Brutvögel an Fliessgewässern: Situation, Defizite, Förderung

 
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Brutvögel an Fliessgewässern: Situation, Defizite, Förderung
Brutvögel an Fliessgewässern: Situation,
Defizite, Förderung
Erkenntnisse aus einer Grundlagenstudie im Kanton Zürich

Mathias Ritschard, Martin Weggler

                                              spezialisierte Vogelarten gute Indikatoren     tikel stellt ein Destillat dieses Berichts dar.
           Zusammenfassung                    für den allgemeinen biologischen Zustand       Viele der Resultate, Schlussfolgerungen
 Fliessgewässer und von Fliessgewäs-          und die biologische Diversität eines Le-       und Empfehlungen sindschweizweit gül-
 sern geschaffene Strukturen und Ha-
                                              bensraums sind.                                tig, der geografische Fokus reicht damit
 bitate gehören zu den artenreichsten
                                                       Das revidierte Gewässerschutzge-      weit über die Grenzen des Kantons Zürich
 Lebensräumen und beherbergen eine
                                              setz (GSchG), welches seit dem 1. Januar       hinaus.
 grosse Diversität von Vogelarten. Viele
                                              2011 in Kraft ist, bietet Handhabungen, um
 dieser spezialisierten Arten sind durch
                                              die Situation der Fliessgewässervögel in       2.       Vögel an Fliessgewässern
 die anthropogene Nutzung und Umge-
                                              der Schweiz zu verbessern. Zentrale Ele-       Von den 139 aktuellen Brutvogelarten des
 staltung der Fliessgewässer stark be-
                                              mente des Gesetzes sind Revitalisierun-        Kantons Zürich kommen 38 Arten (27%)
 droht. Der vorliegende Artikel beruht
 auf einer Grundlagenstudie zu Brut-          gen und ein erweiterter Gewässerraum.          bevorzugt oder ausschliesslich in der
 vögeln an Fliessgewässern im Kanton          Innerhalb der nächsten 80 Jahre sollen         Nähe von Fliessgewässern vor (Tabelle 1;
 Zürich. Er analysiert die aktuelle Situa-    etwa 25% der insgesamt 10 000 km be-           nachfolgend «Leitarten Fliessgewässer»
 tion, identifiziert und beschreibt orni-     einträchtigter Fliessgewässerabschnitte        genannt). Grundlage für diese Erkenntnis
 thologisch wichtige Lebensraumstruk-         revitalisiert werden (Göggel 2012). Die        ist eine flächendeckende Analyse der geo-
 turen, nennt den Handlungsbedarf und         Kantone sind zur strategischen Planung         grafischen Verteilung von Brutvogelrevie-
 stellt Grundlagen für Wasserbauer zur        und zur Umsetzung von Revitalisierungs-        ren aus dem Zürcher Brutvogelatlas 2008
 Verfügung, mit denen die Situation der       projekten verpflichtet. Zusätzlich haben       (Weggler u.a. 2009). Die Bindung dieser
 Fliessgewässervögel verbessert wer-          sie Gewässerräume, welche die natürliche       Arten an Fliessgewässer ist unterschied-
 den kann.                                    Funktion der Gewässer und den Hochwas-         lich eng. Vier Arten brüten im Kanton Zü-
                                              serschutz gewährleisten festzulegen. Der       rich aktuell praktisch ausschliesslich an
                                              Gewässerraum darf nur extensiv bewirt-         Fliessgewässern, nämlich Gänsesäger,
1.       Einleitung                           schaftet werden.                               Eisvogel, Wasseramsel und Bergstelze.
Die Vögel sind eine sehr erfolgreiche Wir-             Die Orniplan AG hat im Auftrag des    Weitere ökologisch sehr eng an Fliessge-
beltiergruppe, welche praktisch sämtliche     Zürcher Vogelschutzes ZVS/BirdLife Zü-         wässer gebundene Arten sind entweder
Lebensräume der Erde besiedelt. Viele         rich und des Amts für Abfall, Wasser, Ener-    vollständig verschwunden (Flussuferläu-
Arten sind heutzutage vom Aussterben          gie und Luft (AWEL) Kanton Zürich einen        fer) oder haben sekundäre Ersatzlebens-
bedroht (IUCN 2014), die wohl wichtigste      Grundlagenbericht erarbeitet, welcher          räume bezogen: Die Flussseeschwalbe
Gefährdungsursache ist die Zerstörung         die Situation der Brutvögel an Fliessge-       brütet im Kanton Zürich nur noch auf
der Habitate. Am meisten gefährdet sind       wässern im Kanton Zürich im Detail ana-        künstlichen Brutplattformen am Greifen-
Vogelarten, welche auf Lebensräume spe-       lysiert, Defizite identifiziert und konkrete   und Pfäffikersee, die Uferschwalbe und
zialisiert sind, die einem hohen anthropo-    Fördermassnahmen beschreibt (Ritsch-           der Flussregenpfeifer brüten heutzutage
genen Nutzungsdruck unterliegen. Dazu         ard & Weggler 2014). Der vorliegende Ar-       überwiegend in anthropogen geschaffe-
gehören sicherlich die Fliessgewässer.
         Das Gesicht vieler Fliessgewässer
hat sich in den letzten zwei Jahrhunderten
weltweit, aber insbesondere auch in der
dicht besiedelten Schweiz stark verändert.
Fliessgewässer wurden zur Energiege-
winnung, für den Hochwasserschutz oder
auch einfach zur Raumgewinnung verbaut,
kanalisiert oder sogar eingedolt. Typische
Lebensraumstrukturen naturnaher Fliess-
gewässer sind vielerorts verschwunden,
und mit ihnen auch spezialisierte Vogelar-    Bild 1. Typische aktuelle und ehemalige Brutvögel an Fliessgewässern im Kanton
ten. Vögel stehen weit oben in der Nah-       Zürich, welche ökologisch sehr eng an den Lebensraum Fliessgewässer gebunden
rungskette und erfüllen somit eine wichtige   sind. Von links oben nach rechts unten: Gänsesäger, Flussregenpfeifer, Flussuferläu-
ökologische Funktion. Hinzu kommt, dass       fer, Flussseeschwalbe, Eisvogel, Uferschwalbe, Wasseramsel, Bergstelze.

«Wasser Energie Luft» – 106. Jahrgang, 2014, Heft 4, CH-5401 Baden                                                                     291
Brutvögel an Fliessgewässern: Situation, Defizite, Förderung
nen Lebensräumen wie Kiesgruben oder             schwalbe vollständig aus Flusshabitaten      im 19. Jahrhundert stattgefunden hat,
Grossbaustellen, wo Sandabrisse bzw.             verschwunden ist.                            lassen sich die historischen Vorkommen
vegetationsfreie Ruderalstandorte zur Ver-              Andere Arten sind ökologisch we-      der Leitarten Fliessgewässer im Kanton
fügung stehen. Die Populationsgrössen            niger eng an Fliessgewässer gebunden,        Zürich nur fragmentarisch nachzeichnen.
dieser «obligatorischen» Fliessgewässer-         aber trotzdem noch statistisch signifikant   Aufgrund der Situation an unkorrigierten
arten (siehe Bild 1) sind klein; die häufigste   mit ihnen assoziiert (Tabelle 1). Dazu ge-   Flussläufen, beispielsweise am Unterlauf
Art ist die Bergstelze mit rund 270 Brut-        hören typische Wasservögel wie Enten         des Doubs im französischen Jura oder am
paaren, gefolgt von der Wasseramsel mit          oder Schwäne, aber auch Brutvogelarten       Tagliamento in Norditalien, müssen zumin-
knapp 250 Brutpaaren. Vom Eisvogel gibt          von gewässerbegleitenden terrestrischen      dest Flussuferläufer, Flussseeschwalbe
es weniger als 40 Brutpaare im Kanton            Strukturen wie Uferpflanzen oder Gehöl-      und Uferschwalbe als ehemalige Brutvö-
Zürich, vom Gänsesäger nur deren zwei.           zen, beispielsweise der Teichrohrsänger,     gel an den Fliessgewässern im Kanton Zü-
Von den gut 20 Flussregenpfeiferpaaren           die Nachtigall oder der Pirol.               rich eingestuft werden. Andere Arten, wie
im Kanton brütet nur eine knappe Hand-                  Weil die Umgestaltung der Fliess-     zum Beispiel der Flussregenpfeifer, waren
voll an Fliessgewässern, während die Ufer-       gewässer zu einem grossen Teil schon         vor 150 Jahren vermutlich bedeutend häu-
                                                                                              figer als heute. Einige Fliessgewässervö-
                                                                                              gel wurden auch direkt verfolgt, vom Eis-
                                                                                              vogel etwa wird berichtet, dass ein Fischer
                                                                                              allein im Jahr 1925 in Rheinau gegen 50
                                                                                              Individuen gefangen hätte: «Eine Anzahl
                                                                                              brachte er ein, die andern warf er ins Was-
                                                                                              ser» (Stemmler 1925). Der Fischadler ist in
                                                                                              der Schweiz gar ganz ausgerottet worden.
                                                                                                       Während sich der vorliegende Ar-
                                                                                              tikel auf die Bedeutung von Fliessgewäs-
                                                                                              sern für Brutvögel beschränkt, soll nicht
                                                                                              vergessen werden, dass Fliessgewässer
                                                                                              auch als Rasthabitat von Durchzüglern
                                                                                              und Wintergästen eine wichtige Bedeu-
                                                                                              tung haben und gelegentlich von lokalen
                                                                                              Brutvögeln, welche nicht in unmittelbarer
                                                                                              Nähe brüten, zur Nahrungssuche aufge-
                                                                                              sucht werden (beispielsweise vom Grau-
                                                                                              reiher).

                                                                                              3.      Ornithologischer Zustand
                                                                                                      der Fliessgewässer
                                                                                                      im Kanton Zürich
                                                                                              Um den aktuellen ornithologischen Zu-
                                                                                              stand der Fliessgewässer im Kanton
                                                                                              Zürich nachzuzeichnen, haben wir alle
                                                                                              Fliessgewässerabschnitte ornithologisch
                                                                                              bewertet. Davon ausgenommen haben
                                                                                              wir schnellfliessende Gewässer mit einer
                                                                                              Sohlenbreite von weniger als 1 m, einge-
                                                                                              dolte Abschnitte sowie Fliessgewässer mit
                                                                                              einer Gesamtlänge von weniger als 250 m.
                                                                                              Diese sind ornithologisch kaum relevant.
                                                                                              Insgesamt wurden so 1788 km «ornitholo-
                                                                                              gisch relevanter» Fliessgewässerstrecken
                                                                                              bewertet.
                                                                                                      Die Bewertungsmethodik ist im
                                                                                              Grundlagenbericht detailliert beschrieben
                                                                                              (Ritschard & Weggler 2014). Grundsätzlich
                                                                                              haben wir aus der Summe der vorkom-
                                                                                              menden Leitarten für jeden Gewässer-
                                                                                              abschnitt einen sogenannten «Abschnitt-
                                                                                              Leitartwert» errechnet. Dabei wurden aber
Bild 2. Ornithologischer Ist-Zustand der Fliessgewässer im Kanton Zürich. Als Mass            nicht alle Arten als gleichwertig behandelt.
für die ornithologische Qualität haben wir den «Abschnitt-Leitartwert» entwickelt (vgl.       Wir haben jeder Art einen Wert zugewie-
Text). Ein hoher Wert entspricht einer hohen ornithologischen Qualität. In Grau sind          sen, welcher sich aus dem Artwert gemäss
die ornithologisch nicht relevanten Fliessgewässer (schnellfliessende kleine Bäche,           Artwertsystem das Kantons Zürich (siehe
eingedolte Abschnitte oder sehr kurze Fliessgewässer).                                        Schwarzenbach 2012) und einem «Bin-

292                                                                     «Wasser Energie Luft» – 106. Jahrgang, 2014, Heft 4, CH-5401 Baden
Brutvögel an Fliessgewässern: Situation, Defizite, Förderung
dungswert» zusammensetzt. Letzterer             durchschnittlichem Abschnitt-Leitartwert     4.      Ökologische Ansprüche von
beschreibt, wie eng eine Art ökologisch         können als Defizitgewässer bezeichnet                Fliessgewässervögeln
an den Lebensraum Fliessgewässer ge-            werden; sie haben meist ein hohes Aufwer-    Vögel stellen je nach Art unterschiedliche
bunden ist.                                     tungspotenzial. Auch Gewässer mit einem      Anforderungen an ihren Lebensraum. Ei-
         Bild 2 illustriert den ornithologi-    durchschnittlichen bis überdurchschnittli-   nerseits sind sie für Nahrungs-, Deckungs-
schen Wert aller ornithologisch relevan-        chen Abschnitt-Leitartwert befinden sich     und Nistplätze und auf bestimmte Bio-
ten Fliessgewässerabschnitte im Kan-            aber meist deutlich unter ihrem Optimum      topstrukturen angewiesen, andererseits
ton Zürich anhand des oben erwähnten            und besitzen ebenfalls ein Aufwertungs-      haben sie aber auch Raumansprüche, d.h.
Abschnitt-Leitartwerts. Lediglich 3.9%          potenzial. Fliessgewässerabschnitte mit      sie brauchen eine minimale Fläche von ge-
(70 km) der Fliessgewässerstrecke hat           einem hohen ornithologischen Defizit sind    eignetem Lebensraum, um überleben und
einen hohen bis sehr hohen ornithologi-         an allen grösseren Flüssen im Kanton Zü-     sich erfolgreich fortpflanzen zu können.
schen Wert. Ornithologisch besonders            rich (Rhein, Limmat, Reuss, Thur, Töss,              Wir haben für jede unserer Leitar-
wertvolle Fliessgewässerabschnitte sind         Glatt und Sihl) zahlreich zu finden.         ten Fliessgewässer die wichtigen Lebens-
u.a. im Bereich Nohl–Dachsen sowie Töss-
riedern–Zweidlen am Rhein, zwischen Ge-
roldswil und der Kantonsgrenze an der
Limmat sowie lokal an der Thur und an der
Sihl zu finden. Rund die Hälfte der Fliessge-
wässerstrecke (900 km) hat derzeit gemäss
unserer Analyse überhaupt keinen ornitho-
logischen Wert.
         Es fällt auf, dass Gewässer mit
einem hohen ornithologischen Wert im
Allgemeinen eine viel breitere Sohle auf-
weisen als Gewässer ohne oder mit nur
einem geringen bis mittleren ornithologi-
schen Wert (vgl. Tabelle 2). Dies ist nicht
weiter erstaunlich, sind doch Vögel mobile
Lebewesen, welche auf eine je nach Art
mehr oder weniger ausgedehnte Fläche
von geeignetem Habitat angewiesen sind
(vgl. auch Kap. 5). Hinzu kommt, dass or-
nithologisch wichtige Habitatstrukturen
oft durch dynamische Fliessgewässer-
prozesse geschaffen werden. Diese Pro-
zesse finden zwar auch an kleinen Fliess-
gewässern statt, die Schaffung von Struk-
turen von ornithologisch relevanter Grösse
hängt aber nicht zuletzt von der Gewässer-
grösse ab.
         In einem zweiten Schritt haben wir
analysiert, an welchen Fliessgewässerab-
schnitten ornithologische Defizite beste-
hen. Vereinfacht könnte man sagen, die
grössten Defizite bestehen dort, wo der
Abschnitt-Leitartwert gering ist. Man darf
aber nicht ausser Acht lassen, dass kleine
Fliessgewässer ein geringeres ornitho-
logisches Potenzial haben als Gewässer
mit einer grossen Sohlenbreite; trotzdem
können kleine Fliessgewässer für einige
Vogelarten sehr wichtig sein. In unserer
Analyse haben wir deshalb den Abschnitt-
Leitartwert für die Gewässersohlenbreite
korrigiert (Details zur Methodik in Ritsch-
ard & Weggler 2014).
         Bild 3 illustriert den Abschnitt-
Leitartwert bezogen auf den Kan-
tonsdurchschnitt und korrigiert nach Ge-
wässersohlenbreite. Es werden also nur
Gewässer mit gleicher Sohlenbreite mit-         Bild 3. Ornithologische Bewertung der Fliessgewässerabschnitte im Kanton Zürich,
einander verglichen. Gewässer mit unter-        bezogen auf den Kantonsdurchschnitt und korrigiert nach Gewässersohlenbreite.

«Wasser Energie Luft» – 106. Jahrgang, 2014, Heft 4, CH-5401 Baden                                                                 293
Brutvögel an Fliessgewässern: Situation, Defizite, Förderung
Tabelle 2. Ornithologische Bewertung der Fliessgewässer im Kanton Zürich, beurteilt
                                             anhand des Abschnitt-Leitartwerts (vgl. Text).

                                             trag an den ornithologischen Wert eines          meinschaften, die direkt oder indirekt von
                                             Fliessgewässers leisten Vertikalstruktu-         der Art und Grösse des Gewässers abhän-
                                             ren (Bäume, Büsche, Uferpflanzen) im             gen», beeinträchtigt werden.
                                             Gewässerraum, die zu Beginn der Brut-                    Die Sohle eines Fliessgewässers
                                             zeit teilweise oder vollständig funktional       lässt sich natürlich nicht beliebig in die
                                             zur Verfügung stehen, d.h. nicht gemäht          Breite ziehen, aber das Gewässerbett
                                             sind. Die Diversität von Leitarten ist in flä-   sollte bei Aufwertungsarbeiten so gestal-
                                             chigen Strukturen wie Auenwäldern oder           tet werden, dass sich das Fliessgewässer
                                             Ufergehölzen besonders hoch, aber auch           eine eigene Route suchen kann und sich
                                             quasi lineare Ufersäume oder punktför-           eine natürliche Sohlenbreite einstellt.
                                             mige Altbäume sind wichtig. Die spezia-                  Von zentraler Bedeutung für den
                                             lisierten Arten mit einer engen Bindung an       ornithologischen Wert eines Fliessgewäs-
                                             Fliessgewässer haben meist sehr spezifi-         sers sind die zehn in Tabelle 3 aufgelisteten
                                             sche Ansprüche. Flussuferläufer, Flussre-        Lebensräume und Lebensraumstrukturen.
                                             genpfeifer und Flussseeschwalbe brüten           Bei naturnahen Fliessgewässern entste-
                                             auf störungsfreien Kiesbänken und -in-           hen die meisten dieser Strukturen durch
                                             seln, wobei Letztere beide offene Flächen        dynamische Prozesse wie Erosion, Sedi-
                                             bevorzugen, der Flussuferläufer hingegen         mentation und periodische Überflutun-
                                             Flächen mit lockerer Vegetation. Eisvogel        gen. In der Realität sind die allermeisten
                                             und Uferschwalbe bauen ihre Brutröhren           Fliessgewässer im Kanton Zürich anthro-
                                             in sandige Uferabrisse, ersterer ist für den     pogen beeinflusst und räumlich gelenkt.
                                             Nahrungserwerb zudem auf Sitzwarten              Das primäre Ziel bei Fliessgewässerauf-
                                             tief über der Wasseroberfläche an fischrei-      wertungen sollte deshalb eine Revitalisie-
                                             chen, langsam fliessenden Uferabschnit-          rung sein, d.h. die «Wiederherstellung der
                                             ten angewiesen.                                  natürlichen Funktionen eines verbauten,
                                                     Einige Arten nehmen gerne künstli-       überdeckten oder eingedolten oberirdi-
                                             che Nisthilfen an. Auch Kunstbauten in Ge-       schen Gewässers mit baulichen Massnah-
                                             wässernähe wie Brücken oder Stauwehre            men» (Göggel 2012, BAFU 2012).
Tabelle 1. Leitarten Fliessgewässer Kan-     können hier einen wesentlichen Aufwer-                   Eine vollständige Revitalisierung ist
ton Zürich: Vogelarten, welche im Kanton     tungsbeitrag leisten.                            allerdings nicht überall möglich. Es kann
Zürich statistisch signifikant in der Nähe                                                    dann sinnvoll sein, bestimmte ornitholo-
von Fliessgewässern brüten, und ihre         5.      Ornithologische Aufwertung               gisch wichtige Strukturen künstlich zu er-
Bestandsgrössen (Anzahl Brutpaare im                 von Fliessgewässern                      schaffen und zu unterhalten. Dabei muss
Kanton, Quelle: Zürcher Brutvogelatlas       Vögel und deren Lebensraumansprüche              sorgfältig abgeklärt werden, welche Struk-
2008). Die ökologische Bindung an den        waren bisher bei Aufwertungen von Fliess-        turen im betreffenden Gewässerabschnitt
Lebensraum Fliessgewässer ist je nach        gewässern meist nur am Rand ein Thema.           realisierbar und aus ornithologischer Sicht
Art unterschiedlich eng.                     Dies ist insbesondere deshalb schade,            sinnvoll sind. Dabei sind insbesondere die
                                             weil spezialisierte Vögel gute Indikatoren       Gewässermorphologie und weitere lokale
raumstrukturen zusammengetragen und          für den allgemeinen biologischen Zustand         Begebenheiten (u.a. geologische und geo-
dabei zehn Lebensräume und Strukturen        eines naturnahen Lebensraums sind.               grafische Faktoren) zu berücksichtigen. Es
identifiziert, welche für Fliessgewässer-            Wie unsere Analyse gezeigt hat,          wird kein Gewässer geben, an dem sich
vögel von zentraler Bedeutung sind (Ta-      wird das ornithologische Potenzial eines         alle der in Tabelle 3 aufgelisteten Struktu-
belle 3).                                    Fliessgewässers mit zunehmender Ge-              ren nebeneinander realisieren lassen. Bei
        Die wichtigste Zone ist nicht der    wässersohlenbreite grösser. Dies sollte          vielen Aufwertungsprojekten wird es un-
Fliesskörper selbst, sondern der Wasser-     nicht nur bei Gewässeraufwertungen,              umgänglich sein, Fachleute beizuziehen,
rand und die ans Wasser angrenzenden         sondern auch bei der Diskussion um die           damit die lokalen Begebenheiten im Detail
terrestrischen Lebensräume. Dies unter-      minimale Restwassermenge berücksich-             studiert und massgeschneiderte Mass-
streicht die Wichtigkeit, Gewässerräume      tigt werden. Nach Gewässerschutzgesetz           nahmen definiert werden können. Dabei
auszuscheiden und adäquat zu pflegen         muss die Restwassermenge erhöht wer-             sollen auch Artspezialisten hinzugezogen
(EAWAG 2013). Den wichtigsten Bei-           den, wenn «seltene Lebensräume und -ge-          und nach Möglichkeiten eine vorgängige

294                                                                   «Wasser Energie Luft» – 106. Jahrgang, 2014, Heft 4, CH-5401 Baden
Brutvögel an Fliessgewässern: Situation, Defizite, Förderung
Bild 4. Arbeitshilfe für die ornithologische Aufwertung von Fliessgewässern; Beispielseite aus dem Grundlagenbericht «Grundlagen
zur Förderung von Brutvögeln an Fliessgewässern im Kanton Zürich» (Ritschard & Weggler 2014).

Tabelle 3. Ornithologisch bedeutende Lebensräume und Strukturen an Fliessgewässern und deren Bedeutung für die einzelnen
Leitarten.

Erfassung der vorhandenen Arten durch-        massnahmen, Fördergewässer und ggf.         Zürich für die Mitarbeit in der Projektausarbei-
geführt werden (siehe auch Schmidt &          weitergehende Literatur erläutert sind      tung sowie an Pascal Sieber von der Abteilung
Fivaz 2013).                                  (Bild 4). Die Arbeitshilfen können zusam-   Wasserbau, Amt für Abfall, Wasser, Energie
        Gerade bei anthropogen beein-         men mit dem Bericht heruntergeladen         und Luft (AWEL) Kanton Zürich für die Unter-
trächtigten Gewässern ist die richtige        werden unter www.awel.zh.ch/brutvoegel      stützung. Verschiedene Personen (u.a. Bruno
Pflege der ornithologisch wichtigen Struk-    -> Bauen am und im Gewässer.                Schelbert, Matthias Griesser, Christa Glauser)
turen essenziell. Wir haben für jede der in                                               haben Anschauungsmaterial und wertvolle In-
Tabelle 3 aufgelisteten Strukturen eine       Danksagung                                  puts geliefert. Der Zürcher Brutvogelatlas, auf
doppelseitige Arbeitshilfe zusammenge-        Ein grosser Dank geht an die Kommission     dem viele der in diesem Artikel erwähnten Ana-
stellt, wo Zielarten, Förderziele, Pflege-    Grundlagen & Forschung des ZVS/BirdLife     lysen beruhen, wäre ohne die Mitwirkung meh-

«Wasser Energie Luft» – 106. Jahrgang, 2014, Heft 4, CH-5401 Baden                                                                   295
Brutvögel an Fliessgewässern: Situation, Defizite, Förderung
rerer Hundert Freiwilliger und der Unterstützung     IUCN (2014). The IUCN Red List of Threatened       ten im Jahr 2000 mit Grundlagen zur Neupla-
der Fachstelle Naturschutz Kanton Zürich nicht       Species. Version 2014.2. http://www.iucnred-       nung des «Avimonitorings 2013–2022». Orni-
realisierbar gewesen. Für die Bilder der Leitarten   list.org                                           plan AG, Zürich, im Auftrag der Fachstelle Na-
Fliessgewässer durften wir auf das Fotoarchiv        Ritschard, M., Weggler, M. (2014). Grundlagen      turschutz Kanton Zürich.
des Zürcher Brutvogelatlas zurückgreifen (Foto-      zur Förderung von Brutvögeln an Fliessgewäs-       Stemmler, C. (1925): Eisvogelfang. Ornithologi-
autoren: Patrick Donini, Rita und Alfons Schmid-     sern im Kanton Zürich. Bericht der Orniplan AG     scher Beobachter 23, 78.
lin, Beat Walser und Stefan Wassmer).                im Auftrag von ZVS/BirdLife Zürich und Amt für     Weggler, M., Baumberger, C., Widmer, M.,
                                                     Abfall, Wasser, Energie und Luft (AWEL) Kanton     Schwarzenbach, Y., Bänziger, R. (2009): Brut-
Literatur                                            Zürich. Herunterzuladen unter www.awel.zh.ch/      vogelbestände im Kanton Zürich 2008 und Ver-
BAFU (2012): Merkblatt-Sammlung Wasserbau            brutvoegel -> Bauen am und im Gewässer.            änderungen seit 1988. Bericht mit 2 Separates.
und Ökologie. Erkenntnisse aus dem Projekt In-       Schmidt, B., Fivaz, F. (2013): Fliessgewässer-     Herausgeber: ZVS/BirdLife Zürich.
tegrales Flussgebietsmanagement. Bundesamt           Abschnitte mit hoher Artenvielfalt oder national
für Umwelt BAFU, Bern.                               prioritären Arten. Grundlagendaten für die Pla-
EAWAG (2013): Faktenblatt Gewässerraum.              nung von Revitalisierungen. Bericht des Cen-
Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereichs            tre Suisse de Cartographie de la Faune CSCF
EAWAG, Dübendorf.                                    und der Koordinationsstelle für Amphibien- und
Göggel, W. (2012): Revitalisierung Fliessge-         Reptilienschutz KARCH z. Hd. des Bundesamts        Anschrift der Verfasser
wässer. Strategische Planung. Ein Modul der          für Umwelt, BAFU.                                  Dr. Mathias Ritschard, Dr. Martin Weggler, Or-
Vollzugshilfe Renaturierung der Gewässer.            Schwarzenbach, Y. (2012): Artwert Vögel Kan-       niplan AG, Wiedingstrasse 78, CH-8045 Zürich,
Bundesamt für Umwelt, Bern. Umwelt-Vollzug           ton Zürich. Neuberechnung 2012 und Analyse         mathias.ritschard@orniplan.ch
Nr. 1208.                                            der wichtigsten Veränderungen zu den Artwer-       martin.weggler@orniplan.ch.

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                                                                                                        12. März 2015

                                                                                                                     Foto: MMi

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