Bildung in der Digitalität - Warum die Digitalisierung die Schule verändert - gedanklich und räumlich - Raiffeisen-Campus
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www.bildung-plus.de|Best.-Nr.9450410 Bildung im digitalen Wandel 1| 2019 Bildung in der Digitalität Warum die Digitalisierung die Schule verändert – gedanklich und räumlich Digitalpakt MakerSpace Soziotechnische Bildung Ein guter Anlass über eine Ein nachhaltiges Eine Notwendigkeit bei der andere Schule nachzudenken Raumkonzept mit Zukunft digitalen Transformation
LERNATELIER Lernen mit Sinn, Verstand und digitalen Medien Didaktische Innovation aus eigener Kraft am Raiffeisen-Campus im Westerwald Fast täglich fordern ExpertInnen und PolitikerInnen neue Schulfächer. Dass mit der Forderung logisch die Ab- schaffung anderer Fächer einhergeht, wird gerne übersehen. Diese Forderungen bleiben ganz in der Denke der alten Schule, obwohl der Wunsch nach mehr Kompetenz in bestimmten Bereichen ja sinnvoll und nachvollzieh- bar ist. Der Raiffeisen-Campus erfüllt diesen Wunsch nach lebensrelevantem und zugleich studienvorbereiten- dem Lernen im Gegenteil zu den Forderungen dadurch, dass er Fächer zurücknimmt und fächerübergreifendes Lernen auch mit Hilfe digitaler Medien organisiert. Unser Verständnis von Lernen sönlichen Interessen ab. Auf etwas Neues nen dabei helfen sollen, die Zukunft des 21. lassen sich Kinder und Erwachsene jedoch Jahrhunderts zu gestalten. Der Raiffeisen-Campus aus dem Wester- gern ein, wenn es für ihr Leben sinnstiftend Im Rahmen der Teilnahme an einem Schul- wald hat sich längst auf den Weg gemacht ist. Deshalb halten wir am Raiffeisen-Cam- entwicklungsprojekt des Pädagogischen – seinen ganz eigenen. Denn Lernen ist ein pus klassischen Unterricht nach Schul- Landesinstituts des Landes Rheinland-Pfalz höchst individueller und aktiver Prozess. fächern, deren Begründung letztlich in lernten wir viele gute Beispiele kennen, wie Daher sind starre, durch die Lehrkraft klein- Lehrplänen fußt, nicht für allein zielführend, Schule und vor allem das Lernen besser schrittig gesteuerte, Strukturen und Prin- sondern gestalten fachübergreifende, sinn- gelingt, und erhielten die richtigen Impulse, zipien der Vereinheitlichung keine guten voll an einen Kontext gebundene, individu- über unsere Schul- und Unterrichtsentwick- Voraussetzungen für die Gestaltung von elle Lernumgebungen für unsere Lernenden lung nachzudenken. Wir entwickelten da- Unterricht. Neugier und das Einlassen auf – um mit ihnen gemeinsam, auf Augenhö- raufhin eine ganz eigenständige Vision mit Lernprozesse hängen stark von den per- he, die Kompetenzen zu erwerben, die ih- zahlreichen Meilensteinen für die nächsten „Schulfamilie“ ist am Raiffeisen-Campus nicht nur ein Wort, sondern Programm i © Fotos: Raiffeisen Campus bildung+ schule digital 1| 2019 17
LERNATELIER i Jahrzehnte und entschieden uns gemein- sam als Team für die Umsetzung dieser Vi- Raiffeisen-Campus – sion, indem wir damit begonnen haben, Lernen im familiären Umfeld und im 21. Jahrhundert sinnhaftes individuelles Lernen fachunab- hängig zu gestalten. Der Raiffeisen-Campus ist ein privates Ganztagsgymnasium in genossenschaftlicher Träger- schaft in Dernbach/Westerwald mit ca. 400 Lernenden. Das Abitur nennen wir nicht nur so, son- dern verstehen es tatsächlich als Nachweis Allgemeiner Hochschulreife mit allen persönlichen und fachlichen Kompetenzen und Fähigkeiten, die für ein Studium nötig sind. Also richten wir un- Vom Lehrplan zum Lernatelier ser pädagogisches und didaktisches Handeln bereits ab Klasse 5 ganz auf dieses Ziel aus. An un- serer Schule, die erst 2011 gegründet wurde, haben wir von Beginn an mit digitalen Werkzeugen Am Anfang steht die buchstäbliche Sezie- gearbeitet, die das Lernen, aber auch die Schulorganisation, vereinfachen und effizienter gestal- rung aller Lehrpläne einer Jahrgangsstufe. ten. Digitalität ist kein modernistischer Selbstzweck, sondern ermöglicht mehr persönliche Begeg- Wie mit einer kleinen Schere teilen wir alle nung und Beratung, fernab von Bildschirmen. Eine wesentliche Rolle auf allen Ebenen der Schule Lehrpläne in einzelne Kompetenzziele. spielen die Werte des Westerwälder Sozialreformers und Genossenschaftsgründers Friedrich- Die einzelnen Fachkonferenzen entscheiden Wilhelm Raiffeisen (1818 –1888), die wir im familiären Schulalltag achtsam miteinander leben. nun mit einem sehr genauen Blick auf den Dabei führen uns die christlichen Werte zur Offenheit gegenüber allen Menschen aller Konfes- Lehrplan, welche Kompetenzen sich beson- sionen und Religionen. Unser Verständnis von Leistungsorientierung und Leistungsforderung ist ders dafür eignen, eigenverantwortlich und die achtsame Begleitung Lernender zur eigenen Selbstständigkeit. Dabei ist das Selbstverständ- selbstständig von Lernenden erworben zu nis unserer Lehrer, als Team auf der Grundlage einer gemeinsamen, wertebasierten Haltung zu handeln, unverzichtbar für die gelingende Entwicklung von zukunftsweisenden Kompetenzen al- werden und welche Kompetenzen eine en- ler Mitglieder der Schulfamilie. ger geführte Begleitung durch die Fachlehr- kraft erfordern – beispielsweise, weil der Fremdsprachenlehrer als mündliches Vor- bild im direkten Dialog mit den Lernenden stehen oder die Korrektur der Aussprache zeitnah zur Übung erfolgen muss. Wenn diese Entscheidung gefallen ist, blei- ben die Kompetenzen auf dem Tisch, die im Lernatelier erworben werden sollen. In der Betrachtung all dieser Kompetenzen für den eigenverantwortlichen Lernprozess werden Überschneidungen markiert und Dopplun- gen entfernt und der Tisch leert sich sichtbar. Rasch finden sich gute Anknüpfungspunk- te für gemeinsame Lernprozesse über die Fächergrenzen hinaus. Der entscheidende kreative Schritt folgt danach: Sinnstiftende Kontexte finden, innerhalb derer alle diese Kompetenzen zugeordnet werden können. Dazu bilden wir fachgemischte Autoren- teams zur Erarbeitung einer Lernumgebung, die wir Lernateliers nennen. Diese Lernate- liers beanspruchen inzwischen ca. ein Drittel der Stunden in den beteiligten Jahrgangs- stufen der Sekundarstufe 1, die wir bis 2021 komplett erfassen wollen. Ein Lernatelier mit einem MINT- Schwerpunkt Am Beispiel des Lernateliers „Ökosyste- me im Wandel“ wird deutlich, wie ein Anlie- gen aus dem Alltag auch für die Lernenden Voller Körpereinsatz für das fächerübergreifende nachvollziehbar zu einem willkommenen Lernatelier „Ökosysteme im Wandel“ fachübergreifenden Lerngegenstand wer- den kann. 18 bildung+ schule digital 1| 2019
RUBRIK XXXXXXXXX Lernen ist ein sehr aktiver Prozess Die Ortsgruppe Dernbach des BUND hat- dazu bilinguale Lerninhalte aus den betei- te im Rahmen des Mitmachportals Dern- ligten Fächern ein und steckten den Rah- bach die Idee, mit der Unterstützung der men für die Durchführung des Projektes ab. Gemeinde zwei brachliegende Grünstrei- Sie gestalteten die Lernumgebung als brei- fen in Wildblumenbeete zu verwandeln, um tes inhaltliches und methodisches Angebot so zum Erhalt der Artenvielfalt beizutragen. so, dass die Lernenden ihren individuellen Ein Autorenteam aus Kolleginnen und Kolle- Lernweg in Abstimmung mit der Zielstel- gen der Fächer Biologie, Deutsch, Englisch, lung der gewählten Projektgruppe selbst Erdkunde und Mathematik nahm diese Idee erschlossen. In einem elektronischen Test zum Anlass, für die Schülerinnen und Schü- wiesen sie ihre erworbene Kompetenz no- ler der 7. Klassen das Lernatelier „Ökosys- tenrelevant nach. teme im Wandel“ zu schreiben. Dazu wurde die durch unsere Bienen-AG bewirtschafte- Konkret: Die Schülerinnen und Schüler setz- te Streuobstwiese als weiterer Lernort ein- ten sich im ersten Schritt mir der Zielstellung bezogen. auseinander und bildeten dann Gruppen, die entweder praktische Aufgaben, wie die Die Autorengruppe definierte das Ziel, an- Pflege des Wildblumenbeets der letztjähri- hand der Gestaltung und Pflege des Wild- gen Durchführung des Lernateliers, oder blumenbeets und der Streuobstwiese in mehr theoretische Aufgaben, wie Recher- Dernbach, die Komplexität eines Ökosys- che von inhaltlichen Grundlagen bzw. Ge- tems zu erfahren. Darüber hinaus wollten staltung eines Informationsschildes für die sie die Fähigkeit der Darstellung der Wech- Mitbürger, übernahmen. Die Ergebnisse selwirkungen in einem Ökosystem stärken der insgesamt ca. 20 Stunden Lernen und und die Beurteilungskompetenz mit Blick Arbeiten zeigten ihnen auch den Wert der auf die Auswirkungen des Klimawandels auf Nachhaltigkeit ihres Handelns. Der Stolz auf den Menschen und den Einfluss des eige- diese Leistung und die Wertschätzung der nen Handelns auf das Ökosystem Erde im beteiligten Kooperationspartner sind eine Alltag entwickeln helfen. In unserem Lern- spürbar gute Motivation für das Lernen im managementsystem pflegten die Autoren nächsten Lernatelier. bildung+ schule digital 1| 2019 19
LERNATELIER i gruppe ein Setting zur wissenschaftlichen Digitale Medien als Werkzeuge Untersuchung des Lernens im Lernatelier. des Lernens Partner gesucht! Seine Motivation für die Zusammenarbeit beschreibt er in folgendem Statement: Individuelle Lernprozesse sind sehr kom- Wenn Sie Lust haben, diese Ar t des Ler- „Alle aus Sicht der Psychologie notwen- plex. Damit sie gelingen, benötigen Ler- nens näher kennenzulernen, können Sie uns am Raiffeisen-Campus in Dernbach digen Bedingungen, erfolgreich die Kom- nende wie auch Lernbegleitende eine gern besuchen. Wir sind auf der Suche petenz zum selbstregulierten Lernen zu zielgerichtete Transparenz dieses Prozes- nach Lehrer teams anderer Schulen, die erwerben, sind in der Konzeption des Lerna- ses. Seit 2013 nutzen wir das Lernmanage- sich als Einstieg, auch gern in Projektform, teliers in hervorragender Art und Weise um- mentsystem itslearning. Wir haben seitdem diese Lernform mit uns gemeinsam weiter- gesetzt. Darüber hinaus tragen maßgeblich eine Vielzahl an Kommunikations- und Do- entwickeln möchten und dabei auf unse- die ausgeprägt wertschätzenden Interaktio- kumentationsprozessen in diesem virtu- re Erfahrungen und einen inzwischen sehr nen der Schülerinnen und Schüler unterei- ellen Schulgebäude etabliert und so die großen Pool an schlüsselfertigen Lernate- nander, aber auch mit ihren Lehrpersonen, strukturelle Schulorganisation und die di- liers zugreifen könnten. zum Erfolg des Lernateliers bei. Seine ge- daktischen Strukturen darauf abgebildet. schickte Organisationsform ermöglicht eine Dies sind natürlich ideale Voraussetzun- nahtlose Integration in den Schultag. Das gen, um alle notwendigen Schritte und macht für uns die wissenschaftliche Beglei- Bausteine von der Erstellung der Lernateli- Wissenschaftliche Begleitung tung so interessant. Sie liefert uns für die ers in den Autorenteams bis hin zur Durch- der Lernateliers Ausbildung von Lehramtsstudierenden ei- führung und unterrichtlichen Begleitung zu ne Fülle von praktischen Anwendungsbei- organisieren, zu steuern und zu dokumen- Unsere eigenen Erfahrungen mit der signifi- spielen. tieren. kanten Zunahme der Handlungskompetenz Aus meiner persönlichen Perspektive als der Lernenden durch das selbstgesteuerte Hochschullehrer wünschte ich mir einerseits „Lehrplanentwürfe, Schülerfortschritts- fächerübergreifende Lernen im Lernatelier mehr an Studierenden, die solche Kompe- be richte, Kompetenzraster, Materialien, bereits nach nur einem Schuljahr veranlass- tenzen ins Studium mitbringen würden. An- Berichte und Statistiken sowie Kommunika- ten uns dazu, diese Erfahrungen zu verifi- dererseits ist das Lernatelier auch für uns tionswerkzeuge befinden sich alle auf der- zieren. Prof. Dr. Hermann Körndle, Professur ein großer Ansporn, die Qualität unseres selben Plattform – und man muss sich nur für Psychologie des Lehrens und Lernens Studienangebots durch die Übertragung einen Login merken. Lehrplanerstellungen der TU Dresden, nahm sich dieser Aufgabe und Nachnutzung des Lernatelierkonzepts und -umsetzungen werden vereinfacht mit an und entwickelte mit unserer Steuerungs- zu sichern.“ Hilfe von Kursvorlagen, dem Unterrichts- planer sowie der Option, Kompetenzen mit digitalen Materialien und Inhalten zu Digitalität ist kein modernistischer Selbstzweck, sondern ermöglicht mehr Begegnung verknüpfen – all dies unterstützt Lehrkräf- te, ihren Unterricht zu entwickeln. Da die Plattform geräteunabhängig arbeitet, kön- nen eigene PCs, Tablets oder Smartpho- nes problemlos genutzt werden. Dank der flexiblen Funktionen für Feedback und der Möglichkeit für Lernende, ihre Fortschrit- te auf ihre individuelle Weise unter Beweis zu stellen, können Lehrkräfte die Motiva- tion und Aktivität ihrer Schülerinnen und Schüler erhöhen. Dank itslearning können sich die Lernenden über ihre Lernprozes- se Gedanken machen und diese selbst in Blogs, Diskussionsforen oder ePortfolios zum Ausdruck bringen. Sie können außer- dem ihren Lernfortschritt mit individuellen Lernplänen (ILP) dokumentieren, während Eltern, Lehrkräfte und Mentoren den Leis- tungsfortschritt in Echtzeit begleiten kön- nen.“ Quelle: https://itslearning.com/de/wp-con- tent/uploads/sites/21/2017/02/itslearning- broschuere_ps.pdf Markus Wagner und Bernhard Meffert 20 bildung+ schule digital 1| 2019
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