CORONAVIRUS: Das sollten Herzpatient*innen jetzt wissen
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www.herzzentrum-goettingen.de HZG aktuell 8. Jahrgang, Heft 1 Frühjahr/Sommer 2020 CORONAVIRUS: Das sollten Herzpatient*innen jetzt wissen I N T E RV I E W LEHRE FORSCHUNG Direktor der Klinik Training rettet Neue Erkenntnisse für Nuklearmedizin Leben – über den Behand- Professor Bucerius Lehr- und Simu- lungserfolg bei im Gespräch lationszentrum minimalinvasivem der UMG Klappenersatz
E D I TO R I A L Liebe Leserin, lieber Leser, seit März bestimmt das Coronavirus unse- derherzklinik setzt Angelika König Töne, ren privaten und beruflichen Alltag. Nach Klänge und Rhythmen ein, um herzkranken der ungewissen Zeit mit Kontaktverboten, Kindern den Klinikalltag zu erleichtern. strengen Auflagen und Restriktionen, folgt Die musikalische Therapie hilft den kleinen nun schrittweise die Rückkehr zur Normali- Patient*innen, ihre Erkrankung und den tät. Das lässt uns aufatmen und macht Hoff- Aufenthalt besser zu verarbeiten. nung, doch müssen wir weiterhin aufmerk- Inwieweit speziell geschulte Pflegekräfte sam bleiben. In dieser Ausgabe HZG aktuell den Krankheitsverlauf psychisch belasteter haben wir Ihnen daher zusammengefasst, Herzpatient*innen nachhaltig verbessern was Herzpatient*innen in Zeiten des Co- können, erforscht die neue psychokardiolo- ronavirus jetzt und in Zukunft beachten gische Patientenstudie „TEACH“. 440 psy- sollten. chisch belastete Patient*innen mit koronarer Aber nicht nur COVID-19 hat unser Herz- Herzkrankheit und unzureichend kontrol- Prof. Dr. Gerd Hasenfuß, zentrum in den letzten Wochen und Mona- lierten Risikofaktoren für Herzerkrankun- Vorsitzender des Herzzentrums der UMG ten bewegt. Auch von erfolgreichen und sehr gen sollen für die Untersuchung gewonnen positiven Neuigkeiten können wir berichten: werden. Geleitet wird die multizentrische Ganz besonders freuen wir uns über unser Studie von Prof. Dr. Christoph Herrmann- neuestes Mitglied im Herzzentrum, Herrn Lingen, gefördert wird sie vom Bundesmi- Prof. Dr. Jan Alexander Bucerius. Profes- nisterium für Bildung und Forschung mit sor Bucerius ist seit September 2019 neuer 2,37 Millionen Euro über vier Jahre. Direktor der Klinik für Nuklearmedizin Unterstützung für ihre Arbeit erfährt auch und spricht im Interview über seine neuen die Kinderherzklinik unter der Leitung von Aufgaben, seine Wünsche und Ziele und die Prof. Dr. Thomas Paul regelmäßig. Wir interdisziplinäre Zusammenarbeit im Herz- möchten das HZG aktuell dazu nutzen, allen zentrum. Spender*innen für die größeren und kleine- Zusammenarbeit ist im klinischen Umfeld ren Summen, die Sachspenden und Aktio- grundsätzlich unerlässlich. Wie wichtig nen zu danken. abgestimmte Prozesse, das Vertrauen in die Das und noch viel mehr lesen Sie im neuen Kolleg*innen und Teamwork in Notfallsitu- HZG aktuell. ationen sind, können Sie in unserem Artikel zum Lehr- und Simulationszentrum der Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. Klinik für Anästhesiologie nachlesen. Als Mit herzlichen Grüßen zentrale Einrichtung bietet das Lehr- und Si- Ihr Prof. Dr. Gerd Hasenfuß mulationszentrum regelmäßig verschiedene Schulungen unter realistischen Bedingungen für medizinisches Personal unterschiedli- cher Fachbereiche und Berufsgruppen an. Wussten Sie, dass im Herzzentrum auch eine Musiktherapeutin arbeitet? In der Kin- Impressum Herausgeber Herzzentrum Göttingen – Kontakt Coverbild Vorstand des Herzzentrums der Öffentlichkeitsarbeit Herzzentrum Göttingen – Eva Meyer-Besting (HZG) Universitätsmedizin Göttingen Fotografie Öffentlichkeitsarbeit Druck V. i. S. d. P. Florian Rusteberg (HZG), Julia Universitätsmedizin Göttingen WIRmachenDRUCK GmbH, Julia Szikszay/Eva Meyer-Besting Szikszay (HZG), Ronald Schmidt Robert-Koch-Str. 40 Backnang Herzzentrum Göttingen – (Göttingen) 37075 Göttingen Tel. 0551 39-65348 Erscheinungsweise Öffentlichkeitsarbeit Gestaltung Halbjährlich E-Mail hzg.aktuell@med. Redaktion Michael Ndarurinze uni-goettingen.de Auflage 2.000 Julia Szikszay/Eva Meyer-Besting 2 HZG aktuell | 1/2020
I N H A LT Im Interview: Direktor der Klinik für Nuklearmedizin Prof. Dr. Lehr- und Simulationszentrum: Training rettet 8 Jan Alexander Bucerius über die Chancen der Nuklearmedizin 12 Leben HZG aktuell 1/2020 Aktuelles ................................................................................................ 4 Im Interview: Prof. Dr. Jan Alexander Bucerius ........................................ 8 Lehr- und Simulationszentrum: Training rettet Leben ............................................................... 12 Corona: Was Herzpatient*innen wissen sollten .......................16 Neue Erkenntnisse über den Behandlungs- 16 Coronavirus: Was Herzpatient*innen wissen sollten erfolg bei minimalinvasivem Klappenersatz ....... 18 Psychokardiologische Patientenstudie: Können speziell geschulte Pflegekräfte den Krankheitsverlauf psychisch belasteteter Herzpatient*innen verbessern? ...................................... 20 Klänge zur Entspannung ...................................................... 24 Wir sagen Danke ......................................................................... 27 Kardiologische und neurologische Frührehabilitation im Klinik- und Rehabilitationszentrum Lippoldsberg ...................... 30 Erforscht: Neue Erkenntnisse über den Behandlungserfolg Veranstaltungen ........................................................................... 32 18 bei TAVI HZG aktuell | 1/2020 3
AKTU ELLES PE RS O NAL I A Klinik für Kardiologie und Pneumologie Zum 1. April 2020 hat der bisherige stellvertretende Klinikdirektor der Klinik für Kardiologie und Pneumo- logie Prof. Dr. Claudius Jacobshagen die Universitäts- medizin Göttingen verlassen und den Chefarztposten im Städtischen Klinikum Karlsruhe übernommen. „Ich wünsche Claudius Jacobshagen alles Gute für seine neue Herausforderung und danke ihm für die gute Zusammenarbeit“, sagt Professor Hasenfuß, Direktor der Klinik für Kardiologie und Pneumologie. Nun hat Prof. Dr. Tim Seidler (li.) die Nachfolge als stellvertretender Leiter der Klinik für Kardiologie umg/schmidt und Pneumologie angetreten. Prof. Dr. Karl Toischer (re.) hat zudem den Posten des leitenden Oberarztes F OTO : übernommen. Seit dem 1. April 2020 gibt es außerdem drei ge- schäftsführende Oberärzte in der Klinik für Kardiolo- gie und Pneumologie: Prof. Dr. Miriam Puls, Prof. Dr. Andreas Schuster und Prof. Dr. Marco Schroeter (v. l. n. r.) für die Bereiche Clinical Science, Bildgebung und Interventionelle Koronardiagnostik. „Ich wün- umg/lange sche allen Kolleg*innen viel Erfolg bei den neuen Aufgaben und freue mich auf die weitere Zusam- menarbeit“, sagt Professor Hasenfuß. F OTO : 3 Fragen an Prof. Dr. Tim Seidler Zum 1. April 2020 hat Prof. Dr. Tim „structural heart“, mit der Gestaltung des positive Ergebnisse sehen und dabei die Seidler die Stelle des stellvertretenden Klappenprogramms, wird künftig meine vielen tollen analogen Menschen in unse- Direktors der Klinik für Kardiologie und Handschrift tragen. rer Klinik nicht übergehen. Das erfordert Pneumologie übernommen. viel Detailarbeit und ich bin froh über die Welche Themen sind Ihnen in der Unterstützung und den Enthusiasmus aller, Was wird sich für Sie ändern? neuen Position wichtig? die mir dabei helfen. Ein Schwerpunkt in meiner bisherigen Drei Themen: 1. Qualität in der Versor- Tätigkeit als leitender Oberarzt war die gung. Damit steht und fällt alles. Ich habe Welche Ziele haben Sie? Was wünschen Durchführung komplexer Koronareingriffe den Anspruch an mich selbst und an ande- Sie sich? und Herzklappeninterventionen. Diese Ar- re, beste Ergebnisse für unsere Patienten zu Ich möchte, dass wir unbestritten als „der“ beit im Herzkatheterlabor bleibt mir zum erzielen. Damit das gelingt, stehen von der Anbieter für kardiologische Spitzenme- Glück erhalten. Das ist für mich ein sehr Indikationsstellung über unsere Arbeits- dizin in Niedersachsen gesehen werden. wichtiger Aspekt meiner Tätigkeit, den weisen, unsere Kommunikation bis hin Das ist erst einmal ein Anspruch an unsere ich mit viel Leidenschaft und Engagement zum „corporate spirit“ alle Aspekte immer eigene Leistung in der Krankenversorgung betreibe. Einige Aufgaben wie zum Beispiel wieder auf dem Prüfstand. Patientensicher- und der Anspruch, für unsere Patienten, das tägliche Management des Besetzungs- heit gehört ebenso in dieses Themenfeld. Zuweiser und Kooperationspartner in je- plans und die Leitung des von mir gegrün- 2. Arbeitsumfeld: Es ist mir wichtig, unsere der Hinsicht die bestmögliche Adresse, der deten DRG-Kodierbüros fallen weg, um Arbeitsbedingungen immer weiter so zu bestmögliche Partner zu sein. Das schließt Platz für anderen Aufgaben in der Klinik- verbessern, dass es möglich ist, gesund ist auch unser Forschungsengagement aus- leitung zu schaffen. Künftig tritt insbeson- und auch Spaß macht, jeden Tag die per- drücklich mit ein, denn vieles, was in der dere die Rolle als Stellvertreter von Herrn sönliche Bestleistung zu bringen. 3. Digi- Forschung passiert, wirkt sich sehr schnell Professor Hasenfuß in den Vordergrund. talisierung: Ich möchte die Digitalisierung verbessernd auf die Klinik aus. Das Gleiche Und der größte Bereich unserer Klinik, der Klinik so gestalten, dass wir schnell gilt für die Lehre. 4 HZG aktuell | 1/2020
AKTUELLES Rezertifiziert: Zentrum für Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern an der UMG Die Universitätsmedizin Göttingen und Gefäßchirurgie e.V. (DGTHG) erhal- Die UMG betreut in einem großen Ein- (UMG) hat Mitte April erneut das Zertifi- ten. Die Gutachter der Fachgesellschaften zugsgebiet Erwachsene mit angeborenen kat „Überregionales EMAH-Zentrum“ der hoben die sehr gute personelle Aufstellung Herzfehlern und hat mit dem EMAH- Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – sowie die unverändert klare Struktur des Zentrum eine Versorgungslücke in der Herz- und Kreislaufforschung e.V. (DGK), Zentrums mit seinem Weiterbildungs- und Mitte Deutschlands geschlossen. An der der Deutschen Gesellschaft für Pädiatri- Fortbildungskonzept hervor. Besonders an- UMG arbeiten insgesamt acht EMAH- sche Kardiologie e.V. (DGPK) sowie der erkannten sie die Expertise in der Behand- Spezialist*innen. Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- lung von Herzrhythmusstörungen. Interdisziplinäres EMAH-Zentrum Unter der Leitung der EMAH- Kardiologin Prof. Dr. Claudia Dellas (Oberärztin der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin – Pädiatrische Kardiologie, Intensivmedizin und Pneumologie und Leiterin des EMAH-Zentrums) arbeiten mehrere Spezialdisziplinen der UMG eng zusammen. Engster Kooperations- partner ist der Schwerpunkt Kin- derherzchirurgie (Leitung: Prof. Dr. Theodor Tirilomis) in der Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (Direktor: Prof. Dr. Ingo Kutschka). Weitere Partner sind die Klinik für Kardiologie und Pneumologie (Di- rektor: Prof. Dr. Gerd Hasenfuß), das Institut für Diagnostische und In- terventionelle Radiologie (Direktor: Prof. Dr. Joachim Lotz), die Klinik für Anästhesiologie (Direktor: Prof. Dr. Konrad Meissner), die Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe (Direktorin: Prof. Dr. Julia Gallwas) und das Institut für Humangenetik (Direktor: Prof. Dr. Bernd Wollnik). HZG aktuell | 1/2020 5
AKTU ELLES Kinderherzklinik – Unterstützung für die Kinderherzchirurgie 3 Fragen an PD Dr. Tim Attmann Nach neun Jahren oberärztlicher Tätig- Göttingen zu einem bedeutenden Zentrum keit am Universitätsklinikum Schleswig- für die Neugeborenen- und Säuglingsherz- Holstein, Campus Kiel, davon fünf Jahre chirurgie machen. Neben einem Programm als stellvertretender Leiter des Bereichs zur komplexen biventrikulären Korrektur Kinderherzchirurgie, wechselt PD Dr. sollen vermehrt Kinder mit funktionell Tim Attmann zum 1. Mai 2020 an die univentrikulären Herzen chirurgisch ver- Kinderherzklinik der Universitätsmedizin sorgt werden. Zweitens möchte ich mich in Göttingen. das Göttinger Programm der Chirurgie bei terminaler Herzinsuffizienz und der me- Was hat Sie dazu be- chanischen Kreislaufunterstützung einbrin- wogen, nach Göttin- gen. Herztransplantationen bei Kindern gen zu wechseln? habe ich bereits in Kiel durchgeführt und Nach neun Jahren würde das gerne auch in Göttingen tun. oberärztlicher Tätigkeit Aufgrund der limitierten Verfügbarkeit von am Universitätskli- Spenderherzen gewinnt aber der Einsatz nikum Schleswig- von mechanischen Herzunterstützungssys- Holstein, Campus temen bei terminal herzinsuffizienten Pati- Kiel, davon fünf Jahre enten – auch bei solchen mit angeborenen als stellvertretender Herzfehlern – an Bedeutung. Leiter des Bereichs Mein größter Wunsch ist die gute klinische Kinderherzchirurgie, und wissenschaftliche Zusammenarbeit mit befiel mich eine gewis- den Kolleg*innen der Kliniken und den se Unruhe. Ich wollte Instituten des Göttinger Herzzentrums. mich weiterentwickeln. Insbesondere freue ich mich hier auf die Gleichzeitig suchte das Zusammenarbeit mit Herrn Professor Kinderherzzentrum Tirilomis. Göttingen nach einem Die kardiale MRT und CT haben für den Kinderherzchirur- Kinderherzchirurgen eine zunehmende gen, der das gesamte Bedeutung. Die Möglichkeit, mit 4D-Fluss- Spektrum des Fach- Studien und -Simulationen Operationen zu gebietes beherrscht. planen, fasziniert mich. Deshalb wünsche Die lange Historie ich mir eine enge Zusammenarbeit mit den bei der Behandlung kinderkardiologischen und radiologischen von angeborenen Herzfehlern, die Tatsa- Kolleg*innen. Das Gleiche wünsche ich che, dass das Organ Herz an der UMG in mir für die Kardiogenetik. Es wäre schön, vielen Kliniken und Instituten im Fokus wenn ich mich in diesem Bereich ebenfalls steht, und die vernetzten Strukturen des einbringen könnte. Herzzentrums machten Göttingen sehr attraktiv für mich. Durch das persönliche Was ist Ihnen beruflich besonders Engagement von Herrn Professor Paul und wichtig? Herrn Professor Kutschka und durch die Die herzchirurgische Behandlung von Kin- positiven Gespräche mit dem Vorstand der dern mit angeborenen Herzfehlern kann UMG habe ich den Eindruck gewonnen, nur mit guter Ergebnisqualität erfolgen, dass sich mit einem Wechsel nach Göttin- wenn ein Team, bestehend aus Kolleginnen gen sehr gute Perspektiven für beide Seiten und Kollegen der Kinderkardiologie, der ergeben können. Anästhesie, der Pflege, der Kardiotechnik und weiterer Disziplinen und Berufsgrup- Welche Ziele haben Sie? Was wünschen pen, vertrauensvoll zusammenarbeitet. Sie sich? Dieses Teamwork ist mir besonders wich- Klinisch beziehungsweise chirurgisch habe tig, damit den kleinen Patient*innen best- ich zwei Hauptziele. Erstens möchte ich möglich geholfen werden kann. 6 HZG aktuell | 1/2020
AKTUELLES Preis für gute Lehre 2019 Prof. Dr. Theodor Tirilomis, Leiter des Schwerpunktbereiches Kin- derherzchirurgie, Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie, erhielt den „Preis für gute Lehre 2019“ der Medizinischen Fakultät an der Universitätsmedizin Göttingen. Die Urkunde wurde ihm im Rah- men der Absolventenfeier der Humanmedizin am 8. Februar 2020 in der Aula der Universität am Wilhelmsplatz übergeben. Mit dem neuen Lehrpreis, der auf eine Initiative der Fachschaft Medizin zurückgeht und zusammen mit dem Studiendekanat (Bereich Medizindidaktik) eingerichtet wurde, soll die Bedeutung der Lehre in der Medizin gewürdigt und sollen Anreize für engagierte und exzellente Lehre geschaffen werden. Den Lehrpreis, der zum ersten Mal vergeben wur- de, erhielten zwölf Lehrende aus den Studiengängen Humanmedizin, Zahnmedizin, Molekulare Medizin und Cardiovascular Science. Die Preisträger wurden über eine ausführliche Umfrage unter den Stu- dierenden aller Studiengänge an der Universitätsmedizin Göttingen ermittelt. Herzinsuffizienz: Wie können Belastbarkeit und Lebensqualität verbessert werden? Allein in Deutschland leiden nach Ex- benschancen der Patient*innen. Während hörigen zu Hause von enormer alltagsprak- pertenschätzungen zwischen zwei und im Rahmen der Studien die Effizienz des tischer Bedeutung sind, finden sie in den drei Millionen Menschen an einer Herz- erprobten Medikaments vordergründig ist, Studien kaum Beachtung. schwäche, jährlich kommen 300.000 neue bleibt bei den Bewertungen oft außer Acht, Das Resümee der Publikation: „Die Evi- Krankheitsfälle dazu. dass Herzinsuffizienz-Patient*innen auch denz für die State-of-the-Art-Herzinsuffi- Im Laufe der letzten Jahrzehnte konn- von einer stark eingeschränkten Belast- zienz-Behandlung unter Berücksichtigung te die Morbidität und Mortalität von barkeit und verminderten Lebensqualität der Belastbarkeit und Lebensqualität Patient*innen mit Herzinsuffizienz stark betroffen sein können. An diesem Punkt der Patient*innen ist aktuell noch sehr reduziert werden. Dieser Erfolg ist das setzt eine neue Publikation Göttinger begrenzt und nicht robust genug, um Ergebnis zahlreicher klinischer Studien, Forscher*innen um Prof. Dr. Dr. Stephan Empfehlungen für Herzinsuffizienzen zu- die zur Einführung und Etablierung neuer von Haehling, Oberarzt der Klinik für Kar- zulassen. Es wird deutlich, dass zusätzliche Behandlungen und Behandlungsempfeh- diologie und der UMG und Erstautor der Studien zur Leistungsfähigkeit und Lebens- lungen geführt haben. Studie, an. Ziel der UMG-Forscher*innen qualität zukünftig dringend erforderlich Seit den 1990er-Jahren fokussieren sich war es, die Effekte von nicht-invasiven sind“, so Professor von Haehling. große Studien bei der Erforschung kardio- Behandlungen bei Herzinsuffizienz auf Die Ergebnisse wurden im Mai im renom- vaskulärer Erkrankungen insbesondere auf die Belastbarkeit und Verbesserung der mierten European Journal of Heart Failure die Reduzierung von Krankenhausaufent- Lebensqualität zu evaluieren. Obwohl diese veröffentlicht. halten und die Verbesserung der Überle- Punkte für Patient*innen und ihre Ange- Originalveröffentlichung: Stephan von Haehling MD/PhD, Michael Arzt MD, Wolfram Doehner MD/PhD, Frank Edelmann MD, Ruben Evertz MD, Nicole Ebner PhD, Christoph Herrmann-Lingen MD, Tania Garfias- Macedo PhD, Michael Koziolek MD, Michel Noutsias MD, P. Christian Schulze MD, Rolf Wachter MD, Gerd umg/lange Hasenfuß MD, Ulrich Laufs MD. Improving exercise capacity and quality of life using non-invasive heart failure treatments: Evidence from clinical trials. European Journal of Heart Failure. F OTO : HZG aktuell | 1/2020 7
I NTERVI E W Die Zusammenhänge der Systeme sehen Beim Wort Nuklearmedizin denkt der Laie an Radioaktivität. Und das verspricht für viele erst mal nichts Gutes. Wie Radioaktivität uns allerdings helfen kann, Erkrankungen zu diagnostizieren und zu therapieren, verrät uns Prof. Dr. med. Jan Alexander Bucerius in einem Gespräch. Er ist der neue Direktor der Klinik für Nuklearmedizin an der Universitätsmedizin Göttingen. Herr Professor Bucerius, seit September Ein anderer Aspekt, der mich von An- Fachrichtungen eine große Chance bietet 2019 sind Sie Direktor der Klinik für fang an begeistert hat, sind die organüber- und ein Alleinstellungsmerkmal für Göt- Nuklearmedizin, weil Sie den Ruf auf greifenden Ansätze, die zum Beispiel das tingen und die UMG ist. Man weiß zum eine W3-Professur für Nuklearmedizin Heart & Brain Center Göttingen bietet. Ich Beispiel, dass bei Morbus Alzheimer eine angenommen haben. Zuvor waren denke, dass man ein Krankheitsbild oder Interaktion zwischen Herz und Hirn ganz Sie am Maastricht University Medical Organsystem nicht generell isoliert sehen klar gegeben ist. Und da setzen wir an. Wir Center tätig. Wieso der Wechsel nach kann und sollte, sondern die Zusammen- schauen uns mit ein und demselben radio- Göttingen? hänge zwischen verschiedenen Systemen aktiven Stoff das Hirn, das Herz oder sogar Es ist eine spannende Aufgabe und große unter Umständen eine entscheidende die Gefäße mit atherosklerotischen Ver- Herausforderung, die Klinik mit dem wie- Rolle für Diagnose und Therapie spielen änderungen an. Da wird sich in Zukunft unheimlich viel tun. Die Nuklearmedizin wird immer besser zum Beispiel die Or- gansysteme Herz und Hirn in einem Un- Die Mitglieder des Herzzentrums haben klinisch tersuchungsgang darstellen können. Dafür wie wissenschaftlich ein gemeinsames Ziel. nutzen wir die sogenannte PET-Technik, die wir weiterentwickeln werden. PET bedeutet Positronenemissionstomographie, ein sehr sensitives Verfahren, bei dem der neu eingerichteten Lehrstuhl für Nuk- können. Da hat die Nuklearmedizin eine Patient*innen radioaktive Botenstoffe inji- learmedizin aufzubauen. Diese Herausfor- ihrer Stärken. Wir arbeiten schon lange mit ziert werden, wodurch gezielt Bereiche ab- derung hat mich gereizt und ich habe sie verschiedenen radioaktiven Substanzen, gebildet werden können. Durch die gemes- sehr gerne angenommen. Auch für meinen die eben nicht nur ein Organ oder Krank- sene radioaktive Strahlung, die von dem wissenschaftlichen Fokus auf dem Gebiet heitsbild abbilden, sondern Organe im Organ ausgeht, können wir physiologische der Herz-Kreislauf-Erkrankungen sehe ich Zusammenspiel darstellen können. und pathologische Stoffwechselvorgänge hier in Göttingen extrem gute Forschungs- oder beispielsweise Rezeptorendichten dar- möglichkeiten. Die fachübergreifende Zu- Sie sprachen das Heart & Brain Center stellen. Diese Untersuchung erfolgt nicht- sammenarbeit der Kliniken und der wis- Göttingen an. Wie stellen Sie sich die invasiv und ist mit einer geringen Strahlen- senschaftlichen Institute ist beeindruckend Arbeit mit den Kolleg*innen vor und exposition für den Patienten verbunden. in der Universitätsmedizin Göttingen. Das was versprechen Sie sich von der inter- habe ich schon während des Berufungs- disziplinären Zusammenarbeit? Patientenversorgung, Wissenschaft und hzg/rusteberg verfahrens bemerkt und bin bislang nicht Ich bin davon überzeugt, dass das Heart Lehre. Wo legen Sie Ihren persönlichen enttäuscht worden. & Brain Center Göttingen allen beteiligten Schwerpunkt und wie schaffen Sie es, F OTO S : 82 HZG aktuell | 1/2020
I NTERVI E W Ich bin davon überzeugt, dass das Heart & Brain Center Göttingen das alles unter einen Hut zu bekom- müssen aber der Patient und seine Versor- Meriten der Vergangenheit ausgeruht ha- men? gung im Vordergrund stehen. Derzeit sind ben. Ich bin davon überzeugt, dass es vor Die Priorisierung ist mit viel Arbeit und wir alle zusammen dabei, die vorhandenen allem im kardiovaskulären Gebiet viel in- langen Tagen verbunden, da alle drei Be- Strukturen zu analysieren und gegebenen- novatives Potenzial in der Nuklearmedizin reiche extrem wichtig für eine Universitäts- falls zu verbessern. Diese Chance bietet ein gibt, und da möchte ich ansetzen. medizin sind. Wir müssen eine vernünftige Neuanfang. Lehre anbieten, um den Nachwuchs gut Mein Schwerpunkt liegt auf der Kardio- Bei diesem Vorhaben spielt wahrschein- anzuleiten und dann auch für unser Fach Nuklearmedizin. In den letzten Jahren ha- lich das Herzzentrum eine entscheiden- zu begeistern. Auch ein klares wissen- ben wir Nuklearmediziner im Allgemeinen de Rolle. Welche Vorteile bietet das HZG schaftliches Profil ist unabdingbar. Da es unseren Fokus eher auf die Onkologie und und welche Erfahrungen haben Sie in den vergangenen Jahren an der UMG auch auf die Neurologie gelegt, sodass die gemacht? keinen Lehrstuhl für Nuklearmedizin ge- Kardiologie über die Jahre ein wenig ins Die Mitglieder des Herzzentrums haben geben hat, ist das ein bisschen in den Hin- Hintertreffen geraten ist. Das war vielleicht klinisch wie wissenschaftlich ein gemeinsa- tergrund geraten. Bei allem, was man tut, ein Fehler, weil wir uns zu lange auf den mes Ziel. Wir besprechen interdisziplinär, Zur Person Name: Alexander Bucerius Alter: 49 Familie: verheiratet Berufliche Erfolge: Es freut mich, dass mich mein bisheriges beruf- liches Engagement nach Göttingen an die UMG geführt hat. Lieblingsort: bei meiner Frau Hobbys: Musik, Fotografie, Segeln Lebensweisheiten: Also, bislang funktionierte mein Leben auch ohne Weisheiten mit allen Höhen und Tie- fen einigermaßen … 10 HZG aktuell | 1/2020
I N T E RV I E W n allen beteiligten Fachrichtungen eine große Chance bietet. welches bildgebende Verfahren für den Team Leute, die fachlich, aber nicht zuletzt Patienten am besten geeignet ist. Diese auch menschlich geeignet sind und unsere Was ist Nuklearmedizin? Zusammenarbeit halte ich in der Medizin patientenorientierte Philosophie leben und generell für unabdingbar und wünschens- umsetzen können und wollen. Unsere Phi- wert. Unser Ziel sollte immer sein, für den losophie ist es, den Teamgedanken hoch- individuellen Patienten diagnostisch und zuhalten und eine tolle Medizin für unsere therapeutisch das beste Mittel für seine Patient*innen anzubieten. Dazu gehört spezielle Konstellation herauszufinden. So auch ein Arbeitsklima, bei dem sich jeder muss Medizin funktionieren. Das ist auch wohl- und sicher fühlt. Die Nuklearmedi- ein Punkt, der mich dazu bewogen hat, zin ist ein sehr kleines Fach, das macht es nach Göttingen zu kommen. Dieses Mitein- generell schwierig, neue Mitarbeiter*innen ander war schon während des Berufungs- zu finden, die dann auch zu uns passen. verfahrens für mich sehr eindrucksvoll. Bei Da stoßen wir schon an unsere Grenzen, allen gerechtfertigten Interessen der einzel- die wir auch ab einem bestimmten Punkt nen Kliniken stehen hier das große Ganze kaum selbst beeinflussen können. In der Nuklearmedizin kommen ra- und das Miteinander im Vordergrund. Das ist eine Riesenchance, zusammen etwas Sie wünschen sich also Personal, das dioaktive Arzneimittel zum Einsatz. Tolles auf die Beine zu stellen. fachlich und menschlich zu Ihnen und Sie bestehen aus einem Radioisotop, Ein Beispiel dafür ist das Thema Ihrem Team passt. Gibt es sonst noch also einem radioaktiven Teilchen Kleintierbildgebung. Diese bauen wir im etwas, das Sie sich für Ihre Zukunft an mit in der Regel sehr kurzer Halb- Herzzentrum gemeinsam auf, um künftig der UMG wünschen? wertszeit, und meist einem zweiten mehrere bildgebende Verfahren experi- Ja, ich wünsche mir eine Weiterentwick- Bestandteil, der an einen bestimm- mentell nutzen zu können. Durch die Ra- lung im Bereich der nuklearmedizinischen ten Zelltyp im Körper bindet. Dieser diopharmazie hier in unserer Klinik haben Entzündungsbildgebung. Diese ist bereits zweite, spezifische Bestandteil sorgt wir zudem die Möglichkeit, neue radioak- von meinem Vorvorgänger Prof. Dr. Wolf- tive Substanzen vor allem zur Diagnostik, gang Becker mit nach Göttingen gebracht dafür, dass das Radioisotop über die aber auch zur Therapie herzustellen. Dabei und unter Prof. Dr. Johannes Meller weiter Blutbahn, den Nahrungsstoffwech- ist es für uns essenziell, dass wir über die ausgebaut worden. Für viele Krankheits- sel oder auch die Atemluft im Körper präklinische Forschung im Kleintier den bilder sind systemische Entzündungen genau dorthin gelangt, wo es wirken translationalen Aspekt hin zur Humansitu- die grundlegende Ursache. Das betrifft soll beziehungsweise wo bestimmte ation unterstützen. Da hilft es sehr, dass es zum Beispiel die Neurologie, die Kardio- Stoffwechselvorgänge sichtbar ge- in der UMG bereits Kolleg*innen gibt, die logie, aber auch die Onkologie. Bei allem macht werden sollen. Krebszellen sich mit diesen Themen wissenschaftlich Fokus auf die einzelnen Organe könnten auseinandersetzen. Patient*innen bei entzündlichen Verände- beispielsweise haben einen erhöh- rungen im Körper zukünftig gegebenen- ten Traubenzuckerverbrauch, sodass Das klingt nach einem guten Start und falls systemübergreifend behandelt werden. in der Krebsdiagnostik unter ande- einer vielversprechenden Perspektive. Die Nuklearmedizin hat viele Möglich- rem ein mit einem Radioisotop (F-18) Sind Sie denn schon an Grenzen bei Ih- keiten, diese Veränderungen nicht-invasiv markierter Traubenzucker verwendet rer Arbeit gestoßen? und in einem Untersuchungsgang darzu- wird, um die krankhaften Tumorzel- Es gibt immer Dinge, die einfacher zu stellen. Dieser Fokus auf die nuklearme- len aufzuspüren. lösen sind als andere. Teilweise ist es zum dizinische Diagnostik von Entzündungen Beispiel schwierig, neue Kolleg*innen ist in Deutschland selten und könnte zu (Quelle: Deutsche Gesellschaft für Nuklear- medizin e.V.) für unsere Nuklearmedizin zu begeis- einem wissenschaftlichen Alleinstellungs- tern. Vor allem im ärztlichen Bereich ist merkmal der Nuklearmedizin an der UMG es nicht einfach, Nachwuchs oder auch werden. Oberärzt*innen zu finden, aber auch Und, nebenbei, ein bisschen mehr Schlaf bei Naturwissenschaftler*innen oder könnte ich vertragen … medizinisch-technischen Assistent*innen haben wir Bedarf. Wir suchen für unser Vielen Dank für das Gespräch! HZG aktuell | 1/2020 11
NOTFALLSIMU L ATIO N Ein ganz normaler Nachtdienst. Plötzlich wird die Pflegekraft von einem aufgebrachten Patien- ten darüber informiert, dass der Zimmernachbar reglos am Boden liegt. Sie spricht ihn an, keine Reaktion. Sie kontrolliert seinen Atemweg und macht ihn frei – nach zehn Sekunden kann sie noch immer keine Atmung feststellen. Jetzt muss es schnell gehen: Sie ruft ihre Kollegen zu Hilfe, alarmiert das Reanimationsteam und lässt sich den Notfallrucksack und den Defibrillator bringen. Der Patient ist reanimationspflichtig. Sie beginnt mit der Wiederbelebung: 30 x Herzdruckmas- sage, 2 x Beatmen. Der Defibrillator kommt, sie bringt die Elektroden an, löst die empfohlene Defibrillation aus und reanimiert sofort weiter. Nach zwei Minuten trifft das Reanimationsteam ein. Der Patient atmet bereits wieder spontan, hat einen Kreislauf und einen stabilen Blutdruck. Binnen weniger Minuten ist die Situation unter Kontrolle, das Team atmet durch. Der Patient wird zur weiteren Versorgung auf die Intensivstation verlegt. Training 12 HZG aktuell | 1/2020
N OT FA L L S I MU L AT ION rettet Leben HZG aktuell | 1/2020 13
NOTFALLSIMU L ATIO N Notfallbehandlung ist Teamwork und kann trainiert werden. 14 HZG aktuell | 1/2020
N OT FA L L S I MU L AT I ON Ich bin der Überzeugung, dass wir für die Sicherheit unserer Patienten stetig besser werden müssen und dass die Simulation einen wichtigen Beitrag dazu leistet. Michael Faulstich Damit Erste Hilfe so reibungslos funktioniert wie in dieser Ge- tionszentrum die besten Voraussetzungen“, sagt Faulstich, der die schichte, müssen viele Dinge Hand in Hand laufen: Die Zusammen- ILS-Kurse an der Universitätsmedizin Göttingen organisiert. Die arbeit im Team muss funktionieren und jeder Einzelne muss wissen, ehemalige Hautklinik bietet den Teilnehmer*innen zwei OP-Säle für was in einer solchen Stresssituation zu tun ist. Das sollte man im Übungszwecke sowie mehrere Übungs- und Vortragsräume. Hier Vorfeld üben. Im Lehr- und Simulationszentrum der Klinik für An- besteht auch die Möglichkeit, die Übungen aufzuzeichnen und live ästhesiologie in der Von-Siebold-Straße wird ein solches Szenario zu anderen Teilnehmer*innen zu übertragen. „Diese Strategie wird mit Mitarbeiter*innen der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) vor allem in Trainings angewendet, in denen es primär um Teamwork trainiert. Unter realistischen Bedingungen wird medizinisches geht. Teams, die bereits im Detail mit den medizinischen Grundlagen Fachpersonal unterschiedlichster Fachbereiche und Berufsgruppen vertraut sind, können so oft ihre Zusammenarbeit weiter verbessern“, ausgebildet und für den Ernstfall fit gemacht. so Faulstich. So auch Bettina Lohmann. Sie ist seit 27 Jahren Intensivpflegerin „Für die Universitätsmedizin Göttingen ist das Lehr- und Simula- in der UMG und arbeitet auf der Station 1026, der internistischen tionszentrum sehr wichtig. Medizinisches Fachpersonal aller Berufs- Intensivstation unter kardiologischer Führung. Sie hat schon mehr- gruppen muss regelmäßig für den Notfall geschult werden. Nur so fach an der sogenannten Immediate-Life-Support-(ILS-) Schulung können wir im Arbeitsalltag die bestmögliche Zusammenarbeit aller teilgenommen. „In meinem Berufsleben ist es mir schon oft pas- Beteiligten sicherstellen“, sagt Prof. Dr. Konrad Meissner, Direktor der siert, dass ein Patient reanimationspflichtig wurde. Natürlich sind Klinik für Anästhesiologie und Vorstandsmitglied des Herzzentrums. die Bedingungen im Simulationszentrum deutlich geregelter als im echten Leben. Es hilft mir aber sehr, mich hin und wieder auf die Göttinger Wiederbelebungstradition Basics zu konzentrieren, dann kann ich sie in stressigen Situationen besser abrufen“, sagt die erfahrene Intensivschwester. Alle drei Jahre Das Lehr- und Simulationszentrum dient als zentrale Einrichtung nimmt Bettina Lohmann an der ILS-Schulung teil. Dieses Mal mit für die Durchführung verschiedener Schulungen. Der eintägige ihren neuen Kolleginnen Maren Holst und Janet Galbán Rondón. Immediate-Life-Support-(ILS-) Kurs des ERC (European Resusci- „Wir versorgen täglich schwer kranke Patienten. Dabei halte ich es tation Council) wird in Göttingen am häufigsten angeboten. Der für sehr wichtig, dass wir fit beim Thema Reanimation sind und als Kurs basiert auf einem europaweit standardisierten und etablierten Team funktionieren. Ich war zum Glück noch nie in der Situation, Kurskonzept. Immediate-Life-Support-Kurse bilden professionelle dass ich einen Patienten reanimieren musste. Aber jetzt habe ich Helfer*innen aus, damit sie bis zum Eintreffen von Reanimati- das Gefühl, dass ich besser darauf vorbereitet bin“, sagt Janet Galbán onsteams die wesentlichen lebenserhaltenden Maßnahmen durch- Rondón nach der Schulung. führen können – beginnend bei der Erkennung eines drohenden Kreislaufstillstandes sowie dessen Vermeidung über die Betreuung Simulation für den Ernstfall von kritisch kranken Patient*innen in den ersten Minuten bis hin zur Herz-Lungen-Wiederbelebung. „Inhaltlich bestehen die Kurse hauptsächlich aus praktischen Übun- Durch den ERC werden nicht nur die Leitlinien und Behand- gen. Nach einer kurzen Einführung beginnen die Teilnehmer*innen lungsalgorithmen erarbeitet, sondern auch Strukturen und Kon- an speziellen Puppen die Maßnahmen der Wiederbelebung zu trai- zepte zur Vermittlung der entsprechenden Fähigkeiten geschaffen nieren. Neben Thoraxkompressionen werden auch die Sicherung der und weiterentwickelt. Das ERC-Kurszentrum in Göttingen unter Atemwege und der sichere Umgang mit dem Defibrillator geübt. In der Leitung von PD Dr. Markus Roessler hat dabei eine historisch kleinen Gruppen versorgen die Teams die Übungsphantome mit si- wichtige Bedeutung: 2001 wurden der erste Advanced Life Support muliertem Kreislaufstillstand. Im Anschluss an jedes Szenario erfolgt Course (Kurs für erweiterte Maßnahmen der Wiederbelebung) und eine strukturierte Nachbesprechung“, erläutert Michael Faulstich den auch der erste Generic Instructor Course (Kurs für Instruktoren Ablauf. Er ist Mitarbeiter der Klinik für Anästhesiologie und leitet an bei ERC-Wiederbelebungskursen) durchgeführt und seither fast diesem Tag den Kurs. 2.000 Fachkräfte in den verschiedenen Kursformaten (ILS, ALS, „Teilweise schulen wir feste Teams, die auch im Arbeitsalltag zu- EPILS, EPALS, ETC) geschult. Der initiale Fokus auf die Ausbil- sammen funktionieren müssen, teilweise kommen bunt gemischte dung von Anästhesist*innen erweitert sich zunehmend auch auf Gruppen zu uns. Beides hat seine Vorteile. Wichtig ist uns, die die Mitarbeiter*innen des Herzzentrums. So beinhaltet die Zerti- Stresssituationen in der Theorie zu besprechen und praktisch am fizierung des Cardiac Arrest Centers beispielsweise regelmäßige Simulator durchzuspielen. Dafür haben wir in unserem Simula- Schulungen der Mitarbeiter*innen. hzg/rusteberg F OTO S : HZG aktuell | 1/2020 15
CORONA Das sollten Herzpatient* Es gibt Menschen, die durch das Coronavirus SARS-CoV-2 stärker gefährdet sind als andere. Zu dieser Gruppe gehören ältere Menschen und chronisch Kranke – insbesondere Herzpatient*innen. Hier finden Sie eine Übersicht der häufigsten Fragen und Antworten zu diesem Thema: Ich habe eine Herz-Kreislauf- Erkrankung. Bin ich dadurch stärker gefährdet? Ein erhöhtes Risiko bei einer COVID-19-Erkrankung haben Men- schen, die älter als 60 Jahre sind und neben Lungenerkrankungen auch an chronischen Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems leiden. Auf Grundlage von chinesischen Fallberichten scheint das Coronavirus insbesondere für Menschen mit solchen Grunderkran- kungen mit einem höheren Sterblichkeits- und Komplikationsrisiko verbunden zu sein. Die Häufigkeit von Herz-Kreislauf-Komplikatio- nen beläuft sich nach derzeitigen Schätzungen auf 5–10 Prozent der COVID-19-Erkrankten. Kann das Coronavirus zu Unter Betrachtung des Gefährdungspotenzials bei anderen Herzerkrankungen führen? Virusinfektionen gilt ein erhöhtes Risiko für Patient'innen: Sobald das Virus in den Körper gelangt, löst es eine Entzündungs- reaktion aus, die das Herz-Kreislauf-System stark belasten kann. Verhindert beispielsweise eine Lungenentzündung eine ausreichen- • mit einer eigenständigen Atemwegserkrankung de Sauerstoffsättigung des Blutes, während das Infektionsgeschehen (Lungenentzündung, Lungenemphysem, Asthma, gleichzeitig den Blutdruck absenkt, muss das Herz zur Aufrechter- COPD, Hochdruck im Lungenkreislauf) haltung des Kreislaufs schneller und stärker schlagen. Auf Dauer • die infolge einer Herzerkrankung eine Funktionsein- kann das den Herzmuskel überbelasten, insbesondere wenn das schränkung haben (z. B. Blutstauung im Lungenkreis- Herz bereits geschwächt ist. Auch wenn die verantwortlichen SARS- lauf durch Herzschwäche) CoV-2-Viren in die Herzkranzgefäße gelangen, die den Herzmuskel mit sauerstoffreichem Blut versorgen, kann es zu einer direkten • die eine voneinander unabhängig bestehende Atem- Schädigung des Herzens kommen. Zudem können Coronaviren wegs- und Herzerkrankung haben eine Herzmuskelentzündung auslösen. (z. B. COPD und koronare Herzkrankheit) Es besteht die Möglichkeit, dass sich durch die entzündliche • mit Diabetes und Folge- oder Begleit-erkrankungen Wirkung des Coronavirus Gefäßablagerungen („Plaques“) in den • mit Bluthochdruck arteriellen Blutgefäßen ablösen und Blutgerinnsel bilden kön- nen, die wiederum das Risiko eines Herzinfarktes stark erhö- • die immunsupprimierende Medikamente einnehmen hen. Bisherige Laborwerte weisen darauf hin, dass das Blut von (z. B. nach Transplantation) COVID-19-Patient*innen mit schweren Krankheitsverläufen deut- lich schneller gerinnt. 16 HZG aktuell | 1/2020
CO RON A * innen jetzt wissen Sollte ich meine Medikamente Herzinfarkt während weiterhin einnehmen? Corona-Pandemie – und nun? Die gewissenhafte Einnahme von Herz-Kreislauf-Medikamenten in Bei Verdacht auf einen Herzinfarkt oder andere Herznotfälle nicht der ärztlich verschriebenen Dosis ist sehr wichtig. Die Medikamente zögern, sondern sofort den Notruf 112 absetzen. Die Kliniken sind sorgen nicht nur für den Schutz des Herzmuskels, sondern führen trotz Corona-Pandemie für Herz- und andere Notfälle gerüstet. Die bei vielen Patient*innen mit der Zeit auch zu einem effizienteren Notfallversorgung läuft unverändert weiter. Es ist wichtig, dass keine Herzschlag. Die dadurch verbesserte Pumpleistung hilft insbeson- Zeit verloren geht. dere bei der Bewältigung einer Mehrbeanspruchung des Herzens. Holen Sie sofort Hilfe, wenn eines der folgenden Symptome Blutdrucksenkende Medikamente ermöglichen, dass der Herzmus- auftritt: kel bei einem Bluthochdruck nicht gegen einen unnötig hohen Wi- derstand ankämpfen muss. Dies verhindert die Überbeanspruchung des Herzens. Die konsequente Einnahme der Herzmedikamente ist • Schmerzen oder ein unangenehmes Engegefühl im vor allem für Risikopatient*innen essenziell, um das Herz im Falle Brustkorb einer COVID-19-Infektion nicht zusätzlich zu gefährden. • Luftnot Bitte setzen Sie Ihre Medikamente nicht ab, weil Spekulationen • Schmerzen im linken Arm oder Kiefer kursieren, wonach bestimmte Medikamente die Coronavirus- Infektion begünstigen. Sprechen Sie bei Bedenken und Verunsi- • Übelkeit, Erbrechen, Oberbauchschmerzen cherung immer erst mit Ihrem behandelnden Arzt! • Schwindelanfälle • Angstgefühl Durch meine Herzschwäche bin ich • Schweißausbrüche kurzatmig – oder ist das Corona? Nur eine schnelle Therapieeinleitung und die Wiederherstellung Es ist wichtig zu wissen, dass die Symptome von COVID-19 den der Durchblutung der Herzgefäße verhindern Schäden am Herz- Beschwerden einer Herzerkrankung sehr ähneln können. Die Atem- muskel und geben dem Patienten die Möglichkeit, wieder gesund not, die bei einer Lungenentzündung häufig vorkommt, kann fast zu werden. identisch sein mit der Luftnot, die beispielsweise. das Treppenstei- Verzögern Betroffene eine Behandlung, bringen sie sich unnötig gen bei einer herzinsuffizienten Person auslöst. Herzpatient*innen in Gefahr. Patient*innen sollten keinesfalls aus Angst vor einer sollten eine Zunahme von Atembeschwerden nicht leichtfertig als Ansteckung eine Krankenhausbehandlung vermeiden. Die Versor- normale und womöglich unbedeutende Schwankung der Herz- gung von Akutpatient*innen im Krankenhaus ist auch während der erkrankung abtun. Eine Verschlechterung der Atmung sollte insbe- Pandemie sichergestellt und erfolgt in räumlicher Trennung von sondere bei Herzpatient*innen immer ärztlich kontrolliert werden. COVID-19-Patient*innen unter strikter Beachtung der empfohle- nen Hygienemaßnahmen. Die Befürchtung, sich mit dem Corona- Deutsche Herzstiftung | European Society of Cardiology virus zu infizieren, ist nachvollziehbar, aber unbegründet. UMG-Videoreihe „Nachgefragt“ Videosprechstunde des Infocenters In der neuen Videoreihe „Nachgefragt“ Für Ihre Fragen steht das Infocenter geben Expert*innen der Universitäts- des Herzzentrums ab sofort auch mit medizin Göttingen regelmäßig Auskunft zu digitalen Sprechstunden zur Verfügung. Krankheitsbildern und aktuellen Themen Bitte vereinbaren Sie telefonisch einen rund um das Thema Gesundheit. Termin: 0551 39-65044 QUELLEN: HZG aktuell | 1/2020 17
F ORSCHU NG Klappenersatz bei Aortenklappenstenose Neue Erkenntnisse über den Behandlungserfolg bei minimalinvasivem Klappenersatz Veränderungen des Herzmuskels beeinflussen das Überleben nach einer kathetergestützten Klappenimplantation bei Patient*innen mit Aortenklappenstenosen. Die neuesten Ergebnisse einer Herzzentrumsstudie könnten die Therapie in Zukunft verbessern. 100.000 Mal schlägt unser an (fachsprachlich Kardiales Herz durchschnittlich am Tag Remodeling). Die Belastung und pumpt dabei etwa fünf wird chronisch und es kann Liter Blut pro Minute durch zu einer fortschreitenden den Kreislauf. Es sorgt damit krankhaften Veränderung des für einen regelmäßigen Aus- Herzmuskels kommen. Diese tausch von sauerstoffarmen Veränderung kann sich unter und sauerstoffreichem Blut anderem in einer sogenannten und fungiert als Motor unse- Myokardfibrose äußern, bei res Körpers. Doch nur, wenn der das gesunde Herzgewebe das Herz einwandfrei funkti- durch funktionsloses Binde- oniert, ist es auch in der Lage, gewebe ersetzt wird und der die lebenswichtigen Funktio- Muskel verhärtet. Schließlich nen zu erfüllen. Je älter ein schafft es der Muskel nicht Mensch wird, desto größer ist mehr, ausreichend sauerstoff- die Gefahr, an einem Herzleiden zu erkranken. Die häufigste be- reiches Blut in den Kreislauf zu befördern. Die Folge sind Luftnot, handlungsbedürfte Herzklappenerkrankung im Erwachsenenalter Brustschmerzen und Schwindel bis hin zur Bewusstlosigkeit. Daher ist die Verkalkung der Aortenklappe – die Aortenklappenstenose. bedarf es einer schnellen Behandlung. In den vergangenen zehn Die Aortenklappe besteht aus drei halbmondförmigen Taschen und Jahren hat sich der kathetergestützte Aortenklappenersatz (TAVI) liegt zwischen der linken Herzkammer und der namensgebenden über die Leistenarterie als Alternative zum chirurgischen Eingriff Hauptschlagader (Aorta). Dort dient sie als Ventil, um das Blut in etabliert. Bei diesem besonders schonenden Verfahren wird die ver- den großen Blutkreislauf zu befördern. kalkte Aortenklappe zur Seite gedrückt und eine neue Herzklappe mittels Katheter in Position gebracht. Folgen der Aortenstenose Die Studie im Detail Bei einer Aortenklappenstenose ist dieses Ventil verengt, sodass das Herz mehr Kraft aufbringen muss, um die Klappe zu öffnen Im Rahmen einer Studie haben Ärzt*innen des Herzzentrums der und das Blut weiterzupumpen. Um das Herz-Kreislauf-System bei UMG seit 2017 den Einfluss der Myokardfibrose sowohl auf die dieser Mehrbelastung zu stabilisieren, passt sich der Herzmuskel Umbauprozesse des Herzens als auch auf die Behandlungsergebnis- 18 HZG aktuell | 1/2020
FORSCHUNG Aortenklappenstenose Myokardfibrose se von Patient*innen mit schwerer Aortenklappenstenose nach einer Herzmuskels verursachte, der Aortenklappenersatz aber selbst bei TAVI untersucht. Patient*innen mit einer Fibrose über dem Mittelwert eine signifi- „Die Ära der katheterbasierten Herzklappenimplantation hat die kante Verbesserung hervorrief. Charakteristika der Aortenstenose-Patient*innen demografisch und klinisch stark verändert. Wir haben zunehmend ältere und krankere Neuer Therapieansatz Patient*innen. Jedoch lagen bislang keine Daten vor, die den Ein- fluss der Myokardfibrose auf die Ergebnisse des TAVI-Verfahrens In Anbetracht der Ergebnisse scheint der Zustand des Herzmuskels evaluieren“, sagt Prof. Dr. Gerd Hasenfuß, Direktor der Klinik für eine viel bedeutendere Rolle für das Überleben nach einem Klap- Kardiologie und Pneumologie, Vorsitzender des Herzzentrums der penersatz zu spielen als bisher angenommen. Die Aortenklappen- UMG und Letztautor der Studie. stenose ist nicht nur eine Klappenerkrankung, die ausschließlich Während des Kathetereingriffs zur Implantation der künstlichen einer mechanischen Therapie durch das Entfernen der Verengung Aortenklappe wurde 100 Studienpatient*innen eine Gewebeprobe bedarf, es ist auch eine Erkrankung der linken Hauptkammer. „Mit aus der linken Herzhauptkammer entnommen, um einen mögli- diesen Ergebnissen sollte ein neuer therapeutischer Ansatz zur Ver- chen Zusammenhang zwischen der Myokardfibrose, dem Remode- besserung des Langzeitüberlebens nach TAVI erwogen werden. In ling und den klinischen Ergebnissen nach TAVI herzustellen. der Vergangenheit scheinen wir der linken Herzkammer nach TAVI Dabei wurde herausgefunden, dass die Vermehrung des Bindege- zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet zu haben. Bislang gibt es keine webes eine wichtige Rolle für die Überlebenswahrscheinlichkeit konkrete Behandlung der Myokardfibrose, daher sollten in zukünf- im Langzeitverlauf nach dem Herzklappeneingriff spielt: Im Beob- tigen Studien unbedingt Medikamente getestet werden, die einer achtungszeitraum eines Jahres verstarben 26,5% der Patient*innen, Fibrose entgegenwirken“, sagt Prof. Dr. Miriam Puls, Oberärztin der bei denen eine Myokardfibrose oberhalb des Mittelwerts festgestellt Klinik für Kardiologie und Pneumologie der UMG und Erstautorin wurde und nur 2% der Studienteilnehmer*innen, die Werte unter- der Studie. Prof. Dr. Gerd Hasenfuß ergänzt: „Jetzt haben wir einen halb des Medians vorwiesen. neuen therapeutischen Ansatzpunkt und werden umgehend eine Zudem zeigte sich, dass die Myokardfibrose zwar eine Verzöge- Therapiestudie in Ergänzung zum Klappenersatz beginnen.“ rung bei der Normalisierung des Aufbaus und der Funktion des Originalveröffentlichung: Miriam Puls, Bo Eric Beuthner, Rodi Topci, Anja Vogelgesang, Annalen Bleckmann, Maren Sitte, Torben Lange, Sören Jan Backhaus, Andreas Schuster, Tim Seidler, Ingo Kutschka, Karl Toischer, Elisabeth Zeisberg, Claudius Jacobshagen, Gerd Hasenfuß: Impact of myocardi- al fibrosis on left ventricular remodelling, recovery, and outcome after transcatheter aortic valve implantation in different haemodynamic subtypes of severe aortic stenosis. European Heart Journal (2020), doi: 10.1093. February 12th, 2020 HZG aktuell | 1/2020 19
STU DI EN Die speziell geschulte Pflegekraft Lydia Seeger-Schlütsmeier unterstützt Patient*innen in der TEACH-Studie. 20 HZG aktuell | 1/2020
ST U DI E N Unter Leitung des Herzzentrums der Universitätsmedizin Göttingen startet eine multizentrische Studie. Das Bundes- ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert die Patientenstudie zur ambulanten Behandlung von psychisch belasteten Herzpatient*innen mit 2,37 Millionen Euro über vier Jahre. Psychokardiologische Patientenstudie Können speziell geschulte Pflegekräfte den Krankheitsverlauf psychisch belasteter Herzpatient*innen nachhaltig verbessern? W eltweit ist die koronare Herzkrankheit (KHK) eine der häufigsten Herzerkrankungen. Allein in Deutschland sind etwa sechs Millionen Menschen von der Durchblutungsstörung des Herzens betroffen. Viele KHK-Patient*innen erhalten nach einer Behandlung im Krankenhaus nicht die notwendige um- fassende ambulante Behandlung. Zudem mangelt es an Hilfestellungen für Patient*innen, damit sie wichtige Ge- sundheitsverhaltensweisen im Alltag nachhaltig umsetzen können. Hier setzt die sogenannte TEACH-Studie an. TEACH steht dabei für „Efficacy of TEAm-based care for distressed patients in secondary prevention of chronic Coronary Heart disease: a randomized controlled trial“ (deutsch: Wirksamkeit teamba- sierter Behandlung für psychisch belastete Patient*innen in der Sekundärprävention der koronaren Herzkrankheit: eine randomisiert-kontrollierte Untersuchung). 440 psychisch belastete KHK-Patient*innen mit unzu- hzg/rusteberg reichend kontrollierten Risikofaktoren für Herzerkrankun- gen sollen für die Untersuchung gewonnen werden. Die Auswahl der Patient*innen erfolgt ab Spätsommer 2020 F OTO S : in sechs Universitätskliniken in Deutschland. Prof. Dr. HZG aktuell | 1/2020 21
STU DI EN Wir erwarten ein geringeres Risiko für Herz- und Gefäßerkrankungen sowie die langfristige und nachhaltige Verbesserung des Gesundheitszustandes. Prof. Dr. Christoph Herrmann-Lingen Christoph Herrmann-Lingen, Direktor der kräfte in einer mehrtägigen Schulung in Ge- ßerdem stellt es sicher, dass die Behandlung Klinik für Psychosomatische Medizin und sprächsführung, Psychologie und zur koro- der psychischen Problematik und der Herz- Psychotherapie der UMG und Mitglied des naren Herzkrankheit ausgebildet. Während erkrankung leitliniengerecht erfolgt. Alle Vorstands des Herzzentrums Göttingen, der Projektlaufzeit arbeitet die Pflegekraft medizinischen Verordnungen bleiben dabei leitet die Studie. „Für den Verlauf der ko- mit den niedergelassenen Hausärzt*innen in der Hand der behandelnden Ärzt*innen. ronaren Herzkrankheit ist es sehr wichtig, und Kardiolog*innen zusammen. Gemein- Gemeinsam werden individuelle Anpassun- dass Patient*innen im Alltag förderliche sam soll herausgefunden werden, welche gen bei der Behandlung vorgenommen. In Gesundheitsverhaltensweisen nachhaltig Stressbelastung und Verhaltensweisen der einer elektronischen Patientendatenbank umsetzen. In der Studie vergleichen wir Patient*innen den Krankheitsverlauf beein- werden die Behandlungsschritte dokumen- zwei Patientengruppen: Die eine erhält die flussen. Zudem unterstützt die Pflegekraft tiert. Studienteilnehmer*innen und ihre Fa- bei der Bewältigung milien können zudem eine Projekt-Website von Problemen mit Infomaterialien sowie einen moderier- und fördert da- ten Chatroom nutzen. Als zusätzliche Unter- durch Selbsthilfe- stützung werden individualisierte Erinne- potenziale sowie rungs-SMS verschickt, die die Patient*innen herzgesundes Ver- bei ihrem Gesundheitsverhalten zwischen halten im Alltag. den Gesprächsterminen unterstützen. Das Verhalten der Patient*innen und Hypothese: nachhaltige der Fortschritt der Verbesserung der Lebens- Behandlung wer- qualität den über einen Zeitraum von zwölf „Unsere Erwartung ist, dass sich die ge- hzg/schmidt Monaten begleitet sundheitsbezogene Lebensqualität der und dokumentiert. Patient*innen in der Gruppe mit der spe- F OTO : „Die europäische ziellen Behandlungsassistenz nach zwölf Prof. Dr. Christoph Herrmann-Lingen, Direktor der Klinik für Psycho- Präventionsleitli- Monaten im Vergleich zu der Gruppe mit somatische Medizin und Psychotherapie der UMG und Mitglied nie empfiehlt eine der üblichen Routinebehandlung deutlich des Vorstands des Herzzentrums, koordiniert die deutschlandweite Collaborative-Care- verbessert. Gemessen wird dies mit einem Studie. Intervention für speziellen Fragebogen. Zudem erwarten wir psychisch belastete ein geringeres Risiko für Herz- und Ge- übliche Standardbehandlung, die andere Herzpatient*innen. Im deutschen Gesund- fäßerkrankungen sowie die langfristige und zusätzlich eine teambasierte sogenannte heitssystem liegt jedoch noch kein Wirk- nachhaltige Verbesserung des Gesundheits- Blended-Collaborative-Care-Behandlung, samkeitsnachweis dafür vor. Die Nationale zustandes“, sagt Prof. Herrmann-Lingen. sagt Prof. Dr. Herrmann-Lingen. Das VersorgungsLeitlinie Chronische KHK ver- Prof. Dr. Gerd Hasenfuß, Direktor der Bundesministerium für Bildung und For- langt jedoch, solche Interventionen auch in Klinik für Kardiologie und Pneumologie schung (BMBF) fördert das Vorhaben für Deutschland zu testen. Genau das werden und Vorsitzender des Herzzentrums der eine Laufzeit von vier Jahren mit insgesamt wir jetzt machen“, sagt Prof. Herrmann- UMG, sagt: „Ich freue mich sehr, dass er- 2,37 Millionen Euro. Lingen. neut eine deutschlandweite Gesundheits- studie aus dem Herzzentrum der Universi- Speziell geschulte Expertenteam kontrolliert tätsmedizin Göttingen gefördert wird. Die Pflegekräfte unterstützen den Krankheitsverlauf TEACH-Studie stellt ein innovatives und Herzpatient*innen vielversprechendes Vorhaben dar: Sollte Ein Expertenteam aus einem Kardiologen, sich die Wirksamkeit des Behandlungsan- Blended-Collaborative-Care bedeutet, dass einer Psychologin und einem Facharzt für satzes wie erwartet belegen lassen, könnte eine speziell geschulte Pflegekraft bei der Psychosomatische Medizin und Psycho- dieser mit geringen Anpassungen auch auf Behandlung assistiert und die Patient*innen therapie unterstützt und berät die speziell andere chronische Krankheitsbilder über- zusätzlich unterstützt. Dafür sind die Pflege- geschulten Pflegekräfte wöchentlich. Au- tragen werden.“ 22 HZG aktuell | 1/2020
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