Seltsame Blüten IDENTITÄTSPOLITIK - GEW Hamburg
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IDENTITÄTSPOLITIK Seltsame Blüten Versuch, in eine durcheinandergeratene Debatte Struktur zu bringen Es rauscht gewaltig im Lite- und Kühnert nach einem eigens diese gern mit der Attitüde des raturbetrieb und im Blätterwald dazu einberufenen parteiinternen Benachteiligt- und /oder Unter- der Journaille. Endlich ein The- Forum. drücktseins versucht, diesen für ma jenseits von Corona, über das Da gerade wir, die hlz-Redak- ihre Position zu beanspruchen. es sich lohnt zu streiten! Und tion, es waren, die als eines der So geht es mir auf jeden Fall nachdem es, angefangen mit ersten Publikationsorgane unse- im Zusammenhang mit der in der radikal-feministischen Gruppie- re Texte gegendert haben, fühlen Linken aufgebrochenen identi- rungen, die eine insgesamt um wir uns direkt angesprochen, Po- tätspolitischen Debatte. Nur um Veränderungen kämpfende Strö- sition zu beziehen. Dass es dabei diese geht es mir! Auch wenn mung geschlechterdefinierter mittlerweile nicht nur um die semantische Ähnlichkeiten zur Identitäten unter dem Akronym breit geführte Debatte des Gen- völkisch-nationalistischen Strö- LGBT1 entstehen ließ, erhielt derns von Sprache geht, ist der mung der Identitären vorhanden das Ganze durch die US-ameri- Dynamik der Auseinanderset- sind, so hat das eine mit dem kanische Black Lives Matter-Be- zung geschuldet, die inzwischen anderen nichts zu tun. Um Miss- wegung noch mehr Schubkraft, viele andere gesellschaftliche verständnissen vorzubeugen, in deren Reihen sich mehr und Fragestellungen unterdrückte seien die Unterschiede deshalb mehr Positionen durchgesetzt Minderheiten betreffend aufge- noch einmal dargelegt. haben, die jene Ausschließlich- worfen hat. keitskriterien vor sich her trugen, In einer Gesellschaft gehen links nicht gleich rechts die zunehmend für Irritation sor- Veränderungen immer von de- Während es den Protago- gen und nun auch das deutsche ren Rändern aus. Warum sollte nist_innen der linken identi- intellektuelle Milieu in Aufre- auch die saturierte Gruppe das tätspolitischen Bewegung ein- gung versetzen. Und nicht nur in Frage stellen, was ihrem Le- deutig darum geht, historisch dort: Selbst im Parteiengezänk ben bislang Stabilität verlieh? gewachsene Diskriminierungen oder auch parteiintern ist die Insofern sind die heftigen Re- zu beseitigen, geht es den Rech- Auseinandersetzung angekom- aktionen derer, die sich in eben ten immer darum, die eigene kul- men. Prominentestes Beispiel jener Mitte wähnen, schon zu turelle Identität als Schutzschild dafür, was unter dem Begriff erklären. Ob sie berechtigt sind, vor Überfremdung, sprich: Ver- Cancel Culture (dt. Absage- oder Löschkultur) die Runde macht (s. Kasten), war die Einlassung des SPD-Altvorderen Wolfgang Thierse, der sich, nachdem er in einem in der FAZ veröffent- lichten Artikel das für ihn selt- same Gebaren so mancher sich auf identitäre Politik Beziehen- den als gesellschaftspolitisch bedenklich bis gefährlich cha- rakterisierte, der Schelte seiner Stadtgespräch: Die frisch ins Amt gesetzte Chefredakteurin von Parteivorsitzenden Saskia Esken Hinz&Kunzt Annette Bruhns sieht den Gender* kritisch und ruft zur und des Hoffnungsträgers der öffentlichen Auseinandersetzung in dem Straßenmagazin auf SPD, Kevin Kühnert, ausgesetzt sah. „All das beschämt uns zu- ist eine andere Frage bzw. hängt änderung, zu einer Panzerung tiefst“ und sie seien besorgt über wie immer vom Standpunkt der auszubauen. Jede/r, der oder die ein rückwärtsgewandtes Bild der Betrachter_innen ab. sich dem in den Weg stellt, wird SPD, so kommentierten es Esken Umgekehrt kann man aber als Verräter_in am eigenen Volk auch nicht jede Kritik, die von gebrandmarkt. Dabei ist klar, 1 Es wird auf die Darstellung veränderter und erweiterter Akronyme, wie sie aktuell zahlreich einer Minderheit kommt, mit ei- dass es keinerlei Differenzie- zu finden sind, verzichtet. nem Kredit versehen, auch wenn rung bedarf, wer wessen Iden- hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 3-4/2021 47
Foto: Wikipedia/creative commons Apropos gegenderte „Feminis- tinnen“. Hier liegt ein weiteres Minenfeld bereit. Denn ein Teil der Bewegung für umfassende Gleichstellung spricht jenen das Recht ab, für die gerechte Sa- che streiten zu dürfen, wenn sie nicht direkt von der Diskriminie- rung betroffen sind. Das meint in diesem Fall: ein Mann kann sich weder als Feminist begrei- fen noch als solcher bezeichnen, weil er objektiv dazu das falsche Geschlecht hat. Dies setzt sich fort, wenn man hört, dass bspw. eine weiße Übersetzerin keinen Text einer Schwarzen Autorin übersetzen könne. So geschehen aktuell mit dem Gedicht Amanda Gor- mans, jener Schwarzen Frau, die Harmlos? bei der Amtseinführung Bidens ein Gedicht deklamierte, das tität gefährdet, wenn es um die dingt das eine das andere. D. h., für weltweite Aufmerksamkeit Reinhaltung des eigenen „Volks- wenn ich als Ziel eine klassenlo- sorgte. Die queere holländische körpers“ geht. Gesellschaftliche se Gesellschaft anstrebe, muss Übersetzerin zog sich zurück, Unterschiede – außer Führer und ich auf dem Weg dorthin die nachdem in den Sozialen Medi- Geführte – haben dort keinen zahllosen als nebenwidersprüch- en harsche Kritik aufkam, dass Platz, man kennt folglich nur lich charakterisierten Eigenar- für die Aufgabe keine Schwarze Volksgenossen! (Hier wird nicht ten, die alle ihre Wurzeln in eben oder PoC Übersetzerin ausge- gegendert.) einer auf Klassenunterschieden wählt worden sei. Einem Katala- Der qualitative Unterschied beruhenden Gesellschaft haben, nen mit selbigem Auftrag wurde zwischen linker identitätspoli- nicht nur erkennen, sondern im dieser wieder entzogen. Und in tischer und rechter identitärer Hier und Jetzt bekämpfen. Das Deutschland versuchte der Ver- Bewegung besteht für mich ist dann der berühmte Weg, der lag das Problem zu lösen, indem folglich darin zu unterscheiden, beschritten werden muss, ohne er gleich drei Frauen mit der ob die jeweils um Partizipation das Ziel aus dem Auge zu ver- Übersetzung betraute. und Integration ringenden, sich lieren, und um das Argument diskriminiert fühlenden Ange- dialektisch betrachtet zu ver- Spuren verwischen hörigen einer Gruppe ihr Anlie- vollständigen: Ich muss das Ziel Diese Art Kritik, gelabelt als gen in einen gesellschaftlichen kennen, um den richtigen Weg kulturelle Aneignung, bildet Kontext stellen, der objektiv zu finden. den Kern der Auseinanderset- von Ungleichheit gekennzeich- zung um Positionen der links- net ist. Dabei geht es mir bei Stachel im Fleisch identitären Bewegung. Was bei diesen tagesaktuellen oder auch Aber nun konkreter: Die in Blackfacing aus meiner Sicht zeitgeschichtlichen Auseinan- den letzten Wochen erneut auf- nachvollziehbar ist, dass es sich dersetzungen nicht um eine Hi- geflackerte Diskussion um eine gegenüber Jahrhunderte lang erarchisierung von Zielen oder gendergerechte Sprache zeigt, diskriminierten, geknechteten etwaigen Zielkonflikten, son- wie tief der Stachel im Fleisch oder präziser: versklavten Men- dern um deren Einordnungen in bei jenen sitzt, die sich in ihrer schen verbietet, sich mittels von eine komplexe gesellschaftliche Identität als Kulturträger_innen Weißen in Umlauf gebrachte Struktur. Konkreter: die Unter- aufgerufen fühlen, deutsches Stereotype weiter vorführen zu scheidung zwischen Haupt- und Kulturgut, d.h. eben auch die lassen, ist im Umgang mit der Nebenwiderspruch, wenn sie Sprache, zu schützen und sich Eliminierung historischer Zeug- denn genutzt wird, um damit Be- deshalb dem von ihnen ausge- nisse dieser Diskriminierung wertungen im Sinne einer Rang- machten „Genderwahn“ von schon schwieriger. Gemeint ist folge vorzunehmen, führt auf Feminist_innen entgegenstellen das Ersetzen rassistisch konno- den falschen Weg. Vielmehr be- müssen. tierter Wörter aus der Literatur 48 hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 3-4/2021
durch tatsächlich oder vermeint- von Klischees und könnte somit ihrer Herkunft eine Art Minder- lich neutralere Bezeichnungen durch das Raster politischer Kor- wertigkeitsgefühl wecken, weil wie bspw. das N-Wort. rektheit fallen, aber es auf eine der Kontinent Afrika als unter- Das, was für Kinderbücher Stufe mit Blackfacing zu stellen, entwickelt, arm und kulturlos richtig sein mag, dass man der- halte ich für falsch. gesehen wird, so wünschte ich lei Begriffe verändert, ist aus Und trotzdem – ich begrüße mir, dass mein Gegenüber ge- meiner Sicht für die übrige Li- diese Auseinandersetzung! Sie rade dies zum Anlass nähme, teratur kontraproduktiv. Ist das gibt die Möglichkeit, genau über um selbstbewusst dagegen zu nicht gleichbedeutend mit Spu- die angesprochenen Unterschie- halten, dass es sich doch herum- ren verwischen? Ein Grund, de zu streiten. So abstrus Man- gesprochen habe, dass Afrikas sich mit historischer Literatur zu ches auf den ersten Blick auch Kulturen viel älter sind als die beschäftigen, liegt doch gerade erscheinen mag, es schärft den europäischen und darüber hinaus darin, dem Denken und Fühlen Blick auf das jeweils Andere. diese strukturell an einer Ge- der Menschen zu den jeweiligen Erst durch die Auseinanderset- meinschaft orientierten Kulturen Zeiten, in denen das Werk ent- zung wird dies möglich. Das ver- weitaus humanere Züge tragen stand, nachzuspüren. Wenn man langt allerdings manchmal Mut. als das, was sich in den blutigen nun aber gerade jene Begrifflich- Im Zusammenhang mit den Klassenkämpfen der so genann- keiten streicht oder ändert, mit Vielen, die derzeit die Diskussi- ten entwickelten Gesellschaften denen sich Diskriminierung bis on im Umgang mit dem kolonia- abgespielt hat. in die Gegenwart hinein erklären len Erbe führen bzw. sich in Ini- Die Psycholog_innen spre- lässt, dann beraubt man sich ein tiativen zusammenschließen, um chen von einer ‚paradoxen Inter- stückweit der Chance, die Ge- auf den z.T. skandalösen Um- vention‘, wenn bspw. zunächst genwart aus der Vergangenheit gang mit diesem Erbe aufmerk- negativ konnotierte Begriffe of- heraus verstehen zu können. sam zu machen (s. nachfolgender fensiv von Betroffenen benutzt Übrigens begegnet uns die- Artikel), stellen sich Forderun- werden, um die Deutung genau ses Problem ganz aktuell in der gen viel berechtigter dar, als sie auch von der GEW unterstützten auf den ersten Blick erscheinen Foto: Wikipedia/creative commons Kampagne für den Wiederauf- mögen. Und was wäre trefflicher bau der von den Nazis zerstörten in Bezug auf politisches Enga- Synagoge auf dem Bornplatz. gement zu sagen, als dass es zur Das Auschwitz-Komitee und allgemeinen Verunsicherung bei- bekannte linke Israelis kritisie- trägt! So muss es auch dem Alt- ren diesen Plan ganz im oben präsidenten Joachim Gauck er- beschriebenen Sinn als ein Spu- gangen sein, als er sich gemüßigt renverwischen. sah, sich publizistisch mit dem Thema auseinanderzusetzen (s. Gleich ist nicht gleich DIE ZEIT v. 31.3.2021; S. 55f). Insofern kommt es immer Man muss seine Meinung nicht drauf an, welcher historische teilen, aber im Gegensatz zu in Kontext angesprochen ist, wenn der Decolonize-Bewegung ver- von kultureller Aneignung ge- tretenen Positionen dient sie der sprochen wird. So finde ich eigenen Positionsfindung. bspw. das kindliche Indianer- Frevelhaft? spiel nicht diskriminierend. Auf abstrus? jeden Fall kann ich mich nicht So stark mich manches aus der erinnern, dass wir als Kinder bei Decolonize-Bewegung Stam- in sein Gegenteil zu verkehren. diesem Spiel uns mit dem ins ge- mende berührt und zum Umden- Die Schwulenbewegung hat es sellschaftliche Abseits gedräng- ken bewegt, so unverständlich ist uns vorgemacht. Und auch die ten, von Alkohol gezeichneten mir anderes zugleich. Mir will Parole ‚Black is Beautiful‘ ver- Menschen identifiziert haben, bspw. nicht in den Kopf, warum folgte denselben Zweck. Mit wie man es später als Realität ich eine_n Mitbürger_in aus der ihr gelang es, mehr Schwarzes vorgeführt bekam oder einem Gruppe der PoC nicht fragen Selbstbewusstsein zu schaffen. blutrünstigen, Skalpell jagenden soll, woher die Vorfahren stam- Warum sollte dies nicht mit der Wilden nacheifern wollten. Das men? Wieso werden mir rassisti- Herkunft passieren, wenn je- Gegenteil war der Fall: Es war sche Motive unterstellt und nicht mand stolz auf den Umstand ver- immer der mutige, edle Kämpfer, einfach Interesse an der Person? weist, dass er/sie oder seine/ihre der um seine Jagdgründe stritt. Sollte ich nämlich durch die Fra- Vorfahren aus Afrika stammen? Natürlich ist auch dies nicht frei ge an eine Schwarze Person nach Im Übrigen gehe ich davon aus, hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 3-4/2021 49
dass jemand, der oder die auf sei- die Schwarze Emanzipations- die gesamte identitätspolitische ne Herkunft angesprochen wird, bewegung zu beschränken, sei- Debatte, gendergerechte Sprache sehr gut unterscheiden kann zwi- en an dieser Stelle die für mich eingeschlossen, zu diskreditie- schen einem: „Ey, wo kommst ebenso abstrusen Vorstellungen ren. Man schlägt den Sack und du denn überhaupt her?“ und ei- gleicher Provenienz aus der meint den Esel. Der TAZ-Autor ner Frage, die zeigt– ganz unab- LSBT-Bewegung genannt: Da- Kaveh Yazdani fragt zurecht hängig vom Äußeren des Gegenübers –, dass der Foto: Roland von Selzam oder die Fragende_r an seinem/ihrer Gesprächs- partner_in interessiert ist. M.a.W.: Ich kann den Charakter einer solchen Frage nur kontextgebun- den beurteilen. Trotzdem: Ich sehe ein, dass es schräg ist oder gar anmaßend klin- gen mag, wenn eine der- artige Empfehlung von einem weißen und noch dazu alten Mann aus- gesprochen wird. Dem Gefühl, bevormundet zu werden von jenen, die ohnehin in der Ge- sellschaft das Sagen ha- ben oder sowas wie die Meinungshoheit für sich Durften die das? beanspruchen, ist Rech- nung zu tragen. Das bedeutet, nach dürfen – so wurde es auf zum Thema Identitätspolitik dass mensch derlei Vorschläge, jeden Fall kolportiert – schwule und Cancel Culture nach empi- wie man mit Diskriminierung oder lesbische Menschen kei- rischen Belegen (Kritische Ver- umzugehen habe, wenn sie von ne heterosexuellen Rollen im weigerung v. 21.3.2021). Bisher den Betroffenen selbst gemacht Theater oder Film übernehmen Fehlanzeige! Insofern sollte man werden, mit umso mehr Sensibi- und demgemäß auch umgekehrt deutlich unterscheiden zwischen lität begegnen sollte. nicht. einer linken Kritik, wie sie die Noch verunsichernder oder US-amerikanische Soziologin in diesem Fall besser: irritie- Man schlägt den Sack Nancy Frazer oder ihre französi- render als das Verbot der Frage und meint den Esel sche Kollegin Caroline Fourest, nach der Herkunft empfinde ich Dies hat dieser Tage Viele her- die das ganz besonders auch in die bereits oben angesprochene ausgefordert, gipfelt diese Forde- ihrem jüngst auf Deutsch er- Frage danach, ob es einer wei- rung doch darin, dass doch letzt- schienenen Buch ‚Generation ßen Frau verwehrt werden soll- endlich nur jede unterscheidbare Beleidigt‘ darlegt, üben und te, einen Text einer Schwarzen Gruppe das Recht hat, für ihre einer Kritik jener Rückwärts- Frau zu übersetzen. Das wird Emanzipation zu kämpfen. Viel- gewandten, die die Gelegen- noch getoppt von dem absurd leicht nur Ausnahmen oder Aus- heit nutzen, um alles, was sich anmutenden Vorwurf der kultu- wüchse im Rahmen einer enga- um Emanzipationsbewegungen rellen Aneignung, wenn bspw. gierten Auseinandersetzung? In rankt, zu diskreditieren. Gera- einem weißen Musiker oder ei- Hinblick auf den Protest gegen dezu als bestürzend empfinde ner weißen Musikerin das Recht die Bewegung der Linksidentitä- ich es, wenn bspw. Fourest und abgesprochen wird, Schwarze ren aus dem universitären Milieu ihre Mitstreiter_innen von Isla- Musik spielen zu dürfen. Rolling sollte man auf jeden Fall unter- mist_innen im Verein mit sich Stones adé?! Bereits das Tragen scheiden zwischen jenen, denen links verstehenden Aktivist_in- von Dreadlocks fällt unter dieses es um die Sache geht – nämlich nen der Identitätsbewegten bei Verdikt. um den Schutz der Meinungs- Diskussionen um das Kopftuch Aber um diese Art identitäts- vielfalt – und denen, die diese regelmäßig von diesen am Re- politischer Forderung nicht auf Diskussion zum Anlass nehmen, den gehindert werden. 50 hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 3-4/2021
Rebellion ist gerechtfertigt! das, was wir da in Gang bringen, Maggi alive Dieses einmal von Mao Tse Tung um die Arbeits- und Lebenssitu- Trotzdem halte ich diesen ausgegebene Motto hat m.E. im- ation zu verbessern, nicht eine Standpunkt, nur Betroffene mer noch seine Berechtigung, Art Stellvertreter_innenpolitik dürften sich wehren, nicht nur wenn verkrustete Strukturen, die ist, die langfristig nicht dazu für falsch, sondern auch in eine der allgemeinen Emanzipation taugt, die eigentlich Abgehäng- Sackgasse führend. Von Margret des Menschen zuwiderlaufen, ten zu emanzipieren. Thatcher stammt der Satz: „Ge- aufgebrochen gehören. Niemals Vor diesem Hintergrund kann sellschaft gibt es nicht. Es gibt aber um den Preis, anders Den- ich nachvollziehen, was zurzeit nur einzelne Männer und Frau- kende mundtot zu machen! bestimmte Minderheiten mit en und es gibt Familien.“ Linke Vehemenz einfordern: Nämlich Identitäre müssen sich fragen Es rettet uns kein als Betroffene gehört zu werden. lassen, ob sie in die Nähe jener höh‘res Wesen Dass sie gleichzeitig mit Skep- Dame gerückt werden wollen! So falsch ich Vieles, was mit sis, ja mit Ablehnung reagieren, Damit aber – auch das zeigt dem Vorwurf der kulturellen wenn sich andere ihrer Inter- die Geschichte – hat er oder sie Aneignung eingefordert wird, essen bemächtigen, ist deshalb nur wenig Chance auf Erfolg. finde, so interessant ist es doch nachvollziehbar. Gerade auch, Es sei denn, man bemisst - wie zu versuchen, diese Position zu weil wir aus vielerlei Zusam- Maggi - Erfolg nur am Eigen- begreifen. Wie heißt es in der In- menhängen wissen, dass Wider- heim, das man am Ende seines ternationalen? „Es rettet uns kein ständiges nach kurzer Zeit von Lebens zu seinen Besitztümern höh‘res Wesen/ kein Gott, kein interessierter Seite für ganz an- zählen darf. Wem also noch nicht Kaiser noch Tribun/ Uns aus dere Zwecke instrumentalisiert ganz die „Flausen“ seiner Jugend dem Elend zu erlösen/können wird. Besonders anschaulich war abhandengekommen sind, näm- wir nur selber tun!“ dies ja zu verfolgen, als die Mo- lich: dass es ein Leben in einer Auch wenn dies zunächst nur debranche sich der Punk-Kultur Gesellschaft geben kann, in der kollektiv gedacht war, so gilt es bemächtigte. Substanzieller gilt der oder die Einzelne nicht zwin- letztlich natürlich auch für die dies natürlich für die Kultur der gend auf Kosten eines/r anderen einzelne Person. Und wir wis- Afro-Amerikaner. Mit der for- einen Vorteil sucht, sondern er sen, was selbsternannte oder malen Aufhebung der Jahrhun- oder sie das eigene Handeln an auch gewählte Führer_innen in derte lang währenden Sklaverei einer sozialen Utopie ausrich- der Weltgeschichte schon alles war das Martyrium und ist die tet, die sich daran misst, ob ein verbrochen haben, um im Namen Benachteiligung der Schwar- gleichberechtigtes Miteinander und vermeintlichen Interesse der zen bis heute ja keineswegs jenseits von Ausgrenzung und Unterdrückten, deren Lebenssi- überwunden. Vor diesem Hin- Diskriminierung möglich ist, tuation zu verbessern. Insofern tergrund kann man verstehen, sollte sich nicht das Recht ab- ist aus einem historischen Blick dass sich die Betroffenen gegen sprechen lassen, sich für jene heraus allemal Skepsis ange- Vereinnahmung zur Wehr setz- Gleichstellung einsetzen zu dür- bracht. Und selbst wir als aktive ten. Auch so kann man manches fen, die auf eine humanere Ge- Gewerkschafter_innen sehen uns Befremdliche, was einem unter sellschaft zielt. Was soll schließ- nicht selten in dem Zwiespalt dem Begriff Cancel Culture be- lich das ganze Gerede über und dem Vorwurf ausgesetzt, ob gegnet, versuchen einzuordnen. Empathie, wenn es aus Sicht der besagten Protagonist_innen der links-identitären Bewegung Cancel Culture nicht allen gleichermaßen zuge- (…) Die Frontstellung, die sich hier als Kampf um Diskurs- billigt wird, auch aus Mitgefühl macht, Wahrnehmung und Anerkennung abbildet, ist kulturell heraus, für eine bessere Welt zu und gesellschaftlich so bedeutsam wie komplex. Sie wird Gene- kämpfen? Auf jeden Fall kann rationenkonflikte sowie das Ringen um die Gestaltung der hete- es nicht sein, dass jemand, der rogenen Gesellschaft auf lange Zeit prägen. Anders als Wolfgang seine Lebensaufgabe darin sieht, Thierse es erhofft, kann es dabei keine Erlösung durch einende an der Verwirklichung einer sol- Wirgefühle geben. Es geht um das Anerkennen, Respektieren und chen Gemeinschaft mitzuwirken, Organisieren von Unterschiedlichkeit, um Gerechtigkeit und Teil- von Menschen ausgegrenzt wird, habe. Es geht aber eben auch um Diskursfähigkeit, Verständnis die meinen, allein der Kampf um und Gesprächsbereitschaft. (…) die Durchsetzung von Partiku- STEPHAN DETJEN Chefkorrespondent von Deutschlandradio: larinteressen durch die jeweils Die SPD und Wolfgang Thierse - Kaltes Kalkül in komplexer Debatte, Betroffenen reichte aus, um eine gesendet am 6.3.2021 gerechtere Welt zu schaffen. JOACHIM GEFFERS hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 3-4/2021 51
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