Seltsame Blüten IDENTITÄTSPOLITIK - GEW Hamburg

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Seltsame Blüten IDENTITÄTSPOLITIK - GEW Hamburg
IDENTITÄTSPOLITIK

Seltsame Blüten
Versuch, in eine durcheinandergeratene Debatte Struktur zu bringen
   Es rauscht gewaltig im Lite-                   und Kühnert nach einem eigens        diese gern mit der Attitüde des
raturbetrieb und im Blätterwald                   dazu einberufenen parteiinternen     Benachteiligt- und /oder Unter-
der Journaille. Endlich ein The-                  Forum.                               drücktseins versucht, diesen für
ma jenseits von Corona, über das                     Da gerade wir, die hlz-Redak-     ihre Position zu beanspruchen.
es sich lohnt zu streiten! Und                    tion, es waren, die als eines der       So geht es mir auf jeden Fall
nachdem es, angefangen mit                        ersten Publikationsorgane unse-      im Zusammenhang mit der in der
radikal-feministischen Gruppie-                   re Texte gegendert haben, fühlen     Linken aufgebrochenen identi-
rungen, die eine insgesamt um                     wir uns direkt angesprochen, Po-     tätspolitischen Debatte. Nur um
Veränderungen kämpfende Strö-                     sition zu beziehen. Dass es dabei    diese geht es mir! Auch wenn
mung       geschlechterdefinierter                mittlerweile nicht nur um die        semantische Ähnlichkeiten zur
Identitäten unter dem Akronym                     breit geführte Debatte des Gen-      völkisch-nationalistischen Strö-
LGBT1 entstehen ließ, erhielt                     derns von Sprache geht, ist der      mung der Identitären vorhanden
das Ganze durch die US-ameri-                     Dynamik der Auseinanderset-          sind, so hat das eine mit dem
kanische Black Lives Matter-Be-                   zung geschuldet, die inzwischen      anderen nichts zu tun. Um Miss-
wegung noch mehr Schubkraft,                      viele andere gesellschaftliche       verständnissen      vorzubeugen,
in deren Reihen sich mehr und                     Fragestellungen      unterdrückte    seien die Unterschiede deshalb
mehr Positionen durchgesetzt                      Minderheiten betreffend aufge-       noch einmal dargelegt.
haben, die jene Ausschließlich-                   worfen hat.
keitskriterien vor sich her trugen,                  In einer Gesellschaft gehen       links nicht gleich rechts
die zunehmend für Irritation sor-                 Veränderungen immer von de-             Während es den Protago-
gen und nun auch das deutsche                     ren Rändern aus. Warum sollte        nist_innen der linken identi-
intellektuelle Milieu in Aufre-                   auch die saturierte Gruppe das       tätspolitischen Bewegung ein-
gung versetzen. Und nicht nur                     in Frage stellen, was ihrem Le-      deutig darum geht, historisch
dort: Selbst im Parteiengezänk                    ben bislang Stabilität verlieh?      gewachsene Diskriminierungen
oder auch parteiintern ist die                    Insofern sind die heftigen Re-       zu beseitigen, geht es den Rech-
Auseinandersetzung angekom-                       aktionen derer, die sich in eben     ten immer darum, die eigene kul-
men. Prominentestes Beispiel                      jener Mitte wähnen, schon zu         turelle Identität als Schutzschild
dafür, was unter dem Begriff                      erklären. Ob sie berechtigt sind,    vor Überfremdung, sprich: Ver-
Cancel Culture (dt. Absage- oder
Löschkultur) die Runde macht
(s. Kasten), war die Einlassung
des SPD-Altvorderen Wolfgang
Thierse, der sich, nachdem er
in einem in der FAZ veröffent-
lichten Artikel das für ihn selt-
same Gebaren so mancher sich
auf identitäre Politik Beziehen-
den als gesellschaftspolitisch
bedenklich bis gefährlich cha-
rakterisierte, der Schelte seiner
                                                  Stadtgespräch: Die frisch ins Amt gesetzte Chefredakteurin von
Parteivorsitzenden Saskia Esken                   Hinz&Kunzt Annette Bruhns sieht den Gender* kritisch und ruft zur
und des Hoffnungsträgers der                      öffentlichen Auseinandersetzung in dem Straßenmagazin auf
SPD, Kevin Kühnert, ausgesetzt
sah. „All das beschämt uns zu-                    ist eine andere Frage bzw. hängt     änderung, zu einer Panzerung
tiefst“ und sie seien besorgt über                wie immer vom Standpunkt der         auszubauen. Jede/r, der oder die
ein rückwärtsgewandtes Bild der                   Betrachter_innen ab.                 sich dem in den Weg stellt, wird
SPD, so kommentierten es Esken                       Umgekehrt kann man aber           als Verräter_in am eigenen Volk
                                                  auch nicht jede Kritik, die von      gebrandmarkt. Dabei ist klar,
1
 Es wird auf die Darstellung veränderter und
erweiterter Akronyme, wie sie aktuell zahlreich
                                                  einer Minderheit kommt, mit ei-      dass es keinerlei Differenzie-
zu finden sind, verzichtet.                       nem Kredit versehen, auch wenn       rung bedarf, wer wessen Iden-

hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 3-4/2021                                                                             47
Seltsame Blüten IDENTITÄTSPOLITIK - GEW Hamburg
Foto: Wikipedia/creative commons                                                                              Apropos gegenderte „Feminis-
                                                                                                           tinnen“. Hier liegt ein weiteres
                                                                                                           Minenfeld bereit. Denn ein Teil
                                                                                                           der Bewegung für umfassende
                                                                                                           Gleichstellung spricht jenen das
                                                                                                           Recht ab, für die gerechte Sa-
                                                                                                           che streiten zu dürfen, wenn sie
                                                                                                           nicht direkt von der Diskriminie-
                                                                                                           rung betroffen sind. Das meint
                                                                                                           in diesem Fall: ein Mann kann
                                                                                                           sich weder als Feminist begrei-
                                                                                                           fen noch als solcher bezeichnen,
                                                                                                           weil er objektiv dazu das falsche
                                                                                                           Geschlecht hat.
                                                                                                              Dies setzt sich fort, wenn
                                                                                                           man hört, dass bspw. eine weiße
                                                                                                           Übersetzerin keinen Text einer
                                                                                                           Schwarzen Autorin übersetzen
                                                                                                           könne. So geschehen aktuell
                                                                                                           mit dem Gedicht Amanda Gor-
                                                                                                           mans, jener Schwarzen Frau, die
                                   Harmlos?                                                                bei der Amtseinführung Bidens
                                                                                                           ein Gedicht deklamierte, das
                                   tität gefährdet, wenn es um die    dingt das eine das andere. D. h.,    für weltweite Aufmerksamkeit
                                   Reinhaltung des eigenen „Volks-    wenn ich als Ziel eine klassenlo-    sorgte. Die queere holländische
                                   körpers“ geht. Gesellschaftliche   se Gesellschaft anstrebe, muss       Übersetzerin zog sich zurück,
                                   Unterschiede – außer Führer und    ich auf dem Weg dorthin die          nachdem in den Sozialen Medi-
                                   Geführte – haben dort keinen       zahllosen als nebenwidersprüch-      en harsche Kritik aufkam, dass
                                   Platz, man kennt folglich nur      lich charakterisierten Eigenar-      für die Aufgabe keine Schwarze
                                   Volksgenossen! (Hier wird nicht    ten, die alle ihre Wurzeln in eben   oder PoC Übersetzerin ausge-
                                   gegendert.)                        einer auf Klassenunterschieden       wählt worden sei. Einem Katala-
                                      Der qualitative Unterschied     beruhenden Gesellschaft haben,       nen mit selbigem Auftrag wurde
                                   zwischen linker identitätspoli-    nicht nur erkennen, sondern im       dieser wieder entzogen. Und in
                                   tischer und rechter identitärer    Hier und Jetzt bekämpfen. Das        Deutschland versuchte der Ver-
                                   Bewegung besteht für mich          ist dann der berühmte Weg, der       lag das Problem zu lösen, indem
                                   folglich darin zu unterscheiden,   beschritten werden muss, ohne        er gleich drei Frauen mit der
                                   ob die jeweils um Partizipation    das Ziel aus dem Auge zu ver-        Übersetzung betraute.
                                   und Integration ringenden, sich    lieren, und um das Argument
                                   diskriminiert fühlenden Ange-      dialektisch betrachtet zu ver-       Spuren verwischen
                                   hörigen einer Gruppe ihr Anlie-    vollständigen: Ich muss das Ziel        Diese Art Kritik, gelabelt als
                                   gen in einen gesellschaftlichen    kennen, um den richtigen Weg         kulturelle Aneignung, bildet
                                   Kontext stellen, der objektiv      zu finden.                           den Kern der Auseinanderset-
                                   von Ungleichheit gekennzeich-                                           zung um Positionen der links-
                                   net ist. Dabei geht es mir bei     Stachel im Fleisch                   identitären Bewegung. Was bei
                                   diesen tagesaktuellen oder auch      Aber nun konkreter: Die in         Blackfacing aus meiner Sicht
                                   zeitgeschichtlichen Auseinan-      den letzten Wochen erneut auf-       nachvollziehbar ist, dass es sich
                                   dersetzungen nicht um eine Hi-     geflackerte Diskussion um eine       gegenüber Jahrhunderte lang
                                   erarchisierung von Zielen oder     gendergerechte Sprache zeigt,        diskriminierten, geknechteten
                                   etwaigen Zielkonflikten, son-      wie tief der Stachel im Fleisch      oder präziser: versklavten Men-
                                   dern um deren Einordnungen in      bei jenen sitzt, die sich in ihrer   schen verbietet, sich mittels von
                                   eine komplexe gesellschaftliche    Identität als Kulturträger_innen     Weißen in Umlauf gebrachte
                                   Struktur. Konkreter: die Unter-    aufgerufen fühlen, deutsches         Stereotype weiter vorführen zu
                                   scheidung zwischen Haupt- und      Kulturgut, d.h. eben auch die        lassen, ist im Umgang mit der
                                   Nebenwiderspruch, wenn sie         Sprache, zu schützen und sich        Eliminierung historischer Zeug-
                                   denn genutzt wird, um damit Be-    deshalb dem von ihnen ausge-         nisse dieser Diskriminierung
                                   wertungen im Sinne einer Rang-     machten „Genderwahn“ von             schon schwieriger. Gemeint ist
                                   folge vorzunehmen, führt auf       Feminist_innen entgegenstellen       das Ersetzen rassistisch konno-
                                   den falschen Weg. Vielmehr be-     müssen.                              tierter Wörter aus der Literatur

                                   48                                                                  hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 3-4/2021
durch tatsächlich oder vermeint-        von Klischees und könnte somit       ihrer Herkunft eine Art Minder-
lich neutralere Bezeichnungen           durch das Raster politischer Kor-    wertigkeitsgefühl wecken, weil
wie bspw. das N-Wort.                   rektheit fallen, aber es auf eine    der Kontinent Afrika als unter-
   Das, was für Kinderbücher            Stufe mit Blackfacing zu stellen,    entwickelt, arm und kulturlos
richtig sein mag, dass man der-         halte ich für falsch.                gesehen wird, so wünschte ich
lei Begriffe verändert, ist aus            Und trotzdem – ich begrüße        mir, dass mein Gegenüber ge-
meiner Sicht für die übrige Li-         diese Auseinandersetzung! Sie        rade dies zum Anlass nähme,
teratur kontraproduktiv. Ist das        gibt die Möglichkeit, genau über     um selbstbewusst dagegen zu
nicht gleichbedeutend mit Spu-          die angesprochenen Unterschie-       halten, dass es sich doch herum-
ren verwischen? Ein Grund,              de zu streiten. So abstrus Man-      gesprochen habe, dass Afrikas
sich mit historischer Literatur zu      ches auf den ersten Blick auch       Kulturen viel älter sind als die
beschäftigen, liegt doch gerade         erscheinen mag, es schärft den       europäischen und darüber hinaus
darin, dem Denken und Fühlen            Blick auf das jeweils Andere.        diese strukturell an einer Ge-
der Menschen zu den jeweiligen          Erst durch die Auseinanderset-       meinschaft orientierten Kulturen
Zeiten, in denen das Werk ent-          zung wird dies möglich. Das ver-     weitaus humanere Züge tragen
stand, nachzuspüren. Wenn man           langt allerdings manchmal Mut.       als das, was sich in den blutigen
nun aber gerade jene Begrifflich-          Im Zusammenhang mit den           Klassenkämpfen der so genann-
keiten streicht oder ändert, mit        Vielen, die derzeit die Diskussi-    ten entwickelten Gesellschaften
denen sich Diskriminierung bis          on im Umgang mit dem kolonia-        abgespielt hat.
in die Gegenwart hinein erklären        len Erbe führen bzw. sich in Ini-       Die Psycholog_innen spre-
lässt, dann beraubt man sich ein        tiativen zusammenschließen, um       chen von einer ‚paradoxen Inter-
stückweit der Chance, die Ge-           auf den z.T. skandalösen Um-         vention‘, wenn bspw. zunächst
genwart aus der Vergangenheit           gang mit diesem Erbe aufmerk-        negativ konnotierte Begriffe of-
heraus verstehen zu können.             sam zu machen (s. nachfolgender      fensiv von Betroffenen benutzt
   Übrigens begegnet uns die-           Artikel), stellen sich Forderun-     werden, um die Deutung genau
ses Problem ganz aktuell in der         gen viel berechtigter dar, als sie
auch von der GEW unterstützten          auf den ersten Blick erscheinen

                                                                                                                  Foto: Wikipedia/creative commons
Kampagne für den Wiederauf-             mögen. Und was wäre trefflicher
bau der von den Nazis zerstörten        in Bezug auf politisches Enga-
Synagoge auf dem Bornplatz.             gement zu sagen, als dass es zur
Das Auschwitz-Komitee und               allgemeinen Verunsicherung bei-
bekannte linke Israelis kritisie-       trägt! So muss es auch dem Alt-
ren diesen Plan ganz im oben            präsidenten Joachim Gauck er-
beschriebenen Sinn als ein Spu-         gangen sein, als er sich gemüßigt
renverwischen.                          sah, sich publizistisch mit dem
                                        Thema auseinanderzusetzen (s.
Gleich ist nicht gleich                 DIE ZEIT v. 31.3.2021; S. 55f).
   Insofern kommt es immer              Man muss seine Meinung nicht
drauf an, welcher historische           teilen, aber im Gegensatz zu in
Kontext angesprochen ist, wenn          der Decolonize-Bewegung ver-
von kultureller Aneignung ge-           tretenen Positionen dient sie der
sprochen wird. So finde ich             eigenen Positionsfindung.
bspw. das kindliche Indianer-
                                                                             Frevelhaft?
spiel nicht diskriminierend. Auf        abstrus?
jeden Fall kann ich mich nicht            So stark mich manches aus der
erinnern, dass wir als Kinder bei       Decolonize-Bewegung        Stam-     in sein Gegenteil zu verkehren.
diesem Spiel uns mit dem ins ge-        mende berührt und zum Umden-         Die Schwulenbewegung hat es
sellschaftliche Abseits gedräng-        ken bewegt, so unverständlich ist    uns vorgemacht. Und auch die
ten, von Alkohol gezeichneten           mir anderes zugleich. Mir will       Parole ‚Black is Beautiful‘ ver-
Menschen identifiziert haben,           bspw. nicht in den Kopf, warum       folgte denselben Zweck. Mit
wie man es später als Realität          ich eine_n Mitbürger_in aus der      ihr gelang es, mehr Schwarzes
vorgeführt bekam oder einem             Gruppe der PoC nicht fragen          Selbstbewusstsein zu schaffen.
blutrünstigen, Skalpell jagenden        soll, woher die Vorfahren stam-      Warum sollte dies nicht mit der
Wilden nacheifern wollten. Das          men? Wieso werden mir rassisti-      Herkunft passieren, wenn je-
Gegenteil war der Fall: Es war          sche Motive unterstellt und nicht    mand stolz auf den Umstand ver-
immer der mutige, edle Kämpfer,         einfach Interesse an der Person?     weist, dass er/sie oder seine/ihre
der um seine Jagdgründe stritt.         Sollte ich nämlich durch die Fra-    Vorfahren aus Afrika stammen?
Natürlich ist auch dies nicht frei      ge an eine Schwarze Person nach      Im Übrigen gehe ich davon aus,

hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 3-4/2021                                                                   49
dass jemand, der oder die auf sei- die Schwarze Emanzipations-         die gesamte identitätspolitische
ne Herkunft angesprochen wird, bewegung zu beschränken, sei-           Debatte, gendergerechte Sprache
sehr gut unterscheiden kann zwi- en an dieser Stelle die für mich      eingeschlossen, zu diskreditie-
schen einem: „Ey, wo kommst ebenso abstrusen Vorstellungen             ren. Man schlägt den Sack und
du denn überhaupt her?“ und ei- gleicher Provenienz aus der            meint den Esel. Der TAZ-Autor
ner Frage, die zeigt– ganz unab- LSBT-Bewegung genannt: Da-            Kaveh Yazdani fragt zurecht
hängig vom Äußeren des
Gegenübers –, dass der

                                                                                                                Foto: Roland von Selzam
oder die Fragende_r an
seinem/ihrer Gesprächs-
partner_in     interessiert
ist. M.a.W.: Ich kann den
Charakter einer solchen
Frage nur kontextgebun-
den beurteilen.
   Trotzdem: Ich sehe
ein, dass es schräg ist
oder gar anmaßend klin-
gen mag, wenn eine der-
artige Empfehlung von
einem weißen und noch
dazu alten Mann aus-
gesprochen wird. Dem
Gefühl,     bevormundet
zu werden von jenen,
die ohnehin in der Ge-
sellschaft das Sagen ha-
ben oder sowas wie die
Meinungshoheit für sich Durften die das?
beanspruchen, ist Rech-
nung zu tragen. Das bedeutet, nach dürfen – so wurde es auf            zum Thema Identitätspolitik
dass mensch derlei Vorschläge, jeden Fall kolportiert – schwule        und Cancel Culture nach empi-
wie man mit Diskriminierung oder lesbische Menschen kei-               rischen Belegen (Kritische Ver-
umzugehen habe, wenn sie von ne heterosexuellen Rollen im              weigerung v. 21.3.2021). Bisher
den Betroffenen selbst gemacht Theater oder Film übernehmen            Fehlanzeige! Insofern sollte man
werden, mit umso mehr Sensibi- und demgemäß auch umgekehrt             deutlich unterscheiden zwischen
lität begegnen sollte.             nicht.                              einer linken Kritik, wie sie die
   Noch verunsichernder oder                                           US-amerikanische Soziologin
in diesem Fall besser: irritie- Man schlägt den Sack                   Nancy Frazer oder ihre französi-
render als das Verbot der Frage und meint den Esel                     sche Kollegin Caroline Fourest,
nach der Herkunft empfinde ich       Dies hat dieser Tage Viele her-   die das ganz besonders auch in
die bereits oben angesprochene ausgefordert, gipfelt diese Forde-      ihrem jüngst auf Deutsch er-
Frage danach, ob es einer wei- rung doch darin, dass doch letzt-       schienenen Buch ‚Generation
ßen Frau verwehrt werden soll- endlich nur jede unterscheidbare        Beleidigt‘ darlegt, üben und
te, einen Text einer Schwarzen Gruppe das Recht hat, für ihre          einer Kritik jener Rückwärts-
Frau zu übersetzen. Das wird Emanzipation zu kämpfen. Viel-            gewandten, die die Gelegen-
noch getoppt von dem absurd leicht nur Ausnahmen oder Aus-             heit nutzen, um alles, was sich
anmutenden Vorwurf der kultu- wüchse im Rahmen einer enga-             um Emanzipationsbewegungen
rellen Aneignung, wenn bspw. gierten Auseinandersetzung? In            rankt, zu diskreditieren. Gera-
einem weißen Musiker oder ei- Hinblick auf den Protest gegen           dezu als bestürzend empfinde
ner weißen Musikerin das Recht die Bewegung der Linksidentitä-         ich es, wenn bspw. Fourest und
abgesprochen wird, Schwarze ren aus dem universitären Milieu           ihre Mitstreiter_innen von Isla-
Musik spielen zu dürfen. Rolling sollte man auf jeden Fall unter-      mist_innen im Verein mit sich
Stones adé?! Bereits das Tragen scheiden zwischen jenen, denen         links verstehenden Aktivist_in-
von Dreadlocks fällt unter dieses es um die Sache geht – nämlich       nen der Identitätsbewegten bei
Verdikt.                           um den Schutz der Meinungs-         Diskussionen um das Kopftuch
   Aber um diese Art identitäts- vielfalt – und denen, die diese       regelmäßig von diesen am Re-
politischer Forderung nicht auf Diskussion zum Anlass nehmen,          den gehindert werden.

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Rebellion ist gerechtfertigt!         das, was wir da in Gang bringen,      Maggi alive
Dieses einmal von Mao Tse Tung          um die Arbeits- und Lebenssitu-          Trotzdem halte ich diesen
ausgegebene Motto hat m.E. im-          ation zu verbessern, nicht eine       Standpunkt, nur Betroffene
mer noch seine Berechtigung,            Art Stellvertreter_innenpolitik       dürften sich wehren, nicht nur
wenn verkrustete Strukturen, die        ist, die langfristig nicht dazu       für falsch, sondern auch in eine
der allgemeinen Emanzipation            taugt, die eigentlich Abgehäng-       Sackgasse führend. Von Margret
des Menschen zuwiderlaufen,             ten zu emanzipieren.                  Thatcher stammt der Satz: „Ge-
aufgebrochen gehören. Niemals              Vor diesem Hintergrund kann        sellschaft gibt es nicht. Es gibt
aber um den Preis, anders Den-          ich nachvollziehen, was zurzeit       nur einzelne Männer und Frau-
kende mundtot zu machen!                bestimmte Minderheiten mit            en und es gibt Familien.“ Linke
                                        Vehemenz einfordern: Nämlich          Identitäre müssen sich fragen
Es rettet uns kein                      als Betroffene gehört zu werden.      lassen, ob sie in die Nähe jener
höh‘res Wesen                           Dass sie gleichzeitig mit Skep-       Dame gerückt werden wollen!
   So falsch ich Vieles, was mit        sis, ja mit Ablehnung reagieren,         Damit aber – auch das zeigt
dem Vorwurf der kulturellen             wenn sich andere ihrer Inter-         die Geschichte – hat er oder sie
Aneignung eingefordert wird,            essen bemächtigen, ist deshalb        nur wenig Chance auf Erfolg.
finde, so interessant ist es doch       nachvollziehbar. Gerade auch,         Es sei denn, man bemisst - wie
zu versuchen, diese Position zu         weil wir aus vielerlei Zusam-         Maggi - Erfolg nur am Eigen-
begreifen. Wie heißt es in der In-      menhängen wissen, dass Wider-         heim, das man am Ende seines
ternationalen? „Es rettet uns kein      ständiges nach kurzer Zeit von        Lebens zu seinen Besitztümern
höh‘res Wesen/ kein Gott, kein          interessierter Seite für ganz an-     zählen darf. Wem also noch nicht
Kaiser noch Tribun/ Uns aus             dere Zwecke instrumentalisiert        ganz die „Flausen“ seiner Jugend
dem Elend zu erlösen/können             wird. Besonders anschaulich war       abhandengekommen sind, näm-
wir nur selber tun!“                    dies ja zu verfolgen, als die Mo-     lich: dass es ein Leben in einer
   Auch wenn dies zunächst nur          debranche sich der Punk-Kultur        Gesellschaft geben kann, in der
kollektiv gedacht war, so gilt es       bemächtigte. Substanzieller gilt      der oder die Einzelne nicht zwin-
letztlich natürlich auch für die        dies natürlich für die Kultur der     gend auf Kosten eines/r anderen
einzelne Person. Und wir wis-           Afro-Amerikaner. Mit der for-         einen Vorteil sucht, sondern er
sen, was selbsternannte oder            malen Aufhebung der Jahrhun-          oder sie das eigene Handeln an
auch gewählte Führer_innen in           derte lang währenden Sklaverei        einer sozialen Utopie ausrich-
der Weltgeschichte schon alles          war das Martyrium und ist die         tet, die sich daran misst, ob ein
verbrochen haben, um im Namen           Benachteiligung der Schwar-           gleichberechtigtes Miteinander
und vermeintlichen Interesse der        zen bis heute ja keineswegs           jenseits von Ausgrenzung und
Unterdrückten, deren Lebenssi-          überwunden. Vor diesem Hin-           Diskriminierung möglich ist,
tuation zu verbessern. Insofern         tergrund kann man verstehen,          sollte sich nicht das Recht ab-
ist aus einem historischen Blick        dass sich die Betroffenen gegen       sprechen lassen, sich für jene
heraus allemal Skepsis ange-            Vereinnahmung zur Wehr setz-          Gleichstellung einsetzen zu dür-
bracht. Und selbst wir als aktive       ten. Auch so kann man manches         fen, die auf eine humanere Ge-
Gewerkschafter_innen sehen uns          Befremdliche, was einem unter         sellschaft zielt. Was soll schließ-
nicht selten in dem Zwiespalt           dem Begriff Cancel Culture be-        lich das ganze Gerede über
und dem Vorwurf ausgesetzt, ob          gegnet, versuchen einzuordnen.        Empathie, wenn es aus Sicht
                                                                              der besagten Protagonist_innen
                                                                              der links-identitären Bewegung
 Cancel Culture                                                               nicht allen gleichermaßen zuge-
    (…) Die Frontstellung, die sich hier als Kampf um Diskurs-                billigt wird, auch aus Mitgefühl
 macht, Wahrnehmung und Anerkennung abbildet, ist kulturell                   heraus, für eine bessere Welt zu
 und gesellschaftlich so bedeutsam wie komplex. Sie wird Gene-                kämpfen? Auf jeden Fall kann
 rationenkonflikte sowie das Ringen um die Gestaltung der hete-               es nicht sein, dass jemand, der
 rogenen Gesellschaft auf lange Zeit prägen. Anders als Wolfgang              seine Lebensaufgabe darin sieht,
 Thierse es erhofft, kann es dabei keine Erlösung durch einende               an der Verwirklichung einer sol-
 Wirgefühle geben. Es geht um das Anerkennen, Respektieren und                chen Gemeinschaft mitzuwirken,
 Organisieren von Unterschiedlichkeit, um Gerechtigkeit und Teil-             von Menschen ausgegrenzt wird,
 habe. Es geht aber eben auch um Diskursfähigkeit, Verständnis                die meinen, allein der Kampf um
 und Gesprächsbereitschaft. (…)                                               die Durchsetzung von Partiku-
               STEPHAN DETJEN Chefkorrespondent von Deutschlandradio:         larinteressen durch die jeweils
         Die SPD und Wolfgang Thierse - Kaltes Kalkül in komplexer Debatte,   Betroffenen reichte aus, um eine
                                                     gesendet am 6.3.2021     gerechtere Welt zu schaffen.
                                                                                              JOACHIM GEFFERS

hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg 3-4/2021                                                                     51
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