Weiterentwicklung der HIV/AIDS-Prävention in Nordrhein-Westfalen - Schwerpunkt "Neuinfektionen minimieren"

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Weiterentwicklung der HIV/AIDS-Prävention in Nordrhein-Westfalen - Schwerpunkt "Neuinfektionen minimieren"
Ministerium für Gesundheit,
                               Emanzipation, Pflege und Alter
                               des Landes Nordrhein-Westfalen

Weiterentwicklung der HIV/AIDS-
Prävention in Nordrhein-Westfalen
Schwerpunkt „Neuinfektionen minimieren“

                                                www.mgepa.nrw.de
Weiterentwicklung der HIV/AIDS-Prävention in Nordrhein-Westfalen - Schwerpunkt "Neuinfektionen minimieren"
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Weiterentwicklung der HIV/AIDS-Prävention in Nordrhein-Westfalen - Schwerpunkt "Neuinfektionen minimieren"
Weiterentwicklung der HIV/AIDS-
Prävention in Nordrhein-Westfalen
Schwerpunkt „Neuinfektionen minimieren“
Inhalt

Vorwort ............................................................................................................................. 5
Kurzfassung der Empfehlungen ..................................................................................... 7
1. HIV/AIDS-Prävention bleibt Herausforderung ........................................................ 9
2. Infrastruktur ............................................................................................................... 11
3. Epidemiologie ............................................................................................................ 13
4. Grundsätze ................................................................................................................ 14
5. Vorrangiger Handlungsbedarf.................................................................................. 15
     5.1 Schwule Männer und andere Männer, die Sex mit Männern haben (MSM) .. 16
     5.2 Menschen, die intravenös Drogen konsumieren ............................................. 17
     5.3 Menschen in Haft ............................................................................................... 18
     5.4 Menschen mit Migrationshintergrund ............................................................. 19
     5.5 Frauen ................................................................................................................ 20
     5.6 Jugendliche ........................................................................................................ 21
6. Empfehlungen .......................................................................................................... 22
     6.1 Schwule Männer und andere Männer, die Sex mit Männern haben (MSM).. 25
     6.2 Menschen, die intravenös Drogen konsumieren ............................................ 29
     6.3 Menschen in Haft .............................................................................................. 30
     6.4 Menschen mit Migrationshintergrund ............................................................. 31
     6.5 Frauen ................................................................................................................ 34
     6.6 Jugendliche ........................................................................................................ 36
7. Begleitung des Weiterentwicklungsprozesses ...................................................... 38
Mitglieder der Arbeitsgruppe „Weiterentwicklung der HIV/AIDS-Prävention“ ........ 40
Glossar ............................................................................................................................. 41
Liebe Leserinnen und Leser,

Aufklärung, Information und Prävention     troffen sind, bewährt. Diese Qualitäts-
statt Repression ist seit 25 Jahren der    merkmale sind auch für die zukünftige
Leitgedanke der HIV/AIDS-Prävention in     Entwicklung und Umsetzung der Prä-
Nordrhein-Westfalen. Seitdem sehen         ventionskonzepte unverzichtbar.
sich das Land Nordrhein-Westfalen, die
Kommunen und die freien Träger in der      Einem Wandel unterworfen sind jedoch
Verantwortung, die weitere Verbreitung     die Rahmenbedingungen der Prävention
von HIV-Infektionen durch Information,     in sehr unterschiedlichen Feldern:
Aufklärung, Beratung und Testangebote      Die wissenschaftlichen Erkenntnisse
zu minimieren, HIV-infizierte und an       über die Übertragbarkeit des HI-Virus
AIDS erkrankte Menschen zu unterstüt-      werden immer detaillierter.
zen und sie vor Ausgrenzung und Dis-
kriminierung zu bewahren.                  Die Bedürfnisse und Erwartungen der
                                           Zielgruppen der HIV-Prävention verän-
Diese grundsätzliche Ausrichtung war       dern sich. Das Internet bietet neue
und ist die Basis des großen Erfolges      Möglichkeiten der Information und
der HIV/AIDS-Prävention in Nordrhein-      Beratung. Die Lebenserwartung von
Westfalen und hat deshalb auch heute       Menschen mit HIV nimmt zu.
noch Bestand. Dabei haben sich als
besondere Qualitätsmerkmale das            Die Präventionsbotschaften und die
Zusammenspiel staatlicher, kommuna-        Methoden der Vermittlung an die Ziel-
ler und nichtstaatlicher Akteurinnen und   gruppen müssen sich diesem Wandel
Akteure, die Orientierung der Angebote     anpassen. Deshalb bleibt die HIV/AIDS-
an der Lebenswirklichkeit der Betroffe-    Prävention auch in Zukunft eine Heraus-
nen und die Einbeziehung der Menschen,     forderung.
die von HIV und AIDS bedroht oder be-
Zwischen 2009 und 2010 haben die         Ich würde mir wünschen, dass das vor-
relevanten Akteurinnen und Akteure der   liegende Landeskonzept zur Weiterent-
HIV/AIDS-Prävention in Nordrhein-        wicklung der HIV/AIDS-Prävention in
Westfalen, vertreten durch die Freie     Nordrhein-Westfalen mit dem Schwer-
Wohlfahrtspflege NRW, die Kommunalen     punkt „Neuinfektionen minimieren“
Spitzenverbände und das Gesundheits-     zur fachlichen Auseinandersetzung
ministerium des Landes, gemeinsam        beiträgt, den verantwortlichen Akteurin-
ein Konzept zur HIV-Primärprävention     nen und Akteuren neue Impulse für die
entwickelt, das die heutigen Rahmen-     künftige Ausrichtung der HIV/AIDS-
bedingungen der Prävention beschreibt    Prävention gibt und insgesamt die
und Empfehlungen für die zukünftige      Zusammenarbeit aller Beteiligten
Praxis gibt.                             fördert.

                                         Barbara Steffens
                                         Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege
                                         und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen

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Kurzfassung der Empfehlungen                  attraktiv und werden gut genutzt.
                                              Die Kombination von Kompetenzen
Die Akteurinnen und Akteure der               verschiedener Akteurinnen und
HIV/AIDS-Prävention in Nordrhein-             Akteure ist für die Gestaltung kom-
Westfalen empfehlen, folgende Faktoren        plexer Angebote hilfreich.
erfolgreicher Prävention bei der
Gestaltung zukünftiger Präventions-        5. Zielgruppennahe Testangebote
maßnahmen einzubeziehen:                      erhöhen die Wahrscheinlichkeit,
                                              frühzeitig über die eigene HIV-
1. Erfolgreiche HIV/AIDS-Prävention           Infektion informiert zu sein.
   kann nur im Zusammenspiel aller            Das Testangebot muss dazu qualifi-
   Akteurinnen und Akteure auf Bun-           zierten Standards genügen. Dazu
   des-, Landes- und kommunaler               gehören vor allem: Einbindung in
   Ebene im Öffentlichen Gesundheits-         Präventionsberatung und gegebe-
   dienst und in der freien Trägerschaft      nenfalls weitere Begleitung, Anony-
   gemeinsam umgesetzt werden.                mität und Vertraulichkeit sowie die
                                              Nutzung von an die Risikosituatio-
2. Wegen der großen Bedeutung                 nen der Ratsuchenden angepassten
   sexuell übertragbarer Infektionen          und wissenschaftlich überprüften
   für die Übertragung des HI-Virus           Test- und Untersuchungsverfahren.
   sollen Präventionsangebote zu
   HIV Informationen und Beratung          6. Medikamente, die der HIV-Behand-
   zu anderen sexuell übertragbaren           lung dienen, werden bereits heute
   Infektionen, insbesondere Syphilis,        in der Primärprävention eingesetzt,
   einschließen.                              zum Beispiel bei der HIV-Postexpo-
                                              sitionsprophylaxe. Zunehmend wird
3. Angebote sollen auf die Lebenswelt         diskutiert, welchen Stellenwert anti-
   der jeweiligen Zielgruppe zuge-            retrovirale Medikamente in der Ge-
   schnitten und möglichst niedrig-           samtstrategie der Primärprävention
   schwellig sein. Aufsuchende                einnehmen sollen. Welchen Einfluss
   Angebote verbessern den Zugang zu          dies auf das primärpräventive Ver-
   Gruppen, die Beratungsstellen nicht        halten haben wird, ist noch offen.
   nutzen.                                    Die Akteurinnen und Akteure sind
                                              daher aufgerufen, diese Entwicklung
4. Präventionsmaßnahmen, die meh-             kritisch zu begleiten und entspre-
   rere Angebote miteinander kombi-           chende Beratungsangebote zu
   nieren, erweisen sich als sehr             entwickeln.

                                                                                    7
7. Um die Einbindung von Freiwilligen    10. Die Qualität von Präventionsmaß-
   auf hohem Niveau zu halten, sollten       nahmen muss kontinuierlich weiter-
   mehr Möglichkeiten des projektbe-         entwickelt werden. Neben allge-
   zogenen Engagements und der               meinen Verfahren der Qualitätsent-
   Mitwirkung bei der fachlichen             wicklung stehen heute auch auf die
   Weiterentwicklung geschaffen, die         HIV-Prävention zugeschnittene
   Qualifizierung intensiviert und           Methoden zur Verfügung, die für die
   die Zertifizierung der erworbenen         Weiterentwicklung von Maßnahmen
   Fähigkeiten verbessert werden.            genutzt werden sollten.

8. Die neuen Medien eröffnen zusätzli-   Über diese grundsätzlichen Empfehlun-
   che Möglichkeiten der Information     gen hinaus beschreibt das Konzept zur
   und Beratung zu HIV/AIDS und an-      Weiterentwicklung der HIV/AIDS-Prä-
   deren sexuell übertragbaren Infek-    vention besonders geeignete Arbeitsan-
   tionen. Dabei ist darauf zu achten,   sätze für folgende Zielgruppen:
   dass Botschaften über alte und        Schwule Männer und andere Männer,
   neue Medien hinweg einheitlich ver-   die Sex mit Männern haben, Menschen,
   mittelt und Verknüpfungen zwischen    die intravenös Drogen konsumieren,
   neuen und alten Medien verbessert     Menschen in Haft, Menschen mit Migra-
   werden.                               tionsgeschichte, Frauen und Jugendli-
                                         che.
9. Die Fortbildung der Akteurinnen und   Die Arbeitsgemeinschaft AIDS-Präven-
   Akteure und der regelmäßige Aus-      tion NRW hat sich zur Aufgabe ge-
   tausch über neue erfolgreiche Kon-    macht, die Empfehlungen regelmäßig
   zepte sind essentielle Grundlagen     auf ihre Aktualität zu überprüfen und an
   der Qualitätsentwicklung moderner     zukünftige Entwicklungen anzupassen.
   Prävention. Regionale, überregio-     Aktuelle wissenschaftliche Entwicklun-
   nale, landesweite und bundesweite     gen sollen dabei ebenso einfließen wie
   Koordinations- und Arbeitstreffen     die Erfahrungen aus der Praxis der
   sowie Qualifizierungsangebote sind    Präventionsarbeit.
   zentrale Elemente der Kompetenz-
   erweiterung, der Erschließung von
   Synergien und der Verzahnung von
   Aktivitäten auf allen Ebenen.

8
1. HIV/AIDS-Prävention bleibt              fälschlicherweise bisweilen sogar als
    Herausforderung                         heilbar angesehen. Fakt ist, dass Men-
                                            schen mit HIV und AIDS auch mit einer
Seit über 25 Jahren bedroht HIV/AIDS        umfassenden antiretroviralen Therapie
weltweit die Gesundheit der Menschen.       mehrheitlich eine niedrigere Lebenser-
In dieser Zeit konnten viele wissen-        wartung als Nichtinfizierte haben. Die
schaftliche Erkenntnisse gewonnen,          lebensverlängernden Therapien sind in
medizinische und therapeutische Fort-       der Regel mit erheblichen Nebenwir-
schritte erzielt und erfolgreiche Präven-   kungen und zum Teil körperlichen und
tionsstrategien umgesetzt werden.           seelischen Folgeerkrankungen verbun-
Erfolge in der Bekämpfung der Krank-        den. Menschen mit HIV müssen auch
heit basieren insbesondere auf dem ab-      heute mit Diskriminierung, u.a. im
gestimmten Einsatz der politischen und      Arbeitsleben, rechnen. Wer an AIDS
gesellschaftlichen Kräfte, der Innovati-    erkrankt, ist meist deutlich jünger als
onskraft der Wissenschaft und dem En-       andere chronisch oder schwer Kranke,
gagement der Betroffenen und ihrer          scheidet oftmals früh aus dem Arbeits-
Organisationen. Eine Erfolg verspre-        leben aus und gerät sowohl in finan-
chende HIV/AIDS-Präventionsstrategie        zielle Not als auch in ein soziales Ab-
muss eine Vielzahl von Herausforderun-      seits. Das Älterwerden von Menschen
gen – international, national und regio-    mit HIV und AIDS stellt das Gesund-
nal – berücksichtigen und jeweils           heits- und Sozialwesen deshalb vor
geeignete Lösungsansätze erarbeiten.        neue Herausforderungen, insbesondere
Die Weiterentwicklung der HIV/AIDS-         was die Betreuung, die Pflege, aber
Prävention in Nordrhein-Westfalen be-       auch die soziale Integration anbelangt.
zieht daher die fachlichen Grundlagen       Um bereits erreichte Erfolge der
der WHO und UNAIDS ebenso ein wie           HIV/AIDS-Prävention sowohl in der
den nationalen Aktionsplan zur Umset-       Allgemeinbevölkerung als auch in be-
zung der HIV/AIDS-Bekämpfungsstra-          sonders gefährdeten Gruppen zu stabi-
tegie der Bundesregierung und die kon-      lisieren und auch in Zukunft einen
kreten Maßnahmen der Bundeszentrale         Anstieg von Neuinfektionen zu verhin-
für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).      dern – auch vor dem Hintergrund stei-
                                            gender Neuinfektionen vor allem in
AIDS hat in Deutschland im Vergleich zu     Osteuropa und Zentralasien und zuneh-
früher an Schrecken verloren. Viele be-     mender Mobilität von Menschen –, wird
trachten AIDS nicht mehr als bedrohli-      der größte Handlungsbedarf darin ge-
che Krankheit. Auch wenn eine               sehen, Neuinfektionen weiter zu mini-
HIV-Infektion behandelbar ist, wird sie     mieren.

                                                                                  9
Die besondere Herausforderung für alle     Da Menschen, die durch HIV besonders
relevanten Akteurinnen und Akteure der     gefährdet sind, eine sehr heterogene
HIV/AIDS-Prävention in Nordrhein-          Gruppe bilden, besteht die Herausfor-
Westfalen besteht darin, die Primärprä-    derung erfolgreicher Prävention darin,
vention für die Allgemeinbevölkerung       die Maßnahmen so zu gestalten, dass
sowie die Aufklärung und Ansprache         sie die jeweiligen Zielgruppen tatsäch-
besonders gefährdeter Bevölkerungs-        lich erreichen. Wichtig ist, dass die se-
gruppen zielgruppenspezifisch weiter-      xuelle Orientierung, geschlechtsspezi-
zuentwickeln. Die Strukturen und           fische Faktoren sowie kulturelle Hinter-
Konzepte sind den sich verändernden        gründe konsequent berücksichtigt
gesellschaftlichen, epidemiologischen      werden.
und medizinischen Entwicklungen und
den regionalen Erfordernissen anzupas-     Besonderes Augenmerk muss dabei
sen. Dazu gehört auch, die HIV/AIDS-       auch auf Menschen gerichtet werden,
Prävention in Nordrhein-Westfalen mit      die aufgrund sozialer, kultureller und
der Prävention anderer sexuell über-       persönlicher Faktoren ihre Gesundheit
tragbarer Infektionen (STIs = sexually     nicht ausreichend schützen können.
transmitted infections) zu verknüpfen      HIV/AIDS-Prävention muss deshalb
und in Maßnahmen zur Förderung der         zukünftig stärker mit Maßnahmen
sexuellen Gesundheit zu integrieren.       der Gesundheitsförderung verknüpft
                                           werden.
Die erfolgreich praktizierten Ansätze
der unterschiedlichen Akteurinnen und      Unverzichtbar ist dabei nach wie vor
Akteure zur zielgruppenspezifischen        die Primärprävention für Kinder und
Prävention für besonders gefährdete        Jugendliche. Wichtig ist, HIV/AIDS-
Bevölkerungsgruppen ebenso wie die         Prävention als Teil von Gesundheits-
primärpräventive Aufklärung der Allge-     förderung und Sexualaufklärung zu
meinbevölkerung durch die Bundeszen-       verstehen und Jugendliche frühzeitig
trale für gesundheitliche Aufklärung       zu Beginn ihrer sexuellen Aktivität zu
(BZgA), Gesundheitsämter, AIDS-Hilfen      erreichen.
und andere freie Träger sollten aufrecht
erhalten werden. HIV/AIDS-Prävention
bleibt auch zukünftig eine Gemein-
schaftsaufgabe.

10
2. Infrastruktur                         beiden Säulen hat sich eine Struktur
                                          entwickelt, die einerseits eigene ziel-
In Nordrhein-Westfalen ist es seit 1987   gruppenspezifische Schwerpunkte
durch gemeinsame Anstrengungen und        setzt und andererseits durch gemein-
mit finanziellem Engagement der Kom-      same Aktivitäten und Kooperationsfor-
munen, der Freien Wohlfahrtspflege und    men in der Lage ist, flexibel auf medi-
des Landes gelungen, ein qualifiziertes   zinische, epidemiologische und gesell-
und differenziertes AIDS-Hilfesystem      schaftliche Entwicklungen zu reagieren.
aufzubauen.                               Das Engagement der Kommunen bildet
                                          eine wesentliche Grundlage für diese In-
Dabei haben sich als besondere Quali-     frastruktur und ist von zentraler Bedeu-
tätsmerkmale das Zusammenspiel            tung für die Ausgestaltung und Koordi-
staatlicher, kommunaler und nicht-        nation der regionalen HIV/AIDS-Präven-
staatlicher Akteurinnen und Akteure,      tion.
die Orientierung der Angebote an der
Lebenswirklichkeit der Betroffenen, die   Die Aufgaben der unteren Gesundheits-
Einbeziehung der Selbsthilfe und der      behörden ergeben sich vorrangig aus
Menschen, die von HIV und AIDS be-        dem Gesetz über den öffentlichen Ge-
droht oder betroffen sind, bewährt.       sundheitsdienst (ÖGDG NRW) und dem
Diese Qualitätsmerkmale sind auch für     Infektionsschutzgesetz (IfSG). Beson-
die zukünftige Entwicklung und Umset-     dere Bedeutung haben die Sicherstel-
zung der Präventionskonzepte unver-       lung eines anonymen und kostenlosen
zichtbar.                                 HIV-Beratungs- und Testangebots sowie
Diese Ausrichtung wird auch durch die     die Beratung und Untersuchung ande-
am 22. Juli 2009 geschlossene Rah-        rer sexuell übertragbarer Infektionen.
menvereinbarung über Grundsätze zur       Der Öffentliche Gesundheitsdienst ist
Umsetzung der Kommunalisierung der        gesetzlich verpflichtet, in allen 53 Krei-
Landesförderung für Präventions- und      sen und kreisfreien Städten die AIDS-
Hilfemaßnahmen im Sucht- und AIDS-        Koordination wahrzunehmen und
Bereich in Nordrhein-Westfalen aus-       HIV/STI-Beratung und Tests anzubie-
drücklich bestätigt.                      ten. Die Kosten der HIV-Tests werden
                                          dabei durch das Land getragen. Ebenso
Die Beratungs- und Hilfestruktur in       haben die Aufklärung und Information
Nordrhein-Westfalen ruht im Wesentli-     der Bevölkerung sowie die Koordination
chen auf zwei Säulen: dem Öffentlichen    der auf kommunaler Ebene notwendi-
Gesundheitsdienst und den Einrichtun-     gen Angebote und Aktivitäten einen
gen in freier Trägerschaft. Dank dieser   hohen Stellenwert.

                                                                                  11
Die Aufgaben der Einrichtungen in freier    stadtübergreifenden Aktivitäten werden
Trägerschaft – dabei handelt es sich        Jugendliche in 40 Kreisen/kreisfreien
vorrangig um die regionalen AIDS-           Städten erreicht.
Hilfen, die AIDS-Hilfe NRW und weitere
Träger der HIV/AIDS-Prävention – leiten     Die 34 regionalen AIDS-Hilfen sowie
sich aus deren Selbstverständnis, Leit-     deren Landesverband verteilen sich
bildern und Finanzierungsmöglichkei-        derzeit auf 15 Kreise und 19 kreisfreie
ten ab.                                     Städte, ihre Angebote werden in der
                                            Regel auch überregional in Anspruch
Die regionalen AIDS-Hilfen und deren        genommen. Es gibt AIDS-Hilfe-Vereine,
Landesverband sind sowohl Hauptan-          die ausschließlich ehrenamtlich arbei-
sprechpartnerinnen und Hauptan-             ten, die Mehrzahl der AIDS-Hilfen ver-
sprechpartner als auch Interessen-          fügt jedoch über haupt- und ehren-
vertretung für Menschen mit HIV und         amtliche Mitarbeiterinnen und Mitar-
AIDS. In Kooperation mit dem Öffentli-      beiter.
chen Gesundheitsdienst und den ande-
ren in diesem Bereich tätigen Trägern       Die HIV/AIDS-Prävention bei intravenös
der Freien Wohlfahrtspflege bieten sie      Drogenkonsumierenden wird durch die
u. a. zielgruppenspezifische Prävention     bestehenden Sucht- und AIDS-Hilfe-
zu HIV und AIDS an. Von besonderer          Strukturen geleistet. Spezielle Ange-
Bedeutung sind dabei die Einbeziehung       bote zur Erleichterung des Zugangs zu
von Menschen mit HIV und AIDS und           sterilen Spritzen und Nadeln sowie Kon-
von den von HIV/AIDS besonders be-          domen erfolgen insbesondere durch die
drohten Gruppen in die strukturelle         Drogen- und AIDS-Hilfen (z.B. Spritzen-/
Prävention, die fachliche Weiterentwick-    Kondomautomaten). Daneben steht
lung der Angebote und deren Qualität        den Betroffenen ein differenziertes und
sowie die Förderung des ehrenamtli-         breit gefächertes Suchthilfenetz zur
chen Engagements im HIV- und AIDS-          Verfügung. Dies reicht von niedrig-
Bereich.                                    schwelligen Angeboten der Gesund-
                                            heits- und Überlebenshilfe über die
Landesweit gibt es derzeit ca. 60 sexu-     substitutionsgestützte Behandlung bis
alpädagogisch geschulte HIV/AIDS-           zur qualifizierten Entzugsbehandlung
Präventionsfachkräfte (ehemals Youth-       und der auf dauerhafte Abstinenz ange-
workerinnen und Youthworker), die in        legten Entwöhnung. Ein wesentliches
33 Kreisen und kreisfreien Städten bei      Ziel der Hilfen ist der Schutz vor Infek-
unterschiedlichen Trägern angesiedelt       tionen mit HIV und anderen durch Blut
sind. Aufgrund ihrer zum Teil kreis- bzw.   übertragbaren Infektionskrankheiten.

12
Dieses Problemfeld wird auch im neuen      und die jährlichen Neudiagnosen exakter
Landeskonzept gegen Sucht angemes-         voneinander abzugrenzen. Dabei ist zu
sen berücksichtigt.                        beachten, dass es sich weiterhin um
                                           Schätzungen handelt. Trotz dieser Ein-
                                           schränkungen bieten die Meldungen
 3. Epidemiologie                          über HIV-Neudiagnosen an das RKI
                                           jedoch die derzeit bestmögliche Grund-
Die für die Planung und Weiterentwick-     lage zur Abschätzung des aktuellen In-
lung von Präventionsmaßnahmen not-         fektionsgeschehens.
wendigen Daten werden kontinuierlich
vom Robert Koch-Institut (RKI) erho-       Anhand der Analysen der Datenlage
ben, bewertet und veröffentlicht. An-      durch das RKI lässt sich die epidemio-
hand dieser anonym gemeldeten Daten        logische Entwicklung in der Bundes-
lassen sich vor allem die vorherrschen-    republik zum Ende des Jahres 2011
den Übertragungswege und Infektions-       wie folgt beschreiben:
trends in verschiedenen Bevölkerungs-
gruppen, die Entwicklung von HIV-Neu-      Nach einem kontinuierlichen Anstieg
diagnosen, die geografische und demo-      der Zahl der HIV-Neuinfektionen in
grafische Verteilung erkennen.             Deutschland zwischen 2001 und 2005
                                           erreichten die HIV-Neuinfektionen 2006
Da es sich um nichtnamentliche Meldun-     und 2007 einen Höhepunkt und gingen
gen labordiagnostisch nachgewiesener       seitdem leicht zurück. 2011 geht das
HIV-Infektionen handelt, ist die Bestim-   RKI von rund 2.800 Neudiagnosen und
mung der Anzahl der HIV-Neuinfektio-       rund 2.700 Neuinfektionen aus. Dies ist
nen methodisch schwierig. Labordia-        jedoch kein Grund zur Entwarnung.
gnostisch erfasst werden HIV-Neudiag-
nosen, die keinen direkten Rückschluss     Die landesweite epidemiologische Ent-
über den Zeitpunkt der Infektion zulas-    wicklung in Nordrhein-Westfalen ist
sen, da die Ansteckung mit dem HI-Virus    mit der Entwicklung in Deutschland im
und die Durchführung eines HIV-Tests       Großen und Ganzen vergleichbar.
zeitlich weit auseinander liegen können.   Nach Schätzungen des RKI haben sich
Nur bei einem kleineren Teil der Mel-      in Nordrhein-Westfalen in 2011 rd.
dungen liegen Angaben zum klinischen       650 Menschen neu infiziert. Männer,
Stadium der HIV-Infizierten bzw. zur       die Sex mit Männern haben, stellen
CD4-Zellzahl vor. Seit 2011 werden diese   sowohl in Deutschland als auch in NRW
Daten als Berechnungsgrundlage ge-         unverändert die größte Betroffenen-
nutzt, um die jährlichen Neuinfektionen    gruppe dar (über 70 %).

                                                                                    13
Der Anteil der Frauen unter den HIV-Neu-    Neudiagnosen zeigen, dass sich in
infektionen betrug 2011 in Deutschland      Nordrhein-Westfalen die Syphilis-Fälle
rd. 15 % und in NRW knapp 17 %. Mutter-     zwischen 2001 und 2007 jährlich er-
Kind-Infektionen betragen bundes- und       höht haben. Auch wenn 2008 und 2009
landesweit weiterhin weniger als 1 %.       kein weiterer Anstieg zu verzeichnen
                                            war, darf dies nicht als Trend oder gar
Menschen mit Migrationshintergrund          Entwarnung interpretiert werden, zumal
Da seit 2001 die anonymen Meldungen         ab 2010 ein erneuter Anstieg festge-
von HIV-Infektionen an das RKI auch         stellt wurde. Eine Auswertung der
Fragen zum Herkunfts- und Infektions-       Syphilis-Inzidenzraten (d.h. Anzahl der
land beinhalten, lassen sich gewisse        gemeldeten Fälle oder Erkrankungen
Trends über die Verbreitung von HIV bei     pro Jahr bezogen auf 100.000 Einwoh-
Menschen mit Migrationshintergrund          nerinnen und Einwohner) nach Regio-
darstellen. Betrachtet man die Angaben      nen zeigt, dass diese Infektionen be-
der Herkunftsregionen, so wird deut-        sonders in Großstädten und Ballungs-
lich, dass der Anteil von Frauen und        räumen zu beobachten sind.
Männern aus den verschiedenen Regio-
nen sehr unterschiedlich ist. Bei weibli-
chen Migranten wurde die HIV-Infektion       4. Grundsätze
vorwiegend im Herkunftsland erwor-
ben, die Mehrzahl der Männer mit Mi-        Schwerpunkte der HIV/AIDS-Präven-
grationshintergrund hat sich dagegen in     tion in Nordrhein-Westfalen sind seit
Deutschland infiziert. Bemerkenswert        1987:
ist, dass bei mehr als 50 % der HIV-po-     • durch Information, Aufklärung, Be-
sitiven männlichen Migranten als Infek-         ratung und Test die weitere Verbrei-
tionsrisiken Sex mit Männern und intra-         tung von HIV-Infektionen zu
venöser Drogengebrauch angegeben                minimieren,
wird.                                       • HIV-infizierte und AIDS-kranke Men-
                                                schen vor Ausgrenzung und Diskri-
Verbreitung der Syphilis in Nordrhein-          minierung zu bewahren und
Westfalen                                   • die ärztliche, pflegerische und psy-
Seit einigen Jahren wird insbesondere           chosoziale Versorgung und Betreu-
bei Männern, die Sex mit Männern                ung von Menschen mit HIV und
haben, eine Zunahme an Syphilis und             AIDS in das bestehende Regelver-
anderen sexuell übertragbaren Infektio-         sorgungssystem zu integrieren und
nen (STIs) beobachtet. Die Daten des            – sofern fachlich angezeigt –
RKI über die Entwicklung der Syphilis-          notwendige Schwerpunke zu setzen.

14
Das Land sieht seine Aufgabe auch zu-      – Eigenverantwortung und Solidarität
künftig vor allem darin, gemeinsam mit       als tragende Säulen der Prävention
den Kommunen und freien Trägern die        – Orientierung der Prävention an der
vorgenannten gesundheitspolitischen          Lebenswirklichkeit der jeweiligen
Ziele und Schwerpunkte bedarfsge-            Zielgruppen
recht, regionsbezogen und qualitätsge-     – Einbeziehung von Menschen, die
sichert weiterzuentwickeln. Der fach-        von HIV und AIDS bedroht und be-
liche Austausch soll zukünftig insbeson-     troffen sind, in die Entwicklung und
dere im Rahmen einer Arbeitsgemein-          Umsetzung von Präventionskonzep-
schaft AIDS-Prävention stattfinden.          ten
Den Vorsitz führt das für AIDS zustän-     – Fortführung und Weiterentwicklung
dige Referat im Gesundheitsministe-          der differenzierten staatlichen und
rium des Landes Nordrhein-Westfalen.         nicht staatlichen Angebotsstruktur.
Eine vom Land finanzierte Geschäfts-
stelle der Arbeitsgemeinschaft ist räum-
lich und organisatorisch beim Landesver-    5. Vorrangiger Handlungsbedarf
band der AIDS-Hilfe NRW angesiedelt.
                                           Dank des medizinischen Fortschritts
Die Maßnahmen zur Bekämpfung von           und des in Deutschland funktionieren-
HIV und AIDS in Nordrhein-Westfalen        den Gesundheitssystems, das Men-
stehen vor allem unter der Überschrift     schen mit HIV und AIDS den Zugang zu
Aufklärung, Information und Präven-        wirksamen Therapien ermöglicht, be-
tion statt Repression und werden ins-      trachten viele Menschen AIDS nicht
besondere von folgenden Grundsätzen        mehr als bedrohliche Krankheit und hal-
geleitet:                                  ten eine HIV-Infektion teilweise sogar
– Achtung der Menschenwürde                für heilbar. Diese Sichtweise hat einer-
– Recht auf sexuelle Selbstbestim-         seits zu einer Normalisierung im Um-
    mung, Akzeptanz unterschiedlicher      gang mit der Erkrankung und mit
    sexueller Orientierungen               Betroffenen beigetragen, andererseits
– universeller Zugang zum Gesund-          kann diese Einschätzung ohne weitere
    heitswesen, insbesondere zu Thera-     Präventionsanstrengungen zu einem
    pie und medizinisch notwendigen        nachlassenden Risikobewusstsein so-
    Medikamenten                           wohl in der Allgemeinbevölkerung als
– universeller Zugang zu anonymen          auch in besonders gefährdeten Grup-
    und kostenlosen HIV-Tests ein-         pen führen.
    schließlich einer vertraulichen,
    freiwilligen Beratung

                                                                                 15
Da vor allem bestimmte Bevölkerungs-        5.1 Schwule Männer und andere
gruppen gefährdet sind, sich mit HIV zu         Männer, die Sex mit Männern
infizieren, besteht vorrangiger Hand-           haben (MSM)
lungsbedarf darin, die Prävention auf
diese Gruppen zu konzentrieren. Lan-       Schwule Männer und andere Männer,
desweit inhaltliche Schwerpunktsetzun-     die Sex mit Männern haben (MSM),
gen und Kampagnen können dabei die         stellen nach wie vor die größte Betroffe-
Akzeptanz und Nachhaltigkeit von Bot-      nengruppe dar. 2011 wurden in Nord-
schaften verbessern und die Wirksam-       rhein-Westfalen rd. 72 % neuer HIV-
keit der vor Ort und auf Landesebene       Infektionen in dieser Gruppe festge-
eingesetzten Mittel erhöhen.               stellt.

Besonderer Handlungsbedarf wird aber       Gleichzeitig wird bei schwulen Männern/
auch darin gesehen, die zunehmende         MSM seit einigen Jahren auch ein An-
Verbreitung von Geschlechtskrankhei-       stieg anderer sexuell übertragbarer In-
ten stärker in den Blick zu nehmen und     fektionen (STIs), vor allem Syphilis und
den Zugang zu qualifizierter Beratung,     Gonorrhoe (Tripper), beobachtet. Diese
Diagnostik und Therapie zu erleichtern.    Entwicklung bietet Anlass zur Sorge,
Sinnvoll ist, die bewährten Erkenntnisse   weil diese „klassischen“ Geschlechts-
und Ansätze der HIV/AIDS-Prävention        krankheiten die Ansteckung mit HIV
für die Prävention von anderen sexuell     begünstigen. Ziel muss deshalb sein,
übertragbaren Infektionen zu nutzen.       die HIV-Prävention zukünftig stärker
                                           mit der Prävention anderer Ge-
Ebenso gibt es Handlungsbedarf, exis-      schlechtskrankheiten zu verknüpfen.
tierende Präventionsmaßnahmen auf          Darüber hinaus ist die Einbettung der
europäischer, Bundes-, Landes- und         HIV/AIDS-Prävention in umfassendere
kommunaler Ebene stärker miteinander       Maßnahmen zur Förderung der Ge-
zu verbinden.                              sundheit schwuler Männer bzw. von
                                           MSM ein sinnvoller Ansatz. Wichtig ist,
Wirksame HIV/AIDS-Prävention bedarf        die Präventionsmaßnahmen vorurteils-
der Einbindung der Selbsthilfe und des     frei an den schwulen Lebenswirklichkei-
Ehrenamts, insbesondere der Men-           ten zu orientieren. Beratungs-, Test-
schen aus den besonders betroffenen        und Untersuchungsangebote müssen
Zielgruppen und von Menschen mit           dabei in eine Gesamtstrategie von Prä-
HIV/AIDS. Die Freiwilligenarbeit ist       vention, Gesundheitsförderung und Be-
dafür eine unverzichtbare Vorausset-       handlungsangeboten eingebettet sein.
zung.                                      Erfolg versprechend sind insbesondere

16
aufsuchende Beratungs-, Test- und Un-      5.2 Menschen, die intravenös
tersuchungsangebote von Gesundheits-           Drogen konsumieren
ämtern in Kooperation mit den AIDS-
Hilfen, beispielsweise in Saunen und an   Nach Angaben des RKI wurden 2011
weiteren Orten, an denen sexuelle Kon-    knapp 8 % der HIV-Neuinfektionen in
takte angebahnt werden oder an denen      Nordrhein-Westfalen in der Gruppe der
Prostitution stattfindet. Der Zugang zu   intravenös Drogen konsumierenden
Präventionsmaterialien (z.B. Kondome,     Menschen geschätzt. Wesentlicher In-
Gleitmittel, Informationsmaterialien)     fektionsweg ist nach wie vor die ge-
ist dabei ein wichtiges Element eines     meinsame Nutzung von kontaminierten
gesundheitsfördernden Ansatzes. Um        Spritzen und Nadeln. Aber auch das se-
diese Angebote, einschließlich Beratung   xuelle Übertragungsrisiko ist von erheb-
und ggf. Untersuchung in der Fläche       licher Relevanz, insbesondere im
sicherzustellen, ist eine dauerhafte      Zusammenhang mit der Beschaffungs-
Zusammenarbeit aller Akteurinnen und      prostitution. Unter erhöhtem Konkur-
Akteure – Gesundheitsämter, freier        renzdruck und Druck der Freier wird
Träger und gewerblicher Anbieter –        eher auf die Kondombenutzung ver-
notwendig.                                zichtet. Hinzu kommt, dass intravenös
                                          Drogenkonsumierende vor dem Hinter-
Die Unterscheidung von schwulen Män-      grund der strafrechtlichen Sanktionen
nern und anderen Männern, die Sex mit     des Betäubungsmittelgesetzes und der
Männern haben (MSM), ist für die Prä-     häufig einhergehenden Beschaffungs-
vention von besonderer Bedeutung, da      kriminalität oft ein Leben am Rande der
es sich bei MSM nicht um eine klar        Gesellschaft führen und von den ge-
adressierbare Szene/Zielgruppe wie bei    sundheitlichen und sozialen Hilfen nur
schwulen Männern handelt und sich die     unzureichend erreicht werden.
Lebenswelten deutlich unterscheiden.
MSM werden dadurch charakterisiert,       In Nordrhein-Westfalen spielt darüber
dass sie meist keine homosexuelle         hinaus bei jungen Männern aus Ost-
Identität ausbilden und sich durch        und Zentraleuropa der intravenöse
schwule Präventionsangebote nicht         Drogenkonsum eine zentrale Rolle für
bzw. nur eingeschränkt angesprochen       ein HIV-Infektionsrisiko.
fühlen. Die Weiterentwicklung der ziel-   Die Einbindung der Drogenhilfeeinrich-
gruppenspezifischen Prävention muss       tungen ebenso wie der Drogenselbst-
diese Unterscheidung deshalb sowohl in    hilfe in die HIV/AIDS-Prävention ist ein
der medialen als auch in der personalen   zentrales Element für eine szenenahe
Kommunikation stärker berücksichtigen.    Arbeit. Regionale und landesweite

                                                                                 17
Strukturen der JES-Selbsthilfe (Junkies,    In Nordrhein-Westfalen gibt es bereits
Ex-User und Substituierte) können da-       verschiedene Ansätze und Aktivitäten
für eine wichtige Unterstützung sein.       zur Prävention von HIV und weiteren In-
                                            fektionskrankheiten. Zur Verhinderung
Darüber hinaus bleibt die kontinuierli-     der Weiterverbreitung von Infektions-
che Weiterentwicklung der niedrig-          krankheiten gibt es beispielsweise ein
schwelligen Hilfeangebote (z.B. Drogen-     Informationsblatt in 20 Sprachen sowie
konsumräume) sowie der Angebote zur         einen Erlass des Justizministeriums zur
Substitutionsbehandlung Opiatabhän-         kostenlosen Abgabe von Kondomen
giger (z.B. diamorphingestützte Be-         und wasserlöslichen Gleitmitteln an alle
handlung) auch künftig eine wichtige        Gefangenen (sog. Kondomerlass). Da-
Aufgabe, um die HIV- Ansteckungsrisi-       rüber hinaus trägt die regelmäßige Sub-
ken bei intravenös Drogenkonsumieren-       stitutionsbehandlung intravenös
den zu minimieren.                          drogenabhängiger Inhaftierter zur Risi-
                                            kominimierung bei.

 5.3 Menschen in Haft                       Abgesehen davon, besteht in verschie-
                                            denen Bereichen der Gesellschaft
Menschen in Haft, vor allem Menschen,       weiterhin Bedarf, die HIV/AIDS- und
die intravenös Drogen konsumieren,          Hepatitis-Prävention generell und damit
haben ein besonders hohes Risiko, sich      auch für Menschen in Haft weiterzuent-
mit HIV und Hepatitis zu infizieren. Da-    wickeln. Auch wenn die Präventions-
rüber hinaus gehören ungeschützte se-       möglichkeiten aufgrund der beson-
xuelle Kontakte zwischen Gefangenen         deren Situation des Strafvollzugs be-
sowie die in Haftanstalten übliche Pra-     grenzt sind, dürfen Prävention und Ge-
xis des Tätowierens durch Gefangene         sundheitsförderung nicht vor den Toren
zu weiteren Infektionsrisiken. In Nord-     der Justizvollzugsanstalten Halt ma-
rhein-Westfalen wird davon ausgegan-        chen. Sinnvoll ist, die Präventionsstra-
gen, dass über 35 % der Inhaftierten        tegien, die außerhalb des Justizvollzugs
eine Drogenproblematik haben.               erfolgreich sind, im Einvernehmen mit
Die besondere gesundheitliche Gefähr-       dem Justizministerium daraufhin zu
dung, der sich viele Inhaftierte in der     überprüfen, inwieweit sie in den Justiz-
Haft aussetzen, stellt für die im Vollzug   vollzugsanstalten Anwendung finden
für die Gesundheitsfürsorge Verant-         können, soweit dies nicht schon ab-
wortlichen eine besondere Herausfor-        schlägig entschieden ist oder zwin-
derung dar, Infektionen im Strafvollzug     gende rechtliche Vorschriften dem
zu minimieren.                              entgegen stehen und keine neuen Er-

18
kenntnisse bzw. geänderten Rahmenbe-       Gleichzeitig ist zu beobachten, dass der
dingungen eine erneute Überprüfung         Informationsstand zu HIV/AIDS und
rechtfertigen.                             STIs bei Menschen mit Migrationshin-
                                           tergrund mit geringen Deutschkennt-
Dazu soll der fachliche Austausch zwi-     nissen, ungesichertem Aufenthalts-
schen dem anstaltsärztlichen Dienst        status und in der Sexarbeit Tätigen oft-
der Justiz, externen Fachambulanzen,       mals gering ausgeprägt ist. Insbeson-
Kliniken und Schwerpunktpraxen sowie       dere diejenigen, die keine Anbindung
die Kooperation mit externen Einrich-      an das gesundheitliche und soziale
tungen der Suchtberatung und Anbie-        Versorgungssystem haben, stellen
tern von Präventions- und sonstigen        eine besondere Herausforderung für
Hilfeprojekten für inhaftierte Drogenge-   die HIV/AIDS/STI-Prävention dar.
fährdete sowie Drogengebraucherinnen
und Drogengebraucher intensiviert          Besonders defizitär ist der Zugang zu
werden.                                    Prävention und Gesundheitsversorgung
                                           von Menschen ohne Papiere. Aus Furcht
                                           vor einer Entdeckung nehmen diese
 5.4 Menschen mit                          Menschen medizinische Behandlung
     Migrationshintergrund                 sowie Angebote der Beratung meist nur
                                           im äußersten Notfall wahr. Die frühzei-
Fast jede vierte in NRW lebende Person     tige Diagnose und Behandlung von HIV
(23,4 %) hat einen Migrationshinter-       und anderen sexuell übertragbaren In-
grund. Menschen mit Migrationshinter-      fektionen sind damit praktisch unmög-
grund haben in Nordrhein-Westfalen (so     lich. Nichtstaatliche Strukturen und der
wie in ganz Deutschland) generell kein     öffentliche Gesundheitsdienst können
besonderes HIV-Risiko. Sie werden in       eine adäquate und nachhaltige Präven-
vielen Fällen durch die allgemeinen        tion und Gesundheitsversorgung nur
Präventionskampagnen der BZgA, die         lokal und in begrenztem Maße sicher-
Informationsangebote des ÖGD, der          stellen.
AIDS-Hilfen und weiterer freier Träger
erreicht.                                  Etwa 2.400 (14 %) der in Nordrhein-
                                           Westfalen lebenden Menschen mit HIV
Insbesondere Jugendliche werden in den     und AIDS sind nach Schätzungen des
Schulen und in der außerschulischen Ju-    RKI im Jahr 2011 Menschen mit Migrati-
gendarbeit – auch durch den Einsatz von    onshintergrund aus sog. Hochpräva-
Präventionsfachkräften – geschlechts-      lenzregionen (Regionen, in denen mehr
und kultursensibel angesprochen.           als ein Prozent der Bevölkerung HIV-

                                                                                 19
infiziert ist). Bei 10 – 15 % der neu diag-   Um Sprach- und Kulturbarrieren weiter
nostizierten HIV-Infektionen dieser           abzubauen, bedarf es zum einen weite-
Menschen wird als wahrscheinliches In-        rer migrationsspezifischer Ansätze,
fektionsland Deutschland genannt. Als         zum anderen aber auch weiterer Bemü-
Infektionsweg werden überwiegend he-          hungen, die transkulturelle Öffnung der
terosexuelle Kontakte angegeben. Ta-          vorhandenen Präventionseinrichtungen
buisierung von Krankheit verbunden            voranzutreiben.
mit Diskriminierung der von Krankheit
betroffenen Menschen erschwert den
Zugang zu Präventionsangeboten.                5.5 Frauen
Auch wenn diese Gruppe – in absoluten
Zahlen gerechnet – klein ist, ist zur Mi-     Nach Schätzungen des RKI haben sich
nimierung von Neuinfektionen die Wei-         2011 in Nordrhein-Westfalen etwa
terentwicklung kultursensibler Präven-        650 Menschen neu mit dem HI-Virus
tionsangebote unter Berücksichtigung          infiziert. Diese HIV-Neuinfektionen
der Lebenswirklichkeit der Menschen           betrafen 540 Männer und 110 Frauen.
aus Hochprävalenzländern notwendig.           Der Anteil der Frauen an den HIV-Neu-
                                              infektionen betrug danach knapp 17 %.
In Nordrhein-Westfalen spielen darüber        Was die Hauptübertragungswege von
hinaus – insbesondere bei Menschen            Frauen anbelangt, ist seit Mitte der
aus Ost- und Zentraleuropa – zwei In-         90er Jahre zu beobachten, dass sich
fektionswege eine zentrale Rolle: Sexu-       Frauen zunehmend durch heterosexu-
alkontakte zwischen Männern und               elle Kontakte infizieren und die Über-
intravenöser Drogenkonsum. Die Tabui-         tragung durch intravenösen Drogen-
sierung gleichgeschlechtlicher sexu-          konsum rückläufig ist.
eller Kontakte und die Diskriminierung        Auch wenn die meisten Frauen kein be-
von Drogenkonsumenten in den Her-             sonderes HIV-Risiko haben und durch
kunftsländern stellt eine besondere           die allgemeinen Präventionskampagnen
Herausforderung für die Prävention dar.       der BZgA und die Informationsange-
                                              bote des ÖGD, der AIDS-Hilfen und wei-
Da sich die Lebenssituation und räumli-       terer freier Träger erreicht werden, so
che Verteilung von Menschen mit Mi-           gibt es Frauen, die aus unterschiedli-
grationshintergrund in städtischen und        chen Gründen diese Angebote gar nicht
ländlichen Gebieten unterscheidet, sind       oder nur unzureichend nutzen können.
differenzierte Präventionsansätze und -
angebote erforderlich.                        Spezifische Präventionsmaßnahmen
                                              müssen sich deshalb insbesondere an

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die Frauen und jungen Mädchen rich-          Primärprävention. Jugendliche stehen
ten, die aufgrund ihrer sozialen, kultu-     vor der Herausforderung, zu Beginn
rellen oder persönlich schwierigen           ihrer partnerschaftlich ausgerichteten
Situation oftmals nur eingeschränkt für      Sexualität sich sowohl mit Fragen der
ihre Gesundheit und ihre Bedürfnisse         Verhütung und des Schutzes vor sexuell
eintreten können. Auch weil Frauen an-       übertragbaren Infektionen als auch mit
dere Zugänge zum Gesundheitssystem           physischen und psychischen Verände-
wahrnehmen und oft anders behandelt          rungen auseinanderzusetzen. Die bishe-
werden als Männer, muss der Blick für        rigen Erfahrungen haben gezeigt, dass
die Belange von Frauen und ihrer gesell-     personalkommunikative Ansätze in der
schaftlichen und gesundheitlichen            Sexualaufklärung und Prävention diese
Lebenssituation geschärft werden.            Lernprozesse besonders fördern und
                                             unterstützen. Sie müssen jedoch früh-
Auch wenn die Anzahl von Mutter-Kind-        zeitig einsetzen, kontinuierlich weiter-
Infektionen in Nordrhein-Westfalen           geführt werden und sich an dem indi-
während der Schwangerschaft oder der         viduellen Entwicklungsstand, der sexu-
Geburt gering ist, bleibt es ein wichtiges   ellen Orientierung und den sozialen,
Ziel, diese Zahl weiter zu reduzieren.       kulturellen und ethnischen Hintergrün-
Das Risiko einer HIV-Infektion des Kin-      den der Jugendlichen ausrichten.
des kann erheblich gesenkt werden,
sofern die HIV-Infektion einer schwan-       AIDS-Aufklärung in der Schule ist des-
geren Frau rechtzeitig behandelt wird.       halb ein wichtiger Bestandteil der HIV/
                                             AIDS-Prävention. Die Bildungs- und Er-
Handlungsbedarf besteht zukünftig vor        ziehungsarbeit der Schulen wirkt darauf
allem darin, die Lebenswirklichkeit und      hin, dass irrationale Ängste vor der
die Bedürfnisse von Frauen im Rahmen         Krankheit und vor Erkrankten abgebaut
der HIV/AIDS-Prävention stärker zu be-       werden und Infizierte wie Erkrankte vor
rücksichtigen.                               sozialer Ausgrenzung bewahrt bleiben
                                             (vgl. BASS 18 – 12 Nr. 4, AIDS-Aufklä-
                                             rung an Schulen, RdErl. d. Kultusminis-
 5.6 Jugendliche                             teriums v. 1. 7. 1987). Die HIV/AIDS-
                                             Aufklärung und -Prävention ist ein
Jugendliche gehören bislang nicht zu         Querschnittsthema und verpflichtende
den besonders gefährdeten Bevölke-           Aufgabe der Bildungs- und Erziehungs-
rungsgruppen. Da sie am Anfang ihrer         arbeit an Schulen in NRW.
sexuellen Aktivität stehen, sind sie je-
doch eine wichtige Zielgruppe für die

                                                                                   21
Da andere sexuell übertragbare Infek-       6. Empfehlungen
tionen, insbesondere Syphilis, Tripper
und Chlamydien, auch Jugendliche be-       Übergeordnetes Ziel dieser
treffen und sich damit das Risiko einer    Empfehlungen ist die „Minimierung“
HIV-Infektion erhöht, müssen die In-       von Neuinfektionen.
halte der HIV/AIDS-Prävention und Se-
xualaufklärung mit den Informationen       Die Maßnahmen der HIV/AIDS-Präven-
zur Verhinderung der o. g. Infektionen     tion in Nordrhein-Westfalen werden seit
verknüpft werden.                          mehr als 20 Jahren von folgendem
                                           Grundgedanken geleitet: „Aufklärung,
Besonders zu berücksichtigen sind          Information und Prävention sind wir-
weibliche und männliche Jugendliche,       kungsvoller als Zwang und Repression.“
die in schwierigen sozialen Verhältnis-    Der bisherige Verlauf der Infektionszah-
sen leben, die Drogen konsumieren          len in Nordrhein-Westfalen bestätigt die
sowie männliche Jugendliche im             Wirksamkeit und Richtigkeit dieser
„Coming-out“, da in diesen Gruppen         Strategie, die auch bei der Entwicklung
das Infektionsrisiko erhöht ist. Sie be-   künftiger Maßnahmen zu berücksichti-
nötigen einen niedrigschwelligen Zu-       gen ist.
gang zu altersgerechten, geschlechts-
spezifischen und kultursensiblen Ange-     Folgende Vorgehensweisen bei der
boten der Information, Beratung und        Weiterentwicklung und Umsetzung von
Untersuchung.                              Präventionskonzepten und -maßnah-
                                           men werden empfohlen:
Die Angebote der Schule und der au-
ßerschulischen Jugendarbeit werden         • Zusammenarbeit, Koordination und
durch HIV- und STI-Präventionsmaß-           Vernetzung als Fundament
nahmen der AIDS-, Sexual- und Jugend-        Erfolg versprechender Prävention
beratungsstellen unterstützt und             weiter ausbauen:
ergänzt. Notwendig sind kontinuierliche
und strukturierte Kooperationen und        Die besondere Herausforderung für alle
gemeinsame Projekte zwischen AIDS-/        relevanten Akteurinnen und Akteure
STI- und Sexualberatungsstellen,           (insbesondere Land, Öffentlicher Ge-
Jugendhilfe, Suchthilfe, Schulen und       sundheitsdienst, freie Träger, Mitarbei-
anderen Bildungseinrichtungen in           terinnen und Mitarbeiter der Selbsthilfe
öffentlicher und freier Trägerschaft.      sowie ehrenamtlich Tätige) in Nord-
                                           rhein-Westfalen besteht darin, sowohl
                                           die Allgemeinbevölkerung als auch be-

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sonders gefährdete Bevölkerungsgrup-        chen Beitrag zur Qualitätsentwicklung.
pen gezielt zu erreichen, die zuneh-        U.a. bieten die Erfahrungen aus dem
mend komplexeren Präventionsbot-            Modellprojekt „Partizipative Qualitäts-
schaften angemessen zu vermitteln,          entwicklung“ des Wissenschaftszen-
örtliche, regionale und überregionale       trums Berlin (WZB) eine gute Grund-
Angebote aufeinander abzustimmen            lage für weitere Schritte in diese Rich-
und die speziellen Fähigkeiten und Stär-    tung (www.qualitaet.aidshilfe.de).
ken der verschiedenen Akteurinnen und
Akteure sinnvoll einzusetzen. Dieser        Um die Einbindung von Freiwilligen auf
Prozess erfordert eine enge Zusammen-       hohem Niveau zu halten, sollten mehr
arbeit, einen kontinuierlichen fachlichen   Möglichkeiten des projektbezogenen
Austausch und eine verstärkte Koordi-       Engagements und der Mitwirkung bei
nation und Vernetzung auf allen Ebenen.     der fachlichen Weiterentwicklung ge-
                                            schaffen, die Qualifizierung intensiviert
• Die Qualität von Präventions-             und die Zertifizierung der erworbenen
  maßnahmen kontinuierlich weiter           Fähigkeiten verbessert werden.
  entwickeln:
                                            Mit Hilfe von modernen Medien (z.B.
Die Qualität der Aufklärung, Beratung       Internetplattform) werden die Kommu-
und Informationsübermittlung hängt          nikation der Akteurinnen und Akteure
vor allem von der fachlichen Kompe-         untereinander und die Qualitätsent-
tenz der Präventionskräfte ab. Dazu         wicklung ihrer Angebote (Best-Practice-
sind ausreichende Angebote der Quali-       Beispiele) zusätzlich gestützt. Auch
fizierung und des Erfahrungsaustau-         eine Intensivierung der Vernetzung mit
sches auf kommunaler, Landes- und           anderen Berufsgruppen, die im AIDS-
Bundesebene anzubieten und zu nut-          Bereich und in angrenzenden Themen-
zen. Zur Intensivierung der Institutio-     gebieten tätig sind, sichert und verbes-
nen übergreifenden Zusammenarbeit           sert die Qualität von Maßnahmen.
(Präventionskräfte der Kommunen,
freier Träger und der Selbsthilfe) sind     • HIV-Prävention mit der Prävention
sowohl örtliche, regionale als auch           anderer sexuell übertragbarer
überregionale Arbeitstreffen, Fachta-         Infektionen verknüpfen:
gungen etc. ein sinnvolles Instrument
der Qualitätsentwicklung.                   Unbehandelte sexuell übertragbare In-
                                            fektionen, insbesondere Syphilis, sind
Ebenso leistet die Evaluation der Prä-      wesentliche Faktoren bei der Übertra-
ventionsmaßnahmen einen wesentli-           gung von HIV-Infektionen. Deshalb

                                                                                   23
sollte die Prävention anderer sexuell       Untersuchung und ggf. Behandlung ein-
übertragbarer Infektionen auch in           bezogen werden.
Präventionskonzepte und -Maßnahmen
zu HIV/AIDS einfließen. Entsprechende       Die Kosten des HIV-AK-Tests (Antikör-
Angebote sollten jedoch, analog zur         per-Test), des HIV-AK-Schnelltests und
HIV-Prävention, auf die zielgruppenspe-     für die Syphilis-Testung in den Gesund-
zifischen Risiken und die Erreichbarkeit    heitsämtern trägt das Land.
(räumlich, sozial, kulturell, sprachlich,
individuell) besonders betroffener oder     • Die Medikalisierung der Primär-
gefährdeter Menschen zugeschnitten            prävention als Herausforderung
werden.                                       begreifen und kritisch begleiten:

• HIV-Testberatung als Präventions-         Medikamente, die der Behandlung einer
  mittel nutzen und weiterentwickeln:       HIV-Infektion dienen, werden bereits
                                            heute im Bereich der Primärprävention
Das Wissen um eine HIV-Infektion kann       eingesetzt (HIV-Postexpositionsprophy-
Betroffenen helfen, sich und andere         laxe (PEP)) bzw. haben primärpräven-
gezielt zu schützen. Um die Testbereit-     tive Auswirkungen (Senkung der
schaft zu erhöhen und den Zugang zu         Viruslast durch antiretrovirale Thera-
frühzeitiger Behandlung zu ermögli-         pien und damit Reduktion des Risikos
chen, muss das Angebot der HIV-Tes-         der sexuellen Übertragbarkeit von HIV).
tung folgende Bedingungen erfüllen:
                                            Es ist davon auszugehen, dass auch die
> Einbindung in qualifizierte Beratung      Präexpositionsprophylaxe (PrEP) – also
  und ggf. weitere Begleitung               die Einnahme von Medikamenten vor
> Wahrung von Anonymität und Ver-           einem möglichen Infektionsrisiko – an
  traulichkeit                              Bedeutung gewinnen wird. Allerdings
> niedrigschwelliges und auch be-           gibt es diesbezüglich noch zahlreiche
  stimmte Zielgruppen aufsuchendes          offene Fragen: Wird die PrEP das prä-
  Angebot                                   ventive Verhalten verändern, in wel-
> Nutzung der aktuellen, wissenschaft-      chem Umfang wird sie genutzt werden,
  lich überprüften und den Ratsuchen-       wer trägt ggf. die Kosten für eine PrEP
  den angepassten Test- bzw.                und welche gesundheitlichen Folgen
  Untersuchungsverfahren.                   wird die Nutzung langfristig haben?
                                            Ebenfalls ist noch ungeklärt, wie die Be-
Je nach individueller Risikoanamnese        ratung für potenzielle Nutzer gestaltet
sollten andere STIs in die Beratung,        werden kann.

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• Neue Medien und Kommunikations-          als zentrale Beratungs-, Diagnostik- und
  wege intensiver nutzen:                  Untersuchungseinheiten). Jeder Akteur
                                           sollte für seine spezifischen Gegeben-
Neue Medien sollten intensiver als         heiten die Umsetzung landesweiter In-
Raum der HIV/AIDS/STI-Prävention           novationen und Möglichkeiten prüfen
genutzt werden. Dabei muss darauf          und nach Bedarf selbstständig und ei-
geachtet werden, dass die Botschaften      genverantwortlich umsetzen.
über alte und neue Medien hinweg ein-
heitlich vermittelt werden. Die Form der   • Synergien mit anderen Präventions-
Kommunikation muss jedoch dem je-            ansätzen nutzen:
weiligen Medium angemessen erfolgen.
Auf die stärkere Verknüpfung neuer und     Sowohl aus fachlichen Erwägungen als
alter Medien ist ebenfalls hinzuwirken.    auch vor dem Hintergrund begrenzter
Die Nutzung interaktiver Anwendungen       finanzieller Ressourcen sollten zukünf-
im Internet (wie z.B. die Gestaltung in-   tig vermehrt Synergien verschiedener
dividueller Präventionsmedien auf der      Präventionsansätze und -maßnahmen
Online-Plattform www.machsmit.de           angestrebt werden. Beispielsweise bie-
oder die Verwendung von Online-Kalen-      tet es sich an, die HIV/AIDS-Prävention
dern bei der Terminvergabe für ein per-    bei Menschen mit Migrationshinter-
sönliches Beratungsgespräch) kann die      grund mit migrationsspezifischen Pro-
Motivation und Einbindung der Bevölke-     jekten zu verknüpfen. Ebenso wirksam
rung fördern („Crossmedia“).               kann es sein, die HIV-Testberatung mit
                                           der Beratung anderer sexuell übertrag-
• HIV-Prävention erfordert kreative        barer Infektionen zusammenzuführen
  Antworten und innovative Heran-          sowie Aktivitäten der Deutschen AIDS-
  gehensweisen:                            Hilfe, der BZgA, des Öffentlichen Ge-
                                           sundheitsdienstes, der AIDS-Hilfe NRW
HIV ist eine dynamisch verlaufende Epi-    usw. konsequenter zu verzahnen.
demie, die immer wieder neue Fragen
aufwirft und kreative Antworten erfor-
dert. Diese Entwicklungen bedürfen          6.1 Schwule Männer und andere
einer kontinuierlichen und bedarfsge-           Männer, die Sex mit Männern
rechten Anpassung, innovativer Kon-             haben (MSM)
zepte und Ideen wie beispielsweise
Einrichtung von überregionalen Kompe-      HIV-Neuinfektionen werden vor allem
tenzzentren zu sexueller Gesundheit        bei Männern beobachtet, die Sex mit
(z.B. in Form von Know-how-Pools oder      Männern haben. 2011 wurden in Nord-

                                                                                 25
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