Case Scaglione Steven Isserlis - NDR
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Case Scaglione & Steven Isserlis Donnerstag, 30.09.21 — 19.30 Uhr Musik- und Kongresshalle Lübeck Sonntag, 03.10.21 — 18 Uhr Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal
CASE SCAGLIONE Dirigent STEVEN ISSERLIS Violoncello NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTER Einführungsveranstaltungen mit Julius Heile am 30.09. um 18.30 Uhr auf der „Galerie Wasserseite“ der Musik- und Kongresshalle; am 03.10. um 17 Uhr im Großen Saal der Elbphilharmonie Das Konzert wird am 05.11.21 um 20 Uhr auf NDR Kultur gesendet.
R I C H A R D WAG N E R (1 81 3 – 1 8 8 3) Vorspiel zum 1. Aufzug der Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ Entstehung: 1862 | Uraufführung: Leipzig, 11. November 1862 | Dauer: ca. 7 Min. R O B E R T S C H U M A N N (1 810 – 1 8 5 6) Konzert für Violoncello und Orchester a-Moll op. 129 Entstehung: 1850 | Uraufführung: Oldenburg, 23. April 1860 / Dauer: ca. 25 Min I. Nicht zu schnell – II. Langsam – III. Sehr lebhaft Pause ANTONÍN DVOŘÁK (1 8 41 – 19 0 4) Sinfonie Nr. 7 d-Moll op. 70 Entstehung: 1884–85 | Uraufführung: London, 22. April 1885 | Dauer: ca. 37 Min. I. Allegro maestoso II. Poco adagio III. Scherzo. Vivace – Poco meno mosso IV. Finale. Allegro Dauer des Konzerts einschließlich Pause: ca. 2 Stunden
RICHARD WAGNER Vorspiel zur Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ Tönendes Manifest Ich hörte zum ers- Kann Instrumentalmusik mehr sein als kunstvolle Klang-Organisation, kann sie etwas „bedeuten“? Mit ten Male Richard Blick auf die Gattung der Ouvertüre kann man diese Wagners Ouvertüre Frage eigentlich nur bejahen. Denn als instrumentale Eröffnung ist sie in der Regel mit einer Oper verbun- zu den „Meister- den, in der Musik und Worte eine Einheit eingehen. singern“: das ist Und wenn die Ouvertüre musikalische Motive verar- beitet, die im folgenden Stück mit Inhalt und Bedeu- eine prachtvolle, tung aufgeladen werden, dann kann der Hörer überladene, zumindest im Nachhinein diese Bedeutung ergrün- den. Das gilt erst recht im Fall der Vorspiele Richard schwere und späte Wagners, der gerne mit „Erinnerungsmotiven“ arbei- Kunst, welche den tete – also mit musikalischen Gebilden, die er bestimmten Personen oder Situationen zuordnete. Stolz hat, zu ihrem Und der überdies neben der Musik auch seine Textbü- Verständnis zwei cher selbst schrieb. Jahrhunderte Musik Den ersten Prosaentwurf zum Libretto seiner einzi- als noch lebendig gen komischen Oper verfasste Wagner bereits 1845, doch andere Projekte kamen immer wieder dazwi- vorauszusetzen. schen, sodass er sich erst 1861 wieder ernsthaft mit Friedrich Nietzsche in „Jen- dem Stoff beschäftigte. Fertigstellen konnte er „Die seits von Gut und Böse“ (1886) Meistersinger von Nürnberg“ 1867, und zu diesem Zeitpunkt war er bereits ein berühmter, wenn auch umstrittener Komponist. Daher kann man die Oper – und im Konzentrat dann eben auch das Vorspiel – zumindest teilweise als ein Manifest verstehen, in dem Wagner seine Standpunkte darlegte und vertei- digte. Zu den Hauptfiguren des im 16. Jahrhundert spielenden Stücks zählen der weise, traditionsverbun- dene Schustermeister Hans Sachs (zugleich geachte- tes Mitglied der „Meistersinger“-Zunft) und der kühne junge Ritter Walther von Stolzing, der alle starren 4
RICHARD WAGNER Vorspiel zur Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ Regeln verachtet. Beide verkörpern zweifellos Aspekte von Wagners eigener künstlerischer Persönlichkeit. Ihren Gegenspieler, den selbstgerechten und pedanti- schen Sixtus Beckmesser, dachte sich Wagner zumin- dest zeitweise als Parodie auf seinen schärfsten Gegner Eduard Hanslick: Die Figur trug im zweiten Prosaentwurf von 1862 den Namen „Hans Lick“. Nun war zwar der berühmte Wiener Kritiker Hanslick Richard Wagner (1862) im Jahr 1845, als er Wagner im böhmischen Marien- bad persönlich kennen lernte, noch Student und SCHÖN DER REIHE NACH begeisterter Anhänger des Komponisten. Doch in der Folgezeit kühlte sich das Verhältnis der beiden merk- Sein „Meistersinger“-Vorspiel schrieb Wagner gegen alle lich ab. Hanslick positionierte sich als Befürworter Komponisten-Gepflogenhei- der „absoluten“ (von außermusikalischen Bindungen ten bereits vor der eigent- freien) Musik und als Gegner der programmatischen. lichen Oper. Statt wie üblich die Vorspiel-Themen dem Und er nahm mit stetig zunehmender Schärfe gegen fertigen Stück zu entnehmen, Wagners „Gesamtkunstwerk der Zukunft“ Stellung, erfand er sie neu und baute sprach dem Komponisten jedes Verständnis für musi- auf ihnen die Oper auf. Dieses Verfahren thematisierte er kalische Form und Logik ab. Allerdings bewies der sogar im Drama selbst, als er vermeintlich so neuerungssüchtige Wagner mit sei- Stolzing nach den Gesetzen nem „Meistersinger“-Vorspiel Hanslick und anderen des Meisterliedes fragen ließ: „Wie fang ich nach der Regel Traditionalisten, dass er zumindest die altehrwür- an?“ Die Antwort des Meisters dige Kunst des Kontrapunkts souverän beherrschte: Hans Sachs lautet: „Ihr stellt Er exponierte und verarbeitete zunächst eine Reihe sie auf und folgt ihr dann“. Wagner präsentierte dem von Themen aus der Oper, vor allem einen Marsch Publikum das Vorspiel zum und eine Fanfare der Meistersinger sowie Walthers ersten Aufzug der „Meister- Preislied „Morgenlich leuchtend“. Dann machte er singer“ schon 1862 im Leipzi- ger Gewandhaus, sechs Jahre eine Passage, die diese gegensätzlichen Themen ver- vor der Uraufführung des knüpft und gleichzeitig erklingen lässt, zum Höhe- gesamten Werks (am 28. Juni punkt des Vorspiels. Mit glücklicher Vereinigung von 1868 in München). Tradition und Neuheit gegen alle Pedanterie – so könnte also die Botschaft dieses tönenden Künstler- manifests lauten. Jürgen Ostmann 5
ROBERT SCHUMANN Violoncellokonzert a-Moll op. 129 „Ein symphonisch gehaltenes Tonwerk“ ERLAHMENDE KRAFT? Nachdem Robert Schumann am 2. September 1850 das Amt des städtischen Musikdirektors in Düsseldorf Robert Schumanns Spätwerk übernommen hatte, blieben ihm dreieinhalb Jahre, bis stand man etwa ein Jahrhun- er am 4. März 1854 in die Nervenheilanstalt Bonn- dert lang überaus skeptisch gegenüber. Ursache hierfür Endenich eingeliefert wurde. In dieser Zeit entstand war die Tatsache, dass die sein umfangreiches Spätwerk, neben Kammermusik Rezeption dieser Kompositio- u. a. die „Rheinische“ Sinfonie op. 97, das Violinkon- nen ganz im Zeichen von Schumanns psychischer zert sowie das Cellokonzert a-Moll, das Schumann Erkrankung stand. Der vom 11. bis 16. Oktober 1850 skizzierte und anschlie- Medizinhistoriker Franz ßend einer Revision unterzog. Obgleich letzteres Werk Hermann Franken bestätigte 1984 die bereits bekannte mit seiner dreisätzigen Anlage auf den ersten Blick den Diagnose „progressive Para- durch die Klassik aufgestellten Normen entspricht, lyse“: Hirnerweichung als erweist es sich als durch und durch originell, progres- finales Stadium einer Spät- syphilis. Den meisten seiner siv und innovativ. Denn zum einen gibt es in dem Biografen und Interpreten Stück keine Orchesterexposition (ein Hörer des 19. galt es als sicher, dass Schu- Jahrhunderts erwartete zu Beginn eines Instrumental- mann seine Schaffenskraft aufgrund der Erkrankung in konzertes ein einleitendes Orchestertutti, in dem das späterer Zeit verloren habe Hauptthema vorgestellt und der Einsatz des Solisten – Hugo Riemann glaubte vorbereitet wird). Zum anderen werden die drei Sätze selbst in der „Rheinischen“ Sinfonie „Spuren der erlah- mittels kürzerer bzw. längerer Überleitungen attacca menden Gestaltungskraft“ zu zu einer durchgehenden Großform zusammengebun- erblicken. Erst in den letzten den; die Solokadenz, die ungewöhnlicherweise im Jahrzehnten beginnt sich auch Schumanns spätes Schaffen Finale kurz vor Ende des Werkes platziert ist, wird vom zunehmend im Konzertleben Orchester begleitet, und es gibt – wie in Sinfonien durchzusetzen. üblich – eine zyklische Wiederkehr der wichtigsten Themen. Dementsprechend sind auch Solo- und Orchesterpart untrennbar miteinander verbunden, weshalb Clara Schumann die „höchst interessante 6
ROBERT SCHUMANN Violoncellokonzert a-Moll op. 129 Verwebung zwischen Cello und Orchester“ als „ganz hinreißend“ hervorhob und Wigand Oppel das Werk in der Leipziger „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ 1870 nicht zu Unrecht als ein „Orchesterstück mit obli- gatem Violoncello“ bezeichnete. Alle nachfolgenden Komponisten, die ebenfalls Kon- zerte für Violoncello und Orchester geschrieben haben – Dvořák, Saint-Saëns, Lalo, Britten, Schosta- Düsseldorf, Stahlstich (um 1850) kowitsch, Elgar und selbst Schnittke –, taten dies in von Joseph Maximilian Kolb direktem oder indirektem Bezug auf Schumanns Opus 129. Kein Geringerer als Pablo Casals bezeich- VERSCHLIMMBESSERT nete das Konzert in seinen Gesprächen mit José Maria Corredor, die 1956 in London veröffentlicht Schumanns Cellokonzert setzte sich erst gegen Ende wurden, als eines der schönsten Cellowerke über- des 19. Jahrhunderts als haupt, als „one of the finest works one can hear.“ Repertoirestück durch, wobei Angesichts dessen muss es überraschen, dass Schu- viele Cellisten – unter ihnen Pablo Casals, Emanuel Feuer- mann für die avisierte Uraufführung seines Werkes mann, Pierre Fournier, André keinen Solisten fand. Nach einer ersten Klavierprobe Navarra, Leonard Rose und am 23. März 1851 mit dem Cellisten Christian Reimers Maurice Gendron – eigene Kadenzen einfügten, wodurch in Düsseldorf (der dankend ablehnte) wandte sich der die wohlabgewogenen Propor- Komponist im Oktober desselben Jahres an den tionen der drei Werkteile Frankfurter Cellovirtuosen Emil Bockmühl. Dieser empfindlich gestört wurden. Bernhard Coßmann änderte fand jedoch ungeachtet seiner anfänglich geäußerten sogar verschiedene Passagen Zustimmung immer neue Ausflüchte, das Konzert im 1. Satz, kürzte das Finale nicht öffentlich spielen zu müssen. Denn als Verfas- und ersetzte mit der Kadenz zugleich den gesamten ser technisch aufwendiger, aber musikalisch eher Schluss des Konzerts, wäh- seichter Virtuosenstücke für Cello konnte Bockmühl rend Jules de Swert das Finale Schumanns Ansatz, in dem das Soloinstrument nicht mit einigen „Fiorituren [Verzierungen] ausputzte“. durchgängig im Vordergrund steht, offenbar nicht Noch in den 1960er Jahren akzeptieren. Auch einen Verlag für das Werk zu fin- beauftragte Mstislaw Rostro- den gestaltete sich als problematisch: Hofmeister powitsch Dmitrij Schosta- kowitsch mit einer Neu- lehnte aus Kostengründen ab, ebenso der kleine Ver- instrumentation des Werks, lag Carl Luckhardt in Kassel. Erst Breitkopf & Härtel mit der die dynamischen und erklärte sich bereit, das Konzert zu drucken, aller- klanglichen Möglichkeiten des Orchesters besser aus- dings nur nach nicht unerheblicher Herabsetzung genutzt werden sollten. von Schumanns ursprünglicher Honorarforderung. 7
ROBERT SCHUMANN Violoncellokonzert a-Moll op. 129 Die Erstausgabe erschien im August 1854, jedoch nur in Form von Orchesterstimmen und Klavierauszug; eine Partitur wurde erst 1883 gedruckt. Die Uraufführung des Cellokonzerts, die, wie jüngere Forschungen ergaben, am 23. April 1860 in Oldenburg stattfand (und nicht erst am 9. Juni 1860 zur Feier von Schumanns 50. Geburtstag in Leipzig, wie häufig zu Robert Schumann, Zeichnung lesen), erlebte der Komponist nicht mehr, da er am von Eduard Bendemann (1859) 29. Juli 1856 nach langem Martyrium in Endenich ver- storben war. Der Cellist Ludwig Ebert wurde von der ROMANTIK, SCHWUNG UND Großherzoglichen Hofkapelle Oldenburg begleitet, HUMOR der Konzertmeister Karl Franzen hatte die musikali- sche Leitung übernommen. Zuvor war Ebert mit dem Ich spielte Roberts Violoncello- Versuch, das Konzert aufzuführen, an dem Oldenbur- konzert einmal wieder und schaffte mir dadurch eine recht ger Hofkapellmeister August Pott gescheitert, der das musikalisch glückliche Stunde. Werk als „widerwärtig greulich und langweilig“ Die Romantik, der Schwung, die abqualifiziert hatte. Erstaunlich hellsichtig fiel dem- Frische und der Humor, dabei die höchst interessante Ver- gegenüber die Premieren-Kritik eines anonymen webung zwischen Cello und Rezensenten in der Oldenburger Zeitung vom 1. Mai Orchester ist wirklich ganz 1860 aus: „Dies Schumannsche Concert“, heißt es hinreißend, und dann, von welchem Wohlklang und tiefer hier, „ist weit davon entfernt, Konzessionen zu Empfindung sind alle die machen, sei es dem Publikum oder dem Spieler, son- Gesangstellen darin! dern ist wie die späten Konzerte Beethovens, die Clara Schumann in einer Mendelssohns usw. ein symphonisch gehaltenes Ton- Tagebuchnotiz vom 11. Okto- werk, in welchem dem Soloinstrument nur eine ber 1851 bevorzugte [und keine dominierende] Stellung vor den andern Instrumenten des Orchesters eingeräumt ist.“ – Und diese Einschätzung gilt bis heute: Unge- achtet einer wenig schmeichelhaften Rezeptionsge- schichte bis weit ins 20. Jahrhundert hinein wird Schumanns Konzert mittlerweile als das wohl bedeu- tendste Cellokonzert des 19. Jahrhunderts gehandelt, und es gehört zu den am meisten aufgeführten Ver- tretern seiner Gattung. Harald Hodeige 8
ANTONÍN DVOŘÁK Sinfonie Nr. 7 d-Moll op. 70 „Gott, Liebe, Vaterland!“ „Das Beste, was ein Musiker haben muss, hat Der Kerl hat mehr Dvořák“. So konstatierte einst kein Geringerer als Ideen als wir alle. Johannes Brahms. Für die Karriere des unbekannten jungen Komponisten aus Prag war dieses Urteil einer Aus seinen Abfällen so hochkarätigen Autorität quasi der Sechser im könnte sich jeder Lotto: Brahms vermittelte seinen acht Jahre jüngeren Kollegen 1877 an den berühmten Verleger Fritz andere die Haupt- Simrock, der Dvořáks Werke im Handumdrehen themen zusammen- international verbreitete. Spätestens mit der Veröf- fentlichung der „Slawischen Tänze“ war der Name klauben. des Tschechen in ganz Europa bekannt – auch in Johannes Brahms über Anto- England, das damals als „Land ohne Musik“ verrufen nín Dvořák war und wo man insofern immer auf der Suche nach importfähigen Künstlern war. Zunächst lud man Dvořák als Gastdirigenten eigener Werke ein, doch nachdem der Komponist mit den Aufführungen sei- nes „Stabat mater“ wahre Begeisterungsstürme ent- fesselt hatte, musste auch ein exklusives Werk her: Im Jahr 1884 erreichte Dvořák aus London daher die Bitte, eine neue Sinfonie für die Philharmonic Society, die bedeutendste Konzert- und Orchesterver- einigung der Stadt, zu komponieren. Der Grundstein für die Siebte Sinfonie d-Moll war gelegt. Für Antonín Dvořák kam dieser Kompositionsauftrag äußerst gelegen. Schon lange hegte er den Plan, auf seine erste bei Simrock gedruckte Sinfonie (Nr. 6) bald eine weitere folgen zu lassen. Mit dieser Numero 9
ANTONÍN DVOŘÁK Sinfonie Nr. 7 d-Moll op. 70 Sieben aber sollte ein neuer Weg eingeschlagen wer- den – neben dem gesteigerten internationalen Ruhm war dafür vor allem der tiefe Eindruck ausschlagge- bend, den die jüngste Sinfonie seines so sehr bewun- derten Mentors kürzlich bei ihm hinterlassen hatte: 1883 war die Dritte Sinfonie von Johannes Brahms entstanden, und wenn sich Dvořák schon in seiner Sechsten Sinfonie unverkennbar von dessen Zweiter Antonín Dvořák (1879) Sinfonie beeinflusst gezeigt hatte, so sollte nun erst recht – wie er es seinem Verleger mitteilte – „etwas Ordentliches“ und (auch auf Brahms‘ Empfehlung) In unserer Familie „ganz anderes“ herauskommen. ist wieder ein neues Doch bei aller Orientierung am verehrten Vorbild, bei Opus (ein Bube) allen deutlichen Anklängen an die Musiksprache sei- nes deutschen Freundes, bei allen internationalen mehr! Also sehen Perspektiven – Dvořák blieb im tiefsten Herzen Tsche- Sie, eine neue Sin- che. Seine Devise für gutes Gelingen hieß nach eige- ner Aussage auch diesmal wieder „Gott, Liebe, fonie und ein Bube Vaterland!“. Durchaus aber äußerte sich diese Idee dazu! Was sagen jetzt nicht mehr – wie noch in der Sechsten – in Form einer lebensfroh sprühenden Volkstümlichkeit. Zwi- Sie zu dieser schöp- schen den Stühlen des internationalen Ruhmes und ferischen Kraft? der nationalen Emanzipation seines Heimatlandes musste sie der Komponist stattdessen umso dringli- Antonín Dvořák an Fritz Simrock während der Ent- cher vortragen. Im für Dvořák ungewöhnlich düste- stehungszeit seiner Siebten ren, schmerzvollen, aggressiven d-Moll-Tonfall der Sinfonie Sinfonie hören manche Interpreten daher geradezu das innere Ringen um den Freiheitskampf der Tsche- chen heraus. Bestätigt werden solche Vermutungen auch durch die motivischen Bezüge zu Dvořáks wenig früher komponierter Ouvertüre „Husitská“ (einer Hul- digung an die Hussiten als mittelalterliche Vorkämp- fer für die nationale Idee) wie überhaupt durch den oft strengen, archaischen, heroischen Charakter der Sin- fonie, die damit an etliche andere „hussitisch“ inspi- rierte Werke der Zeit (etwa von Smetana) anknüpft. 10
ANTONÍN DVOŘÁK Sinfonie Nr. 7 d-Moll op. 70 Schließlich bemerkte Dvořák noch zum Hauptthema ANTONÍN DVOŘÁK des 1. Satzes, es sei ihm im Prager Bahnhof bei der Ankunft eines Zuges eingefallen, mit dem Anhänger Antonín Dvořák wurde 1841 im böhmischen Nehalozeves des nationalen Freiheitskampfes zum Besuch einer geboren. Sein Vater war Vorstellung im Nationaltheater kamen … Das aus der Schlachter und führte eine Düsternis eines dunklen Paukenwirbels herauf Gaststätte, aber er spielte auch Bratsche und weckte bei schleichende Thema ist insofern als Ausdruck des seinem Sohn schon früh das sehnsüchtig und schmerzvoll empfundenen Befrei- Interesse für Musik. Dieser ungswillens in Gedanken an heroische „alte Zeiten“ lernte Geige, Klavier und Orgel und schrieb mit 14 deutbar. Später stimmt das Seitenthema zwar freund- Jahren seine erste Komposi- licheres Dur an, kommt aber gewissermaßen nicht tion. Nach der Schulzeit von der Stelle, indem es statt zu schließen mehrmals arbeitete er zunächst als Bratschist – zunächst in ausdrucksvoll auf der Subdominante insistiert – ein Kaffeehäusern, ab 1862 als zugleich „böhmischer“ wie abermals „sehnsüchtiger“ Stimmführer im Orchester des Einschlag. Und an seine Wärme erinnert sich wohl „Interimstheaters“ in Prag unter Bedřich Smetana. Mit niemand mehr, nachdem die mächtig aufbrausende seinen Kompositionen wurde Coda am Ende des Satzes in sich zusammengefallen Dvořák erst ab 1871 bekannt, ist, um die Musik wieder in der Düsternis ausklingen woraufhin er seinen Dienst als Orchestermusiker quittierte. zu lassen, aus der sie gekommen ist … Ein wichtiger Karriereschub war 1874 die Verleihung eines Der 2. Satz schlägt mit seinem in der Klarinette vorge- staatlichen Stipendiums aus Wien und die Bekanntschaft tragenen Choral zunächst wiederum einen gewissen mit Brahms. Nach der Emp- archaisierenden Ton an. Später aber entwickelt sich fehlung an dessen Verleger die Musik in den beinahe im „Tristan“-Stil Wagners Simrock sprach sich Dvořáks Talent schnell herum – bis seufzenden Streichern immer expressiver zu aufrüt- nach Amerika, wo er 1892–95 telnden Gesten des Trotzes. Was folgt, ist ein schwel- als Direktor des nationalen gerisches Hornthema, das in seiner Klanglichkeit Musikkonservatoriums in New York wirkte. durchaus an den berühmten Alphornruf aus dem Finale von Brahms’ Erster Sinfonie erinnert und wie dort gewissermaßen „prophetische“ Aussagekraft zu erhalten scheint. Im Verlauf des Mittelteils wird es von einer breiter gespannten Variante in den Klari- netten abgelöst. Typisch Dvořáksche Züge trägt der 3. Satz, der ganz von seinem rhythmisch prägnanten, dabei nach tschechischer Art gegen die Taktschwerpunkte des 11
ANTONÍN DVOŘÁK Sinfonie Nr. 7 d-Moll op. 70 ERFOLGSGESCHICHTE!? 6/4-Takts gebürsteten Thema durchwebt ist. In Kom- bination mit der gesanglichen Gegenmelodie erhält Die Uraufführung von Dvořáks es abermals sehnsüchtigen Charakter, in den Siebter Sinfonie am 22. April Schlussteilen, wenn die Pauke den Rhythmus zu wil- 1885 in London unter der Leitung des Komponisten war den Bläsertrillern zornig heraushämmert, jedoch einer der größten Erfolge in auch rohe, unnachgiebige Kraft. Im Kontrast dazu dessen Karriere. Auch im steht das mittlere Trio, eine Idylle mit zwitschernden heimatlichen Tschechien kam das Werk aufgrund seines Flötentrillern, Waldhörnerschall und einem volks- kämpferischen Charakters in tümlichen Tänzchen. Zeiten der Nationalbewegung besonders gut an. Weniger zufrieden war der Komponist Mit seiner unvermittelt einsetzenden, leidvoll in indessen mit den Planungen einen spannungsgeladenen Akkord führenden zur Drucklegung der Sinfonie: Hauptthema-Geste macht spätestens der 4. Satz plau- Fritz Simrock wollte sie nur mit deutschsprachigem (und sibel, warum die Siebte Sinfonie Dvořáks oft als seine nicht tschechischsprachigem) „Pathétique“ bezeichnet wird. Erst für den Seitensatz Titelblatt veröffentlichen, was kann sich der Komponist zu einem gelösten Dur- für Dvořáks Landsmänner wie ein Verrat an der nationalen Thema entscheiden, das direkt aus seinen berühmten Sache wirken musste. Außer- „Slawischen Tänzen“ stammen könnte und geradezu dem war die von Simrock überschwänglich gesteigert wird. Der Schlussteil des anfangs vorgeschlagene Honorierung – ein Fünftel der Satzes jedoch bringt noch einmal gewaltige Energie- Summe, die der Verleger sonst entladungen, die in einer wuchtigen Präsentation des für eine Sinfonie von Brahms Hauptthemas und einem mit pathetisch-theatrali- zahlte! – deutlich geringer als es Dvořák für angemessen scher Wendung erkämpften Dur-Ende gipfeln. Das hielt. Bis die beiden sich Ringen scheint am Ende sieghaft überwunden und einigen konnten, ging es Dvořák sollte sich in seiner Achten Sinfonie in der Tat zwischen Komponist und Verleger in langen Briefen hin wieder freundlicheren Tönen zuwenden … und her … Julius Heile 12
DIRIGENT Case Scaglione Case Scaglione, der mit dem heutigen Programm sein Debüt beim NDR Elbphilharmonie Orchester gibt, star- tet aktuell in seine vierte Saison als Chefdirigent des Württembergischen Kammerorchesters Heilbronn und seine dritte Spielzeit als Chef des Orchestre national d’Île-de-France. Zuvor wirkte er als Associate Conductor des New York Philharmonic Orchestra und Music Direc- tor des Young Musicians Foundation Debut Orchestra of Los Angeles, einer Institution, deren künstlerisches Profil er u. a. mit der Gründung des Education-Pro- H Ö H E P U N K T E 2 0 21/2 0 2 2 gramms „360° Music” wesentlich formte. Auf den Pro- grammen seiner Konzerte mit dem Orchestre national • Konzerte mit Werken von Wagner und Dvořák mit dem d’Île-de-France stehen 2021/22 u. a. Strauss’ „Also sprach Royal Liverpool Orchestra Zarathustra“, Mahlers Vierte Sinfonie, ein reines Bartók- und dem Bournemouth Programm und eine Produktion von Wagners „Der flie- Symphony Orchestra • Debüt am Teatro Monumen- gende Holländer“ an der Opéra de Massy. Mit dem tal in Madrid mit dem RTVE Württembergischen Kammerorchester Heilbronn tritt Symphony Orchestra er in dieser Spielzeit wieder regelmäßig in der Stuttgar- • Debüt beim Utah Symphony Orchestra und Rückkehr ter Liederhalle, in Kloster Schöntal, in Ludwigsburg, im zum Phoenix Symphony Prinzregententheater München und in der Queen Elisa- Orchestra beth Hall in Antwerpen auf. Scaglione ist ferner als • Debüt an der Opéra national de Paris mit einer Produk- Gastdirigent in Europa sowie in Nordamerika sehr tion von Richard Strauss’ gefragt, wo er in den vergangenen Spielzeiten etwa mit „Elektra“ dem New York Philharmonic Orchestra, dem Houston, Dallas, Detroit, San Diego und Baltimore Symphony Orchestra zusammengearbeitet hat. In Asien kehrt er regelmäßig zum Hong Kong Philharmonic Orchestra zurück und hat Konzerte mit dem China Philharmonic, Shanghai und Guangzhou Symphony Orchestra gelei- tet. Er pflegt gute Beziehungen zu vielen der weltweit führenden Solisten, darunter Joshua Bell, Behzod Abduraimov oder Khatia Buniatishvili, und zählt pro- minente Dirigenten wie Alan Gilbert, Jaap van Zweden und David Zinman zu seinen Mentoren. 13
VIOLONCELLO Steven Isserlis Steven Isserlis, Commander of the British Empire, wird weltweit für seine stupende Technik und seine außeror- dentliche Musikalität und Kreativität gefeiert. Er kon- zertiert mit Orchestern wie den Berliner Philhar- monikern, dem London Philharmonic Orchestra, Ton- halle-Orchester Zürich, der Deutschen Kammerphilhar- monie Bremen und dem Mahler Chamber Orchestra. Als ständiger Gast der Wigmore Hall, des „92Y“ in New York oder der Salzburger Festspiele gibt er Recitals und H Ö H E P U N K T E 2 0 21/2 0 2 2 Kammermusikkonzerte mit Partnern wie Joshua Bell, Isabelle Faust und András Schiff. Seine Programme • Konzerte mit dem hr-Sinfonie- stellt er gern zu besonderen Themen zusammen, zuletzt orchester, dem Münchener etwa zur wechselseitigen Inspiration von Komponistin- Kammerorchester, der Deutschen Kammerphil- nen und Komponisten. Isserlis’ großes Interesse gilt harmonie Bremen und der auch der historischen Aufführungspraxis. Er konzertiert Kammerakademie Potsdam mit den führenden Barockorchestern und leitet Kam- • Recital bei den Dresdener Musikfestspielen gemein- merorchester oft selbst vom Cello aus. Als ebenso sam mit Olli Mustonen begeisterter Interpret zeitgenössischer Musik hat er mit • Kammermusikprogramm Komponisten wie John Tavener, Wolfgang Rihm und zusammen mit Alina Ibragi- mova und Dénes Várjon György Kurtág zusammengearbeitet. Darüber hinaus ist beim Schumannfest er Autor mehrerer Kinderbücher und Gastautor des Gra- Düsseldorf mophone Magazine und der BBC. Als gefragter Päda- • Veröffentlichung des neuen Buchs „The Bach Cello goge gibt er Meisterkurse bei der Kronberg Academy Suites“ bei Faber & Faber und als künstlerischer Leiter des internationalen Musikseminars in Prussia Cove/Cornwall. Isserlis’ mit zahlreichen Preisen gekrönte Diskografie umfasst u. a. die Solosuiten von Bach, Aufnahmen der großen Cello- konzerte unter Paavo Järvi oder Beethovens Cellosona- ten mit Robert Levin. 2013 wurde Isserlis in die Gramophone Hall of Fame aufgenommen – als einer von nur zwei Cellisten, denen diese Ehre zu Lebzeiten zuteil wurde. Er spielt das Stradivari-Cello „Marquis de Corberon (Nelsova)“ von 1726, das ihm von der Royal Academy of Music zur Verfügung gestellt wird. 14
Herausgegeben vom NORDDEUTSCHEN RUNDFUNK Programmdirektion Hörfunk Orchester, Chor und Konzerte Rothenbaumchaussee 132 20149 Hamburg Leitung: Achim Dobschall NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTER Management: Sonja Epping Redaktion des Programmheftes Julius Heile Die Einführungstexte von Jürgen Ostmann, Dr. Harald Hodeige und Julius Heile sind Originalbeiträge für den NDR. Fotos Heritage Images / Fine Art Images / akg-images (S. 5) akg-images (S. 7, 8, 10) WKO / Sonja Werner (S. 13) Kevin Davis (S. 14) Druck: Eurodruck in der Printarena Das verwendete Papier ist FSC-zertifiziert und chlorfrei gebleicht. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des NDR gestattet. 15
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