BIETERLÜCKEN IM VERGABERECHT - Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades - JKU ePUB
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Eingereicht von Ing. Julia Gröchenig Angefertigt am Institut für Europarecht Beurteiler / Beurteilerin Univ.-Prof. Dr. Franz Leidenmühler Februar 2021 BIETERLÜCKEN IM VERGABERECHT Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magistra der Rechtswissenschaften im Diplomstudium Rechtswissenschaften JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich jku.at
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch. Dornbirn, 25. Februar 2021 Ing. Julia Gröchenig Seite 2 von 47
Der Bundesgesetzgeber hat bei der Formulierung der Vergabegesetze die Sprachform des generischen Maskulinums angewendet. Gemäß § 381 Abs 2 Bundesvergabegesetz 2018 gelten alle in diesem Gesetz verwendeten personenbezogenen Bezeichnungen gleichermaßen für Personen weiblichen als auch männlichen Geschlechts. Um eine eindeutige Zuordnung zu den Bezeichnungen in den Vergabegesetzen zu erreichen, wird in dieser Diplomarbeit ebenso auf die Sprachform des generischen Maskulinums zurückgegriffen. Es wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die ausschließliche Verwendung der männlichen Form geschlechtsunabhängig verstanden werden soll. Seite 3 von 47
Inhaltsverzeichnis I. Einleitung ......................................................................................................5 II. Grundlagen ...................................................................................................7 A. Unionsrechtliche Grundlagen .................................................................7 B. Umsetzung in Österreich........................................................................9 C. Grundsätze des Vergabeverfahrens .................................................... 11 1. Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung ................................. 12 2. Transparenz .................................................................................. 13 3. Verhältnismäßigkeit ....................................................................... 13 4. Freier und lauterer Wettbewerb ..................................................... 14 III. Ablauf eines Vergabeverfahrens ................................................................ 15 A. Kurz-Übersicht über ein Vergabeverfahren nach dem BVergG 2018 ..15 B. Rechtsschutz ....................................................................................... 18 C. Vergleichbarkeit von Angeboten .......................................................... 19 IV. Bieterlücken ................................................................................................ 21 A. Allgemeines ......................................................................................... 21 B. Unionsrechtliche Bestimmungen .......................................................... 23 C. Nationale Bestimmungen ..................................................................... 24 1. Abweichen vom Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung .25 2. Echte und unechte Bieterlücken .................................................... 27 3. Fehler bei Angaben zu Bieterlücken .............................................. 28 D. Gleichwertigkeitsnachweis von angebotenen Produkten ..................... 31 1. Art des Nachweises ....................................................................... 31 2. Zeitpunkt des Nachweises............................................................. 32 3. Exkurs: behebbare und unbehebbare Mängel............................... 36 4. Folgen eines fehlenden Nachweises ............................................. 37 E. Möglicher Umgang in der Praxis .......................................................... 43 V. Resümee .................................................................................................... 45 VI. Literaturverzeichnis .................................................................................... 46 Seite 4 von 47
I. Einleitung „Wer echte Bieterlücken ignoriert, verliert“1 Bieterlücken sind seit Jahren ein unterschätztes Detail in Vergabeverfahren. Viele Bieter sind bereits an Bieterlücken gescheitert und haben durch falsch oder nicht ausgefüllte Bieterlücken eine Chance auf einen Auftrag verloren. Besonders bei der Ausschreibung von Bauleistungen kommen oft Bieterlücken zum Einsatz. Dies nicht zuletzt deshalb, weil bereits die verschiedenen Leistungsbeschreibungen, wie zB die Leistungsbeschreibung Hochbau, die Leistungsbeschreibung Haustechnik (beide herausgegeben vom Bundesministerium Digitalisierung und Wirtschaftsstandort) oder die Leistungsbeschreibung Verkehr und Infrastruktur (herausgegeben von der Forschungsgesellschaft Straße – Schiene – Verkehr), Bieterlücken beinhalten. Der Europäische Gerichtshof hat sich in der Rechtssache C-14/17, Var / Iveco mit der Frage beschäftigt, zu welchem Zeitpunkt der Bieter die Gleichwertigkeit eines in einer Bieterlücke angegebenen Produktes nachweisen muss.2 Zu Recht wurde in Österreich in Bezug auf diese Entscheidung die Frage gestellt, wie die ständige Judikatur in Österreich zu behebbaren und unbehebbaren Mängeln damit vereinbar ist.3 Ziel dieser Diplomarbeit ist es die Problemstellungen bei Bieterlücken im Allgemeinen und mit dem Nachweis der Gleichwertigkeit im Besonderen, darzustellen, sowie die Vereinbarkeit der EuGH-Judikatur mit der österreichischen Rechtslage festzustellen. 1 Reisinger/Ullreich, Wer echte Bieterlücken ignoriert, verliert, ZVB 2018/17, 70-74. 2 Vgl EuGH C-14/17, Var/Iveco, ECLI:EU:C:2018:568. 3 Vgl Kurz, Neues über Bieterlücken, Österreichische Bauzeitung 20/2018, 39. Seite 5 von 47
Die vorliegende Arbeit lässt sich in drei Themenblöcke aufteilen. Zu Beginn werden in Kapitel II. die europäischen und nationalen Grundlagen des Vergaberechts aufgearbeitet. Anschließend wird in Kapitel III. ein kurzer Überblick über ein Vergabeverfahren gegeben. Der dritte Themenblock beschäftigt sich in Kapitel IV. mit den europäischen und nationalen Bestimmungen zu Bieterlücken, dem Nachweis der Gleichwertigkeit von Produkten, die in Bieterlücken angeboten wurden, sowie mit dem Umgang mit Bieterlücken in der Praxis. Seite 6 von 47
II. Grundlagen A. Unionsrechtliche Grundlagen Das Hauptziel der Europäischen Union war von Beginn an das Herstellen eines Binnenmarktes und die hierfür erforderliche Harmonisierung von Rechtsvorschriften für den freien Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital der einzelnen Mitgliedsstaaten. Die Vergabe von öffentlichen Aufträgen hat einen großen Anteil am gemeinsamen Markt. Infolgedessen hat die Vergabe öffentlicher Aufträge bei der Harmonisierung von Rechtsakten einen hohen Stellenwert.4 Das österreichische Vergaberecht ist von den europäischen Vorgaben für die Vergabe öffentlicher Aufträge geprägt. Die EU hat mit verschiedenen Verordnungen und Richtlinien die Vergabe von Bauleistungen, Dienstleistungen, Lieferleistungen und Konzessionen durch öffentliche Auftraggeber für den Oberschwellenbereich europaweit einheitlich geregelt.5 Zuletzt wurden mit den Richtlinien RL 2014/23/EU6, RL 2014/24/EU7, RL 2014/25/EU8 und RL 2009/81/EG9 viele Details für Ausschreibungen im Oberschwellenbereich neu festgelegt.10 Richtlinien gemäß Art 288 Abs 3 AEUV11 sind generell-abstrakt und innerstaatlich nicht unmittelbar anwendbar, sondern bedürfen einer Umsetzung in das innerstaatliche Recht der Mitgliedsstaaten. Sie sind nur hinsichtlich ihrer Ziele 4 Vgl Berger/Zleptnig in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 3; Frenz, Vergaberecht EU und national (2018) Rz 2 ff. 5 Vgl Holoubek/Fuchs/Ziniel, Vergaberecht, in Holoubek/Potacs (Hrsg), Öffentliches Wirtschaftsrecht I4 (2019) 858 ff. 6 RL 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe, ABl L 94, 1. 7 RL 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG, ABl L 94, 65. 8 RL 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie-und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG, ABl L 94, 243. 9 RL 2009/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit und zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG, ABl L 216, 76. 10 Vgl Holoubek/Fuchs/Ziniel, Vergaberecht, in Holoubek/Potacs (Hrsg), Öffentliches Wirtschaftsrecht I4 (2019) 865. 11 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) BGBl III 1999/86. Seite 7 von 47
verbindlich und sind in einer bestimmten Frist in den einzelnen Mitgliedsstaaten umzusetzen. Lediglich bei einem Umsetzungsverzug des einzelnen Mitgliedsstaates können sich die Rechtsunterworfenen auf einzelne, ihnen gegenüber dem Staat zu Gute kommende Regelungen einer Richtlinie berufen, sofern diese Regelungen unbedingt und hinreichend bestimmt sind, und für die Anwendung kein Ermessen erforderlich ist.12 Gemäß Art 19 Abs 1 EUV „sichert [der Gerichtshof der EU] die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge“.13 Entstehen im Rahmen der Auslegung des Europarechts Unsicherheiten, können nationale Gerichte – eine Verpflichtung besteht für letztinstanzliche Gerichte – den EuGH anrufen und in einem Zwischenverfahren um eine Entscheidung über die Auslegung von primärem oder sekundärem Unionsrecht oder die Gültigkeit von Sekundärrechtsakten ersuchen. Der EuGH kann in einem solchen Vorabentscheidungsverfahren die Vereinbarkeit von nationalen Vorschriften mit dem Unionsrecht überprüfen.14 Die Entscheidungen des EuGH in Vorabentscheidungsverfahren wirken ex tunc und haben grundsätzlich nur für das Anlassverfahren bindende Wirkung (inter partes Wirkung). Alle Instanzen, die mit dem Anlassverfahren befasst sind, sind an die Entscheidung des EuGH gebunden.15 Auslegungsurteile in Vorabentscheidungsverfahren entfalten jedoch auch darüber hinaus eine faktische Bindungswirkung in die Zukunft, auch für nicht am Verfahren beteiligte Gerichte.16 Sofern nationale, letztinstanzliche Gerichte entgegen der Auslegung 12 Vgl Magiera, Rechtsakte und Rechtssetzung der Union, in Niedobitek (Hrsg), Europarecht. Grundlagen und Politiken der Union2 (2020) § 7 Rz 28; Leidenmühler, Europarecht. Die Rechtsordnung der europäischen Union4 (2020) 52 ff. 13 Art 19 Abs 1 Vertrag über die Europäische Union (EUV) BGBl III 1999/85. 14 Vgl Art 267 AEUV; Schroeder, Durchsetzung des Unionsrechts – Durchführung, Sanktionen, Rechtsschutz, in Niedobitek (Hrsg), Europarecht. Grundlagen und Politiken der Union2 (2020) § 8 Rz 184 f; Leidenmühler, Europarecht. Die Rechtsordnung der europäischen Union4 (2020) 118 ff; Streinz, Europarecht11 (2019) Rz 704 ff. 15 Vgl Schroeder, Durchsetzung des Unionsrechts – Durchführung, Sanktionen, Rechtsschutz, in Niedobitek (Hrsg), Europarecht. Grundlagen und Politiken der Union2 (2020) § 8 Rz 189; Streinz, Europarecht11 (2019) Rz 713. 16 Vgl Schroeder, Durchsetzung des Unionsrechts – Durchführung, Sanktionen, Rechtsschutz, in Niedobitek (Hrsg), Europarecht. Grundlagen und Politiken der Union2 (2020) § 8 Rz 189; Pollak, Bindungswirkung von Auslegungsurteilen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) im Vorabentscheidungsverfahren nach Art 177, RZ 1998, 190. Seite 8 von 47
des EuGH in einem früheren Urteil entscheiden wollen, sind sie zur erneuten Vorlage an den EuGH verpflichtet. Vice versa sind sie an die Rechtsprechung des EuGH gebunden.17 Auch nicht letztinstanzliche Gerichte sind grundsätzlich an die Rechtsprechung des EuGH gebunden. Dies deshalb, da unterlegene Rechtsunterworfene bei einer Entscheidung, der eine abweichende Auslegung des EU-Rechts zugrunde liegt, regelmäßig den Rechtsweg beschreiten werden und das letztinstanzliche Gericht wiederum zur Vorlage der Frage an den EuGH verpflichtet ist.18 Der Rechtsanwender handelt prinzipiell richtig, wenn er sich bei der Anwendung der Vergabegesetze an der Judikatur der Gerichte orientiert, da es bei den meisten Verfahrensarten eine Vielzahl an Verfahrensschritten gibt, die von den am Verfahren beteiligten Unternehmern angefochten werden können.19 B. Umsetzung in Österreich In Österreich erfolgte die Umsetzung der Vergaberichtlinien mit dem Bundesvergabesetz 201820, dem Bundesvergabegesetz Konzessionen 201821 und dem Bundesvergabegesetz Verteidigung und Sicherheit 201222, sowie neun Landesgesetzen23 für den Rechtsschutz.24 Diese Aufsplitterung ergibt sich durch die Kompetenzverteilung in Art 14b B-VG. Die Gesetzgebung des materiellen Rechts ist Bundeskompetenz. Gemäß Art 14b Abs 4 B-VG ist der Bund verpflichtet die Länder bei der Erarbeitung eines 17 Vgl EuGH C-283/81, C.I.L.F.I.T./Ministero della Sanità, ECLI:EU:C:1982:335, Rn 13; Frenz, Handbuch Europarecht V Wirkungen und Rechtsschutz (2010) Rz 3405. 18 Vgl Frenz, Handbuch Europarecht V Wirkungen und Rechtsschutz (2010) Rz 3406. 19 Näheres dazu unter Punkt III.B. Rechtsschutz. 20 Bundesvergabegesetz 2018 (BVergG 2018) BGBl I 2018/65. 21 Bundesvergabegesetz Konzessionen 2018 (BvergGKonz 2018) BGBl I 2018/65. 22 Bundesvergabegesetz Verteidigung und Sicherheit 2012 (BVergGVS 2012) BGBl I 2012/10. 23 Burgenländisches Vergaberechtsschutzgesetz (Bgld. VergRSG) LGBl 2006/66; NÖ Vergabe- Nachprüfungsgesetz (NÖ VNG) LGBl 7200-0; Oö. Vergaberechtsschutzgesetz LGBl 2006/130; Salzburger Vergabekontrollgesetz 2018 (S.VKG 2018) LGBl 2018/63; Steiermärkisches Vergaberechtsschutzgesetz 2018 (StVergRG 2018) LGBl 2018/62; Tiroler Vergabenachprüfungsgesetz 2018 (TVNG 2018) LGBl 2015/94; Vorarlberger Vergabenachprüfungsgesetz LGBl 2003/1; Wiener Vergaberechtsschutzgesetz 2014 (WVRG 2014) LGBl 2016/43. 24 Vgl Walther in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 1853. Seite 9 von 47
Gesetzesentwurfs einzubinden. Diese Mitwirkung geht über eine reine Anhörung hinaus. Eine Kundmachung von Bundesgesetzen im Vergaberecht, deren Vollziehung Landessache ist, darf nur mit Zustimmung der Länder erfolgen.25 Nach dem föderalistischen Prinzip ist die Vollziehung des materiellen Rechts zwischen Bund und den Ländern aufgeteilt. In die Landeskompetenz fällt unter anderem die Vergabe von Aufträgen, die durch das Land, Gemeinden, Gemeindeverbände sowie Landes- und Gemeindegesellschaften durchgeführt werden.26 Die Gesetzgebung zum Rechtsschutz ist nach dem gleichen Prinzip zwischen Bund und Ländern aufgeteilt. Die Regelung der Angelegenheiten der Nachprüfung ist Sache des zuständigen Materiengesetzgebers, also des Bundes. Art 14b Abs 3 B-VG durchbricht jedoch das Adhäsionsprinzip, sodass die Regelung des Nachprüfungsverfahrens Landessache ist.27 Der Rechtsschutz erfolgt für die Vergabe von Aufträgen des Bundes vor dem Bundesverwaltungsgericht, für die Vergabeverfahren der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände vor dem jeweiligen Landesverwaltungsgericht.28 Die Umsetzung der Vergaberichtlinien der EU in nationales Recht erfolgt daher in erster Linie – unter der Mitwirkung der Länder – durch den Bund (materielles Recht und Rechtsschutz für Vergabeverfahren durch den Bund). Dabei wird, soweit dies möglich ist, auf Gold Plating verzichtet. Es wird also angestrebt keine höheren Standards festzulegen als in den Richtlinien gefordert sind. Eine inhaltliche Übererfüllung im Anwendungsbereich der Richtlinie soll vermieden werden.29 Auch im aktuellen Regierungsprogramm wird die Vermeidung von Gold Plating, sowie die Deregulierung bei bereits erfolgtem Gold Plating gefordert.30 25 Vgl Rill in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht (2015) Art 14b B-VG, 28; Muzak, Bundes-Verfassungsrecht6 (2020) Art 14b B-VG Rz 6 f. 26 Vgl Berger/Zleptnig in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 66 ff; Muzak, BundesVerfassungsrecht6 (2020) Art 14b B-VG Rz 3 f 27 Vgl VfGH G 205/2018 VfSlg 20.301 = RPA 2019, 218; Muzak, Bundes-Verfassungsrecht6 (2020) Art 14b B-VG Rz 5; Fruhmann, Regelung des Landes hängt von vorheriger materieller Vergaberegelung des Bundes ab, ZVB 2019/39, 150-155 (151). 28 Vgl Berger/Zleptnig in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 68. 29 Vgl ErläutRV 69 BlgNr 26. GP 1; Leidenmühler, Die freiwillige „Übererfüllung“ unionsrechtlicher Vorgaben durch die Mitgliedsstaaten. Ein Beitrag zur rechtsdogmatischen und rechtspolitischen Diskussion um das sog. „Gold Plating“, EuR 4/2019, 383-399 (386). 30 Vgl Bundeskanzleramt Österreich, Aus Verantwortung für Österreich. Regierungsprogramm 2020-2024 (2020) 63 f. Seite 10 von 47
Der VfGH fordert auch im Unterschwellenbereich gesetzliche Regelungen, die den Unternehmern einen Rechtsschutz ermöglichen.31 Bei der Festlegung von Vorschriften für den Unterschwellenbereich, welcher nicht Richtlinieninhalt ist und damit nicht der Harmonisierung der EU unterliegt, orientiert sich der nationale Gesetzgeber an den Vorgaben für den Oberschwellenbereich. Diese autonome Übernahme, bei dem die Vorgaben der Richtlinie für einen Anwendungsbereich, der außerhalb der Richtlinie liegt, übernommen werden, dient letztendlich der Schaffung eines durchgängigen Systems.32 Die Entscheidungen der nationalen Gerichte entfalten nur für den Anlassfall Bindungswirkung.33 Das Vergaberecht ist jedoch sehr von der Rechtsfortbildung durch die Judikatur des EuGH geprägt, weshalb hier auf die vorangegangenen Ausführungen verwiesen wird. C. Grundsätze des Vergabeverfahrens Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten sind die Bestimmungen des AEUV – die Grundfreiheiten und das allgemeine Diskriminierungsverbot – unmittelbar anwendbar.34 In den Vergaberichtlinien sind Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung, Transparenz und Verhältnismäßigkeit als Grundsätze der Auftragsvergabe vorgegeben.35 Der nationale Gesetzgeber hat diese Leitlinien in § 20 Abs 1 BVergG 2018 übernommen und für alle Vergabeverfahren – unabhängig ob im Oberschwellenbereich oder im Unterschwellenbereich – in 31 Vgl ErläutRV 69 BlgNr 26. GP 2; VfGH G 110/99 ua VfSlg 16.027. 32 Vgl Leidenmühler, Die freiwillige „Übererfüllung“ unionsrechtlicher Vorgaben durch die Mitgliedsstaaten. Ein Beitrag zur rechtsdogmatischen und rechtspolitischen Diskussion um das sog. „Gold Plating“, EuR 4/2019, 383-399 (386 f). 33 Vgl Hauer, Staats- und Verwaltungshandeln5 (2017) Rz 436. 34 Vgl Berger/Zleptnig in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 7. 35 Vgl Art 18 Abs 1 RL 2014/24/EU, ABl L 94, 65; Art 3 Abs 1 RL 2014/23/EU, ABl L 94, 1; Art 36 Abs 1 RL 2014/25/EU, ABl L 94, 243. Seite 11 von 47
Geltung gesetzt.36 Diese Grundsätze sind insbesondere zur Interpretation der Verfahrensbestimmungen heranzuziehen.37 Die Bestimmungen im Vergaberecht zum Rechtsschutz der am Verfahren beteiligten Unternehmer ermöglichen es denselben sich gegen Verstöße des öffentlichen Auftraggebers gegen Verfahrensbestimmungen oder die Grundsätze des Vergabeverfahrens zu wehren.38 1. Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung Um ein Vergabeverfahren fair und neutral durchführen zu können, sind alle Bewerber und Bieter gleich zu behandeln. Das Diskriminierungsverbot und das Gleichbehandlungsgebot zählen somit zu den wichtigsten Verfahrensgrundsätzen. Die Einhaltung der Grundsätze soll die Bevorzugung von Bietern durch öffentliche Auftraggeber verhindern.39 Diese Grundsätze gelten in jeder Phase eines Vergabeverfahrens. Sowohl Unternehmer, die bereits ein Angebot abgegeben haben (Bieter), als auch an der Ausschreibung interessierte Unternehmer (potenzielle Bieter) sind vom Auftraggeber gleich zu behandeln. Der Auftraggeber hat daher bereits die Ausschreibungsunterlagen diskriminierungsfrei zu verfassen.40 Das Gleichbehandlungsgebot zeigt sich unter anderem darin, dass allen Bewerbern und Bietern unter den gleichen Bedingungen die Abgabe eines Angebotes oder Teilnahmeantrags ermöglicht werden muss. Hat ein Unternehmer in einem Vergabeverfahren Vorarbeiten erbracht, so ist der Auftraggeber verpflichtet einen allenfalls entstandenen Vorteil gegenüber anderen Bewerbern bzw Bietern auszugleichen. Der Auftraggeber ist an die von 36 Die Grundsätze des Vergabeverfahrens sind für Sektorenauftraggeber in § 193 Abs 1 BVergG 2018 und für die Vergabe von Konzessionen in § 14 Abs 1 BVergGKonz 2018 normiert. 37 Vgl Eilmannsberger/Fruhmann in Schramm/Aicher/Fruhmann/Thienel (Hrsg), Bundesvergabegesetz 20062 (2009) § 19 Rz 1; Fink/Heid in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 763. 38 Vgl Dillinger/Oppel, Das neue Bundesvergabegesetz 2018 (2018) Rz 2.24. 39 Vgl Eilmannsberger/Fruhmann in Schramm/Aicher/Fruhmann/Thienel (Hrsg), Bundesvergabegesetz 20062 (2009) § 19 Rz 11. 40 Vgl EuGH C-16/98, Kommission/Frankreich, ECLI:EU:C:2000:541, Rn 107 ff; EuGH C-87/94, Kommission/Belgien, ECLI:EU:C:1996:161, Rn 54; Eilmannsberger/Fruhmann in Schramm/Aicher/Fruhmann/Thienel (Hrsg), Bundesvergabegesetz 20062 (2009) § 19 Rz 20. Seite 12 von 47
ihm festgelegten Ausschreibungsbestimmungen gebunden und darf davon nicht abweichen, damit die Gleichbehandlung aller Unternehmer sichergestellt ist. Angebote müssen den Ausschreibungsbestimmungen entsprechen, um eine Vergleichbarkeit aller Angebote zu erreichen.41 2. Transparenz Um eine Gleichbehandlung aller Bewerber bzw Bieter gewährleisten zu können, muss jedes Vergabeverfahren ein gewisses Maß an Öffentlichkeit beinhalten. So sind beispielsweise Zuschlagskriterien in den Ausschreibungsunterlagen zu veröffentlichen. Der Auftraggeber hat des Weiteren seine Zuschlagsentscheidung ausreichend zu begründen, um für die Bieter die Voraussetzung zu schaffen die Entscheidung, warum der Zuschlag an den präsumtiven Zuschlagsempfänger erteilt werden soll, soweit nachvollziehen zu können, dass eine Nachprüfung der Entscheidung möglich wäre. Nur eine transparente Verfahrensführung ermöglicht auch eine Kontrolle der Gleichbehandlung.42 3. Verhältnismäßigkeit Der Auftraggeber hat in einem Vergabeverfahren verschiedene Festlegungen vorzunehmen, die auf Unternehmer, welche sich am Verfahren beteiligen wollen, große Auswirkungen haben. Die Festlegung der Eignungskriterien hat im Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand zu erfolgen. Hierbei muss verhältnismäßig vorgegangen werden.43 Auch bei der Beurteilung verschiedener Ausschlussgründe ist Verhältnismäßigkeit an den Tag zu legen – so ist zB die Dauer eines Ausschlusses aus Vergabeverfahren nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beurteilen.44 Insbesondere Beschränkungen in Bezug auf Bietergemeinschaften oder die Beteiligung von Subunternehmern 41 Vgl EuGH C-87/94, Kommission/Belgien, ECLI:EU:C:1996:161, Rn 56; Heid/Ring in Heid/Reisner/Deutschmann/Hofbauer, BVergG 2018 (2019) § 20 Rz 4; Heid/Kurz in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 1158 f. 42 Vgl Heid/Ring in Heid/Reisner/Deutschmann/Hofbauer, BVergG 2018 (2019) § 20 Rz 8 ff. 43 Vgl Heid/Ring in Heid/Reisner/Deutschmann/Hofbauer, BVergG 2018 (2019) § 20 Rz 11. 44 Vgl Deutschmann/Heid in Heid/Reisner/Deutschmann/Hofbauer, BVergG 2018 (2019) § 83 Rz 14 ff. Seite 13 von 47
unterliegen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung, da diese einen Unternehmer unmittelbar von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren abhalten können.45 4. Freier und lauterer Wettbewerb Der freie Wettbewerb ist direkter Ausfluss der Warenverkehrs-, Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit. Der Wettbewerb darf keinen Zugangs- oder Ausübungsbeschränkungen unterliegen.46 In diesem Zusammenhang ist auf die Pflicht des Auftraggebers hinzuweisen die zu beschaffende Leistung neutral zu beschreiben, damit der Bieterkreis nicht eingeschränkt wird.47 Der lautere Wettbewerb ergibt sich aus dem Verhalten der Bieter zum Auftraggeber bzw untereinander.48 Das BVergG 2018 normiert beispielsweise eine Verpflichtung des Auftraggebers Unternehmer aus dem Vergabeverfahren auszuschließen, die versucht haben „die Entscheidungsfindung des Auftraggebers in unzulässiger Weise zu beeinflussen“49. Eine solche Verpflichtung besteht auch bei hinreichend plausiblen Anhaltspunkten, dass zwischen Unternehmern Preisabsprachen erfolgten.50 45 Vgl Heid/Ring in Heid/Reisner/Deutschmann/Hofbauer, BVergG 2018 (2019) § 20 Rz 11. 46 Vgl Heid/Ring in Heid/Reisner/Deutschmann/Hofbauer, BVergG 2018 (2019) § 20 Rz 12. 47 Vgl VwGH 01.02.2017, Ro 2016/04/0054; Frenz, Handbuch Europarecht I Europäische Grundfreiheiten2 (2012) Rz 851; Kromer, Produktspezifische Beschaffungen unter dem BVergG 2018, ZVB 2019/79, 321- 325 (321). 48 Vgl ErläutRV 69 BlgNR 26. GP 52. 49 § 78 Abs 1 Z 11 BVergG 2018. 50 Vgl § 78 Abs 1 Z 4 und Z 11 BVergG 2018; Heid/Ring in Heid/Reisner/Deutschmann/Hofbauer, BVergG 2018 (2019) § 20 Rz 13; Eilmannsberger/Fruhmann in Schramm/Aicher/Fruhmann/Thienel (Hrsg), Bundesvergabegesetz 20062 (2009) § 19 Rz 33. Seite 14 von 47
III. Ablauf eines Vergabeverfahrens In den nationalen Vergabegesetzen sind verschiedene Arten von Vergabeverfahren vorgesehen.51 Der öffentliche Auftraggeber hat das Verfahren nach der Auftragsart und dem geschätzten Auftragswert zu wählen.52 Die Standardverfahren für den klassischen öffentlichen Auftraggeber sind im Ober- und im Unterschwellenbereich das offene Verfahren und das nicht offene Verfahren mit vorheriger Bekanntmachung.53 A. Kurz-Übersicht über ein Vergabeverfahren nach dem BVergG 2018 Für den klassischen öffentlichen Auftraggeber ist – abgesehen von Konzessionsvergaben – das BVergG 2018 einschlägig.54 Bei der Beschreibung eines Vergabeverfahrens wird daher auf die Bestimmungen für ein offenes Verfahren nach dem BVergG 2018 zurückgegriffen. Noch vor Beginn des eigentlichen Verfahrens sind die Ausschreibungsunterlagen (oder Auftragsunterlagen) – das Kernstück eines Vergabeverfahrens – zu erstellen. Die Ausschreibungsunterlagen umfassen neben den Ausschreibungsbestimmungen auch den Vertrag, der am Ende des Vergabeverfahrens zwischen Auftraggeber und Unternehmer abgeschlossen werden soll.55 Das offene Verfahren ist als einstufiges Vergabeverfahren ausgebildet. Nach der öffentlichen Bekanntmachung der Ausschreibung kann eine unbeschränkte Anzahl an Bietern ein Angebot abgeben.56 Eine Vergabe darf jedoch nur an geeignete Unternehmer erfolgen. Aus diesem Grund hat der Auftraggeber in den Ausschreibungsbestimmungen für jedes einzelne Vergabeverfahren spezifische 51 Vgl §§ 31, 203 BVergG 2018; § 23 BVergGVS 2012; Holoubek/Fuchs/Ziniel, Vergaberecht, in Holoubek/Potacs (Hrsg), Öffentliches Wirtschaftsrecht I4 (2019) 907. 52 Vgl §§ 12 ff BVergG 2018 und §§ 33 ff BvergG 2018. 53 Vgl § 33 BVergG 2018; Fink/Heid in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 787. 54 Vgl § 1 Z 1 BVergG 2018. 55 Vgl §§ 91, 105, 106 und 110 BVergG 2018; Heid/Kurz in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 1153 ff. 56 Vgl § 31 Abs 2 BVergG 2018; Fink/Heid in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 788; Holoubek/Fuchs/Ziniel, Vergaberecht, in Holoubek/Potacs (Hrsg), Öffentliches Wirtschaftsrecht I4 (2019) 908. Seite 15 von 47
Kriterien festzulegen, welche die Mindestanforderungen an Unternehmer für die Teilnahme am Vergabeverfahren darstellen. Kann ein Unternehmer diese Eignungskriterien nicht erfüllen, ist das Angebot dieses Unternehmers aus dem Vergabeverfahren auszuscheiden.57 Um später das technisch und wirtschaftlich günstigste Angebot ermitteln zu können, hat der Auftraggeber nichtdiskriminierende, auftragsbezogene Zuschlagskriterien festzulegen, die eine objektive Bewertung der eingegangenen Angebote ermöglichen.58 Unmittelbar vor Einleitung des Vergabeverfahrens hat die sachkundige Ermittlung des geschätzten Auftragswertes zu erfolgen, welcher Grundlage für die Wahl des Vergabeverfahrens ist.59 Das Verfahren wird mit der Veröffentlichung der Bekanntmachung eingeleitet.60 Zu diesem Zeitpunkt sind auch den Unternehmern die Ausschreibungsunterlagen zur Verfügung zu stellen.61 Im Oberschwellenbereich sind Vergabeverfahren verpflichtend elektronisch durchzuführen.62 Während der Angebotsfrist werden etwaige Bieterfragen beantwortet und der Auftraggeber kann die Ausschreibungsunterlage, falls erforderlich, berichtigen. Die Unternehmer sind von etwaigen Klarstellungen und Berichtigungen zeitgerecht in Kenntnis zu setzen.63 Bis zum Ende der Angebotsfrist haben die Unternehmer Zeit ihre Angebote einzubringen.64 57 Vgl §§ 2 Z 22 lit c, 20 Abs 1, 80 Abs 1 und 141 Abs 1 Z 2 BVergG 2018; Dillinger/Oppel, Das neue Bundesvergabegesetz 2018 (2018) Rz 2.21. 58 Vgl §§ 2 Z 22 lit d und 91 Abs 4 BVergG 2018; Dillinger/Oppel, Das neue Bundesvergabegesetz 2018 (2018) Rz 2.23. 59 Vgl § 13 Abs 3 BVergG 2018; Dillinger/Oppel, Das neue Bundesvergabegesetz 2018 (2018) Rz 3.66 und 3.161. 60 Vgl § 13 Abs 3 BVergG 2018; Fink/Heid in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 788. 61 Vgl § 89 Abs 1 BVergG 2018; Fink/Heid in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 789 f. 62 Vgl § 48 Abs 2 BVergG 2018; Dillinger/Oppel, Das neue Bundesvergabegesetz 2018 (2018) Rz 2.21. 63 Vgl §§ 69, 72 und 101 BVergG 2018; Dillinger/Oppel, Das neue Bundesvergabegesetz 2018 Rz 3.206 ff. 64 Vgl § 129 BVergG 2018; Fink/Hofer in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 1546. Seite 16 von 47
Nach Ablauf der Angebotsfrist werden die Angebote geöffnet.65 Bis zu diesem Zeitpunkt sind die Anzahl und die Namen der am Verfahren interessierten Unternehmer bzw der Unternehmer, die bereits ein Angebot abgegeben haben, geheim zu halten.66 Im Anschluss an die Angebotsöffnung beginnt die Phase der Angebotsprüfung.67 Die Angebote sind von sachkundigen Personen zu prüfen.68 Hierbei werden unter anderem die Vollständigkeit der Angebote, die Übereinstimmung der Angebote mit den Ausschreibungsunterlagen, die Eignung der Bieter und ihrer Subunternehmer, das Nicht-Vorliegen von Ausschlussgründen, sowie die Preisangemessenheit der Angebote geprüft.69 Liegen in Angeboten Mängel vor, so erfolgt bei behebbaren Mängeln ein Mängelbehebungsverfahren. Sind Angebote mit nicht behebbaren Mängeln behaftet, so sind diese aus dem Vergabeverfahren auszuscheiden.70 Die im Vergabeverfahren verbliebenen Angebote sind nach den in der Ausschreibung festgelegten Zuschlagskriterien zu bewerten und so das technisch und wirtschaftlich günstigste Angebot zu ermitteln.71 Die im Vergabeverfahren verbliebenen Bieter sind über die Zuschlagsentscheidung des Auftraggebers zu informieren. Die Zuschlagsentscheidung ist ausreichend zu begründen.72 65 Vgl § 133 Abs 1 BVergG 2018; Kondert in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 1521. 66 Vgl § 112 Abs 4 BVergG 2018; Fink/Heid in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 792. 67 Vgl §§ 134 ff BVergG 2018; Fink/Hofer in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 1532. 68 Vgl § 134 BVergG 2018; Fink/Hofer in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 1536. 69 Vgl § 135 BvergG 2018; Fink/Hofer in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 1533. 70 Vgl §§ 138 f und 141 BVergG 2018; Fink/Hofer in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 1597 ff. 71 Vgl § 142 Abs 1 BVergG 2018; Fink/Hofer in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 1532; Dillinger/Oppel, Das neue Bundesvergabegesetz 2018 (2018) Rz 5.74. 72 Vgl § 143 BVergG 2018; Fink/Heid in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 804; Dillinger/Oppel, Das neue Bundesvergabegesetz 2018 (2018) Rz 7.10 ff. Seite 17 von 47
Nach Ablauf der Stillhaltefrist kann an den präsumtiven Zuschlagsempfänger der Zuschlag erteilt werden.73 Mit der Zuschlagserteilung ist das Vergabeverfahren beendet.74 Liegen jedoch Umstände vor, wegen denen der Auftraggeber keinen Zuschlag erteilen darf oder möchte, so ist das Vergabeverfahren stattdessen mittels Widerruf zu beenden.75 Im Oberschwellenbereich und bei Vergabeverfahren, die vom Bund durchgeführt werden, ist die Vergabe des Auftrages nach Zuschlagserteilung öffentlich bekannt zu geben (Bekanntgabe vergebener Aufträge).76 B. Rechtsschutz Die Vergabekontrolle erfolgt vor dem Verwaltungsgericht des Bundes bzw vor den Verwaltungsgerichten der Länder.77 Bis zur Zuschlagserteilung bzw Widerrufserklärung ist ein Unternehmer berechtigt einen Nachprüfungsantrag gegen eine gesondert anfechtbare Entscheidung eines Auftraggebers wegen einer Rechtswidrigkeit zu stellen, sofern ein Vertragsabschlussinteresse behauptet wird und ihm durch die Rechtswidrigkeit ein Schaden entstanden ist.78 Nach Beendigung des Vergabeverfahrens durch eine Zuschlagserteilung oder die Erklärung eines Widerrufes steht dem Bieter unter den gleichen Bedingungen ein Feststellungsverfahren offen, sofern er die Rechtswidrigkeit nicht in einem Nachprüfungsverfahren geltend machen hätte können.79 Die erste gesondert anfechtbare Entscheidung des Auftraggebers in einem Vergabeverfahren liegt bereits in einem frühen Stadium des Vergabeverfahrens vor. Mit der Bekanntmachung des Vergabeverfahrens werden die 73 Vgl §§ 144 Abs 1 und 145 BVergG 2018; Fink/Heid in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 805; Dillinger/Oppel, Das neue Bundesvergabegesetz 2018 (2018) Rz 2.24. 74 Vgl § 146 Abs 1 BVergG 2018; Dillinger/Oppel, Das neue Bundesvergabegesetz 2018 (2018) Rz 2.24; Keschmann in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 1701. 75 Vgl §§ 146 Abs 1 und 149 BVergG 2018; Dillinger/Oppel, Das neue Bundesvergabegesetz 2018 (2018) Rz 3.213; Sturm in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 1617. 76 Vgl §§ 61 f BVergG 2018; Dillinger/Oppel, Das neue Bundesvergabegesetz 2018 (2018) Rz 3.198 ff; Auprich in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 1732. 77 Vgl Berger/Zleptnig in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 68. 78 Vgl § 342 Abs 1 BVergG 2018; Walther in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 2039. 79 Vgl § 353 Abs 1 BVergG 2018; Walther in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 2366. Seite 18 von 47
Ausschreibungsunterlagen vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt, welche von den Unternehmern mit einem Nachprüfungsantrag anfechtbar sind. Die letzte gesondert anfechtbare Entscheidung liegt in der Zuschlagsentscheidung des Auftraggebers – bzw bei einem Widerruf der Ausschreibung in der Widerrufsentscheidung – , die allen Bietern zugestellt werden muss.80 Dem System der gesondert anfechtbaren Entscheidungen ist immanent, dass bei Nichtanfechtung einer solchen Entscheidung alle vorangegangenen Verfahrensschritte bestandsfest werden und somit nicht mehr angefochten werden können. Mit Ablauf der Anfechtungsfrist (Präklusionsfrist) geht der Anspruch auf Nachprüfung somit verloren.81 Hat die zuständige Vergabekontrollbehörde einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das BVergG 2018 festgestellt, hat ein Bewerber bzw Bieter des Weiteren die Möglichkeit nach den zivilrechtlichen Bestimmungen Schadenersatz vor den ordentlichen Gerichten einzuklagen.82 C. Vergleichbarkeit von Angeboten Die Notwendigkeit der Vergleichbarkeit von Angeboten ergibt sich bereits aus den Verfahrensgrundsätzen. Insbesondere das Gleichbehandlungsgebot und das Diskriminierungsverbot sind hier einschlägig.83 Um in einem Vergabeverfahren den präsumtiven Zuschlagsempfänger ermitteln zu können, ist es erforderlich, dass die Angebote der verschiedenen Bieter miteinander vergleichbar sind.84 80 Vgl § 2 Z 15 lit a sublit aa BVergG 2018; Heid/Kurz in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 1161. 81 Vgl ErläutRV 69 BlgNR 26.GP 198; VwGH 2013/04/0149 mwN Moick/Gföhler, BVergG 2018 § 343 (Stand 01.08.2018, rdb.at) E 52; VwGH 2007/04/0090 mwN Moick/Gföhler, BVergG 2018 § 343 (Stand 01.08.2018, rdb.at) E 39; Dillinger/Oppel, Das neue Bundesvergabegesetz 2018 (2018) Rz 2.25; Reisner in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 2047. 82 Vgl § 369 BVergG 2018; Kurz in Heid/Reisner/Deutschmann/Hofbauer, BVergG 2018 (2019) § 369 Rz 4; Walther in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 2366. 83 Vgl Kurz in Heid/Reisner/Deutschmann/Hofbauer, BVergG 2018 (2019) § 104 Rz 1. 84 Vgl § 88 Abs 2 BVergG 2018; Dillinger/Oppel, Das neue Bundesvergabegesetz 2018 (2018) Rz 5.74. Seite 19 von 47
Die Bieter müssen bei der Abgabe ihres Angebotes die Vorgaben des Auftraggebers in den Ausschreibungsunterlagen einhalten. Daher ist es unabdingbar, dass die Ausschreibungsunterlagen derart gestaltet sind, dass eine Vergleichbarkeit der Angebote gewährleistet werden kann.85 Aus diesem Grund hat der Auftraggeber die Ausschreibungsbestimmungen, die allgemeinen und die technischen Vertragsbestimmungen, sowie das Leistungsverzeichnis so klar und präzise auszuarbeiten, dass die Bieter in die Lage versetzt werden die ausgeschriebene Leistung zu kalkulieren, sowie die geforderten Produkte anzubieten.86 Im offenen und im nicht offenen Verfahren darf über den Inhalt der Angebote nicht verhandelt werden, sodass eine Angebotsänderung nach der Öffnung der Angebote nicht möglich ist.87 Eine unklare Ausschreibung, die zu nicht vergleichbaren Angeboten führt, verpflichtet den Auftraggeber aufgrund des Gleichbehandlungsgebots zu einem Widerruf des Vergabeverfahrens.88 85 Vgl §§ 104 Abs 1 und 125 Abs 1 BVergG 2018; Smutek in Heid/Reisner/Deutschmann/Hofbauer, BVergG 2018 (2019) § 125 Rz 2. 86 Vgl §§ 88 Abs 2 und 104 Abs 1 BVergG 2018; Heid/Kurz in Heid/Preslmayr (Hrsg), Handbuch Vergaberecht4 (2015) Rz 1164. 87 Vgl § 112 Abs 3 BVergG 2018; Hofbauer in Heid/Reisner/Deutschmann/Hofbauer, BVergG 2018 (2019) § 112 Rz 6. 88 Vgl Reisinger/Ullreich in Heid/Reisner/Deutschmann/Hofbauer, BVergG 2018 (2019) § 148 Rz 1 ff. Seite 20 von 47
IV. Bieterlücken A. Allgemeines Das BVergG 2018 verlangt eine neutrale Leistungsbeschreibung. Das Fordern von bestimmten Produkten, Methoden oder Verfahren ist nach § 106 Abs 5 BVergG 2018 grundsätzlich nicht zulässig.89 Da die Bezugnahme auf ein bestimmtes Produkt den häufigsten der genannten Fälle darstellt, wird in der Folge eine produktspezifische Ausschreibung stellvertretend für alle Abweichungen von einer neutralen Ausschreibung herangezogen. Bei vielen Leistungen, vor allem bei Bauleistungen, werden verschiedene Produkte für die Erbringung einer Leistung eingesetzt. Bei einer Ausschreibung von Fliesenlegerarbeiten hat der Bieter unter anderem ein Produkt „Fliese“, ein Produkt „Abdichtung“, ein Produkt „Fliesenkleber“ oder auch ein Produkt „Revisionsschachtabdeckung“ anzubieten. Gestaltet der Auftraggeber nun eine neutrale Ausschreibung, so hat er für jedes dieser Produkte eindeutige Anforderungen zu beschreiben, ohne auf ein bestimmtes Produkt abzustellen (Prinzip der produktneutralen Ausschreibung). Selbst wenn ihm dies gelingt, steht er nach Abgabe der Angebote vor dem Problem, dass er nicht weiß, welche Produkte der Bieter nun tatsächlich einbauen wird.90 Aus diesem Grund werden bei der neutralen Ausschreibung einer Leistung Bieterlücken verwendet. „Bei Bieterlücken handelt es sich um freie Zeilen oder Teile davon, in die der Bieter das von ihm angebotene Produkt, Verfahren oder Leistungsmerkmal einträgt.“91 Oppel beschreibt Bieterlücken als eine „konkrete Lösungsmöglichkeit für öffentliche Auftraggeber, die Ausschreibungsunterlage 89 Vgl Kromer, Produktspezifische Beschaffungen unter dem BVergG 2018, ZVB 2019/79, 321-325 (321). 90 Vgl Dillinger/Oppel, Das neue Bundesvergabegesetz 2018 (2018) Rz 5.143. 91 BVwG W123 2171271-2 ZVB 2018/17 (Reisinger/Ullreich); BVwG W123 2133597-2 ZVB 2017/3 (Grasböck). Seite 21 von 47
so zu gestalten, dass dem Erfordernis der Zulassung gleichwertiger Produkte entsprochen wird.“92 Mit Bieterlücken kann der Auftraggeber bei einer neutralen Ausschreibung das vom Bieter angebotene Produkt abfragen, um bei der Angebotsprüfung die Übereinstimmung des angebotenen Produkts mit den in der Ausschreibung vorgegebenen Anforderungen zu überprüfen.93 Des Weiteren ist in Ausnahmefällen die Ausschreibung eines bestimmten Produktes (ohne den Zusatz „oder gleichwertig“) oder die Angabe eines Leitproduktes (mit dem Zusatz „oder gleichwertig“) möglich. Ein bestimmtes Produkt darf nur in sehr engen Grenzen und bei sachlicher Rechtfertigung ausgeschrieben werden. Dies kann zB aus Kompatibilitätsgründen erforderlich sein.94 Wird ein konkretes Produkt ausgeschrieben, erübrigt sich eine Angabe eines Produktes durch den Bieter, da er nur dieses bestimmte Produkt anbieten kann. Eine Bieterlücke ist daher nicht erforderlich.95 Gibt der Auftraggeber ein Leitprodukt vor, muss er eine, vom Bieter angebotene, gleichwertige Alternative96 zulassen. Auch hierfür wird im Leistungsverzeichnis eine Bieterlücke vorgesehen.97 92 Oppel in Schramm/Aicher/Fruhmann (Hrsg), Bundesvergabegesetz 20183 (1. Lfg 2020) § 106 Rz 119. 93 Vgl BVwG W123 2171271-2 ZVB 2018/17 (Reisinger/Ullreich); BVA N/0040-BVA/10/2012-27 Rindler/Lehner in Gast (Hrsg), Bundesvergabegesetz Leitsatzkommentar2 (2. ErgLfg 2018) § 135 BVergG 2018 E 66; BVA 27.09.2010, N/0071-BVA/10/210-34. 94 Vgl Dillinger/Oppel, Das neue Bundesvergabegesetz 2018 (2018) Rz 5.143 f; Kromer, Produktspezifische Beschaffungen unter dem BVergG 2018, ZVB 2019/79, 321-325 (323). 95 Vgl Dillinger/Oppel, Das neue Bundesvergabegesetz 2018 (2018) Rz 5.144. 96 Durch das Ausfüllen von Bieterlücken wird jedoch kein Alternativangebot oder Abänderungsangebot erstellt, sondern ein Hauptangebot. Vgl VwGH 2001/04/0250 Moick/Gföhler, BVergG 2018 § 96 (Stand 01.08.2018, rdb.at) E 12; Oppel in Schramm/Aicher/Fruhmann (Hrsg), Bundesvergabegesetz 20183 (1. Lfg 2020) § 106 Rz 75 f. 97 Vgl Dillinger/Oppel, Das neue Bundesvergabegesetz 2018 (2018) Rz 5.145. Seite 22 von 47
B. Unionsrechtliche Bestimmungen Bei den technischen Spezifikationen iSd Vergaberichtlinien handelt es sich um die gesamte technische Beschreibung des Leistungsgegenstandes.98 Die Festlegung der technischen Spezifikationen kann der öffentliche Auftraggeber, einerseits in Form von Leistungs- und Funktionsanforderungen vornehmen, sofern dadurch die Merkmale des Leistungsgegenstands ausreichend beschrieben werden können. Andererseits kann für die Konkretisierung des Leistungsgegenstands unter anderem auf technische europäische und / oder nationale Normen bzw Zulassungen Bezug genommen werden. Auch Mischformen sind denkbar. Die Vergaberichtlinien verpflichten den Auftraggeber hierbei in keiner Weise dazu eine dieser Methoden zu bevorzugen – er kann hier frei wählen.99 Dem Auftraggeber kommt durch diese Bestimmungen in den Vergaberichtlinien grundsätzlich ein weites Ermessen bei der Formulierung der technischen Spezifikationen zu, da er die Anforderungen an den zu beschaffenden Leistungsgegenstand am besten kennt. Der Grundsatz der Gleichbehandlung schränkt dieses weite Ermessen jedoch insofern ein, als die technischen Spezifikationen so zu wählen sind, dass der Wettbewerb nicht ungerechtfertigt behindert wird. Der Bieterkreis soll durch die Wahl der technischen Merkmale nicht unsachlich eingeschränkt werden.100 Um dem Transparenzprinzip zu entsprechen, müssen die in der Ausschreibung festgelegten technischen Spezifikationen eindeutig, klar und präzise sein. Damit wird erreicht, dass alle interessierten Unternehmer die Vorgaben in der Ausschreibung gleich verstehen und so korrekte und vergleichbare Angebote abgeben können.101 98 Vgl Anhang VIII Punkt 1 lit a und b RL 2014/24/EU, ABl L 94, 65. 99 Vgl Art 42 Abs 3 RL 2014/24/EU, ABl L 94, 65; Art 60 Abs 3 RL 2014/25/EU, ABl L 94, 243; Art 17 Abs 3 RL 2009/81/EG, ABl L 219,76; Bittner, Die Grenzen bei der Festlegung von Leistungsanforderungen, ZVB 2019/29 113-117 (114 f). 100 Vgl ErwGr 74 RL 2014/24/EU, ABl L 94, 65; Bittner, Die Grenzen bei der Festlegung von Leistungsanforderungen, ZVB 2019/29 113-117 (115). 101 Vgl Dillinger/Oppel, Das neue Bundesvergabegesetz 2018 (2018) Rz 5.140. Seite 23 von 47
Auf bestimmte Verfahren, Marken, Waren, etc darf nur in sehr engem Rahmen Bezug genommen werden. Dies ist damit begründet, dass durch solche Festlegungen bestimmte Waren (und damit Unternehmer) bevorteilt oder benachteiligt werden.102 Die festgelegten Anforderungen, insbesondere an Produkte (Waren), können eine unionsrechtlich verbotene Maßnahme gleicher Wirkung im Bereich der Warenverkehrsfreiheit darstellen.103 Aus diesem Grund ordnen die Vergaberichtlinien an, dass die Festlegung von technischen Merkmalen über eine solche produktbezogene bzw verfahrensbezogene Angabe nur ausnahmsweise vorgenommen werden darf und jedenfalls der Zusatz „oder gleichwertig“ anzuführen ist.104 Durch das Zulassen gleichwertiger Produkte bzw Waren kann auch der Warenverkehrsfreiheit besser entsprochen werden.105 Die Gleichwertigkeit der vom Bieter angebotenen Produkte hat dieser in seinem Angebot mit geeigneten Mitteln nachzuweisen. Der Auftraggeber kann hierfür die Vorlage spezieller Testberichte bzw Zertifizierungen einer Konformitätsbewertungsstelle verlangen, muss jedoch auch Zertifikate von vergleichbaren Konformitätsbewertungsstellen akzeptieren. Fehlt einem Bieter der Zugang zu diesen Nachweisen oder hat er keine Möglichkeit diese Nachweise zeitgerecht zu erlangen, muss der Auftraggeber auch andere geeignete Nachweise anerkennen.106 C. Nationale Bestimmungen Der Bundesgesetzgeber hat grundsätzlich sowohl für den Unterschwellenbereich als auch für den Oberschwellenbereich für die Vergabe von Aufträgen durch klassische öffentliche Auftraggeber und Sektorenauftraggeber die 102 Vgl Art 42 Abs 4 RL 2014/24/EU, ABl L 94, 65; Art 60 Abs 4 RL 2014/25/EU, ABl L 94, 243; Art 17 Abs 8 RL 2009/81/EG, ABl L 219,76; Art 36 Abs 2 RL 2014/23/EU, ABl L 94, 1. 103 Vgl Holoubek/Fuchs/Ziniel, Vergaberecht, in Holoubek/Potacs (Hrsg), Öffentliches Wirtschaftsrecht I4 (2019) 861; Frenz, Handbuch Europarecht I Europäische Grundfreiheiten2 (2012) Rz 851. 104 Vgl Art 42 Abs 4 RL 2014/24/EU, ABl L 94, 65; Art 60 Abs 4 RL 2014/25/EU, ABl L 94, 243; Art 17 Abs 8 RL 2009/81/EG, ABl L 219,76; Art 36 Abs 2 RL 2014/23/EU, ABl L 94, 1. 105 Vgl Holoubek/Fuchs/Ziniel, Vergaberecht, in Holoubek/Potacs (Hrsg), Öffentliches Wirtschaftsrecht I4 (2019) 861 f. 106 Vgl Art 42 Abs 5 und 6 sowie Art 44 RL 2014/24/EU, ABl L 94, 65; Art 60 Abs 5 und 6 sowie Art 62 RL 2014/25/EU, ABl L 94, 243; Art 17 Abs 4 und 5 RL 2009/81/EG, ABl L 219,76; Art 36 Abs 4 und 5 RL 2014/23/EU, ABl L 94, 1. Seite 24 von 47
Bestimmungen der Vergaberichtlinien in nationales Recht übernommen. Darüber hinaus wurden ergänzende Bestimmungen normiert.107 Sowohl für konstruktive als auch für funktionelle Leistungsbeschreibungen des Auftragsgegenstandes hat der Auftraggeber technische Spezifikationen festzulegen und, sofern erforderlich, durch Pläne, Muster, Proben oder Ähnliches zu vervollständigen.108 Dies gilt auch für teilfunktionale Ausschreibungen.109 Nach der Legaldefinition des BVergG 2018 beschreiben technische Spezifikationen die geforderten Merkmale für die ausgeschriebene Leistung, wobei sich diese Merkmale auf Prozess bzw Methode zur Produktion oder Leistungserbringung, oder den Prozess eines Lebenszyklus-Stadiums beziehen können.110 Die Merkmale müssen sowohl einen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand als auch Verhältnismäßigkeit in Bezug auf den Auftragsgegenstand vorweisen. Nicht erforderlich ist jedoch, dass diese Merkmale materieller Bestandteil der Leistung sind, womit auch soziale oder umweltbezogene Aspekte der Produktion oder der Leistungserbringung gefordert werden können.111 1. Abweichen vom Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung Grundsätzlich hat eine produktneutrale Ausschreibung zu erfolgen.112 Hiervon kann unter sehr restriktiver Auslegung des Ausnahmetatbestands abgewichen werden, wenn der Auftragsgegenstand dies erfordert. Sofern beispielsweise die „Wahrung der technischen Einheit bei der Erweiterung oder 107 Vgl §§ 2 Z 37, 91 Abs 8, 104, 106, 109, 125, 262 Abs 7, 272, 274, 277 und 292 BVergG 2018. Das BVergGVS enthält ähnliche Bestimmungen. Im BVergGKonz 2018 sind die Regelungen etwas weniger detailliert und das BVergGKonz 2018 bezeichnet die technischen Spezifikationen als technische und funktionelle Anforderungen. 108 Vgl §§ 104 und 273 BVergG 2018. 109 Vgl Dillinger/Oppel, Das neue Bundesvergabegesetz 2018 (2018) Rz 5.130 und 5.140. 110 Vgl § 2 Z 37 BVergG 2018. 111 Vgl § 2 Z 37 BVergG 2018; Dillinger/Oppel, Das neue Bundesvergabegesetz 2018 (2018) Rz 5.140. 112 Vgl ErläutRV 69 BlgNR 26.GP 133; Diem in Gölles (Hrsg), BVergG 2018 § 106 (Stand 01.10.2019, rdb.at) Rz 14. Seite 25 von 47
Instandhaltung von Systemen“113 dies notwendig macht, könnte eine produktspezifische Ausschreibung erfolgen.114 Ist es nicht möglich den Auftragsgegenstand ausreichend klar und präzise zu beschreiben, ohne auf ein Leitprodukt Bezug zu nehmen, so ist dies ausnahmsweise zulässig. Dies trifft regelmäßig dann zu, wenn andernfalls die Ausschreibung der Leistung einen unvertretbaren Aufwand darstellen würde, oder durch die Nichtangabe des Leitproduktes die Klarheit der Anforderungen des Auftraggebers an das zu beschaffende Produkt verloren gehen würde. Wenn die Recherchearbeit eines Bieters, welches Produkt alle neutral beschriebenen Anforderungen des Auftraggebers erfüllt, einen zu großen Aufwand bedeuten würde, werden im Leistungsverzeichnis ebenso Leitprodukte verwendet.115 Auch wenn das Gesetz dies nur in Ausnahmefällen zulässt, stellt die Bezugnahme auf ein Leitprodukt in der Praxis eher den Regelfall dar.116 Die Verwendung eines Leitproduktes erfordert den Zusatz „oder gleichwertig“, sodass der Bieter nicht an dieses Leitprodukt gebunden ist. Sofern ausnahmsweise die Ausschreibung eines bestimmten Erzeugnisses mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ erfolgt, sind Kriterien festzulegen, anhand deren die Gleichwertigkeit überprüft werden kann.117 Bei konstruktiven Leistungsbeschreibungen sind im Leistungsverzeichnis freie Zeilen (Bieterlücken) vorzusehen, in die der Bieter Angaben zum angebotenen gleichwertigen Produkt (Fabrikat und Type, etc) anzugeben hat. Macht der Bieter 113 § 106 Abs 5 BvergG 2018. 114 Vgl ErläutRV 69 BlgNR 26.GP 133; Dillinger/Oppel, Das neue Bundesvergabegesetz 2018 (2018) Rz 5.144. 115 Vgl § 106 Abs 5 BvergG 2018; Dillinger/Oppel, Das neue Bundesvergabegesetz 2018 (2018) Rz 5.145; Oppel, Die ÖNORM B 2110 und das neue BVergG 2018 – „Normenbindung neu“. Ausgewählte Themen zur ÖNORM B 2110, ZVB 2019/9, 36-46 (42). 116 Vgl § 106 Abs 6 BVergG 2018; Pachner in Schramm/Aicher/Fruhmann (Hrsg), Bundesvergabegesetz 20062 (3.ErgLfg 2013) § 98 Rz 54. 117 Vgl § 106 Abs 6 BVergG 2018; Diem in Gölles (Hrsg), BVergG 2018 § 106 (Stand 01.10.2019, rdb.at) Rz 39; Kurz in Heid/Reisner/Deutschmann/Hofbauer, BVergG 2018 (2019) § 107 Rz 11;Gruber in Schramm/Aicher/Fruhmann (Hrsg), Bundesvergabegesetz 20183 (1. Lfg 2020) § 125 Rz 31. Seite 26 von 47
keine Angaben, gelten die vom Auftraggeber festgesetzten Produkte als angeboten.118 Die Gleichwertigkeit des angebotenen Produktes ist durch den Bieter nachzuweisen. Hat der Bieter ein anderes jedoch nicht gleichwertiges Erzeugnis angeboten, gilt das ausgeschriebene Produkt nur dann als angeboten, wenn der Bieter dies in seinem Angebot gesondert erklärt.119 2. Echte und unechte Bieterlücken In Österreich werden echte und unechte Bieterlücken unterschieden.120 Bei einer unechten Bieterlücke gibt der Auftraggeber in seiner Ausschreibung ein Leitprodukt vor. Der Bieter kann auch ein davon abweichendes, jedoch gleichwertiges Produkt anbieten, wobei die Gleichwertigkeit vom Bieter nachzuweisen ist.121 Der Bieter kann erklären, dass er die Leitprodukte anbietet, sofern die von ihm angegebenen Produkte nicht gleichwertig zu den Leitprodukten sind.122 Um diese Erklärung für den Auftraggeber leichter erkennbar zu machen, ist diese besonders zu bezeichnen oder hat in einem getrennten Dokument zu erfolgen.123 Bei echten Bieterlücken beschreibt der Auftraggeber ausschließlich anhand objektiver Merkmale, welche Leistung er erwartet – der Auftraggeber gibt also kein Leitprodukt an. Der Bieter muss ein Produkt auswählen und anbieten. Das von ihm angebotene Produkt hat er in der entsprechenden Bieterlücke anzugeben.124 118 Vgl §§106 Abs 6 und 125 Abs 7 BVergG 2018; Diem in Gölles (Hrsg), BVergG 2018 § 106 (Stand 01.10.2019, rdb.at) Rz 37. 119 Vgl § 125 Abs 7 BVergG 2018; Smutek in Heid/Reisner/Deutschmann/Hofbauer, BVergG 2018 (2019) § 125 Rz 14. 120 Vgl Dillinger/Oppel, Das neue Bundesvergabegesetz 2018 (2018) Rz 5.147; Smutek in Heid/Reisner/Deutschmann/Hofbauer, BVergG 2018 (2019) § 125 Rz 11 ff. 121 Vgl § 125 Abs 7 BVergG 2018; Dillinger/Oppel, Das neue Bundesvergabegesetz 2018 (2018) Rz 5.148; Smutek in Heid/Reisner/Deutschmann/Hofbauer, BVergG 2018 (2019) § 125 Rz 11. 122 Vgl § 125 Abs 7 BVergG 2018; Smutek in Heid/Reisner/Deutschmann/Hofbauer, BVergG 2018 (2019) § 125 Rz 14. 123 Vgl ErläutRV 69 BlgNR 26.GP 149; Gruber in Schramm/Aicher/Fruhmann (Hrsg), Bundesvergabegesetz 20183 (1. Lfg 2020) § 125 Rz 28. 124 Vgl BVwG W123 2171271-2 ZVB 2018/17 (Reisinger/Ullreich); BVwG W123 2133597-2 ZVB 2017/3 (Grasböck); BVwG W149 2135160-2 ZVB 2017/64 (Gruber/Gruber). Seite 27 von 47
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