Computerspiele: Hilfl ose Eltern und umstrittene Hilfestellung
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Sigmar Roll Computerspiele: §§ Hilflose Eltern und umstrittene Hilfestellung Nachdem im Zuge eines familiengerichtlichen Sorgerechtsverfahrens zur Sprache kam, dass das betroffene Kind regelmäßig für seine Altersstufe völlig ungeeignete Computer- spiele spielte und die Eltern dem hilflos gegenüberstanden, hat das Familiengericht beim Amtsgericht Bad Hersfeld Auflagen für die Computerspielnutzung festgelegt (Beschluss vom 27.10.2017, Az. 63 F 290/17 SO). * hiernach vorhandenen Spielen benannte er unter Leitsätze des Bearbeiters anderem das Spiel »Grand Theft Auto (GTA) 5« sowie »Call of Duty«. Sein Vater verfüge ebenfalls über 1. Eine fehlende Jugendfreigabe nach dem Jugendschutz- eine Playstation, auf der er spielen könnte. gesetz ist regelmäßig auch im häuslichen Umfeld zu M hielt sich zu der Thematik bedeckt und merk- beachten. te lediglich an, er habe bei sich in der Wohnung nur 2. Eltern kann familiengerichtlich die Auflage erteilt wer- eine Playstation 3 und das mache dem K nicht so viel den sicherzustellen, dass ihr minderjähriges Kind Spaß wie das Spielen auf seiner eigenen Playstation keine Computerspiele ohne Jugendfreigabe spielt. 4 bei F. F behauptete, insbesondere das Spiel GTA werde doch auch von vielen anderen gleichaltrigen Kin- dern, z.B. Mitschülern von K, gespielt. Sie wisse um Sachverhalt die Brutalität in dem Konsolenspiel und, dass die- ses erst ab 18 erlaubt sei. Sie habe K deshalb an- Der 10-Jährige K besucht nach der Grundschule nun fangs auch ganz bewusst gesagt, er dürfe in dem aktuell die 5. Klasse Mittelstufe. Seine Eltern M und Spiel nur mit dem Auto umher fahren und nicht die F leben seit drei Jahren getrennt und sind seit ganzen kriminellen Sachen tun. Das sei jetzt aber kurzem geschieden. K ist bei seiner Mutter F verblie- schon so weit eingerissen. Sie könne sich kaum vor- ben, besucht aber häufig und eigenständig den stellen, wie K reagiere, wenn allein er das Spiel nicht ganz in der Nähe wohnenden M. M und F streben mehr spielen dürfe, »alle anderen« seiner Freunde gemeinsam eine Regelung des Sorgerechts an, auch oder Klassenkameraden aber schon. Ohne eine ge- weil K beginnt, die Eltern gegeneinander auszuspie- richtliche Entscheidung werde sie K das Spiel nicht len. F argumentiert, es sei im Hinblick auf die neue untersagen können. Schulsituation und die gestiegenen schulischen Anforderungen wichtig, dass K durch die feste Wohnsituation und den strukturierten Alltag bei ihr Argumentation des Gerichts Stabilität habe. K dürfe daher, wenn es ihm bei F, z.B. wegen anstehender Schulaufgaben, einmal (...) [Es] war gemäß Gemäß der Vorschrift des lästig sei, nicht die Tür völlig offen stehen, jederzeit § 1671 Abs. 4 Bürgerliches § 1666 BGB hat das Familien- einfach bequem zum M hinüber zu wechseln. Die Gesetzbuch (BGB) gegen- gericht jene Maßnahmen zu treffen, Eltern beantragen nach Erörterung der Angelegen- über den Kindeseltern eine die zur Abwendung einer Gefahr für heit einvernehmlich, dass das Aufenthaltsbestim- familiengerichtliche Aufla- das Kind erforderlich sind, wenn die mungsrecht allein der F zukommen solle. ge nach § 1666 BGB zu Eltern des Kindes nicht gewillt oder Im Rahmen der persönlichen Anhörung berich- nicht in der Lage sind, die Gefahr erteilen. (...) tete K dem Familiengericht auch von seinen üblichen selbst abzuwenden. Freizeitaktivitäten u.a., dass er eine Spiele-Konsole Playstation 4 besitze, die er zu Weihnachten von * voller Wortlaut dieser Entscheidung siehe www.bag-ju seinen Eltern gemeinsam erhalten habe. Zu bei ihm gendschutz.de/recht_rechtsprechung_jugendschutz.html KJug, 63. Jg., S. 110 – 115 (2018) 110 K Jug © Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e.V. 3/2018
Recht und Rechtsprechung Roll • Computerspiele: Hilflose Eltern und umstrittene Hilfestellung Durch die vorliegend gegebene Nutzung von frei siven Inhalte zur Einschätzung des Gerichts zu Recht zugänglichen Konsolen-Spielen mit überragend ge- – eine Altersfreigabe erst ab 18 Jahren zu (»USK ab walttätigem Inhalt liegt eine Gefahr für das see- 18«/»keine Jugendfreigabe«). Genauso verhält es lische Wohl des Kindes vor, welcher unverzüglich zu sich zu der weiter vom Kind benannten Spielreihe begegnen ist. »Call of Duty« (...). Exemplarisch handelt es sich nach den Angaben Dementsprechend befindet sich auf den betref- des K und darauf erfolgten Recherchen des Gerichts fenden Spielen auf jeder Verpackungshülle ein bei dem Spiel »GTA 5« (im Volltitel: »Grand Theft rechteckiges Symbol in leuchtend-roter Farbe, in- Auto V«) um ein extrem gewaltpräsentierendes nerhalb welchem ein rautenförmiges Symbol mit Spiel, bei welchem im äußersten Umfang gravie- der Aufschrift »USK ab 18« prangt, und auch die rende Körperverletzungen sowie Tötungen nachge- Spiele-CD trägt jeweils ein betreffendes Logo; die spielt werden und durch die Protagonisten bzw. Fi- Vorgaben hierzu ergeben sich aus § 12 Abs. 2 Satz guren noch weitere intensive kriminelle Delikte wie 1 Jugendschutzgesetz (JuSchG). z.B. Raub und Diebstahl gezeigt und nachgeahmt Inhaltlich handelt sich bei der Serie »Call of Du- werden. Das Spiel ist nach einer sog. Open-World- ty« der Spielart nach jeweils um sog. Ego-Shooter- Architektur konzipiert, in welcher der Spieler sich in Game. Der Spieler begeht hier mit seiner Spielfigur der Ich-Perspektive innerhalb der spielbestim- in der Ich-Perspektive als Soldat oder Elitekämpfer menden Gegend, vorliegend in einer Stadt, völlig entweder Missionen oder sog. freie (Multiplayer-) frei bewegen und mit rundherum vorhandenen Ge- Spiele, welche ihn je nach Teil der Spielreihe in ver- genständen (z.B. Fahrzeugen) sowie mit den weite- gangene Schlachten (z.B. »World War II«), in düstere ren in der virtuellen Stadt befindlichen Personen, Alternativ-Szenarien aktueller Zeit oder in technolo- d.h. softwareseitig/ KI-gesteuerten Spielfiguren, gisiert-verstörende Zukunftsszenarien führen (z.B. interagieren kann. Der Spieler wird indes durch eine »Zombie Chronicles« oder »Infinite Warfare«). (...) vorgegebene Missions-Kampagne vornehmlich da- Mittels einer großen Anzahl zur Verfügung stehen- zu angehalten, einem fixen Handlungsstrang zu der Hieb-, Stich-, Spreng- und Schuss-Waffen, wel- folgen, bei welchem er immer im Wechsel drei ver- che sich im Spiel allerorts finden oder erwerben schiedene, spielseits vorgefertigte Charaktere lassen, sind dem Spielziel nach mal menschliche steuert und mit diesen Aufträge erfüllen soll, um die Gegner (z.B. gegnerische Soldaten), mal unmensch- Handlung des Spiels voran zu treiben. Mit diesen liche Wesen (z.B. Zombies) zu bekämpfen. Die vom Charakteren sind dabei immer wieder auch krimi- Spiel jeweils vorgegebenen Gegner können virtuell nelle Handlungen zu vollführen, z.B. Geld oder entsprechend dem verfügbaren Waffenarsenal z.B. Kraftfahrzeuge zu stehlen oder Menschen mit Hand- im Nahkampf mit dem Messer oder mittels einer feuerwaffen zu bedrohen. Unter anderem kommt es Granate oder einer Schusswaffe aus der Ferne ver- nach rund 16 Stunden Spielzeit im Rahmen der Kam- letzt oder getötet werden. pagne zu einer nicht umgehbaren Folterszene, in Laut zu ersehenden Internet-Bewertungen ist welcher der Spieler mittels seiner Konsolensteue- das Spiel bei einem Gutteil seiner Anhängerschaft rung (sog. »Joypad«) durch den Protagonisten einem wegen grafisch-realitätsnaher Darstellung von im wimmernden Gefangenen mit einer Rohrzange die Spielverlauf vollführten Kampfhandlungen beliebt. Kniescheiben zerschlagen, Strom an die Brustwar- Bei Teilen der Anhängerschaft wird zudem gelobt, zen anlegen und die Zähne mit einer Zange ziehen dass ein gezielter »Einsatz von taktischen Ele- soll, gefolgt von weiterem Foltern mittels sog. Wa- menten« im Spiel wichtig sei, um »im Krieg zu über- terboarden (Quelle: »Folter in Grand Theft Auto« - leben«. Eine beispielhafte www.br.de/service/suche »GTA V«). Ebenfalls Internetrezension über das kommt es im Spiel immer wieder zu Tötungsgesche- hen. Diese Inhalte sind für Spiel lautet: »Wer keine Kriegsspiele mag, dem ist Mit dem Begriff Kriegsspiel werden ganz unterschied- liche Spielangebote bezeichnet. Die Hier wird kurz angedeutet, einen 10-jährigen Jungen das Spiel nicht zu empfeh- hier getätigte Aussage ist in ihrer dass bereits das bloße Anse- absolut ungeeignet. len.« Absolutheit daher wohl nur schwer hen (unmittelbar oder in Form von Die seelische Entwick- Zur Auffassung des Ge- zu vertreten. Klar ist, dass »kriegs- sog. Lets-Play-Videos) ein entwick- lung bei einem Kind ist be- richts sollte indes einem verherrlichende« Inhalte strafrecht- lungsbeeinträchtigendes Potential reits bei bloßer Ansicht 10-jährigen Kind ein lich und jugendschutzrechtlich be- enthalten wird; die Alterseinstufung schränkt sind (§ 15 Abs. 2 Nr. 2 und erst recht beim Durchle- Kriegsspiel nicht in die ist aber bisher auf das aktive Spielen JuSchG, ggf. § 131 StGB). Beispiels- ben mittels eigenem An- Hand gegeben werden. Dies weise für ein abstraktes Brettspiel, zentriert. steuern und Vollführen sol- gilt genauso auch für ältere das ein Kriegsgeschehen als Auf- cher Spielszenen massiv Kinder und Jugendliche bei hänger hat, wird es dagegen allein gefährdet. Dem Titel kommt – dies angesichts der zu ersehender, derart inten- auf den pädagogischen Umgang da- wie vor aufgezeigten, spielbestimmenden, inten- siver und realitätsnaher mit ankommen. 3/2018 KJug 111
Roll • Computerspiele: Hilflose Eltern und umstrittene Hilfestellung Recht und Rechtsprechung Qualität von gewalttätigen Handlungen in einem der USK erfolgt. Die bei der USK eingesetzten Sach- Videospiel. Dauerhaftes Durchleben und Vollführen verständigen haben als Pädagogen, Sozialwissen- derartiger virtueller Spielszenen wirken sich auf die schaftler oder Jugendschutzbeauftragte weitrei- seelische Entwicklung eines Kindes äußerst schäd- chende Erfahrungen in der Kinder- und Jugendarbeit lich aus. gesammelt. (zum Ganzen: siehe unter www.usk.de) Zu diesem zu ersehenden kindeswohlgefähr- Das nach JuSchG durchgeführte Verfahren der denden Sachverhalt innerhalb der Familie ist von USK-Prüfung mit der dort entsprechend ange- Kindeselternseite in der ausdrücklichen Bespre- wandten Expertise, nach welcher ein Videospiele- chung hierüber nichts stringent vorgebracht wor- titel mit einer Altersfreigabe von erst ab 18 Jahren den, was künftig zur strikten und nachhaltigen Be- (d.h. »keine Jugendfreigabe«, vgl. § 14 Abs. 2 Nr. 5 gegnung dieser Gefahr führen würde. Hinsichtlich JuSchG) versehen wurde, führt zum entscheidenden des Spiels GTA 5 gab die F zu der von ihr gedachten Punkt, denn jene Beurteilung der USK stellt eine Rechtfertigung des Handelns noch an, dass dieses abgeschlossene sachverständige Einschätzung im Spiel auch durch viele andere Kinder im Alter ihres Wege gesetzlich vorgesehener Kontrolle dar und ist Sohnes gespielt werde. daher auch durch die Gerichte mit zu Grunde zu le- Dies exkulpiert jedoch nicht. Zum einen ist dies gen. eine pauschale Schutzbehauptung, die so nicht Wurde nun eine betreffende sachverständige überprüft werden kann. Zum anderen wäre, selbst Einschätzung und die dem folgende USK-Kennzeich- wenn dies der Fall wäre, dies dennoch keine Recht- nung »keine Jugendfreigabe«/»USK ab 18« getrof- fertigung für die hiesigen Kindeseltern, dann auch fen, können jene Spieletitel ihr eigenes Kind fortwährend einer derartigen, das sozial-schädliche Botschaf- Der Begriff der »Gefährdung« Kind seelisch massiv beeinträchtigenden, gewalt- ten enthalten, da sie z.B. hat hier verschiedene Facet- präsentierenden und zur Abstumpfung und Verro- nicht selten Gewalt verherr- ten: Jugendgefährdende Trägerme- hung führenden Ab-18-Erwachsenen-Videospiele- lichen, einem partner- dien, zu denen auch entsprechende welt auszusetzen. schaftlichen Rollenver- Konsolenspiele zählen, liegen vor, Der aufgezeigten Gefahr für das Kindeswohl des ständnis der Geschlechter wenn ein in § 15 Abs. 2 JuSchG aufge- listeter Fall (z.B. Kriegsverherrli- 10-jährigen Jungen kann hier nur geeignet begegnet entgegenstehen, einzelne chung) vorliegt oder die Bundesprüf- werden, indem die betreffenden Videospiele von K gesellschaftliche Gruppen stelle für jugendgefährdende Medi- weggenommen und ihm künftig nicht mehr zugäng- diskriminieren oder Sexua- en (BPJM) sie in die sog. Indizie- lich gemacht werden. Dieses wurde daher den Kin- lität auf ein Instrumentari- rungsliste aufgenommen hat. Wenn deseltern aufgegeben. Mildere Mittel sind nicht um der Triebbefriedigung Eltern den Zugang dazu dulden, kann ersichtlich. reduzieren, wonach die die- dies das Kindeswohl gefährden und K kann und darf sich – in dem von seinen Eltern se Spieletitel nutzenden bei gröblicher Verletzung der Erzie- vorzugebenden zeitlichen Rahmen – hiernach künf- Personen mit Inhalten in hungspfl icht sogar strafrechtlich sanktioniert werden (§ 27 Abs. 4 tig noch weiterhin mit solchen Videospielen be- Berührung kommen, die we- JuSchG). Alterseinstufungen von Me- schäftigen, welche für sein Alter und den Stand gen eines möglichen ge- dien sind dagegen im Privatbereich seiner Entwicklung angemessen erscheinen, bei- walt-verherrlichenden, ag- nicht rechtlich bindend (§ 12 Abs. 1 spielhaft hier weiter das Spiel »FIFA 2017« spielen, gressiven oder anderweitig JuSchG); da aber Maßstab die Ent- welches, wie im Verfahren benannt wurde, K für sozialschädlichen Inhalts wicklungsbeeinträchtigung ist (§ 14 seine Konsole Playstation 4 ebenfalls zu seiner Ver- zu einer Abstumpfung und Abs. 1 JuSchG), kann das Nichtbe- fügung hat. Enthemmung des Betrach- achten im Rahmen einer anderweitig erfolgenden Bewertung des Kindes- Zugleich wurde die Auflage dahingehend erteilt, ters führen können (...). Ist wohls durchaus mit herangezogen dass die Kindeseltern auch künftig sämtliche Video- ein Spieletitel nach jener werden und letztlich in die Annahme spiele, die eine auf der Verpackung ersichtliche Ein- sachverständigen Expertise der Gefährdung des Kindeswohls mit stufung »USK ab 18« tragen, dem Kind nicht zugäng- ohne Jugendfreigabe (»USK einfließen. Zusätzlich steht die lich machen oder zum Spielen überlassen dürfen. ab 18«) eingestuft, bedeu- Nichterteilung einer Jugendfreigabe Die USK / Unterhaltungssoftware Selbstkontrol- tet dies somit zwingend (§ 12 Abs. 3 JuSchG) – bezeichnet als le ist die für Deutschland verantwortliche Stelle für auch für die Bewertung »ab 18« – wegen des besonderen Gefährdungspotentials einem Zu- die Altersfreigabe von Videospielen. Die Organisa- durch das Familiengericht, gänglichmachen solcher Medien an tion gewährleistet nach dem vom Gesetzgeber vor- dass das Wohl eines Kin- Minderjährige auch im Privatbereich gesehenen Prinzip einer sog. halbstaatlichen des gefährdet ist, wenn ein entgegen, auch wenn dies bei Eltern Selbstkontrolle (vgl. i. E. § 14 Abs. 6 JuSchG), dass solcher Spieletitel einem nicht als Ordnungswidrigkeit ver- die Prüfung betreffender Spieletitel über von den Kind zugänglich gemacht ist folgt wird (§ 28 Abs. 4 JuSchG) [wei- Bundesländern benannte unabhängige Sachver- und das Kind mit einem sol- tere Einzelheiten vgl. Nikles et al., ständige und in Zusammenarbeit mit dem ständigen chen Spieletitel frei umge- Jugendschutzrecht, 3. Aufl . 2011, Vertreter der obersten Landesjugendbehörden bei hen kann. §§ 12, 14, 15, 27, 28 JuSchG]. 112 K Jug 3/2018
Recht und Rechtsprechung Roll • Computerspiele: Hilflose Eltern und umstrittene Hilfestellung Das Gesetz schreibt in § 12 JuSchG (»Bildträger mit Erstaunlicherweise gibt es selbst unter Fachleuten Filmen oder Spielen«) in Abs. 3 vor, dass Medienträ- sehr unterschiedliche Reaktionen auf die vorlie- ger, »die nicht oder mit ›Keine Jugendfreigabe‹ nach gende Entscheidung, so dass die Befürchtung der § 14 Abs. 2 von der obersten Landesbehörde oder Eltern, mit ihrer strengen Vorgabe allein zu bleiben, einer Organisation der freiwilligen Selbstkontrolle durchaus nachvollziehbar erscheint. So legt etwa im Rahmen des Verfahrens nach § 14 Abs. 6 oder die Fachanwältin für Familienrecht Monika Clausius nach § 14 Abs. 7 vom Anbieter gekennzeichnet sind, (https://blog.otto-schmidt.de/famrb/2018/04/25/ einem Kind oder einer jugendlichen Person nicht ungeahnte-folgen-eines-sorgerechtsverfahrens- angeboten, überlassen oder sonst zugänglich ge- ag-bad-hersfeld-v-27-10-2017-63-f-29017-so/) ihr macht werden« dürfen. Daraus begründet sich die Augenmerk darauf, dass in einem familiengericht- für die Eltern zur klaren, verständlichen Vorgabe für lichen Verfahren aus Gründen des Kindeswohls die Zukunft konkret gefasste Auflage (...). auch Regelungen getroffen werden, die die die El- tern so nicht vorhergesehen haben und möglicher- weise nicht wollen. Im Grundsatz sieht sie die Auf- Anmerkung lage dabei wohl schon für sinnvoll an und äußert zugleich Zweifel an der Erziehungseignung von El- Die familiengerichtliche Entscheidung ist in der tern, die sich Entscheidungen gegen den Willen von Verwendung der jugendschutzrechtlichen Begriff- Kindern nicht zutrauen. Bei der folgenden Fundstel- lichkeiten nicht immer ganz stimmig. Die beiden le »http://www.rechtsindex.de/familienrecht/ angesprochenen Computerspiele tragen eine Kenn- 6076-playstation-spiele-ab-18-jahren-eltern- zeichnung nach dem Jugendschutzgesetz und sind s e t ze n - 10 - jae hr ig e n - keine - g re nze n?p os t _ somit per se nicht jugendgefährdend; gleichzeitig id=noID« verdeutlicht schon der Titel, dass die ist durch das Kennzeichnungsverfahren aber fest- Notwendigkeit von Grenzen in der Erziehung bejaht gestellt, dass sie geeignet sind, die Entwicklung wird. Dagegen rückt Marie Herberger (in: juris-PR- von Kindern und Jugendlichen sämtlicher Altersstu- FamR 7/2018, Anm. 2) die Umgehungsmöglich- fen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwort- keiten in das Zentrum ihrer Überlegungen; die Auf- lichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu lage sei nicht gut, denn das Kind würde dann halt beeinträchtigen. Eine derartige Beeinträchtigung woanders spielen. Besser wäre es ihrer Meinung kann zur Gefährdung des Kindeswohls beitragen, nach, das Spiel unter pädagogischer Betreuung der insbesondere wenn sie gehäuft erfolgt. Eltern zu Hause zu spielen. Auch würde der gericht- Vorteil des Ausgangsfalls ist, dass hier die Nicht- lich verordnete Kontrolldruck die Eltern Kind-Bezie- eignung der Medieninhalte für ein Kind dieses Alters hung belasten. Und ohnehin sei fraglich, ob die klar auf der Hand liegt und von niemandem bestritten Gefahr des Weiterspielens dieser Spiele genauso wird, so dass wohl man über das sog. Erzieherprivi- groß sei wie bei der erstmaligen Konfrontation. leg, d.h. hier das Recht der Eltern die Alterseignung Am konkreten Beispiel zeigt sich deutlich, dass eines Medieninhalts für ihr Kind anders einzuschät- auf der einen Seite medienpädagogische Möglich- zen, in diesem Fall nicht diskutieren muss. Ange- keiten überschätzt werden – ein an der Grenze zur sichts dessen ist die vom Gericht vertretene Linie Indizierung stehender Medieninhalt kann für sehr eines strengen Verbots auch gut zu rechtfertigen. junge Kinder nicht geeignet aufbereitet werden, Die Eltern sind für Unterstützung von außen und selbst wenn die Eltern zur pädagogischen Beglei- Vorgaben auch offen. Immerhin weiß die Mutter um tung fähig wären oder befähigt würden. Anderer- die Problematik der Computerspiele, die ihr Sohn seits kommen bei restriktiven Regelungen leicht spielt, und es liegt eine grobe Kenntnis der Spielin- medienpädagogische Ergänzungen etwa durch halte vor. Auch wenn Hilflosigkeit im Umgang mit Fördern von Spielkontakten im Bereich altersge- Erziehung im Allgemeinen und mit Medienerzie- mäßer Spiele zu kurz. Auch wenn es hier nicht be- hung im Besonderen zu Tage tritt, ist zumindest die stätigt ist, hat vermutlich ja sogar ein Elternteil die Mutter nicht völlig desinteressiert an dieser Thema- Spiele dem Kind gekauft oder zur Verfügung ge- tik. Eine Überforderung für sich sieht sie in der Not- stellt: Deshalb wäre es wichtig, dass Eltern nicht wendigkeit ihrem Kind Grenzen zu setzen und dem nur Informationen über die fehlende Alterseignung – zumindest vermuteten – nachlässigeren Umgang erhalten, sondern medienpädagogisch befähigt bei anderen Eltern. Dabei wäre eigentlich die An- werden, eine grenzsetzende Erziehung unter Bieten ordnung durch das Familiengericht gar nicht nötig, interessanter Alternativen zu leben. da § 12 Abs. 3 JuSchG bereits den Ansatzpunkt bie- tet, hier den Zugang zu diesen Spielen zu beschrän- ken und auch gegenüber dem Kind und anderen Eltern zu vertreten. 3/2018 KJug 113
Roll • Gesetz und Gesetzgebung Recht und Rechtsprechung Gesetz und Gesetzgebung ne Prüfung abverlangt wird, ob die als Suchergebnis angezeigten Inhalte rechtmäßig ins Internet einge- In Bayern sind die Verwaltungsvorschriften d.h. stellt worden sind, d.h. ob etwa eine sog. Vollzugshinweise zum Jugendschutzgesetz neu ge- Indizierung besteht. Dies gilt aber nicht Werbung für fasst und veröffentlicht worden (https:// bei einer eigenen redaktionellen Aufbe- indizierte Angebote Vollzugshinweise www.verkuendung-bayern.de/allmbl/ reitung und Verknüpfung mit Bestellmög- zum Jugend- jahrgang:2018/heftnummer:1 => S. 29- lichkeit, selbst wenn dies automatisiert erfolgt. Hierin schutzgesetz 63). Sie enthalten u.a. ausführliche Hin- sah das VG München (Urt. v. 14.12.17, Az. M 17 K 16.4916) eine unzulässige Werbung für indizierte An- weise zur erziehungsbeauftragten Per- gebote und bestätigte die durch die KJM veranlasste son, zu Laserspielstätten und zur Bußgelderhebung Beanstandung und die Unterlassungsverfügung (vgl. (Regelkatalog). zu dieser Thematik: Schwendner/Monninger, Ju- gendschutz im Internet: Indizierte Bücher im Fokus, in: JMS-Report 1/2018, S. 4f). Rechtsprechung Das Verbot der Veranstaltung von Pokerspielen, Casi- Die ersten Gerichtsentscheidungen im Gefolge der nospielen und Rubbellosspielen im Internet und zu- gesetzlichen Neuregelungen zu sog. Kinderehen ha- gehörige Werberestriktionen ge- ben bei fast volljährigen Ehepartnern mit mäß deutschem Glücksspielrecht Glücksspielrecht Kinderehen einem gemeinsamen Kind die Anwendung sind nach der Auffassung des Bun- der Ausnahmeregeln bejaht (AG Nord- desverwaltungsgerichts (Urteile v. 26.10.2017, Az. 8 horn, Beschl. v. 29.01.18, Az. 11 F 855/17 E1; AG C 18.16 und 8 C 14.16) mit den europäischen Rechts- Frankenthal, Beschl. v. 15.02.18, Az. 71 F 268/17). Da normen vereinbar. in beiden Fällen EU-Bürger betroffen waren, wurde zusätzlich mit der europarechtlich garantierten freien Wohnsitzwahl argumentiert. Die Entscheidungen Nachtrag zu KJug 2/2018, S. 64 werden von Prof. Dr. Martin Löhner - in: FamRZ Das OVG Lüneburg hat die Entscheidung zur jugendschutzrechtlichen 10/2018, S. 749f - näher besprochen. Altersbeschränkung beim Paintballspiel bestätigt (Beschl. v. 19.03.2018, Az. 7 ME 9/18). Anordnungen des Familiengerichts zur Abwehr von Nachtrag zu KJuG 3/2005, S. 102 Kindeswohlgefährdungen durch sexuellen Miss- Die Privilegierung des von einem Kinderspielplatz ausgehenden Lärms gilt brauch werden als milderes Mittel zum Sorgerechts- nicht für eine Ballspielnutzung durch Jugendliche und junge Erwachsene; entzug weiter favorisiert: so im Anschluss an den BGH wenn die Gemeinde eine Altersbeschränkung nicht durchsetzen kann, ist (s. KJug 2/2017, S. 78) etwa AG Freiburg, die Baugenehmigung dafür nicht rechtmäßig (OVG Münster, Beschl. v. Kindeswohl- Beschl. v. 11.04.17, Az. 46 F 798/17 und 22.02.2018, Az. 10 A 2559/16). gefährdungen OLG Karlsruhe, Beschl. v. 27.07.17, Az. 18 UF 112/17. Allerdings birgt dies stets die Gefahr, dass zusätzliche Gefährdungsaspekte im Ein- zelfall nicht erkannt worden sind (vgl. Anm. in FamRZ Schrifttum 7/2018, S. 511). Umgekehrt sind auch in Fällen nicht nachgewiesenen Missbrauchs die Umgangsrechte Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Selbstbehauptung schwierig zu gestalten; das OLG Frankfurt hielt hier des Rechts oder erster Schritt in die selbstregu- begleiteten Umgang für erforderlich (Beschl. v. lierte Vorzensur? – Verfassungsrechtliche Fragen 20.11.17, Az. 4 UF 223/17). [Der Schutz der Meinungsfreiheit gebiete staatliche Aufsicht, wenn eine gesellschaftliche Selbstregula- Die mangelhafte Grundversorgung eines Kleinkindes tion Löschtätigkeiten in Netzwerken übernommen durch die alleinerziehende Mutter kann zwar Anlass hat] von Prof. Dr. Sebastian Müller-Franken in: AfP für eine Inobhutnahme sein; dies gilt jedoch dann 1/2018, S. 1-14. nicht, wenn auf freiwilliger oder vertrag- Inobhutnahme licher Basis andere Personen die Versor- gungsdefizite ausgleichen. Dies war in Entscheidungskompetenz über Haarschnitt des dem vom OVG Münster entschiedenen Fall (Beschl. v. Kindes bei gemeinsamer elterlicher Sorge nach 18.05.17, Az. 12 B 528/17) gegeben, weil sich Mutter Trennung der Eltern [Haareschneiden ist eine Ange- und Kind offensichtlich in einer betreuten Wohnein- legenheit des täglichen Lebens und damit in der richtung befunden hatten. Entscheidungskompetenz des Elternteils des regel- mäßigen Aufenthalts; da es große Persönlichkeits- Die Betreiber von Suchmaschinen werden rechtlich bedeutung hat, ist der Kindeswille einzubeziehen] dahingehend privilegiert, dass ihnen regelmäßig kei- DIJuF-Rechtsgutachten in: JAmt, 1-2/2018, S. 21f. 114 K Jug 3/2018
Recht und Rechtsprechung Roll • Gesetz und Gesetzgebung Zur Verwendung des Begriffs »Auflage« durch Ju- Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im Famili- gendhilfeträger im Rahmen eines Schutzplans bei enrecht [Überblick über Rechtsfragen im Zusam- Kindeswohlgefährdung [Für das rechtlich nicht nä- menhang mit Inobhutnahme, Altersbestimmung, her normierte Instrument des Schutzplans sollte Vormundschaft, Kinderehen u.a.] von Dr. Werner zum Erhalt des vertrauensvollen Zusammenarbei- Dürbeck in: FamRZ 8/2018, S. 553-564. tens von der Verwendung des Begriffs »Auflage«, der ein Zwangsmittel suggeriert, abgesehen wer- Arbeitsstunden nach dem JGG – Neue Wege bei der den] von Radewagen/Lehmann/Stücker in: JAmt Umsetzung der Standard-Auflage des Jugendstraf- 1-2/2018, S. 10-12. rechts [Bericht über Schlussfolgerungen aus einer lokalen Austauschrunde betroffener Fachleute] von Einwilligungsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit von Ruben Franzen in: ZJJ 1/2018 S. 43-47. Minderjährigen im Kontext medizinischer Behand- lungen [Beide Begriffe und ebenso die sog. Sozial- mündigkeit (§ 36 SGB I) sind eigenständig und nicht Sigmar Roll Autor starr miteinander verknüpft. Ist Einwilligungsfähig- (Zuschriften bitte an die Redaktion der KJug) keit festgestellt, sollte dem Willen des Minderjäh- rigen Vorrang vor dem Elternrecht zukommen] von Psychologe/Jurist, Richter am Bayerischen Prof. Dr. Andreas Spickhoff in: FamRZ 6/2018, Landessozialgericht Zweigstelle Schweinfurt S. 412-425. 3/2018 KJug 115
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