Bibliotheken müssen ihre organisatorische Verfasstheit überdenken

Die Seite wird erstellt Nikolas-Stefan Hamann
 
WEITER LESEN
Bibliotheken müssen ihre organisatorische Verfasstheit überdenken
Bergmann                                                                                                 REPORTAGEN                           233

Bibliotheken müssen
ihre organisatorische Verfasstheit überdenken
Eine Zusammenfassung der Abschlussdiskussion auf
dem virtuellen BibliotheksLeiterTag 2020

Helga Bergmann

„Perspektiven für Wissenschaftliche Bibliotheken in der neuen Normalität“ war das Thema der
Abschlussdiskussion auf dem virtuellen BibliotheksLeiterTag am 9. Dezember 2020. Haben sich vor dem
Hintergrund der Corona-Pandemie die relevanten Zukunftsaufgaben geändert? Welche Auswirkungen
hat der Lockdown auf die innerbetriebliche Kommunikation? Welche Unterstützung wünschen sich die
wissenschaftlichen Bibliotheken? Diese Fragen beantworteten und diskutierten Reinhard Altenhöner,
Ständiger Vertreter der Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz (SBB-PK),
Dr. Achim Bonte, Generaldirektor der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek
Dresden (SLUB), Prof. Dr. Klaus Tochtermann, Direktor des ZBW, Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft
und Dr. Axel Kaschte, Product Strategy Director bei OCLC EMEA. Die Fragen stellte Andreas Mittrowann
(nachvorndenken.de). Veranstalter war OCLC (Online Computer Library Center).

❱ Gleich vorweg berichtet: Es bestand unter den Dis-
kutierenden Einigkeit, dass die Pandemie die Zu-
kunftsaufgaben der wissenschaftlichen Bibliotheken
nicht verändert hat. Insgesamt seien jedoch eine Dy-
namisierung und ein enormer Schub bei der Digitali-
sierung festzustellen.

Habituelle Aneignung von neuen Verfahren
Reinhard Altenhöner betonte, dass im Umgang mit­
einander und in vielen Arbeitsweisen habituelle An-
eignungen von neuen Verfahren zu beobachten seien.
Der BibliotheksLeiterTag 2020 selbst zeige, wie virtu-
os neue Kanäle bespielt würden und Chatfunktionen
sozusagen als zusätzliches dynamisches Laufband
unter der Abschlussdiskussion liefen. Wenn Bibliothe-
ken z.B. Schreibwerkstätten virtuell anbieten, die sich
großen Interesses erfreuten, dann gingen sie von ei-
nem eingeführten Format aus, würden ihm aber eine
neue Präsentationsform geben. Bibliotheken müssten,
so Altenhöner, ihre organisatorische Verfasstheit zu-
nehmend auch nach innen überdenken. Im Hinblick
auf das haptische Erleben des Arbeitsplatzes, der         fühlten sich durch die extrem hohe Anzahl an Arbeits-
Einrichtung, der Vorgesetzten, des Umfelds und der        tagen zu Hause vom sozialen Umfeld der Bibliothek
Kunden entstünden für die Bibliotheksmitarbeiter/-        abgeschnitten. Um dem entgegenzuwirken, habe die
innen neue kreative Formen, die in eine spannende         ZBW Formate auf drei Ebenen eingeführt. Zunächst
Richtung gehen, aber auch Verunsicherung mit sich         wurde eine Wiki-Plattform für die Kommunikation un-
brächten. Klaus Tochtermann ergänzte, für die unmit-      ter den Beschäftigten eingerichtet, der abteilungswei-
telbare Zukunft sei es wichtig, die Balance zwischen      se informelle virtuelle Mittagessen und von Seiten der
virtuellem Arbeiten im Homeoffice und Arbeiten im         Direktion Zukunftscafes folgten. In den Zukunftscafes
Büro ausgewogener zu gestalten. Viele Beschäftigte        werden 14-tägig in einer halben Stunde Themen ange-

www.b-i-t-online.de                                                                                       24 (2021) Nr. 2                        online
                                                                                                                            Bibliothek. Information. Technologie.
Bibliotheken müssen ihre organisatorische Verfasstheit überdenken
234                              REPORTAGEN                                                                                                                       Bergmann

                                        sprochen, die für alle Beschäftigten von Interesse sind              Jetzt müssten sie externes Wissen in die Bibliothek
                                        und die sie auch mit auswählen können, erklärte er. In               holen, denn der Ausschnitt dessen, was eine Biblio-
                                        der physischen Welt wäre das mit 300 Beschäftigten                   thek wissen könne, werde von Tag zu Tag kleiner an-
                                        an zwei Standorten nicht möglich gewesen. Dennoch                    gesichts des enormen Wachstums an Wissen. Heute
                                        ersetzten all diese Maßnahmen nicht das tatsächliche                 seien Bibliotheken mehr Wissensbroker, Organisato-
                                        Treffen in der Bibliothek.                                           ren von Wissensaustausch. Um diese Aufgabe in La-
                                                                                                             boren auf Augenhöhe mit den Nutzenden zu gestalten,
                                        Veränderung der innerbetrieblichen                                   hat die SLUB u.a. einen Makerspace der Worte, das
                                        Kommunikation                                                        Textlab2, eingerichtet.
                                        Achim Bonte verwies auf eine Veränderung der inner-
                                        betrieblichen Kommunikation durch die Einführung                     Volle Lesesäle im digitalen Zeitalter
                                        virtueller Formate. Da gehe es oft um die beste Idee,                Altenhöner hat in der Pandemie auch eine sozusagen
                                        um schnelles Reagieren und um interdisziplinäre Zu-                  contra-faktische Entwicklung verzeichnet. In der SBB-
                                        sammenarbeit, mit der Folge, dass Hierarchien und                    PK wurde relativ früh per Buchungstools die Reser-
                                        Abteilungsgrenzen weniger stark wirkten. Bonte zi-                   vierung von Plätzen im Lesesaal ermöglicht. Die 700
                                        tierte in diesem Zusammenhang John P. Kotters Buch                   Slots, die pro Tag angeboten werden konnten, waren
                                        „Die Kraft der zwei Systeme“1. Darin gehe es um die                  in kürzester Zeit ausgebucht. Die Nachfrage reichte
                                        Frage, wie man mit komplexen Wirklichkeiten zurecht                  bis hin zur Lastgrenze des Systems. Auch in Dresden,
                                        komme. Kotter vertrete die Ansicht, dass in einer Or-                ergänzte Bonte, sei ein Run auf die Bibliothek zu spü-
                                        ganisation sowohl hierarchische als auch unhierarchi-                ren gewesen; ein Vorgang, der immer schon mit der
                                        sche Strukturen gebraucht würden. Gehe es um Pro-                    Digitalisierung einhergegangen sei. Man nehme ei-
                                        bleme, die Regeln und genaue Abläufe betreffen wie                   nerseits die Segnung der Digitalisierung gerne in An-
                                        beispielsweise Fragen zu Ausleihe und Verzugsgebüh-                  spruch, möchte sich aber auch physisch begegnen.
                                        ren, müssten diese hierarchisch gelöst werden. Bei
                                        Problemen, die mit der Digitalisierung einhergehen,                  Beschleunigter Übergang zu nicht-textuellen
                                        stehe die Frage im Vordergrund, wer am besten darü-                  Wissensvermittlungsformen
                                        ber Bescheid wisse, wer zu deren Lösung eine Idee ha-                Bonte machte auf eine Tendenz aufmerksam, die schon
                                        be. Je nach Problemstellung müsse die Lösung daher                   vor der Pandemie bestanden, durch sie aber eine Be-
                                        entweder hierarchisch oder unhierarchisch gefunden                   schleunigung erfahren habe. Nachdem die Retrodigi-
                                        werden, so Bonte.                                                    talisierung von 380.000 Bänden und 110.000 Titeln in
                                                                                                             Dresden schon weit fortgeschritten sei, stehe dort als
                                        Neue Bibliotheksdienste sind ganz nah                                nächste Aufgabe das Rechnen auf Daten an. Das füh-
                                        an den Nutzenden                                                     re zu Fragestellungen „Wie schöpfen wir Mehrwerte?“,
                                        Altenhöner machte auf einen weiteren Aspekt des Co-                  „Wie machen wir z.B. aus Textbildern prozessierbare
                                        rona-bedingten Digitalisierungsschubs aufmerksam.                    Volltexte?“, „Wie können wir dann die entsprechend
                                        Bei digitalen Services könnten sich Bibliotheken sehr                großen Textmengen explorieren?“, „Wie können wir sie
                                        viel unmittelbarer mit Nutzenden über Inhalte austau-                in Beziehung bringen?“, „Was passiert im Bereich der
                                        schen. Hier könne man die Krise durchaus als Kataly-                 Wissensrepräsentation?“, umriss Bonte das weite Feld
                                        sator sehen, denn es verändere sich auch die klassi-                 noch ungelöster Fragen. Die Veränderung von einem
                                        sche Sicht, dass die Bibliothek ausschließlich Wissen                stark textuell geprägten Wissenskosmos hin zu nicht-
                                        und Information zur Verfügung stelle. In der Stiftung                textuellen Wissensvermittlungsformen habe durch
                                        Preußischer Kulturbesitz kenne man aus der Zusam-                    die Corona-Krise einen Schub bekommen. Das werfe
                                        menarbeit mit vielen anderen Organisationen durch-                   auch Fragen auf, wie die Personalentwicklung laufe,
                                        aus die Frage, ab welchem Punkt man die Hoheit über                  wie Bibliotheken mehr Bewertungskompetenz gewin-
                                        das, was man als Sammlung kuratiere, aufgebe und                     nen könnten und dann in der nächsten Stufe ausrei-
                                        zu einem gleichberechtigten Miteinander in der Ar-                   chend Handlungskompetenz, um mit diesen Anfor-
                                        beit an diesem Material komme. Dieser Austausch sei                  derungen, insbesondere der Unterstützung rund um
                                        existentiell wichtig für die Weiterentwicklung der Bi-               den Forschungskreislauf, tatsächlich fertig zu werden.
                                        bliotheksdienste. Bonte ergänzte: Bibliotheken hätten                Nach Tochtermanns Bewertung sind hierfür drei Kom-
                                        bisher Weisheiten eingekauft, erzeugt und exportiert.                ponenten für die Bibliotheken wesentlich: die Litera-

                                        1 Erschienen in Harvard-Business-Manager 2015; 37: 80-93. ISSN 0945-6570. ZDB-ID 1138095-0. Siehe auch: https://www.interconsilium.de/
                                          die-kraft-der-zwei-systeme/
                                        2 https://www.slub-dresden.de/en/participate/slub-textlab/

                     online 24 (2021) Nr. 2
Bibliothek. Information. Technologie.
                                                                                                                                                        www.b-i-t-online.de
Bibliotheken müssen ihre organisatorische Verfasstheit überdenken
Bergmann                                                                                                                     REPORTAGEN                           235

tur, die Forschungsdaten und die Analysesoftware, die                 sei insofern auch bei OCLC angekommen. Auch das
auf den Forschungsdaten aufsetzt.                                     Thema Open A   ­ ccess (OA) sei beschleunigt worden. Im
                                                                      WorldCat seien sehr viele Titel verzeichnet und es sei
OCLC – Kommunikationsplattform                                        bekannt, welche Bibliothek den jeweiligen Titel besitzt.
zur Soforthilfe                                                       WorldCat.org sei frei zugänglich für alle und bei OA
Welche Auswirkungen die aktuelle Situation auf die                    könne man direkt ohne jegliche weitere Maßnahme
Strategie von OCLC hat, erläuterte Axel Kaschte.                      auf die Titel zugreifen. Der Weltkatalog biete Verweise
OCLC habe als Community-Zentrum in den letzten                        auf elektronische Ressourcen, die OA vorhanden sind.
sechs bis acht Monaten verstärkt Informationssuche
und Fragestellungen der Transition und Transformati-                  Wünschenswerte Hilfestellung
on vor dem Hintergrund der Pandemie erlebt. Neben                     für Bibliotheken
den Software-Services für Bibliotheken stelle OCLC                    Tochtermann wies auf ein Phänomen hin, das unab-
auch eine Kommunikationsplattform bereit, auf der                     hängig von Corona existiert, aber durch Corona noch
einfache pragmatische Fragen diskutiert würden und                    einmal deutlicher wurde: die Nutzung von sozialen
nachher in die Anwendungslösungen führten. Wäh-                       Medien und von Werkzeugen, die nicht unter der Kont-
rend des Lockdowns wären z.B. nur noch elektroni-                     rolle der eigenen Einrichtung und von OCLC sind, son-
sche Bezahlungen möglich gewesen oder konnten                         dern die angeboten werden wie beispielsweise Chat-
Bücher nicht mehr zurückgeben werden, weil die Bi-                    systeme, Umgebungen wie Dropbox oder Zoom als
bliothek geschlossen hatte. OCLC hätte die entspre-                   Videokonferenzsystem. Für den Datenschutzbeauf-
chenden Funktionen im Ausleihmodul des Cloud-ba-                      tragten der ZBW waren die letzten Monate vor allem
sierten WMS im Hintergrund schnell anpassen kön-                      dadurch geprägt, den Beschäftigten Rechtssicherheit
nen. Die Änderung auf elektronische Bezahlung und                     zu geben und zu prüfen, was datenschutzkonform und
elektronische Verlängerung sei enorm schnell von-                     wo ein Auftragsverarbeitungsvertrag abzuschließen
statten gegangen: von der Diskussion auf der Kommu-                   sei. In diesem Bereich sei Unterstützung enorm wich-
nikationsplattform bis zur Auslieferung innerhalb we-                 tig und hilfreich.
niger Wochen. Immer wieder sei auch angefragt wor-                    Altenhöner fragte nach, ob der Anspruch von OCLC,
den, wie Bibliotheksmitarbeitende von zu Hause aus                    auch als Plattform und als Diskussionsformat wahrge-
die elektronischen Ressourcen freischalten könnten.                   nommen zu werden, das verstärkte Aufgreifen größe-
In den letzten sechs Monaten, so Kaschte im Dezem-                    rer Themen erlaube. Als Beispiel nannte er die Nach-
ber 2020, sei international mehr EZproxy- Software in­                haltigkeitsentwicklungsziele der UNO. Seiner Meinung
stalliert worden als in den letzten drei Jahren davor zu-             nach ist es außerordentlich wichtig, dass OCLC mit ei-
sammengenommen. Der Schub für die Digitalisierung                     ner groß angelegten spartenübergreifenden Umfrage3

3   https://www.oclc.org/go/en/sustainable-development-goals/survey.html An dieser Umfrage können Sie sich noch beteiligen.

          wbv OpenLibrary
          Open Access gemeinsam ermöglichen

          Das Crowdfunding für die wbv OpenLibrary 2022 hat begonnen! Wir
          bündeln die Neuerscheinungen des kommenden Jahres aus den Bereichen
          Erwachsenenbildung sowie Berufs- und Wirtschaftspädagogik.                                     wbv.de/openlibrary

          Ab sofort können sich Bibliotheken und Wissenschaftsinstitutionen mit                          Kontakt:
          einer verbindlichen Zusage an der Finanzierung beteiligen und damit die                        Jennifer Eichler
          Veröffentlichung aller Titel des Pakets im Open Access ermöglichen.                             openaccess@wbv.de

          wbv Media GmbH & Co. KG · Bielefeld
                                                                                                      In Zusammenarbeit mit
          Geschäftsbereich wbv Publikation
          Telefon 0521 91101-0 · E-Mail service@wbv.de · Website wbv.de

www.b-i-t-online.de                                                                                                           24 (2021) Nr. 2                        online
                                                                                                                                                Bibliothek. Information. Technologie.
Bibliotheken müssen ihre organisatorische Verfasstheit überdenken
236                              REPORTAGEN                                                                                                                       Bergmann

                                        in diesem Jahr nach der Relevanz der sustainable de-                 struktur für andere Services zur Verfügung gestellt.
                                        velopment goals (SDG) in Bibliotheken gefragt habe.                  Nach einjähriger Laufzeit erhält die Mellon Founda-
                                        Eine solche Umfrage in mehr als 100 Nationen und                     tion einen Bericht darüber, wie diese Analysen funk-
                                        vielen tausend Bibliotheken rücke das Thema Nachhal-                 tionieren und wie Personen-Entitäten und Werke aus
                                        tigkeit und dabei auch die ökologische Nachhaltigkeit                verschiedenen Quellen wie WorldCat und z.B. VIAF er-
                                        der Bibliotheksarbeit in den Blickpunkt. Die Staats­                 zeugt wurden. OCLC hätte dabei feststellen müssen,
                                        bibliothek zu Berlin habe wie viele andere Bibliotheken              dass die Analyse von Daten in der MARC-Welt keine
                                        gerade während der Pandemie damit begonnen, aus                      leichte Aufgabe ist. Man habe aber auch gesehen, dass
                                        der Erfahrungswelt der Mitarbeiter/-innen Ideen zu                   es Quellen gibt, die schon eine sehr gute Ausgangs-
                                        sammeln, wie große Einrichtungen mit viel Publikums-                 qualität haben. Besonders aus Deutschland kämen
                                        betrieb, wie Bibliotheken es nun einmal sind, ihren                  Daten, die man sehr einfach in die Entitätenwelt über-
                                        ökologischen Fußabdruck optimieren können. Damit                     führen könne. Die GND (Gemeinsame Normdatei) wä-
                                        soll in kleinen, überschaubaren Zusammenhängen ein                   re zu erwähnen (bereits in VIAF integriert), aber auch
                                        valider Beitrag zu einem nachhaltigen, im Sinne auch                 die ZDB (Zeitschriftendatenbank). OCLC hat sich laut
                                        von dauerhaft angelegten, vor allem aber schonenden                  Kaschte dazu entschlossen, die ZDB Daten im World-
                                        Umgang mit den Ressourcen geleistet werden.                          Cat ganz besonders zu behandeln. Die gesamten ZDB-
                                        Ein zweiter Punkt, der für Altenhöner in Richtung                    Zeitschriftentiteldaten würden im WorldCat so über-
                                        OCLC als Datenplattform und Plattformbetreiber                       nommen als wären sie Normdaten. Damit könnten sie
                                        wichtig ist, sind die Themen Daten, Datenvernetzung,                 im nächsten Schritt in Entities überführt werden. Der
                                        Datenmanagement im Hinblick auf eine verstärkte                      Qualitätsstandard in Deutschland helfe beim globalen
                                        Durchlässigkeit und Anknüpfungsfähigkeit von Da-                     Aufbau. Das sei ein Projekt von vielen, um in dieser
                                        ten der verschiedenen Kulturerbeeinrichtungen, also                  neuen Entitätenwelt die Daten-Qualität herzustellen.
                                        auch M ­ useen und Archiven. Er wünsche sich, dass der               Im Anschluss an die Diskussion wurden Fragen bzw.
                                        WorldCat als wichtiger Sammler von Daten sich noch                   Kommentare von Zuhörenden eingespielt. Annette
                                        stärker an Entitäten orientiere als er das schon in An-              Strauch von der Universitätsbibliothek Hildesheim
                                        sätzen tue. Auch die Bibliothekswelt müsse sich ver-                 schrieb, die große Herausforderung in den Bibliothe-
                                        stärkt dafür einsetzen, dass die Verknüpfung von Da-                 ken sei die Stärkung der digitalen Kompetenzen im
                                        ten, die Identifizierung von Entitäten, der Austausch                Sinne des Rates für Informationsinfrastruktur (RfII).
                                        über Entitäten und das Anhängen weiterer Informatio-                 Neues Personal sei erforderlich im Schub der Digita-
                                        nen an Bedeutung gewinne. Für Bibliotheken wäre es                   lisierung. Überall herrsche jedoch finanzielle Not, si-
                                        wünschenswert, dass OCLC diesen Komplex in einer                     cherlich nicht nur in Niedersachsen. Technisch gebe
                                        Mehrwert-Strategie beschleunigt aufnehme.                            es die besten Lösungen, aber beim Support partizipa-
                                        In seiner Antwort ging Kaschte auf den Punkt Daten-                  tiver Services fehlten die Mitarbeiter/-innen. Das sei
                                        haltung – und speziell WorldCat – ein, da diese in der               schon vor Corona so gewesen und es sei so geblie-
                                        Tat eine zentrale Rolle spiele. Bei vielen OCLC-Re-                  ben. Tochtermann warf ein, die Entwicklungsfähigkeit
                                        search-Projekten der vergangenen Jahre habe OCLC                     der eigenen Beschäftigten nicht unterzubewerten. Es
                                        festgestellt, dass die im WorldCat gesammelten bib-                  sei ein Mythos, dass die Beschäftigten in Bibliotheken
                                        liografischen Metadaten ein wesentlicher Aspekt sein                 den Anforderungen der Digitalisierung nicht gewach-
                                        könnten bei der Analyse, um aus einzelnen Informatio-                sen seien. Er könne aus der Perspektive der ZBW vol-
                                        nen nachvollziehbar Wissen zu generieren. Diese Ana-                 ler Überzeugung das Gegenteil feststellen. Es gehe
                                        lysen führten unweigerlich zu den neuen Technologi-                  nicht, ständig neues Personal für die neuen Aufgaben
                                        en, Entitäten in einem Wissens-Graph aufzubauen, die                 zu akquirieren. Der Schwerpunkt liege deshalb darauf,
                                        über das hinaus gehen, was in Deutschland als kon­                   das Bibliothekspersonal in Richtung Digitalkompetenz
                                        trollierte Normdaten-Dateien bekannt ist und die das                 zu entwickeln. Digitalkompetenz werde in zunehmen-
                                        tiefere Prinzip von Linked Data nutzen. Auf diesem Ge-               dem Maß in den Einrichtungen gebraucht. Dafür könne
                                        biet, berichtete Kaschte, gäbe es jetzt ein sehr profes-             man Strategien entwickeln. In der ZBW beispielsweise
                                        sionelles, von der Andrew W. Mellon Foundation un-                   werde bei jeder Stellenneubesetzung hinterfragt, ob
                                        terstütztes Projekt mit dem Namen SEMI (Shared En-                   die bisherige Kompetenz in der Form noch gebraucht
                                        tity Management Infrastructure4). Dabei werden wei-                  werde oder ob umstrukturiert werden könne. Eine
                                        tere Daten neben dem WorldCat in einem Knowledge                     zweite Möglichkeit sei das Eingehen von Partnerschaf-
                                        Graph aufbereitet und in einer neuen Software-Infra-                 ten. Bei Bibliotheken, die im Kontext von Hochschulen

                                        4   https://www.oclc.org/de/news/releases/2020/20200109-oclc-awarded-mellon-grant-linked-data-management-infrastructure.html

                     online 24 (2021) Nr. 2
Bibliothek. Information. Technologie.
                                                                                                                                                        www.b-i-t-online.de
Bibliotheken müssen ihre organisatorische Verfasstheit überdenken
Bergmann                                                                                                     REPORTAGEN                           237

angesiedelt sind, gebe es sicherlich Fachbereiche, die       ihrer Nutzenden sind, die kooperations- und kompro-
entweder Informatik- oder Datenkompetenz besäßen.            missfähig sind, um mit großen Einrichtungen digitale
Solche Partnerschaften gelte es auf- und auszubauen,         Dienste zu bauen. Am Ende würden beide Einrichtun-
um Lücken in den Bibliotheken zu schließen.                  gen davon profitieren. Die SLUB erhalte eine zusätz-
Anja Emmerich, Leiterin der Bibliothek der Evange-           liche Aufgabe, indem sie die Steuerungs- und Koor-
lischen Kirche von Westfalen, bemängelte, wissen-            dinierungsfunktion ausübe und in einer Sache helfe,
schaftliche Bibliothek werde in dieser Veranstaltung         die im Bibliothekswesen immer noch zu kurz kommt,
meist analog mit Hochschulbibliothek gesetzt. Für            nämlich die Standardisierung von Workflows, die
eine kleine wissenschaftliche Spezialbibliothek sei-         gleichmäßige Erledigung von gleichen Herausforde-
en digitale Ressourcen schwer zu finanzieren. Es ge-         rungen. Alten­höner fügte hinzu, dass die Staatsbiblio-
be Personal aus von COVID-19 bedrohten Risikogrup-           thek keine Hochschulanbindung und keinen Auftrag,
pen. Homeoffice sei organisatorisch nicht möglich.           wie die Staatsbibliothek in Dresden habe. Dennoch le-
Das Restpersonal fange es auf. Sie habe den Eindruck         be die Bibliothek sehr stark von dem Input und der Ko-
einer Spaltung in der Bibliothekslandschaft, die von         operation mit vielen, auch kleinen Einrichtungen, die
­Corona verstärkt werde.                                     als Partner viele interessante und zusätzliche A
                                                                                                            ­ spekte
 Zustimmung kam von Bonte. Die Digitalisierung füh-          mit einbrächten. Dasselbe gelte natürlich auch umge-
 re dazu, dass Betriebsgröße ein Riesenvorteil bei der       kehrt. Als Beispiel für spartenübergreifende Aktivitä-
 Entwicklung der Institution sei. In Sachsen habe die        ten nannte Altenhöner den Berliner Bibliotheksent-
 Staatsbibliothek einen Koordinierungs- und Dienst-          wicklungsplan, in dem verschiedene Bibliothekstypen
 leistungsverbund geschaffen. Er beinhalte, dass die         zusammenwirkten.
 SLUB über ein sog. Landesdigitalisierungsprogramm           Die Diskussion ist in voller Länge unter www.biblio-
 kleinen und mittleren Einrichtungen Sichtbarkeit und        theksleitertag.de einsehbar. Für Nicht-Teilnehmer/-in-
 Reichweite verschaffen könne, indem sie wissen-             nen ist dazu eine Anmeldung nötig. ❙
 schaftlich oder kulturell wertvolle Kollektionen für die-
 se Einrichtungen digitalisiere. Seines Erachtens müs-                      Helga Bergmann-Ostermann
 sen solche Partnerschaften so aussehen, dass man in                        Journalistin
 der Fläche potente Bibliotheken und engagierte Biblio-                     Dipl.-Übersetzerin
 thekare und Bibliothekarinnen hat, die ihre Bestände                       h.bergmann-ostermann@t-online.de
 kennen, die sehr nah an den spezifischen Interessen

    Premiere: Großstadt-Bibliothek geht in die Cloud
    Zu groß gibt es nicht für Koha: Die Stadtbibliothek Duisburg nutzt als erste aus der Sektion 1 jetzt das von
    der LMSCloud gehostete Open Source Bibliothekssystem. Im neuen OPAC zeigen die Zentralbibliothek,
    13 Filialen und der Bücherbus so richtig, was sie den Bürger*innen zu bieten haben: Hier wird Stöbern im
    Gesamtbestand von 500.000 Medien zur spannenden Entdeckungsreise!
        sb-duisburg.lmscloud.net

www.b-i-t-online.de                                                                                           24 (2021) Nr. 2                        online
                                                                                                                                Bibliothek. Information. Technologie.
Sie können auch lesen