Central Pattern Generators und ihre Bedeutung für die fötale Motorik
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
16 Originalia Central Pattern Generators und ihre Bedeutung für die fötale Motorik Central Pattern Generators and Their Significance for the Foetal Motor Function Autoren C. Einspieler, P. B. Marschik Institut Institut für Physiologie, Zentrum für Physiologische Medizin, Medizinische Universität Graz, Österreich Schlüsselwörter Zusammenfassung Abstract ●▶ General Movements ▼ ▼ ●▶ Hirnläsion Auch wenn die Existenz der Central Pattern Although evidence for the existence of endoge- ●▶ Lokomotion Generators (CPGs) schon seit Ende des 19. nously generated motor activity goes back to ex- ●▶ Modulation Jahrhunderts bekannt ist, ist man noch immer periments conducted more than a century ago, ●▶ neuronales Netzwerk ●▶ Spontanbewegungen weit davon entfernt, die präzise Funktion die- a lot remains to be learnt about the fascinating ser faszinierenden neuronalen Netzwerke zu network that is the central pattern generator Key words verstehen. CPGs generieren endogen – in der (CPG). CPGs are neuronal circuits that can produ- ●▶ brain lesion Abwesenheit oszillatorischer Inputs – rhythmi- ce rhythmic motor patterns in the absence of os- ●▶ general movements sche Bewegungsmuster. Einige CPGs sind kon- cillatory input. Some CPGs operate continuously ●▶ locomotion tinuierlich aktiv, wie zum Beispiel der CPG für (e. g., breathing movements); others are activa- ●▶ modulation den Atemrhythmus; andere CPGs (wie jene für ted to perform specific behavioural tasks (e. g., ●▶ neuronal network Lokomotion oder rhythmische Aktivitäten der locomotion). In order to lend flexibility to the ●▶ spontaneous movements Nahrungsaufnahme) müssen erst neuronal und/ motor output, supraspinal projections activate, oder hormonell getriggert werden. Damit rhyth- inhibit, and, most of all, modulate the CPG activi- misches Verhalten an die Umgebungsbedingun- ty, as does the sensory feedback. Embryonic and gen angepasst werden kann, bedarf es modulie- foetal motor patterns have all the characteristics render Inputs von supraspinalen Strukturen und of being endogenously generated. At no other der Peripherie. In der frühesten Entwicklung stage of development is the neural structure so erzeugen die noch unreifen CPGs spontane em- closely related to its own function. It only takes bryonale/fötale Bewegungen, die ihrerseits die a few neurons to generate basic movements, Reifung der sich entwickelnden Strukturen ge- which are, in turn, necessary for further develop- währleisten. Die Beurteilung früher fötaler und ment of the structure. Apart from the general in- neonataler Bewegungen ist von klinischer Rele- terest in the evolution of early motor activity, the Bibliografie vanz, da Hirnläsionen den modulierenden Input observation and assessment of spontaneous foe- DOI http://dx.doi.org/ auf den CPG reduzieren. Die daraus resultierende tal and neonatal motility has also clinical impli- 10.1055/s-0031-1286264 Monotonie der Bewegungen ist ein zuverlässiges cations, since a reduced CPG modulation results Online-Publikation: 27.12.2011 Zeichen neurologischer Beeinträchtigung. in less variable movements and indicates foetal Klin Neurophysiol 2012; or neonatal compromise. 43: 16–21 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York Central Pattern Generators (zentrale Musterge- ben: bei Amphibien und Vögeln ist es vor allem ISSN 1434-0275 neratoren; CPGs) sind neuronale Verschaltungen, das androgenabhängige Vokalisieren [4]; beim Korrespondenzadresse die in der Abwesenheit jeglicher oszillatorischer Menschen ist es das sogenannte kanonische Lal- Ao. Univ. Prof. Dr. C. Einspieler Inputs rhythmische Bewegungsmuster generie- len, darunter versteht man frühkindliches Voka- Institut für Physiologie ren. Einige CPGs sind kontinuierlich aktiv, wie lisieren wie zum Beispiel/mama/oder/dadadada/ Zentrum für Physiologische zum Beispiel der CPG für den Atemrhythmus [1]; [5]. Bei Vertebraten sind die CPGs im Hirnstamm Medizin andere müssen erst neuronal und/oder hormo- oder Rückenmark lokalisiert. Glutamat, GABA Medizinische Universität Graz nell getriggert werden. Beispiele dafür sind die und Glyzin sind die CPG relevanten Neurotrans- Harrachgaße 21 CPGs für Lokomotion (Gehen, Schwimmen, Hüp- mitter; als Neuromodulatoren werden vor allem 8010 Graz Österreich fen, Fliegen) oder für Nahrungsaufnahme (Sau- Dopamin, Serotonin (5-HT), aber auch Neuroten- christa.einspieler@medunigraz.at gen, Lecken, Kauen) [2, 3]. Auch das rhythmische sin, Somatostatin, und Tachykinine (vor allem peter.marschik@medunigraz.at Vokalisieren wird bestimmten CPGs zugeschrie- Substanz P) genannt [6]. Einspieler C, Marschik PB. Central Pattern Generators und … Klin Neurophysiol 2012; 43: 16–21
Originalia 17 Wie funktioniert ein Central Pattern Generator? nicht oszillatorisch feuern würden, rhythmische Aktivität ge- ▼ nerieren [9]. Dieser Mechanismus kommt vor allem dann CPGs bestehen entweder (a) aus Neuronen (Renshaw Zellen, Ia zum Tragen, wenn die durch den CPG generierte Aktivität Interneuronen, Motoneuronen [7]), die von sich aus und in der kontinuierlich ist, zum Beispiel Atembewegungen [1]. Abwesenheit von synaptischen Interaktionen rhythmische Akti- (2) Ein Rhythmus entsteht erst durch die synaptische Verbin- vität generieren (●▶ Abb. 1a); oder (b) aus einem Netzwerk von dung von Neuronen, die isoliert nicht rhythmisch feuern Neuronen, die isoliert tonische Spikes generieren und erst in ih- würden (● ▶ Abb. 2b) [9]. Dabei spielt reziproke Hemmung rem synaptischen Zusammenspiel zu einer rhythmischen Akti- eine entscheidende Rolle, wobei der Übergang von Aktivie- vität gelangen (●▶ Abb. 1b) [2, 8]. Das Timing eines CPGs hängt rung zur Hemmung (oder umgekehrt) unterschiedliche Me- von den intrinsischen Eigenschaften der einzelnen Neuronen ab, chanismen hat: (a) ein Neuron mit Adaptation für die Spike- aber auch von den Eigenschaften ihrer synaptischen Verschal- Häufigkeit hört zu feuern auf und beendet damit die Hem- tungen. Im Wesentlichen gibt es 2 Mechanismen für die Gene- mung des anderen Neurons; oder (b) das inhibierte Neuron rierung von rhythmischen Bewegungen: kommt durch Änderung seiner Membraneigenschaften aus (1) Ein Netzwerk wird durch einen Schrittmacher angetrieben dieser Hemmung heraus und inhibiert nun seinerseits das (●▶ Abb. 2a). Dabei agieren ein oder auch mehrere Neuronen eben noch feuernde Neuron [10]. Letzterer Mechanismus als Core-Oszillator und bewirken, dass Neuronen, die an sich spielt vor allem bei der Lokomotion eine Rolle. Die ersten Experimente, um CPGs nachzuweisen, wurden an de- a Abb. 1a Rhythmische afferentierten Tieren durchgeführt. So konnte Wilson z. B. zei- Aktivität entsteht gen, dass eine de-afferentierte Heuschrecke rhythmische Flug- Spannung durch die intrinsischen bewegungen macht, wenn man sie nicht-rhythmisch stimuliert Eigenschaften eines [11]. Die stärksten Argumente für die Existenz von CPGs kom- Neurons. men sicherlich von jenen Experimenten, bei denen man ein Zeit Stück Nervensystem isoliert und in eine physiologische Koch- salzlösung legt. Unter diesen Bedingungen gibt es weder senso- b Abb. 1b Rhythmische Aktivität ist die Folge einer synaptischen Interaktion von Neuronen, die isoliert Spannung Spannung nur tonische Spikes generieren (schematische Darstellungen; mit Erlaubnis von [2]). Zeit Zeit a Schrittmacher Abb. 2a Das Schrittmacher-Neuron (rot) kann durch synaptische Verschaltung einen Antagonis- nicht gekoppelt gekoppelt ten (grün), der an und für sich nicht rhythmisch Spannung Spannung feuern würde, dazu bringen, alternierend zum Schrittmacher-Neuron rhythmisch zu feuern. Zeit Zeit Abb. 2b Rhythmische Aktivität entsteht erst durch b Reziproke Hemmung die synaptische Verbindung von Neuronen, die nicht gekoppelt isoliert nicht rhythmisch feuern. Ihre rhythmisch gekoppelt alternierenden Entladungen sind eine Folge rezip- Spannung Spannung roker Hemmung (schematische Darstellungen; mit Erlaubnis von [9]). Zeit Zeit Einspieler C, Marschik PB. Central Pattern Generators und … Klin Neurophysiol 2012; 43: 16–21
18 Originalia rische Afferenzen noch zeitgebende Information aus der Umge- können ihrerseits wieder moduliert werden, womit wesentlich bung. Auf diese Weise hat man sogenannte fictive motor pat- mehr Variabilität und Flexibilität in einem mehr oder weniger terns (fiktive Bewegungsmuster) nachgewiesen, die von der Pe- rhythmischen Verhalten entsteht [6]. Für die Anpassung des Ver- ripherie ausgeführt würden, wäre eine solche vorhanden. Erich haltens an die Umgebungsbedingungen ist natürlich auch das von Holst demonstrierte schon 1939 an isolierten Regenwurm- Feedback der sensorischen Afferenzen auf den CPG essentiell segmenten Entladungen, die jenen eines intakten kriechenden (● ▶ Abb. 3a) [13]. Wurms entsprachen und nannte diesen Mechanismus „zentrale Automatie“ [12]. Bei all diesen Experimenten hat sich aber auch gezeigt, dass es bestimmter Neuromodulatoren bedarf, die im Spinale Central Pattern Generators und Lokomotion intakten Organismus über absteigende Bahnen auf den CPG ein- ▼ wirken, um rhythmisch generierte Aktivität zu modulieren und Schon vor 100 Jahren haben Sherrington’s Ergebnisse an Spinal- damit das Verhalten an Umgebungsbedingungen anpassen [9]. präparaten von Katzen und Hunden gezeigt, dass das isolierte Rückenmark in der Lage ist, Schreitbewegungen zu generieren [14]. Sein Mitarbeiter Graham Brown konnte damals bereits Die Variabilität innerhalb der rhythmischen Aktivität nachweisen, dass de-zerebrierte de-afferentierte Katzen, soge- ▼ nannte Tx-Katzen, in der Abwesenheit von jeglichem sensori- Es ist grundsätzlich möglich, dass dieselben Neuronen oder Neu- schen Input Schreitbewegungen ausführen. Damit hatte er be- ronengruppen mehreren CPGs zugehörig sind [9]. Somit kann reits 1914 die Hypothese, dass Lokomotion nur auf Kettenrefle- ein Netzwerk von CPGs unterschiedlichstes Verhalten generie- xen beruhen würde (● ▶ Abb. 4a), zurückgewiesen [15]. Zur Er- ren oder auch ein und dasselbe Verhalten modulieren (z. B. die klärung seiner Ergebnisse hat Graham Brown ein half-center Anpassung des Gangmusters an unterschiedliche Bodenbedin- oscillator Modell vorgeschlagen: 2 (Inter)neuronen(gruppen) in- gungen). Die Modulation kann dabei nicht nur im CPG Netzwerk hibieren einander reziprok und generieren damit den Basis- selbst erfolgen (entweder direkt in den beteiligten Motoneuro- rhythmus fürs Gehen (● ▶ Abb. 2b; ● ▶ Abb. 4b). Etwa 50 Jahre nen oder in jenen Neuronen, die die rhythmische Aktivität an später bestätigten Lundberg und Mitarbeiter Graham Brown’s die ausführenden Motoneuronen weiterleiten), sondern auch Modell mithilfe von L-DOPA und Nialamide Injektionen ins Rü- durch die auf den CPG projizierenden absteigenden Bahnen ckenmark von Tx-Katzen [16]. (● ▶ Abb. 3a); bei Säugetieren (und dem Menschen) sind das vor In den 70er Jahren wurde von Grillner und Mitarbeitern das unit allem Projektionen vom Kleinhirn, den Basalganglien und dem burst generator Modell vorgestellt [17], das Lokomotion nicht sensomotorischen Kortex [9]. Die modulierenden Neuronen mehr nur als strenges Alternieren von Flexor- und Extensorak- Abb. 3a Die Aktivität eines Central Pattern Gene- a CPG rators (CPG) wird sowohl durch Inputs aus anderen Teilen des Zentralnervensystems (ZNS) als auch MN durch sensorisches Feedback aus der Peripherie ZNS variable Modulation Modulation moduliert; variables Verhalten bzw. variable Bewe- Muskulatur Bewegung gung entsteht. MN = Motoneuron MN Abb. 3b Im Falle einer Läsion im Zentralnervensys- b CPG tem (ZNS), reduziert sich der modulierende Input auf den CPG; das Verhalten bzw. die Bewegung Läsion im reduzierte MN wird monoton; das wiederum reduziert die Modu- ZNS monotone Modulation reduzierte lation durch sensorisches Feedback. Muskulatur Bewegung MN = Motoneuron. Modulation MN a b CPG Reflex MN IN MN SN SN MN IN MN Abb. 4a Das Kettenreflex-Modell. Sensorische Neuronen (SN) eines kon- Abb. 4b Central Pattern Generator (CPG). Ein zentrales Netzwerk trahierten Muskels projizieren auf Interneuronen (IN), die die Motoneuro- generiert rhythmische Aktivität in den Motoneuronen (MN) von antago- nen (MN) des Antagonisten aktivieren. nistischen Muskeln (mit Erlaubnis von [9]). Einspieler C, Marschik PB. Central Pattern Generators und … Klin Neurophysiol 2012; 43: 16–21
Originalia 19 tivität ansieht, sondern der Tatsache Rechnung trägt, dass be- In der frühesten Entwicklung erzeugen die noch unreifen CPGs stimmte Motoneuronenpools sowohl während der Flexions- als spontane Bewegungen, die ihrerseits die Reifung der neuronalen auch der Extensionsphase eines Schritts aktiv sein können. Das Netzwerke gewährleisten [19–21]. Besonders die axonale Ziel- unit burst generator Modell nimmt getrennte Module an, deren führung aber auch die Feinabstimmung der synaptischen Ver- Aktivität einerseits während der Lokomotion eng gekoppelt bindungen sind aktivitätsabhängig. Wenn man zum Beispiel bei wird, andererseits durch supraspinalen Input individuell kon- Hühnerembryonen Glyzin- und GABA-hältige Synapsen blo- trolliert werden kann, um eine gewisse Variabilität zu gewähr- ckiert, verändert man die Spontanaktivität so, dass sogenannte leisten. In der Folge wurden noch einige andere Modelle zur Er- pathfinding errors (fehlerhafte axonale Zielführungen) passie- klärung der zentral generierten Aktivität präsentiert, die alles- ren, die zu fehlplazierten Somata von Motoneuronen führen amt zwar nicht widerlegt wurden, aber auch keinen Konsens [20]. Durch experimentelle Wiederaufnahme eines normalen erhielten. In jedem Fall ist ein CPG im intakten Organismus we- Aktivitätsniveaus werden diese Errors jedoch wieder korrigiert, sentlich komplexer als er von einem Modell dargestellt werden was den dynamischen Prozess dieser frühen Funktions-Struk- kann [7]. tur-Beziehung unterstreicht [22]. Von pharmakologischen Experimenten an in vitro Präparaten Auch der genetisch programmierte Zelltod der Motoneuronen oder Tx-Katzen, -Ratten und –Mäusen wissen wir, dass vor allem ist stark von der CPG Aktivität abhängig. Immobilisiert man das noradrenerge und adrenerge System aber auch Serotonin Hühnerembryonen, kommt es aufgrund eines stark reduzierten und seine Agonisten, NMDA, sowie Dopamin für die Lokomo- programmierten Zelltodes zu einer pathologischen Erhöhung tionsrhythmen eine Rolle spielen [6, 7, 16]. der Anzahl der Motoneuronen. Stoppt man dann die Applikation des immobilisierenden Agens, erhöht sich die Motilität wieder und das Zuviel an Motoneuronen erfährt einen verspäteten Zell- Die Funktion der Central Pattern Generators während tod, der dann aber mehr Motoneuronen betrifft als dies norma- der Entwicklung lerweise der Fall ist [23]. ▼ Zu einer Verzögerung im physiologischen Abbau der frühen Der Physiologe William T. Preyer war der erste, der die embryo- multiplen motorischen Endplatten zum Beispiel bei jungen Rat- nale Aktivität einem endogenen Rhythmusgenerator zuge- ten kommt es durch Sehnendurchtrennung und die damit aus- schrieben hatte [18]. Schon 1885 beobachtete er, dass sich Hüh- gelöste Immobilität [24]. Umgekehrt, wird dieser Abbau be- nerembryonen bewegen bevor die sensorische Afferenz den Re- schleunigt, wenn man die Muskelaktivität durch elektrische flexbogen schließt. Inzwischen hat eine Vielzahl an Studien über Stimulierung erhöht [25]. Im letzteren Fall spielt aber sicher embryonales/fötales Verhalten diese ersten Beobachtungen be- auch die erhöhte Ausschüttung proteolytischer Enzyme für die stätigt [19]. Heute weiss man, dass die embryonale/fötale Moto- Reduktion von überflüssigen motorischen Endplatten und deren rik notwendig ist, damit sich Skelett-, muskuläres und Nerven- Innervierung eine Rolle. system angemessen entwickeln können – oder umgekehrt: nor- Auch das sich entwickelnde Transmittersystem ist von einer mo- male fötale Entwicklung bedarf einer angemessenen fötalen deraten CPG Aktivität abhängig. Beim Xenopus, zum Beispiel, Motorik. Funktion ist somit ein wesentlicher Bestandteil norma- führt eine Abnahme der frühen Aktivität zu einer vermehrten ler Entwicklung und der pränatale Gebrauch einer noch unreifen Bildung von Neuronen mit erregenden Transmittern und zu ei- Struktur ist für die Ausreifung eben dieser Struktur unumgäng- ner Reduktion der Bildung von Neuronen mit hemmenden lich [19]. Transmittern. Das Umgekehrte ist der Fall, wenn die frühe CPG Aktivität verstärkt wird [26]. • Startles (kurze Zuckungen) • General Movements • Schluckauf • Isolierte Armbewegungen • Isolierte Beinbewegungen • Atembewegungen • Rhythmisches Seitwärtsbewegen des Kopfes • Ante- und Retroflexion des Kopfes • Kieferöffnen • Handbewegungen zum Gesicht (evtl. Daumen zum Mund) • Öffnen und Schließen der Finger • Sich Strecken • Gähnen • Isolierte Fingerbewegungen • Zungenprotrusion • Saugen und Schlucken • Langsame Augenbewegungen • Schnelle Augenbewegungen • Blinzeln 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 Gestationsalter in Wochen Abb. 5 Das erste Auftreten von endogen generierten Bewegungsmustern beim menschlichen Fötus [19]. Einspieler C, Marschik PB. Central Pattern Generators und … Klin Neurophysiol 2012; 43: 16–21
20 Originalia Die endogen generierte humane Fötalmotorik dikamenten oder Drogen ausgesetzt waren, Föten von diabeti- ▼ schen Müttern, oder wachstumsretardierten Föten [33]. Die embryonale/fötale Motorik hat alle Charakteristika von CPG Insofern läßt sich die Kenntnis der CPG Aktivität und ihrer (re- Aktivität. In diesem Zusammenhang sind vor allem fötale Atem- duzierten) Modulation als funktionelle neurologische Untersu- bewegungen zu nennen, die beim menschlichen Fötus erstmals chung des sehr jungen Nervensystems zuverlässig einsetzen zwischen der 8. und 12. Gestationswoche zu beobachten sind [19, 29]. Bestimmte abnormale general movements sagen äu- (●▶ Abb. 5) [19]. Sie sind essentiell für die Entwicklung des Lun- ßerst valide spätere neurologische Beeinträchtigungen voraus gengewebes aber auch für die Lungenreifung. Die Differenzie- und ermöglichen somit eine gezielte Frühtherapie [29]. rung von Typ I und Typ II Pneumozyten geschieht zum Beispiel nur, wenn Atembewegungen in einem ausgewogenen Ausmaß Danksagung vorhanden sind [27]. ▼ Ab der 14. Gestationswoche hat der menschliche Fötus Saug- Wir bedanken uns bei Ing. Gunter Vogrinec für die Erstellung der und Schluckbewegungen (● ▶ Abb. 5) [19]. Neben der Regulation Abbildungen. des Fruchtwassers, sind diese Bewegungen notwendig, damit Unterstützt von: Fonds zur Förderung der Wissenschaftlichen sich die Kiefer adäquat formen, aber auch für die Feinabstim- Forschung (FWF-P19581-B02), Franz-Lanyar Stiftung (P325, mung der neuronalen Innervation des Gastrointestinaltrakts P337), Theodor Körner Fonds, Land Steiermark und Stadt Graz. [28]. ●▶ Abb. 5 zeigt das (mittels wöchentlicher Ultraschallun- tersuchungen erhobene) erste Auftreten weiterer zentral ge- Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass keine Interes- nierter fötaler Bewegungsmuster [19]. Besonders erwähnens- senkonflikt bestehen. wert sind dabei die sogenannten general movements. Während der oft bis zu einigen Minuten dauernden general movements Literatur ist der ganze Körper in Bewegung. Aufgrund des modulierenden 1 Smith JC, Ellenberger HH, Ballanyi K et al. Pre-Bötzinger complex: a Inputs auf den general movement CPG (der sich hypothetisch im brainstem region that may generate respiratory rhythm in mammals. Science 1991; 254: 726–729 Hirnstamm befindet) ist die Sequenz der einzelnen Bewegungs- 2 Marder E, Bucher D, Schulz DJ et al. Invertebrate central pattern gene- komponenten in Armen, Beinen, Nacken und Rumpf äußerst va- ration moves along. Curr Biol 2005; 15: R685–R699 riabel. Zudem variieren Intensität, Geschwindigkeit, Amplitude 3 Guertin PA, Steuer I. Key central pattern generators of the spinal cord. und räumliche Ausrichtung der einzelnen Komponenten. Der J Neurosci Res 2009; 87: 2399–2405 4 Bass AH, Remage-Healey L. Central pattern generators for social vo- Anfang und das Ende der general movements sind fließend und calization: androgen-dependent neurophysiological mechanisms. nur sehr selten abrupt; den komplexen Extensions- und Horm Behav 2008; 53: 659–672 Flexionsbewegungen sind elegante Rotationen überlagert [29]. 5 Barlow SM, Lund JP, Estep M et al. Central pattern generators for oro- Diese endogen generierten Bewegungen dauern auch nach der facial movements and speech. In: Brudzynski SM. (eds.). Handbook of Mammalian Vocalization. Oxford Academic Press, 2009; 351–370 Geburt an, und zwar bis zum 5. Lebensmonat. Zu diesem Zeit- 6 Dickinson PS. Neuromodulation of central pattern generators in in- punkt dominiert die Willkürmotorik, die sich ab dem 3. Lebens- vertebrates and vertebrates. Curr Opin Neurobiol 2006; 16: 604–614 monat zu entwickeln beginnt [30]. Die klinische Beurteilung 7 Guertin PA. The mammalian central pattern generator for locomotion. Brain Res Rev 2009; 62: 45–56 dieser general movements ist ein etabliertes Verfahren inner- 8 Marder E, Calabrese RL. Principles of rhythmic motor pattern gene- halb der neurologischen Untersuchung des Früh- und Neugebo- ration. Physiol Rev 1996; 76: 687–717 renen sowie des jungen Säuglings [29] und stützt sich auf die 9 Marder A, Bucher D. Central pattern generators and the control of Kenntnis der normal modulierten CPG Aktivität bzw. der Reduk- rhythmic movements. Curr Biol 2001; 11: R986–R996 10 Wang XJ, Rinzel J. Alternating and synchronous rhythms in recipro- tion dieser Modulation. cally inhibitory model neurons. Neural Comp 1992; 4: 84–97 11 Wilson D. The central nervous control of locust flight. J Exp Biol 1961; 38: 471–490 Hirnläsionen reduzieren die Modulation der CPG 12 von Holst E. Die relative Koordination als Phänomen und Methode zentralnervöser Funktionsanalyse. In: Asher L, Spiro K. (eds.). Ergebnisse Aktivität der Physiologie. München: Bergmann; 1939; 228–306 ▼ 13 Hultborn H, Nielsen JB. Spinal control of locomotion – from cat to Beobachtungen an anencephalen Föten implizieren, dass der man. Acta Physiol 2007; 189: 111–121 14 Sherrington CS. Flexion reflex of the limb, crossed extension reflex, CPG für general movements im Hirnstamm angenommen wer- and reflex stepping and standing. J Physiol 1910; 40: 28–121 den kann. Fehlen die rostralen Strukturen, sind die general mo- 15 Graham Brown T. On the nature of the fundamental activity of the vements abrupt, exzessiv und völlig monoton [31, 32]; man nervous centres, together with an analysis of the conditioning of könnte auch sagen, sie sind Ausdruck unmodulierter CPG Aktivi- rhythmic activity in progression, and a theory of the evolution of function in the nervous system. J Physiol 1914; 48: 18–46 tät. In einem intakten Nervensystem, modulieren – wie schon 16 Jankowska E, Jukes MG, Lund S et al. The effect of DOPA on the spinal oben gesagt – Inputs aus anderen supraspinalen Hirnregionen cord. 5. Reciprocal organization of pathways transmitting excitatory sowie das sensorische Feedback aus der Peripherie die CPG Ak- action to alpha motoneurons of flexors and extensors. Acta Physiol tivität (● ▶ Abb. 3a). Eine Hirnläsion (wie z. B. periventrikuläre Scand 1967; 70: 369–388 17 Grillner S, Zangger P. Locomotor movements generated by the deaf- Leukomalazie, Hirnblutung, Basalganglienläsion oder cerebellä- ferented spinal cord. Acta Physiol Scand 1974; 91: 38A–39A re Läsion) reduziert den modulierenden Input auf den CPG 18 Preyer WT. Spezielle Physiologie des Embryo. Leipzig: Grieben; 1885 (●▶ Abb. 3b) und die general movements verlieren ihre Variabili- 19 Einspieler C, Prayer D, Prechtl HFR. Fetal Behaviour: A Neurodeve- lopmental Approach. London: MacKeith Press, distributed by tät [29]. Das trifft nicht nur auf die Spontanbewegungen des Wiley; 2011 Neugeborenen und jungen Säuglings zu, sondern auch auf die 20 Hanson MG, Landmesser LT. Normal patterns of spontaneous activity Fötalmotorik. Monotone, fragmentierte, eckige, abrupte fötale are required for correct motor axon guidance and the expression of general movements sieht man daher bei Föten mit erworbener specific guidance molecules. Neuron 2004; 43: 687–701 21 Marder E, Rehm KJ. Development of central pattern generating Hirnläsion, aber auch bei Föten, die plazentadurchgängigen Me- circuits. Curr Opin Neurobiol 2005; 15: 86–93 Einspieler C, Marschik PB. Central Pattern Generators und … Klin Neurophysiol 2012; 43: 16–21
Originalia 21 22 Hanson MG, Landmesser LT. Increasing the frequency of spontaneous 28 Grassi R, Farina R, Floriani I et al. Assessment of fetal swallowing with rhythmic activity disrupt pool-specific axon fasciculation and path- gray-scale and color Doppler sonography. Am J Radiol 2005; 185: finding of embryonic spinal motoneurons. J Neurosci 2006; 26: 1322–1327 12769–12780 29 Einspieler C, Prechtl HFR. Prechtl’s assessment of general movements: 23 Oppenheim RW, Calderó J, Cuitat D et al. Rescue of developing spinal a diagnostic tool for the functional assessment of the young nervous motoneurons from programmes cell death by the GABA A agonist mus- system. Ment Retard Dev Disabil Res Rev 2005; 11: 61–67 cimol acts by blockade of neuromuscular activity and increased in- 30 Einspieler C, Marschik PB, Prechtl HFR. Human motor behaviour. Pre- tramuscular nerve branching. Mol Cell Neurosci 2003; 22: 331–343 natal origin and early postnatal development. Z Psychol 2008; 216: 24 Benoit P, Changeux JP. Consequences of tenotomy on the evolution of 148–154 multi-innervation in developing rat soleus muscle. Brain Res 1975; 31 Visser GHA, Laurini RN, de Vries JIP et al. Abnormal motor behaviour 99: 354–358 in anencephalic fetuses. Early Hum Dev 1985; 12: 173–182 25 O’Brien RAD, Ôstberg AJC, Vrbová G. Observations on the elimination 32 Ferrari F, Prechtl HFR, Cioni G et al. Posture, spontaneous movements, of polyneural innervation in developing mammalian skeletal muscle. and behavioural state organisation in infants affected by brain mal- J Physiol 1978; 282: 571–582 formation. Early Hum Dev 1997; 50: 87–113 26 Borodinsky LN, Root CM, Cronin JA et al. Activity-dependent homeo- 33 Prechtl HFR, Einspieler C. Is neurological assessment of the fetus pos- static specification of transmitter expression in embryonic neurons. sible? Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol 1997; 75: 81–84 Nature 2004; 429: 523–530 27 Inanlou MR, Baguma-Nibasheka M, Kablar B. The role of fetal brea- thing-like movements in lung organogenesis. Histol Histopathol 2005; 20: 1261–1266 Einspieler C, Marschik PB. Central Pattern Generators und … Klin Neurophysiol 2012; 43: 16–21
Sie können auch lesen