Chancen und Risiken Öffentlich-Privater Partnerschaften - Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beimBundesministeriumderFinanzen 02/2016
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Chancen und Risiken Öffentlich-Privater Partnerschaften Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen 02/2016
Chancen und Risiken Öffentlich-Privater Partnerschaften Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen September 2016
Inhalt Seite 3 Inhalt Seite Kurzfassung 5 1. Was ist eine Öffentlich-Private Partnerschaft? 7 2. Die Bedeutung von ÖPP in Deutschland 11 3. Lebenszykluskosten der Infrastruktur 15 4. Transaktionskosten 19 5. Verteilung des Risikos 23 6. Finanzierungskosten 26 7. ÖPP versus öffentliche Kreditaufnahme 28 8. Eigeninteressen der an ÖPP beteiligten Akteure 31 9. Erfahrungen mit ÖPP in anderen Ländern 33 10. Fazit 35 Literaturverzeichnis 37 Verzeichnis der Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats 42
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Chancen und Risiken Öffentlich-Privater Partnerschaften Seite 5 Kurzfassung In Deutschland haben Öffentlich-Private Der Beirat kommt zu dem Ergebnis, dass In- Partnerschaften (ÖPP) zur Bereitstellung öf- frastrukturprojekte mit großem Finanzvo- fentlicher Infrastruktur in jüngerer Zeit an lumen, beispielsweise Fernstraßen, durch- Bedeutung gewonnen. Bei ÖPP handelt es aus vorteilhaft in ÖPP realisiert werden sich um langfristige Vertragsbeziehungen können. Infrastrukturprojekte mit kleinem zwischen einem staatlichen und einem pri- Finanzvolumen sollten dagegen eher kon- vaten Partner zur Bereitstellung öffentlicher ventionell realisiert werden. Ferner emp- Infrastruktur. Der private Partner über- fiehlt der Beirat, die durch ÖPP in Zukunft nimmt dabei Errichtung, Betrieb und gege- eingegangenen staatlichen Finanzierungs- benenfalls Finanzierung der Infrastruktur pflichten dem öffentlichen Haushaltsdefizit und erhält dafür vom öffentlichen Partner zuzurechnen. Damit würden auch die län- Entgelte oder das Recht, Entgelte von den gerfristigen Haushaltslasten von ÖPP-Pro- Nutzern der Infrastruktur zu erheben. Im jekten transparent. vorliegenden Gutachten versucht der Bei- rat zu klären, unter welchen Bedingungen ÖPP eine vorteilhafte Form der öffentlichen Bereitstellung von Infrastruktur darstellen. Es zeigt sich, dass ÖPP sowohl Chancen als auch Risiken bergen. ÖPP können dazu bei- tragen, unrentable öffentliche Infrastruktu- rinvestitionen zu vermeiden, und begüns- tigen wegen der Kostenminimierungsan- reize des privaten Partners eine wirtschaft- lichere Bereitstellung von Infrastruktur. Diese Kostenminimierungsanreize können aber zugleich zu einer geringeren Qualität der Infrastruktur führen. Zudem sind ÖPP in der Regel mit hohen Transaktionskosten verbunden. Schließlich können ÖPP dazu missbraucht werden, Finanzierungslasten für öffentliche Infrastruktur in die Zukunft zu verschieben, ohne diese Lasten heute als öffentliche Schulden ausweisen zu müssen.
Seite 6 Summary
Chancen und Risiken Öffentlich-Privater Partnerschaften Seite 7 1. Was ist eine Öffentlich-Private Partnerschaft? In der Bereitstellung öffentlicher Infra- Auch bei konventioneller Beschaffung struktur hat sich in jüngerer Zeit neben der beauftragt der Staat meist private Unter- konventionellen öffentlichen Bereitstellung nehmen mit der Erstellung der Infrastruk- und der vollständigen Privatisierung eine tur, und gelegentlich übernehmen private Mischform etabliert, die als Öffentlich-Pri- Unternehmen zudem deren Betrieb. Im vate Partnerschaft oder kurz ÖPP bezeich- Unterschied zu einer ÖPP nimmt diese Auf- net wird. Zwar existiert bislang keine allge- gaben aber nicht ein privates Unternehmen mein verbindliche Definition dafür, welche oder ein Konsortium privater Unterneh- Arten der Zusammenarbeit von öffentli- men gebündelt wahr. Vielmehr sind bei chem und privatem Sektor als ÖPP bezeich- der konventionellen Beschaffung, Erstel- net werden sollten. Einvernehmen herrscht lung und Betrieb der Infrastruktur rechtlich aber darüber, dass in einer ÖPP der private und organisatorisch voneinander getrennt. Partner sowohl mit der Erstellung als auch Vereinfacht ausgedrückt erwirbt der Staat mit dem Betrieb öffentlicher Infrastruktur bei konventioneller Beschaffung die Infra- beauftragt wird.1 Zu öffentlicher Infrastruk- struktur, während er in einer ÖPP nur deren tur zählen dabei neben Hoch- und Tiefbau- Dienste erwirbt. ten (Verwaltungsgebäude, Bildungseinrich- In der öffentlichen Diskussion um das tungen, Straßen, Brücken, etc.) insbesondere Für und Wider von ÖPP spielt oft eine zen- IT-Infrastrukturen.2 trale Rolle, dass der private Partner auch die Finanzierung der Infrastruktur über- 1 Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und nimmt. In der Tat finanziert der private Stadtentwicklung (2003) definiert ÖPP folgender- Partner in der Regel zumindest einen Teil maßen: „ÖPP ist eine langfristige, vertraglich gere- der Infrastrukturinvestitionen, so dass die gelte Zusammenarbeit zwischen Öffentlicher Hand und Privatwirtschaft zur wirtschaftlichen Erfüllung private Finanzierung prima facie als ein öffentlicher Aufgaben über den gesamten Lebens- charakterisierendes Merkmal dieser Be- zyklus eines Projektes. Die für die Aufgabenerfül- lung erforderlichen Ressourcen (z. B. Know-how, schaffungsvariante erscheinen mag. Dass Betriebsmittel, Kapital, Personal etc.) werden von sich der private Partner an der Finanzierung den Partnern in einem gemeinsamen Organisa- beteiligt, ist aber weder Voraussetzung für tionsmodell zusammengeführt und vorhandene Projektrisiken entsprechend der Managementkom- eine ÖPP, noch lassen sich darin besondere petenz der Projektpartner angemessen verteilt.“ Vorteile einer ÖPP gegenüber konventio- 2 Die gemessen am Investitionsvolumen von neller Beschaffung erkennen. Grundsätzlich mehr als 7 Mrd. Euro bislang größte deutsche ÖPP, das Herkules-Projekt, betrifft eine IT-Infrastruktur. haben private Akteure gegenüber dem Staat Im Rahmen dieses Projekts ist die gesamte nicht- keine Finanzierungsvorteile. Im Gegenteil: militärische Informationstechnik der Bundeswehr Der Staat – soweit solvent – dürfte stets modernisiert worden. Planmäßig dauert die ÖPP bis Ende 2016. einen besseren Zugang zum Kapitalmarkt
Seite 8 Was ist eine Öffentlich-Private Partnerschaft? haben als private Unternehmen. Die Finan- Infrastruktur übernimmt und dafür vom zierungsfrage ist vielmehr, wie sich zeigen öffentlichen Partner Entgelte erhält und/ wird, für die spezifischen Anreize sowohl oder das Recht, Entgelte von den Nutzern der staatlichen als auch der privaten Seite in der Infrastruktur zu erheben. ÖPP von Bedeutung. Weil die Finanzierung kein charakteri- Im Einzelnen können ÖPP sehr unter- sierendes Merkmal einer ÖPP ist, sind ÖPP schiedliche Formen annehmen. So unter- auch von Leasingverträgen mit einem staat- scheidet beispielsweise ein von der Finanz- lichen Vertragspartner als Leasingnehmer ministerkonferenz in Auftrag gegebener und einem privaten Vertragspartner als Lea- Leitfaden zwischen Erwerber-, Inhaber-, singgeber abzugrenzen. In Leasingmodellen Leasing-, Miet-, Contracting-, Konzessi- beschränkt sich die Rolle des privaten Part- ons-, und Gesellschaftsmodellen.5 Diese ners auf die Finanzierung. Als Leasinggeber unterscheiden sich im Wesentlichen darin, finanziert der private Partner das Leasing- ob der öffentliche oder der private Partner objekt und überlässt es dem öffentlichen während der Laufzeit der ÖPP Eigentümer Partner als Leasingnehmer gegen Zahlung der Infrastruktur ist und welche Regeln für eines Entgelts, wobei der Leasingnehmer, den Eigentumsübergang getroffen werden sprich der öffentliche Partner, sowohl für für den Fall, dass der private Partner wäh- den Betrieb als auch den Erhalt des Leasing- rend der Laufzeit der ÖPP das Eigentum an objekts zuständig ist.3 der Infrastruktur hat. Beim Erwerbermodell Schließlich wird in der Literatur gele- erwirbt der öffentliche Partner zum Ver- gentlich zwischen Organisations-ÖPP und tragsende die Infrastruktur vom privaten Vertrags-ÖPP unterschieden.4 Unter Or- Partner. Beim Inhabermodell dagegen ist ganisations-ÖPP werden Organisationen der öffentliche Partner Eigentümer der (Unternehmen) verstanden, an denen der Infrastruktur, räumt dem privaten Partner öffentliche Sektor und der private Sektor aber während der Vertragslaufzeit ein um- Anteile halten. Die Deutsche Post beispiels- fassendes Nutzungs- und Besitzrecht ein. weise ist nach diesem Verständnis eine Weiterhin unterscheiden sich die Modelle Organisations-ÖPP. Hier werden Organi- darin, nach welchen Regeln der Eigentums- sations-ÖPP nicht unter dem Begriff ÖPP übergang am Ende der Vertragslaufzeit behandelt, sondern als eine Form der Priva- erfolgt. So ist etwa der öffentliche Partner tisierung verstanden. beim Leasingmodell6 im Unterschied zum Wenn deshalb im Weiteren von ÖPP die Erwerbermodell nicht verpflichtet, die Inf- Rede ist, so geht es allein um Vertrags-ÖPP. rastruktur am Ende der Vertragslaufzeit zu Diese lassen sich wie folgt charakterisieren: erwerben, sondern hat ein Optionsrecht. Beim Mietmodell wiederum verbleibt die Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) Infrastruktur vertragsgemäß im Eigentum sind langfristige, aber zeitlich befristete des privaten Partners. Vertragsbeziehungen zwischen einer staatlichen Instanz und einem privaten Unternehmen oder einem Konsortium privater Unternehmen, in denen der private Partner Errichtung, Betrieb 5 Im Detail siehe Finanzministerkonferenz (2006). und gegebenenfalls Finanzierung einer 6 Das ÖPP-Leasingmodell ist zu unterscheiden vom weiter oben beschriebenen klassischen Lea- sing. Beim klassischen Leasing übernimmt der 3 Siehe Statistisches Bundesamt (2015). private Partner nicht den Betrieb der Infrastruktur, 4 Siehe z. B. Budäus (2006). sondern beschränkt sich auf dessen Finanzierung.
Chancen und Risiken Öffentlich-Privater Partnerschaften Seite 9 Wie auch immer ÖPP im Einzelnen aus- tragen können. Ob sie freilich im Einzelfall gestaltet werden, gemeinsames Merkmal ist gegeben sind, wie das geprüft werden kann die Bündelung von Erstellung und Betrieb und welche Änderungen gegebenenfalls der Infrastruktur beim privaten Partner im erforderlich sind, ist nicht Gegenstand des Rahmen eines zeitlich befristeten Vertra- vorliegenden Gutachtens. ges. Die Bündelung unterscheidet ÖPP von Das Gutachten vergleicht zunächst ÖPP konventioneller öffentlicher Bereitstellung. mit konventioneller Beschaffung von öf- Schnittmengen gibt es mit der Privatisie- fentlicher Infrastruktur aus verschiedenen rung öffentlicher Aufgaben. Da bei ÖPP der Kostenperspektiven unter der Vorausset- Staat Träger der Aufgabe bleibt, kommt es zung, dass in beiden Beschaffungsvarianten zwar nicht zu einer formalen Aufgabenpri- eine gesellschaftlich akzeptable Qualität der vatisierung. Je nach Ausgestaltung kann die Infrastruktur bereitgestellt wird. Weil indes- ÖPP jedoch zu einer funktionellen Privati- sen nicht allein Kostengründe über das Ob sierung öffentlicher Aufgaben führen; der und das Wie von ÖPP entscheiden, sondern Staat bedient sich hierbei Privater bei der auch politische Opportunitäten eine erheb- Aufgabenerfüllung, bleibt aber verantwort- liche Rolle spielen, betrachtet das Gutachten lich und damit Träger der Aufgabe. Aller- die Entscheidung über ÖPP auch aus polit- dings setzt dies in der Regel die Übertragung ökonomischer Sicht. der Einrichtung in privates Eigentum vo- Sowohl mit ÖPP als auch mit konventi- raus, was bei ÖPP nur ausnahmsweise der oneller Beschaffung sind spezifische Kos- Fall ist. Während Privatisierung in der Regel tenvorteile und -nachteile verbunden. Die unbefristet erfolgt, werden ÖPP für einen Kostenabwägung wird zeigen, dass ÖPP ins- Zeitraum von 20 bis 30 Jahren geschlossen. besondere aus Errichtungs- und Betriebs- Der öffentliche Partner ist in einer ÖPP kostenperspektive günstiger erscheinen und zudem stärker sowohl in den Planungs- als konventionelle Beschaffung insbesondere auch in den Betriebsprozess eingebunden aus Transaktionskostenperspektive. Polit- als bei Privatisierung. Schließlich erfordert ökonomische Argumente legen freilich Privatisierung in der Regel Nutzerentgelte, nahe, dass ÖPP gegebenenfalls auch dann während ÖPP davon nicht abhängen. noch politisch opportun sein können, wenn Das vorliegende Gutachten versucht zu sie mit höheren gesellschaftlichen Kosten klären, unter welchen Bedingungen ÖPP verbunden sind als herkömmliche Formen eine vorteilhafte Form der öffentlichen der Bereitstellung. Vor dem Hintergrund Bereitstellung von Infrastruktur darstellen der materiellen und politischen Kosten und unter welchen Bedingungen konven- der verschiedenen Beschaffungsvarianten tionelle Beschaffungsformen oder gege- entwickelt das Gutachten Empfehlungen, benenfalls Privatisierung besser geeignet in welchen Anwendungsbereichen ÖPP erscheinen. Weil mit ÖPP in der Regel spezi- Vorteile entfalten und welche Merkmale fische Einzelprojekte realisiert werden und ÖPP hinsichtlich der Finanzierungsverant- zudem auf sehr komplexen und detailrei- wortung und der Risikoverteilung zwischen chen Vertragsbeziehungen basieren, kann es öffentlichen und privaten Partnern aufwei- hier nicht darum gehen, Blaupausen für die sen sollten. Gestaltung von ÖPP zu entwickeln. Das vor- liegende Gutachten versucht vielmehr, jene Bedingungen zu identifizieren, unter denen ÖPP zu einer wirtschaftlicheren und sparsa- meren Erfüllung öffentlicher Aufgaben bei-
Seite 10 Was ist eine Öffentlich-Private Partnerschaft? Der Gang der Untersuchung gliedert sich wie folgt: Kapitel 2 skizziert zunächst die quantitative Bedeutung von ÖPP in Deutschland. In Kapitel 3 werden die so- genannten Lebenszykluskosten von Infra- strukturprojekten in verschiedenen Be- schaffungsvarianten betrachtet. Kapitel 4 befasst sich mit den Transaktionskosten bei öffentlicher Beschaffung und in ÖPP. Kapi- tel 5 untersucht, wie die Risiken zwischen öffentlichem und privatem Partner in einer ÖPP aufgeteilt werden sollten. Kapitel 6 vergleicht die Finanzierungskosten bei konventioneller Beschaffung und in ÖPP. In Kapitel 7 werden die Konsequenzen von ÖPP für die öffentliche Kreditaufnahme betrachtet. Kapitel 8 bewertet ÖPP aus polit- ökonomischer Perspektive. Kapitel 9 dis- kutiert internationale empirische Evidenz zu ÖPP. Kapitel 10 enthält abschließende Empfehlungen.
Chancen und Risiken Öffentlich-Privater Partnerschaften Seite 11 2. Die Bedeutung von ÖPP in Deutschland ÖPP haben in Ländern wie Großbritannien Gemessen an der Anzahl haben ÖPP- in den vergangenen rund dreißig Jahren Projekte in Deutschland bislang im Bil- (dort unter der Bezeichnung Private Finance dungsbereich die größte Rolle gespielt. Da- Initiative oder kurz PFI) wesentlich zur Be- bei handelt es sich aber meist um eher klei- reitstellung von öffentlicher Infrastruktur nere Projekte auf kommunaler Ebene (z. B. beigetragen. In Deutschland haben ÖPP Kindertagesstätten). Größere ÖPP-Projekte dagegen erst in jüngerer Zeit an Bedeutung wurden in jüngerer Zeit auf Bundesebene gewonnen. Tatsächlich hat man in Deutsch- im Autobahnbau realisiert. Die Abbildungen land einen Nachholbedarf bei ÖPP gesehen 1 und 2 liefern Informationen über die an- und zu diesem Zweck im Jahr 2008 unter Fe- teilige Bedeutung von ÖPP in verschiedenen derführung des Bundesministeriums der Fi- Aufgabenbereichen und die damit verbun- nanzen die ÖPP Deutschland AG gegründet. denen Investitionsausgaben.8 Ausdrückliches Ziel dieses Unternehmens ist es, den ÖPP-Anteil an öffentlichen Inves- titionen zu erhöhen. Die ÖPP Deutschland AG wirkt als Beratungsunternehmen für öf- fentliche Auftraggeber zur Förderung von ÖPP; 57 % der Anteile werden von Bund, Ländern und Kommunen gehalten und 43 % der Anteile von einer privaten Betei- ligungsgesellschaft. Die Gesellschafter der privaten Beteiligungsgesellschaft entstam- men im Wesentlichen der Finanz-, der Bau- der AG angehören dürfen. Gegenwärtig prüft die Bundesregierung eine Weiterentwicklung der ÖPP und der Beratungsindustrie. 7 Deutschland AG mit dem Ziel, dass diese in Zukunft Beratungsleistungen für öffentliche Auftraggeber 7 Im Detail siehe Partnerschaften Deutschland auch bei konventionell realisierten Investitionsvor- (2015). Mit Hilfe von institutionellen Vorkehrun- haben anbietet. Siehe dazu Bundesministerium für gen soll sichergestellt werden, dass in der ÖPP Wirtschaft und Energie (2016). Deutschland AG kein Interessenkonflikt zwischen 8 Die Investitionsausgaben umfassen nicht die Beratungsdienstleistungen einerseits und den vollen Projektkosten, sondern nur die für die Er- Erwerbszielen der privaten Partner andererseits richtung der jeweiligen Infrastruktur veranschlag- entsteht. Zu den institutionellen Vorkehrungen ten Kosten. Zudem sind in den Abbildungen 1 und gehört unter anderem die gewählte Rechtsform. 2 nicht alle ÖPP in Deutschland berücksichtigt, Der Vorstand einer AG leitet die Geschäfte unter sondern nur die von der ÖPP Deutschland AG eigener Verantwortung und damit weisungsun- erfassten ÖPP. Die ÖPP-Projektdatenbank basiert gebunden gegenüber den Anteilseignern der AG. auf freiwilligen Angaben und zudem im Wesent- Zu den institutionellen Vorkehrungen gehört lichen auf Hoch- und Tiefbauprojekten. So ist weiterhin, dass die öffentliche Hand die Mehrheit beispielsweise das bereits erwähnte, bislang größte an der AG hält und dass weder Mitarbeiter noch deutsche ÖPP-Projekt, das Herkules-Projekt der Organträger der privaten Partner dem Aufsichtsrat Bundeswehr, nicht erfasst.
Seite 12 Die Bedeutung von ÖPP in Deutschland Abbildung 1: ÖPP-Projekte nach Aufgabenbereichen (Stand: 31.10.2015) Anwendungsfelder nach Projektzahl Justitzgebäude Sonstige 3% 3% Gesundheitswesen 5% Sicherheit 6% Schulen, Kita's, Bildung Straßen 39% 8% Verwaltungsgebäude 15% Freizeit, Kultur, Sport, Event 21% Anwendungsfelder nach Investitionsvolumen Justitzgebäude Sonstige 3% 5% Schulen, Kita's, Bildung 22% Gesundheitswesen 15% Sicherheit 1% Freizeit, Kultur, Sport, Event 9% Straßen 33% Verwaltungsgebäude 12% Quelle: Eigene Darstellung basierend auf PPP-Projektpartnerschaft; www.ppp-projektdatenbank.de
Chancen und Risiken Öffentlich-Privater Partnerschaften Seite 13 Im Straßenbau wurden zwar bislang anteilsmäßig eher wenige ÖPP-Projekte realisiert. Diese umfassen aber vergleichs- weise große Investitionsausgaben, so dass der Straßenbau einen großen Anteil am gesamten ÖPP-Investitionsvolumen ein- nimmt. Dieser dürfte in Zukunft noch weiter steigen, da weitere ÖPP-Projekte im Autobahnbau geplant sind und künftig auch der Ausbau von Bundesstraßen im Rahmen von ÖPP geschehen soll.9 Abbildung 2: ÖPP-Projekte im Hoch- und Straßenbau in Mio. Euro (Stand 31.10.2015) 1.600 620 657 9 Siehe Bundesministerium der Finanzen (2015). Investitionsvolumen im Straßenbau 1.400 Investitionsvolumen im Hochbau 534 1.200 540 386 1.000 800 600 51 887 775 22 400 653 611 604 594 15 200 457 362 350 150 174 153 0 2 2002/ 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2003 Quelle: Eigene Darstellung basierend auf PPP-Projektpartnerschaft; www.ppp-projektdatenbank.de
Seite 14 Die Bedeutung von ÖPP in Deutschland Abbildung 3 enthält Informationen über die vertraglich vereinbarten Projektsum- men (Investitions-, Betriebs- und sonstige Ausgaben) aller laufenden ÖPP-Projekte des Bundes, der Länder sowie der Gemeinden und Gemeindeverbände am Ende des Jahres 2014 sowie die in diesen Projekten bereits geleisteten Zahlungen des öffentlichen an den privaten Partner. Gemessen an den Pro- jektsummen ist der Bund die mit Abstand am meisten in ÖPP-Projekten engagierte Gebietskörperschaft. Darin spiegelt sich er- neut die Bedeutung des Bundesfernstraßen- baus für ÖPP wider. Abbildung 3: ÖPP-Projekte nach Gebietskörperschaften in Mio. Euro (Stand: 31.12.2014) 35.000 30.549 30.000 Projektsummen insgesamt 23.780 25.000 bisher geleistete Zahlungen 20.000 15.000 9.638 10.000 7.555 3.660 5.000 3.108 1.051 1.032 0 Insgesamt Bund Länder Gemeinden/Gv. Quelle: Eigene Darstellung basierend auf Statistisches Bundesamt (2015), Fachserie 14, Reihe 5
Chancen und Risiken Öffentlich-Privater Partnerschaften Seite 15 3. Lebenszykluskosten der Infrastruktur Charakteristisches Merkmal von ÖPP ist jene Kosten zu minimieren, die sie für eine die Bündelung von Errichtung und Betrieb erfolgreiche Übergabe der Infrastruktur und öffentlicher Infrastruktur. Die Bündelung einen reibungslosen Betrieb bis zum Ablauf dieser Aufgaben löst beim Betreiber Anreize der Gewährleistungsfrist aufwenden müs- aus, bei der Errichtung der Infrastruktur sen. Dass dadurch gegebenenfalls die Le- den Einfluss auf künftige Unterhaltskosten benszykluskosten der Infrastruktur steigen, zu berücksichtigen, um die Lebenszyklus- dürfte in ihrem Kalkül weniger von Bedeu- kosten der Infrastruktur, sprich die über tung sein. Die unterschiedlichen Anreize auf den gesamten Lebenszyklus der Infrastruk- privater Seite in ÖPP und bei konventionel- tur anfallenden Kosten, gering zu halten. ler Beschaffung legen deshalb nahe, dass die Geht die Infrastruktur nach Beendigung Errichtungs- und Betriebskosten bei ÖPP der ÖPP in öffentliches Eigentum über (wie insgesamt geringer ausfallen.10 beispielsweise im weiter oben beschriebe- Dass die Lebenszykluskosten der Infra- nen Erwerbermodell) und erhält der private struktur bei ÖPP stärker berücksichtigt wer- Partner dann ein Entgelt, das vom Zustand den, muss aber nicht zwingend gesellschaft- der Infrastruktur abhängt, werden zudem lich von Vorteil sein. Das gilt insbesondere bereits bei der Errichtung der Infrastruktur dann nicht, wenn Investitionen, die die Anreize für die Verwendung langlebiger Ma- Lebenszykluskosten der Infrastruktur redu- terialien und für regelmäßige Erhaltungsin- zieren, einen negativen Effekt auf die (Ser- vestitionen gesetzt. vice-)Qualität auslösen. Hart (2003) nennt Bei konventioneller Beschaffung, in als Beispiel eine ÖPP zur Errichtung und der eine staatliche Instanz zwar private zum Betrieb einer Haftanstalt. Dem privaten Unternehmen mit der Errichtung der Inf- Partner mag es aus Kostengründen vorteil- rastruktur beauftragt, nicht aber mit deren haft erscheinen, das Gefängnisgebäude mit Betrieb, haben private Unternehmen dage- einem Elektrozaun zu umgeben, um Wach- gen kaum einen Anreiz, langfristige Effekte personal einzusparen, ohne vermehrte Aus- auf den Betrieb und den späteren Wert der brüche zu riskieren. Die Gesellschaft mag es Infrastruktur zu berücksichtigen. In diesem aber inakzeptabel finden, Gefängnisinsassen Fall dürfte ihnen stärker daran gelegen sein, 10 Ausführlich siehe Engel et al. (2009).
Seite 16 Lebenszykluskosten der Infrastruktur hinter einen Elektrozaun zu sperren. Ein für noch lassen sich für alle nach Vertragsab- Deutschland relevanteres Beispiel könnte schluss aufkommenden Eventualitäten im eine ÖPP im Straßenbau sein, in der der Vorhinein verbindliche Regeln schaffen. private Partner einen haltbareren, aber we- ÖPP basieren mit anderen Worten in vielen niger rutschfesten Straßenbelag entwickelt, Fällen auf in hohem Maße unvollständigen so dass zwar die Lebenszykluskosten der Verträgen, die viel Raum für opportunisti- Infrastruktur sinken, zugleich aber die Ver- sches und für die Partnerschaft abträgliches kehrssicherheit beeinträchtig wird. Verhalten sowohl des öffentlichen als auch Das Straßenbaubeispiel lässt sich freilich des privaten Partners lassen. auch so konstruieren, dass die Kostenmini- Inzwischen existiert eine recht um- mierungsanreize des privaten Partners zu fangreiche Literatur, die sich mit der Frage einer höheren Qualität der Infrastruktur befasst, unter welchen Bedingungen die führen. Immerhin könnte sich der haltba- für eine ÖPP charakteristische Aufgaben- rere Straßenbelag als rutschfester erweisen bündelung gesellschaftlich von Vorteil ist. und sich entsprechend positiv auf die Ver- Die Ergebnisse dieser Literatur legen den kehrssicherheit auswirken. Allerdings wird Schluss nahe, dass eine verallgemeinerbare der private Partner auch die verbesserte Ver- Aussage darüber kaum getroffen werden kehrssicherheit nicht angemessen in Rech- kann, wann eine ÖPP als Bereitstellungs- nung stellen, wenn er damit keine höheren form und wann eher die herkömmliche Erträge realisiert. Der grundsätzliche Kon- öffentliche Bereitstellung vorteilhafter ist. flikt, um den es hier – aber auch bei konven- Je nach Informationsverteilung der beteilig- tioneller Beschaffung geht – ist, dass öffent- ten Partner vor und nach Vertragsabschluss liche und private Partner unterschiedliche und je nachdem, in welchem Umfang Ziele verfolgen. Während der öffentliche Merkmale der Infrastruktur und der damit Partner die gesellschaftliche Wohlfahrt im erbrachten Dienste sowie Aktionen der Auge hat, oder besser: im Auge haben sollte, beteiligten Partner nach Vertragsabschluss interessieren den privaten Partner die Ge- verifizierbar sind, wirken sich die stärkeren winne, die er in der ÖPP erzielt. Kostenminimierungsanreize in einer ÖPP Der Zielkonflikt zwischen öffentlichem im Vergleich zur herkömmlichen öffent- und privatem Partner ist im Grunde uner- lichen Bereitstellung positiv oder negativ heblich, wenn die Qualität der Infrastruktur aus.11 Es hängt deshalb von den spezifischen oder der Dienste, die sie erbringen soll, kon- Eigenschaften des jeweiligen Projekts ab, ob trahierbar ist. In diesem Fall kann der staat- eine ÖPP eingegangen werden sollte oder liche Partner den gewünschten Standard nicht. Viele dieser spezifischen Merkmale der Qualität spezifizieren und dem privaten offenbaren sich freilich erst, wenn über die Partner die Wahl der Mittel überlassen, mit Art der Bereitstellung bereits entschieden denen diese Standards erfüllt werden. Die worden ist. Dadurch wird die Frage nach der Kostenminimierungsanreize des privaten angemessenen Bereitstellungsform zusätz- Partners dürften dann ihre vollen gesell- lich erschwert. schaftlichen Vorteile entfalten. Indessen ist volle Kontrahierbarkeit der Qualität eher ein theoretischer Sonderfall als von prak- tischer Bedeutung. ÖPP werden langfristig eingegangen und beziehen sich auf die Er- richtung und den Betrieb komplexer Anla- 11 Im Einzelnen siehe z. B. Bennett und Iossa (2006), Martimort und Pouyet (2008), Chen und gen. Weder lassen sich vor Vertragsabschluss Chiu (2010), Iossa und Martimort (2012, 2015) so- alle Elemente der Anlage exakt spezifizieren, wie Hoppe und Schmitz (2013).
Chancen und Risiken Öffentlich-Privater Partnerschaften Seite 17 Die Bündelung der Aufgaben hat eine In den ersten vom Bundesverkehrsmi- ÖPP mit Privatisierung der Bereitstellung nisterium im Bundesfernstraßenbau reali- gemeinsam. Entsprechend gelten auch für sierten ÖPP (sogenannte 1. Staffel, jeweils Privatisierung die mit Aufgabenbündelung Erweiterungen der A1, A4, A5 und A8) wurde verbundenen Anreizvorteile und -proble- ein sogenanntes Mautweiterleitungsmodell me.12 Wenn hier im Weiteren von Privatisie- angewendet, in dem der öffentliche Partner rung als alternativer Bereitstellung zu kon- die Mauteinnahmen voll oder anteilig an ventioneller Beschaffung oder ÖPP die Rede den privaten Partner weiterleitet. Zusätzlich ist, dann ist damit die private Übernahme hat der private Partner in allen diesen ÖPP einer Aufgabe gemeint, die staatliche Regu- eine Anschubfinanzierung erhalten. Bei den lierung erfordert, weil eine unregulierte Be- weiteren in Realisierung befindlichen oder reitstellung in Wettbewerbsmärkten wohl- geplanten ÖPP im Bundesfernstraßenbau fahrtsökonomisch nicht angezeigt oder ge- (2. Staffel, jeweils Erweiterungen der A1, sellschaftlich nicht gewünscht ist. Regulierte A6, A7, A8, A9, A44, A61 und A94) sollen Privatisierung findet sich vor allem dort, neben dem Mautweiterleitungsmodell ein wo aufgrund von steigenden Skalenerträ- Einheitsmautmodell und ein Verfügbar- gen keine effiziente Versorgung im freien keitsmodell angewendet werden. Beim Ein- Wettbewerb gewährleistet ist (netzbasierte heitsmautmodell erhält der private Partner Industrien wie Bahn, Telekommunikation einen fixen Betrag pro LKW und Kilometer, oder Energieversorgung). dessen Höhe im Ausschreibungsverfahren Im Wesentlichen unterscheiden sich re- festgelegt wird. Konzeptionell entspricht das gulierte Privatisierung und ÖPP darin, dass Einheitsmautmodell den oben genannten jene eine unbefristete private Bereitstellung Schattengebühren. Beim Verfügbarkeitsmo- beinhaltet, während diese zwar langfristig dell erhält der private Partner ein Entgelt, aber zeitlich befristet ist. Darüber hinaus das von der Verfügbarkeit der Bundesfern- impliziert regulierte Privatisierung in der straße abhängt, wobei sich das Entgelt bei Regel, dass der private Anbieter von den eingeschränkter Verfügbarkeit (Baustellen Nutzern der Infrastruktur ein Entgelt erhält. etc.) reduziert.13 Bei einer ÖPP können neben oder statt Nut- Vereinfacht lässt sich die bisherige Dis- zerentgelten sogenannte Schattengebühren kussion folgendermaßen zusammenfassen oder Verfügbarkeitszahlungen vom öffent- (vgl. Tabelle 1). lichen Partner geleistet werden. Schatten- gebühren sind genauso wie Nutzerentgelte abhängig von der Nutzungsmenge der Infrastruktur, nur werden sie nicht von den Nutzern entrichtet, sondern vom öffentli- chen Partner. Verfügbarkeitszahlungen sind dagegen mengenunabhängig und richten sich beispielsweise nach der vom privaten Partner erbrachten (Service-)Qualität. 13 Gelegentlich wird bei ÖPP im Tiefbau auch zwischen A-, V- und F-Modell unterschieden. Das A-Modell entspricht dem Mautweiterleitungsmo- dell und das V-Modell dem Verfügbarkeitsmodell. 12 Zum Vergleich der Anreizmechanismen bei Beim F-Modell erhält der private Partner vom öf- traditioneller Beschaffung und Privatisierung siehe fentlichen Partner das Recht, von den Nutzern eine Hart et al. (1997) und Wigger (2004). Maut zu erheben.
Seite 18 Lebenszykluskosten der Infrastruktur Tabelle 1: Bereitstellungsvarianten öffentlicher Infrastruktur Kostendeckende Bündelung führt zu Favorisierte Art der Nutzergebühren Qualität kontrahierbar Kostenvorteilen Bereitstellung durchsetzbar ja ja ja regulierte Privatisierung ja nein ja ÖPP ja nein nein ÖPP oder konventionell regulierte Privatisierung ja ja nein oder konventionell nein ja/nein ja/nein konventionell Überwiegen die Vorteile der Bündelung beantworten. Je nachdem, wie stark sich von Erstellung und Betrieb der Infrastruk- Kostenminimierungsanreize bei Bündelung tur, ist die Qualität der bereitgestellten von Erstellung und Betrieb negativ auf die Infrastruktur zudem kontrahierbar und Qualität der Infrastruktur auswirken, ist die sind für deren Nutzung kostendeckende herkömmliche Bereitstellung den privaten Nutzerentgelte durchsetzbar, so spricht Varianten gegebenenfalls überlegen. Führt wenig gegen eine regulierte private Be- schließlich Bündelung von Erstellung und reitstellung der Infrastruktur. Sind freilich Betrieb nicht zu Kostenvorteilen, bietet sich kostendeckende Nutzerentgelte nicht oder die konventionelle öffentliche Beschaffung nur für Teilgruppen von Nutzern durch- und Bereitstellung an. setzbar, beispielsweise weil eine allgemeine Autobahnmaut abgelehnt wird oder weil Gebühren für Bildungseinrichtungen nicht kostendeckend erhoben werden können oder sollen, ist die Qualität der Infrastruktur aber kontrahierbar, so bietet sich eine ÖPP an. Im realistischeren Fall, dass die Qualität der Infrastruktur nicht vollständig kon- trahierbar ist, lässt sich die Frage nach der besten Art der Bereitstellung weniger leicht
Chancen und Risiken Öffentlich-Privater Partnerschaften Seite 19 4. Transaktionskosten Sowohl mit konventioneller Beschaffung zichten, sobald diese vorteilhaft erscheinen. als auch mit ÖPP sind spezifische Transakti- Ein Vertragspartner, der nach Vertragsab- onskosten verbunden. Allgemein lassen sich schluss spezifische Investitionen tätigt, die die Kosten von Transaktionen in Koordina- sich außerhalb der Vertragsbeziehung nicht tions- und Motivationskosten einteilen.14 amortisieren lassen, wird deshalb berück- Unter Koordinationskosten werden all jene sichtigen, dass er Gefahr läuft, einen Teil Kosten verstanden, die aufgewendet werden der Erträge dieser Investitionen in späteren müssen, damit Käufer und Verkäufer oder, Nachverhandlungen an die andere Ver- allgemeiner, Vertragsparteien zusammen- tragsseite zu verlieren. Entsprechend fallen kommen und Transaktionen durchführen. spezifische Investitionen zu gering aus oder Motivationskosten entstehen zum einen es werden Kosten eingegangen, um die aufgrund von Informationsasymmetrien. andere Vertragsseite daran zu hindern, in Weil transaktionsrelevante Informationen Nachverhandlungen Zugriff auf die Erträge zwischen den Parteien oft ungleich verteilt dieser Investitionen zu gewinnen. Dieses sind, müssen die Vertragsparteien Kosten Problem wird in der Literatur als Hold-up- aufwenden, damit die jeweils andere Ver- Problem bezeichnet. Klassisches Beispiel ist tragsseite Informationsvorteile nicht oppor- eine Infrastrukturinvestition in eine Schie- tunistisch, sprich für sich selbst vorteilhaft nenverbindung zwischen einer Kohlemine und für die andere Seite nachteilhaft, aus- und einem Kohlekraftwerk. Findet sich nutzt. für die Schienenverbindung keine andere Zum anderen entstehen Motivations- Anwendung als die Lieferung von Kohle an kosten, weil sich die Vertragsparteien bei das Kraftwerk, so handelt es sich um eine Vertragsabschluss nicht glaubwürdig daran spezifische Investition, die sich außerhalb binden können, auf Nachverhandlungen der Vertragsbeziehung zwischen Infrastruk- zu Lasten der anderen Vertragsseite zu ver- turinvestor und Kraftwerksbetreiber nicht amortisieren lässt. Der Kraftwerksbetreiber 14 Siehe auch Milgrom und Roberts (1992, S. 28ff.). hat dann einen Anreiz, verbesserte Bedin-
Seite 20 Transaktionskosten gungen für sich (z. B. geringe Lieferpreise) in für Nach- und Neuverhandlungen. Dazu Nachverhandlungen durchzusetzen, nach- kommt es sowohl bei konventioneller Be- dem der Infrastrukturinvestor den Schie- schaffung als auch in ÖPP. Aufgrund der nenweg errichtet hat, d. h. nachdem er Kos- langen Vertragslaufzeiten sind sie aber ge- ten versenkt hat, die er durch Austritt aus rade für ÖPP ein typisches Phänomen.17 der Vertragsbeziehung nicht zurückholen Zwar müssen Nachverhandlungen zwi- kann.15 schen Vertragspartnern per se kein Problem Sowohl bei öffentlicher Beschaffung als darstellen. Weil die Vertragspartner anfäng- auch in ÖPP entstehen spezifische Koor- lich keinen vollständigen Vertrag schließen dinations- und Motivationskosten. Zu den können, sind sie geradezu darauf ange- Koordinationskosten gehören zunächst alle wiesen nachzuverhandeln, wenn sich zum Kosten, die bis zum Abschluss von Verträ- Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch gen zwischen öffentlichen und privaten nicht bekannte, aber für die Vertragsbezie- Partnern aufgewendet werden, also z. B. hung relevante Eventualitäten offenbaren. Kosten für Verhandlungen sowie Kosten für Das Coase-Theorem legt zudem nahe, dass rechtliche, wirtschaftliche und technische Nachverhandlungen zu effizienten Anpas- Beratung und staatliche Beurkundung. In sungen der ursprünglichen Verträge führen. ÖPP sind die eingegangenen Vertragsbe- Mit den Nachverhandlungen sind aber ziehungen in der Regel deutlich komple- wiederum Transaktionskosten verbunden, xer als bei konventioneller Beschaffung die den anfänglichen Projektkosten hinzu- – schon deshalb –, weil sie weitaus längere zurechnen sind. Vertragslaufzeiten beinhalten. Die bis zum Bei konventioneller Beschaffung fallen Vertragsabschluss eingegangenen Transakti- die Transaktionskosten nach Vertragsab- onskosten haben daher bei ÖPP regelmäßig schluss geringer aus, wenn der Staat selbst einen signifikanten Anteil an den gesamten den Betrieb der Infrastruktur übernimmt. Projektkosten.16 Anpassungen erfordern dann keine Nach- Weil die Verträge zwischen öffentli- verhandlungen. Sie können vielmehr in- chen und privaten Partnern in der Regel nerhalb der staatlichen Hierarchie durch unvollständig sind – nicht für alle nach entsprechende Weisungen umgesetzt wer- Vertragsabschluss auftretenden Eventua- den. Wenn beispielsweise Inklusion als litäten lassen sich bereits in anfänglichen Politikziel in den Betrieb einer Bildungs- Verträgen abschließende Regelungen fin- einrichtung aufgenommen werden soll, so den –, entstehen nach Vertragsabschluss kann das bei einer Bildungseinrichtung in weitere Transaktionskosten. Zu den wich- öffentlichem Betrieb durch entsprechende tigsten Transaktionskosten nach Vertrags- Weisung umgesetzt werden. Wird die Bil- abschluss gehören neben Kosten für die dungseinrichtung von einem privaten Part- Einhaltung von Verträgen und die Vermei- ner betrieben, sind dazu Neuverhandlungen dung opportunistischen Verhaltens (bei- notwendig. spielsweise versteckte Qualitätsmängel, um Vertragstheoretisch ausgedrückt liegen Kosten zu sparen) insbesondere Kosten im vorliegenden Beispiel die sogenannten residualen Kontrollrechte während des 15 Siehe Grossman und Hart (1986) sowie Hart Betriebs der Bildungseinrichtung – d. h. die und Moore (1990) zu Hold-Up-Problemen im All- gemeinen und Joskow (1987) zum Kohlebeispiel. Entscheidungsbefugnisse hinsichtlich der 16 Yescombe (2007) berichtet, dass diese Trans- aktionskosten in ÖPP regelmäßig 5 % bis 10 % der gesamten Projektkosten umfassen. Zur Höhe der 17 Siehe Shaoul, Stafford und Stapleton (2012) für Transaktionskosten in ÖPP siehe auch Major Con- Evidenz zu Nachverhandlungen in ÖPP in Großbri- tractors Group (2005). tannien.
Chancen und Risiken Öffentlich-Privater Partnerschaften Seite 21 Nutzung der Bildungseinrichtung, soweit In Deutschland sind die meisten ÖPP sie nicht vertraglich vereinbart oder gesetz- bislang auf kommunaler Ebene eingegan- lich vorgeschrieben sind – beim Staat, wenn gen worden und dort mit in der Regel eher die Bildungseinrichtung konventionell öf- kleinen Investitionsvolumina. Transakti- fentlich bereitgestellt wird; in einer ÖPP onskostenüberlegungen lassen vermuten, liegen sie dagegen beim privaten Partner. dass diese Projekte bei konventioneller Be- Dieser wird seine residualen Kontrollrechte schaffung günstiger hätten realisiert werden nur dann vertraglich einschränken oder im können. Zwar lässt sich dagegen argumen- Sinne des öffentlichen Partners einsetzen, tieren, dass durch die Zusammenfassung wenn er dafür entsprechend entgolten wird. von gleichartigen Infrastrukturprojekten Weil sich ÖPP nicht nur auf die Er- einzelner Kommunen zu einem Gesamt- richtung von Infrastruktur beschränken, projekt ein Finanzvolumen erreicht werden sondern auch auf deren Betrieb, ist die kann, das ÖPP vorteilhaft erscheinen lässt. Vertragsintensität in ÖPP im Vergleich zu Bisherige Erfahrungen mit der Zusammen- traditioneller Beschaffung nicht nur höher, fassung von kleinen Projekten in einer ÖPP die Anreize der Partner dürften in den Ver- lassen aber eher vermuten, dass dadurch zu- tragsverhandlungen auch unterschiedlich sätzliche Kosten entstehen, die das Projekt verteilt sein. Alles was der private Partner insgesamt unwirtschaftlich machen.20 in Verhandlungen für sich „rausschlägt“, erhöht seinen Gewinn. Die Verhandlungs- erfolge des öffentlichen Partners fallen dagegen letztlich dem Steuerzahler zu. heißt es: „[...] the Government has emphasised that Entsprechend dürfte der private Partner PFI would be used where it offered best value for stärkere Anreize haben, für Verhandlungen money by [...] stopping PFI where it was not found to be likely to generate value for money as was the entsprechende Ressourcen aufzuwenden case for information technology projects and pro- (Berater etc.) als der öffentliche. Selbst wenn jects with a capital value of less than £20 million.” es durch Nachverhandlungen zu effizienten 20 Im Landkreis Offenbach wurde die Sanierung Anpassungen der ursprünglichen Verträge und Instandhaltung von 91 Schulen mit insgesamt 500 Schulgebäuden als ÖPP mit einer Laufzeit von kommen sollte, ist deshalb davon auszuge- 15 Jahren (2004 bis 2019) realisiert. Ursprünglich hen, dass der private Partner davon mehr war ein Projektvolumen von 780 Mio. Euro geplant (davon 240 Mio. Euro Investitionen). Eine erstma- profitiert als die Gesellschaft.18 lige Prüfung des hessischen Landesrechnungs- Nun sind die mit Verhandlungen ver- hofes für den Zeitraum von 2004 bis 2006 stellte bundenen Transaktionskosten zumindest weder an der dem Projekt zugrundeliegenden Wirtschaftlichkeitsuntersuchung noch an der Ver- in Teilen unabhängig von der Größe des tragsgestaltung entscheidende Mängel fest. Auch Infrastrukturprojekts. Die höheren Transak- die Schulleiter äußerten sich zufrieden mit der vom privaten Partner erbrachten Qualität der Leistun- tionskosten in ÖPP dürften diese Beschaf- gen. Allerdings ist es in dieser ÖPP inzwischen zu fungsform deshalb gerade für eher kleine erheblichen Kostensteigerungen gekommen. Die Infrastrukturprojekte unattraktiv machen. jährlichen Kosten für den öffentlichen Partner wa- ren anfangs auf 52,1 Mio. Euro veranschlagt wor- Aus diesem Grund hat beispielsweise die den, lagen aber zuletzt (2014) bei 82,2 Mio. Euro. britische Regierung bereits vor einigen Jah- Laut eines vom hessischen Landesrechnungshof in Auftrag gegebenen Gutachtens der P&P Treuhand ren beschlossen, Infrastrukturprojekte mit (2015) werden die jährlichen Kosten bis 2019 auf einem Investitionsvolumen von weniger als 95,1 Mio. Euro steigen. Das Gutachten bemängelt 20 Millionen Pfund nicht mehr in ÖPP zu u. a. die hohe Vertragskomplexität der ÖPP und das unzulängliche Vertragscontrolling des öffentlichen realisieren.19 Partners. Zur ÖPP im Landkreis Offenbach im Ein- zelnen siehe Rechnungshof Hessen (2008, 2015), Kreis Offenbach (2010, 2011, 2012, 2013, 2015), 18 So auch Mühlenkamp (2013). Frankfurter Rundschau (2015a,b), Offenbach Post 19 In einem Report der HM Treasury (2006, S. 27) (2015) und P&P Treuhand (2015).
Seite 22 Transaktionskosten Hinzu kommt, dass sich durch die Zusam- Mit einer gewissen Bereitschaft zur Spe- menfassung von Infrastrukturprojekten zu kulation bedeutet die Best-Practice-Regel, Großinvestitionen die stark mittelständisch dass beispielsweise eine Autobahn durchaus geprägte Bauindustrie benachteiligt sieht, oder sogar besser in ÖPP realisiert werden weil die Vertragswerke in ÖPP als zu kom- kann. Die Bauphase ist sehr komplex, schon plex angesehen werden und zu wenig Ex- deshalb weil sie sich über einen langen Zeit- pertise in den Leistungsbereichen außerhalb raum erstreckt und naturgemäß großräu- des Bauens vorliegt.21 mig angelegt ist. Die Qualität während des Führt man die hier dargestellte Transak- Betriebs ist dagegen gut spezifizierbar, weil tionskostenperspektive mit der Lebenszyk- sich Verfügbarkeit (keine Staus oder Bau- luskostenperspektive des vorangegangenen stellen) und Verkehrssicherheit vergleichs- Kapitals zusammen, so lässt sich angelehnt weise einfach messen lassen. an Hart (2003) folgende Best-Practice-Regel Bildungseinrichtungen wie Kinderta- ableiten: Infrastrukturprojekte sollten in gesstätten dagegen sollten diesem Argu- ÖPP realisiert werden, wenn sich für den ment folgend eher konventionell realisiert Bau oder die Errichtung der Infrastruktur werden. Das Ergebnis der Bauphase, das keine vollständigen Verträge schreiben las- Gebäude, lässt sich vertraglich gut regeln. sen, aber die (Service-)Qualität während der Dagegen dürfte die Qualität während des Betriebsphase gut vertraglich spezifizierbar Betriebs vertraglich nur schwer zu spezifi- ist. Der private Partner hat dann während zieren sein.22 der Bauphase keine ausgeprägten Anreize, kostensparende Innovationen durchzufüh- ren, die zu Lasten der Qualität in der Be- triebsphase gehen. Zugleich wird durch die Lebenszyklusperspektive des privaten Part- ners sichergestellt, dass die Infrastruktur kostenminimal errichtet wird. Infrastrukturprojekte sollten dagegen eher konventionell realisiert werden, wenn sich die Eigenschaften des Baus gut vertrag- lich regeln lassen, aber die (Service-)Qua- lität während der Betriebsphase nicht gut kontrahierbar ist. Dann nämlich spielt die Lebenszyklusperspektive des privaten Part- ners in einer ÖPP während der Bauphase keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Zugleich entstehen während der Betriebs- phase geringere Transaktionskosten. Das gilt insbesondere dann, wenn sich während der Betriebsphase offenbarende Probleme oder notwendige Anpassungen durch Weisungen innerhalb der staatlichen Hierarchie lösen lassen. 22 Bezieht sich freilich die ÖPP im Bildungsbe- reich nur auf den Hochbau, so spricht vor dem Hintergrund des weiter oben Ausgeführten nichts 21 Siehe Zentralverband Deutsches Baugewerbe gegen ÖPP, zumal wenn es sich um Projekte mit (2016). hinreichend großem Investitionsvolumen handelt.
Chancen und Risiken Öffentlich-Privater Partnerschaften Seite 23 5. Verteilung des Risikos ÖPP beinhalten Risiken bei der Erstellung Endogene Risiken, die mit Errichtung der Infrastruktur, während des Betriebs und und Betrieb der Infrastruktur (Verfügbar- hinsichtlich der Nachfrage nach den Diens- keitsrisiken) verbunden sind, sollten vom ten der Infrastruktur, Finanzierungsrisiken privaten Partner getragen werden. Nutzer- und politische Risiken. Vereinbarungen da- entgelte oder Schattengebühren liefern für rüber, welche der beiden Seiten der Part- den privaten Partner Anreize, jene Risiken nerschaft welche Risiken trägt und welche zu minimieren, die zu zeitlichen Verzöge- Risiken implizit den Nutzern der Anlage rungen in der Errichtungsphase führen. überlassen werden, sind zentraler Bestand- Verfügbarkeitszahlungen liefern für den teil von ÖPP-Verträgen. Die Risikoallokation privaten Partner Anreize, die Wahrschein- in einer ÖPP sollte einerseits Anreizproble- lichkeit zu minimieren, dass häufigere Repa- men wie den weiter oben genannten Moti- raturarbeiten notwendig werden. vationsverzerrungen Rechnung tragen und Nachfragerisiken sind nur teilweise vom andererseits Risikoprämien möglichst ge- privaten Partner zu beeinflussen. Sie sind ring halten. in starkem Maße exogen oder vom öffent- Endogene Risiken, d. h. verhaltensab- lichen Partner beeinflussbar (beispielsweise hängige Risiken, sollten von jenem Partner kann die Politik Anreize setzen, Verkehr übernommen werden, der diese Risiken von einer ÖPP-Autobahn auf die Schiene zu am besten kontrollieren kann, wobei dieser lenken). Trotzdem sollte der private Partner Partner dann auch mit den entsprechenden zumindest einen Teil der Nachfragerisiken Kontrollrechten ausgestattet werden sollte. übernehmen. Eines der Probleme der tradi- Um zugleich Risikoprämien gering zu hal- tionellen öffentlichen Bereitstellung besteht ten, sollten exogene Risiken, d. h. von den darin, dass die gesamten Nachfragerisiken Partnern nicht beeinflussbare Risiken, von implizit vom Steuerzahler übernommen jenem Partner getragen werden, der diese werden und deshalb keine ausreichenden Risiken aufgrund entsprechender Risikoprä- Barrieren für die Anschaffung sogenannter ferenzen oder Diversifikationsmöglichkei- „weißer Elefanten“ (z. B. eine Autobahn von ten am besten absorbieren kann.23 irgendwo nach nirgendwo) bestehen.24 24 In der englischsprachigen Literatur werden Infrastrukturprojekte, die sich als nutzlos erweisen, viel Geld kosten, aber nicht ohne weiteres aufge- 23 Siehe dazu auch Irwin (2007). geben oder beseitigt werden können, als „white
Seite 24 Verteilung des Risikos Ein privater Partner, der zumindest einen sollte der Tunnel zum entsprechenden Zeit- Teil des Nachfragerisikos trägt, sollte einen wert an die Stadt Rostock übergehen. Der Anreiz haben, sich nur in solchen Projekten Tunnel wurde im September 2003 in Betrieb zu engagieren, die eine ausreichende Nach- genommen. Die Errichtungskosten blieben frage erwarten lassen. Mit mengenabhängi- weitgehend im ursprünglich vereinbarten gen Entgelten für den privaten Partner, also Rahmen und die Bauzeit war ein halbes Jahr Nutzer- oder Schattengebühren, wird der kürzer als zunächst geplant. So weit, so gut. private Partner am Nachfragerisiko beteiligt. Allerdings entpuppten sich die Progno- Erfahrungen mit ÖPP in anderen Län- sen hinsichtlich des Verkehrsaufkommens dern zeigen aber, dass damit noch keine als viel zu optimistisch. Ursprünglich wurde Gewähr gegen „weiße Elefanten“ geschaf- mit einem Verkehrsaufkommen von 35.000 fen wird. Private Partner in ÖPP werden in Fahrzeugen pro Tag gerechnet. In der ersten der Regel mit Hilfe eines Bieterverfahrens Zeit nach Eröffnung des Tunnels betrug ausgewählt, wobei der Meistbietende den das Verkehrsaufkommen jedoch nur 6.800 Zuschlag erhält. Das ist aber oft jener Bieter, Fahrzeuge pro Tag. Zwar wuchs das Ver- der die Nachfrage am meisten überschätzt. kehrsaufkommen in der Folgezeit auf etwas Viele ÖPP leiden mit anderen Worten an mehr als 10.000 Fahrzeuge pro Tag an. Die einem systematischen Winner’s-Curse-Pro- Betreibergesellschaft konnte den Tunnel blem.25 aber mit der auf Basis der Prognosen verein- Die ÖPP-Erfahrung mit der Warnow- barten Maut nicht kostendeckend betreiben. Querung bei Rostock mag diese Problematik Um eine Insolvenz der Betreibergesellschaft illustrieren.26 Im Jahr 1995 beschloss die abzuwenden, entschied sich die Rostocker Rostocker Bürgerschaft die Warnow zu un- Bürgerschaft im Jahr 2006, den Vertrag mit tertunneln und dieses Projekt im Rahmen der Betreibergesellschaft von 30 auf 50 Jahre einer ÖPP zu realisieren. Im Juli 1996 kam zu verlängern. Nach gegenwärtigen Berech- es zur Vertragsunterzeichnung mit dem nungen deckt damit der Gegenwartswert französischen Baukonzern Bouygues als der künftigen Mautzahlungen die Projekt- Generalunternehmer. Die Projektdurchfüh- kosten.27 rung oblag der Projektgesellschaft Warnow- querung GmbH & Co KG. Die Laufzeit des Projekts sollte 30 Jahre betragen. Insgesamt wurden 215 Mio. Euro in die Projektgesell- schaft eingebracht (20 % Eigenkapital, 68 % 27 Im Grunde hat sich die Warnow-ÖPP damit privates Fremdkapital und 12 % öffentliche einem von Engel et al. (2001) als optimal erachte- Zuschüsse). Nach geplantem Projektende ten ÖPP-Mechanismus angenähert. Darin legt der öffentliche Partner die Höhe der Mautgebühren (und eine Diskontrate) fest und private Unterneh- men treten in einen Bieterwettbewerb, wobei die elephants“ bezeichnet. Der Begriff geht zurück Gebote im Gegenwartswert der Mauteinnahmen auf den Brauch des Königs von Siam, unliebsam bestehen, die die Bieter erhalten wollen. Das Un- gewordenen Höflingen einen weißen Elefanten ternehmen mit dem niedrigsten Gebot erhält den zu schenken. Für die beschenkten Höflinge war Zuschlag und die ÖPP dauert bis zu dem Zeitpunkt der Unterhalt eines solchen Elefanten ruinös; als an, in dem die kumulierten Mauteinnahmen das Geschenk des Königs konnten sie ihn aber weder ursprüngliche Gebot des Unternehmens erreichen. verkaufen noch töten oder eingehen lassen. Im vorliegenden Fall hat man sich diesem Mecha- 25 Siehe Thaler (1988) zum Konzept des Winner’s- nismus freilich auf dem Weg von Nachverhandlun- Curse-Problems und Perkins (2013) zu seiner Be- gen angenähert und nur deshalb, weil sich die ÖPP deutung in ÖPP. für den privaten Partner als weniger einträglich 26 Zur Warnowquerung siehe im Detail Kröger entpuppt hat als zunächst vermutet. Wäre sie für (2004), Gawel (2005), Beckers (2005), Beck (2006), den privaten Partner besser ausgefallen als vermu- Spiegel Online (2006) und Mangler (2013). tet, hätte es entsprechende Nachverhandlungen wohl nicht gegeben.
Chancen und Risiken Öffentlich-Privater Partnerschaften Seite 25 Rückblickend ist schwer zu beurteilen, zubürden. Außerhalb von ÖPP werden diese ob man das Projekt Warnow-Querung re- Risiken auch von privaten Akteuren getra- alisiert hätte, wäre man von vornherein gen. Der private Sektor hat entsprechende von einer realistischeren Einschätzung der Instrumente entwickelt, um diese Risiken Nachfrage ausgegangen. Ferner ist schwer durch Diversifikation zu absorbieren. Es gibt zu beurteilen, ob der private Partner die keinen Grund, private Unternehmen in ÖPP Nachfrage tatsächlich falsch eingeschätzt in dieser Hinsicht anders zu behandeln als hat oder stillschweigend davon ausgehen sonstige private Akteure. durfte, dass der öffentliche Partner ihn nicht Schließlich entstehen aus der Perspek- in die Insolvenz gehen lassen würde. Sollte tive des privaten Partners politische Risiken, der private Partner in der Tat von einem weil der öffentliche Partner nach Vertrags- potenziellen Bail-out ausgegangen sein, so abschluss die Profitabilität einer ÖPP syste- war er von vornherein nicht mit dem tat- matisch beeinflussen kann. Beispielsweise sächlichen Nachfragerisiko konfrontiert. In könnte der öffentliche Partner, nachdem dem Fall konnte vom Nachfragerisiko kein er eine Autobahn-ÖPP eingegangen ist, in Schutz gegen „weiße Elefanten“ ausgehen.28 der der private Partner ein mengenabhän- In jedem Fall wurde der öffentliche Partner giges Entgelt erhält, eine Verlagerung des durch die Vertragsverlängerung schlechter Verkehrs von der Straße auf die Schiene gestellt, da ihm der Tunnel und die daran fördern. Zwar kontrolliert der öffentliche gekoppelten Nutzerentgelte nicht nach 30, Partner dieses Risiko, was zunächst dafür sondern erst nach 50 Jahren zufallen. spricht, es dem öffentlichen Partner zu Neben Nachfragerisiken beinhalten In- übertragen. Änderungen der politischen frastrukturprojekte finanzielle Risiken, also Agenda sind aber in der Regel Folge sich beispielsweise Zins- und Wechselkursri- ändernder gesellschaftlicher Präferenzen. siken. Diese sind zwar für den privaten Die Verlagerung des Verkehrs von der Straße Partner in beträchtlichem Maße exogen. auf die Schiene könnte beispielsweise nach Gleichwohl gibt es kaum einen Grund dafür, einem Regierungswechsel erfolgen oder diese Risiken dem öffentlichen Partner auf- weil sich aufgrund von EU-Vorgaben Um- weltstandards geändert haben. Außerhalb von ÖPP sind private Akteure solchen Risi- 28 ÖPP bieten auch dann keine Gewähr gegen „weiße Elefanten“, wenn Investitionsprojekte nicht ken ausgesetzt. Das spricht dafür, sie auch grundsätzlich neu bewertet werden, nachdem sich innerhalb von ÖPP dem privaten Partner zu in einer ÖPP-Ausschreibung keine privaten Partner übertragen.29 gefunden haben. Beispiel dafür mag der Neubau der Hamburger HafenCity Universität für Baukunst und Metropolentwicklung sein. Diese Universität war im Jahr 2006 entstanden und zunächst auf ver- schiedene Standorte verteilt, die in einem Neubau in der Hamburger HafenCity zusammengeführt werden sollten. Für den Neubau wählte die Stadt Hamburg einen in baulicher und ästhetischer Hinsicht sehr ehrgeizigen Entwurf des Architek- turbüros Code Unique aus. Realisiert und betrieben werden sollte der Neubau im Rahmen einer ÖPP. Dafür fanden sich aber keine privaten Partner. Des- halb entschied sich die Stadt Hamburg, das Projekt konventionell zu realisieren. Der Neubau wurde im Jahr 2014 mit zwei Jahren Verspätung übergeben. Ursprünglich wurden für den Neubau 39,4 Mio. 29 Gegebenenfalls ist freilich zu prüfen, ob die Euro veranschlagt. Im Jahr 2009 ging man aber Veränderung der Rahmenbedingungen zu einer bereits von 85 Mio. Euro aus. Wie viel der Neubau Störung der Geschäftsgrundlage geführt hat, die tatsächlich gekostet hat, ist offenbar noch nicht den privaten Partner berechtigt, eine Vertragsan- abschließend geklärt. passung zu verlangen.
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