Bildung in der Digitalität - Warum die Digitalisierung die Schule verändert - gedanklich und räumlich - Raiffeisen-Campus

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Bildung in der Digitalität - Warum die Digitalisierung die Schule verändert - gedanklich und räumlich - Raiffeisen-Campus
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 Bildung im digitalen Wandel                                       1| 2019

                 Bildung in der Digitalität
                 Warum die Digitalisierung die Schule
                 verändert – gedanklich und räumlich

Digitalpakt                    MakerSpace                     Soziotechnische Bildung
Ein guter Anlass über eine     Ein nachhaltiges               Eine Notwendigkeit bei der
andere Schule nachzudenken     Raumkonzept mit Zukunft        digitalen Transformation
Bildung in der Digitalität - Warum die Digitalisierung die Schule verändert - gedanklich und räumlich - Raiffeisen-Campus
LERNATELIER

                             Lernen mit Sinn, Verstand
                             und digitalen Medien
                             Didaktische Innovation aus eigener Kraft am Raiffeisen-Campus im Westerwald

                             Fast täglich fordern ExpertInnen und PolitikerInnen neue Schulfächer. Dass mit der Forderung logisch die Ab-
                             schaffung anderer Fächer einhergeht, wird gerne übersehen. Diese Forderungen bleiben ganz in der Denke der
                             alten Schule, obwohl der Wunsch nach mehr Kompetenz in bestimmten Bereichen ja sinnvoll und nachvollzieh-
                             bar ist. Der Raiffeisen-Campus erfüllt diesen Wunsch nach lebensrelevantem und zugleich studienvorbereiten-
                             dem Lernen im Gegenteil zu den Forderungen dadurch, dass er Fächer zurücknimmt und fächerübergreifendes
                             Lernen auch mit Hilfe digitaler Medien organisiert.

                             Unser Verständnis von Lernen                        sönlichen Interessen ab. Auf etwas Neues         nen dabei helfen sollen, die Zukunft des 21.
                                                                                 lassen sich Kinder und Erwachsene jedoch         Jahrhunderts zu gestalten.
                             Der Raiffeisen-Campus aus dem Wester-               gern ein, wenn es für ihr Leben sinnstiftend     Im Rahmen der Teilnahme an einem Schul-
                             wald hat sich längst auf den Weg gemacht            ist. Deshalb halten wir am Raiffeisen-Cam-       entwicklungsprojekt des Pädagogischen
                             – seinen ganz eigenen. Denn Lernen ist ein          pus klassischen Unterricht nach Schul-           Landesinstituts des Landes Rheinland-Pfalz
                             höchst individueller und aktiver Prozess.           fächern, deren Begründung letztlich in           lernten wir viele gute Beispiele kennen, wie
                             Daher sind starre, durch die Lehrkraft klein-       Lehrplänen fußt, nicht für allein zielführend,   Schule und vor allem das Lernen besser
                             schrittig gesteuerte, Strukturen und Prin-          sondern gestalten fachübergreifende, sinn-       gelingt, und erhielten die richtigen Impulse,
                             zipien der Vereinheitlichung keine guten            voll an einen Kontext gebundene, individu-       über unsere Schul- und Unterrichtsentwick-
                             Voraussetzungen für die Gestaltung von              elle Lernumgebungen für unsere Lernenden         lung nachzudenken. Wir entwickelten da-
                             Unterricht. Neugier und das Einlassen auf           – um mit ihnen gemeinsam, auf Augenhö-           raufhin eine ganz eigenständige Vision mit
                             Lernprozesse hängen stark von den per-              he, die Kompetenzen zu erwerben, die ih-         zahlreichen Meilensteinen für die nächsten

                             „Schulfamilie“ ist am Raiffeisen-Campus nicht nur ein Wort, sondern Programm

                                          i
© Fotos: Raiffeisen Campus

                             bildung+ schule digital 1| 2019                                                                                                                17
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LERNATELIER

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                                                                                                         sam als Team für die Umsetzung dieser Vi-
     Raiffeisen-Campus –                                                                                 sion, indem wir damit begonnen haben,
     Lernen im familiären Umfeld und im 21. Jahrhundert                                                  sinnhaftes individuelles Lernen fachunab-
                                                                                                         hängig zu gestalten.
     Der Raiffeisen-Campus ist ein privates Ganztagsgymnasium in genossenschaftlicher Träger-
     schaft in Dernbach/Westerwald mit ca. 400 Lernenden. Das Abitur nennen wir nicht nur so, son-
     dern verstehen es tatsächlich als Nachweis Allgemeiner Hochschulreife mit allen persönlichen
     und fachlichen Kompetenzen und Fähigkeiten, die für ein Studium nötig sind. Also richten wir un-
                                                                                                         Vom Lehrplan zum Lernatelier
     ser pädagogisches und didaktisches Handeln bereits ab Klasse 5 ganz auf dieses Ziel aus. An un-
     serer Schule, die erst 2011 gegründet wurde, haben wir von Beginn an mit digitalen Werkzeugen       Am Anfang steht die buchstäbliche Sezie-
     gearbeitet, die das Lernen, aber auch die Schulorganisation, vereinfachen und effizienter gestal-   rung aller Lehrpläne einer Jahrgangsstufe.
     ten. Digitalität ist kein modernistischer Selbstzweck, sondern ermöglicht mehr persönliche Begeg-   Wie mit einer kleinen Schere teilen wir alle
     nung und Beratung, fernab von Bildschirmen. Eine wesentliche Rolle auf allen Ebenen der Schule      Lehrpläne in einzelne Kompetenzziele.
     spielen die Werte des Westerwälder Sozialreformers und Genossenschaftsgründers Friedrich-           Die einzelnen Fachkonferenzen entscheiden
     Wilhelm Raiffeisen (1818 –1888), die wir im familiären Schulalltag achtsam miteinander leben.       nun mit einem sehr genauen Blick auf den
     Dabei führen uns die christlichen Werte zur Offenheit gegenüber allen Menschen aller Konfes-        Lehrplan, welche Kompetenzen sich beson-
     sionen und Religionen. Unser Verständnis von Leistungsorientierung und Leistungsforderung ist
                                                                                                         ders dafür eignen, eigenverantwortlich und
     die achtsame Begleitung Lernender zur eigenen Selbstständigkeit. Dabei ist das Selbstverständ-
                                                                                                         selbstständig von Lernenden erworben zu
     nis unserer Lehrer, als Team auf der Grundlage einer gemeinsamen, wertebasierten Haltung zu
     handeln, unverzichtbar für die gelingende Entwicklung von zukunftsweisenden Kompetenzen al-
                                                                                                         werden und welche Kompetenzen eine en-
     ler Mitglieder der Schulfamilie.                                                                    ger geführte Begleitung durch die Fachlehr-
                                                                                                         kraft erfordern – beispielsweise, weil der
                                                                                                         Fremdsprachenlehrer als mündliches Vor-
                                                                                                         bild im direkten Dialog mit den Lernenden
                                                                                                         stehen oder die Korrektur der Aussprache
                                                                                                         zeitnah zur Übung erfolgen muss.

                                                                                                         Wenn diese Entscheidung gefallen ist, blei-
                                                                                                         ben die Kompetenzen auf dem Tisch, die im
                                                                                                         Lernatelier erworben werden sollen. In der
                                                                                                         Betrachtung all dieser Kompetenzen für den
                                                                                                         eigenverantwortlichen Lernprozess werden
                                                                                                         Überschneidungen markiert und Dopplun-
                                                                                                         gen entfernt und der Tisch leert sich sichtbar.
                                                                                                         Rasch finden sich gute Anknüpfungspunk-
                                                                                                         te für gemeinsame Lernprozesse über die
                                                                                                         Fächergrenzen hinaus. Der entscheidende
                                                                                                         kreative Schritt folgt danach: Sinnstiftende
                                                                                                         Kontexte finden, innerhalb derer alle diese
                                                                                                         Kompetenzen zugeordnet werden können.
                                                                                                         Dazu bilden wir fachgemischte Autoren-
                                                                                                         teams zur Erarbeitung einer Lernumgebung,
                                                                                                         die wir Lernateliers nennen. Diese Lernate-
                                                                                                         liers beanspruchen inzwischen ca. ein Drittel
                                                                                                         der Stunden in den beteiligten Jahrgangs-
                                                                                                         stufen der Sekundarstufe 1, die wir bis 2021
                                                                                                         komplett erfassen wollen.

                                                                                                         Ein Lernatelier mit einem MINT-
                                                                                                         Schwerpunkt

                                                                                                         Am Beispiel des Lernateliers „Ökosyste-
                                                                                                         me im Wandel“ wird deutlich, wie ein Anlie-
                                                                                                         gen aus dem Alltag auch für die Lernenden
Voller Körpereinsatz für das fächerübergreifende                                                         nachvollziehbar zu einem willkommenen
Lernatelier „Ökosysteme im Wandel“                                                                       fachübergreifenden Lerngegenstand wer-
                                                                                                         den kann.

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Bildung in der Digitalität - Warum die Digitalisierung die Schule verändert - gedanklich und räumlich - Raiffeisen-Campus
RUBRIK XXXXXXXXX

Lernen ist ein sehr aktiver Prozess

Die Ortsgruppe Dernbach des BUND hat-          dazu bilinguale Lerninhalte aus den betei-
te im Rahmen des Mitmachportals Dern-          ligten Fächern ein und steckten den Rah-
bach die Idee, mit der Unterstützung der       men für die Durchführung des Projektes ab.
Gemeinde zwei brachliegende Grünstrei-         Sie gestalteten die Lernumgebung als brei-
fen in Wildblumenbeete zu verwandeln, um       tes inhaltliches und methodisches Angebot
so zum Erhalt der Artenvielfalt beizutragen.   so, dass die Lernenden ihren individuellen
Ein Autorenteam aus Kolleginnen und Kolle-     Lernweg in Abstimmung mit der Zielstel-
gen der Fächer Biologie, Deutsch, Englisch,    lung der gewählten Projektgruppe selbst
Erdkunde und Mathematik nahm diese Idee        erschlossen. In einem elektronischen Test
zum Anlass, für die Schülerinnen und Schü-     wiesen sie ihre erworbene Kompetenz no-
ler der 7. Klassen das Lernatelier „Ökosys-    tenrelevant nach.
teme im Wandel“ zu schreiben. Dazu wurde
die durch unsere Bienen-AG bewirtschafte-      Konkret: Die Schülerinnen und Schüler setz-
te Streuobstwiese als weiterer Lernort ein-    ten sich im ersten Schritt mir der Zielstellung
bezogen.                                       auseinander und bildeten dann Gruppen,
                                               die entweder praktische Aufgaben, wie die
Die Autorengruppe definierte das Ziel, an-     Pflege des Wildblumenbeets der letztjähri-
hand der Gestaltung und Pflege des Wild-       gen Durchführung des Lernateliers, oder
blumenbeets und der Streuobstwiese in          mehr theoretische Aufgaben, wie Recher-
Dernbach, die Komplexität eines Ökosys-        che von inhaltlichen Grundlagen bzw. Ge-
tems zu erfahren. Darüber hinaus wollten       staltung eines Informationsschildes für die
sie die Fähigkeit der Darstellung der Wech-    Mitbürger, übernahmen. Die Ergebnisse
selwirkungen in einem Ökosystem stärken        der insgesamt ca. 20 Stunden Lernen und
und die Beurteilungskompetenz mit Blick        Arbeiten zeigten ihnen auch den Wert der
auf die Auswirkungen des Klimawandels auf      Nachhaltigkeit ihres Handelns. Der Stolz auf
den Menschen und den Einfluss des eige-        diese Leistung und die Wertschätzung der
nen Handelns auf das Ökosystem Erde im         beteiligten Kooperationspartner sind eine
Alltag entwickeln helfen. In unserem Lern-     spürbar gute Motivation für das Lernen im
managementsystem pflegten die Autoren          nächsten Lernatelier.

bildung+ schule digital 1| 2019                                                                                19
Bildung in der Digitalität - Warum die Digitalisierung die Schule verändert - gedanklich und räumlich - Raiffeisen-Campus
LERNATELIER

                                              i      gruppe ein Setting zur wissenschaftlichen      Digitale Medien als Werkzeuge
                                                     Untersuchung des Lernens im Lernatelier.       des Lernens
     Partner gesucht!                                Seine Motivation für die Zusammenarbeit
                                                     beschreibt er in folgendem Statement:          Individuelle Lernprozesse sind sehr kom-
     Wenn Sie Lust haben, diese Ar t des Ler-
                                                     „Alle aus Sicht der Psychologie notwen-        plex. Damit sie gelingen, benötigen Ler-
     nens näher kennenzulernen, können Sie
     uns am Raiffeisen-Campus in Dernbach            digen Bedingungen, erfolgreich die Kom-        nende wie auch Lernbegleitende eine
     gern besuchen. Wir sind auf der Suche           petenz zum selbstregulierten Lernen zu         zielgerichtete Transparenz dieses Prozes-
     nach Lehrer teams anderer Schulen, die          erwerben, sind in der Konzeption des Lerna-    ses. Seit 2013 nutzen wir das Lernmanage-
     sich als Einstieg, auch gern in Projektform,    teliers in hervorragender Art und Weise um-    mentsystem itslearning. Wir haben seitdem
     diese Lernform mit uns gemeinsam weiter-        gesetzt. Darüber hinaus tragen maßgeblich      eine Vielzahl an Kommunikations- und Do-
     entwickeln möchten und dabei auf unse-          die ausgeprägt wertschätzenden Interaktio-     kumentationsprozessen in diesem virtu-
     re Erfahrungen und einen inzwischen sehr        nen der Schülerinnen und Schüler unterei-      ellen Schulgebäude etabliert und so die
     großen Pool an schlüsselfertigen Lernate-       nander, aber auch mit ihren Lehrpersonen,      strukturelle Schulorganisation und die di-
     liers zugreifen könnten.
                                                     zum Erfolg des Lernateliers bei. Seine ge-     daktischen Strukturen darauf abgebildet.
                                                     schickte Organisationsform ermöglicht eine     Dies sind natürlich ideale Voraussetzun-
                                                     nahtlose Integration in den Schultag. Das      gen, um alle notwendigen Schritte und
                                                     macht für uns die wissenschaftliche Beglei-    Bausteine von der Erstellung der Lernateli-
Wissenschaftliche Begleitung                         tung so interessant. Sie liefert uns für die   ers in den Autorenteams bis hin zur Durch-
der Lernateliers                                     Ausbildung von Lehramtsstudierenden ei-        führung und unterrichtlichen Begleitung zu
                                                     ne Fülle von praktischen Anwendungsbei-        organisieren, zu steuern und zu dokumen-
Unsere eigenen Erfahrungen mit der signifi-          spielen.                                       tieren.
kanten Zunahme der Handlungskompetenz                Aus meiner persönlichen Perspektive als
der Lernenden durch das selbstgesteuerte             Hochschullehrer wünschte ich mir einerseits    „Lehrplanentwürfe, Schülerfortschritts-
fächerübergreifende Lernen im Lernatelier            mehr an Studierenden, die solche Kompe-        be richte, Kompetenzraster, Materialien,
bereits nach nur einem Schuljahr veranlass-          tenzen ins Studium mitbringen würden. An-      Berichte und Statistiken sowie Kommunika-
ten uns dazu, diese Erfahrungen zu verifi-           dererseits ist das Lernatelier auch für uns    tionswerkzeuge befinden sich alle auf der-
zieren. Prof. Dr. Hermann Körndle, Professur         ein großer Ansporn, die Qualität unseres       selben Plattform – und man muss sich nur
für Psychologie des Lehrens und Lernens              Studienangebots durch die Übertragung          einen Login merken. Lehrplanerstellungen
der TU Dresden, nahm sich dieser Aufgabe             und Nachnutzung des Lernatelierkonzepts        und -umsetzungen werden vereinfacht mit
an und entwickelte mit unserer Steuerungs-           zu sichern.“                                   Hilfe von Kursvorlagen, dem Unterrichts-
                                                                                                    planer sowie der Option, Kompetenzen
                                                                                                    mit digitalen Materialien und Inhalten zu
Digitalität ist kein modernistischer Selbstzweck, sondern ermöglicht mehr Begegnung                 verknüpfen – all dies unterstützt Lehrkräf-
                                                                                                    te, ihren Unterricht zu entwickeln. Da die
                                                                                                    Plattform geräteunabhängig arbeitet, kön-
                                                                                                    nen eigene PCs, Tablets oder Smartpho-
                                                                                                    nes problemlos genutzt werden. Dank der
                                                                                                    flexiblen Funktionen für Feedback und der
                                                                                                    Möglichkeit für Lernende, ihre Fortschrit-
                                                                                                    te auf ihre individuelle Weise unter Beweis
                                                                                                    zu stellen, können Lehrkräfte die Motiva-
                                                                                                    tion und Aktivität ihrer Schülerinnen und
                                                                                                    Schüler erhöhen. Dank itslearning können
                                                                                                    sich die Lernenden über ihre Lernprozes-
                                                                                                    se Gedanken machen und diese selbst in
                                                                                                    Blogs, Diskussionsforen oder ePortfolios
                                                                                                    zum Ausdruck bringen. Sie können außer-
                                                                                                    dem ihren Lernfortschritt mit individuellen
                                                                                                    Lernplänen (ILP) dokumentieren, während
                                                                                                    Eltern, Lehrkräfte und Mentoren den Leis-
                                                                                                    tungsfortschritt in Echtzeit begleiten kön-
                                                                                                    nen.“
                                                                                                    Quelle: https://itslearning.com/de/wp-con-
                                                                                                    tent/uploads/sites/21/2017/02/itslearning-
                                                                                                    broschuere_ps.pdf

                                                                                                            Markus Wagner und Bernhard Meffert

20                                                                                                               bildung+ schule digital 1| 2019
Bildung in der Digitalität - Warum die Digitalisierung die Schule verändert - gedanklich und räumlich - Raiffeisen-Campus
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