Betriebliches Gesundheitsmanagement in Einrichtungen der Behindertenhilfe
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WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Teilhabe 2/2020, Jg. 59 Lotte Habermann-Horstmeier Betriebliches Gesundheitsmanagement in Einrichtungen der Behindertenhilfe | Teilhabe 2/2020, Jg. 59, S. 56 – 63 | KURZFASSUNG In den letzten Jahren haben sich die Arbeitsbedingungen in der Be- WISSENSCHAFT hindertenhilfe erheblich verschlechtert. Dies hat bereits Auswirkungen auf die Gesundheit 56 UND FORSCHUNG der Beschäftigten. Trotzdem wird wenig unternommen, um die Beschäftigten so lange wie möglich gesund im Beruf zu halten. Das Wissen, welche Möglichkeiten das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) hier bietet, ist gering. Ziel eines guten BGM ist es, die Umgebung und die Bedingungen in der Einrichtung so zu verbessern, dass es sich positiv auf die Gesundheit der Beschäftigten auswirkt und es den Beschäftigten leichter fällt, sich gesundheitsbewusst zu verhalten. | ABSTRACT Workplace Health Management in Facilities for People with Disa- bilities. Working conditions for employees working in facilities for people with disabi- lities have deteriorated considerably in recent years. This already has a negative impact on employee health. Nevertheless, little is done to keep employees healthy in their jobs for as long as possible. There is only little knowledge of the possibilities that workplace health management (WHM) offers here. The main target of a good WHM in this field is a health-promoting environment and health-promoting conditions that make it easier for the employees to behave in a health-conscious manner, so that the result is a positive impact on the health of the employees. Aktuelle Situation teil der Beschäftigten im Betreuungs- bereich die eigene Tätigkeit als stark be- In den letzten Jahren haben sich die Ar- lastend empfindet (vgl. HABERMANN- beitsbedingungen in Einrichtungen der HORSTMEIER, LIMBECK 2016b, 518 Behindertenhilfe erheblich verschlech- ff.). Als Hauptgrund wird zu wenig Zeit tert. In vielen Bereichen kann sogar von für die zu betreuenden Menschen mit einer prekären1 Situation gesprochen Behinderung genannt. Hinzu kommen werden. Leitungskräfte in den Einrich- ein immer größer werdender Pflegebe- tungen führen dies u. a. auf eine hohe darf, auf den man bisher nur unzureichend Arbeitsbelastung der Mitarbeiter*innen eingestellt ist, sowie eine mangelhafte Ar- bei unterdurchschnittlicher Bezahlung beitsorganisation und ein schlechtes zurück. Die hohe Belastung liegt ihrer Arbeitszeitmanagement (insbesondere Ansicht nach u. a. am steigenden Durch- ungünstige Arbeitszeiten und ein häufiges schnittsalter der zu betreuenden Men- kurzfristiges Einspringen für Kolleg*in- schen mit Behinderung und dem damit nen; vgl. HABERMANN-HORSTMEI- verbundenen erhöhten Betreuungs- und ER, LIMBECK 2016b, 519; HABER- Pflegebedarf. Gleichzeitig nimmt auch das MANN-HORSTMEIER, LIMBECK 2018, Durchschnittsalter der Beschäftigten zu. 434 ff.). In einer Studie aus dem Jahr 2015 Dies alles führt dazu, dass sich der Fach- (vgl. HABERMANN-HORSTMEIER, kräftemangel hier besonders stark be- LIMBECK 2016c, 27 ff.) schätzten die merkbar macht (vgl. HABERMANN- dort befragten Betreuungskräfte ihren HORSTMEIER, BÜHRER 2014, 50 f.). Gesundheitszustand als deutlich schlech- In der Folge werden oft unqualifizierte ter ein als der Durchschnitt der altersent- Hilfskräfte eingestellt, was wiederum zu sprechenden Bevölkerung in Deutsch- neuen Problemen führen kann. Es ist land. 83,1 % der Befragten gaben an, dass daher nicht verwunderlich, dass ein Groß- sie im Jahr zuvor mindestens einmal krank 1 Prekäre oder atypische Beschäftigungsverhältnisse sind durch eine geringere materielle/soziale Absicherung, schlechtere Arbeitsbedingungen, geringere Arbeitnehmer*innenrechte, mangelnde betriebliche Interessenvertretung, wenig Weiterbildungs- und Aufstiegschancen gekennzeichnet (vgl. WEINKOPF, HIEMING & MESAROS 2009, 6).
Teilhabe 2/2020, Jg. 59 WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Betriebliches Gesundheitsmanagement in Einrichtungen der Behindertenhilfe zur Arbeit gegangen waren. Etwa drei MANN-HORSTMEIER, LIMBECK 2016c, chischen Störungen und Menschen mit Viertel waren in dieser Zeit mindestens 27 f.; HABERMANN-HORSTMEIER, schwerer Mehrfachbehinderung leben. einmal krankgeschrieben. Fast die Hälfte LIMBECK 2018, 435 ff.). Hinzu kommen Die Probleme bei der Dienstplangestal- befürchtete ein Burnout2 in näherer Zu- spezifische Risikofaktoren, die in der tung sind nicht selten ein Zeichen für eine kunft. Die meisten Betreuungskräfte mit Art der Arbeit und den Arbeitsbedin- generell mangelhafte Kommunikation schlechtem Gesundheitszustand stellten gungen begründet sind. Besonders oft innerhalb der Einrichtung, insbesondere dabei einen Zusammenhang zwischen werden im Betreuungsbereich mangel- jedoch zwischen den einzelnen Hierar- der Arbeitssituation und ihrem Gesund- hafte Arbeitszeitbedingungen, insbeson- chieebenen. Hinzu kommen oft Kom- heitszustand her (vgl. HABERMANN- dere häufige Überstunden, lange Arbeits- munikationsprobleme mit anderen Be- HORSTMEIER, LIMBECK 2017, 28 ff.). schichten, häufige Wochenenddienste, reichen (Werkstatt, Therapeut*innen, Knapp 40 % waren zudem der Ansicht, häufiges, kurzfristiges Einspringen für medizinische Einrichtungen) sowie mit dass sich die Betreuungsqualität negativ Kolleg*innen sowie fehlende Rückzugs- Angehörigen bzw. gesetzlichen Betreu- auf das Wohlbefinden der zu betreuen- möglichkeiten in den Pausen genannt (vgl. er*innen. Dies alles kann zu einem den Menschen mit Behinderung auswirkt HABERMANN-HORSTMEIER, LIM- schlechten Arbeitsklima und zu Stress (vgl. HABERMANN-HORSTMEIER & BECK 2016b, 519). Die Betroffenen sehen bzw. Stressfolgeerkrankungen bei den Be- HORSTMEIER 2019, Folie 8 ff.). den zunehmenden Personalmangel, das schäftigten führen (vgl. HABERMANN- Fehlen von qualifiziertem Personal und HORSTMEIER, LIMBECK 2016a, 52 ff.). Trotz des erheblichen Mangels an qua- eine mangelnde Mitbestimmung bei der Stress kann direkt und indirekt auch Aus- lifizierten Arbeitskräften unternehmen Dienstplangestaltung als wichtige Gründe wirkungen auf die Gesundheit der Be- viele Einrichtungen bislang nur wenig, hierfür an. Hinzu kommt das Gefühl, wohner*innen in den Einrichtungen um ihre Beschäftigten so lange wie mög- immer weniger Zeit für die eigentliche haben, was die Situation z. B. durch ver- 57 lich gesund im Beruf zu halten. Zwar Arbeit – die Betreuung der Menschen mit mehrt auftretende „Verhaltensauffällig- gaben im Jahr 2014 45 % der in einer Behinderung – zu haben. Dies gilt ins- keiten“ weiter verschlimmern kann. Eine Studie befragten Institutionen3 in Süd- besondere in Bereichen, wo ältere Men- Verbesserung der Arbeitsbedingungen, baden an, ein Betriebliches Gesundheits- schen mit Behinderung und größerem vor allem im Bereich des Arbeitszeitma- management eingerichtet zu haben (vgl. Pflegebedarf betreut werden sowie in Ein- nagements, eine Reduzierung der Über- HABERMANN-HORSTMEIER, BÜH- richtungen, in denen Menschen mit psy- stunden, eine verträgliche Gestaltung der RER 2015, 365). Angeboten wurden dort jedoch vor allem Gesundheitsschulungen und Gesundheits-Checks sowie einige „Mitmach-Angebote“ in den Bereichen Glossar Bewegung und Ernährung. Gesundheits- Gesundheitsförderung fördernde Maßnahmen in den Feldern Der Begriff der Gesundheitsförderung beschreibt alle Aktivitäten und Maßnahmen, Arbeitsorganisation und Arbeitsbedin- die der Stärkung der Gesundheitsressourcen und -potenziale der Menschen dienen. gungen wurden nicht genannt. Auch dies Gesundheitsförderung soll somit einen Prozess in Gang setzen, der allen Menschen ein deutet darauf hin, dass sich viele Einrich- höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit ermöglicht und sie dadurch tungen der Behindertenhilfe bislang noch zu einer Stärkung ihrer Gesundheit befähigt. nicht näher mit dem „Betrieblichen Ge- sundheitsmanagement“ beschäftigt haben. Prävention Bislang findet man in Einrichtungen Ziel der Prävention ist es, durch soziale oder medizinische Maßnahmen bzw. der Behindertenhilfe nur selten ein ge- Verhaltensweisen die Entstehung von bestimmten gesundheitlichen Schädigungen zu sundheitsförderndes Gesamtkonzept, das verhindern (Primärprävention). Darüber hinaus verhindern präventive Maßnahmen das die Bedingungen vor Ort berücksich- Fortschreiten einer bereits bestehenden Erkrankung (Sekundärprävention) und/oder tigt und die Bedürfnisse und Wünsche vermeiden Folgeschäden (Tertiärprävention). der betroffenen Beschäftigten mit ein- bezieht. Ein solches Konzept sollte eine Verhältnisassoziierte Maßnahmen Senkung der gesundheitlichen Risiken Verhältnisassoziierte Maßnahmen wollen die Gesundheit von Menschen dadurch der Mitarbeiter*innen und eine Verbes- verbessern, dass sie ihre Umwelt sowie ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen positiv serung ihres physischen und psychischen Gesundheitszustands zum Ziel haben. beeinflussen. Auf diese Weise sollen Gefahren abgewendet werden, die möglicherweise Dabei ist zu beachten, dass je nach Alter, von solchen Bedingungen ausgehen (Beispiele für verhältnisassoziierte Maßnahmen: Geschlecht und Funktionsebene der Be- Einführung eines ergonomischen Schichtsystems, klimafreundliche Büros, Angebot schäftigten ganz unterschiedliche gesund- gesünderer Speisen in der Kantine, überdachte Fahrradständer, Anbindung an das örtliche heitliche Beeinträchtigungen im Zusam- Fahrradwegenetz). menhang mit der beruflichen Tätigkeit auftreten können. So geben weibliche Verhaltensassoziierte Maßnahmen Betreuungskräfte im Alter von 35 bis 44 Verhaltensassoziierte Maßnahmen sind darauf ausgerichtet, das Verhalten der Menschen Jahren besonders oft gesundheitliche Pro- so zu beeinflussen, dass es ihrer Gesundheit dient. Da das individuelle Handeln und bleme an, während bei den Männern Verhalten der Menschen vor allem bei der Entstehung chronischer Erkrankungen eine die 45- bis 54-Jährigen am häufigsten bedeutende Rolle spielen, kann auf diese Weise ihre Erkrankungswahrscheinlichkeit betroffen sind. Auch nennen weibliche Leitungskräfte im Betreuungsbereich sinken (Beispiele für gesundheitsschädigendes Verhalten: Rauchen, ungesunde Ernährung, deutlich häufiger Gesundheitsprobleme Bewegungsmangel). als ihre männlichen Kollegen (HABER- 2 Burnout-Syndrom: Stressbedingter, schleichender Prozess, der durch eine körperliche, emotionale, geistig-mentale und soziale Erschöpfung gekennzeichnet ist. 3 Dies waren ausschließlich Einrichtungen, die über einen Betriebsrat bzw. eine Personalvertretung verfügten.
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Teilhabe 2/2020, Jg. 59 Betriebliches Gesundheitsmanagement in Einrichtungen der Behindertenhilfe Wochenendarbeit sowie Maßnahmen zur Betriebliches Gesundheitsmanagement Zu den BGM-Akteur*innen gehören Verbesserung des Arbeitsklimas können bezieht nicht nur die Führung eines Unter- daher neben der Unternehmensleitung hier also sinnvolle Ansatzpunkte für ein nehmens in die Planung und Umsetzung auch alle Beschäftigten (einschließlich umfassendes Betriebliches Gesundheits- entsprechender Maßnahmen mit ein, der Beschäftigten in der Küche, im Haus- management sein. sondern alle Betriebsangehörigen sowie meisterbereich usw.), insbesondere jedoch ggf. auch noch andere beteiligte Ak- die Vertreter*innen der jeweils im Blick- teur*innen. Es schafft gesundheitsför- punkt stehenden Bereiche oder Abteilun- Was versteht man unter einem dernde Strukturen und leitet Prozesse gen. Aber auch die Personalabteilung Betrieblichen Gesundheitsmanagement? ein, die die Umsetzung präventiver und und – falls vorhanden – der Betriebsrat, Die Basis des Betrieblichen Gesundheits- gesundheitsfördernder Maßnahmen er- die BGM-Fachkraft, die Fachkraft für managements (BGM) bilden die Ottawa möglichen. Dabei geht es immer von den Arbeitssicherheit und der Betriebsarzt / Charta zur Gesundheitsförderung (WHO im jeweiligen Unternehmen vorhandenen die Betriebsärztin sollten in die Planung 1986) und die Luxemburger Deklaration Bedingungen aus. Bedeutsam für ein gutes und Umsetzung von BGM-Maßnahmen zur Betrieblichen Gesundheitsförderung BGM ist eine detaillierte Planung im Rah- einbezogen werden. Weitere in- und ex- in der Europäischen Union (vgl. Euro- men eines Gesamtkonzepts. Die auf terne Akteur*innen können bei Bedarf päisches Netzwerk für betriebliche Ge- dieser Basis ausgewählten Maßnahmen noch hinzukommen, wie z. B. Spezia- sundheitsförderung 1997). Im Zentrum sollen wissenschaftlich fundiert sein. Der list*innen aus den Bereichen Wissen- der Betrachtung stehen dabei die Ge- Erfolg der Maßnahmen wird im Rahmen schaft und Technik oder aus der Praxis, sundheit und das Wohlbefinden der ar- einer Evaluation überprüft. Effektive5 und Vertreter*innen einer Krankenkasse, beitenden Menschen. Nur gesunde Mit- effiziente6 Maßnahmen werden anschlie- wenn BGM-Maßnahmen mit ihrer Un- 58 arbeiter*innen sind in der Lage, ihre Ar- ßend nachhaltig im täglichen Arbeits- terstützung geplant werden oder auch beitskraft bestmöglich in den Dienst ihres leben verankert (vgl. HABERMANN- Vertreter*innen der Stadtverwaltung, Unternehmens zu stellen, sodass sich dies HORSTMEIER 2019, 39 ff.). wenn Maßnahmen geplant sind, die auch dann auch positiv auf die Unternehmens- das Umfeld der Einrichtung betreffen. situation auswirkt. Typisch für ein gutes BGM-Akteur*innen BGM ist eine Kombination aus verhältnis- Handlungsansätze und verhaltensassoziierten Maßnahmen Ein Betriebliches Gesundheitsmanage- im Rahmen des BGM (HABERMANN-HORSTMEIER 2017a, ment kann nur dann erfolgreich sein, 37–44; RICHTER, ROSENBROCK 2018; wenn die Unternehmensleitung das Kon- Zu den Voraussetzungen und Rahmen- HABERMANN-HORSTMEIER, LIPPKE zept mitträgt. Zudem sollten alle betei- bedingungen eines guten Betrieblichen 2019), bei denen der Blick auf die Res- ligten Gruppen in die Planung und Um- Gesundheitsmanagements gehören eine sourcen4 der Mitarbeiter*innen gerichtet setzung von BGM-Maßnahmen einbe- wertschätzende Unternehmenskultur und ist. Genutzt werden hierzu u. a. moderne zogen werden (Teilhabe aller Beteiligten ein gutes, kooperatives Führungsverhal- Managementinstrumente. [Partizipation]; vgl. FRICZEWSKI 2017). ten. Charakteristisch für ein funktionie- rendes BGM ist eine ganzheitliche integ- rative Strategie, die ineinandergreifende Abb.1: Grundlegende Handlungsansätze für ein gutes Betriebliches Gesund- Aktivitäten auf unterschiedlichen Hand- heitsmanagement (eigene Darstellung, in Anlehnung an MORSCHHÄUSER, lungsebenen umfasst (Entwicklungspla- SOCHERT 2007) nung). Da sich BGM-Maßnahmen stets an den im Unternehmen vorhandenen Be- dingungen orientieren, können alle Be- reiche des Unternehmens zu ihrem Aus- Wertschätzende Unternehmenskultur gangspunkt werden (siehe Abb. 1). Hierzu gehören z. B. Arbeitsorganisation, Ar- beitsplatz- und Arbeitszeitgestaltung, Be- Entwicklungsplanung triebliches (Wieder-)Eingliederungsma- nagement (BEM) und Weiterbildung. Aber auch die Arbeitsmedizin und die Gefähr- dungsbeurteilung sowie ggf. im Unteneh- men bereits vorhandene Gesundheitspro- Arbeitsplatzgestaltung Gesundheitsprogramme gramme können hier eine Rolle spielen. Förderung von Betriebliches (Wieder-) Der Public Health Action Cycle Arbeitsorganisation Gesundheit und Eingliederungsmanagement Beschäftigungsfähigkeit als BGM-Grundlage Maßnahmen im Rahmen eines Betriebli- Arbeitszeitgestaltung Weiterbildung chen Gesundheitsmanagements werden stets systematisch geplant und durch- geführt. Hierzu gehört auch eine klare Regelung der jeweiligen Zuständigkeiten. Im Rahmen der Planung werden ver- Arbeitsmedizin & Gefährdungsbeurteilung schiedene Werkzeuge des Projektma- nagements genutzt, wie etwa die Fehl- zeiten- und die Altersstrukturanalyse, 4 Ressourcen: Einflussfaktoren, die die Gesundheit eines Menschen fördern können. 5 Die Effektivität ist ein Maß für die Wirksamkeit einer Maßnahme. Sie beschreibt das Verhältnis von erreichtem Ergebnis zum zuvor definierten Ziel. Mit Hilfe dieser Maßangabe kann der Grad der Zielerreichung festgestellt werden. 6 Als Effizienz bezeichnet man den Wirkungsgrad einer Maßnahme. Hierzu setzt man Wirkung bzw. Nutzen ins Verhältnis zum betriebenen Aufwand.
Teilhabe 2/2020, Jg. 59 WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Betriebliches Gesundheitsmanagement in Einrichtungen der Behindertenhilfe die Mitarbeiter*innenbefragung und der werden, wenn sie sich negativ auf die verhältnis zwischen den Anforderungen, Work Ability Index (Näheres dazu in Gesundheit auswirken können (z. B. die an eine Person gestellt werden, und HABERMANN-HORSTMEIER 2019). Schicht-, Nacht- und Wochenendarbeit). den Möglichkeiten und Fähigkeiten die- Grundlage der Planung und Umsetzung Im Folgenden werden die einzelnen Risi- ser Person, die Anforderungen zu kont- von BGM-Maßnahmen ist der Public kofaktoren näher betrachtet. Daneben rollieren bzw. zu bewältigen (Coping). Health Action Cycle. Mit seiner Hilfe nennt Tabelle 1 beispielhaft verschiedene Als Stressfaktoren werden dabei innere können gesundheitsassoziierte Probleme BGM-Maßnahmen, die an den genann- und äußere Reize bezeichnet, die auf im Unternehmen identifiziert und die vor- ten Risikofaktoren ansetzen. den Menschen einwirken und eine An- rangig zu behandelnden Probleme be- passungsreaktion von ihm erfordern (vgl. stimmt werden (Priorisierung). Anschlie- HABERMANN-HORSTMEIER 2017, Stress ßend werden hierzu konkrete Ziele for- 33 ff.). In der Arbeitswelt kommen zahl- muliert sowie nach passenden Strategien In den letzten Jahrzehnten hat die Be- reiche äußere Faktoren vor, die zu Stres- und Methoden gesucht, mit deren Hilfe deutung von Stress als Risikofaktor im soren werden können (z. B. Lärm, Hitze, man diese Ziele am besten erreichen kann. Arbeitsbereich stark zugenommen. Ne- problematische Beziehungen zu Kol- Es folgt die Umsetzung (Implementie- gativer Stress entsteht durch ein Miss- leg*innen/Vorgesetzten, Überforderung, rung) der auf diese Weise vorbereiteten BGM-Maßnahmen. Idealerweise wird Tab.1: Beispiele für BGM-Maßnahmen der ganze Prozess bereits während der Planung und Umsetzung überprüft und bewertet (Prozessevaluation). Ob die durchgeführten Maßnahmen ihr Ziel er- Risikofaktoren Beispiele für BGM-Maßnahmen 59 reicht haben, kann dann im Rahmen einer Ergebnisevaluation festgestellt werden. Stress > genügend Personal Die so gewonnenen Erkenntnisse können > Arbeitsabläufe besser planen erneut in den Prozess einfließen. Der Zy- > Anweisungen klar formulieren klus beginnt nun von vorne, entweder um > Arbeitsunterbrechungen verhindern den laufenden Prozess zu verbessern oder > Regeln zur Kommunikation einführen um neue Probleme zu definieren. > Arbeitsklima verbessern > Lärm am Arbeitsplatz vermeiden Risikofaktoren als BGM-Ansatzpunkte Bewegungsmangel > Integration von Bewegungsphasen Menschen sind in der Regel nicht nur in den Arbeitsablauf entweder gesund oder krank. Es gibt > speziell ausgestattete Räume/Außenflächen zahllose Zwischenstufen, in denen sie für Bewegungspausen sich mehr oder weniger krank bzw. ge- > Anschluss der Einrichtung an das örtliche Fuß- und sund fühlen (Modell der Salutogenese Radwegenetz, den ÖPNV; überdachte Fahrradständer nach ANTONOVSKY 1997). Der Grad > regelmäßige Bewegungsangebote für Beschäftigte der Gesundheit eines Menschen wird und ihre Familien (z. B. Wandern, Tanzen, Schwimmen) durch verschiedenste Faktoren beein- flusst. Diese Faktoren können vom menschlichen Organismus selbst aus- Ungesunde Ernährung > Kurse, die Wissen über gesunde Ernährung und ihre Zubereitung vermitteln; gemeinsames Zubereiten der gehen oder von den sozialen Bezie- Gerichte hungen und ökologischen Umweltbe- dingungen, in denen er lebt. Es handelt > mehr gesunde Nahrungsmittel in der Kantine / am Kiosk sich dabei entweder um Schutzfaktoren > keine XXL-Portionen; kein Verkauf von Soft- und Energy- (Ressourcen, protektive Faktoren), die drinks, von kalorien-, zucker- und fettreichen Snacks die Gesundheit fördern, oder um Be- lastungsfaktoren, die zur Entstehung Alkoholmissbrauch > Arbeitsbedingte Risikofaktoren für Alkoholkonsum von Krankheiten beitragen können. identifizieren (z. B. soziale Spannungen, schlechtes Faktoren, die die menschliche Ge- Betriebsklima, Mobbing, soziale Isolation, hoher Leis- sundheit – alleine oder gemeinsam tungs- und Zeitdruck) mit anderen Faktoren – beeinträchti- > Aufklärungs- und Informationskampagnen gen können, nennt man auch Risiko- > Betriebsvereinbarung „Alkohol" faktoren. Da viele dieser Faktoren potenziell veränderbar sind, können sie Rauchen > Betriebsvereinbarung „Rauchen“ Ansatzpunkte für BGM-Maßnahmen sein. > kein Zigarettenautomat auf dem / in der Nähe des Betriebsgeländes, kein Verkauf von Tabakprodukten Die wichtigsten Risikofaktoren (vgl. am Kiosk / in der Kantine HABERMANN-HORSTMEIER, EGGER > generelles Rauchverbot bzw. Rauchverbot & BOLLIGER-SALZMANN 2018) sind in bestimmten Bereichen > Kurse zur Raucherentwöhnung > Stress, > Bewegungsmangel, > ungesunde Ernährung, Schicht-, Nacht- und > gesetzliche Vorschriften zu Länge/Häufigkeit Wochenendarbeit von Nacht- und Wochenendarbeit einhalten > Alkoholmissbrauch, > Tabakrauchen. > kurze Nachtschichtblöcke, keine Dauernachtschichten > ergonomisches Schichtsystem In der Arbeitswelt können z. B. auch > regelmäßige betriebsärztliche Kontrollen Arbeitszeitmodelle zu Risikofaktoren
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Teilhabe 2/2020, Jg. 59 Betriebliches Gesundheitsmanagement in Einrichtungen der Behindertenhilfe zu viel Arbeit, Zeitdruck, ständige Un- wertet. Stress entsteht vor allem in Situ- Darüber hinaus beeinflusst chronischer terbrechungen, ungenaue Anweisungen, ationen, in denen sich Menschen einer Stress auch den Stoffwechsel, das Ver- mangelnde Anerkennung). Hinzu kom- Situation hilflos ausgeliefert fühlen. Zu dauungs- und das Immunsystem und men innere, persönlichkeitsbedingte einem Gesundheitsproblem wird Stress, kann die Lebenszeit verkürzen. Stressfaktoren wie ungenügende Pro- wenn er chronisch wird. Eine typische blemlösungskompetenzen, Perfektionis- Stressfolgeerkrankung ist das Burnout- Bewegungsmangel mus oder ein starkes Kontrollbedürfnis. Syndrom. Aber auch Bluthochdruck, Ob sich ein Mensch gestresst fühlt, hängt Herzinfarkt und Schlaganfall können Viele Arbeiten werden heute im Sitzen, davon ab, wie er selbst die Situation be- durch Stress (mit)verursacht werden. meist vor einem Bildschirm ausgeführt. Umsetzung in die Praxis – ein Beispiel Anhand des folgenden Beispiels wird eine typische Arbeitssituation in einer Wohneinrichtung der Behindertenhilfe näher betrachtet. Aktuelle Situation in einer Behinderten-Wohneinrichtung Seit Monaten gibt es erhebliche Personalprobleme. Täglich fehlen etwa 20 % der Betreuungskräfte wegen Krankheit. Die Anzahl der Fehlstunden steigt weiterhin an, zwei Betreuungskräfte sind langzeiterkrankt. Oft müssen Kolleg*innen kurzfristig für Erkrankte einspringen. Die Zahl an Überstunden und Wochenenddiensten bei Nicht-Erkrankten erhöht sich. Betreuungskräfte sind oft alleine für eine Wohngruppe zuständig (gilt z. T. auch für Auszubildende und fachfremde Kräfte). Sie sind stark gestresst und fühlen sich überlastet. Das Arbeitsklima 60 verschlechtert sich, hinzu kommen Probleme mit der Einrichtungsleitung. Das schlechte Arbeitsklima wirkt sich zudem negativ auf die Situation der Bewohner*innen aus. Welche BGM-Maßnahmen können in diesem Fall ergriffen werden, um die gesundheitliche Situation der Beschäftigten dieser Einrichtung zu verbessen? Einleitende BGM-Maßnahmen Die Leitung der Einrichtung beruft eine Mitarbeiterversammlung ein, auf der die Problematik angesprochen und gemeinsam diskutiert wird. Anschließend erläutert die BGM-Fachkraft den Mitarbeiter*innen die Ideen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements im Rahmen eines Workshops. Ein Arbeitskreis „Arbeit und Gesundheit“ wird eingerichtet mit folgenden den Akteur*innen: Einrichtungsleitung, Vertreter*innen der Betreuungskräfte aus den verschiedenen Wohngruppen, der Nachtwachen, der Tagesstruktur, der Verwaltung, dem Hausmeisterbereich und der Gemeinschaftsküche; ggf. auch offizielle Arbeitnehmer*innenvertretung, BGM-Fachkraft, Betriebsärztin / Betriebsarzt. Erste Handlungsschritte des Arbeitskreises Der Arbeitskreis beschließt eine Mitarbeiter*innen-Befragung durchzuführen / durchführen zu lassen, die die Probleme im Zusammenhang mit Arbeit und Gesundheit erfasst. Ein Fragebogen wird erarbeitet; es werden Fragen vermieden, die Rückschlüsse auf Personen zulassen. Nach der Auswertung werden die Ergebnisse der Belegschaft mitgeteilt. Der Arbeitskreis bespricht die Ergebnisse und stuft die Probleme nach Wichtigkeit ein. Zuerst sollen die gravierendsten Probleme angegangen werden. Es erfolgt eine Festlegung der Verantwortlichkeiten für die Planung, Umsetzung und Finanzierung der noch zu treffenden Maßnahmen. Die gefassten Beschlüsse werden schriftlich festgehalten. Erarbeitung spezifischer BGM-Ziele im Rahmen eines Gesamtprogramms Das Ziel des durch den Arbeitskreis erarbeiteten Gesamtprogramms ist es, die Bedingungen in der Einrichtung schrittweise so zu verbessern, dass sich dies positiv auf die Gesundheit der Beschäftigten auswirkt und es den Beschäftigten leichter fällt, sich gesundheitsbewusst zu verhalten. Der Arbeitskreis geht dabei folgendermaßen vor: > Festlegung des Problems, das zuerst angegangen werden soll: Mangelhafte Arbeitszeitgestaltung (häufige Überstunden und Wochenenddienste, kurzfristiges Einspringen) > Finden von gesundheitsfördernden Strategien, die an den Ursachen des Problems ansetzen, z. B. > Bildung eines Pools aus sog. Springern, die kurzfristig für erkrankte Kolleg*innen einspringen (in Frage kommen z. B. Mitarbeiter*innen in Elternzeit, nicht berufstätige ehemalige Mitarbeiter*innen) > Einstellung zusätzlicher Fachkräfte in der Betreuung > Einbeziehung aller Betreuungskräfte in die Arbeitszeitplanung (Ziel: bessere Work-Life-Balance für alle) > Regelmäßiger Austausch von Leitung und Beschäftigten zu aktuellen gesundheitsrelevanten Problemen Die Mitglieder des Arbeitskreises gehen davon aus, dass sich die Maßnahmen auch positiv auf das Arbeitsklima und das Wohlbefinden der Bewohner*innen auswirken werden. Umsetzung und Evaluation Alle Mitarbeiter*innen werden über die geplanten Maßnahmen schriftlich informiert. Die Maßnahmen werden im nächsten halben Jahr zügig umgesetzt. Währenddessen werden die Mitarbeiter*innen jeweils schriftlich über die einzelnen, bereits erfolgten Schritte informiert. Es wird eine Evaluation durchgeführt: Mitarbeiter*innen im Betreuungsbereich werden vor Beginn der Umsetzung, nach einem viertel und nach einem halben Jahr zu Problemen bei der Arbeitszeitgestaltung und deren Auswirkungen befragt, sodass Verbesserungen/Verschlechterungen der Situation festgestellt werden können. Diese Ergebnisse fließen in die Tätigkeit des Arbeitskreises ein. Erfolgreiche Maßnahmen werden verstetigt, d. h. langfristig in den normalen Arbeitsalltag integriert. Die Maßnahmen in diesem Beispiel machen deutlich, dass das Betriebliche Gesundheitsmanagement jeweils die Situation vor Ort und die Bedürfnisse der dort Beschäftigten einbezieht. In einer anderen Umgebung und mit anderen Beschäftigten könnten sie auch deutlich anders aussehen. Es zeigt auch, dass es in solchen Fällen auf längere Sicht hin weniger sinnvoll ist, Maßnahmen des Stressmanagements und Entspannungsmaßnahmen auszuwählen, da vor allem die Entspannungsmaßnahmen nicht an den Ursachen der Probleme ansetzen und das Stressgefühl bei den Betroffenen meist nur kurzfristig mindern.
Teilhabe 2/2020, Jg. 59 WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Betriebliches Gesundheitsmanagement in Einrichtungen der Behindertenhilfe Wenn Menschen sich dann auch in ihrer Risikofaktoren für die Entstehung von Tumoren (v. a. Lungenkrebs). Weltweit Freizeit wenig bewegen, kommt es zu chronischen Krankheiten wie Herz- sterben jährlich mehr als 7 Mio. Menschen einem chronischen Mangel an körper- Kreislauf-Erkrankungen, chronischen durch aktives Tabakrauchen und schät- licher Betätigung. Dies kann verschiedene Lungenerkrankungen und bösartigen zungsweise weitere 1,2 Mio. Menschen pathophysiologische Prozesse im Körper auslösen, die die Basis für Folgeerkran- kungen wie Muskelabbau, muskuläre Ver- BGM-Maßnahmen in Zeiten der Corona-Pandemie spannungen, Osteoporose, Verdauungs- probleme usw. werden. Darüber hinaus In Zeiten der COVID-19-Pandemie steht das Betriebliche Gesundheitsmanagement in den kann ein Bewegungsmangel auch zu Blut- Einrichtungen der Behindertenhilfe vor ganz besonderen Aufgaben. Ziel ist es, Beschäftigte hochdruck und Übergewicht (mit den und Menschen mit Behinderung in Einrichtungen und im ambulant betreuten Bereich vor einer entsprechenden Folgeerkrankungen) füh- Ansteckung zu schützen, bis ein Impfstoff vorhanden ist. Zudem müssen die Beschäftigten ren und die Psyche negativ beeinflussen. angesichts der neuen, vielfältigen Aufgaben und des zusätzlichen Arbeitsvolumens vor körperlicher und psychischer Überlastung geschützt werden (HABERMANN-HORSTMEIER 2020). Ungesunde Ernährung BGM-Maßnahmen für den Risikofaktor „Infektionsgefahr“ Überernährung ist nicht nur in Deutsch- land ein gravierendes Problem. Wenn > Bereitstellen von genügend Schutzkleidung, medizinischen Schutzmasken, der Körper mehr Energie in Form von Desinfektionsmitteln, Seife über einen längeren Zeitraum Nahrung aufnimmt als er benötigt, nimmt das Körpergewicht zu. Die Ursachen > (Online-)Schulungen für die Beschäftigten in den Behinderteneinrichtungen zur Übertragbarkeit des Coronavirus SARS-CoV-2 und der korrekten Anwendung 61 hierfür liegen u. a. im Konsum zu großer Mengen zucker- und fettreicher Nah- der Schutzmaßnahmen rungsmittel und Getränke. Krankhaft er- > (Online-)Schulungen zum Händewaschen und Abstandhalten in leichter Sprache höhtes Körpergewicht (Adipositas) kann für Menschen mit geistiger Behinderung; regelmäßiges gemeinsames Hände- zu zahlreichen Folgeerkrankungen wie waschen als Ritual einführen Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörun- > Beschränkung der Kontakte der Betreuungskräfte außerhalb der Einrichtung auf den gen, Typ-2-Diabetes und Arthrose führen. engsten Familienkreis (hierbei besondere Vorsicht bei Betreuungskräften mit kleineren Stark übergewichtige Menschen haben Kindern); Regeln zur Kommunikation einführen auch im Berufsleben oft Probleme. Sie > Frühzeitiges Testen bei Verdachtsfällen (leichtes Krankheitsgefühl, leichter Husten, sind nicht selten in ihrer täglichen Ar- erhöhte Körpertemperatur) und sofortige Anordnung von Quarantänemaßnahmen, beit eingeschränkt, fallen häufiger auf- bis ein negatives Testergebnis vorliegt grund von Folgeerkrankungen aus und > Besondere Vorsicht bei den Risikogruppen (ältere Mitarbeiter*innen, Mitarbeiter*innen haben ein höheres Risiko, krankheits- mit Vorerkrankungen wie chronischen Atemwegsinfekten, Herzerkrankungen, Störungen bedingt früher in Rente zu gehen. des Immunsystems/rheumatischen Erkrankungen, Tumorerkrankungen, Diabetes mellitus) > Falls genügend Testmaterial vorliegt: Testung der Mitarbeiter*innen und der Menschen Alkoholmissbrauch mit Behinderung in regelmäßigen Abständen Alkohol gehört weltweit zu den zehn BGM-Maßnahmen für den Risikofaktor „Stress“ schädlichsten Drogen. In Deutschland trinkt jeder Einwohner über 14 Jahre im > Ausreichend Personal, um die zusätzlichen Aufgaben zu bewältigen! Durchschnitt 11,0 l reinen Alkohol pro Jahr (vgl. OECD 2017, 72 f.), 18,2 % > Ggf. zusätzliches Personal aus Werkstätten / Tagesstrukturen einsetzen, der Männer und 13,8 % der Frauen zei- deren Einrichtungen derzeit geschlossen sind gen einen riskanten Alkoholkonsum. > Ggf. zusätzliche Hilfskräfte aus den Freiwilligendiensten anfordern, die derzeit Bereits der regelmäßige Konsum von in ihrem Bereich nicht eingesetzt werden mehr als 100 g reinen Alkohols pro Wo- > In schweren Notsituationen (z. B. beim Ausfall weiter Teile der Belegschaft) kann auch che kann das Leben der Konsumenten die Hilfe der Bundeswehr im Rahmen des Amtshilfeverfahrens angefordert werden erheblich verkürzen (vgl. WOOD et al. > Einhalten der maximalen Arbeitszeiten bei den einzelnen Beschäftigten, ausreichend 2018, 1520). Zu den Folgen des chro- Pausen in separaten Räumlichkeiten ermöglichen nischen Alkohol-Konsums gehören ne- > Regelmäßige Gespräche und Austausch im Team und mit den Leitungskräften ben der möglichen Abhängigkeit auch (unter Einhaltung der Hygieneregeln oder virtuell) körperliche Schäden (Fettleber, Leber- zirrhose, Bluthochdruck, Herzmuskel- > (Virtueller) Austausch mit anderen Einrichtungen in ähnlicher Situation: erkrankungen, Bauchspeicheldrüsenent- Wie geht es den Beschäftigten und Menschen mit Behinderung dort? Wie machen die das? Was können wir von ihnen lernen?) zündung, Hirnschädigungen bis hin zur Demenz usw.) und negative Auswirkungen > Für schöne Momente im Tagesablauf sorgen: gemeinsame Rituale für einen schönen auf die Familie und die Gesellschaft. Al- Start in den Tag finden, singen und musizieren, die Räumlichkeiten schmücken, koholkonsum während der Arbeit kann Feste im Jahresverlauf in kleinen Gruppen weiterhin begehen, in Grünanlagen / die Leistungsfähigkeit von Betroffenen in die Natur gehen (unter Berücksichtigung der max. Personenzahl, der Abstands- stark einschränken und zu einer erhöh- und Hygieneregeln) ten Unfallgefahr führen (vgl. Deutsche > Ängste bei den Beschäftigten durch Gesprächsangebote auffangen: die Angst, Hauptstelle für Suchtfragen 2014, 4). (1) die Infektion in die Einrichtung einzuschleppen, (2) selbst zu erkranken, (3) vor dem ersten Infektionsfall in der Einrichtung, (4) dass die Pandemie noch lange anhält und die eigenen Kräfte nicht ausreichen Rauchen > Kontakt zu psychologischen / sozialpsychologischen Diensten aufnehmen, Durch das Rauchen entsteht meist sehr um kontinuierlich und in besonderen Fällen Unterstützungsangebote einzuholen, schnell ein Abhängigkeitsverhalten. Darü- ggf. regelmäßige (video-)telefonische Kontakte ber hinaus ist Rauchen einer der größten
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Teilhabe 2/2020, Jg. 59 Betriebliches Gesundheitsmanagement in Einrichtungen der Behindertenhilfe an den Folgen des Passivrauchens. Rau- Arbeitsbereich so umgestalten, dass ge- im Betrieb: Gesundheitszirkel & Co. cher sterben im Durchschnitt etwa drei sundheitsbewusstes Verhalten leichter In: Faller, Gudrun (Hg): Lehrbuch Betrieb- Jahre früher als Nichtraucher (vgl. WHO möglich ist, sind in der Regel wesentlich liche Gesundheitsförderung. Bern: Hogrefe, 2019). In Deutschland rauchen durch- wirksamer und oft auch effizienter als 243–252. schnittlich 25 bis 29 % der erwachse- kurzfristig durchgeführte Programme, die HABERMANN-HORSTMEIER, Lotte nen Bevölkerung. Der Anteil der Rau- nur auf eine Verhaltensänderung der Be- (2017a): Gesundheitsförderung cher*innen ist in den Pflegeberufen be- schäftigten abzielen. Hinzu kommt, dass und Prävention. Bern: Hogrefe sonders hoch (vgl. Deutsches Krebsfor- BGM-Maßnahmen nicht nur aus ge- HABERMANN-HORSTMEIER, Lotte schungszentrum 2015, 46). sundheitlicher, sondern oft auch aus be- (2017b): Risikofaktor „Stress“. Bern: triebswirtschaftlicher Sicht bzw. aus Um- Hogrefe. weltgesichtspunkten sinnvoll sein können HABERMANN-HORSTMEIER, Lotte Schicht-, Nacht- (vgl. BÖDEKER 2017, 265 f.). Bereits (2018a): Gesundheitsförderung in Behinder- und Wochenendarbeit bei der Planung von BGM-Maßnahmen tenwohneinrichtungen – zum Umgang Es handelt sich bei der Schichtarbeit um ist eine klare Regelung hinsichtlich der mit psychischen Störungen, Krankheit, verschiedene Arbeitsmodelle, die nicht Kostenübernahme nötig. Nach dem Prä- Altern und Tod. Bern: Hogrefe. dem üblichen 8-Stunden-Tag entsprechen ventionsgesetz (§ 20a SGB V) können HABERMANN-HORSTMEIER, Lotte (z. B. Nacht- und Wechselschichten, un- die gesetzlichen Krankenkassen die Ein- (2018b): Grundlagen der Gesundheits- regelmäßige Arbeitszeiten). Sie stellen für richtungen dabei finanziell unterstützen. förderung in der stationären Behinderten- die Betroffenen eine besondere Belas- arbeit. Bern: Hogrefe. tung dar und führen zu einem höheren In den nächsten Jahren wird der de- HABERMANN-HORSTMEIER, Lotte 62 Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, mografische Wandel dazu führen, dass (2019): Von der Betrieblichen Gesund- Verdauungsprobleme, Schlafstörungen, die Zahl der älteren Mitarbeiter*innen heitsförderung zum Betrieblichen Gesund- Adipositas, Typ-2-Diabetes, Depressionen in der Behindertenarbeit weiter ansteigt. heitsmanagement. Bern: Hogrefe. usw. Hinzu können vor allem bei der Da zudem bereits ein z. T. erheblicher HABERMANN-HORSTMEIER, Lotte Nachtarbeit Schlafprobleme und kogni- Fachkräftemangel besteht, liegt es im (2020): Menschen mit geistiger Be- tive Einschränkungen („Denkstörungen“) Interesse der Einrichtungen, ein Be- hinderung in Zeiten der Corona-Pan- kommen. Aufgrund der eingeschränkten triebliches Gesundheitsmanagement ein- demie. Ergänzungskapitel zu HABER- Aufmerksamkeit steigt die Unfallgefahr. zuführen und damit jungen Nachwuchs- MANN-HORSTMEIER, Lotte (2018a): Längerfristige Schichtarbeit kann mit kräften ebenso wie älteren Mitarbei- Gesundheitsförderung in Behinderten- einem ungesunden Ernährungsrhythmus ter*innen gesundheitsfördernde Arbeits- wohneinrichtungen – zum Umgang mit und ungesundem Freizeit- und Bewe- bedingungen anzubieten, die es ihnen psychischen Störungen, Krankheit, Altern gungsverhalten einhergehen und zu einer erlauben, möglichst lange und gesund und Tod. Bern: Hogrefe; kostenloser Störung der sozialen Beziehungen führen. im Arbeitsleben zu verbleiben. Um wirk- Download voraussichtlich ab Mitte Juni Die gesundheitlichen Probleme nehmen sam zu sein, müssen diese Bedingungen 2020 über die Homepage des Hogrefe bei den betroffenen Arbeitskräften mit immer wieder an sich ändernde Situation Verlages möglich. dem Alter deutlich zu. in den Einrichtungen und an die älter HABERMANN-HORSTMEIER, Lotte; werdenden Belegschaften angepasst wer- BÜHRER, Stefanie (2014): Arbeiten den. Insbesondere die Leitungskräfte in in Wohneinrichtungen für behinderte Kosten und Nutzen des BGM den Einrichtungen sind nun gefordert, Menschen in Deutschland. Eine Studie zur Viele Führungskräfte in den Unterneh- diesen Prozess anzustoßen. Arbeitssituation von Betreuungskräften men gehen davon aus, dass ein Betrieb- aus Sicht der Wohneinrichtungen. Villingen- liches Gesundheitsmanagement sehr kos- Schwenningen: Petaurus. ten- und zeitintensiv ist und zögern des- L I T E R AT U R HABERMANN-HORSTMEIER, Lotte; halb mit der Einführung. Dies liegt u. a. BÜHRER, Stefanie (2015): Welche Maß- daran, dass entsprechendes Wissen fehlt ANTONOVSKY, Aaron (1997): nahmen der Betrieblichen Gesundheits- und falsche Vorstellungen weit verbrei- Salutogenese: Zur Entmystifizierung förderung bieten Behinderten-Wohneinrich- tet sind. Viele verstehen unter einem der Gesundheit. Tübingen: dgvt. tungen ihrem Betreuungspersonal an? – BGM vor allem verhaltensorientierte Ge- BÖDEKER, Wolfgang (2017): Ergebnisse einer Untersuchung in Süd- sundheitsprogramme (etwa zu Ernäh- Lohnt sich Betriebliche Gesundheitsför- baden. In: Arbeitsmedizin Sozialmedizin rung, Bewegung und Stress), die man – oft derung? Ökonomische Indikatoren und Umweltmedizin 50 (5), 362–370. überteuert und ohne konkreten Bezug Effizienzanalysen. In: Faller, Gudrun (Hg): HABERMANN-HORSTMEIER, Lotte; zur Situation vor Ort – bei entsprechen- Lehrbuch Betriebliche Gesundheits- EGGER, Matthias; BOLLIGER-SALZ- den Institutionen einkaufen kann. Doch förderung. Bern: Hogrefe, 263–270. MANN, Heinz (2018): Risikofaktoren. ein gutes BGM geht weit darüber hin- Deutsche Hauptstelle In: Egger, Matthias et al. (Hg): Public Health aus. Es gibt viele BGM-Maßnahmen, die für Suchtfragen (DHS) (2014): Kompakt. Berlin: De Gruyter, 182–196. ohne größeren zeitlichen und finanziellen Alkohol am Arbeitsplatz. Die Auswirkun- HABERMANN-HORSTMEIER, Lotte; Aufwand umgesetzt werden können. gen von Alkoholkonsum. DHS Factsheet. HORSTMEIER, Lukas M. (2019): Andere Maßnahmen kosten vor allem Hamm: Deutsche Hauptstelle für Sucht- Auswirkungen der Arbeitssituation in Zeit – und damit indirekt auch mehr Geld fragen e. V., Stand: Dezember 2014. Behindertenwohneinrichtungen auf das für Personal. Natürlich gibt es aber auch Deutsches Krebsforschungszentrum Wohlbefinden und die Gesundheit der Maßnahmen, für die genügend Geld be- (dkfz) (2015): Tabakatlas Deutschland Bewohner/-innen aus Sicht der Betreu- reitgestellt werden muss (z. B. für Um- 2015 – Auf einen Blick. Heidelberg: Deut- ungskräfte. Vortrag auf dem Kongress baumaßnahmen). Daher sollten solche sches Krebsforschungszentrum. Armut und Gesundheit 2019. TU Berlin, Maßnahmen möglichst von vornherein Europäisches Netzwerk 14./15. März 2019. mitgedacht werden (z. B. bei der Pla- für betriebliche Gesundheitsförderung HABERMANN-HORSTMEIER, Lotte; nung eines Arbeitsbereichs oder bei der (1997): Luxemburger Deklaration zur be- LIMBECK, Kira (2016a): Arbeitsklima Einrichtung eines Raums). Auf diese trieblichen Gesundheitsförderung in der in Behinderten-Wohneinrichtungen in Weise können auf längere Sicht Kosten Europäischen Union. Deutschland. In: Arbeitsmedizin Sozial- gespart werden. Maßnahmen, die den FRICZEWSKI, Franz (2017): Partizipation medizin Umweltmedizin 51 (1), 50–63.
Teilhabe 2/2020, Jg. 59 WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Betriebliches Gesundheitsmanagement in Einrichtungen der Behindertenhilfe HABERMANN-HORSTMEIER, Lotte; Michael; Mohokum, Melvin (Hg): Prävention Prekäre Beschäftigung. Expertise für die LIMBECK, Kira (2016b): Arbeitsbelastung: und Gesundheitsförderung. Springer SPD-Landtagsfraktion NRW. Duisburg: Welchen Belastungen sind die Beschäf- Reference Pflege-Therapie-Gesundheit. Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ), tigten in der Behindertenbetreuung aus- Heidelberg: Springer. Universität Duisburg-Essen. gesetzt? In: Arbeitsmedizin Sozialmedizin HABERMANN-HORSTMEIER, Lotte; WHO (1986): Ottawa-Charta Umweltmedizin 51 (7) 517–525. SCHMID, Klaus; PLETSCHER, Claudia; zur Gesundheitsförderung. HABERMANN-HORSTMEIER, Lotte; KLIEN, Christine (2018): Arbeit und Ge- WHO (2019): Tobacco. www.who.int/ LIMBECK, Kira (2016c): Krank zur Arbeit. sundheit. In: Egger, Matthias et al. (Hg): news-room/fact-sheets/detail/tobacco Gesundheitssituation von Beteuern in Public Health Kompakt. Berlin: De Gruyter, (abgerufen am 25.02.2020): Behinderteneinrichtungen. In: Heilberufe- 317–362. WOOD, Angela M. et al. (2018): SCIENCE 7 (1), 25–39. MORSCHHÄUSER, Martina; SOCHERT, Risk thresholds for alcohol consumption: HABERMANN-HORSTMEIER, Lotte; Reinhold (2007): Beschäftigungsfähigkeit combined analysis of individual-participant LIMBECK, Kira (2017): Burnout-Gefähr- erhalten. Strategien und Instrumente für data on 599 912 current drinkers in 83 dung in der Behindertenarbeit. Subjektive ein langes gesundes Arbeitsleben. Essen: prospective studies. In: The Lancet 391 Einschätzungen der Beschäftigten geben BKK Bundesverband. (10129): 1513–1523. Hinweise. In: Prävention und Gesund- OECD (2017): Health at a Glance 2017: heitsförderung 12 (1), 27–40. OECD Indicators. Paris: OECD Publishing. HABERMANN-HORSTMEIER, Lotte; DOI: http://dx.doi.org/10.1787/health_ i Die Autorin: LIMBECK, Kira (2018): Einflussfaktoren glance-2017-en (abgerufen am 25.02.2020). Dr. med. Lotte Habermann-Horstmeier auf die Arbeitsbelastung in der statio- RICHTER, Matthias; ROSENBROCK, Rolf Leiterin des Villingen Institute of Public nären Behindertenhilfe. In: Das Gesund- (2018): Sinnvolle Kombination von Ver- Health (VIPH) an der Steinbeis+Akademie, 63 heitswesen 80 (5), 433–443. haltens- und Verhältnisprävention. Steinbeis-Hochschule Holding GmbH HABERMANN-HORSTMEIER, Lotte; In: Egger, Matthias et al. (Hg): Public Health LIPPKE, Sonia (2019): Grundlagen, Stra- Kompakt. Berlin: De Gruyter, 175–176. @ Habermann-Horstmeier@viph-steinbeis-hs.de tegien und Ansätze der Primär-, Sekundär- WEINKOPF, Claudia; HIEMING, und Tertiärprävention. In: Tiemann, Bettina; MESAROS, Leila (2009): Anzeige Aus dem Lebenshilfe-Verlag | Wolfgang Hinte, Oliver Marco Pohl (Hrsg.) Der Norden geht voran Sozialraumorientierung in der Eingliederungshilfe im Landkreis Nordfriesland 1. Auflage 2018, 17 x 24 cm, broschiert, 160 Seiten ISBN: 978-3-88617-326-6; Bestellnummer LBS 326 15,– Euro [D]; 18.– sFr. Vermittelt aus unterschiedlichen Perspektiven Eindrücke über verschiedene Facetten sowohl des Prozesses der Entwicklung der kommunalen Landschaft in Nordfriesland als auch der Strukturen, Finanzierungsformen und Abläufe, die den Rahmen bilden für die Arbeit in der EGH im Landkreis Nordfriesland. Akteure aus dem Landkreis beschreiben die Essentials des Projekts und ziehen ein Zwischenresümee. Inhaltlich gerahmt durch einen Fachbeitrag von Wolfgang Hinte, der die leitenden Fachprinzipien darstellt. | Jonas Kabsch (Hrsg.) Lebens Alter Zu Kooperationen zwischen der Behindertenhilfe und der Altenhilfe 1. Auflage 2018, 256 Seiten, Broschur 16,5 x 24 cm ISBN 978-3-88617-570-3, Bestellnummer LED 570 25,– Euro [D]; 31.– sFr. Die bessere medizinische und pflegerische Versorgung führt zu einer deutlich längeren Lebens- erwartung der Menschen mit Behinderung. Dafür werden umfassend ineinandergreifende flexible Konzepte benötigt: Eine adäquate Betreuung und Unterstützung für älter werdende Menschen mit Behinderung, die an ihre bestehende Lebenswelt und die darin erlebten Dimensionen anknüpft und die individuellen Wünsche und Vorstellungen eines gelingenderen Lebensabends Realität werden lässt. Das Ergebnis des Projekts ›Lebens Alter‹ ist ein konkretes Handlungskonzept für die Praxis. Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V. · Vertrieb · Raiffeisenstr. 18 · 35043 Marburg Bestellungen an: Tel.: (0 64 21) 4 91-123 · Fax: (0 64 21) 4 91- 623 · E-Mail: vertrieb@lebenshilfe.de
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