China Strategie 2021-2024 - Parlament CH
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e-parl 22.03.2021 10:53 Aussenpolitische Strategie 2020–2023 China Strategie 2021–2024 Der vorliegende Bericht wurde vom Bundesrat am 19.03.2021 gutgeheissen. Es handelt sich um eine geografische Folgestrategie zur Aussenpolitischen Strategie 2020–2023 (APS 20–23) . Gemäss dem dortigen Ziel 6.4. erneuert die Schweiz ihre China-Strategie und schafft interdepartementale Koordinationsgremien, welche die Kohärenz stärken. Mit dem Bericht werden zudem das Postulat der APK-N (20.4334 ) und die Motion Nidegger (20.3738 ) erfüllt (siehe Anhang). 2
e-parl 22.03.2021 10:53 Vorwort Vor über siebzig Jahren, am 14. September 1950, haben die Volksrepublik China und die Schweiz ihre diplomati- schen Beziehungen aufgenommen. Der Bundesrat war zur Einschätzung gelangt, dass trotz weltanschaulicher Differenzen und unterschiedlicher politischer, gesellschaft- licher und wirtschaftlicher Systeme die Zusammenarbeit lohnenswert sei. Die Schweiz gehört damit zu den ersten westlichen Ländern, welche diesen Schritt vollzogen haben. Heute ist China nach der EU und den USA der dritt- Mit der vorliegenden Strategie hält die Schweiz an ihrer wichtigste Handelspartner der Schweiz und zählt zu den eigenständigen China-Politik fest. Die Schweiz bleibt der globalen Schwerpunktländern ihrer Aussenpolitik. China Zusammenarbeit und dem Dialog verpflichtet. Als neutraler ist wirtschaftlich und politisch zu einer globalen Führungs- Staat und als Gaststaat für internationale Organisationen macht geworden. Die Schweiz sucht die Zusammenarbeit, sieht sich die Schweiz in der Rolle einer Brückenbauerin. Sie bilateral und multilateral, um ihre Interessen zu wahren und bleibt dem internationalen Recht und einer regelbasierten globale Lösungen für die drängenden Herausforderungen multilateralen Zusammenarbeit verpflichtet. unserer Zeit voranzubringen. Um die tausend schweizerische Unternehmen sind in China aktiv. Der Bundesrat engagiert Die China-Politik der Schweiz hat viele Gesichter: Alle sieben sich dafür, dass diese mit sicheren und fairen Rahmenbedin- Departemente des Bundes stehen im Rahmen ihrer Zuständig- gungen operieren können. keiten mit China in Kontakt. Kantone, Städte, Hochschulen, private Unternehmen, Verbände und Think Tanks unterhalten Zu den schweizerischen Interessen zählen auch Werte. Dazu teils intensive Beziehungen zu Partnern in China. Föderalismus gehören die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit und die und dezentrale Entscheidungsfindung zählen zu den Stärken Menschenrechte. Sie sind zentral für das Funktionieren des der Schweiz, die es zu erhalten gilt. Mit der vorliegenden Erfolgsmodells Schweiz und Basis der erfolgreichen Aussen- China-Strategie will der Bundesrat dieser Vielfalt Rechnung beziehungen. Hinsichtlich dieser Werte liegt die Schweiz tragen. Gleichzeitig will er die Koordination verbessern und oftmals nicht auf einer Linie mit China. Umso wichtiger ist ein dadurch die politische Kohärenz stärken. Dialog über unsere Differenzen. Pioniergeist und Pragmatismus, aber auch das Einstehen für Das globale Machtgefüge wandelt sich. Unter anderem prägt die Interessen und Werte der Schweiz prägen die schweize- die geopolitische Rivalität zwischen den USA und China rische China-Politik seit siebzig Jahren. Sie werden dies auch zunehmend die internationalen Beziehungen. Die Weltpolitik in Zukunft tun. ist derzeit volatil und wenig vorhersehbar. Der Bundesrat berücksichtigt diese Dynamiken in der vorliegenden Strategie und wahrt die erforderliche Flexibilität, um auf weitere Entwicklungen reagieren zu können. Ignazio Cassis Vorsteher Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten 3
e-parl 22.03.2021 10:53 Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung 5 1 Warum eine China-Strategie? 6 2 Geopolitische Auslegeordnung 7 2.1 Eine neue Weltmacht 7 2.2 Internationale Konsequenzen 11 3 Die Schweiz und China 15 3.1 Beziehungen heute 15 3.2 Positionierung im internationalen Gefüge 20 3.3 Prinzipien für die Zusammenarbeit 21 4 Thematische Schwerpunkte 22 4.1 Frieden und Sicherheit 22 4.2 Wohlstand 24 4.3 Nachhaltigkeit 26 4.4 Digitalisierung 28 5 Umsetzung und Ressourcen 30 5.1 Interne Koordinationsinstrumente 30 5.2 Externe Koordinationsinstrumente 31 Annex 32 Präsenz der Schweiz in China 32 Abkürzungsverzeichnis 34 Glossar 35 Parlamentarische Vorstösse 38 4 Inhaltsverzeichnis
e-parl 22.03.2021 10:53 Zusammenfassung China ist ein gewichtiger internationaler Akteur. Die Strategie identifiziert die Prinzipien, Schwerpunkte, China hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt und Ziele und Massnahmen der schweizerischen China-Politik. zählt heute zu den Grossmächten. Langfristiger, staatlicher Die Schwerpunkte leiten sich ab aus der Aussenpolitischen Planung kommt auch heute noch hohe Bedeutung zu: So Strategie 2020–2023 (APS 20-23) des Bundesrates und hat die chinesische Führung jüngst ein Bündel von Strategien lauten wie folgt: veröffentlicht, auf deren Grundlage China in zehn Schlüssel- bereichen die technologische Weltführerschaft erreichen und 1. Frieden und Sicherheit, seinen weltweiten Einfluss weiter stärken will. 2. Wohlstand, 3. Nachhaltigkeit, China ist de facto ein Einparteienstaat. Autoritäre 4. Digitalisierung. Tendenzen haben in den letzten Jahren zugenommen, ebenso die Repression gegen Andersdenkende und die Verfolgung Die Schweiz sucht gezielt die Zusammenarbeit mit China. Sie von Minderheiten. China verlangt stärkere Mitsprache in vermittelt wo immer möglich, um chinesische und westliche internationalen Organisationen und schickt sich an, Regeln Vorstellungen zum allseitigen Nutzen zu verbinden und der internationalen Zusammenarbeit nach Massgabe der gemeinsame Standards zu erhalten und weiterzuentwi- eigenen Interessen mitzugestalten. Spannungen zwischen ckeln. Dabei soll die liberale internationale Ordnung gewahrt China und den USA nehmen zu. Die EU pocht verstärkt auf werden. Die Schweiz scheut sich auch nicht davor, Kritik Einhaltung etablierter Spielregeln. Diese wachsenden geopo- zu äussern, wenn es die Situation erfordert. Sie koordiniert litischen Rivalitäten verringern den Spielraum für die interna- sich dabei mit Staaten, die ähnliche Werte und Interessen tionale Zusammenarbeit. Diese Entwicklung ist nicht im Sinne vertreten. Insbesondere europäische Staaten sind dabei der Schweiz. Als Mittelmacht mit einer offenen, exportorien- naheliegende Partner. tierten Volkswirtschaft hat sie ein unmittelbares Interesse an einer breit getragenen liberalen internationalen Ordnung und Der Bundesrat will die Kohärenz im Föderalismus handlungsfähigen multilateralen Organisationen. stärken. Die Strategie gibt einen Orientierungsrahmen vor. Sie kann jedoch nicht politische Einzelentscheide der Die Schweiz blickt auf 70 Jahre Zusammenarbeit mit der kommenden Jahre vorwegnehmen. Die Umsetzung der Volksrepublik China zurück. Pioniergeist, Flexibilität und China-Strategie ist Teil der kontinuierlichen Ausgestaltung der Offenheit, aber auch gegenseitiger Respekt vor den unter- Aussenpolitik durch den Bundesrat. Die China-Kompetenzen schiedlichen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaft- der Schweiz in- und ausserhalb der Bundesverwaltung sollen lichen Systemen prägten die Beziehungen zwischen den ausgebaut werden. Der Bundesrat stärkt die Kohärenz seiner beiden Ländern. Heute ist China der drittwichtigste Handels- Politik gegenüber China und schafft dazu neue Koordina- partner der Schweiz, wobei ein Freihandelsabkommen, eine tionsgremien in der Bundesverwaltung. In der interdeparte- innovative strategische Partnerschaft, aber auch Dutzende mentalen Arbeitsgruppe China sind Bundesstellen aus allen von Dialoggefässen, inklusive über Menschenrechte, die sieben Departementen vertreten, die mit China befasst sind. Grundlage bilden. Zugleich stärkt der Bundesrat den Informationsaustausch mit Akteuren ausserhalb der Verwaltung, die für die Gestaltung Die Zusammenarbeit mit China bleibt geleitet durch der Beziehungen zu China eine wichtige Rolle spielen, wie schweizerische Interessen und Werte. Der Bundesrat ist dem Parlament, den Kantonen, der Wissenschaft, dem Privat- überzeugt, dass die Schweiz ihre Interessen und Werte auch sektor und der Zivilgesellschaft. in Zukunft am wirksamsten durch konstruktiv-kritischen Dialog und breit diversifizierte Beziehungen zu China wahren kann. Die Schweiz will Brücken bauen, Chancen nutzen und Probleme offen ansprechen. Eine Abkehr von der bisherigen Politik gegenüber China hätte keine positive Wirkung auf Chinas innenpolitische Entwicklung, würde hingegen schwei- zerischen Interessen schaden und Unsicherheiten bezüglich ihrer aussenpolitischen Positionierung schüren. Zusammenfassung 5
e-parl 22.03.2021 10:53 1 Warum eine China-Strategie? Kaum ein anderes Land hat sich in den letzten drei Die Beziehungen zwischen der Schweiz und China inten- Jahrzehnten so stark gewandelt wie China. Das Land ist zu sivieren sich fortlaufend. Es gibt jedoch Bereiche, in denen einer Lokomotive der Weltwirtschaft und zu einer Gross- diese in den letzten Jahren komplizierter geworden sind. macht mit weitreichenden geopolitischen Ambitionen Wertedifferenzen treten immer häufiger und deutlicher zu aufgestiegen. Chinas wachsendes weltpolitisches Gewicht Tage. Für die Schweiz bleibt das Einstehen für Demokratie, verändert die Rahmenbedingungen der internationalen Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte sowie eine liberale inter- Beziehungen. In den multilateralen Organisationen nimmt nationale Ordnung ein zentraler Bestandteil ihrer Aussen- China mehr Einfluss, zwischen China und den USA zeichnet politik. Dabei ist sie gerade in ihrer China-Politik vermehrt mit sich eine Periode strategischer Konkurrenz ab und zwischen Zielkonflikten konfrontiert. China und der Europäischen Union werden systemische Rivali- täten zunehmend deutlich sichtbar. Vor diesem Hintergrund Die Frage der Kohärenz gewinnt somit an Bedeutung. Dies gestaltet die Schweiz ihre China-Politik. umso mehr, als die Anzahl der Akteure in der Schweiz, die Kontakte mit China pflegen und damit im weiteren Sinne die In allen vier Schwerpunktthemen der APS 20–23 – Frieden China-Politik mitgestalten, stetig zunimmt. Gleichzeitig ist und Sicherheit, Wohlstand, Nachhaltigkeit, Digitalisierung – nicht zu verkennen, dass die China-Kompetenz (Glossar ) spielt China heute eine wichtige Rolle für die Erreichung der in der Schweiz häufig noch unterentwickelt ist. Die Strategie Ziele, die sich die Schweiz gesetzt hat. Am augenfälligsten ist bietet einen Orientierungsrahmen für die kommenden vier die wirtschaftliche Bedeutung. China ist der drittwichtigste Jahre. Sie schafft zugleich die Voraussetzungen dafür, die Handelspartner der Schweiz nach der EU und USA. Um die Koordination und den Informationsaustauch im Rahmen der tausend schweizerische Unternehmen in Bereichen wie China-Politik der Schweiz zu verstärken. Maschinenbau, Dienstleistungen und Konsumgüter haben in China investiert. Vor der Covid-19-Pandemie verbrachten Als geografische Folgestrategie der APS 20−23 bezieht chinesische Touristen jährlich mehr als eine Million Logier- sich die vorliegende China-Strategie auf die Periode 2021−24 nächte in der Schweiz. (Grafik 1). Ebene 1 Strategisch (Bundesrat) Aussenpolitische Strategie 2020–2023 Geografisch Thematisch Thematisch IZA-Strategie Ebene 2 MENA Strategie 2021–2024 2021–2024 China Strategie 2021–2024 Strategie Strategie Subsahara-Afrika Strategie Digitalaussenpolitik Landeskommunikation 2021–2024 2021–2024 2021–2024 Operationell (Departemente) Ebene 3 Leitbild Privatsektor im Rahmen Leitlinien Menschenrechte 2021–2024 der IZA-Strategie 2021–2024 Grafik 1: Aussenpolitische Strategiekaskade (Quelle: EDA – illustrative Auswahl an Dokumenten). 6 Warum eine China-Strategie?
e-parl 22.03.2021 10:53 2 Geopolitische Auslegeordnung 2.1 Eine neue Weltmacht In den letzten 40 Jahren ist die chinesische Wirtschaft Die chinesische Regierung peilt die Wiedererlangung eines exponentiell gewachsen. 1980 machte das chinesische Anteils an der Weltwirtschaft an, wie er dem Land nach Bruttoinlandprodukt (BIP) weniger als die Hälfte des schwei- ihrem Verständnis aufgrund seiner Grösse und Geschichte zerischen BIP aus. Heute beträgt es das vierzigfache. China ist zusteht (Grafik 2). Chinas Wirtschaftswachstum hat sich in zur zweitgrössten nationalen Volkwirtschaft der Welt aufge- den letzten Jahren zwar deutlich verlangsamt (Grafik 3). Im stiegen. Gemessen an Kaufkraftstandards hat China die USA Unterschied zu vielen anderen Staaten fiel China aber auch als grösste Volkswirtschaft gar überholt.1 im Kontext der Covid-19-Pandemie 2020 in keine Rezession. Sein Anteil an der Weltwirtschaft wird in den nächsten Jahren Das BIP pro Kopf in China fällt derzeit zwar noch etwa weiter zunehmen. viermal geringer aus als in den USA. Dennoch ist China heute eine wirtschaftliche Weltmacht. Das Land hat den grössten Anteil am Welthandel. Die vier grössten Banken der Welt gemessen an ihrer Bilanzsumme sind chinesisch und global systemrelevant.2 Die internationale Bedeutung der chinesi- schen Währung ist noch bescheiden, der Renminbi könnte sich längerfristig jedoch als internationales Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittel etablieren. 100% Grafik 2: Anteil der Grossmächte oder geopolitischen Regionen am globalen China BIP über 2000 Jahre (Quellen: Statistics on World Population, GDP; per Capita USA GDP 1-2008 AD, Angus Maddison; ab 75% 2008: IWF). 8^ Indien aR@0N7$>/#$0RGY 50% Süd- 89 und Westeuropa V$3#0*$70X$%# :^ 1/")20 25% N7$>/#$0RGY R>/-$"`0N7$>/#$0 !"#$% :9 RGY Rest der Welt 0% 1 1000 1500 1600 1700 1820 1850 1870 1900 1913 1950 1960 1979 1980 1990 2000 2010 2020 1 Eurostat (EU Kommission), Die Ergebnisse des Internationalen Vergleichspro- gramms 2017: China, die USA und die EU sind die grössten Volkswirtschaften der Welt , Mai 2020. 2 Financial Stability Board, 2020 list of global systemically important banks , November 2020. Geopolitische Auslegeordnung 7
e-parl 22.03.2021 10:53 War bis zum Ende des Kalten Krieges die Welt in zwei 12.5% konzeptuell unterschiedlichen Entwicklungsmodelle geteilt (freie Marktwirtschaft vs. Planwirtschaft), ist die Lage heute 10% um einiges komplexer geworden. Dank der Globalisierung sind heute die Verflechtungen zwischen den USA, China und BIP-Wachstumsraten in %, Quartalszahlen Europa in allen Bereichen (wirtschaftlich, wissenschaftlich, 7.5% China technologisch und kulturell) sehr eng. Gewisse Autoren sehen im Entwicklungsmodell Chinas einen «Staatskapitalismus», 5% der dem US-Modell der «freien Marktwirtschaft» und dem europäischen Modell der «sozialen Marktwirtschaft» 2.5% gegenüber steht.3 Es handelt sich hierbei zwar um eine starke didaktische Vereinfachung der Realität, die jedoch die Suche 0% Schweiz nach neuen gesellschaftlichen Entwicklungsmodellen für das 21. Jahrhundert verdeutlicht. -2.5% Seit der Übernahme der Partei-und Staatsführung durch Xi -5% Jinping in 2012 bzw. 2013 hat in China eine noch stärkere 2009 2010 2011 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Zentralisierung der politischen Macht stattgefunden. Die «Wiederbelebung» und «Erneuerung» der chinesischen Grafik 3: Wachstumsraten des chinesischen und Schweizer BIP pro Quartal Nation und Kultur und die damit verbundene nationale in Prozent, reales BIP, vor Covid-19 (Quellen: Amt für Statistik der Volks- republik China, SECO). Kohäsion sind dabei wichtige Anliegen der chinesischen Führung. Zudem wurde die gesellschaftliche Kontrolle verstärkt. Wie kaum ein anderer Staat nutzt China die Die Gründe für den rasanten Aufstieg Chinas liegen in der Möglichkeiten der Digitalisierung, namentlich Künstliche «Öffnungs- und Reformpolitik», die das Land 1978 eingeleitet Intelligenz und Big Data-Methoden, auch zur sozialen Diszi- hat. Eine kontrollierte und gezielte Öffnung der chinesischen plinierung. Die Volksrepublik kennt zudem das wohl weltweit Märkte und die Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen umfassendste System der Regulierung des digitalen Raumes. hatten grosse Anziehungskraft auf ausländische Investoren. So wird etwa der Zugang zu unerwünschten Netzinhalten, Dank der Globalisierung konnte sich China als ein elemen- ausländischen Digitalunternehmen und sozialen Medien tarer Bestandteil vieler globaler Wertschöpfungsketten unterbunden. Auch im Bildungs- und Forschungsbereich positionieren. Hunderte von Millionen Menschen konnten nimmt der Einfluss der KPC zu. sich innert weniger Jahrzehnte aus der Armut befreien. Somit leistet China einen wesentlichen Beitrag zur globalen Armuts- Unter zusätzlichen Druck geraten auch die Rechte von reduktion (Grafik 4). ethnischen Minderheiten, namentlich der Uiguren oder der Tibeter, aber auch von religiösen Gruppierungen. Die Allerdings hat sich die im Westen lange verbreitete Hoffnung, Menschenrechtslage in China hat sich verschlechtert. Mit wonach die marktwirtschaftliche Öffnung und das Entstehen Verabschiedung des sogenannten Sicherheitsgesetzes im Juli einer wohlhabenden Mittelklasse auch eine politische Libera- 2020 werden Einschränkungen der Meinungs- und Medien- lisierung mit sich bringen würden, nicht realisiert. Weder freiheit sowie der demokratischen Institutionen auch in Handel noch Internet haben zu einem entsprechenden Wandel Hongkong stärker spürbar. Sicherheit und Stabilität werden Chinas geführt. Im Gegenteil haben sich in den letzten Jahren somit höher gewichtet als individuelle Freiheiten. die autoritären Tendenzen verstärkt. Chinas Bürgerinnen und Bürger wurden wohlhabender, aber in Bezug auf politische 2.0 Rechte nicht freier. Das chinesische Regierungsmodell bleibt ein De-facto- 1.5 China Anzahl Menschen (Mrd.) Einparteienstaat unter Führung der Kommunistischen Partei Chinas (KPC). Diese dominiert die Staatsstrukturen der 1.0 Volksrepublik, die wichtigsten Entscheide werden durch die Parteiorgane gefällt, welche auch die Volksbefreiungsarmee Rest der Welt kontrollieren. Eine Gewaltentrennung zwischen Exekutive, 0.5 Legislative und Judikative im Sinne einer liberalen Demokratie existiert nicht (vgl. Glossar: Chinesisches Staatssystem ). Gemäss Verfassung ist die Führung durch die KPC das zentrale 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2017 Merkmal des «Sozialismus chinesischer Prägung». Weiter Grafik 4: Anzahl Personen mit weniger als 1,90 US-Dollar/Tag wird in der Verfassung festgehalten, dass die «Sabotage» des Kaufkraft (Quelle: Weltbank). sozialistischen Systems verboten ist. 3 Tobias Ten Brink, Andreas Nölke, Staatskapitalismus 3.0 , 2013. 8 Geopolitische Auslegeordnung
e-parl 22.03.2021 10:53 China hat verschiedene Massnahmen getroffen, um die 30% Grundlagen seines Wohlstands und seiner Macht abzusichern: Erstens wird das wirtschaftliche Wachstumsmodell so um- 20% USA gestaltet, dass die Abhängigkeit vom Ausland reduziert und China die Binnennachfrage gestärkt wird. Der Anteil des Aussen- handels am BIP Chinas ist von über 60% vor 15 Jahren auf 10% UK 35% 2019 gesunken. Deutschland Schweiz Zweitens – und mit dem ersten Punkt verbunden – ist China 0 im Begriff, auch technologisch eine Weltmacht zu werden. 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Der chinesische Staat und die Unternehmen investieren stark in Bildung, Forschung und Innovation. 2019 hat China erst- Grafik 5: Prozentualer Anteil an zitierten Artikeln in westlichen Journals mals die USA als Land mit den weltweit meisten internatio- (Quelle: SCImago ). nalen Patentanmeldungen abgelöst. Im Bereich der Robotik ist China marktführend. Schon das dritte Jahr in Folge führte dabei der Telekommunikationskonzern Huawei die Rangliste Drittens holt China auch im Bereich militärischer Fähig- bei den einzelnen Firmen an, mit über 4400 angemeldeten keiten auf. Die Volksbefreiungsarmee entwickelt sich zu- Patenten.4 Auch bei der Anzahl der in westlichen wissen- nehmend zu einer modernen Streitkraft. Zwar bestehen nach schaftlichen Fachzeitschriften veröffentlichten Artikel hat wie vor Fähigkeitslücken, und die Kluft zu den USA, die über China zu den USA aufgeholt (Grafik 5). Gemäss der Strategie 800 Militärbasen rund um den Globus und ein Netzwerk von «Made in China 2025»5 soll die Qualität der chinesischen Pro- Alliierten verfügen, bleibt beträchtlich. Aber China kann heute duktion gesteigert werden. China soll nicht mehr nur in der militärische Wirkung auch abseits des Festlands erzielen und Produktion mit geringer Wertschöpfung ein Schwergewicht wird langfristig weltweit zur punktuellen Machtprojektion in sein. Hierzu wurden zehn Schlüsselindustrien identifiziert, der Lage sein. Das Nuklearwaffenarsenal ist im Vergleich zu darunter Computertechnologie, Robotik, Medizin und grüne den USA und Russland klein, wird aber vergrössert und mo- Technologien. Der IT- und Technologiesektor ist bereits heu- dernisiert. Cybermittel nehmen in der chinesischen Militärdok- te sehr leistungsfähig. In China konnte sich – auch gestützt trin weiter an Bedeutung zu. Zudem investiert das Land viel in durch eine protektionistische Industriepolitik – ein bedeuten- die Entwicklung neuartiger strategischer Waffensysteme. Die des digitales «Ökosystem» etablieren, mit grossen digitalen chinesischen Militärausgaben steigen und liegen nach den Anbietern, die zunehmend ins Ausland expandieren. USA an zweiter Stelle weltweit. Im Vergleich zum BIP bleiben sie aber konstant (Grafik 6). 4 WIPO, China Becomes Top Filer of International Patents in 2019 Amid Robust Growth for WIPO’s IP Services, Treaties and Finance , April 2020. 5 Mercator Institute for China Studies, Evolving Made in China 2025 , July 2019. Grafik 6: Militärausgaben Chinas (Schätzungen) und der 900 6.0% USA in realen Ausgaben (linke Skala) und gemessen am BIP (rechte Skala) (Quelle: SIPRI Military Expenditures 800 Database, Stockholm 2020). 5.0% 700 600 4.0% 500 USA 400 USA% BIP 3.0% USD Mrd. 300 China % BIP 2.0% 200 100 1.0% 0 China 0% 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 Geopolitische Auslegeordnung 9
e-parl 22.03.2021 10:53 Unter Präsident Xi pflegt China ein neues Selbstverständ- Eine Herausforderung ist die demographische Entwick- nis als Grossmacht. International manifestiert sich dies in lung. China hat nicht nur die grösste Bevölkerung weltweit einer deutlich aktiveren Aussenpolitik und dem Anspruch, (19%), sondern auch die am schnellsten alternde. Landflucht als Weltmacht respektiert zu werden. Nach chinesischer Les- und eine beschleunigte Urbanisierung bringen sozial und art geht es dabei um die «Rückkehr» in eine weltpolitische wirtschaftlich sowohl Vorteile als auch Herausforderungen. Führungsrolle – dies nachdem das chinesische Kaiserreich in Ein anhaltendes Thema ist zudem die Ungleichheit in der der Zeit des europäischen Imperialismus an einem politischen chinesischen Gesellschaft: Auch wenn die grosse Mehrheit und wirtschaftlichen Tiefpunkt angelangt war. Die Handha- der Chinesinnen und Chinesen vom Aufschwung der letzten bung der Covid-19-Pandemie hat das Selbstbewusstsein der Jahrzehnte profitieren konnte, haben die Unterschiede in der politischen Führung weiter gestärkt. Die Interessenlage und Einkommensverteilung zugenommen.6 geostrategische Agenda der Volksrepublik sind heute zuneh- mend global geprägt. Schliesslich bringt die rasante Entwicklung Chinas auch massive Umweltprobleme mit sich. Neben lokalen und regionalen Allerdings sieht sich China auch mit grossen internen Heraus- Umweltproblemen wie der Verschmutzung von Boden, Luft forderungen konfrontiert. Die Unsicherheiten hinsichtlich und Wasser, ist der Ausstoss von klimaerwärmenden Gasen der weiteren Entwicklung des Welthandels, die alternde ein Problem von globalen Dimensionen. Obwohl Chinas Gesellschaft oder die hohe interne Verschuldung schaffen Emissionen im Jahr 2013 ihren Höchststand erreicht haben, eine anspruchsvolle wirtschaftliche Ausgangslage für die ist das Land mit seinem Anteil von etwa 28% an den globalen kommenden Jahre. Emissionen immer noch der weltweit führende CO2-Emittent. Seine CO2-Emissionen pro-Kopf sind hingegen mit denen der europäischen Länder vergleichbar (Grafik 7). Mehr als 80% seines Energiemixes besteht aus fossilen Brennstoffen. Aller- dings hat Präsident Xi das Ziel formuliert, dass China vor 2060 klimaneutral sein soll. China investiert bereits heute mehr als jedes andere Land in erneuerbare Energien und ist zu einer Vorreiterin der Elektromobilität geworden. Sollte es dem Land gelingen, seine ambitionierten Klimaziele zu erreichen, wäre dies ein sehr wichtiger Schritt im weltweiten Kampf gegen den Klimawandel. 6 World Bank, The World Bank in China: Overview ; World Bank, Data Bank: Poverty and Equity ; Asian Development Bank Data Library, People’s Republic of China, Key Indicators . 9 25 Grafik 7: Totale (linke Skala) und pro-Kopf (rechte Skala) 8 CO2 -Emissionen Chinas im Verhältnis zum Rest der Welt, bzw. zu den USA und 7 20 der Schweiz (Quelle: World Development Indicators Weltbank, sowie Global 6 CO2-Emissionen, Basisjahr 1990 (Gt) Carbon Project). CO2-Emissionen pro Kopf (t) 5 USA pro Kopf 15 4 3 10 China pro Kopf 2 1 China total 5 Schweiz pro Kopf 0 Rest der Welt total -1 0 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 10 Geopolitische Auslegeordnung
e-parl 22.03.2021 10:53 2.2 Internationale Konsequenzen China verändert die Welt. Mehr als andere Grossmächte sondern bringen für die betroffenen Länder auch Entwick- folgt die Volksrepublik dabei einer langfristigen Strategie. lungschancen mit sich. Dabei zeigen sich jedoch auch Die von China ausgehende wirtschaftliche Dynamik steht in Unterschiede zu den über Jahrzehnte entwickelten Grund- einer Wechselwirkung mit verstärktem politischen Einfluss. sätzen der Entwicklungsfinanzierung der OECD-Geber- Unter Ländern des globalen Südens gewinnt das chinesische staaten. Ein Beispiel betrifft die Transparenz: Über Umfang, Entwicklungsmodell von Wohlstand ohne politischen Plura- Konditionalität und Finanzierungsbedingungen ist mangels lismus als Alternative zur liberalen Demokratie zunehmend an öffentlicher statistischer Informationen wenig bekannt. China Attraktivität. Die Folgen für die internationale Ordnung sind beteiligt sich auch nur bedingt an den Reformen, wie sie mit weitreichend. den Schuldnerländern beispielsweise in IWF- oder Weltbank- programmen zu Schuldentransparenz und -nachhaltigkeit, Für viele Länder in Asien, Lateinamerika, aber auch in Strukturanpassungen oder Massnahmen zur guten Regie- Subsahara-Afrika hat sich China als grösster bilateraler rungsführung vereinbart werden. Manche Empfängerländer Handels- und Investitionspartner etabliert. Grosse durch haben sich gegenüber China in eine starke finanzielle Abhän- China finanzierte oder vorfinanzierte Infrastrukturprojekte gigkeit begeben. ermöglichen nicht nur einen Zugang Chinas zu natürlichen Ressourcen, neuen Märkten und Produktionskapazitäten, Grafik 8: Verschiedene Wirtschaftskorridore der Belt & Road Initiative (Quelle: NDB, Lagebericht Sicherheit 2020 ). Arktischer Ozean Atlantischer Ozean Rotterdam Europa Moskau Novosibirsk Venedig Ulan-Bator Astana Pazifischer Zentralasien Beijing Ozean Athen Ankara Ürümqi Lianyungang Bischkek Shanghai Xi’an Duschanbe Fuzhou China Lanzhou Naher Osten Teheran Kunming Guangzhou Gwadar Afrika Kolkata Colombo Singapur Mombasa Jakarta Indischer Ozean Neue eurasische Kontinentalbrücke (Seidenstrassen-Wirtschaftsgürtel) Wirtschaftliche Landkorridore: Wirtschaftliche Seepassagen: China-Mongolei-Russland China-Indischer Ozean-Afrika-Mittelmeer China-Zentralasien-Westasien China-Arktischer Ozean-Europa China-Pakistan China-Ozeanien-Südpazifik China-Bangladesch-Indien-Myanmar China-Indochinesische Halbinsel Geopolitische Auslegeordnung 11
e-parl 22.03.2021 10:53 Die von China 2013 ins Leben gerufene «Belt and Road stellt aber als einziges Land vier Direktoren von insgesamt 15 Initiative» (BRI, vgl. Glossar ) steht exemplarisch für ein UNO-Sonderorganisationen. global orientiertes Entwicklungsmodell, mit dem China seine wachsende wirtschaftliche und geopolitische Präsenz auf dem In der WTO profitiert China in den meisten Bereichen internationalen Parkett mit einem Markennamen versehen weiterhin vom Status als Entwicklungsland. Bisher hat es will und seinen Führungsanspruch strategisch ausbaut und jedoch nur beschränkt Verantwortung für Erhalt und Ausbau unterstreicht.7 Auch wenn sie nicht präzis definiert ist, geht der multilateralen Handelsregeln übernommen. In multi- es in erster Linie darum, innerhalb Chinas die Entwicklung der lateralen Entwicklungsbanken ist China teilweise unter den ärmeren Westprovinzen zu beschleunigen und die Konnekti- zehn grössten Geberstaaten, so zum Beispiel bei der Inter- vität zwischen Regionen (primär Asien, Zentralasien, Europa nationalen Entwicklungsorganisation der Weltbankgruppe. und Afrika) zu stärken (Grafik 8). Dabei spielen grosse Infra- Das Land bleibt aber gleichzeitig bedeutender Kreditnehmer strukturvorhaben und die Koordination der Wirtschafts- und und hat somit in diesen Institutionen eine aussergewöhnliche Finanzpolitik eine zentrale Rolle. Doppelrolle inne. China initiiert zudem neue Gouvernanz- strukturen. So lancierte China 2015 eine neue multilaterale Anders als multilaterale Organisationen ist die BRI kein Entwicklungsbank, die Asiatische Infrastruktur-Investi- Verbund von völkerrechtlich gleichberechtigten Mitgliedern, tionsbank (AIIB), welche zunehmend Aktivitäten über Asien sondern eine auf China als Initiator, Gastgeber und perma- hinaus entwickelt. nenten Vorsitzenden ausgerichtete Struktur. Dies birgt die Problematik, dass die Anwendung international akzeptierter China nutzt seinen wachsenden Einfluss auch, um das multi- Standards nicht in gleich bindendem Masse verhandelt und laterale System zu seinen Gunsten umzugestalten. So deutet überprüft wird wie in multilateralen Gefässen. Die konkrete Peking Normen der bestehenden internationalen Ordnung Umsetzung dieses strategischen Programms in seinen getreu seines Gesellschafts- und Entwicklungsmodells um. verschiedenen Elementen wird von China flexibel gehandhabt. Dies zeigt sich insbesondere im Menschenrechtsbereich. Auch setzt sich China dafür ein, den Zugang zivilgesellschaftlicher Stark verändert hat sich Chinas Rolle in Bezug auf den Akteure zu internationalen Organisationen einzuschränken. Multilateralismus. Die Volksrepublik investiert heute viel in bestehende multilaterale Foren. Sie bringt sich stärker ein, Der Machtzuwachs Chinas und sein robustes Einstehen für übernimmt Verantwortung und präsentiert sich als Stütze der eigene Interessen verstärkt Tendenzen zur weiteren Fragmen- bestehenden Ordnung. Der Anteil Chinas an der Finanzierung tierung der internationalen Ordnung. Sein stark wachsender der Vereinten Nationen ist in den letzten zehn Jahren rasant Einfluss im UNO-System hängt auch damit zusammen, dass gestiegen (Grafik 9), die Unterstützung an verschiedene die USA in den letzten Jahren nicht bereit waren, multilateral UNO-Organe ist jedoch selektiv. Von den fünf Vetomächten im selben Ausmass wie früher die Führungsrolle einzunehmen. des UNO-Sicherheitsrats stellt China am meisten Truppen Bemühungen zur Reform und zur Stärkung des multilateralen für Friedensmissionen. Unter den Mitarbeitenden des Systems sind durch die wachsende Rivalität zwischen China UNO-Sekretariats ist China zwar noch unterrepräsentiert. Es und den USA noch schwieriger geworden. Die US-amerikanische China-Politik hat sich stark 7 NDRC, MFA, MOFCOM, Vision and Actions on Jointly Building Silk Road verändert. Washington bezeichnet China nicht mehr als Economic Belt and 21st-Century Maritime Silk Road , March 2015. Partner, sondern als «strategischen Wettbewerber». Die Rang Grafik 9: Rangliste der 10 1 USA grössten Beitragszahler an 2 China das reguläre Budget der 3 Japan UNO seit 2010 (Quelle: UNO). 4 Deutschland 5 UK 6 Frankreich 7 Italien 8 Brasilien 9 Kanada 10 Russland 2010–2012 2013–2015 2016–2018 2019–2021 12 Geopolitische Auslegeordnung
e-parl 22.03.2021 10:53 wachsende Skepsis ist parteiübergreifend. Sowohl die China (Dezember 2020) versucht die EU-Kommission diesen USA als auch China haben unter der Administration Trump Prinzipien Nachdruck zu verleihen und die wirtschaftlichen gegenseitig eine Reihe von Zöllen, Sanktionen und Verboten Bedingungen zu verbessern. Viele Unternehmen sind im verfügt, welche die Weiterführung globaler Wertschöpfungs- chinesischen Markt nach wie vor mit Rechtsunsicherheit und ketten erschweren. Angesichts der engen Verflechtung der Willkür, Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums beiden Volkswirtschaften ist eine umfassende Entkoppelung und des Daten- und Persönlichkeitsschutzes und erzwun- (decoupling) schwer vorstellbar und mit immensen Kosten genen Technologietransfers konfrontiert. In der chinesischen verbunden. Hingegen ist eine partielle Entkoppelung etwa Wirtschaft kommt dem Staat und staatlich kontrollierten bzw. bei neuen Technologien und strategischen Gütern wie Mikro- subventionierten Unternehmen weiterhin eine dominante chips bereits im Gange. Rolle zu, was zu signifikanten Wettbewerbsverzerrungen führen kann. Der Marktanteil ausländischer Dienstleistungs- Es ist noch nicht absehbar, wieweit sich die globale unternehmen in China ist weiterhin auf sehr tiefem Niveau. Gouvernanz weiter fragmentieren wird und ob sich die Abgrenzung in Normenräume mit je eigenen Wertesystemen, China seinerseits ist heute in Europa deutlich präsenter als Industriestandards, Datenräumen und Zahlungssystemen noch vor einem Jahrzehnt. Mit zahlreichen Staaten bestehen vertiefen wird. Eine solche Blockbildung zu Ungunsten multi- bilaterale Partnerschaften. Mit ost- und zentraleuropäischen lateraler Lösungen würde weit mehr Verlierer als Gewinner Staaten pflegt China ein regionales Kooperationsformat hervorbringen. Dennoch scheint es realistisch, von einer (China-CEEC oder «17+1 Mechanismus»). Seit 2005 belaufen wachsenden Konkurrenz zwischen den USA und China sich die chinesischen Direktinvestitionen in Europa auf über auszugehen, die über den heutigen Zustand von Handels- 400 Mia. USD, wobei die Zahlen seit 2017 rückläufig sind. und Technologiekonflikten hinausgeht. In mehreren Staaten haben chinesische Firmen in Infrastruk- turen investiert. Ein erhöhtes Eskalationsrisiko zeigt sich namentlich an der maritimen Peripherie Chinas. Im Südchinesischen Meer Ähnlich wie in den USA hat sich auch in vielen europäi- kollidieren chinesische Gebietsansprüche mit denen anderer schen Staaten die öffentliche Meinung bezüglich China Ländern und dem Anspruch auf freien Zugang zu den verschlechtert. Langjährige Erhebungen zeigen einen Weltmeeren, den die USA und viele andere Staaten einfordern. klaren Trend.10 Die Ansicht, wonach Europa eine einheit- Auch die Taiwan-Frage birgt weiterhin Konfliktpotenzial. lichere und durchsetzungsfähige Politik gegenüber China Erhöhte Spannungen sind ausserdem an der Landgrenze zu brauche, hat innerhalb der EU und ihrer Mitgliedstaaten Indien zu beobachten. an Boden gewonnen. Mit Erfolg bemüht sich die EU daher, auch in Bereichen, in denen die Kompetenzen bei den Die Europäische Union hat das Potenzial, sich als eine Mitgliedstaaten liegen, mehr Kohärenz zu schaffen. So hat dritte Kraft im globalen Machtgefüge zu positionieren. Die sie beispielsweise 2019 einen einheitlichen Rahmen für die europäische Einigung ist auch eine Antwort darauf, dass die Kontrolle ausländischer Direktinvestitionen in kritische Infra- Welt längst nicht mehr eurozentrisch ist. Im Verbund hätten strukturen geschaffen, dessen Umsetzung auf Stufe der die europäischen Staaten das erforderliche Gewicht, um auf Mitgliedstaaten erfolgt. Divergierende nationale Positions- der Weltbühne europäische Werte und Interessen zu vertei- bezüge in der Frage einer Zulassung chinesischer Technologie digen. Unterschiedliche nationale Positionen stehen einer im 5G-Bereich (Glossar ) sind aber nur ein Beispiel für die wirksamen gemeinsamen Aussenpolitik der EU aber oftmals anhaltenden Schwierigkeiten, eine gemeinsame Chinapolitik im Wege. zu formulieren. In Bezug auf China konnten sich die EU-Staaten auf Offen bleibt auch, inwieweit sich eine eigenständige gemeinsame Grundlagen einigen. Die EU positioniert sich europäische oder stärker transatlantische Positionierung gegenüber China deutlich weniger konfrontativ als die USA. gegenüber China herausbildet. Die von der EU-Kommission Sie bezeichnet China in ihrem Strategiepapier als «Partner, vorgelegte neue Wachstumsstrategie eines «European Green Wettbewerber und Systemrivalen gleichzeitig». Sie fordert Deal», die auf eine faire und wohlhabende Gesellschaft mit die Einhaltung multilateraler Standards und pocht auf mehr einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfä- Reziprozität.8 Ziel ist nicht die Entkoppelung, sondern eine higen Wirtschaft abzielt, ist ein Beispiel für ein europäisches interessengeleitete Zusammenarbeit bei Einhaltung inter- Selbstverständnis, das sich sowohl vom chinesischen wie vom nationaler Spielregeln. Verschiedene EU-Mitgliedstaaten amerikanischen abgrenzt. In manchen Bereichen, etwa wenn haben bereits China-Strategien mit ähnlichen Stossrich- es um gemeinsame Werte wie die individuellen politischen tungen verabschiedet.9 Mit der politischen Grundsatz- Freiheiten geht, ist aber mit einem europäisch-amerikani- einigung zu einem Investitionsabkommen (Comprehensive schen Zusammengehen zu rechnen. Agreement on Investment, CAI) zwischen der EU und 8 EU Kommission, EU-China – A strategic outlook , March 2019. EU Kommission, EU 10 Laura Silver, Kat Devlin, Christine Huang, Unfavorable Views of China Reach Historic China Relations , June 2020. Highs in Many Countries: Majorities say China has handled COVID-19 outbreak poorly , 9 Beispiele: Niederlande und Schweden . October 2020. Geopolitische Auslegeordnung 13
e-parl 22.03.2021 10:53 2000 USA gleich China Die Darstellung von Grenzen und die Verwendung von Namen und Bezeichnungen auf diesen Karten bedeutet nicht, dass die Schweiz diese offiziell befürwortet oder anerkennt. 2018 USA gleich China Grafik 10: Verschiebungen im Welthandel – Visualisierung des jeweils wichtigeren Handelspartners (USA oder China) in 2000 und 2018 (Quelle: Lowy Institute basierend auf IWF, Direction of Trade Statistics). 14 Geopolitische Auslegeordnung
e-parl 22.03.2021 10:53 3 Die Schweiz und China Die bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und China Machtgefüge, wie es in der geopolitischen Auslegeordnung sind heute umfangreich, vielschichtig und konstruktiv. Diffe- dargelegt wurde. Die China-Politik der Schweiz kann heute renzen werden offen angesprochen. Vor der Festlegung der nicht isoliert vom grösseren Kontext definiert werden – künftigen China-Strategie werden in diesem Kapitel diese dasselbe gilt auch für die Beziehungen zu anderen Gross- Beziehungen erläutert. Danach folgen grundsätzliche Überle- mächten. Abschliessend werden in diesem Kapitel zentrale gungen zur Positionierung der Schweiz im sich wandelnden Prinzipien für die künftigen Beziehungen mit China definiert. 3.1 Beziehungen heute Als einer der ersten westlichen Staaten anerkannte die Schweiz 1950 die Volksrepublik China. Seit Anfang der 1980er Jahre haben sich die bilateralen Beziehungen mit China in allen Bereichen gefestigt und eine bemerkenswerte Intensität erreicht. Sie decken unterschiedliche Bereiche wie Politik, Menschenrechte, Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Beschäftigung, Wissenschaft und Technologie, Bildung, Umwelt, Migration und Kultur ab. Seit 2010 ist China der wichtigste Handelspartner der Schweiz in Asien. 2005 identi- fizierte der Bundesrat China als eines von heute acht globalen Schwerpunktländern für die Aussenpolitik der Schweiz. Im Sinne einer Ein-China-Politik verzichtet die Schweiz auf diplomatische Beziehungen mit den Behörden in Taiwan, wobei Zusammenarbeit auf technischer, wirtschaftlicher und kultureller Ebene mit Taiwan möglich und gewünscht 1950-2020 ist. Dabei anerkennt die Schweiz auch den demokratischen Switzerland - China Charakter der lokalen Behörden und der taiwanesischen 瑞士 - 中国 Gesellschaft. Das Inkrafttreten eines Freihandelsabkommens mit China 2014 war eine Premiere für ein kontinentaleuropäisches Land. 2016 wurde darüber hinaus eine «innovative strategische Partnerschaft» vereinbart. Jährlich findet ein strategischer Dialog zwischen den Aussenministern beider Länder statt. Dieser bildet den Rahmen für die fast dreissig Fachdialoge zwischen schweizerischen und chinesischen Behörden. Grafik 11: Logo für die 70 Jahre diplomatischer Beziehungen zwischen der Schweiz und der Volksrepublik China (Quelle: EDA). Die Schweiz und China 15
e-parl 22.03.2021 10:53 1975 Handelsabkommen, Etablierung Joint Economic Commission 1989 Abkommen über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit Wichtige Abkommen und Dialoge 1991 Schaffung des bilateralen Menschenrechtsdialogs 1991 Doppelbesteuerungsabkommen 2007 Schaffung des politischen Dialogs 2007 Schaffung des Dialogs zum geistigen Eigentum 2013 Schaffung des Finanzdialogs 2014 Freihandelsabkommen Schweiz-China 2016 Strategic Innovative Partnership 2017 Schaffung des strategischen Dialogs 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020 2016 Die Schweiz wird Mitglied der Asian Infrastructure Investment Bank 2010 China wird wichtigster Handelspartner der Schweiz in Asien 2007 Schweiz anerkennt den Marktwirtschaftsstatus Chinas 1995 Generalkonsulat in Shanghai wieder eröffnet 1982 Städtepartnerschaft Zürich - Kunming 1980 Gründung der Schweizerisch-Chinesischen Handelskammer 1980 beteiligt sich die Schweizer Firma Schindler am ersten Joint Venture in China 1957 die in Peking eingerichtete Gesandtschaft erhält den Status einer Botschaft 1950 Anerkennung der VR China und Aufnahme der bilateralen Beziehungen Grafik 12: Ausgewählte Meilensteine der bilateralen Beziehungen (EDA). Die bilateralen Beziehungen sind also breit, in vielen Bereichen substantiell und dem Dialog verpflichtet. Sie präsentieren sich heute wie folgt – wobei die Reihenfolge der Themen nichts über deren Bedeutung aussagt: Handel: China war mit einem bilateralen Warenhandelsvo- lumen von rund 36 Milliarden Franken11 (bzw. rund 50 Milli- arden Franken zusammen mit der Sonderverwaltungszone Hongkong) der drittwichtigste Handelspartner der Schweiz im Jahr 2019 (Grafik 13).12 Das Dienstleistungshandelsvo- 300 lumen belief sich im gleichen Jahr gemäss der SNB auf 7.2 EU Milliarden Franken. Wirtschaftliche Interessen gehörten schon früh zu den wichtigsten Treibern der bilateralen Beziehungen. 250 Schweizer Industrie- und Dienstleistungsunternehmen spielten gerade im internationalen Vergleich eine Pionierrolle bei der Erschliessung der chinesischen Märkte und des Investitions- 200 standorts. Aufgrund der strategischen Position Hongkongs als Eintrittstor nach China und der vorhandenen Rechtssi- 150 CHF Mrd. cherheit haben Schweizer Unternehmen und Finanzinstitute dort eine bedeutende Präsenz aufgebaut. Das Freihandelsab- kommen mit China hat den Zugang zum chinesischen Markt 100 insbesondere für die Industrieunternehmen verbessert und einen Rechtsrahmen für die Pflege und Weiterentwicklung USA der wirtschaftlichen Beziehungen geschaffen. 50 China 0 2015 2016 2017 2018 2019 11 «Total 2» einschliesslich Gold in Barren und anderen Edelmetallen, Münzen, Edel- und Schmucksteinen sowie Kunstgegenständen und Antiquitäten. 12 Die Handelsbilanz 2020 wird durch den Sondereffekt der globalen Pandemie Grafik 13: Gesamthandel der Schweiz mit ihren wichtigsten Handels- beeinflusst, daher werden Zahlen bis 2019 verwendet. partnern bis 2019 (Quelle: EZV). 16 Die Schweiz und China
e-parl 22.03.2021 10:53 120 100 80 CHF Mrd. 60 40 20 Grafik 14: Gesamthandel der Schweiz mit 0 ausgewählten Ländern bis 2019 (Quelle: EZV). 2015 2016 2017 2018 2019 Japan China UK USA Deutschland Während der Covid-19-Pandemie im Frühjahr 2020 haben Finanz- und Steuerfragen: Die Zusammenarbeit der die offizielle Schweiz und ihre Vertretungen in China die Behörden in diesem Bereich hat sich seit der Lancierung des Beschaffung von medizinischen Produkten in China unter- jährlichen bilateralen Finanzdialogs und der Revision des stützt. Trotz verschiedener Schwierigkeiten erlaubte das gut Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung im etablierte Kontaktnetz über Firmen, Verbände und die Vertre- Jahr 2013 vertieft. Der automatische Informationsaustausch tungen vor Ort eine einfache und engmaschige Kommuni- über Finanzkonten wurde im September 2019 zum ersten kation und wo nötig Koordination. Mal durchgeführt. Für die Schweizer Finanzbranche ist China ein strategischer Wachstumsmarkt. Hongkong ist weiterhin Die Herausforderungen für schweizerische Firmen im chinesi- wichtigster Standort für den chinesischen Markt. Die schen Markt bleiben zahlreich: Mangelnde Rechtssicherheit, Öffnungsschritte auf dem chinesischen Finanzmarkt erlauben lokaler Protektionismus und eine enge Verflechtung zwischen zusätzlich den Ausbau der Präsenz auf dem Festland. Damit Staat und Wirtschaft werden regelmässig genannt. Dazu tragen Schweizer Finanzinstitute auch zur Entwicklung des kommt eine zunehmend international wettbewerbsfähige chinesischen Finanzmarktes bei. Zudem eröffnen sich mit der lokale Industrie. Massnahmen aufgrund des amerikanisch- Liberalisierung neue bilaterale Kooperationsmöglichkeiten, chinesischen Handels- und Technologiekonflikts treffen beispielsweise in den Bereichen Kapitalmarkt, Finanzinfra- indirekt auch schweizerische Firmen, etwa die Erhebung von struktur, Versicherungsmarkt und Sustainable Finance. Trotz zusätzlichen Zöllen im Warenhandel oder verschärfte Export- dieser positiven Entwicklungen in den letzten Jahren bleiben kontrollen mit teils extraterritorialer Wirkung. Einschneidende der limitierte Marktzugang, die Kapitalverkehrskontrollen regulatorische Massnahmen, etwa im Bereich der grenz- und die Hürden für den Ausbau neuer Geschäftsbereiche und überschreitenden Datenflüsse, erschwerten die Geschäftstä- Niederlassungen eine Herausforderung für die schweizerische tigkeit ausländischer Unternehmen allerdings bereits vorher. Finanzbranche. Chinesische Banken sind seit der Schaffung Zusätzlich stellen Kleinpaketlieferungen aus China, welche des Renminbi-Hubs13 2016 in der Schweiz präsent. auf amerikanischen oder chinesischen E-Commerce Platt- formen bestellt werden, eine Herausforderung für die Zoll- Investitionen: Chinesische Direktinvestitionen in der Schweiz und Steuerbehörden in der Schweiz dar. haben bis 2016 stetig zugenommen, sind aber noch immer vergleichsweise bescheiden (Grafik 16). Die Übernahme des Arbeits- und Beschäftigungsfragen: Die Schweiz und in Basel beheimateten Agrochemie-Unternehmens Syngenta China pflegen diesbezüglich seit dem Abschluss eines bilate- durch die chinesische Staatsfirma ChemChina im Jahr 2016 ralen Abkommens im Rahmen des Freihandelsabkommens markierte den bisherigen Höhepunkt dieses Trends. China einen vertieften Dialog. Das Abkommen bekräftigt die weist 2019 in der Schweiz einen Kapitalbestand (nach Verpflichtungen beider Länder als Mitgliedstaaten der Inter- letztlich berechtigtem Investor) von 14,9 Milliarden Franken nationalen Arbeitsorganisation (IAO). Die Sozialpartner beider aus. Dies entspricht 1,1% der gesamten ausländischen Länder sind aktiv an der Umsetzung beteiligt. Die bisherigen Dialoge haben sich insbesondere auf die Bereiche Sozialpart- nerschaft, öffentliche Arbeitsvermittlung sowie Sicherheit 13 Seit 2016 kann die chinesische Währung – der Renminbi – in der Schweiz und Gesundheit am Arbeitsplatz konzentriert. gehandelt werden. Die Schweiz und China 17
e-parl 22.03.2021 10:53 Direktinvestitionen in der Schweiz. Der Kapitalbestand der China, die USA, aber auch andere Länder kennen eine Kontrolle Schweizer Direktinvestitionen in China belief sich per Ende von grenzüberschreitenden Investitionen in Bereichen, die 2019 auf rund 22,5 Milliarden Franken. für die öffentliche Ordnung als kritisch bezeichnet werden. Auch in der Schweiz hat die in den vergangenen Jahren zu beobachtende Zunahme an Investitionen von privaten und staatsnahen Unternehmen aus grossen Schwellenländern – darunter China – die Diskussion entfacht, ob eine Investitions- 116 kontrolle benötigt wird. Im März 2020 hat das Parlament den 100 Bundesrat mit der Annahme der Motion Rieder 18.3021 94 beauftragt, die gesetzlichen Grundlagen für eine Investitions- kontrolle zu schaffen, nicht zuletzt im Hinblick auf chine- 78 sische Investitionen. Der Bundesrat ist daran, dieses Mandat 62 umzusetzen. Die Eröffnung der Vernehmlassung ist in der 50 44 zweiten Jahreshälfte 2021 vorgesehen. 27 Im Vergleich zur Schweiz ist der Zugang für ausländische Direktinvestitionen in China eingeschränkt, in den letzten 0 Jahren gab es – auf nationaler Ebene – jedoch einige Entwick- 2014 2015 2016 2017 2018 2019 lungen in Richtung einfacherer Zugang. Es gibt aber weiterhin Grafik 15: Anzahl an Unternehmen in der Schweiz, die einer chinesischen eine Liste von Sektoren, in welchen Investitionen aus dem multinationalen Gruppe angehören (2019: provisorische Daten; Quelle: Ausland nicht möglich sind. Im Rahmen seiner Industriepolitik Bundesamt für Statistik). überprüft China alle fünf Jahre, ob einzelne Sektoren für ausländische Investitionen autonom geöffnet oder gegebe- China Japan nenfalls auch wieder geschlossen werden. 14,9 38,5 Rest EU 209,4 CHF Mrd. Tourismus: China ist ein wichtiger Herkunftsmarkt für den Schweizer Tourismus. Chinesische Gäste generierten im Jahr 2019 rund 1,4 Mio. Hotellogiernächte in der Schweiz. Damit war China hinter Deutschland, den USA und Grossbritannien der viertwichtigste ausländische Herkunftsmarkt. 2020 hat die Covid-19-Pandemie den internationalen Tourismus Deutschland 51,7 praktisch zum Erliegen gebracht. Frankreich Bildung, Forschung und Innovation: Die Schweiz als 58,5 eine weltweit führende Technologienation ist für China ein attraktiver Partner im Bereich Forschung, Entwicklung und UK Innovation. Die Aneignung von ausländischen Technologien 68,1 ist eine wichtige Komponente des staatlich verordneten USA 651,3 chinesischen Entwicklungsmodells. Zunehmend treten chine- sische Firmen auch in der Schweiz als Käufer von Technologie- firmen auf. Grafik 16: Kapitalbestand ausländischer Direktinves- › Die Zusammenarbeit mit China im Forschungs- und titionen (in CHF Mrd.) von Hauptwirtschaftspartnern der Schweiz 2019, gegliedert nach letztlich berech- Innovationsbereich (F&I) hat sich seit dem Start des tigtem Investor (Quelle: SNB). offiziellen bilateralen Dialogs 2003, der Lancierung der Bilateralen Kooperationsprogramme zur Unterstützung der Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technologie 2008 und der Eröffnung eines Swissnex in Shanghai 2008 intensi- viert (Grafik 17). Ausserdem stellen die Rahmenprogramme für Forschung und Innovation der Europäischen Union ein multilaterales Instrument für die Zusammenarbeit mit China dar. China ist in vielen bedeutenden und technisch und finanziell anspruchsvollen Disziplinen ein interessanter Partner. China ist ein Kernmarkt für den Schweizerischen Innovationspark . «Switzerland Innovation» und mehrere Vereinbarungen zielen darauf ab, die Schweiz als attrakti- ven Standort für Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten bekannt zu machen. Bi- und multilaterale Kooperations- projekte beruhen stets auf der Autonomie, Selbstinitia- 18 Die Schweiz und China
e-parl 22.03.2021 10:53 China 2000 Anzahl kollaborativer Publikationen Japan Brasilien Russland 1000 Indien Grafik 17: Anzahl wissenschaftliche Südafrika Ko-Publikationen der Schweiz mit Südkorea China und mit anderen BRICS- Staaten, Südkorea und Japan (Quelle: Evaluation of Switzerland’s bilateral cooperation programmes in science and technology, IRIS Group, 2020). 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 tive und den Interessen der Schweizer Forschungs- und Gesundheit: In internationalen Gesundheitsfragen nimmt Innovationsakteure. Mittlerweile pflegen fast alle Schweizer China eine zentrale Rolle ein, wie die Covid-19-Pandemie Hochschulen Partnerschaften mit China, wenn auch von aufgezeigt hat. Die Abhängigkeit der Schweiz von in China unterschiedlicher Intensität. produzierten Wirkstoffen und medizinischen Schutzaus- rüstungen rückte die Frage nach sicheren und nachhaltigen › Auch im Bildungsbereich besteht seit 2014 ein regel- Lieferketten ins Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit. mässiger politischer Dialog. China zeigt grosses Interesse Ausserdem ist China einer der wichtigsten Märkte für die am Modell der Schweizer Fachhochschulen und hat sich bei Schweizer Life Sciences Industrie. nationalen Reformen von der Schweiz inspirieren lassen. Damit kann die Schweiz das hiesige Berufsbildungssystem Menschenrechte: Die Schweiz und China führen seit in einem bedeutenden Markt profilieren, was den Fach- 1991 einen bilateralen Menschenrechtsdialog. Der vertrau- hochschulen und den Schweizer Unternehmen vor Ort liche Menschenrechtsdialog bietet eine Plattform, um die zugutekommt. Gemäss dem Bundesamt für Statistik waren Menschenrechtslage offen und kritisch anzusprechen. Dazu im akademischen Jahr 2019/20 2‘493 chinesische Studieren- gehören insbesondere die Meinungsäusserungsfreiheit und de an Schweizer Hochschulen eingeschrieben; China stellt die Minderheitenrechte, inklusive in den tibetischen Gebieten damit die viertgrösste Gruppe ausländischer Studierender Chinas und in Xinjiang. Weiter werden die gegenseitigen in der Schweiz. Unterschiedliche Vorstellungen bestehen in Schwerpunkte in multilateralen Gremien diskutiert, nach Bezug auf die Bedeutung der akademischen Freiheit. Möglichkeit Einzelfälle thematisiert und konkrete Koopera- tionsmöglichkeiten ausgelotet. Beispielsweise besteht seit › Im digitalen Bereich gehören einige chinesische Unter- 2003 ein Expertenaustausch im Strafvollzug. nehmen in Bereichen wie Informatik und Telekommunikati- on, Überwachungstechnologie, unbemannte Luftfahrzeuge, Die Bereitschaft Chinas, Menschenrechtsfragen zu disku- E-Commerce oder Künstliche Intelligenz zur Weltspitze. tieren, hat in den vergangenen Jahren mit Verweis auf die Chinesische und schweizerische Vorstellungen – etwa in Einmischung in innere Angelegenheiten abgenommen. den Bereichen digitale Gouvernanz, Datenschutz, grenz- Zugleich hat sich die Situation in China mit Bezug auf überschreitende Datenflüsse, Marktzugang in der digitalen Meinungsäusserungsfreiheit, Schutz der Privatsphäre, Wirtschaft, Schutz der Menschenrechte und Trennung Rechte von Minderheiten sowie Druckversuche gegenüber zwischen wirtschaftlichen und staatlichen Interessen – Menschenrechtsverteidigern deutlich verschlechtert. Es gehen teilweise weit auseinander. Die aktuelle Debatte um bestehen Divergenzen in Bezug auf das Verständnis der die Rolle des chinesischen Technologiekonzerns Huawei Menschenrechte und auf die Gewährleistung ihres Schutzes. beim Aufbau von 5G-Mobilfunknetzen betrifft auch direkt China ist bestrebt, eigene Konzepte und neue Begrifflich- schweizerische Interessen. keiten in den internationalen Diskurs einzuführen, um das Menschenrechtsnarrativ im chinesischen Sinne umzudeuten. Nachhaltigkeit: Im globalen Klimaschutz ist China als grösster globaler Emittent von CO2 und zugleich als vertrags- Letztmals fand der Menschenrechtsdialog im Juni 2018 in treuer Signatarstaat des Klimaübereinkommens von Paris ein Peking statt. Seither wurden weitere Dialogrunden von China relevanter Partner für die Schweiz. Die DEZA unterhält seit abgesagt, sei es als Reaktion auf die Beteiligung der Schweiz an Jahren mehrere Programme mit China im Bereich Klima- multilateraler Kritik zur Situation in Xinjiang oder mit Verweis wandel. Beispielsweise hat das chinesisch-schweizerische auf die Covid-19-Pandemie. Mehrere Staaten, die ebenfalls Projekt «Zero Energy Building» zum Ziel, die Treibhausgas- einen Menschenrechtsdialog mit China führen, befinden sich emissionen in China zu verringern. in derselben Situation (z.B. UK, Niederlande, Neuseeland, Japan). 2020 konnten lediglich die EU und Deutschland ihre Die Schweiz und China 19
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