Strassenbau und Militär in der Schweiz zwischen 1750 und 1850
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14 Construction routière et armée | Costruzioni stradali e esercito Verkehr und Krieg im Raum Strassenbau und Militär in der Schweiz zwischen 1750 und 1850 Militär und Verkehrswesen hängen voneinander ab; beide sind stark auf den Raum bezogen. In der Schweiz wurden aber kaum Strassen aus primär militä- rischen Gründen gebaut: Das bis ins 19. Jahrhundert kantonal organisierte Mili- tär war nie in der Lage, eine bestimmende Rolle zu spielen. Trotzdem sind die Beziehungen zwischen Militär und Strassenbau vielfältig. Ein wichtiges Binde- glied waren die Ingenieure, die ihr in französischen Diensten erworbenes Wis- sen in der Schweiz im Strassenbau anwendeten. Ihr Einfluss reichte weit über die Ingenieurtechnik hinaus. Hans-Ulrich Schiedt sprechende Studien abstützen. Er ist für das 18. und 19. Jahrhundert vielmehr eine Sondierung D er Zusammenhang von Verkehrswegen im noch kaum erforschten Gebiet. und Militär respektive Krieg zwischen 1750 und 1850 ist vielschichtig. Positiv Verkehr und Krieg im Raum drückt er sich etwa im Sinne der Realisierung Es ist zunächst der Raum, es sind die Möglich- militärisch motivierter Verkehrsbauten und der keiten und die Bedingungen der Raumüber Verteidigung der Verkehrsinfrastruktur aus. Ne- windung, die die grundlegendste Klammer und gativ erscheint er, wenn man die Kriegsschäden die gemeinsame Basis sowohl für den Verkehrs- betrachtet, die nicht nur in der Zerstörung der wegbau und als auch für die militärischen Be materiellen Verkehrsinfrastruktur, sondern auch wegungen und die Militärkonzeptionen bilden. im Zerfall der gesellschaftlichen Organisation des Die je eigenen Entwicklungen von Militär und traditionellen Unterhalts und des Strassenbaus Verkehrswesen sind so stark auf den Raum be lagen. Ebenso zwiespältig war die Funktion der zogen, dass sie oft parallel zueinander erfolgten, Genieoffiziere. Sie waren wichtige Figuren des auch ohne dass immer und überall konkrete, di- Transfers des technischen und organisatorischen rekte Verbindungen bestanden hätten. Die Wirt- Know-hows, auf dem der Chausseebau seit der schafts- und die Verkehrsbeziehungen inten Mitte des 18. Jahrhunderts und noch der Kunst- sivierten und beschleunigten sich parallel zur strassenbau der 1820er- und 1830er-Jahre be- Entwicklung der militärischen Mobilität, parallel ruhte. Zu den Aufgaben der Genietruppen ge- zur Entwicklung vom räumlich und saisonal be- hörte aber auch die Sprengung und Zerstörung grenzten Geschehen hin zum raumgreifenden der Strassen und Brücken. So ging beispielsweise Territorialkrieg. im Koalitionskrieg 1798–1800 und im Sonder- Die vorhandenen Strassen und Wege ergaben die bundskrieg 1847 die Mehrzahl der zerstörten Bedingungen für den Auf- und Durchmarsch Brücken in der Schweiz auf das Konto der Ver und, nicht weniger wichtig, für den Nachschub. teidiger, die damit den gegnerischen Auf- und Der Krieg war in vormoderner Zeit saisonal, wie Durchmarsch behinderten.1 es auch die Transporte waren. Die Möglichkeit, Die Beziehungen zwischen den Verkehrswegen einen beweglichen Krieg zu führen, beschränkte und dem Militär sind in mancher Hinsicht offen- sich vor allem auf die Sommer- und Herbst sichtlich, und noch öfter werden sie einfach un- monate. Die Transporte und Truppenverschie- terstellt. Und doch gibt es für die Zeit vor dem bungen hingen vom Futter für die Zugtiere und Eisenbahnbau kaum Literatur darüber. Der fol- der Versorgung der Soldaten ab. Jede Armeefüh- gende Text kann sich denn auch nicht auf ent- rung hatte sich mit der komplexen Logistik der Les chemins et l’histoire | Strade e storia 2006 | 2
Strassenbau und Militär 15 Transporte und der militärischen Raumaktionen Die Verteidigung des Verkehrsraums zu befassen. Entweder wurde die Verpflegung Keine dieser säkularen Entwicklungen der aufwändig transportiert oder an Ort und Stelle Raumerschliessung des 18. und 19. Jahrhunderts requiriert. Im letzteren Falle war aber die Trup- ging in der Schweiz dominant vom Militär aus. pen immer dann zum Weitermarsch gezwungen, Allenfalls gaben militärische Erwägungen den wenn die Gegend erschöpft war. Dies traf oft in Ausschlag für die eine oder andere Linienfüh- kurzer Zeit ein.2 Da liegt es auf der Hand, dass die rung. Keine der neuen Chausseen seit 1740 und nachhaltigen Verbesserungen der Strassennetze kaum eine Kunststrasse der ersten Hälfte des in der zweiten Hälfte des 18. und in der ersten 19. Jahrhunderts wurden in der Schweiz aber aus Hälfte des 19. Jahrhunderts eine wichtige Bedin- primär militärischen Gründen gebaut.5 Eine wich gung waren für die Vergrösserung und Mobilisie- tige Ausnahme war die 1800–1805 gebaute Sim- rung der Heere und den wachsenden Einsatz der plonstrasse. Sie wurde jedoch aufgrund des mi Artillerie, deren Transporte über grosse Strecken litärstrategischen Diktats von Frankreich reali- auf gute Strassen angewiesen waren. Eine wich- siert, dessen politisch-militärische Zielsetzung tige taktische und strategische Vorkehrung lag des Chausseebaus im 18. Jahrhundert allgemein denn auch darin, in den nun entstehenden Chaus- einen wichtigen Unterschied zum Strassenbau see- und Kunststrassennetzen die eigene Beweg- der Schweiz darstellte. Die bis ins 19. Jahrhun- lichkeit zu sichern und die des Gegners einzu- dert hauptsächlich kantonal organisierten Wehr- schränken. Suworow hat den Krieg nicht auf dem organisationen der Schweiz waren nie in der Lage, Schlachtfeld verloren, sondern auf den engen, eine bestimmende Rolle im grossräumigen Infra- steilen und abschüssigen Gebirgspfaden. Die strukturbau zu spielen. überragende strategische Leistung der gegne- Bei der allmählichen Herausbildung einer schwei- rischen französischen Truppen von Masséna und zerischen militärischen Zentralbehörde im 19. Jahr Lecourbe war es, ihn von den Chausseen der hundert waren es die beiden Kernbereiche der Ebenen fernzuhalten. militärischen Raumerfassung und Raumkont Die besseren Strassen erschlossen in der zweiten rolle, der Festungsbau und die Kartografie, von Hälfte des 18. und in der ersten Hälfte des denen wichtige Impulse zur bundesstaatlichen 19. Jahrhunderts jenen Raum, boten jene Mög- Integration ausgingen. Nicht zufällig waren un- lichkeiten, die auch die Kriegsführung nachhaltig ter den frühen Offizieren des Generalstabs und veränderten, mobilisierten und intensivierten.3 vornehmlich der Genietruppen jene Ingenieur Die Zerstörungspotenziale wurden grösser. Chaus offiziere zahlreich vertreten,6 die auf Bundes- seen und Kunststrassen bildeten bis zum Eisen- und Kantonsebene auch mit der topografischen bahnbau der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Landesaufnahme und in den entstehenden kan- das Rückgrat der militärischen Bewegungen des tonalen Verwaltungen mit dem Strassen- und Landkriegs. Diese neue, saisonal weniger ein Brückenbau beschäftigt waren. geschränkte Beweglichkeit hinterliess mit der Sowohl die wichtigsten Hauptstrassen als auch raumgreifenden Entwicklung der napoleonischen später die Eisenbahnen wurden sukzessive in das Kriege, in denen die Schweiz selbst zum Auf- Festungssystem integriert, um so ihren Wert für und Durchmarschgebiet und zum Kriegsschau- die Verteidigung zu sichern und zu erhöhen. Da- platz wurde, einen nachhaltigen Eindruck. bei lösten neue Festungen die Burgen, Letzinen In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eröff- und Stadtbefestigungen des Mittelalters und der neten die Eisenbahnen den Militärs wiederum Frühneuzeit ab. Sie sollten der wachsenden Feu- neue Dimensionen der Kriegsführung.4 Diese er- erkraft der Artillerie standhalten. An allen wich- wiesen sich – im Zusammenwirken mit der Tele- tigen Transitrouten der Schweiz entstanden Fes grafie – zuerst im amerikanischen Bürgerkrieg tungswerke. Diese bezogen sich noch im 18. Jahr- 1861–1865 und dann in den italienischen und hundert hauptsächlich auf die Städte des Ancien deutschen Einigungskriegen der 1860er-Jahre Régime: Genf, Bern, Solothurn, Zürich und Basel und im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 waren mit aufwändig gebauten Schanzen be als neue, noch um vieles potentere militärische festigt. Aufmarsch-, Transport- und Kommunikations- Das zunehmend dichte Kunststrassennetz der mittel. Sie revolutionierten das Kriegswesen ohne 1830er- und 1840er-Jahre und der schnelle Bau Zweifel noch radikaler als der Chausseebau. der Eisenbahnen seit Mitte der 1850er-Jahre wa- 2006 | 2 Wege und Geschichte
16 Construction routière et armée | Costruzioni stradali e esercito ren gleichzeitig Voraussetzung und auch wich- Le verrou de Saint-Maurice – un site hautement tige Prozesse einer sukzessiven Integration des stratégique et bientôt le siège du bureau schweizerischen Raums. Entsprechend bezog sich ViaStoria en Suisse romande der seit 1831 forcierte Aus- und Neubau von Fes tungen auf den grösseren Raum. Für diese An C’est à l’époque gallo-romaine que les premiers lagen war bereits jene Konzeption der strate- vestiges archéologiques attestent de l’occupation gischen Defensive im Zentralraum bestimmend, du site de Saint-Maurice, autrefois Agaune (Acau- die schliesslich im so genannten Réduit ihre Voll- nus). Il est une porte naturelle sur la vallée du endung finden sollte. Rhône et un poste de contrôle inévitable pour Im Laufe des 19. Jahrhunderts entstanden neue accéder à la rampe nord du col du Grand-Saint- Festungswerke beim Luziensteig, am Nord- und Bernard, principale voie de franchissement des Südzugang zum Gotthard, bei Saint-Maurice be- Alpes entre Rome et le nord de l’Europe. Station zogen auf die Walliser Pässe, in der Gondo de péage du Quarantième des Gaules on y perçoit schlucht an der Simplonroute und in den Zent une taxe sur toute marchandise (2,5 %) entrant ralalpen. Eine solche «Verzahnung» von vorher- ou sortant du Valais. Agaune se trouve entre gehendem Verkehrswegbau und nachfolgendem Tarnaiae (Massongex), capitale des Nantuates Festungsbau lässt sich beispielhaft am Gotthard abritant le sanctuaire fédéral des quatre tribus verfolgen und dort heute noch ablesen.7 qui peuplaient le Valais – passage obligé sur le Eine gesamteidgenössische Verteidigungskon- Rhône – et Octodure bourg véragre, à proximité zeption und neue Festungswerke wurden in den duquel l’empereur Claude fonde Forum Augusti 1860er-Jahren noch dringlicher, als der schwei- Vallensium (Martigny). zerische Raum durch die nationalen Einigungen Du rocher de Saint-Maurice sort une source au- von Deutschland und Italien eine zusätzliche Ak- près de laquelle ont été bâtis de nombreux édi- zentuierung als Kleinstaat erfuhr. In dieser hier- fices religieux. Aux autels romains dédiés aux zulande als akute Bedrohung wahrgenommenen nymphes, à Mercure et au «dieu apaisé», suc- cède, vers 380, un premier sanctuaire chrétien geopolitischen Situation überzeugten in der so établi par saint Théodule, premier évêque du genannten Militär- oder Alpenstrassenfrage 1860 Valais. En 515, saint Sigismond, roi des Bur zum ersten Mal dominant militärische Motive für gondes, y fonde l’abbaye dont l’occupation et les grössere Strassenbauprojekte.8 Kernstück der laudes perpétuelles n’ont cessé jusqu’à nos jours. neuen, in den 1860er-Jahren gebauten Militär- A cette première basilique sept autres lui suc strassen war ein «Kreuz» von Axen-/Gotthard- cèdent au cours des siècles. Prochainement un strasse und Furka-/Oberalppass, welche die bis- rapport sur les nombreuses fouilles faites en ces her isolierten Sperrstellen über die Zentralalpen lieux permettra d’établir dans le détail la succes- verbinden sollten.9 sion des événements liés au site. Die militärische Tradition im Strassenbau aus dem Festungsbau In einer speziellen, wichtigen Hinsicht ergaben sich aber auch direkte Linien vom Militär zum Strassenbau. In Frankreich waren die Ausbildung und die Leitung des zentralstaatlichen Haupt- strassenbaus bis ins frühe 18. Jahrhundert selbst Teil des Festungsbaus. Das militärische Inge nieurwesen des Festungsbaus und immer mehr auch der Artillerie umfasste unter anderem die grundlegenden technischen und administrativen Kenntnisse des Hoch- und Tiefbaus: der Mauer- bau und die Erdarbeiten, die Vermessung, die Kar tografie, die Planung, der Schwertransport und die Anleitung und Durchführung von Gross unternehmungen. Diese Kenntnisse erwiesen sich auch für den Strassenbau als grundlegend. Les chemins et l’histoire | Strade e storia 2006 | 2
Strassenbau und Militär 17 En haut: Le pont et le château de Saint- Maurice avant la cons truction de la maison de douane. Litho graphie de Jean du Bois et Briquet, vers 1830. (IVS documentation Valais, VS 18) En bas (page de gauche): Etat actuel du château, l'ancienne maison de douane (en cours de restau ration) est à l'avant du château. Un pont, un château, un fort... Le site est un point névralgique sur la route du La configuration du terrain fait de Saint-Maurice Simplon inaugurée en 1806. Pour la contrôler un site voué au contrôle du passage et à la dé Guillaume-Henri Dufour imagine dès 1821 la fense du territoire; ainsi, vers l’an 275 de notre défense du verrou de Saint-Maurice: «en coupant ère déjà, c’est ici qu’est arrêtée l’invasion des le défilé … on ferme toute la vallée». Pour ce faire, Alamans. Si durant tout le Moyen Âge le rayonne- le château ne suffit pas, de sorte qu’en 1823–1825 ment spirituel du lieu prévaudra, ses fonctions il conçoit les défenses que nous connaissons militaires et viaires ne sont pas en reste. aujourd’hui. A partir de 1831, de nombreux tra- On établit un premier pont dans le courant du vaux sont effectués dans tout le site, en rive 12ème siècle, il s’agit d’un ouvrage en maçonnerie gauche comme en rive droite afin d’en assurer la d’une seule arche; souvent réparé, il est entière- défense. En 1844–1846 on construit un poste de ment restauré à la fin du 15ème siècle. A cette douane à l’avant du château, en face du pont: époque, les événements (guerres de Bourgogne) c’est au rez-de-chaussée de cet édifice que nécessitent de renforcer les défenses du site, ViaStoria établira son bureau suisse-romand au Saint-Maurice devenant une ville frontière. Les début 2007. sept dizains du Haut-Valais organisent la défense du pont: on édifie une première tour à l’emplace Un espace multifonctionnel – le nouveau bureau ment du château actuel pour se prémunir des de ViaStoria avancées savoyardes et on dote le pont d’une L’espace ViaStoria aménagé dans le bâtiment de porte pour en défendre l’accès oriental. l’ancienne maison de douane servira de bureau et Au début du 16ème siècle on aménage les premiers de centre d’information. Le visiteur pourra y con- bâtiments du château, on peut y abriter une gar- sulter l’inventaire des voies de communication nison et ainsi contrôler les routes de Monthey au historiques de la Suisse (IVS), en particulier les nord et de Bex à l’est. Le château devient aussi la éléments qui ont servi à sa réalisation: textes, résidence du gouverneur du Bas-Valais. On photos, cartes; une pièce sera réservée à la pré- améliorera son séjour tout au long des 16ème et sentation du projet Itinéraires culturels en Suisse, 17ème siècles. une exposition y présentera des vues issues des En 1693, un incendie ravage la ville, le château si- 12 itinéraires nationaux. tué pourtant à une distance respectable, est aussi Situé sur le passage de la ViaFrancigena, grand détruit, il abritait une réserve de poudre qui a ex- itinéraire culturel européen, les locaux de ViaStoria plosé. On le reconstruit entièrement. Par la suite, offriront ainsi un complément idéal au pôle cultu- il ne changea guère, son entretien laissant même rel et militaire qu’est le château des Gouverneurs à désirer. L'Etat du Valais en devient propriétaire qui avec l’abbaye fera de Saint-Maurice une étape à sa création en 1815, mais il faut attendre 1831 incontournable des Itinéraires culturels en Suisse. pour voir à nouveau d’importants travaux. Sandro Benedetti, ViaStoria Valais 2006 | 2 Wege und Geschichte
18 Construction routière et armée | Costruzioni stradali e esercito Es war dann in Frankreich im 18. Jahrhundert fizier in französischen Diensten. Als solcher war aber gerade der Strassen- und Brückenbau, der er an der Planung und Leitung von Befestigungs- sich zu einer der Leitlinien der sich herausbilden- anlagen in Korfu beteiligt. Nach seiner Rückkehr den zivilen Ingenieurwissenschaft entwickelte. nach Genf wurde Dufour 1817 Kantonsingenieur. In dieser Trennung von «Génie militaire» und Er wirkte in führender Position bei der baulichen «Génie civil» waren die Schaffung eines Corps Umgestaltung der Stadt mit, projektierte und lei- des Ponts et chaussées 1716 und die Gründung tete unter anderem den Bau der weltweit ersten der berühmten École des Ponts et chaussées 1747 permanenten Drahtkabel-Hängebrücke. Gleich- wichtige Etappen.10 zeitig rückte er in der neu entstehenden schwei- In der Schweiz kam es zu keiner entsprechenden zerischen Heeresleitung auf. Er wurde 1817 Mit- Entwicklung. Dazu fehlten sowohl die Ausbil- begründer der eidgenössischen Militärschule dungsstätten als auch eine für die Trennung grund Thun und dort Genie-Instruktor. 1832 wurde er legende Herausbildung einer modernen Staats- Oberstquartiermeister und 1833 Chef der trigono verwaltung, in deren Tiefbauressorts sich die metrischen und kartografischen Aufnahme der Zivilingenieure hätten betätigen können. Solche Schweiz, deren 1842–1864 publizierte Blätter Ressorts entstanden in der Schweiz in den meis schliesslich nach ihm benannt werden sollten, ten Regenerationskantonen erst in den 1830er- die so genannten Dufourkarten. und 1840er-Jahren und in manchen Gebirgskan- Damit steht Dufour auch für alle jene Ingenieur- tonen noch später. Bis dahin blieb es hauptsäch- offiziere, die nicht nur die in französischen Schu- lich bei der militärischen Tradition, beim Know- len und Diensten erworbenen Kompetenzen in how-Transfer der in Frankreich ausgebildeten die Schweiz brachten und im Tiefbau anwendeten und dort in Dienst stehenden Soldoffiziere, die und verbreiteten, sondern sie hier auch wieder nach ihrer Rückkehr eine wichtige Rolle im Stras- in den militärischen Zusammenhang zurück- sen- und Wasserbau und in der topografischen führten.15 Landesaufnahme spielten.11 Die Entsumpfungen, die Flussmeliorationen, der So realisierte beispielsweise Generalleutnant Verkehrswegbau, die topografische Landesauf- Franz Ludwig Pfyffer von Wyher (1716–1802) nahme und die Schaffung von schweizerischen nach seiner Rückkehr nach Luzern 1758–1761 Militärstrukturen und -strategien erscheinen in die Chaussee von Luzern bis Aarburg. Der ehe- diesen Personen als miteinander verbundene, malige Soldoffizier vereinigte im ausgehenden sich immer wieder gegenseitig bedingende Ele- Ancien Régime die Kenntnisse in der Anleitung mente eines umfassenden Prozesses der Trans- grosser Arbeitsverbände, der Planung, der Karto- formation des Raumes. Jene wirtschaftlichen, grafie und des Tiefbaus mit den politischen und politischen und militärischen Aneignungen, jene wirtschaftlichen Interessen seiner führenden Intensivierung und Beschleunigung der Raum Patriziatsfamilie. Später erlangte Pfyffer mit sei- beziehungen werden schliesslich auch grund nem 1762–1786 entstandenen Relief der Ur- legend für das Zusammenwachsen der Schweiz. schweiz europaweite Bekanntheit.12 Auch Jean- Samuel Guisan (1740–1801) stand zuerst als Of- Résumé: fizier in französischen Diensten. In Cayenne war Construction routière et armée er Chefingenieur für hydraulische und landwirt- en Suisse entre 1750 et 1850 schaftliche Arbeiten, bevor er in der Helvetischen L’évolution de l’armée et celle des transports al- Republik zum Generalinspektor für Strassen- lèrent souvent de pair; l’une comme l’autre sont und Brückenbau ernannt wurde, wichtige Stras- fortement liées au territoire. L’amélioration des sen- und Brückenbauten selbst leitete und eine réseaux routiers au 18e siècle fut une condition viel beachtete Anleitung für den Bau kleinerer du développement et de la mobilisation de l’armée Strassen verfasste.13 – en raison de la nécessité de transporter des armes Das späte, überragende Beispiel der französischen lourdes, mais aussi de ravitailler les troupes. En Tradition bietet schliesslich der nachmalige Ge- Suisse, toutefois, il n’est guère de route qui ait neral Guillaume-Henri Dufour 14 (1787–1875): été construite en priorité pour des raisons mili- Ausgebildet an der zivilen École polytechnique in taires. L’armée, dont l’organisation était princi- Paris und an der militärischen École supérieure palement cantonale jusqu’au 19e siècle, ne fut chez d’application du génie in Metz wurde auch er Of- nous jamais en mesure de jouer un rôle détermi- Les chemins et l’histoire | Strade e storia 2006 | 2
Strassenbau und Militär 19 Guillaume-Henri Dufours Projekt für die Festung Saint- Maurice von 1823. (Archiv Jean-Jacques Rapin, aus: Mittler 1992, 17) Guillaume-Henri Dufours Festungsprojekt Der Plan lässt in vielschichtiger Weise den Zusam- für Saint-Maurice menhang von Raum, Strasse und Festung hervor- treten: Die Festung liegt in der Talenge, wo wich- 1823 stellte Guillaume-Henri Dufour, der damalige tige Routen zwischen Frankreich, der westlichen Chefinstruktor der Genietruppen, den Plan einer Schweiz und Italien zusammenführen: die Stras- Festung beim Rhoneübergang von Saint-Maurice sen von beiden Seiten des Genfersees und die vor. Der Simplon war als Operationslinie zwischen Routen aus dem schweizerischen Mittelland. Sie Frankreich und Italien seit der Neuanlage der soll den Brückenübergang schützen und sowohl Passstrasse 1800–1805 noch mehr ins Blickfeld die Transitroute als auch das oberhalb gelegene der erst entstehenden schweizerischen Heeres Wallis kontrollieren – in Friedens- und in Kriegs- leitung gerückt. Die Festung wurde in den 1830er- zeiten. Ebenso verkörpert Dufour, der die Gelän- Jahren unter der Leitung des Ingenieurs Salomon deaufnahmen zum Plan selbst zeichnete, diesen Hegner in enger Zusammenarbeit mit Dufour ge- Zusammenhang: Er war Soldoffizier, Kartograf, baut. Das realisierte Projekt entspricht in Details leitender Zivilingenieur in der Genfer Staats nicht mehr den Plänen von 1823. verwaltung, er rückte in der schweizerischen Bei Hegner ist wie bei Dufour (vgl. S. 14) die fran- Armee bis zum General auf, und er war eidgenös- zösische Tradition nachzuweisen. Diese beginnt sischer Politiker. allerdings nicht beim Militär, sondern in der École des ponts et chaussées, also nicht im «Génie mili- taire», sondern im «Génie civil». Sie führt ihn wie Dufour über die entstehenden modernen Staats- Literatur verwaltungen – Hegner war 1816–1831 im Kanton Zur Festung Saint-Maurice vgl.: Jean-Jacques Zürich Strassen- und Wasserbauinspektor – zu Rapin, Festung Saint-Maurice: Riegel im Rhone- den schweizerischen Genietruppen, als deren tal, in: Max Mittler (Hg.), Die Geschichte der Kommandant er die eidgenössischen Festungs- schweizerischen Landesbefestigung. Zürich, bauten leitete. Köln 1992, 107–140. 2006 | 2 Wege und Geschichte
20 Construction routière et armée | Costruzioni stradali e esercito nant à cet égard. Ce n’est qu’à partir des années (vgl. Anm. 2); Klaus-Jürgen Bremm, Von der Chaussee zur 1830 que le système des fortifications fut aligné Schiene. Militärstrategie und Eisenbahnen in Preussen von 1833 bis zum Feldzug von 1866 (Militärgeschichtliche sur les voies de communication. Les ingénieurs, Studien 40), München 2005. qui appliquaient à la construction routière en 5 Eine Ausnahme stellen hier natürlich die direkten Suisse un savoir technique qu’ils avaient souvent lokalen Wege zu den Festungen und Kasernen dar, die acquis en France en tant qu’officiers, constituaient schon damals als reine Militärstrassen angesprochen werden müssen. Diese sind im vorliegenden Artikel un lien important entre la construction routière ausgeklammert. et l’armée. Guillaume-Henri Dufour (1787–1875) 6 Daniel Lätsch, Militärische Ausbildung und Aus en est un exemple éminent: celui qui allait de bildner in der Schweiz 1815–1870/71. Ein Beitrag zur Ge- venir général de l’armée suisse marqua fortement schichte der kantonalen und eidgenössischen Instruk- toren, Rapperswil 1995, 74. notre pays de son empreinte durant la première 7 Zum Festungsbau des 19. Jahrhunderts vgl. Kurt moitié du 19e siècle comme ingénieur, topo- Werner, Die Anfänge der schweizerischen Landesbefesti- graphe et officier. gung (Schweizer Studien zur Geschichtswissenschaft, NF 10), Zürich 1946; Julius Rebold, Histoire de la cons truction des ouvrages fortifiés fédéraux édifiés au cours Riassunto: des années 1831–1860 et 1885–1921, Saint-Maurice 1982; Esercito e costruzioni stradali Max Mittler (Hg.), Die Geschichte der schweizerischen in Svizzera tra 1750 e 1850 Landesbefestigung, Zürich, Köln 1992. 8 Kontext dieser Entwicklung waren auch ein erstmals Essendo entrambi molto legati allo spazio terri- vorhandener finanzieller Spielraum des Bundesstaates toriale, lo sviluppo di esercito e vie di traffico av und das sukzessive Erstarken der Bundesstrukturen der viene spesso su binari paralleli. Nell’Ottocento il schweizerischen Heeresorganisation sowie mit dem Fö- miglioramento della rete viaria favorì l’espan deralismus eine politische Struktur, in der das Interesse der Alpenkantone stark zur Geltung kam. sione e la mobilitatione dell’esercito facilitando 9 Vgl. dazu Hans-Ulrich Schiedt, Die Alpenstrassen- il trasporto di armi pesanti e l’approvvigionamento frage oder «Die prinzipielle Figur des Kreuzes», in: Wege della truppa. In Svizzera furono però costruite und Geschichte 2002, 34–39, sowie hier S. 26–33. solo poche strade a scopi esclusivamente mili 10 Vgl. dazu Antoine Picon, French architects and engineers in the age of enlightenment (Cambridge tari: fin nel 19o secolo l’esercito, organizzato studies in the history of architecture), Cambridge 1988. principalmente su scala cantonale, non ebbe mai 11 Diese französische Tradition wird zu recht allge- un ruolo importante nel settore. Il sistema delle mein angenommen. Allerdings ist sie im Detail noch nicht fortificazioni venne orientato in rapporto alle vie aufgearbeitet. In diesem Forschungsstand ist der Know- how-Transfer hauptsächlich über die Biografien einzelner di comunicazione solo a partire dal 1830. Gli in- Protagonisten zu fassen. gegneri, che spesso come ufficiali in Francia ave- 12 Andreas Bürgi, Der Blick auf die Alpen. Franz Lud- vano acquisito un sapere tecnico che poi diffu wig Pfyffers Relief der Urschweiz (1762 bis 1786), in: Cartographica Helvetica 18, 1998, 3–9. sero anche in Svizzera, furono un importante 13 J[ean] S[amuel] Guisan, Bemerkungen über Erbau- anello di congiunzione tra esercito e costruzioni ung, Verbesserung und Unterhaltung der Wege vorzüg- stradali. Ne è significativo esempio il generale lich der Nebenwege. Den Landbauern Helvetiens gewid- Guillaume-Henri Dufour (1787–1875) che come met, Bern 1800. Franz. Original: Observations sur la construction, l’entretien e l’amélioration des chemins, ingegnere, topografo e ufficiale ebbe in Svizzera notamment de ceux de traverse, 1800; zu Guisan vgl. un ruolo importante nella prima metà dell’Otto Historisches Lexikon der Schweiz, Internetversion 2006. cento. 14 Zu Dufour vgl. Roger Durand (éd.), Guillaume-Henri Dufour dans son temps, 1787–1875, Genève 1991. 15 Vgl. dazu Rudof Jaun, Das Eidgenössische General- stabskorps 1804–74: eine kollektiv-biographische Studie, Rechte Seite: Die Train- Anmerkungen Basel 1983; Lätsch 1995 (vgl. Anm. 6). pferde waren aufwän- 1 Diese Information verdanke ich meinem Kollegen Cornel Doswald. dig geschirrt, ihre 2 Vgl. dazu Burkhard Köster, Militär und Eisenbahn Hauptlast waren die in der Habsburgermonarchie 1825–1859 (Militär zwei seitlichen «Colli». geschichtliche Studien 37), München 1999, 39 ff. Hans-Ulrich Schiedt (Aus: Benennung und 3 Zum Strassenbau in diesem Zeitraum vgl. Hans- Ulrich Schiedt, Chausseen und Kunststrassen: Der Bau Historiker, arbeitet seit 1990 Beschreibung der der Hauptstrassen zwischen 1740 und 1910, in: Schwei bei ViaStoria. Er leitet die Abtei- Hauptbestandtheile zerische Zeitschrift für Geschichte 56, 1/2006, 13–21. lung Forschung von ViaStoria der eidgenössischen 4 Vgl. dazu: Dennis E. Showalter, Railroads and und ist Mitglied der Geschäfts- Train-Pferdegeschirre, Rifles. Soldiers, Technology and the Unification of Germany, Hamden, Connecticut 1975; Köster 1999 leitung. Zürich 1844) Les chemins et l’histoire | Strade e storia 2006 | 2
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