung werden aufgezeigt und bieten Bürgerinnen und Bür- Hilfestellung bei der Planung und Umsetzung, v.a. durch öffentliche Verwaltungen, die ger über das Internet noch keine Erfahrung mit solchen Prozessen und Methoden haben. http://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/leitfaden- online-konsultation/ 16
Die Vielfalt von Formaten und Methoden Tabelle 1 - Vorhandene Leitfäden und Wegweiser (Teil 3) Titel Kurzbeschreibung Liquid Democracy - Der gemeinnützige Verein Liquid Democracy beschäftigt sich mit Verbesserungsmög- Think & Do Tank lichkeiten der Demokratie. Eine dazugehörige Plattform ermöglicht Kommunen, ihre Bürger*innen online zu beteiligen. https://liqd.net/de/ und https://www.beteiligung.in/ The MSP Guide – Ein umfassender und praktischer Leitfaden für die Gestaltung und Moderation von How to Design and Multi-Akteurs-Prozessen und -Partnerschaften, inklusive der Darstellung von Zielen Facilitate Multi-Stake- und Zwecken, Prinzipien, nötigen Kapazitäten, Prozessphasen, Methoden, und einer 3 holder Partnerships Fülle praktischer Beispiele. (2015) http://www.mspguide.org The MSP Tool Guide. Bezugnehmend auf den MSP Guide und die 4 Phasen liefert dieser Leitfaden einen Sixty Tools to Facilita- praktischen Rahmen für die Planung und Durchführung von Prozessen mit Akteuren te Multi-Stakeholder aus Wirtschaft, Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Der Leitfaden stellt Ideen Partnerships (2017) zur Durchführung von Workshops bereit und gibt 60 praktische partizipative Tools in den Bereichen Analyse, Planung und Entscheidungsfindung an die Hand. http://www.mspguide.org/resource/msp-tool-guide International Webseite des internationalen Berufsverbands der Moderator*innen, inklusive einer Association of Methoden-Datenbank, die man nach verschiedenen Kriterien durchsuchen kann. Facilitators (IAF): https://www.iaf-world.org/site/home/knowledge-centre Knowledge Centre National Coalition Webseite eines internationalen Netzwerks von Profis und Laien, die sich mit Dialog for Dialogue and und Debatte beschäftigen, inklusive einer Methoden-Datenbank, die man nach ver- Deliberation: schiedenen Kriterien durchsuchen kann. Resource Center http://ncdd.org/rc/ 17
4 Nutzen und Risiken von Beteiligung und Mitwirkung Durch Beteiligung und Mitwirkung können Nutzen ständigen. Diese Lernprozesse helfen auch dabei, erzielt werden, die Verwaltungen nicht alleine er- eigene Interessen zu artikulieren, diese zu vertreten reichen. Gleichzeitig sind Prozesse der Beteiligung und Verantwortung zu übernehmen37. Der Mehrwert und Mitwirkung mit Risiken verbunden, deren von Beteiligungsprozessen wird auch von den Kom- Management für den Erfolg mitentscheidend ist. Im munen häufig darin gesehen, dass mehr Aufmerk- Folgenden sind Erkenntnisse zu Nutzen und Risiken samkeit und neue Perspektiven hinzukommen. Der zusammengefasst. Austausch mit neuen Akteuren erleichtert die Ent- wicklung einer ganzheitlichen Sicht auf ein Thema; die Kenntnis des gesamten Systems kann bessere 4.1 Potentieller Nutzen von Entscheidungen ermöglichen. Beteiligung und Mitwirkung Glaubwürdigkeit und wahrgenommene Legitimität Qualität von Entscheidungen: Verschiedene Akteure von Entscheidungen: Zu wissen, dass verschiedene und Bürger*innen haben unterschiedliche Sichtwei- Interessen ausbalanciert oder integriert wurden, sen und Kenntnisse. Die Expertisen und Perspektiven erhöht die wahrgenommene Glaubwürdigkeit und einer Reihe von Fachgebieten und Arbeitsbereichen Legitimität von Entscheidungen. Die Menschen zusammenzubringen kann ein besseres Verständnis wissen, dass Zusammenarbeit mit anderen Interes- von Problemsituationen und Herausforderungen sengruppen schwierig ist, und dass dabei aber auch ermöglichen, als wenn nur wenige Fachgebiete ver- Gemeinsamkeiten, Vertrauen und Kompromisse treten sind. Es gibt zudem positive Auswirkungen entstehen können. Dies macht Ergebnisse glaubwür- von Vielfalt auf Kreativität und Innovation. In einem diger als Bemühungen einer einzelnen (Interessen-) guten Beteiligungsprozess kann die Verschiedenheit Gruppe. Indem unterschiedliche Interessen und der Teilnehmer*innen dazu beitragen, die Kreativi- daraus resultierende Zielkonflikte im Prozess der tät der Gruppe zu erhöhen36. Außerdem steigert die Mitgestaltung für alle Beteiligten transparent wer- Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Themen den, kann Beteiligung die repräsentative Demokratie die Kompetenzen der Beteiligten, denn alle lernen stark bereichern38. voneinander, zumal wenn sie beginnen, sich zu ver- 36 zusammenfassend Enayati 2002 37 Deutscher Städtetag 2013: 11 38 Deutscher Städtetag 2013: 12 18
Nutzen und Risiken von Beteiligung und Mitwirkung Partizipative und kommunikative Ansätze können Akteursnetzwerke als Multiplikatoren: Durch die die Überzeugung und Akzeptanz unter Bürger*innen Beteiligung von Akteursgruppen, Netzwerkver- erhöhen39. Breite und effektive Beteiligungsprozesse treter*innen und anderen Multiplikatoren*innen werden zunehmend als grundlegende demokrati- kann man potentiell viel mehr Bürger*innen und sche Erfordernisse verstanden; viele Bürger*innen Akteure erreichen als unmittelbar bei Veranstaltun- wünschen sich mehr Beteiligungsmöglichkeiten40. Es gen anwesend sind. Das kann man nutzen, um noch wird in der Öffentlichkeit positiv wahrgenommen, mehr Personen und Organisationen indirekt um wenn die Verwaltung, die sonst oft nur als Ord- Ideen, Meinungen und Unterstützung zu bitten. Es nungsbehörde gesehen wird, Beteiligungsprozesse ist aber auch ein Weg, eine Vielzahl von Personen anstößt. und Organisationen frühzeitig zu informieren und bspw. darauf vorzubereiten, dass eine Entscheidung Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass gemeinsam umgesetzt werden soll. Auch dies trägt 4 aus Sicht von Kommunen die Steigerung von Akzep- dazu bei, die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung zu tanz und Identifikation die Hauptziele von Beteili- erhöhen, denn man kann letztlich auf mehr Personen gungsverfahren sind41. Man hat also häufig eine uni- und Organisationen zählen, als direkt beteiligt sind. direktionale Beeinflussung im Sinn. Dem gegenüber steht der Wunsch vieler Bürger*innen und Akteure Positive Beeinflussung gesellschaftlicher Beziehun- nach einem „Dialog auf Augenhöhe“, bei dem alle gen: In Prozessen der Beteiligung und Mitwirkung Beteiligten zuhören, lernen, und ggf. ihre Meinung treffen Bürger*innen und Akteure aus verschiedenen ändern42. Die Glaubwürdigkeit von Prozessen hängt Bevölkerungsschichten, Organisationen und gesell- u. a. davon ab, dass den Beteiligten klar ist, dass schaftlichen Sektoren zusammen. Diese haben oft und wie ihre Beiträge tatsächlich in Entscheidungen ganz unterschiedliche „Kulturen“ der Kommunika- eingehen. tion und Interaktion, Arbeitsabläufe und Geschwin- digkeiten der Entscheidungsfindung und Umsetzung. Wahrscheinlichkeit der Umsetzung von Entschei- Häufig bestehen auch stereotype Vorstellungen über dungen: Qualität und Glaubwürdigkeit von Entschei- Angehörige bestimmter Gruppen, z. B. von gemein- dungen steigern auch die Wahrscheinlichkeit, dass nützigen Vereinen über Wirtschaftsvertreter*innen diese tatsächlich umgesetzt werden. Wenn Lösun- oder von Verwaltungsmitarbeiter*innen über Mit- gen auf den Beiträgen einer Vielzahl von Akteuren glieder von Bürgerinitiativen. und deren Kenntnis praktischer Bedingungen und Erfordernisse beruhen, besteht eine größere Wahr- Ein häufiger Effekt von Beteiligung und Mitwirkung scheinlichkeit, dass sie realistisch und umsetzbar ist dann die Erkenntnis dieser Unterschiede, aber sind. Zudem steigert es das „Commitment“, weil auch vieler Gemeinsamkeiten, und dass man überall Beteiligte sich mit einer getroffenen Entscheidung Menschen finden kann, mit denen man produktiv stärker und leichter identifizieren können als Unbe- zusammenarbeiten kann. Mittel- und langfristig kön- teiligte43. „Commitment“ ist ein zentraler Begriff und nen diese Erfahrungen im Kontakt und noch mehr in Faktor im Zusammenhang mit Beteiligung. Es bedeu- der erfolgreichen Zusammenarbeit dazu beitragen, tet soviel wie „Selbstverpflichtung“ oder „freiwillige Stereotype und Vorurteile zu überwinden, sozialen Bindung“ und spielt in Prozessen der Entwicklung Zusammenhalt über sektorale Grenzen hinweg zu und Veränderung eine entscheidende Rolle44. Durch stärken, Konflikte zu überwinden und damit auch Engagement und Mitgestalten wächst das „Commit- Grundlagen für größere Veränderungen zu schaffen, ment“ zum Prozess, zu den Entscheidungen und zu die nur gemeinsam erreicht werden können (Stich- den Umsetzungsergebnissen. wort: Transformation)45. 39 Deutscher Städtetag 2013; Bunzel et al. 2011: 131, Zoellner et al. 2011 40 http://www.bertelsmann-stiftung.de/de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/pid/umfrage-buerger-wollen-sich-an-politik-beteiligen/ 41 Landua et al. 2013 42 Narval (2018, S. 59) bringt diesen Aspekt folgendermaßen auf den Punkt: „Menschen brauchen die Gewissheit, dass jene, die die Entscheidungen treffen, auch ein Stück in ihren Schuhen gelaufen sind.“ 43 Renn et al. 2013: 280; Walz et al. 2011: 58-60; Enayati 2002 44 Es gibt keinen knappen deutschen Ausdruck, der die gesamte Bedeutung von „Commitment“ wiederspiegelt, deshalb wird hier dieser englische Begriff verwendet. 45 s. Walz et al. 2011: 58-60; Enayati 2002; Hemmati 2007b 19
Nutzen und Risiken von Beteiligung und Mitwirkung 4.2. Potentielle Risiken von Beteiligung und gleich gehört werden, aber auch davon, dass sie und Mitwirkung gleiche Kapazitäten haben, sich einzubringen46. In vielen Prozessen muss man daher zunächst in den Unangemessener Einfluss von Akteuren: Wenn Aufbau notwendiger Kapazitäten investieren oder demokratisch gewählte Regierungen, ihre Organe die Beteiligung einzelner Gruppen gezielt unterstüt- und deren Mitarbeiter*innen andere einladen, an zen47. ihren Entscheidungen und Projekten mitzuarbeiten, kann man fragen, wie repräsentativ-demokratisch Intransparenz von Entscheidungsprozessen: Viele ein solches Vorgehen ist: Gewinnen die Akteure da- Prozesse der Beteiligung und Mitwirkung können bei nicht unangemessen starken Einfluss auf Politik völlig transparent und offen stattfinden; es wird und Projekte? Warum brauchen wir Runde Tische darüber in der örtlichen Presse berichtet, und es 4 im Kanzleramt, wenn die Ministerien und Behörden herrscht Transparenz über die Abläufe. Das ist selbst die Expertise zur Bearbeitung der Probleme entscheidend für die wahrgenommene Legitimität haben sollten? von Entscheidungen oder Projekten, die in solchen Prozessen entstehen. Man sollte also stets so trans- Um das Risiko zu begrenzen, dass durch solche Ein- parent wie möglich vorgehen, um Misstrauen über wände Prozesse der Beteiligung und Mitwirkung unbotmäßigen Einfluss, Mauscheleien oder Bevor- illegitim erscheinen, bedarf es solider, transparenter zugung im Keim zu unterbinden. Argumentation: Warum kann man mit diesem Pro- zess mehr und besseres erreichen als ohne ihn? Wie Es kann allerdings Situationen geben, in denen eine stellt man sicher, dass gewählte Regierungen nicht gewisse Vertraulichkeit notwendig ist. Dies trifft an Macht verlieren und ihre Pflichterfüllung nicht insbesondere auf langfristige Multi-Akteurs-Partner- gefährdet wird? Solche Prozesse bedürfen klarer schaften zu, in denen gemeinsam Entscheidungen Rahmenbedingungen, die seitens der gewählten Ver- getroffen werden und gemeinsam gehandelt und treter*innen vorab definiert werden. Zudem sollten evaluiert wird, in denen Verträge über die Verteilung diese Fragen auch im Prozess kommuniziert und dis- von Investitionen und Gewinn geschlossen werden, kutiert werden. Oftmals können Beteiligte den Pro- o. ä. zess unterstützen, indem sie außerhalb von Treffen davon berichten und den Mehrwert klarstellen. Risiken eines suboptimalen Prozesses: Schließlich bringt die Durchführung von mangelhaften Beteili- Auch Personen und Institutionen, die bisher Ent- gungsprozessen Risiken mit sich, zum Beispiel für die scheidungen allein vorbereitet, getroffen und um- Reputation der Kommune, aber auch Frustration und gesetzt haben, können den Einfluss anderer Akteure Rückzug seitens der Beteiligten, oder Konflikte mit als riskant ansehen. Sie erleben einen Verlust an Beteiligten oder zwischen kommunalen Ressorts, die Kontrolle und Einfluss und können durchaus der dann wiederum bearbeitet und überwunden werden Meinung sein, dass die Expertise oder Perspektiven müssen. anderer unzulänglich sind. Hier bedarf es oft der Überzeugungsarbeit sowie expliziter Anweisungen Deshalb sollte ein Beteiligungsprozess generell nur und Anreizsysteme, um Beteiligung und Mitwirkung dann unternommen werden, wenn man davon aus- zu ermöglichen oder durchzusetzen. gehen kann, dass genügend Ressourcen, Kapazitäten und politischer Wille vorhanden sind, um einen Unausgewogener Einfluss von Akteuren: Beteiligung wirklich guten Prozess gestalten und umsetzen zu muss gleichberechtigt und gleichwertig sein, sonst können. können Beobachter*innen den Eindruck haben, dass einzelne Gruppen unangemessen großen Einfluss gewinnen und dafür sorgen, dass ihre Partikularinte- ressen besondere Berücksichtigung finden. Gleich- wertigkeit hängt davon ab, dass alle gleich anerkannt 46 Walz et al. 2011: 62 47 Brouwer et al. 2015; dazu gehören u.U. auch eigene, vorbereitende Prozesse in einzelnen Gruppen, oder die Erstattung von Reisekosten u,ä. 20
5 Erfahrungen und Erfolgsfaktoren für die Beteiligung und Mitwirkung von Bürger*innen und Akteuren 5.1 Erfahrungen mit Beteiligung und Mitwirkung Es gibt also kein Patentrezept, welche Methode für welchen Fall am besten ist.48 Bei der Entwicklung Im Folgenden sind einige Erfahrungen und Erkennt- eines Beteiligungsprozesses sollten u. a. folgende nisse aus der Forschung und Praxis von Prozessen Fragen bedacht werden: der Beteiligung und Mitwirkung zusammengefasst, die für den kommunalen Klimaschutz besonders • Was findet vor Ort bereits statt? Woran kann man relevant sind. Es wird empfohlen, diese Punkte zu anknüpfen und was sind traditionelle Veranstal- bedenken, wenn man Beteiligungsprozesse plant, tungsorte? Mit welchen Netzwerken kann man durchführt, beauftragt oder evaluiert: zusammenarbeiten? • Wo gibt es ein konkretes Anliegen bzw. konkreten Einzigartigkeit der Prozesse Handlungsbedarf? Prozesse der Beteiligung und Mitwirkung sind nicht standardisiert, sondern müssen je nach Zielen, • Wie kann man aktuelle Diskussionen im Bereich Kontext, Gruppe der Beteiligten und Möglichkeiten Klimaschutz in die Breite tragen? individuell gestaltet werden. Jede Kommune ist • Wie kann man alle Bürger*innen der Kommune einzigartig, sodass Beteiligungsprozesse nicht nach ansprechen und das Thema so einladend gestal- „Schema F“ ablaufen können, sondern möglichst ten, dass die Beteiligten sich gern aktiv in Projek- passgenau und flexibel entwickelt werden müssen. ten engagieren? Verschiedene Intensitätsgrade erfordern verschiede- ne Verfahren, und in unterschiedlichen Phasen eines • Welche Elemente dienen dem Austausch auf Au- Prozesses sind verschiedene Methoden angemessen genhöhe und der Entwicklung einer nachhaltigen und erfolgversprechend. Verfahren sollten im Ver- „Beteiligungskultur“? lauf auch sich entwickelnden Zielen und Dynamiken • Welche Ressourcen sind notwendig, und müssen angepasst werden. sie erst beschafft werden, z. B. durch externe Förderung? Wird externe professionelle Unter- stützung benötigt? 48 Vorwerk 2015: 9, Kallen 1996: 19; Nanz & Fritsche 2012: 129 21
Erfahrungen und Erfolgsfaktoren für die Beteiligung und Mitwirkung von Bürger*innen und Akteuren Der wachsende Stellenwert von Beteiligung Gemeinden unter 50.000 Einwohnern vorrangig um Wie aktuelle Zahlen aus der Fragebogen-Studie im einmalige und projektgebundene Aktionen, wäh- Vorhaben Klima-KomPakt bestätigen49, spielt Be- rend die anderen Verfahren regelmäßig angewandt teiligung für Kommunen eine immer größere Rolle. werden.51 Expert*innen beobachten eine Zunahme So ist der Stellenwert von Beteiligung aus Sicht der offener Formate im Rahmen von Großveranstaltun- Kommunen in den letzten zehn Jahren von 18 % auf gen wie z. B. Zukunftswerkstätten und Open Space 53 % gestiegen. Gleiches gilt für den Stellenwert von Konferenzen. zukünftiger Beteiligung (von 5 % auf 28 %). Gleich- zeitig gibt es aber noch viele praktische Hürden bei Online-Plattformen zur Visualisierung und Vernet- der Durchführung von Beteiligungsprozessen, von zung lokaler Akteure und Initiativen werden immer der Finanzierung über die Mobilisierung einiger re- öfter eingesetzt. Neben der Programmierung ist aber 5 levanter Akteure und der nicht-aktiven, aber interes- immer auch eine Person zur kontinuierlichen Be- sierten Bürgerschaft. treuung notwendig, sonst verebben solche Projekte. Analoge und digitale Verfahren müssen dabei nicht Auch Expert*innen sind sich einig: Beteiligung ist als Alternativen gesehen werden, sondern können nichts Neues, doch ist sie in Zeiten von Politikver- sich effektiv ergänzen. drossenheit und Zukunftsängsten relevanter denn je und muss immer wieder neu gedacht und gestaltet Kommunen mit viel Erfahrung im Bereich Beteili- werden – vor allem für den Klimaschutz50. gung sind häufig offen für neue Herangehensweisen. Kleine Kommunen unter 10.000 Einwohner*innen Die Durchführung von Beteiligungsformaten hängt haben weniger Bedarf und weniger Kapazitäten weniger von der Größe und dem Budget einer für komplexere Prozesse der Beteiligung und Mit- Kommune ab, als davon, wie hoch der Stellenwert wirkung. So wird in Umfragen der Stellenwert des des Themas Klimaschutz in der Kommune insge- Themas „Bürgerbeteiligung“ in kleineren Städten samt ist und ob politischer Wille vorhanden ist. Ist (20.000 - 50.000 Einwohner*innen) bereits niedriger Klimaschutz in der Verwaltungsspitze „verwurzelt“, eingestuft, als in großen Metropolen.52 Man kann sind auch strukturverändernde Verfahren und Ideen deshalb annehmen, dass Beteiligung in sehr kleinen denkbar. und kleinen Kommunen auf der Straße, über den Gartenzaun und beim Austausch in der Dorfkneipe Verfahren, Methoden und Formate in der Praxis stattfindet, wenn Bürgermeister*innen und Ver- Die in der Praxis weit verbreiteten Beteiligungsver- waltungsmitarbeiter*innen mit Bürger*innen und fahren bewähren sich auch im Bereich Klimaschutz. Akteuren ins Gespräch kommen.53 Besonders häufig sind Informationsveranstaltungen und Aktionstage, Arbeitskreise, (Bürger-)Foren und Beteiligungsprozesse sind langwierig, Erfolge sind Runde Tische, Beiräte, Ideenwettbewerbe, Befra- nicht kurzfristig messbar. Somit stehen diese Pro- gungen, Perspektiven- und Planungswerkstätten, zesse oft der Projektlogik mit terminiertem Anfang Planungszellen und Bürgergutachten, World Café und Ende gegenüber. Dies schafft leider gegenüber und Zukunftswerkstätten. Diese Verfahren werden Außenstehenden oft ein Rechtfertigungsproblem, anteilig am häufigsten von den antwortenden Kom- die sich fragen, warum bestimmte Prozesse so lange munen über 50.000 Einwohner angewandt. Kleinere dauern. Doch vertraute Kommunikation und ver- Kommunen bis 50.000 Einwohner haben eher we- lässliche Beziehungen entstehen nur, wenn man die nige Erfahrungen mit (innovativen) Beteiligungsver- nötige Arbeit und Zeit investiert. fahren. Überdies handelt es sich bei den Verfahren Ideenwettbewerbe, Befragungen und Open Space Die Bedeutung personeller Kontinuität für erfolgrei- sowohl bei den Landkreisen als auch den Städten/ che Beteiligung und Mitwirkung ist kaum zu über- 49 Bongers-Römer et al 2018; Schomburg et al 2018 50 Aus den Expert*innen-Interviews im Vorhaben Klima-KomPakt. 51 Bongers-Römer et al 2018 52 Landua et al. 2013: 25 53 Formale und informelle Beteiligungsprozesse unterscheiden sich, ebenso wie Beteiligung und Mitwirkung Besonderhei-ten aufweisen. So gelten Aussagen über Kommunengrößen nicht oder nur eingeschränkt für formale Bürgerentscheide, bei denen mit steigender Einwohnerzahl die durchschnittliche Beteiligung sinkt (s. z.B. Mehr Demokratie e.V. 1998; Rehmet 2016: 30). 22
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