Central Pattern Generators und ihre Bedeutung für die fötale Motorik

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16 Originalia

   Central Pattern Generators und ihre Bedeutung für die
   fötale Motorik
   Central Pattern Generators and Their Significance for the Foetal Motor
   Function

   Autoren                             C. Einspieler, P. B. Marschik

   Institut                             Institut für Physiologie, Zentrum für Physiologische Medizin, Medizinische Universität Graz, Österreich

   Schlüsselwörter                     Zusammenfassung                                                  Abstract
   ●▶ General Movements                ▼                                                                ▼
   ●▶ Hirnläsion
                                       Auch wenn die Existenz der Central Pattern                       Although evidence for the existence of endoge-
   ●▶ Lokomotion
                                       Generators (CPGs) schon seit Ende des 19.                        nously generated motor activity goes back to ex-
   ●▶ Modulation
                                       Jahrhunderts bekannt ist, ist man noch immer                     periments conducted more than a century ago,
   ●▶ neuronales Netzwerk

   ●▶ Spontanbewegungen                weit davon entfernt, die präzise Funktion die-                   a lot remains to be learnt about the fascinating
                                       ser faszinierenden neuronalen Netzwerke zu                       network that is the central pattern generator
   Key words                           verstehen. CPGs generieren endogen – in der                      (CPG). CPGs are neuronal circuits that can produ-
   ●▶ brain lesion                     Abwesenheit oszillatorischer Inputs – rhythmi-                   ce rhythmic motor patterns in the absence of os-
   ●▶ general movements                sche Bewegungsmuster. Einige CPGs sind kon-                      cillatory input. Some CPGs operate continuously
   ●▶ locomotion
                                       tinuierlich aktiv, wie zum Beispiel der CPG für                  (e. g., breathing movements); others are activa-
   ●▶ modulation
                                       den Atemrhythmus; andere CPGs (wie jene für                      ted to perform specific behavioural tasks (e. g.,
   ●▶ neuronal network
                                       Lokomotion oder rhythmische Aktivitäten der                      locomotion). In order to lend flexibility to the
   ●▶ spontaneous movements
                                       Nahrungsaufnahme) müssen erst neuronal und/                      motor output, supraspinal projections activate,
                                       oder hormonell getriggert werden. Damit rhyth-                   inhibit, and, most of all, modulate the CPG activi-
                                       misches Verhalten an die Umgebungsbedingun-                      ty, as does the sensory feedback. Embryonic and
                                       gen angepasst werden kann, bedarf es modulie-                    foetal motor patterns have all the characteristics
                                       render Inputs von supraspinalen Strukturen und                   of being endogenously generated. At no other
                                       der Peripherie. In der frühesten Entwicklung                     stage of development is the neural structure so
                                       erzeugen die noch unreifen CPGs spontane em-                     closely related to its own function. It only takes
                                       bryonale/fötale Bewegungen, die ihrerseits die                   a few neurons to generate basic movements,
                                       Reifung der sich entwickelnden Strukturen ge-                    which are, in turn, necessary for further develop-
                                       währleisten. Die Beurteilung früher fötaler und                  ment of the structure. Apart from the general in-
                                       neonataler Bewegungen ist von klinischer Rele-                   terest in the evolution of early motor activity, the
   Bibliografie                        vanz, da Hirnläsionen den modulierenden Input                    observation and assessment of spontaneous foe-
   DOI http://dx.doi.org/              auf den CPG reduzieren. Die daraus resultierende                 tal and neonatal motility has also clinical impli-
   10.1055/s-0031-1286264              Monotonie der Bewegungen ist ein zuverlässiges                   cations, since a reduced CPG modulation results
   Online-Publikation: 27.12.2011      Zeichen neurologischer Beeinträchtigung.                         in less variable movements and indicates foetal
   Klin Neurophysiol 2012;                                                                              or neonatal compromise.
   43: 16–21
   © Georg Thieme Verlag KG
   Stuttgart · New York
                                       Central Pattern Generators (zentrale Musterge-                   ben: bei Amphibien und Vögeln ist es vor allem
   ISSN 1434-0275
                                       neratoren; CPGs) sind neuronale Verschaltungen,                  das androgenabhängige Vokalisieren [4]; beim
   Korrespondenzadresse
                                       die in der Abwesenheit jeglicher oszillatorischer                Menschen ist es das sogenannte kanonische Lal-
   Ao. Univ. Prof. Dr. C. Einspieler   Inputs rhythmische Bewegungsmuster generie-                      len, darunter versteht man frühkindliches Voka-
   Institut für Physiologie            ren. Einige CPGs sind kontinuierlich aktiv, wie                  lisieren wie zum Beispiel/mama/oder/dadadada/
   Zentrum für Physiologische          zum Beispiel der CPG für den Atemrhythmus [1];                   [5]. Bei Vertebraten sind die CPGs im Hirnstamm
   Medizin                             andere müssen erst neuronal und/oder hormo-                      oder Rückenmark lokalisiert. Glutamat, GABA
   Medizinische Universität Graz       nell getriggert werden. Beispiele dafür sind die                 und Glyzin sind die CPG relevanten Neurotrans-
   Harrachgaße 21
                                       CPGs für Lokomotion (Gehen, Schwimmen, Hüp-                      mitter; als Neuromodulatoren werden vor allem
   8010 Graz
   Österreich
                                       fen, Fliegen) oder für Nahrungsaufnahme (Sau-                    Dopamin, Serotonin (5-HT), aber auch Neuroten-
   christa.einspieler@medunigraz.at    gen, Lecken, Kauen) [2, 3]. Auch das rhythmische                 sin, Somatostatin, und Tachykinine (vor allem
   peter.marschik@medunigraz.at        Vokalisieren wird bestimmten CPGs zugeschrie-                    Substanz P) genannt [6].

   Einspieler C, Marschik PB. Central Pattern Generators und … Klin Neurophysiol 2012; 43: 16–21
Originalia 17

Wie funktioniert ein Central Pattern Generator?                                                   nicht oszillatorisch feuern würden, rhythmische Aktivität ge-
▼                                                                                                 nerieren [9]. Dieser Mechanismus kommt vor allem dann
CPGs bestehen entweder (a) aus Neuronen (Renshaw Zellen, Ia                                       zum Tragen, wenn die durch den CPG generierte Aktivität
Interneuronen, Motoneuronen [7]), die von sich aus und in der                                     kontinuierlich ist, zum Beispiel Atembewegungen [1].
Abwesenheit von synaptischen Interaktionen rhythmische Akti-                                   (2) Ein Rhythmus entsteht erst durch die synaptische Verbin-
vität generieren (●▶ Abb. 1a); oder (b) aus einem Netzwerk von                                    dung von Neuronen, die isoliert nicht rhythmisch feuern
Neuronen, die isoliert tonische Spikes generieren und erst in ih-                                 würden (●  ▶ Abb. 2b) [9]. Dabei spielt reziproke Hemmung

rem synaptischen Zusammenspiel zu einer rhythmischen Akti-                                        eine entscheidende Rolle, wobei der Übergang von Aktivie-
vität gelangen (●▶ Abb. 1b) [2, 8]. Das Timing eines CPGs hängt                                   rung zur Hemmung (oder umgekehrt) unterschiedliche Me-
von den intrinsischen Eigenschaften der einzelnen Neuronen ab,                                    chanismen hat: (a) ein Neuron mit Adaptation für die Spike-
aber auch von den Eigenschaften ihrer synaptischen Verschal-                                      Häufigkeit hört zu feuern auf und beendet damit die Hem-
tungen. Im Wesentlichen gibt es 2 Mechanismen für die Gene-                                       mung des anderen Neurons; oder (b) das inhibierte Neuron
rierung von rhythmischen Bewegungen:                                                              kommt durch Änderung seiner Membraneigenschaften aus
(1) Ein Netzwerk wird durch einen Schrittmacher angetrieben                                       dieser Hemmung heraus und inhibiert nun seinerseits das
   (●▶ Abb. 2a). Dabei agieren ein oder auch mehrere Neuronen                                     eben noch feuernde Neuron [10]. Letzterer Mechanismus
   als Core-Oszillator und bewirken, dass Neuronen, die an sich                                   spielt vor allem bei der Lokomotion eine Rolle.
                                                                                               Die ersten Experimente, um CPGs nachzuweisen, wurden an de-
  a                                                    Abb. 1a Rhythmische                     afferentierten Tieren durchgeführt. So konnte Wilson z. B. zei-
                                                       Aktivität entsteht                      gen, dass eine de-afferentierte Heuschrecke rhythmische Flug-
              Spannung

                                                       durch die intrinsischen                 bewegungen macht, wenn man sie nicht-rhythmisch stimuliert
                                                       Eigenschaften eines                     [11]. Die stärksten Argumente für die Existenz von CPGs kom-
                                                       Neurons.                                men sicherlich von jenen Experimenten, bei denen man ein
                                        Zeit                                                   Stück Nervensystem isoliert und in eine physiologische Koch-
                                                                                               salzlösung legt. Unter diesen Bedingungen gibt es weder senso-

  b                                                                                                                     Abb. 1b Rhythmische Aktivität ist die Folge einer
                                                                                                                        synaptischen Interaktion von Neuronen, die isoliert
                  Spannung

                                                                     Spannung

                                                                                                                        nur tonische Spikes generieren (schematische
                                                                                                                        Darstellungen; mit Erlaubnis von [2]).

                                               Zeit

                                                                                                              Zeit

 a                                              Schrittmacher                                                           Abb. 2a Das Schrittmacher-Neuron (rot) kann
                                                                                                                        durch synaptische Verschaltung einen Antagonis-
  nicht
  gekoppelt                                             gekoppelt                                                       ten (grün), der an und für sich nicht rhythmisch
                             Spannung

                                                                            Spannung

                                                                                                                        feuern würde, dazu bringen, alternierend zum
                                                                                                                        Schrittmacher-Neuron rhythmisch zu feuern.

                                                Zeit                                                          Zeit

                                                                                                                        Abb. 2b Rhythmische Aktivität entsteht erst durch
 b                                       Reziproke Hemmung
                                                                                                                        die synaptische Verbindung von Neuronen, die
  nicht                                                  gekoppelt                                                      isoliert nicht rhythmisch feuern. Ihre rhythmisch
  gekoppelt
                                                                                                                        alternierenden Entladungen sind eine Folge rezip-
                             Spannung

                                                                           Spannung

                                                                                                                        roker Hemmung (schematische Darstellungen; mit
                                                                                                                        Erlaubnis von [9]).

                                                Zeit
                                                                                                              Zeit

                                                                                 Einspieler C, Marschik PB. Central Pattern Generators und … Klin Neurophysiol 2012; 43: 16–21
18 Originalia

   rische Afferenzen noch zeitgebende Information aus der Umge-                        können ihrerseits wieder moduliert werden, womit wesentlich
   bung. Auf diese Weise hat man sogenannte fictive motor pat-                        mehr Variabilität und Flexibilität in einem mehr oder weniger
   terns (fiktive Bewegungsmuster) nachgewiesen, die von der Pe-                      rhythmischen Verhalten entsteht [6]. Für die Anpassung des Ver-
   ripherie ausgeführt würden, wäre eine solche vorhanden. Erich                      haltens an die Umgebungsbedingungen ist natürlich auch das
   von Holst demonstrierte schon 1939 an isolierten Regenwurm-                        Feedback der sensorischen Afferenzen auf den CPG essentiell
   segmenten Entladungen, die jenen eines intakten kriechenden                        (●
                                                                                       ▶ Abb. 3a) [13].

   Wurms entsprachen und nannte diesen Mechanismus „zentrale
   Automatie“ [12]. Bei all diesen Experimenten hat sich aber auch
   gezeigt, dass es bestimmter Neuromodulatoren bedarf, die im                        Spinale Central Pattern Generators und Lokomotion
   intakten Organismus über absteigende Bahnen auf den CPG ein-                       ▼
   wirken, um rhythmisch generierte Aktivität zu modulieren und                       Schon vor 100 Jahren haben Sherrington’s Ergebnisse an Spinal-
   damit das Verhalten an Umgebungsbedingungen anpassen [9].                          präparaten von Katzen und Hunden gezeigt, dass das isolierte
                                                                                      Rückenmark in der Lage ist, Schreitbewegungen zu generieren
                                                                                      [14]. Sein Mitarbeiter Graham Brown konnte damals bereits
   Die Variabilität innerhalb der rhythmischen Aktivität                              nachweisen, dass de-zerebrierte de-afferentierte Katzen, soge-
   ▼                                                                                  nannte Tx-Katzen, in der Abwesenheit von jeglichem sensori-
   Es ist grundsätzlich möglich, dass dieselben Neuronen oder Neu-                    schen Input Schreitbewegungen ausführen. Damit hatte er be-
   ronengruppen mehreren CPGs zugehörig sind [9]. Somit kann                          reits 1914 die Hypothese, dass Lokomotion nur auf Kettenrefle-
   ein Netzwerk von CPGs unterschiedlichstes Verhalten generie-                       xen beruhen würde (●   ▶ Abb. 4a), zurückgewiesen [15]. Zur Er-

   ren oder auch ein und dasselbe Verhalten modulieren (z. B. die                     klärung seiner Ergebnisse hat Graham Brown ein half-center
   Anpassung des Gangmusters an unterschiedliche Bodenbedin-                          oscillator Modell vorgeschlagen: 2 (Inter)neuronen(gruppen) in-
   gungen). Die Modulation kann dabei nicht nur im CPG Netzwerk                       hibieren einander reziprok und generieren damit den Basis-
   selbst erfolgen (entweder direkt in den beteiligten Motoneuro-                     rhythmus fürs Gehen (●   ▶ Abb. 2b; ● ▶ Abb. 4b). Etwa 50 Jahre

   nen oder in jenen Neuronen, die die rhythmische Aktivität an                       später bestätigten Lundberg und Mitarbeiter Graham Brown’s
   die ausführenden Motoneuronen weiterleiten), sondern auch                          Modell mithilfe von L-DOPA und Nialamide Injektionen ins Rü-
   durch die auf den CPG projizierenden absteigenden Bahnen                           ckenmark von Tx-Katzen [16].
   (●
    ▶ Abb. 3a); bei Säugetieren (und dem Menschen) sind das vor                       In den 70er Jahren wurde von Grillner und Mitarbeitern das unit
   allem Projektionen vom Kleinhirn, den Basalganglien und dem                        burst generator Modell vorgestellt [17], das Lokomotion nicht
   sensomotorischen Kortex [9]. Die modulierenden Neuronen                            mehr nur als strenges Alternieren von Flexor- und Extensorak-

                                                                                                            Abb. 3a Die Aktivität eines Central Pattern Gene-
     a
                                      CPG                                                                   rators (CPG) wird sowohl durch Inputs aus anderen
                                                                                                            Teilen des Zentralnervensystems (ZNS) als auch
                                             MN
                                                                                                            durch sensorisches Feedback aus der Peripherie

     ZNS                                                                                  variable
                      Modulation
                                                     Modulation                                             moduliert; variables Verhalten bzw. variable Bewe-
                                                                  Muskulatur
                                                                                          Bewegung          gung entsteht.
                                                                                                            MN = Motoneuron
                                             MN

                                                                                                            Abb. 3b Im Falle einer Läsion im Zentralnervensys-
     b                                CPG                                                                   tem (ZNS), reduziert sich der modulierende Input
                                                                                                            auf den CPG; das Verhalten bzw. die Bewegung
        Läsion im    reduzierte             MN                                                              wird monoton; das wiederum reduziert die Modu-

     ZNS                                                                                  monotone
                     Modulation
                                                     reduzierte                                             lation durch sensorisches Feedback.
                                                                  Muskulatur
                                                                                          Bewegung          MN = Motoneuron.
                                                    Modulation

                                             MN

    a                                                                                   b CPG
        Reflex
                                                                                                      MN
          IN        MN
                               SN

                               SN
                                                                                                      MN
          IN        MN

    Abb. 4a Das Kettenreflex-Modell. Sensorische Neuronen (SN) eines kon-              Abb. 4b Central Pattern Generator (CPG). Ein zentrales Netzwerk
    trahierten Muskels projizieren auf Interneuronen (IN), die die Motoneuro-          generiert rhythmische Aktivität in den Motoneuronen (MN) von antago-
    nen (MN) des Antagonisten aktivieren.                                              nistischen Muskeln (mit Erlaubnis von [9]).

   Einspieler C, Marschik PB. Central Pattern Generators und … Klin Neurophysiol 2012; 43: 16–21
Originalia 19

tivität ansieht, sondern der Tatsache Rechnung trägt, dass be-               In der frühesten Entwicklung erzeugen die noch unreifen CPGs
stimmte Motoneuronenpools sowohl während der Flexions- als                   spontane Bewegungen, die ihrerseits die Reifung der neuronalen
auch der Extensionsphase eines Schritts aktiv sein können. Das               Netzwerke gewährleisten [19–21]. Besonders die axonale Ziel-
unit burst generator Modell nimmt getrennte Module an, deren                 führung aber auch die Feinabstimmung der synaptischen Ver-
Aktivität einerseits während der Lokomotion eng gekoppelt                    bindungen sind aktivitätsabhängig. Wenn man zum Beispiel bei
wird, andererseits durch supraspinalen Input individuell kon-                Hühnerembryonen Glyzin- und GABA-hältige Synapsen blo-
trolliert werden kann, um eine gewisse Variabilität zu gewähr-               ckiert, verändert man die Spontanaktivität so, dass sogenannte
leisten. In der Folge wurden noch einige andere Modelle zur Er-              pathfinding errors (fehlerhafte axonale Zielführungen) passie-
klärung der zentral generierten Aktivität präsentiert, die alles-            ren, die zu fehlplazierten Somata von Motoneuronen führen
amt zwar nicht widerlegt wurden, aber auch keinen Konsens                    [20]. Durch experimentelle Wiederaufnahme eines normalen
erhielten. In jedem Fall ist ein CPG im intakten Organismus we-              Aktivitätsniveaus werden diese Errors jedoch wieder korrigiert,
sentlich komplexer als er von einem Modell dargestellt werden                was den dynamischen Prozess dieser frühen Funktions-Struk-
kann [7].                                                                    tur-Beziehung unterstreicht [22].
Von pharmakologischen Experimenten an in vitro Präparaten                    Auch der genetisch programmierte Zelltod der Motoneuronen
oder Tx-Katzen, -Ratten und –Mäusen wissen wir, dass vor allem               ist stark von der CPG Aktivität abhängig. Immobilisiert man
das noradrenerge und adrenerge System aber auch Serotonin                    Hühnerembryonen, kommt es aufgrund eines stark reduzierten
und seine Agonisten, NMDA, sowie Dopamin für die Lokomo-                     programmierten Zelltodes zu einer pathologischen Erhöhung
tionsrhythmen eine Rolle spielen [6, 7, 16].                                 der Anzahl der Motoneuronen. Stoppt man dann die Applikation
                                                                             des immobilisierenden Agens, erhöht sich die Motilität wieder
                                                                             und das Zuviel an Motoneuronen erfährt einen verspäteten Zell-
Die Funktion der Central Pattern Generators während                          tod, der dann aber mehr Motoneuronen betrifft als dies norma-
der Entwicklung                                                              lerweise der Fall ist [23].
▼                                                                            Zu einer Verzögerung im physiologischen Abbau der frühen
Der Physiologe William T. Preyer war der erste, der die embryo-              multiplen motorischen Endplatten zum Beispiel bei jungen Rat-
nale Aktivität einem endogenen Rhythmusgenerator zuge-                       ten kommt es durch Sehnendurchtrennung und die damit aus-
schrieben hatte [18]. Schon 1885 beobachtete er, dass sich Hüh-              gelöste Immobilität [24]. Umgekehrt, wird dieser Abbau be-
nerembryonen bewegen bevor die sensorische Afferenz den Re-                   schleunigt, wenn man die Muskelaktivität durch elektrische
flexbogen schließt. Inzwischen hat eine Vielzahl an Studien über             Stimulierung erhöht [25]. Im letzteren Fall spielt aber sicher
embryonales/fötales Verhalten diese ersten Beobachtungen be-                 auch die erhöhte Ausschüttung proteolytischer Enzyme für die
stätigt [19]. Heute weiss man, dass die embryonale/fötale Moto-              Reduktion von überflüssigen motorischen Endplatten und deren
rik notwendig ist, damit sich Skelett-, muskuläres und Nerven-               Innervierung eine Rolle.
system angemessen entwickeln können – oder umgekehrt: nor-                   Auch das sich entwickelnde Transmittersystem ist von einer mo-
male fötale Entwicklung bedarf einer angemessenen fötalen                    deraten CPG Aktivität abhängig. Beim Xenopus, zum Beispiel,
Motorik. Funktion ist somit ein wesentlicher Bestandteil norma-              führt eine Abnahme der frühen Aktivität zu einer vermehrten
ler Entwicklung und der pränatale Gebrauch einer noch unreifen               Bildung von Neuronen mit erregenden Transmittern und zu ei-
Struktur ist für die Ausreifung eben dieser Struktur unumgäng-               ner Reduktion der Bildung von Neuronen mit hemmenden
lich [19].                                                                   Transmittern. Das Umgekehrte ist der Fall, wenn die frühe CPG
                                                                             Aktivität verstärkt wird [26].

       •   Startles (kurze Zuckungen)
       •   General Movements
       •   Schluckauf
                 • Isolierte Armbewegungen
                 • Isolierte Beinbewegungen
                 • Atembewegungen
                          • Rhythmisches Seitwärtsbewegen des Kopfes
                          • Ante- und Retroflexion des Kopfes
                          • Kieferöffnen
                                  • Handbewegungen zum Gesicht (evtl. Daumen zum Mund)
                                         • Öffnen und Schließen der Finger
                                         • Sich Strecken
                                         • Gähnen
                                                   • Isolierte Fingerbewegungen
                                                   • Zungenprotrusion
                                                           • Saugen und Schlucken
                                                                            • Langsame Augenbewegungen
                                                                                                                   •   Schnelle Augenbewegungen
                                                                                                                                       • Blinzeln
   8        9       10      11       12      13       14       15       16        17       18        19       20        21        22        23

                                                            Gestationsalter in Wochen

 Abb. 5 Das erste Auftreten von endogen generierten Bewegungsmustern beim menschlichen Fötus [19].

                                                             Einspieler C, Marschik PB. Central Pattern Generators und … Klin Neurophysiol 2012; 43: 16–21
20 Originalia

   Die endogen generierte humane Fötalmotorik                                         dikamenten oder Drogen ausgesetzt waren, Föten von diabeti-
   ▼                                                                                  schen Müttern, oder wachstumsretardierten Föten [33].
   Die embryonale/fötale Motorik hat alle Charakteristika von CPG                     Insofern läßt sich die Kenntnis der CPG Aktivität und ihrer (re-
   Aktivität. In diesem Zusammenhang sind vor allem fötale Atem-                      duzierten) Modulation als funktionelle neurologische Untersu-
   bewegungen zu nennen, die beim menschlichen Fötus erstmals                         chung des sehr jungen Nervensystems zuverlässig einsetzen
   zwischen der 8. und 12. Gestationswoche zu beobachten sind                         [19, 29]. Bestimmte abnormale general movements sagen äu-
   (●▶ Abb. 5) [19]. Sie sind essentiell für die Entwicklung des Lun-                 ßerst valide spätere neurologische Beeinträchtigungen voraus
   gengewebes aber auch für die Lungenreifung. Die Differenzie-                        und ermöglichen somit eine gezielte Frühtherapie [29].
   rung von Typ I und Typ II Pneumozyten geschieht zum Beispiel
   nur, wenn Atembewegungen in einem ausgewogenen Ausmaß                              Danksagung
   vorhanden sind [27].                                                               ▼
   Ab der 14. Gestationswoche hat der menschliche Fötus Saug-                         Wir bedanken uns bei Ing. Gunter Vogrinec für die Erstellung der
   und Schluckbewegungen (●     ▶ Abb. 5) [19]. Neben der Regulation                  Abbildungen.
   des Fruchtwassers, sind diese Bewegungen notwendig, damit                          Unterstützt von: Fonds zur Förderung der Wissenschaftlichen
   sich die Kiefer adäquat formen, aber auch für die Feinabstim-                      Forschung (FWF-P19581-B02), Franz-Lanyar Stiftung (P325,
   mung der neuronalen Innervation des Gastrointestinaltrakts                         P337), Theodor Körner Fonds, Land Steiermark und Stadt Graz.
   [28]. ●▶ Abb. 5 zeigt das (mittels wöchentlicher Ultraschallun-

   tersuchungen erhobene) erste Auftreten weiterer zentral ge-                        Interessenkonflikt: Die Autoren geben an, dass keine Interes-
   nierter fötaler Bewegungsmuster [19]. Besonders erwähnens-                         senkonflikt bestehen.
   wert sind dabei die sogenannten general movements. Während
   der oft bis zu einigen Minuten dauernden general movements                         Literatur
   ist der ganze Körper in Bewegung. Aufgrund des modulierenden                        1 Smith JC, Ellenberger HH, Ballanyi K et al. Pre-Bötzinger complex: a
   Inputs auf den general movement CPG (der sich hypothetisch im                         brainstem region that may generate respiratory rhythm in mammals.
                                                                                         Science 1991; 254: 726–729
   Hirnstamm befindet) ist die Sequenz der einzelnen Bewegungs-
                                                                                       2 Marder E, Bucher D, Schulz DJ et al. Invertebrate central pattern gene-
   komponenten in Armen, Beinen, Nacken und Rumpf äußerst va-                            ration moves along. Curr Biol 2005; 15: R685–R699
   riabel. Zudem variieren Intensität, Geschwindigkeit, Amplitude                      3 Guertin PA, Steuer I. Key central pattern generators of the spinal cord.
   und räumliche Ausrichtung der einzelnen Komponenten. Der                              J Neurosci Res 2009; 87: 2399–2405
                                                                                       4 Bass AH, Remage-Healey L. Central pattern generators for social vo-
   Anfang und das Ende der general movements sind fließend und                           calization: androgen-dependent neurophysiological mechanisms.
   nur sehr selten abrupt; den komplexen Extensions- und                                 Horm Behav 2008; 53: 659–672
   Flexionsbewegungen sind elegante Rotationen überlagert [29].                        5 Barlow SM, Lund JP, Estep M et al. Central pattern generators for oro-
   Diese endogen generierten Bewegungen dauern auch nach der                             facial movements and speech. In: Brudzynski SM. (eds.). Handbook
                                                                                         of Mammalian Vocalization. Oxford Academic Press, 2009; 351–370
   Geburt an, und zwar bis zum 5. Lebensmonat. Zu diesem Zeit-                         6 Dickinson PS. Neuromodulation of central pattern generators in in-
   punkt dominiert die Willkürmotorik, die sich ab dem 3. Lebens-                        vertebrates and vertebrates. Curr Opin Neurobiol 2006; 16: 604–614
   monat zu entwickeln beginnt [30]. Die klinische Beurteilung                         7 Guertin PA. The mammalian central pattern generator for locomotion.
                                                                                         Brain Res Rev 2009; 62: 45–56
   dieser general movements ist ein etabliertes Verfahren inner-
                                                                                       8 Marder E, Calabrese RL. Principles of rhythmic motor pattern gene-
   halb der neurologischen Untersuchung des Früh- und Neugebo-                           ration. Physiol Rev 1996; 76: 687–717
   renen sowie des jungen Säuglings [29] und stützt sich auf die                       9 Marder A, Bucher D. Central pattern generators and the control of
   Kenntnis der normal modulierten CPG Aktivität bzw. der Reduk-                         rhythmic movements. Curr Biol 2001; 11: R986–R996
                                                                                      10 Wang XJ, Rinzel J. Alternating and synchronous rhythms in recipro-
   tion dieser Modulation.
                                                                                         cally inhibitory model neurons. Neural Comp 1992; 4: 84–97
                                                                                      11 Wilson D. The central nervous control of locust flight. J Exp Biol 1961;
                                                                                         38: 471–490
   Hirnläsionen reduzieren die Modulation der CPG                                     12 von Holst E. Die relative Koordination als Phänomen und Methode
                                                                                         zentralnervöser Funktionsanalyse. In: Asher L, Spiro K. (eds.). Ergebnisse
   Aktivität                                                                             der Physiologie. München: Bergmann; 1939; 228–306
   ▼                                                                                  13 Hultborn H, Nielsen JB. Spinal control of locomotion – from cat to
   Beobachtungen an anencephalen Föten implizieren, dass der                             man. Acta Physiol 2007; 189: 111–121
                                                                                      14 Sherrington CS. Flexion reflex of the limb, crossed extension reflex,
   CPG für general movements im Hirnstamm angenommen wer-
                                                                                         and reflex stepping and standing. J Physiol 1910; 40: 28–121
   den kann. Fehlen die rostralen Strukturen, sind die general mo-                    15 Graham Brown T. On the nature of the fundamental activity of the
   vements abrupt, exzessiv und völlig monoton [31, 32]; man                             nervous centres, together with an analysis of the conditioning of
   könnte auch sagen, sie sind Ausdruck unmodulierter CPG Aktivi-                        rhythmic activity in progression, and a theory of the evolution of
                                                                                         function in the nervous system. J Physiol 1914; 48: 18–46
   tät. In einem intakten Nervensystem, modulieren – wie schon
                                                                                      16 Jankowska E, Jukes MG, Lund S et al. The effect of DOPA on the spinal
   oben gesagt – Inputs aus anderen supraspinalen Hirnregionen                           cord. 5. Reciprocal organization of pathways transmitting excitatory
   sowie das sensorische Feedback aus der Peripherie die CPG Ak-                         action to alpha motoneurons of flexors and extensors. Acta Physiol
   tivität (●
            ▶ Abb. 3a). Eine Hirnläsion (wie z. B. periventrikuläre                      Scand 1967; 70: 369–388
                                                                                      17 Grillner S, Zangger P. Locomotor movements generated by the deaf-
   Leukomalazie, Hirnblutung, Basalganglienläsion oder cerebellä-                        ferented spinal cord. Acta Physiol Scand 1974; 91: 38A–39A
   re Läsion) reduziert den modulierenden Input auf den CPG                           18 Preyer WT. Spezielle Physiologie des Embryo. Leipzig: Grieben; 1885
   (●▶ Abb. 3b) und die general movements verlieren ihre Variabili-                   19 Einspieler C, Prayer D, Prechtl HFR. Fetal Behaviour: A Neurodeve-
                                                                                         lopmental Approach. London: MacKeith Press, distributed by
   tät [29]. Das trifft nicht nur auf die Spontanbewegungen des
                                                                                         Wiley; 2011
   Neugeborenen und jungen Säuglings zu, sondern auch auf die                         20 Hanson MG, Landmesser LT. Normal patterns of spontaneous activity
   Fötalmotorik. Monotone, fragmentierte, eckige, abrupte fötale                         are required for correct motor axon guidance and the expression of
   general movements sieht man daher bei Föten mit erworbener                            specific guidance molecules. Neuron 2004; 43: 687–701
                                                                                      21 Marder E, Rehm KJ. Development of central pattern generating
   Hirnläsion, aber auch bei Föten, die plazentadurchgängigen Me-
                                                                                         circuits. Curr Opin Neurobiol 2005; 15: 86–93

   Einspieler C, Marschik PB. Central Pattern Generators und … Klin Neurophysiol 2012; 43: 16–21
Originalia 21

22 Hanson MG, Landmesser LT. Increasing the frequency of spontaneous       28 Grassi R, Farina R, Floriani I et al. Assessment of fetal swallowing with
   rhythmic activity disrupt pool-specific axon fasciculation and path-       gray-scale and color Doppler sonography. Am J Radiol 2005; 185:
   finding of embryonic spinal motoneurons. J Neurosci 2006; 26:              1322–1327
   12769–12780                                                             29 Einspieler C, Prechtl HFR. Prechtl’s assessment of general movements:
23 Oppenheim RW, Calderó J, Cuitat D et al. Rescue of developing spinal       a diagnostic tool for the functional assessment of the young nervous
   motoneurons from programmes cell death by the GABA A agonist mus-          system. Ment Retard Dev Disabil Res Rev 2005; 11: 61–67
   cimol acts by blockade of neuromuscular activity and increased in-      30 Einspieler C, Marschik PB, Prechtl HFR. Human motor behaviour. Pre-
   tramuscular nerve branching. Mol Cell Neurosci 2003; 22: 331–343           natal origin and early postnatal development. Z Psychol 2008; 216:
24 Benoit P, Changeux JP. Consequences of tenotomy on the evolution of        148–154
   multi-innervation in developing rat soleus muscle. Brain Res 1975;      31 Visser GHA, Laurini RN, de Vries JIP et al. Abnormal motor behaviour
   99: 354–358                                                                in anencephalic fetuses. Early Hum Dev 1985; 12: 173–182
25 O’Brien RAD, Ôstberg AJC, Vrbová G. Observations on the elimination     32 Ferrari F, Prechtl HFR, Cioni G et al. Posture, spontaneous movements,
   of polyneural innervation in developing mammalian skeletal muscle.         and behavioural state organisation in infants affected by brain mal-
   J Physiol 1978; 282: 571–582                                               formation. Early Hum Dev 1997; 50: 87–113
26 Borodinsky LN, Root CM, Cronin JA et al. Activity-dependent homeo-      33 Prechtl HFR, Einspieler C. Is neurological assessment of the fetus pos-
   static specification of transmitter expression in embryonic neurons.       sible? Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol 1997; 75: 81–84
   Nature 2004; 429: 523–530
27 Inanlou MR, Baguma-Nibasheka M, Kablar B. The role of fetal brea-
   thing-like movements in lung organogenesis. Histol Histopathol 2005;
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                                                             Einspieler C, Marschik PB. Central Pattern Generators und … Klin Neurophysiol 2012; 43: 16–21
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