Burnout: Symptom einer Energiekrise für System und Individum?
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9/24/2011 Burnout: Symptom einer Energiekrise für System und Individum? Beate Schulze Universität Leipzig, Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health & Universität Zürich, Fachzentrum für Katastrophen‐ und Wehrpsychiatrie 5. Wieslocher Therapietage Individuum, Symptom und System – wie sich unterschiedliche Sichtweisen herausfordern und ergänzen Wiesloch, 24. September 2011 Ein heisses Thema… © B. Schulze 2011 1
9/24/2011 Burnout heute © B. Schulze 2011 Die Top Ten der grössten Stressfaktoren am Arbeitsplatz Nummer 10: Das Hamsterrad‐Syndrom: Immer zu viel zu tun zu haben Nummer 9: Unvorhersehbare Unterbrechungen Nummer 8: Ambiguität: Mitarbeiter sind nicht sicher, was um sie herum vorgeht Nummer 7: Misstrauen und Konkurrenz Nummer 6: Das Mission Statement steht im Konflikt mit der täglichen Realität Nummer 5: Wertlose Leistungsbeurteilungen Nummer 4: Fehlendes direktes und persönliches Feedback Nummer 3: E‐Mail‐Flut Nummer 2: Fehlender Handlungsspielraum Nummer 1: Zurückbehalten von relevanten Informationen Global Business and Economic Roundtable on Mental Health in the Workplace, 2008 www.mentalhealthroundtable.ca © B. Schulze 2011 2
9/24/2011 Balance? • Anforderungen • Erwartungen • Ressourcen • (wahrgenommene) Möglichkeiten © B. Schulze 2011 Interaktion System ‐ Individuum System Struktur Handeln Individuum © B. Schulze 2011 3
9/24/2011 Structuration Theory (Anthony Giddens 1984) Strukturen und das Handeln einzelner Akteurer stehen im ständigen Wechselspiel. Strukturen sind Voraussetzung für das Handeln Einzelner: Sie begrenzen individuelle Handlungsmöglichkeiten und stellen gleichzeitig Handlungsressourcen zur Verfügung. Andererseits entstehen Strukturen durch eben dieses soziale Handeln von Personen und Gruppen. S i werden Somit d SStrukturen k d durch hddas H Handeln d l einzelner i l Akteure reproduziert. (Anthony Giddens 1984, The Constitution of Society) © B. Schulze 2011 System: Gesellschaftlicher Paradigmenwechsel Die neue Arbeitswelt: 5 Trends 1) Kontinuierlicher Veränderungsdruck 2) Verlust vertrauter Bindungen 3) Wandel der Anerkennungsbeziehungen 4) Neues Leitbild der Arbeitnehmers 5) Aufwertung der Arbeit nach Sanz 2008 © B. Schulze 2011 4
9/24/2011 1) Kontinuierlicher Veränderungsdruck Ständige Reorganisation zum Zweck der Effizienssteigerung (Neu‐)Übernahmen, Ü Umverteilungen, Fusionen, Auslagerung oder Aufhebung von Abteilungen & Arbeitseinheiten Transformation von Organisationen in Märkte: Verschwimmende Grenzen zwischen Wettbewerb & Kooperation „Das Prinzip der Dauer ist obsolet geworden. Stabilität kommt abhanden, ‚Kurzfristdenken‘ setzt sich durch.“ Andrea Sanz 2008; S. 89 © B. Schulze 2011 2) Verlust vertrauter Bindungen Multiple Zugehörigkeiten: Jede/r ist an mehreren Projekt‐und Arbeitskontexten beteiligt und nimmt unterschiedliche Rollen & Funktionen, Aufträge & Aufgaben wahr. Steigende Verantwortlichkeiten des Einzelnen. Gruppen‐und Firmenzugehörigkeit kann immer weniger identitätsstiftend genutzt werden. Gleichzeitig: Identitätsbildung ist heute eng mit dem Arbeits‐ kontext verzahnt. Soziales Prestige ist essential auf Arbeit begründet. begründet Abschied von einer „Hauptzugehörigkeit“. Verlust von Beiträgen, die der gegenseitigen Anerkennung dienlich wären. nach Sanz 2008 5
9/24/2011 3) Wandel der Anerkennungsbeziehungen Bisher: Prinzip der Reziprozität: Geben & Nehmen Heute: A. = eine „...Form der marktlichen Honorierung“ (Holtgrewe 2000) Wird am Erfolg bemessen Erfolg kann eintreten oder auch nicht Ist nur begrenzt durch die eigene Verausgabung beeinflussbar Fokus der Bewertung verlagert auf Output & Zukunft Bewertung erfolgt durch Kunden, Arbeitnehmende, Sparring Partner und Aktionäre Anerkennung wird zunehmend fremdbestimmt. nach Sanz 2008 © B. Schulze 2011 4) Neues Leitbild der Arbeitnehmers „Autonomous Man“1) / „Unternehmerische Persönlichkeit“2) „Arbeitskraftunternehmer“3) nicht mehr legitim & zeitgemäss, das Funktionieren des Arbeitsprozeses als von der Person losgelöst zu betrachten Persönliche Zielsetzungen und Sinnzuschreibungen rücken in den Vordergrund & legen subjektive Potenziale, Engagement und Begeisterung frei: Subjekt & Subjektivität als Erfolgsfaktor Neue Widersprüche (Partikularinteressen vs. Systeminteressen; Wettbewerb vs. Kooperation) werden zunehmend an die Subjekte delegiert Neue Möglichkeiten = höchstambivalent. Freiheit & Risko brauchen Sicherheit – im sozialen Umfeld und über die eigenen Fähigkeiten nach Sanz 2008; 1 )Moldaschl 2003, 2) Sanz 2008; 3) Voss & Pongratz 1989; © B. Schulze 2011 6
9/24/2011 5) Aufwertung der Arbeit in einer quasiunternehmerischen Gesellschaft Leistungsgesellschaft: Fortschritt ist systemimmanent; kein Innehalten/Pausenkultur wird brüchig. Das Besondere, Aussergewöhnliche wird zur Normalität. Erfolg & immer bessere Resultate rücken in den Blickwinkel des Vorgesetzten. Individuen sind zu Höchstleistungen bereit & müssen sich gleichzeitig selbst Grenzen setzen. Knappheitsverhältnis von Arbeit auf dem Arbeitsmarkt: Arbeit wird zum wertvollen Gut. A Arbeit b i per se wird i d nicht i h (mehr) ( h ) belohnt, b l h sondern d wird i d nahezu h selbst zur Belohnung. Subjektivierung + Knappheit = Gefahr der (Selbst‐)Überforderung nach Sanz 2008 © B. Schulze 2011 Individuum: Zunehmende psychische Belastungen Zunehmende Konflikte zwischen fachlichem und unternehmerischem Gewissen, z.B. Reduktion persönlicher Zuwendung aus Budgetgründen im Gesundheitswesen; zu frühe Freigabe von Software aus Kostengründen im IT‐Bereich Innere Zerrissenheit: Konflikte mit sich selbst statt mit anderen, z.B. Überstunden, Krankenstand, Mehrarbeit ‐> ja oder nein? Schulderleben am zunehmenden Leistungsdruck, z.B. durch Akzeptieren bzw. Festlegen (zu) hoher Ziele in der jährlichen Zielvereinbarung Gruppendruck: Zielfestlegung nicht nur auf Mitarbeiterebene, sondern auch für Teams und Abteilungen: Interesse daran, dass sich Kolleginnen und Kollegen stark engagieren ‐>> gegenseitige Kontrolle ‐>> Ausgrenzung von „Schwachen“ Vereinzelung und Kommunikationsstörungen: Gefühl von Vereinzelung und individuellem Versagen, besonders in leistungsorientierten Betrieben; Nur Erfolgsgeschichten zählen ‐> Tabuisierung von psychischen Belastungen Krause, Peters & Dorsemagen 2009 7
9/24/2011 Burnout als attraktives Konzept Immer höher, schneller, weiter… Immer den Pendenzen hinterher… Immer verfügbar… Ständig neue Veränderungen Wo bleibe ich? © B. Schulze 2011 Burnout‐Epidemie? © B. Schulze 2011 8
9/24/2011 Burnout: Definition nach Maslach et al. 2001 3 Kernsymptome: Erschöpfung Ich kann nicht mehr. individuelle Stressreaktion Distanzierung und Zynismus Was soll das alles? arbeitsbezogene Reaktion Berufliche Ineffektivität Bring ich‘s noch? Selbsteinschätzung Maslach, C., Schaufeli, W. et al. 2001, Job Burnout. Annual Review of Psychology 52: 397-422 © B. Schulze 2011 Erschöpfung © The Complete Cartoons of the New Yorker – 1925-2004 9
9/24/2011 Häufigkeit/Dauer als Kriterium Maslach Burnout Inventory (MBI) © B. Schulze 2011 Evidenz für eine Burnout‐Epidemie? Steigendes Stressniveau am Arbeitsplatz Die Produktivität pro Arbeitsstunde in der Schweiz hat seit den 1960er Jahren um 255% zugenommen. Jeder Zweite deutsche Arbeitnehmer gibt an, dass seine Arbeit durch hohen 45 Stress geprägt ist; jeder Siebte 40 hat Angst, seinen Arbeitsplatz zu verlieren; jeder Neunte hat Konflikte mit 35 Arbeitskollegen. 30 25 Gegenüber g dem Jahr 2000 fühlten sich häufig gestresst 2007 fast doppelt so viele Mitarbeiter 20 in der Schweiz am Arbeitplatz „häufig 15 gestresst“. 10 Je höher die Arbeitsbelastung, desto 5 grösser das Risiko, an Depressionen 0 2000 2007 zu erkranken. © B. Schulze 2011 10
9/24/2011 Evidenz für eine Burnout‐Epidemie? AOK Fehlzeiten‐Report 2010 © B. Schulze 2011 Wirtschaftliche Kosten psychischer Belastungen am Arbeitsplatz (GB 2007) Quelle: The Sainsbury Centre for Mental Health, 2007 Krankheitstage Produktivitäts- Einbussen am Arbeitsplatz Personalfluktuation Insgesamt 26 Mrd. GBP/Jahr; d.h. 1035 GBP pro Arbeitnehmer Umgerechnet auf die deutsche Erwerbsbevölkerung wären das 48 Mrd. EUR/Jahr oder 1188 EUR pro Arbeitnehmer © B. Schulze 2011 11
9/24/2011 Individuelle Beiträge zur Systemdynamik ‐ 1 Freiwillige Selbstausbeutung Globalisierung: evolutionärer Vorteil für besonders engagierte, verausgabungsbereite Mitarbeitende (Moosbrugger 2008) Früher: überhöhtes Engagement war leicht zu identifizieren und damit als Störung im System sozial diskreditierbar Heute: neue Verhältnisse bieten besonders leistungsorientierten Mitarbeitenden neue Möglichkeiten, ihre Verausgabungsbereitschaft quasi auszuleben Zusammenspiel zwischen dem Handeln sozialer Akteure und strukturellen Mechanismen: Hohe Leistungserwartungen werden letztlich von den Erwerbstätigen selbst angetrieben und aufrechterhalten. Es entsteht eine nicht näher hinterfragte Struktur. Diese wird wiederum von den Akteuren für die hohen Leistungs‐ anforderungen verantwortlich gemacht wird. © B. Schulze 2011 Dynamik der freiwilligen Selbstausbeutung beschleunigte Individuelle Wachstumsdynamik der Einsatzmaximierung & globalen Wirtschaft Leistungssteigerung Hohe soziale Erwünschtheit Es entsteht eine nicht näher hinterfragte Struktur, Hohe Leistungserwartungen die wiederum von den werden von Erwerbstätigen Akteuren für den hohen Selektionsrelevanz für selbst angetrieben und Leistungsdruck verant‐ Karrierreentscheidungen aufrechterhalten. wortlich l h gemachth wird.d Beobachtungskonstellation: sequenzielle Handlungsabstimmung nach Moosbrugger 2008 © B. Schulze 2011 12
9/24/2011 Individuelle Beiträge zur Systemdynamik ‐ 2 Interessierte Selbstgefährdung = ein Verhalten, bei man sich selbst dabei zusieht, wie das eigene Arbeitshandeln die eigene Gesundheit gefährdet und man dies auch dann nicht ändern kann, kann wenn man das möchte. möchte (Krause et al.al 2009) Typische Verhaltensweisen: Krank zur Arbeit kommen Auf Erholungspausen verzichten Am Wochenende oder im Urlaub arbeiten Länger als 10 Stunden pro Tag arbeiten b In einem hohen Ausmass unbezahlte Überstunden leisten Ursachen: „...durch die Ergebnisorientierung neuer produktivitätssteigernder Managementformen und Steuerungskonzepte ausgelöste Dynamik.“ (S.95) © B. Schulze 2011 Burnout zwischen Individum & System BURNOUT Betroffene Individuen werden Mensch, der ausbrennt als als „schwächlich“ stigmatisiert. sensibles Barometer der gesell‐ schaftlichen und organisationalen Mechanismus, eigene Anteile der Bedingungen. Überforderung auszulagern, indem wir das Auftreten verminderter Burnout‐Betroffene sind diejenigen, Leistungsfähigkeit bei anderen die „... ‚gesund‘ auf ‚kranke‘ bedauern. Verhältnisse reagieren.“1) Burnout als mangelnde Burnout als adäquate Belastbarkeit & Reaktion auf das individuelles Scheitern gesellschaftliche Umfeld nach Sanz 2008; 1)Rösing 2003 © B. Schulze 2011 13
9/24/2011 Burnout als arbeitsbedingter Energieverlust 3 Ebenen: Körperliche Mattigkeit = Verlust körperlicher p Energie. g äussert sich in Gefühlen von Abgespanntsein und Müdigkeit eingeschränkte Fähigkeit zur Erholung nach Anstrengungen Kognitive Ermüdung = Abbau mentaler Energie. zeigt sich durch nachlassende Auffassungsgabe und Konzentrationsfähigkeit. das Denken ist verlangsamt und es fällt schwer, Entscheidungen zu treffen. Emotionale Erschöpfung = Gefühl, emotional ausgelaugt zu sein/nicht mehr mitfühlen zu können. Rückzug und Annehmen einer distanzierten, gleichgültigen Haltung gegenüber anderen als Schutz vor weiteren Belastungen Shirom-Melamed-Burnout-Measure; Shirom et al. 2003 © B. Schulze 2011 Conservation of Resources Model (Hobfall 1989) Menschen streben danach, Ressourcen zu erwerben, aufzubauen und zu schützen: Materielle Ressourcen (z.B. ein Zuhause, Kleidung, Essen) Persönliche P ö li h Ressourcen R ( B SSelbstwertgefühl, (z.B. lb t t fühl KKohärenzsinn) hä i ) Soziale Ressourcen (z.B. Partnerschaft, soziale Unterstützung) Energieressourcen (z.B. Zeit, Geld, Wissen) Stress entsteht bei Ressourcenverlust, wenn Ressourcenverlust droht wenn Menschen Ressourcen nach erheblichen Investitionen nicht wieder ieder auffüllen. a ffüllen Burnout = Ergebnis des kontinuierlichen Aufbrauchens der Energie‐ und Bewältigungsressourcen einer Person infolge chronischer Stressbelastungen am Arbeitsplatz; Schweregrad = Ausmass des arbeitsbedingten Energieverlusts © B. Schulze 2011 14
9/24/2011 Conservation of Resources Model (Hobfall 1989) 2 Prinzipien: Die Überlegenheit von Ressourcenverlusten: Ressourcenverluste haben disproportional stärkere Auswirkungen als Ressourcengewinne Investition von Ressourcen: Menschen müssen Ressourcen investieren, um sich vor R Ressourcenverlusten l t zu schützen, hüt sich i h von Verlusten V l t zu erholen und um Ressourcen aufzubauen © B. Schulze 2011 Energiekrise: Was heisst das? Energiekrise: Bedarf > Ressourcen Energiemangel Nachfrage > Angebot Versorgungslücken © B. Schulze 2011 15
9/24/2011 „The Limits to Growth“ Report to the Club of Rome (1972) Anlass: Schlussfolgerungen: Untersuchung der Folgen von 1) Wenn gegenwärtige Wachstumstrends sich ungebremst b t ffortsetzen, t t werden d die di Grenzen G des d 5 globalen Trends: Wachstums auf diesem Planeten irgendwann in Beschleunigte Industrialisierung den nächsten 100 Jahren erreicht sein. Wahrscheinlichstes Ergebnis dieser Entwicklung Rasches Bevölkerungswachstum wird ein eher plötzlicher und unkontrollierbarer Rückgang sowohl in der Bevölkerungs‐ als auch Verbreitete Unterernährung der Wirtschaftskapazität sein. 2) Es ist möglich, diese Wachstumstrends zu Abbau nicht erneuerbarer Ressourcen verändern und einen Zustand ökologischer und ökonomischer Stabilität, eines globalen Fortschreitende Umweltzerstörung Gleichgewichts, zu erreichen, der lange in die Zukunft hinein nachhaltig sein wird. Beginn der Nachhaltigkeitsdebatte © B. Schulze 2011 Brundtland‐Report: „Our common future“ ‐ 1987 Herausgeben von der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung unter Vorsitz der damaligen norwegische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland entwickelte erstmals Leitbild für nachhaltige Entwicklung, d.h. • „… eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen.“ • „Die Weltwirtschaft muss zwar die Bedürfnisse und legitimen Wünsche der Menschen befriedigen. Das Weltwirtschafts‐ wachstum darf aber die ökologischen Grenzen der Erde nicht sprengen.“ • „Die Menschen müssen viele ihrer Tätigkeiten und Lebensweisen ändern, wenn die Welt nicht vor unannehmbare menschliche Leiden und Umweltschäden gestellt werden soll.“ © B. Schulze 2011 16
9/24/2011 Energiedebatte: Ziele Energieversorgung Arbeitswelt Nachhaltigkeitsdebatte Outsourcing/Downsizing Grenzen des Wachstums Wachstum steigern dank Energie sparen leistungsfähigerer/‐ Neue Energieressourcen bereiterer Arbeitskräfte erschliessen „Success under pressure“ Ressourcen schonen Ergebnis steigern © B. Schulze 2011 Energie „sparen“ / Energieeffizienz Energie sparen: Angebot Nachfrage Energieeffizienz: gewünschten Nutzen mit möglichst wenig Energieeinsatz erreichen mit weniger Verbrauch das gleiche oder ein besseres Ergebnis erreichen minimaler Verbrauch 17
9/24/2011 Energieeffizienz in der Arbeitswelt Frederik W. Taylor (1856‐1915): Scientific Management/ „Taylorism“ Time and motion studies: „The Science of Shovelling“ Jede J d Arbeit A b it wird i d in i ihre ih Einzelschritte Ei l h itt zerlegt l t und d einzeln auf die Hundertstelminute genau gemessen. z.B. Benutzung von Schaufeln oder Arbeit an der Drehbank Genaues Studium der Bewegungsabläufe ‐> unnötige Bewegungen werden „wegrationalisiert wegrationalisiert“ Effektivste „Schaufelladung“ beträgt 21 ½ Pfund ‐> Entwicklung von Spezialschaufeln für verschiedene Materialien, die genau diese Menge Material fassen Vorläufer der Fliessbandarbeit Schneller, höher, weiter... Zeitvielfalt: Beschleunigung durch Zeitverdichtung Zahlen & Fakten*: Das Weltwissen hat sich innerhalb der letzten let ten 4 Jahre verdreissigfacht. verdreissigfacht In der Finanzindustrie entscheiden Sekundenbruchteile über Gewinn oder Verlust. Die Telefonkonferenzen von CEOs finden im Viertelstunden‐Takt statt. Die 100 Mails pro Tag tragen sie in den Randstunden ab. Der Lokführer kämpft auf der Strecke Bern‐Zürich um Sekunden. Die Pflegefachfrau g muss sich bei der Blutentnahme mitunter minuten‐ genau ans Zeitbudget halten. Die Produktivität pro Arbeitsstunde ist in der Schweiz seit den 1960er Jahren um 255% gestiegen. *Quelle: nonstop. Ein Lese- und Hörbuch über die Geschwindigkeit des Lebens www.stapferhaus.ch; 2009 18
9/24/2011 Energieverluste – Wodurch? Reibung Abwärme Energieumwandlung Transport/Leitungsverluste Abfallprodukte/Verschmutzung © B. Schulze 2011 Das Job‐ Demand‐Control‐Support Modell (JDC‐S) (Karasek & Theorell, 1990) niedrig Anforderungen hoch hoch Soziale Unterstützung um Entscheidungsspielrau hoch Niedriger Stress Aktiv Weniger Stress Passiv Stress Hoher Stress niedrig niedrig Hohe Stressbelastung = Positiver Stress = hohe Anforderungen hohe Anforderungen + geringer Entscheidungsspielraum + grosser Entscheidungsspielraum + fehlende soziale Unterstützung + soziale Unterstützung © B. Schulze 2011 19
9/24/2011 Effort‐Reward‐Imbalance Model (ERI) (Siegrist, 1996) - Lohn, Gehalt - Anerkennung - Karrieremobilität + Arbeitsplatzsicherheit Anforderungen / Verpflichtungen Belohnung Aufwand Motivation (“Überengagement”) Motivation (“Überengagement”) Ungleichgewicht bleibt erhalten wenn es keine Handlungsalternativen gibt wenn es aus strategischen Gründen akzeptiert wird wenn bestimmte Motivationsmuster gegeben sind (“Überengagement”) © B. Schulze 2011 Stressfaktoren * von 261 psychiatrischen Fachpersonen Ergebnisse Zürcher Empowerment Programm organisatorische Hindernisse 23.7 psychische Faktoren 18.3 Stress durch Arbeit mit Patienten 17.6 Stress durch Arbeit im Team 15.9 hohe quantitative Anforderungen 12.3 Gesellschaftliche Rahmen- 12.2 bedingungen 0 10 20 30 40 50 % (% der Nennungen; n Nennungen = 2289) © B. Schulze 2011 20
9/24/2011 Stress as Offence To Self (SOS) Stress through Stress As INsuffiency (SIN) Disrespect (SAD) Failure / wrongdoing „Illegitimate“ behaviour/ tasks: unfair, disrespectful Respect / Recognition / Justice / Fairness Self-Esteem (Semmer, N.K. & Jacobshagen, N. (2006) Illegitimate task assignments as a source of stress, Uni Bern, under revision) © B. Schulze 2011 Gerechtigkeit / Fairness Verteilungsgerechtigkeit (distributiv) • Bekomme ich was ich verdient habe? Verfahrensgerechtigkeit (prozedural) • Sind die Regeln und Prozeduren fair? • Werden sie gerecht und objektiv umgesetzt? Interaktionsgerechtigkeit (interaktional) • Kann ich meine Meinung äussern? • Wird mir zugehört? • Werden meine Belange ernst genommen? © B. Schulze 2011 21
9/24/2011 Engagement oder Burnout? 6 Strategische Bereiche: Arbeitsbelastung Handlungsspielraum Anerkennung Gemeinschaftsgefühl Gerechtigkeit Werte (Leiter & Maslach, 2005) © B. Schulze 2011 Mentale Energie im Experiment Schoko‐Kekse oder Radieschen? Sich dafür entscheiden, Radieschen zu essen statt f i h gebackene frisch b k S h k l d k k Schokoladenkekse (Impulskontrolle) Anschliessend Aufgabe, eine geometrische Figur nachzuzeichnen, ohne eine Linie doppelt zu ziehen oder den Stift ein einziges Mal vom Blatt zu heben Messung der Zeit, die die Teilnehmer bei der Aufgabe verharren und der Anzahl der vor dem Aufgeben unternommenen Lösungsversuche Baumeister, Bratslavsky, Muraven & Tice, 1998 © B. Schulze 2011 22
9/24/2011 Ergebnisse Die Teilnehmer, die mit Schokokeksen vor Augen statt dessen Radieschen essen sollten schnitten schlechter ab: sie gaben schneller auf (nach 8 statt 19 Minuten) und unternahmen deutlich weniger Lösungsversuche (19 statt 34) Leistungsabfall nicht bedingt dadurch, die Kekse nicht gegessen zu haben, h b sondern d dadurch sie essen zu wollen und sich für Radieschen entscheiden zu müssen. Baumeister, Bratslavsky, Muraven & Tice, 1998 © B. Schulze 2011 Was heisst das? – „Ego Depletion“ Nach einem vorgängigen Willensakt (z.B. einer Versuchung widerstehen, eine Entscheidungen zu treffen) sind weniger g verfügbar. Ressourcen für weitere Handlungen g ‐> „Verbrauch“ von Ich‐Stärke; Ressourcenknappheit Ressourcenerschöpfung beeinträchtigt die nachfolgende Entscheidungsfindung: Zunahme passiver Handlungen. Verschiedenste Handlungen nutzen die gleiche, begrenzte Ressource Unterstützung für das Energie‐Modell: Willensakte, Handlung und Kontrolle verbrauchen Ressourcen und Energie Baumeister, Bratslavsky, Muraven & Tice, 1998 © B. Schulze 2011 23
9/24/2011 Erneuerbare Energie mentale? © B. Schulze 2011 Ist mentale Energie erneuerbar? Erneuerbare Energien: sind aus nachhaltigen Quellen sich erneuernde Energien und bleiben kontinuierlich verfügbar Mentale Energie / Ich‐Stärke: ist empfindlich für langfristigen Abbau durch wiederholte Anstrengung ‐ wie ein Muskel, der ermüdet aber: Selbstkontrolle kann wie ein Muskel trainiert werden: wer sich bewusst steuert/regelmässig entscheidet steigert die Willenskraft; Ressourcengewinn ist übertragbar von einer Handlung (z.B. Sport treiben, Geld sparen) auf andere Aufgaben (z.B. für eine Prüfung lernen, lernen Haushaltstätigkeiten) ‐> Ressourcenaufbau Das Selbst kann lernen, Willensressourcen zu bewahren ‐> sparsamer Umgang, wenn weitere Aufgaben anstehen; z.B. Gelassenheit in Situationen, die man nicht ändern kann, bei Zielverhinderung Zielbindung aufgeben ‐> Ressourcenschonung Baumeister et al. 2007 24
9/24/2011 Abbau mentaler Energie: Was können wir dagegen tun? Humor und Lachen Andere positive Gefühle (Finanzielle) (Fi i ll ) Anreize; A i Anerkennung A k Genaue Handlungsanweisungen (wenn… dann Pläne) Soziale Ziele (anderen helfen; ein guter Partner sein) Bringen uns dazu, auch unter Anstrengung mehr Ressourcen einzusetzen ‐> keine Auffrischung verbrauchter Ressourcen Sparsamer p Umgang g g mit mentaler Energie; g ; Planungg Ressourcenaufbau durch Training Glukosezufuhr im Blutkreislauf: korrigiert Ressourcenverlust durch Energiezufuhr/ Ersetzen verbrauchter Energie ‐> Ressourcenschonung; Ressourcenaufbau; Energiezufuhr Baumeister et al. 2007 © B. Schulze 2011 Damit es nicht zu Burnout kommt… 25
9/24/2011 Was tun? Möglichkeiten Ursachen & Prävention / aufrechterhaltende I t Inter- Bedingungen vention Person Arbeit Person Arbeit Familie Gesellschaft Familie Gesellschaft Burnout Arbeitsengagement nach Geyerhofer 2009 © B. Schulze 2011 System: Betriebliches Gesundheitsmanagement: neue Antworten gefordert Innovative Lösungswege Das obere Management setzt sich mit den Schattenseiten der produktivitätssteigernden Steuerungsformen auseinander und gibt Rückendeckung für innovative BGM‐Massnahmen. Über Qualifizierungsmassnahmen Mitarbeitenden und Führungs‐ kräfte in die Läge versetzen, die Veränderungen im Unternehmen zu begreifen und bei unerwünschten Nebenwirkungen gemeinsam gegenzusteuern. Unternehmerische Stolpersteine bei Zielerreichung sowie „Übercontrolling“ beseitigen. Zuverlässige Frühwarnsysteme aufbauen und geschützte Kommunikationsräume bieten. Gesundheit im Steuerungssystem berücksichtigen, d.h. im Kennzahlen‐ system reflektieren (z.B. Work‐Life‐Balance als Leistungskriterium; Möglichkeit einer wiederkehrenden Verständigung über Zielerreichung). nach Krause et al. 2009 © B. Schulze 2011 26
9/24/2011 Individum: Work‐Life‐Balance Leistungswelt Gegenwelt ergebnisorientiert prozessorientiert fremdbestimmt selbstbestimmt (zweck-)rational lust-, emotionsbetont Zeitvorgabe Musse Verpflichtung Freiwilligkeit häufig “kopflastig” sinnes-, körperbetont komplexe Tätigkeiten einfache Tätigkeiten Wettbewerb Geselligkeit, Intimität © B. Schulze 2011 Energieerhaltungssatz „Die Gesamtenergie in einem abgeschlossenen System bleibt konstant.“ • d.h. • die Gesamtenergie eines abgeschlossenen Systems ändert sich nicht mit der Zeit. • • Zwar kann Energie zwischen verschiedenen Energieformen umgewandelt werden, beispielsweise von Bewegungsenergie in Wärme. • Es ist jedoch nicht möglich, innerhalb eines abgeschlossenen Systems Energie zu erzeugen oder zu vernichten: Die Energie ist eine Erhaltungsgrösse. • Energie kann nicht aus dem Nichts entstehen und nicht in dieses verschwinden. Julius Robert von Mayer 1842; Hermann von Helmholtz 1847 © B. Schulze 2011 27
9/24/2011 Erholung und Trainingseffekt Nach dem Trainung: Körper versucht, Energie- speicher schnellstmöglich wieder i d aufzufüllen. f füll Als optimale Vorbereitung auf nächstes Training: Steigerung der Leistungsfähigkeit über das Ausgangsniveau hinaus -> Superkompensation, d.h. nach einer gewissen Erholungszeit ist man etwas leistungsfähiger. leistungsfähiger Setzt man nach der Erholung einen neuen Trainingsreiz, baut man langfristig seine Aus: Rudin, Care 2/2010 Leistungsfähigkeit aus. © B. Schulze 2011 Zeitmanagement: Ansätze Effizienz vs vs. Effektivität = die vorgegebene Aufgabe = die richtige Aufgabe richtig lösen lösen „für Anfänger“ „für Fortgeschrittene“ Stress Stress © B. Schulze 2011 28
9/24/2011 Selbstwirksamkeit „Egal ob Du denkst Du kannst es oder Du kannst es nicht – Du behältst meistens recht recht.“ Henry Ford © B. Schulze 2011 Quellen der Selbstwirksamkeit 1) Erfolgserlebnisse, z.B. positive Erfahrungen in der Vergangenheit 2) Erlebnisse durch Beobachtung, z.B.: Wie löst jemand, Bedeutung den man bewundert, schwierige Situationen? 3) Überzeugung durch andere, z.B. durch hilfreiches Feedback, Mentoring oder Unterstützung 4) Unser Körper und unsere Gefühle 58 © B. Schulze 2011 29
9/24/2011 Vertrauen und Gelassenheit Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden. Reinhold Niebuhr 1926 © B. Schulze 2011 Was schützt vor Burnout? Studie bei Norwegischen Ärzten 1) Unterstützung U t tüt von K Kollegen ll und dVVorgesetzten tt 2) Gestaltungsfreiraum und Kontrolle bei der Arbeit 3) Kinder zu haben Höheres Stressniveau aufgrund Doppelbelastung Beruf‐ privat, aber signifikant niedrigere Burnout‐Raten als bei privat KollegInnen ohne Kinder Protektive Wirkung steigt mit Anzahl der Kinder Røvik et al. 2007 © B. Schulze 2011 30
9/24/2011 Mike Horn: 2006 Polar Night Expedition What made you pull it through? „Looking at my skis with pictures my daughters Annika and Jessica drew...“ http://www mikehornnorthpole com/ http://www.mikehornnorthpole.com/ © B. Schulze 2011 Energieeffizienz: psychologisch betrachtet Energiebezogenes Verhalten ist ein klassisches „Nebenfolgeproblem“*: • Wir wollen die Energiedienstleitung, nicht den Energieverbrauch. • Wir wollen Leistung, Erfolg und Spass, nicht die Erschöpfung. • Burnout = „nicht beabsichtigte Nebenfolge“ Gute Absicht heisst noch nicht grosse Wirkung: • Intention zum Sparen Umweltsignifikantes Verhalten • Streben nach Work‐Life‐Balance Verhaltensänderung • Zum Handeln brauchen wir Anreize, Anreize Ressourcen, Ressourcen und handlungsförderliche Rahmenbedingungen. *Dr. Klaus Wortmann, Ringvorlesung Energie ETH Zürich am 25.09.08 © B. Schulze 2011 31
9/24/2011 Kleines 1x1 gegen Burnout Regelmässig für Erholung sorgen: Pausen, Bewegung, Entspannung Im „Prioritätendschungel“ konsequent eigene Prioritäten setzen, vertreten und leben: Effektivität statt Effizienz Bewusst Ausgleich suchen: Arbeitsbelastungen gezielt kompensieren, z.B. Kopf‐ vs. Handarbeit; Stabilität im Privaten bei berufl. Veränderungen Soziale Kontakte pflegen: praktische und emotionale Unterstützung; sich aufgehoben fühlen. Abschalten um abzuschalten: Handy‐ und E‐Mail‐freie Zeiten für persönliche „Quality Time“ Konzentration aufs Wesentliche: Eigenen Einfluss nutzen, sonst Gelassenheit & Vertrauen; die kleinen Dinge geniessen, die Sinne nutzen, um Sinn zu stiften © B. Schulze 2011 Alltagstransfer »Es gibt nichts Gutes / außer: Man tut es.« - Erich Kästner » Auch die längste Reise beginnt mit dem ersten Anheben des Fusses. « Laotse, 6. Jh. V. Chr. © B. Schulze 2011 32
9/24/2011 Fazit „Some of the (current) policies threaten the very survival of the human race. They can be changed. But we must act now." * „The time has come for a marriage of economy and ecology.“* (*„Our common future“ – Brundtland Report 1987) Arbeitswelt heute: Has the time come for a marriage of economy and psychology? Do we need a new energy debate in the face of economic crisis? © B. Schulze 2011 33
9/24/2011 Herzlichen Dank! beate.schulze@bli.uzh.ch www.burnoutexperts.ch © B. Schulze 2011 34
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