VIVA BEETHOVEN!- 23. MÄRZ 2017 ELBPHILHARMONIE GROSSER SAAL
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ELPHI_Logo_Bild- marke_1C_W ¡VIVA FESTIVAL BEETHOVEN! 19. – 23. MÄRZ 2017 ELBPHILHARMONIE GROSSER SAAL
DIRIGENT. DER NEUE BMW 7er MIT GESTIKSTEUERUNG. WILLKOMMEN DER ANSPRUCH VON MORGEN. Anfang des 19. Jahrhunderts revolutionierte Ludwig van Beethoven die klassische Musik. Seine Streichquartette und Klaviersonaten, vor allem aber seine neun Sinfonien spreng- ten alle Formen und Korsette, wiesen den Weg in eine große Zukunft und sind in ihrer visionären Kraft und Wirkungsmacht unübertroffen. Die jüngste Revolution der klassischen Musik hat allerdings nicht in Wien stattgefunden, sondern in Venezu- ela. »El Sistema« heißt das Projekt, das Tausenden von Kindern Instrumente in die Hand gibt – und damit eine Zukunftspers- pektive. Die Aushängeschilder dieser weltweit bewunderten Be- wegung heißen Gustavo Dudamel und Orquesta Sinfónica Simón Bolívar de Venezuela – und sie stimmen nun in der Elb- philharmonie den Schlachtruf an: ¡Viva Beethoven! 19.03. Sinfonien Nr. 1 + 2 20.03. Sinfonien Nr. 3 + 4 21.03. Sinfonien Nr. 5 + 6 22.03. Sinfonien Nr. 7 + 8 23.03. Sinfonie Nr. 9 Principal Sponsor der Elbphilharmonie BMW Hamburg BMW Niederlassung www.bmw-hamburg.de Hamburg www.bmw- hamburg.de Freude am Fahren Abbildung zeigt Sonderausstattungen.
DIE MUSIK BEETHOVEN, DER REVOLUTIONÄR Gedanken über einen politischen und musikalischen Freigeist Zu den bekanntesten Anekdoten der Musikgeschichte gehört die Erzählung von Ludwig van Beethoven und Napoleon Bonaparte: Beethoven habe den franzö- sischen General und Ersten Konsul der Republik so sehr bewundert, dass er plante, ihm seine Dritte Sinfonie zu widmen. Als er dann aber von Napoleons Plä- nen, sich zum Kaiser zu krönen, erfahren habe, sei er vor Wut über den Verrat an den Zielen der Französischen Revolution ausgerastet, habe das Widmungsblatt von oben nach unten durchgerissen und der Sinfonie den Titel Eroica gegeben. Überliefert ist diese Legende von Ferdinand Ries, einem Schüler Beethovens, der sie elf Jahre nach Beethovens Tod veröffentlicht hatte. Sie wurde alsbald zum Symbol für einen Beethoven, der mit den Obrigkeiten seine Probleme hatte, der revolutionären Gedanken anhing, der die Herrschenden verachtete und nach einer Musik suchte, die dem Gedankengut der Französischen Revolution, der Idee von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit eine Stimme geben konnte. Befeuert wurde dieser Mythos zusätzlich von Bettina von Arnim – jener leicht überspannten, musik- und literaturbegeisterten Salondame, die sich mit ihren Briefromanen später, als beide bereits gestorben waren, zur Vertrauten Goethes und zur Geliebten Beethovens stilisierte. Von ihr stammt die andere, immer wie- der gern kolportierte Anekdote über einen gemeinsamen Spaziergang Goethes und Beethovens in Teplitz, wo der Weimarer Dichter und der Wiener Komponist sich 1812 zur Kur aufhielten und Bekanntschaft miteinander machten. Als ihnen auf der Promenade der Kaiser mit seinem Hofstaat entgegenkam, habe Goethe beiseitetreten wollen, Beethoven aber habe ihn angewiesen: »Bleibt nur in mei- nem Arm hängen, sie müssen uns Platz machen, wir nicht!« Goethe sei dennoch ausgewichen und habe den Hut gezogen, während Beethoven mit verschränkten Armen mitten durch die Schar der Herzöge schritt und Goethe hinterher ob sei- ner Unterwürfigkeit rügte: »Auf Euch hab’ ich gewartet, weil ich Euch ehre und achte, wie Ihr es verdient, aber jenen habt Ihr zu viel Ehre angetan!« Wahr oder nicht: Ein Brief, den Beethoven kurz nach seiner Abreise aus Teplitz an den Verleger Gottfried Christoph Härtel schrieb, lässt die Begegnung zumindest möglich erscheinen. Und sie fügt sich nur allzu gut in das Beethoven- Bild, das uns bis heute prägt: das Bild eines Revolutionärs, sowohl in politischer als auch in musikalischer Hinsicht.
¡ V I VA B E E T H OV E N ! An diesem Image hat Beethoven selbst hingebungsvoll gefeilt. Sein Wirken die Vorliebe für eine streng architektonische Kompositions- fiel dabei in eine Zeit, in dem sich das Ansehen des Komponisten vom bloßen weise. Mit seinen daraus folgenden, kühnen musikalischen Ent- Tonsetzer zum Tonkünstler wandelte. Und er selbst war diesem neuartigen wicklungen (darunter etwa die schiere Länge von Werken wie Genieverständnis gewiss nicht abgeneigt. »Mein Herz und mein Sinn waren von der Dritten oder die Einbindung eines Chores in der Neunten Kindheit an für das zarte Gefühl des Wohlwollens; selbst große Handlungen zu Sinfonie) gilt Beethoven traditionell als Vollender der Klassik. verrichten, dazu war ich immer aufgelegt«, ist etwa im Heiligenstädter Testament Gleichzeitig überwand er sie, eröffnete neue Ausdrucksberei- zu lesen. Und auch wenn er nur ein »van« und kein »von« war und sein Name auf che und ebnete so den Übergang zur Romantik – man denke Niederländisch eigentlich nur »von den Rübenhöfen« bedeutet – zumindest dem nur an die berühmte Mondscheinsonate. Seine Werke haben Wesen nach hielt er sich dem Adel für ebenbürtig: »Ich kenne keine andern Vor- in der Musikgeschichte größere Wirkung ausgeübt als jede züge des Menschen als diejenigen, die ihn zu einem besseren Menschen machen. andere Musik, und jeder bedeutende Komponist des 19. Jahr- Wo ich diese finde, dort ist meine Heimat.« Und an Fürst Lichnowsky, mit dem hunderts musste sich an ihm messen lassen. Berühmt wurde er sich 1806 verkrachte, weil Beethoven nicht für dessen Gäste – französische etwa Johannes Brahms’ verzweifelter Ausruf: »Du hast keinen Offiziere – hatte spielen wollen, schrieb er voller Wut: »Fürst! Was Sie sind, sind Begriff davon, wie es unser einem zumute ist, wenn er immer Sie durch Zufall und Geburt. Was ich bin, bin ich durch mich! Fürsten hat es und so einen Riesen hinter sich marschieren hört.« wird es noch Tausende geben; Beethoven gibt’s nur einen!« Die Unabhängigkeit des Geistes zeigte sich auch in den äuße- Obwohl er sich seines genialischen Geistes sehr bewusst gewesen ist: Für ren Umständen, unter denen Beethoven seiner Arbeit nachging. Beethoven waren alle Menschen gleich. Sein Interesse an der Französischen Jahrhundertelang waren Komponisten von adeligen oder kirch- Revolution scheint daher weniger von seiner Bewunderung für Napoleon geleitet lichen Geldgebern abhängig gewesen; Haydn etwa war 30 Jahre gewesen zu sein als vielmehr von der humanitären Utopie, als die sie sich in der lang bei der Fürstenfamilie Esterházy angestellt. Mozart scheiterte Erinnerung in die der Geschichte einschrieb; eine Phase, in der für eine kurze bei dem Versuch, nach dem Vorbild Händels dauerhaft als freier Zeit alles möglich gewesen zu sein schien. Mit der politischen Realität hatte Komponist und Opernunternehmer zu überleben. Erst Beethoven das wenig zu tun – das wusste auch Beethoven. Aber in seiner Musik konnte er gelang es, dank der Kaufkraft des erstarkenden Bürgertums und von der Idee einer aus den Fesseln der Unterdrückung befreiten Menschheit eines bedingungslosen Stipendiums, das ihm befreundete Adelige schwärmen, die sich in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit unter der Flagge zahlten, als unabhängiger Künstler zu reüssieren. einer weltumspannenden Humanität zusammenfindet. Wieviel von der geistigen Freiheit des Menschen in seinen In seinem Leben war Beethoven dagegen hin- und hergerissen zwischen Tönen steckt, drückte Beethoven einmal so aus: »Wem meine habsburgischem Patriotismus und französischen Revolutionsideen. Aufgewach- Musik sich verständlich macht, der wird frei von all dem Elend, sen im Umfeld des erzbischöflichen Hofes vom Boner Kurfürsten Maximilian womit sich die anderen schleppen.« Eine seiner Lieblingsfi- Franz, dem jüngsten Bruder Kaiser Josephs II., blieb er den Habsburgern zeit guren aus der griechischen Mythologie war der Halbgott Pro- seines Lebens verbunden, komponierte in Wien patriotische Lieder, litt mit den metheus, der den Menschen das Feuer brachte und sie so zu Wienern unter dem österreichisch-französischen Krieg und der Belagerung ihrer mündigen Geschöpfen machte – und den Beethoven mit einem Stadt im Jahr 1809. Mit seinem sinfonischen Schlachtengemälde Wellingtons Ballett würdigte, dessen Musik er im vierten Satz der Dritten Sieg feierte er 1814 den Sieg der britischen über die französische Armee in der Sinfonie erneut aufgriff. Er gab damit jenem Freiheitsgedanken Schlacht von Vitoria. eine Stimme, der 1789 mit der Französischen Revolution in die So konkret wurde er in seiner Musik sonst jedoch nur selten, direkte poli- Welt gekommen war und unabhängig von den gegenläufigen tische Bekenntnismusik findet sich unter seinen überwiegend instrumentalen politischen Entwicklungen in seiner Musik weiterwirkte. All dies Werken so gut wie keine. Vielmehr verstand er seine Kompositionen als Ausdruck macht den Revolutionär Beethoven zum wahren Komponisten seiner Persönlichkeit. Und dazu gehörte eben eine stürmische Begeisterung der Aufklärung – und diesen Impetus hört man in seiner Musik für den Freiheitsgedanken ebenso wie die Liebe zur Natur, der derbe Witz und bis heute. SILKE LEOPOLD
EL SISTEMA DIE REVOLUTION DER KLASSISCHEN MUSIK Das venezolanische Musikprogramm »El Sistema« »In Venezuela habe ich die Zukunft der klassischen Musik gese- hen« – große Worte, und sie stammen von niemand Geringerem als Sir Simon Rattle, dem Chef der Berliner Philharmoniker. Die Rede ist von dem weltweit beispiellosen Musikvermittlungs- und Sozialprojekt Fundación del Estado para el Sistema de Orquesta Juvenil e Infantil de Venezuela, kurz El Sistema. Ins Leben gerufen wurde »Das System« vom venezolanischen Dirigenten und Visio- när José Antonio Abreu. Das war 1975, zu einer Zeit, als in Vene- zuela gerade einmal zwei Sinfonieorchester existierten, überwie- des Simón-Bolívar-Jugendorchesters wurde – bis heute das Flaggschiff von El gend besetzt mit Instrumentalisten aus Europa und Nordamerika. Sistema und nun für eine Woche zu Gast in der Elbphilharmonie. Und auch wenn Klassische Musik war der reichen Elite vorbehalten. Orchester und Dirigent inzwischen erwachsen geworden sind und das »Jugend« Diese Strukturen wollte Abreu aufbrechen. Seine Vision aus dem Titel des Ensembles gestrichen haben: Die jugendliche Spielfreude hat war es, die musikalische Ausbildung zu einem Grundrecht zu man sich bewahrt. machen und Kindern auf diese Weise eine Perspektive zu geben. Doch bei allen musikalischen und künstlerischen Erfolgen: In einem Land, Er gründete das nach dem südamerikanischen Freiheitskämp- in dem 80 Prozent der Bevölkerung von Armut bedroht sind, stellt El Sistema fer Simón Bolívar benannte Jugendorchester und überzeugte nach wie vor in erster Linie ein soziales Projekt dar. »Ausgrenzung ist die Wurzel die Regierung, sein Projekt zu unterstützen – so entstand das allen Übels in der Gesellschaft«, diagnostizierte Abreu einmal. Und genau hier System der Kinder- und Jugendorchester. Die Nachfrage ist so kann ein Sinfonieorchester, dessen Aufbau mit der einer Gesellschaft in vielerlei José Antonio Abreu groß, dass die staatlich zur Verfügung gestellten Instrumente Hinsicht vergleichbar ist, ansetzen. Hier hat jeder seine Rolle und trägt eine manchmal knapp werden und die Kleinsten auf selbstgebauten Verantwortung für das Gesamtergebnis. Der ideale Ort also, um Kompetenzen Instrumenten aus Pappe ihre ersten Griffe üben müssen. Der wie Teamfähigkeit, Disziplin, Geduld und Toleranz zu lernen. Durch El Sistema Motivation schadet das nicht. Im Gegenteil: Fast täglich erhal- kommen die Kinder und Jugendlichen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft ten die Kinder kostenlosen Musikunterricht, und – das ist das oder Hautfarbe zusammen, um sich gemeinsam für eine Sache zu engagieren. Die Fotoausstellung Besondere – vom ersten Tag an spielen sie in einem Orchester Abreu ist dieser Fokus wichtig: »Das Projekt arbeitet zwar mit Mitteln der Musik, 13.–25. März | Mo–Sa | 11–19 Uhr | ihrer Altersklasse. ist aber zuvorderst ein soziales, zur Förderung menschlicher Qualitäten.« Auch Hamburger Zentralbibliothek am Bis zum heutigen Zeitpunkt haben El Sistema sage und Gustavo Dudamel ist sich sicher: »Wenn jedes Kind einen Zugang zu Kultur hat, Hauptbahnhof | Eintritt frei schreibe 826.619 Kinder durchlaufen, die von 8.290 Lehrern wird die Welt ein sensiblerer und besserer Ort sein.« Für sein großes Engage- Das Buch in 440 »núcleo« genannten Zentren unterrichtet werden und ment wurde José Antonio Abreu vielfach ausgezeichnet, unter anderem von der Stefan Piendl / Michael Kaufmann: in insgesamt 1.681 Orchestern spielen. Große Dirigenten wie Unesco und Unicef, mit dem Polar Music Prize, dem TED Prize, dem Yehudi »Das Wunder von Caracas« Claudio Abbado, Zubin Mehta oder eben Sir Simon Rattle diri- Menuhin Award und dem Frankfurter Musikpreis. (Irisiana Verlag) gierten sie; einige der jungen Musiker machten sogar weltweit El Sistema sorgte für so viel Aufsehen, dass inzwischen zahlreiche Ableger Der Film Karriere. So wurde etwa der Kontrabassist Edicson Ruiz mit entstanden sind: in den USA, in Kanada, aber auch hierzulande. So stand es »El Sistema. Music to change life« 17 Jahren das jüngste je aufgenommene Mitglied der Berliner Pate für Projekte wie »Jedem Kind ein Instrument«. Die Zukunft der klassischen Philharmoniker. Die prominenteste Figur ist zweifellos Pultstar Musik hat begonnen – weltweit. Gustavo Dudamel, der 1999 im Alter von 18 Jahren Chefdirigent SIMON CHLOSTA
DIE KÜNSTLER Vom tiefen Glauben an die Macht der Musik angespornt, reichen Gustavo Duda- mels musikalische Betätigungsfelder von den größten Konzertbühnen bis hin zu Klassenräumen, Kinos und innovativen digitalen Plattformen. Als international renommierter Konzert- und Operndirigent arbeitet er mit zahlreichen der bedeu- tendsten Musikinstitutionen der Welt zusammen: So tourt er in diesem Jahr mit DIRIGENT GUSTAVO DUDAMEL den Berliner Philharmonikern durch Europa und war zudem der jüngste Dirigent, der jemals das berühmte Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker geleitet hat, das jährlich von über 50 Millionen Menschen in 90 Ländern verfolgt wird. Geboren 1981 in Barquisimeto, Venezuela, studierte Gustavo Dudamel Violine am Jacinto Lara Conservatory und später an der Academia Latinoamericana de Violín. 1996 begann er sein Dirigierstudium und noch im gleichen Jahr wurde er zum Musikdirektor des Amadeus Chamber Orchestra ernannt. 1999 übernahm er die Leitung des Orquesta Sinfónica Simón Bolívar de Venezuela, bei dessem Grün- der José Antonio Abreu er auch seine Dirigierstudien fortsetzte. 2004 erlangte er internationale Aufmerksamkeit durch seinen Erfolg beim Gustav-Mahler-Dirigier- wettbewerb der Bamberger Symphoniker. Von 2007 bis 2012 war er Chefdirigent der Göteborger Sinfoniker, bei denen er noch immer Ehrendirigent ist. Derzeit ist Gustavo Dudamel zudem Chefdirigent des Los Angeles Philharmo- nic, wo er seinen Vertrag jüngst bis zur Spielzeit 2021/2022 verlängert hat. Unter seiner Leitung konnte das Orchester seinen Wirkungskreis weiter ausbauen, besonders mit dem Youth Orchestra Los Angeles (YOLA), das stark von dem erfolgreichen venezolanischen Musikprojekt El Sistema beeinflusst wurde. Mit dem YOLA und weiteren Musikvermittlungsprojekten möchte er die Musik für Kinder und Jugendliche aller Bevölkerungsgruppen zugänglich machen. Gustavo Dudamel gehört zu den am meisten ausgezeichneten Dirigenten sei- ner Generation. Im vergangenen Jahr erhielt er den Cultural Achievement Award der America Society, 2014 den Leonard Bernstein Lifetime Achievement Award. Im Jahr 2013 wurde er vom Magazin Musical America zum Musiker des Jahres gewählt, im selben Jahr wurde er in die Gramophone Hall of Fame aufgenom- men. 2009 setzte ihn das Time Magazin auf die Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten, ein Jahr zuvor erhielten er und das Orquesta Sinfónica Simón Bolívar de Venezuela den spanischen Prince of Asturias Award for the Arts. 2008 wurde Dudamel außerdem von der Harvard University mit dem Q Prize für sein außergewöhnliches Engagement in der Arbeit mit Kindern ausgezeichnet. Um einen universellen Zugang zur Musik zu ermöglichen, beteiligt sich der Dirigent mit Leidenschaft an Aufnahmen und musikalischen Sendungen. Zu den Höhepunkten zählt unter anderem die Einspielung von John Adams’ Gospel According to the Other Mary mit dem Los Angeles Philharmonic sowie die Über- tragung von Gustav Mahlers Sinfonie der Tausend mit tatsächlich mehr als 1000 Choristen und Kindern aus Venezuela in zahlreiche Kinos der USA und Kanada.
DIE KÜNSTLER ORQUESTA SINFÓNICA SIMÓN BOLÍVAR DE VENEZUELA Das Orquesta Sinfónica Simón Bolívar de Venezuela, gegründet 1975 von José Antonio Abreu, ist das größte Orchester und Flagschiff des »National System of Youth and Children’s Orchestras and Choirs of Venezuela«. Seine 170 Mitglieder, die zu »UNESCO Artists for Peace« ernannt wurden, erhielten einen Großteil ihrer Ausbildung im Orchesterprogramm von »El Sistema« sowie in Meisterkursen bei international renommierten Künstlern wie Sir Simon Rattle, Claudio Abbado, Daniel Barenboim, Krzysztof Penderecki, Esa-Pekka Salonen und Lorin Maazel. Seit dem Jahr 2000 hat das Orchester of Venezuela zahlreiche erfolgreiche Tourneen durch die ganze Welt unternommen. Es gastierte bei Festivals wie den BBC Proms in London, dem Edinburgh International Festival, dem Schleswig- Holstein Musik Festival, dem Lucerne Festival, den Salzburger Festspielen und dem Istanbul Music Festival. Ebenso spielte das Orquesta Sinfónica Simón Bolí- var de Venezuela in international bedeutenden Häusern wie der Royal Festival Hall in London, dem Wiener Konzerthaus, dem Teatro alla Scala in Mailand, der Philharmonie in Paris, der Accademia Nazionale di Santa Cecilia und weiteren Konzerthäusern in Köln, Oslo, Moskau, Warschau, Athen, Barcelona, Zürich, Beijing, Seoul, Tokyo, Chicago, Philadelphia, Washington, San Francisco, Los Angeles und Montreal. 2013 nahm das Orchester den von Gustavo Dudamel komponierten Sound- track für den Film Libertador von Alberto Arvelo auf. Kurz darauf unternahm das Orchester eine in Santo Domingo und dann über Buenos Aires, São Paulo und Brasilia nach Bogota führende Südamerika-Tournee. Im selben Jahr durfte es als erstes ausländisches Orchester die traditionelle Aufführung von Mozarts c-Moll- Messe bei den Salzburger Festspielen aufführen. Im Januar 2014 gastierten die Musiker in Paris und gaben – als Debüt im Mittleren Osten – Konzerte in Oman und Abu Dhabi. Im Anschluss reiste das Orchester nach Kalifornien, wo es eine Residenz hatte und gemeinsam mit dem Los Angeles Philharmonic Konzerte beim LA Phil Tchaikovsky Festival gab. 2015 war das Orquesta Sinfónica Simón Bolívar de Venezuela in London, Brüssel, Frankfurt, Barcelona, Valencia, Madrid und Paris zu hören. Im August 2015 spielte das Orchester acht Aufführungen von La Bohème am Teatro all Scala in Mailand, wo es außerdem auch Antonio Estevez’ Cantata Criolla und Beet- hovens Neunte Sinfonie aufführte. Im Rahmen einer Residenz in Los Angeles spielte das Orchester anschließend sämtliche Sinfonien von Beethoven. Zu den Aufnahmen des Orchesters und Gustavo Dudamel zählen Beethovens Sinfonien Nr. 5 und 7, das erfolgreiche Album Fiesta mit Werken lateinameri- kanischer Komponisten, eine Tschaikowsky-CD mit der Fünften Sinfonie und Francesca da Rimini sowie Auszüge aus Wagners Ring des Nibelungen.
BESETZUNG Violine I Violine II Violoncello Flöte Horn Schlagwerk Alejandro Carreño Moises Medina Edgar Calderón Alexis Angulo Daniel Graterol Félix Mendoza Boris Suárez Alirio Vegas Aimon Mata Aron García Danny Gutiérrez Ramón Granda Carlos Vegas William González Carlos Ereú Diego Hernández Edgar Aragón Acuarius Zambrano Jesús Pinto Gregory Mata Abner Padrino Engels Gómez José Giménez Juan Carlos Silva Eduardo Salazar Adriana Von Buren César Giuliani Fernando Martínez Reinaldo Albornoz Simón González Douglas Isasis Alessandro Lugo Frank Valderrey Yaritzy Cabrera José León Víctor Villarroel Anna Virginia González Anderson Briceño Jhonn Rujano Emily Ojeda Nelson Yovera Ebert Ceballo Carlos Luís Perdomo Juan Méndez Javier Mijares * als Gast Emirzeth Henríquez Daniel Herrera Leandro Bandrés Oboe Felipe Rodríguez Daniel Sánchez Mónica Frías Elly Saúl Guerrero Trompete Héctor Robles Enrique Carrillo Ricardo Corniel Hairin Colina Tomás Medina Janeth Sapienza Gleirys Gómez Yackson Sánchez Luis González Gaudy Sánchez Jorge Velásquez Imanuel Sandoval Néstor Pardo Andrés Ascanio Luis Adolfo González Israel Méndez Kontrabass Daniel Vielma Arsenio Moreno Luis Barazarte José Guedez Claudio Hernández Jonathan Rivas Luis Navarro Juan Pérez Jorge Ali Moreno Klarinette Leafar Riobueno Nicole Rodríguez Oswaldo Martínez Freddy Adrian David Medina Luis Alfredo Sánchez Oriana Suárez Patricio Meriño Luis Peralta Ranieri Chacón Miguel Tagliafico Verónica Balda Ronnie Morales Carlos Rodríguez Víctor Mendoza Oscar López William López Nathaly Algindi Henry Pérez Román Granda Jairo González Manuel Ruíz Víctor Caldera Miguel Jiménez Fagott Werlink Casanova Viola Carlos Sánchez* Gonzalo Hidalgo Wilfrido Galarraga Ismel Campos Daniel García Luís Aguilar Edgar Monrroy Posaune Carlos Corales Aura Moreno Pedro Carrero David Peralta Werner Díaz Alejandro Díaz Fabiana Alvarez Aquiles Delgado (Kontrafagott) Edgar García Greymar Mendoza Jackson Murillo Luis Fernández Leudy Inestroza Luz Cadenas Lewis Escolante Mary Francis Alvarado Miguel Jeréz Pedro González Samuel Jiménez Pedro Rondón Richard Urbano
Sonntag, 19. März 2017 | 20 Uhr | Elbphilharmonie Großer Saal 19 Uhr | Einführung mit Lars Entrich im Großen Saal ORQUESTA SINFÓNICA SIMÓN BOLÍVAR DE VENEZUELA DIRIGENT GUSTAVO DUDAMEL Ludwig van Beethoven (1770–1827) Ouvertüre zu »Egmont« op. 84 (1809–1810) ca. 10 Min. Ludwig van Beethoven Sinfonie Nr. 1 C-Dur op. 21 (1799–1800) Adagio molto – Allegro con brio Andante cantabile con moto Menuetto: Allegro molto e vivace Adagio – Allegro molto e vivace ca. 30 Min. Pause Ludwig van Beethoven Ouvertüre c-Moll zu »Coriolan« op. 62 (1807) Allegro con brio ca. 10 Min. Ludwig van Beethoven Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 36 (1801–1802) Adagio molto – Allegro con brio Larghetto Scherzo. Allegro Allegro molto ca. 35 Min. Gefördert durch die Stiftung Elbphilharmonie
S I N FO N I E N R . 1 + 2 DIE MUSIK Zuvor hatte der 29-jährige Beethoven, der zu diesem Zeitpunkt bereits seit EIN NEUES KAPITEL acht Jahren in Wien lebte, vor allem als Pianist auf sich aufmerksam gemacht. Seine Virtuosität und Improvisationskunst wurden allgemein bewundert, IN DER MUSIKGESCHICHTE und es ist nicht erstaunlich, dass er sich als Komponist zunächst auf Genres beschränkte, die ihm aus der Praxis vertraut waren: Klaviersonaten und Kam- Ouvertüre zu »Egmont« op. 84 mermusik für Streicher (in der heimischen Bonner Hofkapelle hatte er Bratsche gespielt). Durch die Komposition seiner ersten beiden Klavierkonzerte im zweck- Im Sommer 1812 wurde der böhmische Kurort Teplitz, gelegen mäßigen Einsatz der Orchesterinstrumente geschult, wagte er sich schließlich auf halber Strecke zwischen Prag und Dresden, zum Schau- an seine allererste Sinfonie. platz eines denkwürdigen Gigantentreffens: Johann Wolfgang Stilistisch wird dieses Werk meist in den Kontext von Haydn und Mozart von Goethe und Ludwig van Beethoven, zwei lebende Legen- gerückt. Sicher nicht zu Unrecht: Im Gegensatz zu Beethovens späteren Sinfonien den, lernten sich endlich persönlich kennen. Mehrfach spielte ist die Dimension der Ersten moderat, die Orchesterbesetzung entspricht der Beethoven dem Dichter am Klavier vor, der ob seines Talents seiner Wiener Vorgänger. Verglichen mit Mozarts melodischem Erfindungsreich- »in Erstaunen gesetzt war«, aber auch die »ungebändigte Per- tum wirken Beethovens Motive, die überwiegend aus Tonleitern oder Dreiklangs- sönlichkeit« des Komponisten bemerkte. brechungen bestehen, aber geradezu banal. Dennoch demonstriert Beethoven Bereits zwei Jahre zuvor war es Beethoven eine Ehre gewe- hier bereits seinen sehr individuellen Umgang mit musikalischen Elementen sen, für Goethes Trauerspiel Egmont eine Ouvertüre sowie neun wie Motivik und Form und gibt damit eine Vorahnung auf jene Charakterzüge, weitere Musiknummern zu komponieren – ohne Honorar, »bloß die – voll ausgeprägt – seine Musik so unverwechselbar auszeichnen. aus Liebe zum Dichter«, wie er festhielt. Goethe hatte den Ein- Dem ersten Satz stellt Beethoven entsprechend der damaligen Konven- satz von Musik als Teil der Handlung selbst eingeplant, sich tion eine langsame Einleitung voran, die mit dem eingangs erwähnten Akkord um die praktische Umsetzung aber nie gekümmert. Beethoven beginnt. Diese Eröffnung führt den Hörer aber weniger ins Stück ein als vielmehr Beethovens Geburtshaus in Bonn seinerseits nahm das Projekt sehr ernst – so ernst, dass er aufs Glatteis: Durch Trugschlüsse, Vorhalte und chromatische Verschiebungen nicht bis zur Premiere fertig wurde und die Musik erst ab der verschleiert Beethoven zunächst die eigentliche Grundtonart der Sinfonie. Nur vierten Aufführung des Theaterstücks erklang. Neben seiner zögernd tastet sich die Musik voran. Umso energischer wirkt das Hauptthema, Bewunderung für Goethe lag das vermutlich am Thema: Egmont das mit einer federnden Punktierung vorwärtsdrängt. Ihm gegenüber steht ein ist ein niederländischer Fürst, der sich Mitte des 16. Jahrhun- ruhiges Seitenthema, das auf ähnlichen musikalischen Bausteinen basiert – eine derts gegen die spanische Besatzung auflehnt und dabei den motivische Verzahnung, wie sie für Beethoven typisch ist. Tod findet – für Beethoven eine Blaupause für den europäischen Ein delikates Solo der Zweiten Geigen eröffnet den zweiten Satz, der – uner- Widerstandskampf gegen Napoleon. Entsprechend düster wartet an dieser Stelle der Sinfonie – an ein höfisches Menuett erinnert. Auch beginnt die Ouvertüre, endet jedoch im (erhofften) Siegestaumel. in der Instrumentation beweist Beethoven Originalität, indem er Pauken und Trompeten im Pianissimo als dezente Begleitung einsetzt. Der dritte Satz ist dann zwar mit »Menuett« überschrieben, stellt in seinem schnellen ganztaktigen Sinfonie Nr. 1 C-Dur op. 21 Pulsieren jedoch unzweifelhaft ein Scherzo dar. Das muss man sich erst einmal trauen – so anzufangen! Mit Für den vierten Satz hält Beethoven eine ähnliche Pointe bereit wie für den einem Dominantseptakkord, einem dissonanten, spannungs- Beginn der Sinfonie. Wieder spannt er den Hörer mit einer langsamen Einleitung geladenen Akkord also, der weitergeführt, aufgelöst sein will, auf die Folter. In mehreren zaghaften Anläufen erklimmen die Violinen Ton für Ton beginnt Ludwig van Beethoven seine Erste Sinfonie. Selten ist in eine Tonleiter, die sich als Auftakt zu einem gut gelaunten Finalthema entpuppt. der Musikgeschichte so unüberhörbar ein neues Kapitel aufge- So zeichnen sich unter der vermeintlich konventionellen Oberfläche bereits jene schlagen worden wie an diesem 2. April 1800, als Beethoven das Entwicklungen ab, die die Gattung der Sinfonie revolutionieren und Ludwig van Ludwig van Beethoven, 1803 Werk in seinem ersten privat finanzierten Akademie-Konzert im Beethoven seine einzigartige Stellung in der Musikgeschichte sichern sollten. Kaiserlich-Königlichen Burgtheater in Wien vorstellte. CLEMENS MATUSCHEK
S I N FO N I E N R . 1 + 2 GEGEN DAS SCHICKSAL REBELLIERT Liest man diese Worte, scheint es umso bemerkenswerter, Ouvertüre c-Moll zu »Coriolan« op. 62 dass seine erst kurz zuvor entstandene Zweite Sinfonie rein gar nichts von Beethovens Verzweiflung vermuten lässt. Im Gegen- Der römische Patrizier Coriolan ist wegen seiner Volksfeindlichkeit verbannt teil: Mit ihrem durchweg positiven, geradezu überschäumenden worden. Nun verbündet er sich mit den Feinden Roms und belagert die Stadt. Gestus ist sie ein heiteres und geradezu braves Werk geworden. Alle Vermittlungsversuche scheitern; erst die Mutter Coriolans schafft es, an Ob die Sinfonie als eine Art Anti-Reaktion auf die Krankheit zu ihren Sohn zu appellieren und ihn zum Frieden zu bewegen. Rom entgeht der verstehen ist, kann man jedoch nicht mit Gewissheit sagen, Erstürmung, Coriolan aber begibt sich in den Tod. – Heinrich Joseph von Collins die ersten Skizzen zu ihr reichen nämlich noch ein paar Jahre Drama Coriolan von 1804 zeigt einen zwiespältigen Helden, hin- und hergerissen zurück. Doch immerhin schrieb Beethoven während der Arbeit zwischen äußerer Standhaftigkeit und innerer Verunsicherung. Genug Stoff also, an dem Werk an seinen Freund Franz Gerhard Wegeler: »Ich will um daraus ein paar mitreißende Minuten Musik zu komponieren. Das dachte sich dem Schicksal in den Rachen greifen. Ganz niederbeugen soll auch Beethoven, der in seiner gleichnamigen Schauspielouvertüre an Dramatik es mich gewiss nicht!« nichts ausließ: Gleich die drei mächtigen, lang gezogenen Orchesterschläge zu Und so ist aus der Zweiten Sinfonie trotz – oder dank – ihres Beginn, auf die ein stetig nach vorn drängendes Thema folgt, geben die Richtung positiven und leichten Charakters ein »kolossales Werk, von vor. Immer weitere Gefühlsausbrüche heizen die Stimmung an, bis das Gesche- einer Tiefe, Kraft und Kunstgelehrsamkeit wie sehr wenige« hen irgendwann abrupt abbricht, sich immer weiter verlangsamt und schließlich geworden, wie es ein zeitgenössischer Rezensent beschrieb. ganz auflöst – in einem für Beethoven gänzlich ungewöhnlichen Pianissimo- Im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin ist sie durchweg raffinierter Schluss. und ungleich detailfreudiger, wenn auch melodisch und cha- rakteristisch durchaus ähnlich. Beethoven liebäugelt hier nun erstmals mit größeren Formen, allein der langsame zweite Satz Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 36 weist eine für damalige Verhältnisse außergewöhnliche Länge In den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts wurde es für Beethoven erstmals ernst auf; ebenso die breit angelegte Einleitung, die bereits viele moti- – sehr ernst. Zwar hatte er seine kurze Wunderkind-Phase einigermaßen unbe- vische Bausteine der folgenden Musik enthält. Die erste Seite des Heiligenstädter schadet überstanden und sich erfolgreich von seinem trunk- und ruhmsüchtigen An dritter Stelle führt Beethoven zudem erstmals ein Testaments, das sich heute in der Staats- und Universitätsbibliothek Vater emanzipiert. Doch ab 1800 machten sich erste Anzeichen einer Krankheit Scherzo anstelle des eher bedächtigen Menuetts ein, das bisher Hamburg befindet bemerkbar, die für einen Komponisten normalerweise (mindestens künstlerisch) in Sinfonien vorherrschte. Wer zu dieser Musik zu tanzen ver- einem Todesurteil gleichkommt: der Schwerhörigkeit beziehungsweise Taubheit. sucht, kommt schon nach wenigen Sekunden aus dem Takt, und Tatsächlich spielte er in dem berühmt gewordenen Heiligenstädter Testament Rhythmusverschiebungen und »falsche« Betonungen bringen – einem Brief, den Beethoven an seinen Bruder Kaspar Karl schrieb, aber nie die Beine endgültig zum Stolpern. abschickte – sogar mit Selbstmordgedanken: »So nehme ich den Abschied von Schwungvoll geht es auch im Finale weiter, das mit flinken Dir, und zwar traurig. Geliebte Hoffnung, die ich mit hierher nahm, wenigstens Trillern und großen Sprüngen Beethovens ganz eigenen Witz bis zu einem gewissen Punkte geheilt zu sein, sie muss mich nun gänzlich ver- offenbart und von einer ungeheuren Dynamik geprägt ist. Ein lassen, wie die Blätter des Herbstes gewelkt sind, so ist auch sie für mich dürr verwunderter Rezensent befand diesen Satz denn auch als geworden. Fast wie ich hierher kam, gehe ich fort; selbst der hohe Mut, der mich »allzu bizarr, wild und grell«. Doch schon ein anderer war sich oft in den schönen Sommertagen beseelte, ist verschwunden. Wann, o Gottheit, sicher, dass »man dem Werke das Horoskop stellen kann, es kann ich im Tempel der Natur und der Menschen ihn wieder fühlen? Nie? Nein, werde bleiben und mit immer neuem Vergnügen gehört werden, es wäre zu hart.« Auch das Verhalten seinen Mitmenschen gegenüber versuchte wenn tausend eben jetzt gefeierte Modesachen längst zu Grabe der Komponist hier zu erklären: »O ihr Menschen, die ihr mich für feindselig, getragen sind«. Recht hatte er. störrisch oder misanthropisch haltet, wie unrecht tut ihr mir!« SIMON CHLOSTA
Montag, 20. März 2017 | 20 Uhr | Elbphilharmonie Großer Saal 19 Uhr | Einführung mit Clemens Matuschek im Großen Saal ORQUESTA SINFÓNICA SIMÓN BOLÍVAR DE VENEZUELA Wir gratulieren der DIRIGENT GUSTAVO DUDAMEL Stadt Hamburg, Ludwig van Beethoven (1770–1827) ihren Bürgern und Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 »Eroica« (1803) Allegro con brio allen Beteiligten Marcia funebre. Adagio assai Scherzo. Allegro vivace Finale. Allegro molto ca. 50 Min. zur gelungenen großartigen Komposition der Pause Ludwig van Beethoven Elbphilharmonie, Sinfonie Nr. 4 B-Dur op. 60 (1806) Adagio: Allegro vivace Adagio cantabile dem Konzerthaus von Allegro vivace weltweiter Bedeutung. Allegro ma non troppo ca. 35 Min. Gefördert durch die Stiftung Elbphilharmonie Alles, was zählt. Auch in der Elbphilharmonie. Unser Beitrag zur Energieeinsparung - über 10 Millionen Messgeräte in der Betreuung. Minol Messtechnik W. Lehmann GmbH & Co. KG | 70771 L.-Echterdingen | minol.de Niederlassung Hamburg | Spaldingstraße 64 | 20097 Hamburg | Tel.: +49 40 25 40 33-0 | nlhamburg@minol.com
S I N FO N I E N N R . 3 + 4 Andererseits ist die Sinfonie ein Musterbeispiel für die meis- MUSIKALISCHES DENKMAL terhafte Handhabung abstrakter kompositorischer Prinzipien. Zum Beispiel fußt der erste Satz (genau wie der der Fünften Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 »Eroica« Sinfonie) auf einem einzigen, denkbar simplen musikalischen Motiv. Und genau wie in der Fünften stellt Beethoven das Mate- Beethovens Dritte Sinfonie, die Eroica, nimmt in der Musikgeschichte einen ganz rial, mit dem er den Satz zu gestalten gedenkt, zu Beginn ein- besonderen Platz ein. Nicht wenige Fachleute halten sie für die wichtigste Sin- mal isoliert vor. Es handelt sich um einen schlichten Dreiklang, fonie, die jemals geschrieben wurde. Tatsächlich sprengt allein ihr Umfang alle die Basis europäischer Kunstmusik – hier in Form von zwei bis dato bekannten Maßstäbe. Und nur bei wenigen Werken greifen historische Akkordschlägen, die »wie ein Peitschenknall den eleganten Bedeutung und mythische Überhöhung so unmittelbar ineinander wie hier. Formalismus des 18. Jahrhunderts zerschmettern« (Leonard Da wäre die legendäre Widmung: Beethoven, glühender Bewunderer der Bernstein). Folgerichtig besteht auch das anschließend von den Französischen Revolution, hatte die Sinfonie ursprünglich zu Ehren von Napoleon Celli vorgestellte Thema nur aus einem gebrochenen Dreiklang. Bonaparte komponiert und dies auch auf dem Titelblatt vermerkt. Doch als sich Ungeklärt bleibt nur, warum das Horn nach dem Mittelteil zu Napoleon am 2. Dezember 1804 selbst zum Kaiser krönte, schlug Beethovens früh mit dem Thema in das erwartungsvolle Streichertremolo Verehrung in Verachtung um. »So ist er auch nichts anderes als ein gewöhnlicher hineinplatzt – ein musikalischer Scherz? Mensch! Nun wird er alle Menschenrechte mit Füßen treten und nur seinem Im zweiten Satz, überschrieben mit »Marcia funebre«, ver- Ehrgeiz frönen; er wird sich höher als alle anderen stellen, ein Tyrann werden!« wendet Beethoven zahlreiche Motive aus Trauermärschen der Mit diesen Worten, so berichtet Beethovens Schüler und Sekretär Ferdinand Ries, Französischen Republik – ein Hinweis auf die ursprüngliche habe Beethoven wütend das Titelblatt der Sinfonie zerrissen. Widmung. Es lassen sich aber auch persönliche Anknüpfungs- Nun ja, die Schnipsel sind nie gefunden worden. Offensichtlich hat Ries ein punkte finden, immerhin verzweifelte Beethoven in dieser Zeit bisschen zu dick aufgetragen, um am Mythos seines Idols zu stricken (dessen an seiner fortschreitenden Taubheit. Der dritte Satz etabliert Abglanz auch auf ihn fallen möge) und gleichzeig einen recht profanen Sachver- eine Errungenschaft aus der vorheriger Sinfonie: Statt eines halt zu überspielen: Beethoven hatte mit dem Gedanken gespielt, Hofkomponist gestelzten höfischen Menuetts saust ein quicklebendiges in Paris zu werden und sich mit einer neuen Sinfonie entsprechend einzuführen. Scherzo vorbei. Erinnerungen an adlige Jagdgesellschaften Als sich diese Aussicht zerschlug und ihm gleichzeitig mehrere Wiener Mäzene wecken dagegen die übermütigen Hörner im eingeschobenen Napoleon überschreitet die Alpen. eine Pension garantierten, machte die Widmung an Napoleon keinen Sinn mehr Trio-Teil. Gemälde von 1800 – und Beethoven änderte flugs die Titelseite, um vom neuen Widmungsträger, Mit einem grandiosen Effekt leitet Beethoven dann das dem Grafen Lobkowitz, nochmals eine Stange Geld zu kassieren. Finale ein: Dem großen Aufgalopp folgt eine Musik, die sich dank Auf der sehr wohl existierenden, intakten (!) Titelseite der »Heroischen Sinfo- der Pizzicati wie auf Zehenspitzen bewegt. Tatsächlich handelt nie« ist die Widmung »intitolata Bonaparte« lediglich ausgekratzt – allerdings so es sich um die erste einer Folge von Variationen – nur dass heftig, dass das Papier durchgescheuert wurde. An ihre Stelle setzte Beethoven Beethoven so frech ist, das eigentliche Thema erst in der drit- den Vermerk: »Komponiert, um das Andenken eines großen Mannes zu feiern.« ten Variation vorzustellen: die erwähnte Ohrwurm-Melodie aus Bis heute bleibt rätselhaft, wen Beethoven damit gemeint haben könnte. Den dem Prometheus-Ballett. Fast zehn Minuten beziehungsweise neuen Widmungsträger, Beethovens treuesten Mäzen? Oder den preußischen 400 Takte lang beschäftigt sich Beethoven in einer einzigarti- Prinzen Louis Ferdinand, der den Befreiungskampf gegen die Franzosen orga- gen Kombination aus fantasievoller Variation und kunstfertiger nisierte und kurz zuvor im Gefecht gefallen war? Oder doch den griechischen Fugentechnik mit diesem Thema, bevor er die Sinfonie mit einer Halbgott Prometheus, der den Menschen das Feuer brachte – die mythische großen Coda beendet. »Ich glaube«, schrieb Ferdinand Ries an Personifizierung all jener Ideale der Aufklärung, für die Napoleon Bonaparte nun den Verleger Simrock, »Himmel und Erde müssen zittern bei nicht mehr stehen konnte? Musikalisch immerhin ist das plausibel: Das Thema ihrer Aufführung.« Wem auch immer die Widmung der Eroica des letzten Satzes stammt aus einem Prometheus-Ballett, das Beethoven kurz gelten mag: Ludwig van Beethoven hat sich mit ihr selbst ein zuvor fertiggestellt hatte. Denkmal gesetzt.
S I N FO N I E N N R . 3 + 4 CHARMANTE SCHWESTER Mit energischen Auftakten federn die Geigen voran, munter hopst das Fagott nebenher. So gut gelaunt erleben wir Beethoven selten – ständig reiht er neue, Sinfonie Nr. 4 B-Dur op. 60 frische Gedanken aneinander, ohne das Schema des Sonatensatzes aus dem Blick zu verlieren. Für den Mittelteil hat er sich eine besondere Idee einfallen Beethovens Vierte Sinfonie stand von Beginn an im Schatten lassen: Grundiert von einem Pianissimo-Paukenwirbel kommt die Musik fast ihrer groß gewachsenen Schwesternwerke Nr. 3 und Nr. 5 – wie zum Erliegen, bevor die Motive wieder zusammenwachsen und mit Macht die ein schüchternes Gänseblümchen zwischen zwei Mammut- Rückkehr des Hauptthemas feiern. bäumen, oder, wie es Robert Schumann formulierte, wie eine Der langsame Satz strömt als kantables Adagio dahin, fast wie ein »Lied ohne »schlanke griechische Maid zwischen zwei Nordlandriesen«. Worte«. Dass die unendliche Melodie nicht in Schönheit erstarrt, ist dem Begleit- Tatsächlich schließt die Vierte mit ihrem klassizistischen motiv zu verdanken, mit dem der Satz auch beginnt. Oft wird diese auftaktige Charakter eher an die ersten beiden Sinfonien als an ihre Figur als »Paukenmotiv« bezeichnet; am Ende verlegt Beethoven sie tatsächlich unmittelbaren Nachbarn an. Musikwissenschaftler haben dafür in die Pauke. Gelegentlich erzwingt das Motiv ein Crescendo, ohne der seligen eine ganze Reihe von Erklärungen bemüht, die von beglücken- Dur-Idylle ernsthaft etwas anhaben zu können. Nur kurzzeitig wendet sich die den Liebschaften und einer damit einhergehenden Phase der Musik nach Moll, führt nach einem Geigenintermezzo aber zurück ins Licht. musikalischen Entspannung bis zu finanziellem Kalkül rei- Das derbe Scherzo lebt von der Spannung zwischen dem Dreiertakt und chen. Dokumentiert ist jedenfalls, dass Beethoven nach einem einem thematischen Gedanken, der nicht in diesen Takt passen will. Beethovens im Voraus bezahlten Kompositionsauftrag des Grafen Franz Kollege Hector Berlioz fand dafür eine schöne Formulierung: »Man empfindet von Oppersdorff unter Zugzwang stand und statt der Fünften ein Vergnügen daran zu sehen, wie der Takt zermalmt wird und sich doch am zunächst die übersichtlichere Vierte Sinfonie vollendete, um Ende jeder Periode wieder ganz herstellt; wie die musikalische Rede, vorüber- der Bestellung nachkommen zu können. Vermutlich war es ihm gehend widersinnig geworden, doch zu einem befriedigenden Schluss gelangt.« auch ganz recht, sich selbst und dem Publikum nach der Eroica Im Trio liefern sich Streicher und Holzbläser dann einen reizvollen melodischen etwas Entspannung zu gönnen. Schlagabtausch. Die von Schumann konstatierte »Schlankheit« lässt sich in Im rastlosen Finale steht die Freude an der Bewegung im Vordergrund. Sech- Ludwig van Beethoven, 1804 mehrfacher Hinsicht nachvollziehen. Die Sinfonie dauert nur zehntelketten und eine stets pulsierende Begleitung treiben die Musik voran. etwa halb so lange wie ihre Schwesternwerke. Auch die Instru- Dazu überstürzen sich die melodischen Ereignisse; fortwährend wendet sich mentierung ist sehr reduziert; gerade die Holzbläser setzt Beet- das Orchester dieser und jener Idee zu, sodass es schwer fällt, sich in diesem hoven fast kammermusikalisch ein. Die motivisch-thematische musikalischen Strudel überhaupt an so etwas wie Themen festzuhalten. Arbeit ist längst nicht so ausufernd angelegt wie in anderen Diese charmante Vierte Sinfonie war vor allem bei den Frühromantikern Werken. So charakterisierte die Allgemeine Musikalische Zei- beliebt, neben Schumann etwa bei Felix Mendelssohn Bartholdy, der sie auf das tung die Sinfonie denn auch als »heiter, verständlich und sehr Programm seines Einstandskonzertes als Kapellmeister am Leipziger Gewand- einnehmend«. haus setzte. Offenbar schätzten sie die Eleganz, mit der Beethoven hier den Von diesen Charakterzügen ist zu Beginn allerdings nichts klassischen Formenkanon handhabt, wie er im Rahmen des etablierten Systems zu spüren. Dunkel und nachdenklich wölbt sich die langsame größte Freiheiten gewinnt, anstatt es – wie in der Eroica oder in der Neunten – Einleitung. Achten Sie darauf, wie der Liegeton der Bläser seine radikal infrage zu stellen. Färbung verändert, obwohl nicht er sich bewegt, sondern die CLEMENS MATUSCHEK Streicher. Zögernd, wie schlaftrunken, tasten sich die Violinen voran. Schon möchte man wieder in die Kissen zurücksinken – da klingelt der Wecker, der Komponist springt hellwach aus dem Bett, los geht’s!
BEI UNS Dienstag, 21. März 2017 | 20 Uhr | Elbphilharmonie Großer Saal SIND 19 Uhr | Einführung mit Lars Entrich im Großen Saal SIE IMMER ORQUESTA SINFÓNICA SIMÓN BOLÍVAR AN DER DE VENEZUELA ALLER- DIRIGENT GUSTAVO DUDAMEL ERSTEN Ludwig van Beethoven (1770–1827) ADRESSE Sinfonie Nr. 5 c-Moll op. 67 (1804–1808) Allegro con brio FÜR GUTEN Andante con moto Allegro WEIN AUS Allegro ca. 35 Min. DER GANZEN Pause WELT! Ludwig van Beethoven Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68 »Pastorale« (1807–1808) Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande: Allegro ma non troppo Szene am Bach: Andante molto moto Lustiges Zusammensein der Landleute: Allegro Gewitter, Sturm: Allegro Hirtengesang – Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm: Allegretto ca. 40 Min. FORDERN SIE Das Konzert wird aufgezeichnet und am Sonntag, 21. Mai 2017 JETZT GRATIS ab 11 Uhr auf NDR Kultur ausgestrahlt. UNSEREN NEUEN Das Konzert wird im Live-Stream auf www.elbphilharmonie.de/worldwide übertragen und bleibt im Anschluss dort abrufbar. WEIN-KATALOG Gefördert durch die Stiftung Elbphilharmonie AN UNTER TEL. 04122 50 44 33
S I N FO N I E N N R . 5 + 6 KOMPONIEREN MIT LEGOSTEINEN Sinfonie Nr. 5 c-Moll op. 67 Die Wucht des vorandrängenden Kopfsatzes stockt nur ein einziges Mal: An der Nahtstelle von Reprise (Wiederholung des Anfangsteils) und abschließender »So pocht das Schicksal an die Pforte!« Beethovens Sekretär Coda nimmt sich die Oboe Zeit für eine kleine Kadenz. Im rechteckigen Lego-Bau und Biograf Anton Schindler hat diesen Satz überliefert. Und ist dies die einzige »runde« Stelle. Sie nimmt die Atmosphäre des zweiten Satzes obwohl niemand weiß, bei welcher Gelegenheit der übereifrige vorweg, der mit seiner innigen Melodie einem beschaulichen Spaziergang gleicht. Protokollant ihn aufgeschnappt hat oder ob er ihn am Ende gar Der dritte Satz tritt zunächst auf der Stelle. Die Streicher wirken unruhig, selbst erfunden und seinem Chef bloß in den Mund gelegt hat, suchend, fragend. Die »Antwort« ertönt in Form einer militärisch-zackigen prägt er seither das Bild Beethovens und seiner Fünften Sinfo- Fanfare, deren Rhythmus eindeutig auf das Motiv des ersten Satzes verweist. nie, der »Schicksalssinfonie«. Er passt ja auch so schön ins Bild Den Mittelteil bildet dann eine Fuge – wobei sich Beethoven zwischendrin den des grimmigen Künstlergenies, das mit seiner aufkommenden Scherz erlaubt, das ruppige Thema der tiefen Streicher mehrfach unvermittelt Taubheit hadert und »dem Schicksal in den Rachen greifen« will. abbrechen zu lassen, als ob die Musiker sich verspielen würden. Aus dieser Rezeptionshaltung heraus sind Statuen wie diese Mindestens so genial wie der Kopfsatz ist dann der Übergang ins Finale. Die entworfen worden, die vor dem Bonner Beethoven-Haus steht. Musik zieht sich bis ins Pianissimo zurück, scharrt mit den Hufen und scheint Dabei lohnt es sich, die Patina und das Pathos abzukratzen und nur auf den passenden Moment zu lauern, um ins strahlende Fortissimo aus- zu schauen, was es mit der Musik und dem berühmten »Klopf- zubrechen. Zudem kippt die Musik vom finsteren Moll des Kopfsatzes in helles motiv«, das jeder kennt und sofort mit ernster klassischer Musik Dur – eine Pointe, die als »per aspera ad astra« (wörtlich: durch das Raue zu den assoziiert, wirklich auf sich hat. Sternen oder sinngemäß: durch die Finsternis zum Licht) zu einem der wichtigs- Worin besteht eigentlich Beethovens Genialität? Das Motiv ten ästhetischen Konzepte des Abendlandes geworden ist. Auch das Lego-Motiv aus drei Achteln und einer Halben ist an sich ja nichts Besonde- des ersten Satz kehrt hier – leicht abgewandelt – in strahlender Form zurück. res; Haydn benutzt es schon 1765 in seiner 28. Sinfonie. Nun, die Nicht zufällig hat die schmissige Musik ihre Vorbilder in den Freiheitsliedern Genialität besteht darin, einen ganzen Satz ausschließlich aus der Französischen Revolution, die den glühenden Republikaner Beethoven diesem einen Motiv heraus zu entwickeln. In fast jedem der 500 begeisterte. Auf diesen Zusammenhang verweisen auch einige typische Mili- Takte des Kopfsatzes ist es zu hören. Beethoven komponiert, wie tärinstrumente, die bis dato noch nie im Konzertsaal zu hören waren und die Kinder mit Legosteinen bauen – mit dem Unterschied, dass er Beethoven gewissermaßen als Spezialeffekt verwendet. Stolz schreibt er dem seine Bausteine immer selbst erfindet. Widmungsträger, Graf Oppersdorff: »Der letzte Satz ist mit Piccoloflöte und drei Auch die Eroica-Sinfonie (Dreiklang) oder das Violinkon- Posaunen besetzt – zwar nicht drei Pauken, wird aber mehr Lärm machen als zert (vier Viertel) basieren auf denkbar simplen musikalischen sechs Pauken, und zwar besseren Lärm.« Klötzchen, und auch bei diesen beiden Werken ist Beethoven so Die Uraufführung der Fünften Sinfonie im Jahr 1808 war allerdings ein legen- zuvorkommend, uns ganz zu Beginn sein Material einmal iso- däres Desaster. Das Konzert fand im Dezember bei sibirischen Temperaturen liert vorzustellen, bevor er es ineinandergreifen lässt und damit im ungeheizten Theater an der Wien statt. Das in Pelzmäntel gehüllte Publikum atemberaubende Konstruktionen auftürmt. Doch so konsequent zitterte sich ganze vier Stunden lang durch ein wahres Mammutprogramm, denn wie in der Fünften ist das Verfahren selten zu besichtigen. Die Beethoven hatte es sich in den Kopf gesetzt, einen Großteil der Werke aufzu- erste »Melodie« beispielsweise entsteht zunächst nur durch das führen, an denen er zuletzt parallel gearbeitet hatte: die Fünfte und Sechste Aneinanderreihen des Motivs auf verschiedenen Tonhöhen, dann Sinfonie, das Vierte Klavierkonzert, Auszüge aus Chorwerken und mehr. Kein Beethoven-Statue vor dem durch die Erweiterung der drei gleichen Achtel auf verschiedene Wunder, dass einem zeitgenössischen Rezensenten zur Fünften lediglich zwei Bonner Beethovenhaus Tonhöhen und schließlich durch die Verknüpfung des Motivs zu Wörter einfielen: »zu lang«. Dafür wurde ihr gut 100 Jahre später die Ehre zuteil, endlosen Achtelketten. Selbst die Begleitung des schlichten als erstes Orchesterwerk überhaupt auf Schallplatte aufgenommen zu werden: Gegenthemas gestaltet Beethoven mit dem Ausgangsmotiv. 1913, von den Berliner Philharmonikern.
S I N FO N I E N N R . 5 + 6 KÜHE IM FAGOTT Plötzlich aber reißt die fröhliche Tanzmusik jäh ab. Ein Gewittersturm zieht auf. Im Streichertremolo braut sich Unheil Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68 »Pastorale« zusammen, Blitze zucken durch die Geigen und die Pauke lässt einen Donnerschlag nach dem nächsten durch den Saal rollen. »Pastoral-Sinfonie, oder: Erinnerung an das Landleben. Mehr Ausdruck der Aus meteorologischer Sicht ist Beethoven damit Vivaldis Som- Emfindung als Malerei.« So lautet der vollständige Titel von Beethovens Sechs- mersturm weit voraus, und Wagners Fliegender Holländer ist ter Sinfonie, und der Komponist legte größten Wert darauf, dass er auf dem nicht mehr weit. Schließlich beruhigen sich die Naturgewalten Deckblatt der Partitur vollständig abgedruckt wurde. Offenbar ahnte Beethoven und weichen dem Lied eines erleichterten Hirten, das auf den bereits, auf welch dünnes Eis er sich mit einer so konkreten Überschrift begeben Dankgesang in Beethovens Streichquartett op. 132 vorausweist. hatte, die er im Nachsatz quasi gleich wieder relativierte. Tatsächlich sah er sich Beethoven selbst war ein großer Naturliebhaber. Schon einer ästhetischen Grundsatzfrage gegenüber, die noch lange nach seinem Tod damals muss in der Stadt ein infernalischer Lärm von Hand- für hitzige Debatten sorgen sollte. werkern, Pferdehufen und Marktschreiern geherrscht haben, Die Frage ist: Muss Musik immer für sich stehen, als abstraktes Kunstwerk vor dem er nur allzu gerne in die Umgebung von Wien flüchtete. zum Selbstzweck? Diese Position einer »absoluten Musik« vertraten später etwa »Mein Dekret: nur auf dem Lande bleiben«, notierte er einmal. Johannes Brahms oder der einflussreiche Kritiker Eduard Hanslick. Oder darf, »Mein unglückseliges Gehör plagt mich hier nicht. Ist es doch, soll, muss Musik etwas ausdrücken, ein Gefühl, eine Szenerie, eine Roman- als ob jeder Baum zu mir spräche auf dem Lande: heilig, heilig! handlung? Eine solche »Programmmusik« favorisierten Komponisten wie Hector Im Walde Entzücken! Wer kann alles ausdrücken? Leicht bei Berlioz, Franz Liszt, Richard Strauss oder Richard Wagner – der am Ende konse- einem Bauern eine Wohnung gemietet, um die Zeit gewiss wohl- quenterweise nur noch Musik mit Inhalt schrieb, Opern nämlich. Kurioserweise feil. Süße Stille des Waldes!« Kein Wunder, dass er das Bedürf- beriefen sich beide Fraktionen (auch) auf Beethoven. Die eine rühmte seine kon- nis verspürte, seinen Empfindungen und Beobachtungen in dem struktivistische Kompositionsweise etwa in den Sinfonien 3 und 5 als Ausdruck ihm eigenen Metier, der Musik eben, Ausdruck zu verleihen. höchster Genialität. Die andere zog eine direkte Linie von Vivaldis Vier Jahres- Vielleicht ist Beethoven in seinem Mitteilungsbedürfnis dabei zeiten über Haydns Schöpfung bis hin zur Pastorale, der »Natur-Sinfonie«. ein wenig über das Ziel hinausgeschossen – wie jemand, der Dass Beethoven bei der Komposition tatsächlich sehr konkrete Bilder vor seine Freunde mit einem ganzen Schwall von Urlaubsbildern Augen hatte, zeigen schon die Satzüberschriften. Wo sonst nur italienische »beglückt«. Insofern mutet auch sein Versuch, die Satztitel Tempobezeichnungen zu lesen sind, ist hier von einer »Szene am Bach« die rückwirkend zu relativieren, eher leicht verschämt an: »Man Rede, vom »Lustigen Zusammensein der Landleute«, einem »Gewitter« und überlässt es dem Zuhörer, die Situationen auszufinden. Wer einem »Hirtengesang«. Und nicht nur das: All diese Dinge kann man in der jemals eine Idee vom Landleben bekommen hat, kann sich ohne Ludwig van Beethoven, 1820 Musik wirklich direkt hören. So beginnt der zweite Satz mit dem leisen Murmeln viele Überschriften selbst denken, was der Autor will.« einer Quelle, die sich nach und nach zu einem munteren Bächlein entwickelt – Der Schlüssel zu diesem Dilemma könnte im ersten Satz der eine frühe Blaupause für Smetanas Moldau. Claude Debussy lästerte später, die Sinfonie liegen. Schon sein Titel »Erwachen heiterer Empfin- Fagotte stellten dann wohl die Kühe dar, die aus dem Bach tränken. Gegen Ende dungen bei der Ankunft auf dem Lande« zeigt ja, dass hier kein des etwa zwölfminütigen Satzes imitiert Beethoven sogar ornithologisch korrekt Naturlaut porträtiert wird, sondern eine menschliche Emotion. die Rufe von Nachtigall (Flöte), Wachtel (Oboe) und Kuckuck (Klarinette). Entsprechend ließe sich die Musik durchaus auch als allgemein Auch die derben Bauerntänze der Landleute lassen sich bestens heraushö- positiv gestimmt hören, ohne Bezug zum Landleben. Sie können ren. Nach dem ersten schmetternden Einsatz der Hörner leistet sich Beethoven im heutigen Konzert also entscheiden, ob Sie Beethovens musi- einen seiner typischen Scherze: Die Oboe setzt mit ihrer tänzerischen Melodie kalische Urlaubspostkarten als solche hören möchten – oder leider einen Schlag zu früh ein – was auch die energischen Basstöne des Fagotts als Spiegel eigener Erinnerungen, Stimmungen und Gefühle. nicht auffangen können – und simuliert so einen Amateur-Dorfmusikus. CLEMENS MATUSCHEK
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