Blickpunkt Krankenhaus: Chancen, Herausforderungen, Perspektiven - Berliner Krankenhausgesellschaft
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Sonderheft 2021 www.daskrankenhaus.de Blickpunkt Krankenhaus: Herausgeber Deutsche Krankenhausgesellschaft | Verlag W. Kohlhammer GmbH, 70549 Stuttgart | Entgelt bezahlt. | ISSN 0340-3602 I 113. Jahrgang | E 4321 Chancen, Herausforderungen, Perspektiven DKI-Studien Personal Corona: Was die Kliniken bewegt Innovationen
Forum Politik Marc Schreiner Das Jahr 2020: Krisen- und Erkennt- nisjahr für die Krankenhäuser Der Beginn des Jahres 2020 war geprägt von einem Thema: die kung durch eine mit erfahrenen Medizinern besetzte Leitstelle Pflege soll gestärkt werden. Mit dem Jahreswechsel 2019/2020 in die passende Versorgungsstufe verlegt. Die ECMO-Kapazi- trat das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz in Kraft. Erstmals sol- täten der Stadt (bei dieser Versorgungsvariante wird das Blut len die Kosten dieser zentral wichtigen Berufsgruppe im Team des Patienten außerhalb des Körpers maschinell mit Sauerstoff Krankenhaus in einem eigenen Budget auskömmlich finanziert angereichert) konzentrierten sich an der Universitätsmedizin, und zusätzlich eingestellte Kräfte nach Tarif bezahlt werden. weitere Krankenhäuser übernahmen invasive und konservative Treibende Motivation zu diesem weitreichenden Schritt war der Beatmungsbehandlungen in nachgelagerten Versorgungsstu- kritische Mangel an Fachkräften in der Pflege. fen. Dieses System funktioniert bis heute trägerübergreifend Die Berliner Krankenhausgesellschaft (BKG) hatte diese Mög- und wird von einer beispiellosen Kollegialität der beteiligten lichkeit, mehr Pflege zu refinanzieren, begrüßt. Doch allein Krankenhäuser getragen. Es wird ergänzt durch das ebenso neu mehr Geld würde den für Berlin in einer Studie des DKI – Deut- entwickelte POST-SAVE-Konzept. Dies ist die logische System- sches Krankenhausinstitut nachgewiesenen Bedarf in Höhe von ergänzung, um die raren Beatmungsbett-Kapazitäten durch rei- 10 000 zusätzlichen Vollkräften in der Pflege bereits im Jahr bungslose Abverlegung von Patienten in die Anschlussbehand- 2030 nicht decken. Die BKG eröffnete daher noch im Februar lung schnell wieder freizubekommen. 2020 mit einer Konferenz die Kampagne #PflegeJetztBerlin Die BKG begleitete die Entwicklung und Durchführung der (www.pflegejetztberlin.de). Sie steht für einen rund 150 Einzel- Konzepte von Anfang an beratend und brachte jeweils die projekte umfassenden Masterplan, der unter Beteiligung aller systemische Perspektive ein, spielte Kritik aus der Kranken- verantwortlichen Akteure aus Pflege, Krankenhaus, Politik und hauslandschaft ein und wirkte umgekehrt wiederum als Multi- Stadtgesellschaft echte Fachkräfte für mobile und stationäre plikator. Zugleich beteiligte sich die BKG intensiv an den sich Pflege sowie Krankenpflege generiert. Erkenntnis dieses Pro- mit Vehemenz entwickelnden Diskussionen auf Landes- und blems und das dringende Bemühen um Lösungen wurden mit Bundesebene um den sich abzeichnenden Lockdown für das den Erfahrungen der darauffolgenden Monate in jeder Hinsicht elektive Leistungsgeschehen der Krankenhäuser. In teils drama- in ihrer Bedeutung unterstrichen. tisch anmutenden Gesetzgebungsprozessen – beispielsweise Mit der Rückkehr einer ersten Gruppe von Menschen aus der zum Rettungsschirm für Kliniken „KEG – Krankenhausentlas- ersten Covid-Krisenregion China im Februar und deren Quaran- tungsgesetz“, in denen über ein Wochenende beispielsweise tänisierung in einem Köpenicker Krankenhaus war das Thema die Höhe der Freihaltepauschalen bestimmt wurden – wurden endgültig in der deutschen Hauptstadt angekommen und nahm Stellungnahmen bis hin zur Bundeskanzlerin beraten, abge- mit steigenden Infiziertenzahlen rasant an Bedeutung zu. Berli- stimmt, verfasst und verteilt. So wurde innerhalb von Stunden ner Krankenhäuser errichteten in einer ersten Reaktion soge- ein hochgradig durchreguliertes Versorgungs- und Vergütungs- nannte Abklärungsstellen. In diesen konnten sich verunsicher- system in einer Vollbremsung in eine neue Ausrichtung gedreht te Menschen auf eine Sars-Cov-2-Infektion testen lassen. BKG und die Grundlage für das Funktionieren der Krankenhausver- und die Gesundheitssenatsverwaltung koordinierten die Aus- sorgung durch die erste Krisenphase gelegt. Ein beeindrucken- wahl der Standorte und eine weitestgehend einheitliche Ar- des Beispiel für einen neuen, sehr verwaltungslastigen Regulie- beitsstrategie in den Stellen. Auf Drängen der BKG wird diese rungsstil, welcher aber in Krisenzeiten die Handlungsfähigkeit schnelle Reaktion der Krankenhäuser für eine erste Infektions- absichert. kontrolle der Stadt nun auch finanziell vergütet. In den Krankenhausverbänden etablierten sich neue, agile Erschreckende Bilder aus Italien erschütterten die Welt bereits Strukturen, in denen Willensbildung schnell entwickelt wurde zu einem frühen Zeitpunkt der Pandemie. Krankenhäuser wa- sowie Entscheidungen und Legitimation unter Einbindung mög- ren dort mit der überwältigend großen Zahl an Covid-19-Pa- lichst vieler Akteure in der extremen Kürze der Fristen erreich- tienten überfordert, da jede Klinik die gesamte Bandbreite der bar wurden. So arbeiteten die Beschäftigten der BKG im Home- notwendigen Behandlungen abdecken musste. Patienten konn- office als Team zunächst über teure telefonische, später aber ten nicht mehr behandelt werden. Diese Erfahrungen aufgrei- über virtuelle Plattformen kollegial und mobil. Die Gremien der fend entwickelten Berliner Krankenhäuser daher das sogenann- BKG, insbesondere der Vorstand, tagen seitdem ebenso virtuell. te SAVE-Konzept, mit welchem die Beatmungsmöglichkeiten In zeitweise bis zu zwei Sitzungen pro Woche entstanden auf arbeitsteilig und ressourcenschonend eingesetzt werden. In diese Weise nicht nur belastbare Entscheidungskompetenz, son- diesem mehrere Versorgungsstufen umfassenden System wer- dern auch eine noch weiter vertiefte, trägerübergreifende Kolle- den Patienten je nach Verlaufsschwere ihrer Atemwegserkran- gialität. Auf Bundesebene passte die DKG auf Initiative der BKG 26 Sonderheft 2021 |
Forum Politik SAVE Berlin: Das intensivmedizinische Netzwerk Um steigende Fallzahlen von intensivpflichtigen Covid- auch dies nicht ausreichen, werden in Stufe 4 zusätzliche 19-Patienten zu bewältigen, gründeten Intensivmediziner Beatmungskapazitäten außerhalb der Intensivstationen der Berliner Kliniken im Frühjahr ein intensivmedizinisches (Aufwachräume, Normalstationen o. ä.) aufgebaut bzw. Netzwerk zur Sicherstellung der akuten intensivmedizi- auch die Plankrankenhäuser hierfür genutzt. nischen Versorgung von Covid-19-Patienten: SAVE-Berlin. Um die allgemeine Notfallversorgung nicht zu gefährden, Berliner Krankenhäuser, die über Intensivbetten verfügen, sollen nicht mehr als 60 % der Kapazitäten zur Intensivbe- werden demnach in drei Level eingeteilt. Dabei koordiniert handlung in den Level-1- und Level-2-Krankenhäusern für das spezialisierte ARDS/ECMO-Zentrum der Charité – Uni- Patienten mit Covid-19 genutzt werden. versitätsmedizin Berlin als Level-1-Zentrum die gesamte Entsprechende intensivmedizinische Verlegungen werden Intensivversorgung von Covid-19-Patienten in Berlin. vom ARDS/ECMO-Zentrum der Berliner Feuerwehr gemel- Das Charité-Zentrum koordiniert somit die Verlegung det und durch die Berliner Feuerwehr koordiniert und von Covid-19-Patienten an die weiteren dafür vorgesehenen durchgeführt. Alle Intensivstationen in Berlin sind ver- 16 Krankenhäuser in Berlin als Level-2-Kliniken. Zusam- pflichtet, zeitnah nach Aufnahme eines Covid-19-Patienten men mit dem ARDS/ECMO-Zentrum der Charité bilden sie Kontakt mit dem ARDS/ECMO-Zentrum der Charité aufzu- das primäre Covid-19-ITS-Netzwerk Berlin. Die Charité am nehmen. Ausschließlich die landesweite Covid-Intensivko- Campus Virchow verfügt über einen telemedizinischen In- ordinierungsstelle am ARDS/ECMO-Zentrum meldet zen- tensiv-Hub, über den derzeit elf Intensivstationen in Berlin tral für alle Kliniken die benötigten Intensivtransporte für und Brandenburg konsiliarisch angebunden sind. Die Netz- Covid-19-Patienten bei der Berliner Feuerwehr an. Direkte werkstruktur – als Projekt „ERIC“ im Rahmen des Innova- Anfragen an die Berliner Feuerwehr zur Verlegung von in- tionsfonds geschaffen – wird auf die Covid-19-Intensivsta- tensivpflichtigen Covid-19 Patienten werden an den Covid- tionen der Level-2-Kliniken erweitert, um so eine gemein- 19-Intensiv-Koordinator der Charité verwiesen. same bettseitige Kommunikations- und Konsiliarstruktur zu In einem nächsten Schritt wurde ein System entwickelt, um etablieren. Patienten auf Intensivstationen zu identifizieren, die das Po- Die übrigen Berliner Notfallkrankenhäuser bilden die Level- tenzial haben, von der Beatmung entwöhnt zu werden, und 3-Kliniken. Sie konzentrieren sich primär auf die Versor- in dafür spezialisierte Einrichtungen zu verlegen: das POST- gung anderer Intensivpatienten, solange wie dies während SAVE-Konzept. des Epidemiegeschehens möglich ist. Das Berliner System gilt bundesweit als vorbildlich. Anfang In vier Eskalationsstufen wird jeweils die Nutzung der in- Oktober 2020 hatte die zentrale Koordinierungsstelle ihre tensivmedizinischen Kapazitäten verteilt. Gegebenenfalls seit Juni ruhende Aufgabe wieder aufgenommen. werden weitere Intensivbetten freigemacht und nicht an Nach dem Jahreswechsel (Stand: 6. Januar 2021) waren Covid-19 erkrankte Intensivpatienten in Level-3-Kliniken 1668 Covid-19-Patienten in Berlin in stationärer Behand- verlegt. lung. Davon wurden 1223 Patienten peripher-stationär ver- In Stufe 3 müssen alle Notfallkrankenhäuser Berlins auch sorgt, 445 waren in intensivmedizinischer Versorgung, Covid-19-Patienten intensivmedizinisch betreuen. Sollte 341 davon mit Beatmung, 42 mit ECMO-Versorgung. krü ihre Entscheidungsstrukturen an die Krisenbedarfe an. Seit Be- auch nach der Krise fest in den Verbandsstrukturen zur weiteren ginn der Krise lädt die DKG ihr Präsidium in einer um die Lan- Anwendung vorgeschlagen werden. deskrankenhausgesellschaften erweiterten Formation ein und Auf der Bundesebene wurden die Rahmenbedingungen zur konnte damit viele notwendige Beschlüsse auf einen breiten Verbesserung der Reaktionsfähigkeit der Krankenhäuser auf die Rückhalt stellen. Auch die Landeskrankenhausgesellschaften neuen Versorgungsbedarfe geschaffen: Erlösausfallkompensa- sind noch enger aneinandergerückt und tagen mittlerweile fest tion durch Freihaltepauschalen, Finanzierung zusätzlicher In- etabliert mit einem hohen, einwöchigen Sitzungsrhythmus. An- tensivbettkapazitäten, in Berlin auch von Beatmungsgeräten, fangs noch als „Covid-Sprechstunde“ zum engen Austausch Festsetzung eines erhöhten Pflegeentgeltwerts, Berücksichti- über praktische und politische Entwicklungen eingerichtet, fin- gung zusätzlicher Kosten für die Beschaffung von Schutzmate- den zunehmend auch eher generelle Themen Berücksichtigung rial, Verringerung bürokratischer Lasten und überzogener Kon- in dieser Runde. Das neue Beratungstempo und die auf die trollen. Vor Ort waren andere Herausforderungen zu bewälti- schnellen Rückkoppelungs- und Entscheidungsbedarfe ange- gen, um die Arbeitsfähigkeit Berliner Krankenhäuser zu sichern. passten Strukturen werden voraussichtlich die verbleibende Zeit So wurde der weltweite Mangel an Schutzmaterial auch in Ber- der Krise begleiten. Es ist aber keine allzu kühne Prognose, an- lin zur Gefahr für die Versorgung und verlangte nach lokalen zunehmen, dass Elemente dieser effektiven Zusammenarbeit Lösungen. Neben Desinfektionsmittel waren insbesondere | Sonderheft 2021 27
Forum Politik Schutzmasken so knapp, dass der Schutz der Beschäftigten in Glücklicherweise ebbte die erste Welle ab, noch bevor sie sich Krankenhäusern nicht mehr sichergestellt werden konnte. So richtig aufgetürmt hatte. Die bedrückenden Szenarien traten in richtete die BKG einen Aufruf an Handwerksbetriebe und stoff- Berlin und in Deutschland in diesem Umfang nicht ein. Glück- verarbeitende Unternehmen sowie deren Kammern und Ver- licherweise – auch wenn sich durch die Coronavirus-Pandemie bände, Textilmasken zu produzieren. Dabei gelang es, mit dem bis dahin schwerwiegende Entwicklungen für Leben und Ge- BMG offiziell bestätigte Spezifikationen für die Produktion zu sundheit vieler Menschen, aber auch für die Diskurskultur und entwickeln und diese dem Aufruf zugrunde zu legen. Zusätz- den Zusammenhalt der Gesellschaft sowie immense Lasten für lich sicherte die Senatsverwaltung die Abnahme der nach die- die Wirtschaft und Staatshaushalte in Europa ergeben hatten. sem Aufruf produzierten Masken zu einem festgelegten Preis So gingen in der Hauptstadt die Krankenhäuser wieder dazu zu. Ziel war, in größter Not diese Masken in den Pflege- und über, den Versorgungsauftrag für die nicht an Covid-19 erkrank- Gesundheitseinrichtungen zur Anwendung zu bringen, mindes- ten Menschen verstärkt wahrzunehmen. Dem wiederholten tens aber den Bedarf der Bevölkerung nach einer Mund-Nase- Aufruf, auch der BKG, sich bei gesundheitlichen Beschwerden Abdeckung zu bedienen und damit die Verfügbarkeit von medi- dem Arzt oder im Krankenhaus vorzustellen, folgten immer zinischen Mund-Nase-Schutzmasken für Beschäftigte in Kran- mehr Personen. Dennoch blieben die Behandlungszahlen weit kenhäusern zu erhöhen. Zudem etablierte die Senatsverwaltung unter dem normalen Niveau. Die Verantwortlichen waren da- in enger Zusammenarbeit mit der BKG eine Bedarfsermittlung her nun damit beschäftigt, die hochgerüsteten Strukturen auf für Schutzmaterial. Engmaschig wurde durch die BKG von den die sinkenden Bedarfe anzupassen. Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen der Bedarf für die Bereits im Juni brachte die Bundesregierung ein Konjunkturpa- nächsten Tage ermittelt und durch die Senatsverwaltung nach ket von 130 Mrd. € den Weg. Mit der „Bazooka“ sollte die an- Beschaffung durch eine professionelle Einkaufsabteilung eines geschlagene Wirtschaft in der Lage versetzt werden, das einset- kommunalen Krankenhauses an die Einrichtungen geliefert. zende Straucheln zu überwinden. 3 Mrd. € davon sind für Doch nicht nur das Schutzmaterial wurde in Berlin frühzeitig Krankenhäuser vorgesehen und sollen insbesondere einen Digi- knapp. Mit Blick auf die hohen erwarteten Patientenzahlen der talisierungsschub auslösen. Eine passende Festlegung, gibt es ersten Welle – diese Erwartung hat sich glücklicherweise nicht doch gerade in diesem Bereich einen großen Aufholbedarf. eingestellt – entstand die greifbare Sorge, dass auch das Perso- Auch die Bundesländer waren aufgerufen, diese Investitions- nal in den Krankenhäusern zahlenmäßig nicht ausreichen wür- entscheidung mitzutragen und mit einem Drittel in die Kofinan- de, um den immensen Versorgungsaufwand zu decken. Die zierung einzusteigen. In Berlin konnte erreicht werden, dass BKG appellierte daher an die Berliner Bürger mit einer medizi- das Land allein diese Summe zusteuert. Die Hauptstadt-Kran- nischen oder pflegerischen Ausbildung, sich bei den Personal- kenhäuser können sich so über einen 220 Mio. € schweren Im- abteilungen von Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen zu puls freuen. Bis zum Jahresende verhandelt die BKG über ein bewerben. Der Aufruf erfolgte noch Wochen vor der erwarteten Verfahren, mit dem gleiche Chancen beim Antragsverfahren für Spitze der ersten Welle und sollte so den Kliniken Zeit für die alle Kliniken ermöglicht werden. Organisation der Mitarbeit der Freiwilligen einräumen und de- Auch wenn wohl die überwiegende Zahl der Deutschen den ren Einarbeitung ermöglichen. Infolge des Aufrufs hatten sich Sommerurlaub 2020 im eigenen Land verbrachte, nutzten viele mehrere hundert Personen bei Krankenhäusern und Pflegeein- die sich nun wieder öffnenden Grenzen und reisten zur Erho- richtungen gemeldet. Bei einigen ist es gelungen, sie dauerhaft lung ins Ausland. Die Rückkehrenden hingegen mussten nun und vertraglich an die Einrichtungen zu binden. getestet werden, um die zuvor noch durch Grenzschließung Im Frühjahr erschreckten weitere Bilder aus dem Ausland: in verhinderte grenzüberschreitende Ausbreitung des Virus zu- Bergamo fuhren nachts Kolonnen von Militärlastern mit Lei- mindest kontrollieren zu können. Testkonzepte sprossen nun chen durch die italienische Stadt. Im US-amerikanischen New wie Pilze aus dem Boden. Auch in Berlin wurde eine Teststrate- York reihten sich die Kühl-Lastwagen als Aufbewahrungsort für gie vorgestellt, die die Bundestestverordnung ergänzte. Die bis- Verstorbene vor Krankenhäusern. Aus dem französischen herigen Abklärungsstellen der Krankenhäuser wurden nach Straßburg wurden Triage-Entscheidungen in völlig überlasteten Verhandlungen von Rahmenverträgen der BKG mit der Senats- Krankenhäusern berichtet. Berichte und Bilder dieser Art verwaltung nun als Teststellen genutzt. Das Land errichtete sollten in Berlin auf jeden Fall vermieden werden. So wurden weitere Teststellen an zentralen Verkehrsknotenpunkten. Kom- auf Initiative der BKG die Bestattungs- und Kremierungskapazi- plexe rechtliche Fragen zur Testung und die Herstellung der täten durch die Senatsverwaltung auf ihre Belastbarkeit hin Rechtskonformität von Anträgen bis hin Organisation von For- überprüft und durch den Landespsychiatrie-Beauftragen wurde mularvordrucken (im 21. Jahrhundert) waren in dieser Phase ein psycho-soziales Beratungsangebot in Form von Telefonseel- die überraschenden Details einer Krisenbewältigung, die einige sorge für möglicherweise an ihre Grenzen stoßende Beschäf- Ressourcen der BKG banden. tigen in Krankenhäusern eingerichtet und finanziert. Parallel Mit dem leichten Durchatmen gab es auch Raum, erste Bewer- entwickelten Ärzte in Verbänden und Kammern leitende Emp- tungen des bisher im Gesundheitswesen bei der Pandemie-Be- fehlungen für möglicherweise notwendig werdende Triage-Ent- kämpfung Geleisteten zu wagen. So wurden die enormen An- scheidungen. strengungen aller Mitwirkenden gewürdigt. Die Pflegekräfte 28 Sonderheft 2021 |
Forum Politik mit ihrem persönlichen, über das Erwartbare hinausgehenden mitzogen und auf der Bundesebene eine zweite Auflage des Einsatz rückten dabei in den Fokus der Wahrnehmung und Rettungsschirms einforderten. Diese kam dann, wenngleich Dankbarkeit der Öffentlichkeit. Während Berlins Regierender halbherzig, zum Jahresende. Die BKG konnte im guten Zusam- Bürgermeister – auch nach von der BKG und vielen weiteren menwirken mit der Senatsverwaltung eine für den Augenblick vorgetragener öffentlicher Kritik – seinen offiziellen Dank ein- befriedigende Anwendung der Maßnahmen für die Berliner seitig auf die Beschäftigten in Einrichtungen öffentlicher Träger- Krankenhäuser erreichen. schaft richtete, schnürte der Bund ein ordentliches Danke- In all dieser Misere zeichnen sich nun mit der Entwicklung und schön-Paket für Pflegekräfte in allen Trägerschaften. 100 Mio. € Zulassung von Impfstoffen Auswege aus der Pandemie am Ho- (!) sind großzügig und dennoch zu wenig, um alle zu beden- rizont ab. Mit viel Aufwand hat die BKG an der Entwicklung ken, die Einsatz in der Covid-Versorgung zeigen. Schließlich einer Impfstrategie in Berlin mitgewirkt und die Mitgliedsein- mussten Krankenhausgeschäftsführungen Auswahlentschei- richtungen auf die Verteilung von Impfstoff und dessen Gabe dungen rechtfertigen und die Enttäuschung der nicht Bedachten an die Beschäftigten vorbereitet. Doch die Belieferung Deutsch- besänftigen. In der Aufmerksamkeit, die die Krise und die lands mit Impfstoff hat zum Jahresende noch keine nennens- Gesten des Dankes gegenüber den Pflegekräften brachte, wurde werte Größenordnung erreicht. Dabei wäre die Immunisierung eines besonders sichtbar: die Pflege muss gestärkt werden. in Zeiten von Überlastung einzelner Versorgungsstrukturen und Über einmalige Symbole hinaus. Dem hat sich die BKG bereits von Pandemie-Müdigkeit wichtiger denn je. So entwickeln sich vor der Krise mit der Kampagne #PflegeJetztBerlin verpflichtet. nun auf die letzten Tage dieses Krisenjahres bei schwindender Die Kampagne wird im Lichte dieser Erkenntnis mit Überzeu- Geduld vieler Beteiligter auch zunehmend Verteilungskämpfe gung vorangetrieben. und der Ton wird rauer. Zwischen den zu Impfenden als auch Die sinkenden Inzidenzen und die Zahl der Covid-Patienten auf zwischen den Verantwortlichen in der Politik. den Intensivstationen verleiteten die Politik dazu, den Krisen- Für die BKG geht damit ein außergewöhnliches Jahr zu Ende in modus für Krankenhäuser im Spätherbst die Krise für beendet dem Wissen, dass die Herausforderungen auch im Folgejahr zu erklären und die Freihaltepauschale auslaufen zu lassen. Bestand haben. Neue, noch nicht absehbare Entwicklungen Erklärt wurde das auch mit dem Blick auf die bis dahin bereits werden hinzukommen und Resilienz, Agilität und Ausdauer geflossenen 9 Mrd. € an Kompensationsleistung. Doch diese aller Beteiligten erforderlich machen. Diese Eigenschaften Wende kam zu früh. Die Krise ist noch nicht vorbei. Mit den braucht es auch dabei, die Krankenhausversorgung mutig aber erneut und diesmal weitaus stärker steigenden Zahlen an Co- fair weiterzuentwickeln und damit die Schwachstellen des Sys- vid-Patienten wurde von den Krankenhäusern eine Rückkehr in tems, die mit der Krise noch deutlicher zu Tage getreten sind, den Krisenmodus verlangt und von den Kliniken selbstver- zu beheben. Mut machen dabei die unglaubliche Einsatzbereit- ständlich vorgenommen. Betten wurden erneut freigehalten schaft des Teams im Krankenhaus und die, zumindest in Berlin und planbare Eingriffe verschoben. Die Unterstützung der Poli- gelebte, träger- und verbandsübergreifende Kollegialität. tik ließ hingegen länger auf sich warten. Für die Berliner Kran- kenhäuser stellte sich dieser Zustand deutlich früher als in an- Anschrift des Verfassers deren Bundesländern wieder ein. Dennoch dauerte es eine gan- Marc Schreiner, LL.M., Geschäftsführer der Berliner Kranken- ze Weile, bis im föderalistischen System auch alle anderen hausgesellschaft e.V. (BKG), Hallerstraße 6, 10587 Berlin Bücher Lehren aus der Coronakrise: Wie das Krankenhaus digitaler und effektiver wird Das Jahr 2020 hat bereits viele Veränderungen und Herausforderungen für unsere Krankenhäuser gebracht, die ganz individuelle Auswirkungen auf die Krankenversor- gung und den Betrieb jeder Klinik hatten und weiterhin haben. In unserem aktuellen eBook haben wir Ihnen dazu zum Erfahrungsaustausch unter Kollegen und als Inspi- ration zu den wichtigen Themen der aktuellen besonderen Phase wieder Beiträge aus den verschiedenen Bereichen zusammengestellt. Neben Führung und Management geht es natürlich zentral um den Fortschritt in der Digitalisierung unserer Kliniken, die sowohl durch die Erfahrung aus der ersten Pha- se der COVID-19 Pandemie als auch durch die jüngsten politischen Entwicklungen mit dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) klar an Aufmerksamkeit und Wichtig- keit gewonnen hat. Das Polavis eBook steht unter www.polavis.de zum kostenlosen Download bereit. | Sonderheft 2021 29
Sie können auch lesen