Computerspiele: Hilfl ose Eltern und umstrittene Hilfestellung

 
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Sigmar Roll

Computerspiele:
                                                                                                            §§
Hilflose Eltern und umstrittene Hilfestellung

Nachdem im Zuge eines familiengerichtlichen Sorgerechtsverfahrens zur Sprache kam,
dass das betroffene Kind regelmäßig für seine Altersstufe völlig ungeeignete Computer-
spiele spielte und die Eltern dem hilflos gegenüberstanden, hat das Familiengericht
beim Amtsgericht Bad Hersfeld Auflagen für die Computerspielnutzung festgelegt
(Beschluss vom 27.10.2017, Az. 63 F 290/17 SO). *

                                                                        hiernach vorhandenen Spielen benannte er unter
   Leitsätze des Bearbeiters                                            anderem das Spiel »Grand Theft Auto (GTA) 5« sowie
                                                                        »Call of Duty«. Sein Vater verfüge ebenfalls über
   1. Eine fehlende Jugendfreigabe nach dem Jugendschutz-               eine Playstation, auf der er spielen könnte.
      gesetz ist regelmäßig auch im häuslichen Umfeld zu                    M hielt sich zu der Thematik bedeckt und merk-
      beachten.                                                         te lediglich an, er habe bei sich in der Wohnung nur
   2. Eltern kann familiengerichtlich die Auflage erteilt wer-
                                                                        eine Playstation 3 und das mache dem K nicht so viel
      den sicherzustellen, dass ihr minderjähriges Kind
                                                                        Spaß wie das Spielen auf seiner eigenen Playstation
      keine Computerspiele ohne Jugendfreigabe spielt.
                                                                        4 bei F.
                                                                            F behauptete, insbesondere das Spiel GTA werde
                                                                        doch auch von vielen anderen gleichaltrigen Kin-
                                                                        dern, z.B. Mitschülern von K, gespielt. Sie wisse um
              Sachverhalt                                             die Brutalität in dem Konsolenspiel und, dass die-
                                                                        ses erst ab 18 erlaubt sei. Sie habe K deshalb an-
             Der 10-Jährige K besucht nach der Grundschule nun          fangs auch ganz bewusst gesagt, er dürfe in dem
             aktuell die 5. Klasse Mittelstufe. Seine Eltern M und      Spiel nur mit dem Auto umher fahren und nicht die
             F leben seit drei Jahren getrennt und sind seit            ganzen kriminellen Sachen tun. Das sei jetzt aber
             kurzem geschieden. K ist bei seiner Mutter F verblie-      schon so weit eingerissen. Sie könne sich kaum vor-
             ben, besucht aber häufig und eigenständig den              stellen, wie K reagiere, wenn allein er das Spiel nicht
             ganz in der Nähe wohnenden M. M und F streben              mehr spielen dürfe, »alle anderen« seiner Freunde
             gemeinsam eine Regelung des Sorgerechts an, auch           oder Klassenkameraden aber schon. Ohne eine ge-
             weil K beginnt, die Eltern gegeneinander auszuspie-        richtliche Entscheidung werde sie K das Spiel nicht
             len. F argumentiert, es sei im Hinblick auf die neue       untersagen können.
             Schulsituation und die gestiegenen schulischen
             Anforderungen wichtig, dass K durch die feste
             Wohnsituation und den strukturierten Alltag bei ihr         Argumentation des Gerichts
             Stabilität habe. K dürfe daher, wenn es ihm bei F,
             z.B. wegen anstehender Schulaufgaben, einmal
                                                                                                          
                                                                            (...) [Es] war gemäß
                                                                                                                   Gemäß der Vorschrift des
             lästig sei, nicht die Tür völlig offen stehen, jederzeit   § 1671 Abs. 4 Bürgerliches                 § 1666 BGB hat das Familien-
             einfach bequem zum M hinüber zu wechseln. Die              Gesetzbuch (BGB) gegen-            gericht jene Maßnahmen zu treffen,
             Eltern beantragen nach Erörterung der Angelegen-           über den Kindeseltern eine         die zur Abwendung einer Gefahr für
             heit einvernehmlich, dass das Aufenthaltsbestim-           familiengerichtliche Aufla-        das Kind erforderlich sind, wenn die
             mungsrecht allein der F zukommen solle.                    ge nach § 1666 BGB zu             Eltern des Kindes nicht gewillt oder
                 Im Rahmen der persönlichen Anhörung berich-                                               nicht in der Lage sind, die Gefahr
                                                                        erteilen. (...)
             tete K dem Familiengericht auch von seinen üblichen                                           selbst abzuwenden.

             Freizeitaktivitäten u.a., dass er eine Spiele-Konsole
             Playstation 4 besitze, die er zu Weihnachten von
                                                                        *   voller Wortlaut dieser Entscheidung siehe www.bag-ju
             seinen Eltern gemeinsam erhalten habe. Zu bei ihm              gendschutz.de/recht_rechtsprechung_jugendschutz.html

                                                                        KJug, 63. Jg., S. 110 – 115 (2018)
110 K Jug                                                               © Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz e.V.     3/2018
Recht und Rechtsprechung                                          Roll • Computerspiele: Hilflose Eltern und umstrittene Hilfestellung

                Durch die vorliegend gegebene Nutzung von frei           siven Inhalte zur Einschätzung des Gerichts zu Recht
                zugänglichen Konsolen-Spielen mit überragend ge-         – eine Altersfreigabe erst ab 18 Jahren zu (»USK ab
                walttätigem Inhalt liegt eine Gefahr für das see-        18«/»keine Jugendfreigabe«). Genauso verhält es
                lische Wohl des Kindes vor, welcher unverzüglich zu      sich zu der weiter vom Kind benannten Spielreihe
                begegnen ist.                                            »Call of Duty« (...).
                     Exemplarisch handelt es sich nach den Angaben           Dementsprechend befindet sich auf den betref-
                des K und darauf erfolgten Recherchen des Gerichts       fenden Spielen auf jeder Verpackungshülle ein
                bei dem Spiel »GTA 5« (im Volltitel: »Grand Theft        rechteckiges Symbol in leuchtend-roter Farbe, in-
                Auto V«) um ein extrem gewaltpräsentierendes             nerhalb welchem ein rautenförmiges Symbol mit
                Spiel, bei welchem im äußersten Umfang gravie-           der Aufschrift »USK ab 18« prangt, und auch die
                rende Körperverletzungen sowie Tötungen nachge-          Spiele-CD trägt jeweils ein betreffendes Logo; die
                spielt werden und durch die Protagonisten bzw. Fi-       Vorgaben hierzu ergeben sich aus § 12 Abs. 2 Satz
                guren noch weitere intensive kriminelle Delikte wie      1 Jugendschutzgesetz (JuSchG).
                z.B. Raub und Diebstahl gezeigt und nachgeahmt               Inhaltlich handelt sich bei der Serie »Call of Du-
                werden. Das Spiel ist nach einer sog. Open-World-        ty« der Spielart nach jeweils um sog. Ego-Shooter-
                Architektur konzipiert, in welcher der Spieler sich in   Game. Der Spieler begeht hier mit seiner Spielfigur
                der Ich-Perspektive innerhalb der spielbestim-           in der Ich-Perspektive als Soldat oder Elitekämpfer
                menden Gegend, vorliegend in einer Stadt, völlig         entweder Missionen oder sog. freie (Multiplayer-)
                frei bewegen und mit rundherum vorhandenen Ge-           Spiele, welche ihn je nach Teil der Spielreihe in ver-
                genständen (z.B. Fahrzeugen) sowie mit den weite-        gangene Schlachten (z.B. »World War II«), in düstere
                ren in der virtuellen Stadt befindlichen Personen,       Alternativ-Szenarien aktueller Zeit oder in technolo-
                d.h. softwareseitig/ KI-gesteuerten Spielfiguren,        gisiert-verstörende Zukunftsszenarien führen (z.B.
                interagieren kann. Der Spieler wird indes durch eine     »Zombie Chronicles« oder »Infinite Warfare«). (...)
                vorgegebene Missions-Kampagne vornehmlich da-            Mittels einer großen Anzahl zur Verfügung stehen-
                zu angehalten, einem fixen Handlungsstrang zu            der Hieb-, Stich-, Spreng- und Schuss-Waffen, wel-
                folgen, bei welchem er immer im Wechsel drei ver-        che sich im Spiel allerorts finden oder erwerben
                schiedene, spielseits vorgefertigte Charaktere           lassen, sind dem Spielziel nach mal menschliche
                steuert und mit diesen Aufträge erfüllen soll, um die    Gegner (z.B. gegnerische Soldaten), mal unmensch-
                Handlung des Spiels voran zu treiben. Mit diesen         liche Wesen (z.B. Zombies) zu bekämpfen. Die vom
                Charakteren sind dabei immer wieder auch krimi-          Spiel jeweils vorgegebenen Gegner können virtuell
                nelle Handlungen zu vollführen, z.B. Geld oder           entsprechend dem verfügbaren Waffenarsenal z.B.
                Kraftfahrzeuge zu stehlen oder Menschen mit Hand-        im Nahkampf mit dem Messer oder mittels einer
                feuerwaffen zu bedrohen. Unter anderem kommt es          Granate oder einer Schusswaffe aus der Ferne ver-
                nach rund 16 Stunden Spielzeit im Rahmen der Kam-        letzt oder getötet werden.
                pagne zu einer nicht umgehbaren Folterszene, in              Laut zu ersehenden Internet-Bewertungen ist
                welcher der Spieler mittels seiner Konsolensteue-        das Spiel bei einem Gutteil seiner Anhängerschaft
                rung (sog. »Joypad«) durch den Protagonisten einem       wegen grafisch-realitätsnaher Darstellung von im
                wimmernden Gefangenen mit einer Rohrzange die            Spielverlauf vollführten Kampfhandlungen beliebt.
                Kniescheiben zerschlagen, Strom an die Brustwar-         Bei Teilen der Anhängerschaft wird zudem gelobt,
                zen anlegen und die Zähne mit einer Zange ziehen         dass ein gezielter »Einsatz von taktischen Ele-
                soll, gefolgt von weiterem Foltern mittels sog. Wa-      menten« im Spiel wichtig sei, um »im Krieg zu über-
                terboarden (Quelle: »Folter in Grand Theft Auto« -       leben«. Eine beispielhafte
                www.br.de/service/suche »GTA V«). Ebenfalls              Internetrezension über das
                kommt es im Spiel immer wieder zu Tötungsgesche-
                                         hen. Diese Inhalte sind für
                                                                         Spiel lautet: »Wer keine
                                                                         Kriegsspiele mag, dem ist
                                                                                                                 Mit dem Begriff Kriegsspiel
                                                                                                                  werden ganz unterschied-
                                                                                                           liche Spielangebote bezeichnet. Die

        Hier wird kurz angedeutet,      einen 10-jährigen Jungen        das Spiel nicht zu empfeh-        hier getätigte Aussage ist in ihrer
         dass bereits das bloße Anse-    absolut ungeeignet.             len.«                             Absolutheit daher wohl nur schwer
 hen (unmittelbar oder in Form von           Die seelische Entwick-          Zur Auffassung des Ge-        zu vertreten. Klar ist, dass »kriegs-
 sog. Lets-Play-Videos) ein entwick-     lung bei einem Kind ist be-     richts sollte indes einem         verherrlichende« Inhalte strafrecht-
 lungsbeeinträchtigendes Potential       reits bei bloßer Ansicht       10-jährigen Kind ein              lich und jugendschutzrechtlich be-
 enthalten wird; die Alterseinstufung                                                                      schränkt sind (§ 15 Abs. 2 Nr. 2
                                         und erst recht beim Durchle-    Kriegsspiel nicht in die
 ist aber bisher auf das aktive Spielen                                                                    JuSchG, ggf. § 131 StGB). Beispiels-
                                         ben mittels eigenem An-         Hand gegeben werden. Dies         weise für ein abstraktes Brettspiel,
 zentriert.
                                         steuern und Vollführen sol-     gilt genauso auch für ältere      das ein Kriegsgeschehen als Auf-
                                         cher Spielszenen massiv         Kinder und Jugendliche bei        hänger hat, wird es dagegen allein
                gefährdet. Dem Titel kommt – dies angesichts der         zu ersehender, derart inten-      auf den pädagogischen Umgang da-
                wie vor aufgezeigten, spielbestimmenden, inten-          siver und realitätsnaher          mit ankommen.

3/2018                                                                                                                           KJug 111
Roll • Computerspiele: Hilflose Eltern und umstrittene Hilfestellung                                        Recht und Rechtsprechung

            Qualität von gewalttätigen Handlungen in einem          der USK erfolgt. Die bei der USK eingesetzten Sach-
            Videospiel. Dauerhaftes Durchleben und Vollführen       verständigen haben als Pädagogen, Sozialwissen-
            derartiger virtueller Spielszenen wirken sich auf die   schaftler oder Jugendschutzbeauftragte weitrei-
            seelische Entwicklung eines Kindes äußerst schäd-       chende Erfahrungen in der Kinder- und Jugendarbeit
            lich aus.                                               gesammelt. (zum Ganzen: siehe unter www.usk.de)
                 Zu diesem zu ersehenden kindeswohlgefähr-              Das nach JuSchG durchgeführte Verfahren der
            denden Sachverhalt innerhalb der Familie ist von        USK-Prüfung mit der dort entsprechend ange-
            Kindeselternseite in der ausdrücklichen Bespre-         wandten Expertise, nach welcher ein Videospiele-
            chung hierüber nichts stringent vorgebracht wor-        titel mit einer Altersfreigabe von erst ab 18 Jahren
            den, was künftig zur strikten und nachhaltigen Be-      (d.h. »keine Jugendfreigabe«, vgl. § 14 Abs. 2 Nr. 5
            gegnung dieser Gefahr führen würde. Hinsichtlich        JuSchG) versehen wurde, führt zum entscheidenden
            des Spiels GTA 5 gab die F zu der von ihr gedachten     Punkt, denn jene Beurteilung der USK stellt eine
            Rechtfertigung des Handelns noch an, dass dieses        abgeschlossene sachverständige Einschätzung im
            Spiel auch durch viele andere Kinder im Alter ihres     Wege gesetzlich vorgesehener Kontrolle dar und ist
            Sohnes gespielt werde.                                  daher auch durch die Gerichte mit zu Grunde zu le-
                 Dies exkulpiert jedoch nicht. Zum einen ist dies   gen.
            eine pauschale Schutzbehauptung, die so nicht               Wurde nun eine betreffende sachverständige
            überprüft werden kann. Zum anderen wäre, selbst         Einschätzung und die dem folgende USK-Kennzeich-
            wenn dies der Fall wäre, dies dennoch keine Recht-      nung »keine Jugendfreigabe«/»USK ab 18« getrof-
            fertigung für die hiesigen Kindeseltern, dann auch      fen, können jene Spieletitel

                                                                                                      
            ihr eigenes Kind fortwährend einer derartigen, das      sozial-schädliche Botschaf-
                                                                                                             Der Begriff der »Gefährdung«
            Kind seelisch massiv beeinträchtigenden, gewalt-        ten enthalten, da sie z.B.               hat hier verschiedene Facet-
            präsentierenden und zur Abstumpfung und Verro-          nicht selten Gewalt verherr-     ten: Jugendgefährdende Trägerme-
            hung führenden Ab-18-Erwachsenen-Videospiele-           lichen, einem partner-           dien, zu denen auch entsprechende
            welt auszusetzen.                                       schaftlichen Rollenver-          Konsolenspiele zählen, liegen vor,
                 Der aufgezeigten Gefahr für das Kindeswohl des     ständnis der Geschlechter        wenn ein in § 15 Abs. 2 JuSchG aufge-
                                                                                                     listeter Fall (z.B. Kriegsverherrli-
            10-jährigen Jungen kann hier nur geeignet begegnet      entgegenstehen, einzelne
                                                                                                     chung) vorliegt oder die Bundesprüf-
            werden, indem die betreffenden Videospiele von K        gesellschaftliche Gruppen
                                                                                                     stelle für jugendgefährdende Medi-
            weggenommen und ihm künftig nicht mehr zugäng-          diskriminieren oder Sexua-       en (BPJM) sie in die sog. Indizie-
            lich gemacht werden. Dieses wurde daher den Kin-        lität auf ein Instrumentari-     rungsliste aufgenommen hat. Wenn
            deseltern aufgegeben. Mildere Mittel sind nicht         um der Triebbefriedigung         Eltern den Zugang dazu dulden, kann
            ersichtlich.                                            reduzieren, wonach die die-      dies das Kindeswohl gefährden und
                 K kann und darf sich – in dem von seinen Eltern    se Spieletitel nutzenden         bei gröblicher Verletzung der Erzie-
            vorzugebenden zeitlichen Rahmen – hiernach künf-        Personen mit Inhalten in         hungspfl icht sogar strafrechtlich
                                                                                                     sanktioniert werden (§ 27 Abs. 4
            tig noch weiterhin mit solchen Videospielen be-         Berührung kommen, die we-
                                                                                                     JuSchG). Alterseinstufungen von Me-
            schäftigen, welche für sein Alter und den Stand         gen eines möglichen ge-          dien sind dagegen im Privatbereich
            seiner Entwicklung angemessen erscheinen, bei-          walt-verherrlichenden, ag-       nicht rechtlich bindend (§ 12 Abs. 1
            spielhaft hier weiter das Spiel »FIFA 2017« spielen,    gressiven oder anderweitig       JuSchG); da aber Maßstab die Ent-
            welches, wie im Verfahren benannt wurde, K für          sozialschädlichen Inhalts        wicklungsbeeinträchtigung ist (§ 14
            seine Konsole Playstation 4 ebenfalls zu seiner Ver-    zu einer Abstumpfung und         Abs. 1 JuSchG), kann das Nichtbe-
            fügung hat.                                             Enthemmung des Betrach-          achten im Rahmen einer anderweitig
                                                                                                     erfolgenden Bewertung des Kindes-
                 Zugleich wurde die Auflage dahingehend erteilt,    ters führen können (...). Ist
                                                                                                     wohls durchaus mit herangezogen
            dass die Kindeseltern auch künftig sämtliche Video-     ein Spieletitel nach jener
                                                                                                     werden und letztlich in die Annahme
            spiele, die eine auf der Verpackung ersichtliche Ein-   sachverständigen Expertise       der Gefährdung des Kindeswohls mit
            stufung »USK ab 18« tragen, dem Kind nicht zugäng-      ohne Jugendfreigabe (»USK        einfließen. Zusätzlich steht die
            lich machen oder zum Spielen überlassen dürfen.         ab 18«) eingestuft, bedeu-       Nichterteilung einer Jugendfreigabe
                 Die USK / Unterhaltungssoftware Selbstkontrol-     tet dies somit zwingend          (§ 12 Abs. 3 JuSchG) – bezeichnet als
            le ist die für Deutschland verantwortliche Stelle für   auch für die Bewertung           »ab 18« – wegen des besonderen
                                                                                                     Gefährdungspotentials einem Zu-
            die Altersfreigabe von Videospielen. Die Organisa-      durch das Familiengericht,
                                                                                                     gänglichmachen solcher Medien an
            tion gewährleistet nach dem vom Gesetzgeber vor-        dass das Wohl eines Kin-
                                                                                                     Minderjährige auch im Privatbereich
            gesehenen Prinzip einer sog. halbstaatlichen            des gefährdet ist, wenn ein      entgegen, auch wenn dies bei Eltern
            Selbstkontrolle (vgl. i. E. § 14 Abs. 6 JuSchG), dass   solcher Spieletitel einem        nicht als Ordnungswidrigkeit ver-
            die Prüfung betreffender Spieletitel über von den       Kind zugänglich gemacht ist      folgt wird (§ 28 Abs. 4 JuSchG) [wei-
            Bundesländern benannte unabhängige Sachver-             und das Kind mit einem sol-      tere Einzelheiten vgl. Nikles et al.,
            ständige und in Zusammenarbeit mit dem ständigen        chen Spieletitel frei umge-      Jugendschutzrecht, 3. Aufl . 2011,
            Vertreter der obersten Landesjugendbehörden bei         hen kann.                        §§ 12, 14, 15, 27, 28 JuSchG].

112 K Jug                                                                                                                        3/2018
Recht und Rechtsprechung                                      Roll • Computerspiele: Hilflose Eltern und umstrittene Hilfestellung

           Das Gesetz schreibt in § 12 JuSchG (»Bildträger mit       Erstaunlicherweise gibt es selbst unter Fachleuten
           Filmen oder Spielen«) in Abs. 3 vor, dass Medienträ-      sehr unterschiedliche Reaktionen auf die vorlie-
           ger, »die nicht oder mit ›Keine Jugendfreigabe‹ nach      gende Entscheidung, so dass die Befürchtung der
           § 14 Abs. 2 von der obersten Landesbehörde oder           Eltern, mit ihrer strengen Vorgabe allein zu bleiben,
           einer Organisation der freiwilligen Selbstkontrolle       durchaus nachvollziehbar erscheint. So legt etwa
           im Rahmen des Verfahrens nach § 14 Abs. 6 oder            die Fachanwältin für Familienrecht Monika Clausius
           nach § 14 Abs. 7 vom Anbieter gekennzeichnet sind,        (https://blog.otto-schmidt.de/famrb/2018/04/25/
           einem Kind oder einer jugendlichen Person nicht           ungeahnte-folgen-eines-sorgerechtsverfahrens-
           angeboten, überlassen oder sonst zugänglich ge-           ag-bad-hersfeld-v-27-10-2017-63-f-29017-so/) ihr
           macht werden« dürfen. Daraus begründet sich die           Augenmerk darauf, dass in einem familiengericht-
           für die Eltern zur klaren, verständlichen Vorgabe für     lichen Verfahren aus Gründen des Kindeswohls
           die Zukunft konkret gefasste Auflage (...).               auch Regelungen getroffen werden, die die die El-
                                                                     tern so nicht vorhergesehen haben und möglicher-
                                                                     weise nicht wollen. Im Grundsatz sieht sie die Auf-
            Anmerkung                                              lage dabei wohl schon für sinnvoll an und äußert
                                                                     zugleich Zweifel an der Erziehungseignung von El-
           Die familiengerichtliche Entscheidung ist in der          tern, die sich Entscheidungen gegen den Willen von
           Verwendung der jugendschutzrechtlichen Begriff-           Kindern nicht zutrauen. Bei der folgenden Fundstel-
           lichkeiten nicht immer ganz stimmig. Die beiden           le »http://www.rechtsindex.de/familienrecht/
           angesprochenen Computerspiele tragen eine Kenn-           6076-playstation-spiele-ab-18-jahren-eltern-
           zeichnung nach dem Jugendschutzgesetz und sind            s e t ze n - 10 - jae hr ig e n - keine - g re nze n?p os t _
           somit per se nicht jugendgefährdend; gleichzeitig         id=noID« verdeutlicht schon der Titel, dass die
           ist durch das Kennzeichnungsverfahren aber fest-          Notwendigkeit von Grenzen in der Erziehung bejaht
           gestellt, dass sie geeignet sind, die Entwicklung         wird. Dagegen rückt Marie Herberger (in: juris-PR-
           von Kindern und Jugendlichen sämtlicher Altersstu-        FamR 7/2018, Anm. 2) die Umgehungsmöglich-
           fen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwort-         keiten in das Zentrum ihrer Überlegungen; die Auf-
           lichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu         lage sei nicht gut, denn das Kind würde dann halt
           beeinträchtigen. Eine derartige Beeinträchtigung          woanders spielen. Besser wäre es ihrer Meinung
           kann zur Gefährdung des Kindeswohls beitragen,            nach, das Spiel unter pädagogischer Betreuung der
           insbesondere wenn sie gehäuft erfolgt.                    Eltern zu Hause zu spielen. Auch würde der gericht-
               Vorteil des Ausgangsfalls ist, dass hier die Nicht-   lich verordnete Kontrolldruck die Eltern Kind-Bezie-
           eignung der Medieninhalte für ein Kind dieses Alters      hung belasten. Und ohnehin sei fraglich, ob die
           klar auf der Hand liegt und von niemandem bestritten      Gefahr des Weiterspielens dieser Spiele genauso
           wird, so dass wohl man über das sog. Erzieherprivi-       groß sei wie bei der erstmaligen Konfrontation.
           leg, d.h. hier das Recht der Eltern die Alterseignung          Am konkreten Beispiel zeigt sich deutlich, dass
           eines Medieninhalts für ihr Kind anders einzuschät-       auf der einen Seite medienpädagogische Möglich-
           zen, in diesem Fall nicht diskutieren muss. Ange-         keiten überschätzt werden – ein an der Grenze zur
           sichts dessen ist die vom Gericht vertretene Linie        Indizierung stehender Medieninhalt kann für sehr
           eines strengen Verbots auch gut zu rechtfertigen.         junge Kinder nicht geeignet aufbereitet werden,
               Die Eltern sind für Unterstützung von außen und       selbst wenn die Eltern zur pädagogischen Beglei-
           Vorgaben auch offen. Immerhin weiß die Mutter um          tung fähig wären oder befähigt würden. Anderer-
           die Problematik der Computerspiele, die ihr Sohn          seits kommen bei restriktiven Regelungen leicht
           spielt, und es liegt eine grobe Kenntnis der Spielin-     medienpädagogische Ergänzungen etwa durch
           halte vor. Auch wenn Hilflosigkeit im Umgang mit          Fördern von Spielkontakten im Bereich altersge-
           Erziehung im Allgemeinen und mit Medienerzie-             mäßer Spiele zu kurz. Auch wenn es hier nicht be-
           hung im Besonderen zu Tage tritt, ist zumindest die       stätigt ist, hat vermutlich ja sogar ein Elternteil die
           Mutter nicht völlig desinteressiert an dieser Thema-      Spiele dem Kind gekauft oder zur Verfügung ge-
           tik. Eine Überforderung für sich sieht sie in der Not-    stellt: Deshalb wäre es wichtig, dass Eltern nicht
           wendigkeit ihrem Kind Grenzen zu setzen und dem           nur Informationen über die fehlende Alterseignung
           – zumindest vermuteten – nachlässigeren Umgang            erhalten, sondern medienpädagogisch befähigt
           bei anderen Eltern. Dabei wäre eigentlich die An-         werden, eine grenzsetzende Erziehung unter Bieten
           ordnung durch das Familiengericht gar nicht nötig,        interessanter Alternativen zu leben.
           da § 12 Abs. 3 JuSchG bereits den Ansatzpunkt bie-
           tet, hier den Zugang zu diesen Spielen zu beschrän-
           ken und auch gegenüber dem Kind und anderen
           Eltern zu vertreten.

3/2018                                                                                                                           KJug 113
Roll • Gesetz und Gesetzgebung                                                                                Recht und Rechtsprechung

             Gesetz und Gesetzgebung                               ne Prüfung abverlangt wird, ob die als Suchergebnis
                                                                     angezeigten Inhalte rechtmäßig ins Internet einge-
             In Bayern sind die Verwaltungsvorschriften d.h.         stellt worden sind, d.h. ob etwa eine sog.
             Vollzugshinweise zum Jugendschutzgesetz neu ge-         Indizierung besteht. Dies gilt aber nicht Werbung für
                        fasst und veröffentlicht worden (https://    bei einer eigenen redaktionellen Aufbe- indizierte Angebote
   Vollzugshinweise www.verkuendung-bayern.de/allmbl/                reitung und Verknüpfung mit Bestellmög-
        zum Jugend- jahrgang:2018/heftnummer:1 => S. 29-             lichkeit, selbst wenn dies automatisiert erfolgt. Hierin
        schutzgesetz 63). Sie enthalten u.a. ausführliche Hin-       sah das VG München (Urt. v. 14.12.17, Az. M 17 K
                                                                     16.4916) eine unzulässige Werbung für indizierte An-
                        weise zur erziehungsbeauftragten Per-
                                                                     gebote und bestätigte die durch die KJM veranlasste
             son, zu Laserspielstätten und zur Bußgelderhebung
                                                                     Beanstandung und die Unterlassungsverfügung (vgl.
             (Regelkatalog).
                                                                     zu dieser Thematik: Schwendner/Monninger, Ju-
                                                                     gendschutz im Internet: Indizierte Bücher im Fokus,
                                                                     in: JMS-Report 1/2018, S. 4f).
             Rechtsprechung
                                                                     Das Verbot der Veranstaltung von Pokerspielen, Casi-
            Die ersten Gerichtsentscheidungen im Gefolge der         nospielen und Rubbellosspielen im Internet und zu-
            gesetzlichen Neuregelungen zu sog. Kinderehen ha-        gehörige Werberestriktionen ge-
                       ben bei fast volljährigen Ehepartnern mit     mäß deutschem Glücksspielrecht Glücksspielrecht
         Kinderehen einem gemeinsamen Kind die Anwendung             sind nach der Auffassung des Bun-
                       der Ausnahmeregeln bejaht (AG Nord-           desverwaltungsgerichts (Urteile v. 26.10.2017, Az. 8
            horn, Beschl. v. 29.01.18, Az. 11 F 855/17 E1; AG        C 18.16 und 8 C 14.16) mit den europäischen Rechts-
            Frankenthal, Beschl. v. 15.02.18, Az. 71 F 268/17). Da   normen vereinbar.
            in beiden Fällen EU-Bürger betroffen waren, wurde
            zusätzlich mit der europarechtlich garantierten freien
            Wohnsitzwahl argumentiert. Die Entscheidungen             Nachtrag zu KJug 2/2018, S. 64
            werden von Prof. Dr. Martin Löhner - in: FamRZ            Das OVG Lüneburg hat die Entscheidung zur jugendschutzrechtlichen
            10/2018, S. 749f - näher besprochen.                      Altersbeschränkung beim Paintballspiel bestätigt (Beschl. v. 19.03.2018,
                                                                      Az. 7 ME 9/18).
            Anordnungen des Familiengerichts zur Abwehr von
                                                                      Nachtrag zu KJuG 3/2005, S. 102
            Kindeswohlgefährdungen durch sexuellen Miss-
                                                                      Die Privilegierung des von einem Kinderspielplatz ausgehenden Lärms gilt
            brauch werden als milderes Mittel zum Sorgerechts-        nicht für eine Ballspielnutzung durch Jugendliche und junge Erwachsene;
            entzug weiter favorisiert: so im Anschluss an den BGH     wenn die Gemeinde eine Altersbeschränkung nicht durchsetzen kann, ist
                        (s. KJug 2/2017, S. 78) etwa AG Freiburg,     die Baugenehmigung dafür nicht rechtmäßig (OVG Münster, Beschl. v.
       Kindeswohl- Beschl. v. 11.04.17, Az. 46 F 798/17 und           22.02.2018, Az. 10 A 2559/16).
      gefährdungen OLG Karlsruhe, Beschl. v. 27.07.17, Az. 18
                        UF 112/17. Allerdings birgt dies stets die
            Gefahr, dass zusätzliche Gefährdungsaspekte im Ein-
            zelfall nicht erkannt worden sind (vgl. Anm. in FamRZ     Schrifttum
            7/2018, S. 511). Umgekehrt sind auch in Fällen nicht
            nachgewiesenen Missbrauchs die Umgangsrechte             Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Selbstbehauptung
            schwierig zu gestalten; das OLG Frankfurt hielt hier     des Rechts oder erster Schritt in die selbstregu-
            begleiteten Umgang für erforderlich (Beschl. v.          lierte Vorzensur? – Verfassungsrechtliche Fragen
            20.11.17, Az. 4 UF 223/17).
                                                                     [Der Schutz der Meinungsfreiheit gebiete staatliche
                                                                     Aufsicht, wenn eine gesellschaftliche Selbstregula-
           Die mangelhafte Grundversorgung eines Kleinkindes
                                                                     tion Löschtätigkeiten in Netzwerken übernommen
           durch die alleinerziehende Mutter kann zwar Anlass
                                                                     hat] von Prof. Dr. Sebastian Müller-Franken in: AfP
           für eine Inobhutnahme sein; dies gilt jedoch dann
                                                                     1/2018, S. 1-14.
                      nicht, wenn auf freiwilliger oder vertrag-
     Inobhutnahme licher Basis andere Personen die Versor-
                      gungsdefizite ausgleichen. Dies war in         Entscheidungskompetenz über Haarschnitt des
           dem vom OVG Münster entschiedenen Fall (Beschl. v.        Kindes bei gemeinsamer elterlicher Sorge nach
           18.05.17, Az. 12 B 528/17) gegeben, weil sich Mutter      Trennung der Eltern [Haareschneiden ist eine Ange-
           und Kind offensichtlich in einer betreuten Wohnein-       legenheit des täglichen Lebens und damit in der
           richtung befunden hatten.                                 Entscheidungskompetenz des Elternteils des regel-
                                                                     mäßigen Aufenthalts; da es große Persönlichkeits-
            Die Betreiber von Suchmaschinen werden rechtlich         bedeutung hat, ist der Kindeswille einzubeziehen]
            dahingehend privilegiert, dass ihnen regelmäßig kei-     DIJuF-Rechtsgutachten in: JAmt, 1-2/2018, S. 21f.

114 K Jug                                                                                                                           3/2018
Recht und Rechtsprechung                                                                       Roll • Gesetz und Gesetzgebung

           Zur Verwendung des Begriffs »Auflage« durch Ju-        Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im Famili-
           gendhilfeträger im Rahmen eines Schutzplans bei        enrecht [Überblick über Rechtsfragen im Zusam-
           Kindeswohlgefährdung [Für das rechtlich nicht nä-      menhang mit Inobhutnahme, Altersbestimmung,
           her normierte Instrument des Schutzplans sollte        Vormundschaft, Kinderehen u.a.] von Dr. Werner
           zum Erhalt des vertrauensvollen Zusammenarbei-         Dürbeck in: FamRZ 8/2018, S. 553-564.
           tens von der Verwendung des Begriffs »Auflage«,
           der ein Zwangsmittel suggeriert, abgesehen wer-        Arbeitsstunden nach dem JGG – Neue Wege bei der
           den] von Radewagen/Lehmann/Stücker in: JAmt            Umsetzung der Standard-Auflage des Jugendstraf-
           1-2/2018, S. 10-12.                                    rechts [Bericht über Schlussfolgerungen aus einer
                                                                  lokalen Austauschrunde betroffener Fachleute] von
           Einwilligungsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit von      Ruben Franzen in: ZJJ 1/2018 S. 43-47.
           Minderjährigen im Kontext medizinischer Behand-
           lungen [Beide Begriffe und ebenso die sog. Sozial-
           mündigkeit (§ 36 SGB I) sind eigenständig und nicht       Sigmar Roll                                         Autor
           starr miteinander verknüpft. Ist Einwilligungsfähig-      (Zuschriften bitte an die Redaktion der KJug)
           keit festgestellt, sollte dem Willen des Minderjäh-
           rigen Vorrang vor dem Elternrecht zukommen] von           Psychologe/Jurist, Richter am Bayerischen
           Prof. Dr. Andreas Spickhoff in: FamRZ 6/2018,             Landessozialgericht Zweigstelle Schweinfurt
           S. 412-425.

3/2018                                                                                                               KJug 115
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