Coronavirus stellt nationale und internationale Wirtschaftspolitik vor große Herausforderungen

 
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Coronavirus stellt nationale und internationale Wirtschaftspolitik vor große Herausforderungen
ÖGfE Policy Brief 11’2020
Coronavirus stellt nationale und
internationale Wirtschaftspolitik vor große
Herausforderungen
Von Martin G. Kocher, Klaus Weyerstraß
Wien, 13. Mai 2020
ISSN 2305-2635

Handlungsempfehlungen
   1. Angebotsseitige Maßnahmen zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der
      Krise werden von fast allen ExpertInnen als sinnvoll erachtet. Hinsichtlich der eher
      umstrittenen Frage eines österreichischen Konjunkturpakets erscheint es sinnvoll, die
      Eckpunkte, konditional auf verschiedene Szenarien, möglichst rasch auszuarbeiten,
      um es dann zum optimalen Zeitpunkt in Kraft setzen zu können.

   2. Bezüglich des Finanzsektors sollte ein engmaschiges und zeitnahes EU-
      Monitoringsystem implementiert werden, das über die regelmäßigen Stress-Tests
      der Banken hinausgeht, um eine nachgelagerte Finanzkrise zu verhindern, im
      Rahmen derer Banken aufgrund einer großen Anzahl von uneinbringlichen Krediten
      in Schwierigkeiten geraten.

   3. Für Corona-Bonds oder Eurobonds bräuchte es langfristig einen europäischen
      Finanzminister mit Durchgriffsrechten auf die nationalen Budgets, aber eine solche
      Position passt nicht in das aktuelle Institutionengefüge der EU. Ein Ausbau des
      Europäischen Stabilitätsmechanismus und eine Änderung seiner Regeln sind zu
      bevorzugen.

Zusammenfassung
Aus ökonomischer Sicht verursacht die Corona-Krise                 sche Bundesregierung stellt ein Paket im Umfang von
Angebots- und Nachfrageschocks von teils histori-                  38 Mrd. Euro bereit, das Direktzahlungen, Garantien
schem Ausmaß. In der Industrie sind Lieferketten un-               und Haftungen zur Kreditsicherung von Unternehmen
terbrochen, viele Dienstleistungsunternehmen werden                und Steuerstundungen umfasst. Dazu kommen zu-
zur Eindämmung der Pandemie durch „soziale Distan-                 sätzliche Mittel für den Gesundheitsbereich und ein
zierung“ behördlich geschlossen. In Österreich sinkt               massiver Ausbau der Kurzarbeitsbeihilfen. Die Staats-
die Wertschöpfung in jeder Woche des Shutdown um                   und Regierungschefs haben sich auf ein erstes EU-
rund 2,2 Mrd. Euro. Die Arbeitslosigkeit steigt kräftig,           Paket von 540 Mrd. Euro verständigt; Corona-Bonds
und die Beschäftigung geht stark zurück. Weltweit                  werden diskutiert. Auch die EU-Kommission stellt ver-
haben die Zentralbanken, soweit sie dafür noch Spiel-              schiedene Finanztöpfe bereit. Der Policy Brief stellt die
raum hatten, die Leitzinsen gesenkt und stellen um-                Maßnahmen detailliert dar und diskutiert deren Wirk-
fangreiche Liquidität zur Verfügung. Die österreichi-              samkeit und mögliche Alternativen.

Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999                               1
ÖGfE Policy Brief 11’2020

                                        Coronavirus stellt nationale und
                                        internationale Wirtschaftspolitik vor
                                        große Herausforderungen
                                         Von der lokalen Epidemie zur Pandemie                           ropa gab. Gemäß Daten des European Centre for
                                                                                                         Disease Prevention and Control (ECDC) traten in
                                           Am 31. Dezember 2019 wurde die Weltgesund-                    Deutschland am 28. Jänner und in Österreich am
                                        heitsorganisation WHO von den chinesischen Be-                   25. Februar die ersten Fälle auf. Am 11. März er-
                                        hörden über 44 Fälle einer bis dahin unbekannten                 klärte die WHO die Viruserkrankung zur Pandemie,
                                        Lungenkrankheit informiert, die in der zentralchi-               also zu einer Epidemie mit weltweiter Verbreitung.
                                        nesischen Elf-Millionen-Einwohner-Stadt Wuhan in                 Inzwischen (Stand 4.5.2020) sind nach Angaben
                                        der Provinz Hubei ihren Ausgangspunkt hatte. Am                  des ECDC weltweit knapp 3,5 Millionen Menschen
                                        7. Jänner 2020 wurde das für diese Krankheit ver-                mit dem Coronavirus infiziert, und mehr als 245.000
                                        antwortliche neuartiges Coronavirus isoliert und                 Personen sind mit oder an COVID-19 verstorben.
                                        zunächst als 2019-nCoV bezeichnet (WHO, 2020).                   Die höchsten Zahlen von Infektionen verzeichnen
                                        Am 11. Februar verlautbarte die WHO als neue Be-                 Mitte Mai weltweit die USA bzw. in Europa Spanien,
                                        zeichnung SARS-CoV-2, und die von dem Erreger                    Italien, Frankreich und das Vereinigte Königreich. In
                                        ausgelöste Lungenkrankheit wurde als COVID-19                    Österreich hat sich die Ausbreitung des Coronavi-
                                        benannt. Zwischen dem 13. und dem 20. Jänner                     rus inzwischen stark verlangsamt. Die Zahl der täg-
                                        wurden aus Thailand, Japan und Südkorea die ers-                 lichen Neuinfektionen liegt bereits seit 19.4. im zwei-
                                        ten Infektionsfälle mit SARS-CoV-2 außerhalb Chi-                stelligen Bereich. Abbildung 1 zeigt im oberen Teil
                                        nas gemeldet. In Europa wurden die ersten drei Fälle             die Verläufe der Infektionszahlen für China und aus-
                                        am 24. Jänner in Frankreich gemeldet, wo es am 15.               gewählte europäische Länder sowie im unteren Teil
                                        Februar auch den ersten bestätigten Todesfall in Eu-             die Verläufe in den USA und in der Welt insgesamt.

                                                                               Abbildung 1: SARS-CoV-2-Fälle nach Land

                                        Quelle: European Centre for Disease Prevention and Control (https://www.ecdc.europa.eu/en/publications-data/download-todays-
                                        data-geographic-distribution-covid-19-cases-worldwide); eigene Darstellung.

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   Maßnahmen zur Eindämmung der                                 schränkungen erlassen. In fast allen Ländern muss-
            Pandemie                                            ten Geschäfte schließen, die als nicht notwendig
                                                                angesehene Waren verkaufen. Auch Restaurants,
   Zur Eindämmung der Pandemie haben die Re-                    Kultur-, Sport- und Freizeiteinrichtungen mussten
gierungen aller Länder, in denen sich das Corona-               schließen. In Deutschland, Österreich und anderen
virus rasch ausbreitete, teils drastische Maßnahmen             Ländern mit ähnlich günstigem Verlauf der Pandemie
ergriffen. Diese zielen vor allem auf „soziale Distan-          wird nach rund sechs- bis siebenwöchiger Dauer die-
zierung“ ab, also darauf, die unmittelbaren Kontak-             ses Shutdown allmählich mit dem Wieder-Hochfah-
te zwischen den Menschen stark einzuschränken.                  ren der ökonomischen Aktivität begonnen. Die Daten
Dabei setzten die Regierungen meist zunächst auf                der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und zum
Appelle, indem sie etwa dazu aufriefen, Massen-                 Arbeitsmarkt zeigt, dass die Shutdown-Maßnahmen
versammlungen zu vermeiden. Später wurden aber                  und die Unterbrechung der Lieferketten erhebliche
immer mehr Zwangsmaßnahmen getroffen. Zu-                       negative gesamtwirtschafte Effekte zeitigen.
nächst hatte die Regierung in China am 23. Jänner
die Stadt Wuhan von der Außenwelt abgeschnitten.                  Wirtschaftliche Folgen der Pandemie
In der ersten Märzhälfte wurden in Italien, Frank-
reich, Spanien und den Niederlanden die Schulen                         Kurzfristige konjunkturelle Effekte
und Universitäten geschlossen. Beinahe alle Staa-
ten in der EU und darüber hinaus schlossen die                     Die direkten und indirekten ökonomischen Aus-
Grenzen für den Personenverkehr. Italien, Spanien               wirkungen der Corona-Pandemie sind in Abbildung
und Frankreich haben zudem strikte Ausgangsbe-                  2 schematisch dargestellt.

                  Abbildung 2: Übersicht über die ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie

                                  Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Shretta (2020).

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                                            Es können direkte und indirekte Kosten unter-                essentiell eingestufte Produkte herstellen. Zudem
                                         schieden werden (vgl. Shretta, 2020). Direkte Kos-              müssen jene Branchen mit überdurchschnittlich
                                         ten fallen etwa für Virus- und Antikörpertests sowie            hohen Umsatzausfällen rechnen, deren Nachfrage
                                         die Ermittlung von Kontaktpersonen, die medizini-               aufgrund der eingeschränkten Ausgangsmöglich-
                                         sche Betreuung, Kontrollen zur Eindämmung der                   keiten und Reisefreiheiten verloren geht.
                                         Pandemie sowie die Gehälter des Gesundheitsper-
                                         sonals an. Direkte Kosten umfassen zudem die Auf-                   Auch von der Finanzierungsseite geraten Unter-
                                         wendungen für die Entwicklung neuer Medikamente                 nehmen und Staaten unter Druck. Als sich im März
                                         und Impfstoffe. Auch Ausgaben für Hygieneartikel,               die Pandemie in Europa stark ausbreitete, kam es
                                         Desinfektionsmittel und Schutzausrüstung sind zu                an den Finanzmärkten zu massiven Kurseinbrü-
                                         den direkten Kosten zu zählen. Diese fallen bei Un-             chen. Die Risikoaufschläge auf Unternehmensan-
                                         ternehmen, privaten Haushalten und dem Staat an.                leihen und auf die Staatsanleihen von Staaten mit
                                                                                                         hohen Schuldenständen stiegen beträchtlich. Damit
                                            Indirekte Kosten entstehen aufgrund von Fehlzei-             erhöhen sich die Finanzierungskosten. Der Internati-
                                         ten der Arbeitskräfte oder durch die staatlich ver-             onale Währungsfonds (IWF) schreibt in seinem Mitte
                                         ordneten Shutdown-Maßnahmen zur Eindämmung                      April erschienen Finanzstabilitätsbericht, dass die
                                         der Pandemie. So entstehen Produktivitätsverlus-                Corona-Pandemie eine Herausforderung von his-
                                         te, wenn Personen wegen Krankheit, Quarantäne                   torischem Ausmaß für die Stabilität des globalen
                                         oder Kinderbetreuungspflichten ihren Arbeitsplatz               Finanzsystems darstellt (IWF, 2020b). Falls es auf-
                                         nicht aufsuchen können. Im Ergebnis treten sowohl               grund von Liquiditätsproblemen oder einer großen
                                         Angebots- als auch Nachfrageschocks auf. Ange-                  Zahl von Unternehmensinsolvenzen zu hohen Kre-
                                         botsschocks entstehen durch die Schließung von                  ditausfällen kommt, würde dies die Banken unter
                                         Betrieben, Hotels, Restaurants und anderen Unter-               Druck setzen, unter Umständen ihre Kreditvergabe
                                         nehmen, die als „nicht wesentlich“ gelten. Nachfra-             zu reduzieren. Auch können die Risikoaufschläge
                                         geschocks resultieren aus einer Verringerung von                auf Unternehmensanleihen weiter steigen und so-
                                         Konsum, Reisen, Transport und anderen Ausgaben.                 mit die Finanzierungskosten erhöhen. Sorgen berei-
                                                                                                         ten dem IWF unter anderem hohe Schuldenstände
                                        „Die größten Einbußen erleiden jene Bran-                        von Unternehmen und Privathaushalten. Beson-
                                      chen, die ihre Tätigkeit vollständig einstellen                    ders gefährdet sind nach Einschätzung des IWF die
                                      mussten, also vor allem viele Dienstleistungs-                     Schwellenländer. Dort kam es bereits zu massiven
                                      unternehmen und in manchen Ländern auch                            Kapitalabzügen.
                                      Industriebetriebe, die nicht als essentiell ein-
                                      gestufte Produkte herstellen.“                                        Zudem geriet der Ölpreis stark unter Druck. Am
                                                                                                         9. März kam es zum stärksten Einbruch des Ölprei-
                                            Im Verarbeitenden Gewerbe treten neben den                   ses seit dem Beginn des Golfkriegs im Jänner 1991.
                                         Produktivitätseinbußen vor allem Probleme durch                 Neben der Corona-Pandemie hatte dazu auch das
                                         die Unterbrechung von Lieferketten auf. Dazu trägt              Scheitern von Verhandlungen zwischen der OPEC
                                         auch die Schließung der Grenzen bei. Auch wenn                  und Russland über Förderkürzungen beigetragen.
                                         diese nur auf den Personenverkehr abzielen, verur-              Von dem Ölpreisverfall profitieren zwar die Ölim-
                                         sachen sie Staus an den Grenzübergängen mit er-                 portländer, aber jene Schwellenländer, deren Wirt-
                                         heblichen Beeinträchtigungen des Warenverkehrs.                 schaftsleistung und Staatseinnahmen wesentlich
                                                                                                         auf Erdölexporten beruhen, erleiden starke wirt-
                                             Die größten Einbußen erleiden jene Branchen, die            schaftliche Einbußen. Deshalb haben sich am 13.
                                         ihre Tätigkeit vollständig einstellen mussten, also vor         April die OPEC und wichtige andere Ölproduzenten
                                         allem viele Dienstleistungsunternehmen und in man-              auf eine Reduktion der Fördermenge geeinigt. Die
                                         chen Ländern auch Industriebetriebe, die nicht als              Preise sanken aber weiter, weil der Nachfrageein-

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  bruch noch stärker war als die Angebotskürzung.                 -9,8%, Spanien -7,9%, Frankreich -4,1%). Für Ös-
  Am 20. April war der Preis für ein Barrel der US-               terreich wird ein Rückgang um 3,9% erwartet. Für
  Sorte West Texas Intermediate (WTI) erstmals in der             die USA wird ein BIP-Rückgang um 4% voraus-
  Geschichte sogar negativ, d.h. man wurde für die                gesagt, für China ein Wachstumseinbruch auf 1%
  Abnahme von Öl sogar bezahlt.                                   (nach 6,2% im Jahr 2019). Der Welthandel dürfte
                                                                  um 7,4% einbrechen. Unter der Annahme, dass die
  „Der Grad der Unsicherheit im Zusammen-                         Shutdown-Maßnahmen ab Mitte April schrittweise
hang mit dem Coronavirus ist beispiellos.“                        gelockert werden, wird für die zweite Jahreshälfte
                                                                  und für das Jahr 2021 eine markante wirtschaftliche
       Auch die wirtschaftspolitische Unsicherheit ist            Erholung erwartet. So dürften das weltweite Brut-
  aufgrund der Coronavirus-Pandemie sprunghaft                    toinlandsprodukt um 5,4% und der Welthandel um
  gestiegen. Um diese Unsicherheit zu quantifizieren,             7% expandieren. Pessimistischer ist der IWF, der in
  hat der IWF den World Pandemic Uncertainty Index                seinem Mitte April erschienen Weltwirtschaftsaus-
  (WPUI), einen Unterindex des World Uncertainty In-              blick für 2020 von einem Rückgang der weltweiten
  dex, für 143 Länder entwickelt (Ahir et al., 2020). Da-         Wirtschaftsleistung um 3% ausgeht, gefolgt von ei-
  bei wird die Häufigkeit gezählt, mit der das Wort „Un-          nem Wachstum um 5,8% im kommenden Jahr. Für
  sicherheit“ in den Länderberichten der Economist                Österreich erwartet der IWF im Jahr 2020 einen Ein-
  Intelligence Unit (EIU) im Zusammenhang mit Pan-                bruch des realen Bruttoinlandsprodukts um 7% und
  demien oder Epidemien erwähnt wird. Der Grad der                für 2021 einen Anstieg um 4,5% (IWF, 2020a).
  Unsicherheit im Zusammenhang mit dem Corona-
  virus ist beispiellos. Zum 31. März ist der Indexwert                 „Absolut am größten ist der Wertschöp-
  dreimal so hoch wie während der SARS-Epidemie                       fungsrückgang im Verarbeitenden Gewerbe,
  2002/2003 und etwa 20 Mal so groß wie während                       gefolgt vom Bereich Beherbergung und Gast-
  des Ebola-Ausbruchs. Es wird erwartet, dass der                     ronomie sowie vom Groß- und Einzelhandel.“
  Grad der Unsicherheit in Bezug auf das Coronavirus
  hoch bleibt, da nicht klar ist, wann die Krise beendet             Für Österreich schätzen Czypionka et al. (2020),
  sein wird. Die Unsicherheit im Zusammenhang mit                 dass das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2020 auf-
  der aktuellen Pandemie nahm zunächst in China zu,               grund des neuartigen Coronavirus und der damit
  ist nun aber in vielen Ländern sichtbar. Die hohe Un-           zusammenhängenden Maßnahmen um knapp 36
  sicherheit dürfte negativ auf den privaten Konsum               Mrd. Euro sinken wird. Dies entspricht rund 9% der
  und die Investitionen wirken. Zu der Kaufzurückhal-             österreichischen Wirtschaftsleistung. Besonders
  tung und dem Investitionsattentismus dürfte insbe-              stark fällt nach diesen Schätzungen der Einbruch
  sondere beitragen, dass die Dauer der Einschrän-                in Tirol, Vorarlberg und Salzburg mit jeweils rund
  kungen der normalen wirtschaftlichen und sozialen               10% aus, weil in diesen Bundesländern der Touris-
  Abläufe nicht sicher ist.                                       mus von überdurchschnittlicher Bedeutung ist. Ab-
                                                                  solut am größten ist der Wertschöpfungsrückgang
     Die     Projektgruppe    Gemeinschaftsdiagno-                im Verarbeitenden Gewerbe, gefolgt vom Bereich
  se (2020), an der das Institut für Höhere Studien               Beherbergung und Gastronomie sowie vom Groß-
  (IHS) als Partner des RWI - Leibniz-Institut für Wirt-          und Einzelhandel. Relativ sind die Bereiche Beher-
  schaftsforschung in Essen beteiligt ist, schätzt,               bergung und Gastronomie, Kunst, Unterhaltung
  dass weltweit das reale Bruttoinlandsprodukt als                und Erholung sowie Erbringung von freiberuflichen,
  Folge der SARS-CoV-2-Pandemie einbricht. Für die                wissenschaftlichen und technischen Dienstleistun-
  Welt insgesamt wird im Frühjahrsgutachten Anfang                gen am stärksten betroffen. Es gibt nur wenige Sek-
  April ein Rückgang der Wirtschaftsleistung um 2,5%              toren, deren Wertschöpfung und Arbeitsvolumen
  angenommen. Für die EU27 ein Rückgang um 5,1%                   sich erhöhen. Hierzu zählen das Gesundheits- und
  prognostiziert (darunter Deutschland -4,2%, Italien             Sozialwesen sowie die öffentliche Verwaltung. Bei

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                                         den Schätzungen werden der Shutdown sowie die                   Außerdem könnte es durch verbesserte digitale Ar-
                                         internationalen Auswirkungen und folglich die wirt-             beitsmöglichkeiten zu einer Verringerung von Ge-
                                         schaftlichen Verflechtungen mit dem Ausland be-                 schäftsreisen kommen. Analog profitiert der Online-
                                         rücksichtigt.                                                   handel zulasten des stationären Einzelhandels.

                                             Die Arbeitslosigkeit steigt in fast allen Ländern                  „Dass es zeitweise durch die Grenzkontrol-
                                         sprunghaft. So ist in den USA die Zahl der wöchent-                 len zu langen Staus und Verzögerungen beim
                                         lichen Erstanträge auf Arbeitslosenunterstützung,                   grenzüberschreitenden Güterverkehr kam,
                                         die im langjährigen Durchschnitt bei rund 250.000                   hat deutlich vor Augen geführt, wie wichtig
                                         liegt, mit Stichtag 21. März auf rund 3,3 Millionen                 der europäische Binnenmarkt mit seinem frei-
                                         hochgeschnellt und hat sich dann nochmals auf                       en Warenverkehr ist.“
                                         jeweils etwa 6,6 Millionen in den beiden folgenden
                                         Wochen verdoppelt, bevor die Zahl wieder ein we-                    Hinsichtlich der Globalisierung ist zwar kein ver-
                                         nig auf 5,25 Millionen abnahm.                                  stärkter Gegentrend zu erwarten. Gleichwohl haben
                                                                                                         die zeitweiligen Engpässe in manchen europäischen
                                             In Österreich ist die Beschäftigung im März 2020            Ländern bei der Versorgung mit Medikamenten und
                                         im Vorjahresvergleich um 5% gesunken. Besonders                 Medizinprodukten sowie vorübergehende Export-
                                         stark war der Einbruch mit 41% im Bereich Beher-                verbote in einzelnen Ländern gezeigt, dass eine zu
                                         bergung und Gastronomie. Aber auch der Bau so-                  starke Abhängigkeit von einzelnen (vornehmlich asi-
                                         wie die wirtschaftlichen und persönlichen Dienst-               atischen) Ländern bei diesen notwendigen Produk-
                                         leistungen waren stark betroffen. Dies war der erste            ten in Krisenzeiten problematisch sein kann. Medi-
                                         Beschäftigungsrückgang seit dem Jahr 2009 und                   kamente und Medizinprodukte werden daher wohl
                                         der stärkste seit Dezember 1952. Während der Fi-                verstärkt in Europa produziert werden. Ähnliches
                                         nanzkrise wurde der stärkste Rückgang im April                  trifft auf die globalen Liefer- und Wertschöpfungs-
                                         2009 mit 2,3% im Vorjahresvergleich verzeichnet.                ketten im Verarbeitenden Gewerbe zu. Hier würde
                                         Die Zahl der Arbeitslosen schnellte im März 2020                eine stärkte Diversifizierung von Lieferbezügen die
                                         gegenüber dem gleichen Vorjahresmonat um knapp                  Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten verringern.
                                         200.000 Personen bzw. rund 66% nach oben. Die
                                         im Zuge der Corona-Krise ausgeweitete Kurzarbeit                    Dass es zeitweise durch die Grenzkontrollen zu
                                         wurde Mitte Mai von rund 1,3 Millionen Personen in              langen Staus und Verzögerungen beim grenzüber-
                                         Anspruch genommen, vor allem im Verarbeitenden                  schreitenden Güterverkehr kam, hat deutlich vor
                                         Gewerbe und im Handel. Während der Finanzkrise                  Augen geführt, wie wichtig der europäische Binnen-
                                         wurde der Höhepunkt mit 56.728 geplanten bzw.                   markt mit seinem freien Warenverkehr ist. Gleiches
                                         37.348 realisierten Kurzarbeitsfällen im April 2009             gilt für die Freizügigkeit im Personenverkehr, was
                                         erreicht (Bock-Schappelwein et al., 2011).                      das Fehlen von Pflegekräften, Erntehelfern und Ar-
                                                                                                         beitskräften im Baubereich gezeigt hat.
                                                          Mittelfristige Effekte
                                                                                                             Wirtschaftspolitische Maßnahmen
                                            Neben den kurzfristigen Einbrüchen der Wirt-
                                         schaftsleistung aufgrund unterbrochener Lieferket-                           Internationale Maßnahmen
                                         ten oder staatlich angeordneter Unternehmens-
                                         schließungen dürfte die Corona-Pandemie auch                       Weltweit haben Zentralbanken, Regierungen und
                                         mittelfristige ökonomische Effekte nach sich ziehen.            internationale Organisationen massive Program-
                                         So könnte der Zwang zum Arbeiten im Homeoffice                  me aufgelegt, um die wirtschaftlichen und sozialen
                                         bzw. zur Distanzlehre an Universitäten und Schulen              Folgen des ökonomischen Einbruchs abzufedern.
                                         der Digitalisierung zusätzlichen Schub verleihen.               Nach Angaben des IWF belaufen sich Mitte April die

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 von den Regierungen beschlossen fiskalpolitischen                sind ein Härtefallfonds (mittlerweile von 1 Mrd. auf
 Maßnahmen weltweit auf 8 Billionen Dollar und die                2 Mrd. Euro aufgestockt), ein Corona-Hilfsfonds mit
 von Zentralbanken bereitgestellten Liquiditätshilfen             15 Mrd. Euro, Garantien und Haftungen zur Kredit-
 auf 6 Billionen Dollar (IWF, 2020c).                             sicherung von Unternehmen (mit 9 Mrd. Euro) und
                                                                  Steuerstundungen im Umfang von 10 Mrd. Euro.
    Die Weltbank hat Anfang April beschlossen, in                 Dazu kommen zusätzliche Mittel für den Gesund-
 den nächsten 15 Monaten bis zu 160 Milliarden US-                heitsbereich und die Erstattung der Kosten für die
 Dollar bereitzustellen, um Ländern zu helfen, die                Kurzarbeitsbeihilfen.
 ärmsten Bevölkerungsgruppen sowie Unternehmen
 zu unterstützen und die wirtschaftliche Erholung zu                  Der 15 Mrd. Euro schwere Corona-Hilfsfonds
 fördern. Der IWF hat Schuldenerleichterungen für                 dient der Unterstützung von Unternehmen, die mas-
 25 arme Länder beschlossen. Derzeit stehen dafür                 sive Umsatzrückgänge zu verzeichnen haben. Je
 540 Millionen Dollar zur Verfügung, der IWF drängt               nach Betroffenheit des Unternehmens, gemessen
 aber die Mitgliedstaaten auf eine Erhöhung dieses                an Umsatzrückgängen im Vergleich zum Vorjahr,
 Betrages auf 1,4 Mrd. Dollar. Zudem stellt der IWF               kann ein Kredit bis zur Höhe eines Quartalsum-
 zusätzliche Kreditlinien zur Verfügung.                          satzes beantragt werden. Von diesem Kredit muss
                                                                  dann, wiederum je nach Betroffenheit, ein Teil nicht
  „Weltweit haben Zentralbanken, Regierun-                        mehr zurückgezahlt werden. Das Maximum sind
gen und internationale Organisationen massi-                      75% der Fixkosten und die Kosten für wertlos ge-
ve Programme aufgelegt, um die wirtschaftli-                      wordene Waren im relevanten Zeitraum. Arbeitskos-
chen und sozialen Folgen des ökonomischen                         ten werden nicht abgedeckt; dafür soll die Corona-
Einbruchs abzufedern.“                                            Kurzarbeitsregelung greifen, die je nach Lohnniveau
                                                                  80% bis 90% des Lohns davor abdeckt und sogar
     In den USA hat die Notenbank die Leitzinsen um               eine temporäre Reduktion der Arbeitszeit auf null
 insgesamt 150 Basispunkte gesenkt, die Leitzin-                  Stunden erlaubt. Die Kredite aus dem Corona-Hilfs-
 sen in den USA liegen jetzt nahe bei null. Zusätz-               fonds garantieren 90% der Kreditsumme, bei einer
 lich wurden umfangreiche Anleihekaufprogramme                    Laufzeit von maximal fünf Jahren, die nochmals um
 begonnen. Die Regierung hat finanzpolitische Maß-                fünf Jahre verlängert werden kann. In die nur teilwei-
 nahmen mit einem Gesamtumfang von rund 2 Billi-                  se rückzuzahlenden Fixkosten fallen unter anderem
 onen Dollar zur Stabilisierung der Konjunktur ange-              Miete, Strom, Gas, Zinsaufwendungen und verderb-
 kündigt. Insbesondere umfassen diese Maßnahmen                   liche bzw. saisonale Waren, die wegen der Corona-
 Notkredite und Bürgschaften für Unternehmen, di-                 Krise zumindest 50% an Wert verloren haben.
 rekte Transfers an Haushalte sowie eine Erhöhung
 und Verlängerung der Arbeitslosenunterstützung.                      Für den Corona-Hilfsfonds gilt eine Obergrenze
                                                                  von 120 Mill. Euro. Über Hilfen für Unternehmen, die
             Österreichische Maßnahmen                            über diese Obergrenze hinausgehen, soll im Einzel-
                                                                  fall entschieden werden. Dafür hat die Bundesregie-
    Auch die österreichische Bundesregierung hat                  rung eine analoge Vorgangsweise wie im Rahmen
 – wie andere europäische Regierungen in unter-                   des Hilfsfonds angekündigt, zusätzliche Bedingun-
 schiedlichem Ausmaß – ein umfangreiches Paket                    gen bzw. Beteiligungen an den betroffenen Unter-
 zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der                   nehmen aber nicht ausgeschlossen. Neben der
 Pandemie aufgelegt. Es handelt sich dabei um ei-                 Verhinderung von Insolvenzen geht es dort auch
 nen Umfang von 38 Mrd. Euro, wobei schon bei der                 um die Verhinderung nicht erwünschter Übernah-
 Ankündigung verlautbart wurde, dass die Regierung                men aus dem Ausland.
 sowohl beim Umfang als auch bei der Verteilung
 auf verschiedene Teilpakete flexibel sei. Inkludiert

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ÖGfE Policy Brief 11’2020

                                            Der Härtefallfonds greift für Unternehmen, die                  weitet. Insgesamt stehen daher gegenwärtig (Mit-
                                        nicht unter den Corona-Hilfsfonds fallen. Darunter                  te April) zusätzliche 870 Mrd. Euro für den flexiblen
                                        fallen vor allem Ein-Personen-Unternehmen (EPU,                     Ankauf von Schuldverschreibungen des öffentlichen
                                        neue Selbständige), freie Dienstnehmer nach §4                      und privaten Sektors bis Ende des Jahres zur Verfü-
                                        Abs. 4 ASVG und Kleinstbetriebe. In der Phase 1                     gung. Dies entspricht rund einem Drittel des gesam-
                                        konnten bis 1.000 Euro, in der vor kurzem begonne-                  ten bisherigen Ankaufprogrammes der EZB, das seit
                                        nen Phase 2 können insgesamt bis zu 6.000 Euro                      2014 läuft. Im Rahmen des PEPP dürfen, anders als
                                        Unterstützung beantragt werden.                                     in den bisherigen Anleihekaufprogrammen, auch
                                                                                                            griechische Staatsanleihen gekauft werden. Außer-
                                           Zu den oben beschriebenen Gegenmaßnahmen                         dem werden die im November wieder aufgenomme-
                                        zur Sicherung der Liquidität und des Überlebens                     nen Ankäufe von monatlich 20 Mrd. Euro fortgeführt.
                                        von Unternehmen kommen eine Vielzahl an Maß-                        Die aufsichtsrechtlichen Maßnahmen beinhalten
                                        nahmen für spezifische Branchen, Bundesländer,                      insbesondere temporäre Kapitalerleichterungen
                                        Hilfsfonds von Berufsvertretungen, etc.                             und operative Flexibilität (Projektgruppe Gemein-
                                                                                                            schaftsdiagnose, 2020). Die Aufteilung der Anleihen
                                          Maßnahmen der Europäischen Zentralbank                            nach Staaten zeigt, dass die EZB mehr italienische
                                               und der Europäischen Union                                   Staatsanleihen gekauft hat, als es dem Kapitalanteil
                                                                                                            der Banca d’Italia an der EZB entspricht.2
                                            Die Europäische Zentralbank (EZB) hat im März
                                        eine Reihe expansiver Maßnahmen beschlossen.                             „Die Europäische Zentralbank (EZB) hat im
                                        Diese betreffen längerfristige Refinanzierungsge-                      März eine Reihe expansiver Maßnahmen be-
                                        schäfte, das laufende Ankaufprogramm und auf-                          schlossen.“
                                        sichtsrechtliche Vorgaben. Die Leitzinsen blieben
                                        dagegen unverändert, da der Hauptrefinanzierungs-                      Die Europäische Kommission hat am 20. März
                                        satz bereits bei 0% lag und der Einlagesatz mit                     vorgeschlagen, die allgemeine Ausweichklausel des
                                        0,5% bereits negativ war. Neu beschlossen wurden                    Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) zu aktivie-
                                        zunächst zusätzliche längerfristige Refinanzierungs-                ren.3 Damit ist eine höhere Neuverschuldung als 3%
                                        geschäfte, um den Zeitraum bis zu den bereits ge-                   in Relation zur Wirtschaftsleistung zulässig. Formell
                                        planten Gezielten Langfristigen Refinanzierungsge-                  beschließen kann dies nur der Europäische Rat der
                                        schäften (GLRG-III)1 im Juni zu überbrücken und                     Finanzminister. Die EU-Kommission hat darüber hi-
                                        damit die Liquidität bis dahin sicherzustellen. Dar-                naus Anfang April mit „SURE“ ein befristetes Instru-
                                        über hinaus wurden für die geplanten Refinanzie-                    ment zur Unterstützung von Kurzarbeit vorgeschla-
                                        rungsgeschäfte ab Juni die Bedingungen deutlich                     gen. Zudem wurden die Vorschriften für staatliche
                                        gelockert. Zudem wurden zusätzliche Nettoankäu-                     Beihilfen überarbeitet und eine 37 Mrd. Euro umfas-
                                        fe im Rahmen des laufenden Programmes zum An-                       sende Investitionsinitiative beschlossen, um kleinere
                                        kauf von Vermögenswerten (APP) in Höhe von 120
                                        Mrd. Euro bis Ende 2020 beschlossen. Einige Tage
                                        später wurden die angekündigten Käufe mit dem
                                        Corona-Notfallankaufprogramm (Pandemic Emer-
                                        gency Purchase Programme, PEPP) von 750 Mrd.
                                        Euro bis Jahresende noch einmal drastisch ausge-
                                                                                                            2) Informationen zu den verschiedenen Anleihekaufprogram-
                                                                                                            men der EZB und eine Aufschlüsselung der Staatsanleihen nach
                                                                                                            Ländern findet sich hier: https://www.ecb.europa.eu/mopo/im-
                                        1) Für eine Erläuterung dieser Geschäfte vgl. https://www.          plement/omt/html/index.en.html.
                                        bundesbank.de/de/aufgaben/geldpolitik/offenmarktgeschaefte/
                                        gezielte-laengerfristige-refinanzierungs-geschaefte-iii/gezielte-   3) https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/
                                        laengerfristige-refinanzierungs-geschaefte-iii-782974.              ip_20_499.

8                               Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
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  Betriebe und den Gesundheitssektor mit Krediten                 sind – neben den ökonomischen Differenzen über
  zu versorgen.4                                                  die grundsätzliche Sinnhaftigkeit – die unterschied-
                                                                  lichen Vorstellungen zur konkreten Ausgestaltung
      Die europäischen Finanzminister haben sich auf              solcher Bonds. Einige Staaten sehen darin ein Son-
  ein Corona-Rettungspaket verständigt, das mindes-               dervehikel zur Finanzierung der Folgekosten der
  tens 540 Mrd. Euro umfassen soll. Es beinhaltet Kre-            Corona-Krise, also quasi einen ESM II mit speziel-
  dite durch die Europäische Investitionsbank EIB, das            len Regeln und Konzentration auf die Corona-Krise.
  bereits erwähnte SURE-Programm sowie Kredite,                   Andere Staaten sehen darin den Einstieg in eine ge-
  die beim europäischen Rettungsfonds ESM (Euro-                  nerell gemeinschaftliche Schuldenaufnahme durch
  päischer Stabilitätsmechanismus) abgerufen werden               Eurobonds.
  können. Wie immer ist bei den genannten Zahlen ex
  ante nicht ganz klar, wie hoch die tatsächlich zusätz-                „Die Einzigartigkeit der Situation erfordert
  lich verfügbaren Mittel sind, welche sich nicht aus                 wirtschaftspolitisch viel Pragmatismus.“
  Umschichtungen ergeben, und wie hoch der Lever-
  agenanteil der Summe ist. Als viertes Element wurde                Zudem gibt es laufende Diskussionen auf EU-
  ein europäischer Wiederaufbaufonds genannt, des-                Ebene zur Frage, inwieweit der Mehrjährige Finanz-
  sen Ausgestaltung noch in Verhandlung ist.                      rahmen 2021-27 für die Krisenbewältigung einge-
                                                                  setzt werden kann und wie mögliche Krisenkosten
     Die im Rahmen des ESM nutzbaren Mittel sind                  finanziert werden können. Dabei geht es auch um die
  pro Land auf 2% des BIP begrenzt. Die einzige Auf-              Frage, zu welchem Anteil ein europäischer Wieder-
  lage für den Zugriff auf die Mittel ist die direkte oder        aufbaufonds aus Krediten besteht und zu welchem
  indirekte Verwendung für das Gesundheitswesen.                  Anteil aus nicht-rückzahlbaren Zuschüssen. Wer die
  Allerdings scheinen Lockerungen dieser Regelun-                 EU kennt, weiß, dass das Ergebnis eine Mischung
  gen durchaus möglich, insbesondere wenn der Zu-                 aus den verschiedenen Ansätzen sein wird und sein
  griff auf die Mittel aus dem ESM mit der Diskussion             muss – ein vorsichtig austarierter Kompromiss, der
  über den Wiederaufbaufonds verknüpft werden.                    im Idealfall allen Mitgliedsregierungen erlaubt, sich
                                                                  zu Hause als jene darzustellen, die sich mit ihrem
   „Die europäischen Finanzminister haben                         Konzept durchgesetzt haben. Wenn daraus ein ge-
sich auf ein Corona-Rettungspaket verstän-                        wisser Pragmatismus entsteht, ist das vielleicht gar
digt, das mindestens 540 Mrd. Euro umfassen                       nicht schlecht. Die Einzigartigkeit der Situation erfor-
soll.“                                                            dert wirtschaftspolitisch viel Pragmatismus.

      Um diesen Wiederaufbaufonds hat sich in den                  Zusammenfassung und Einschätzung
  letzten Wochen eine politische Diskussion entspon-
  nen. Die entscheidende politische Frage ist, ob er                 Die Corona-Krise ist ein exogener nicht-ökono-
  durch sogenannte Corona-Bonds gespeist wird,                    mischer Schock, der aufgrund seines Ausmaßes
  also Anleihen in der Eurozone (oder gar der Euro-               nur durch den massiven Einsatz geld- und fiskal-
  päischen Union), für die eine gesamtschuldnerische              politischer Instrumente auf nationaler, supranatio-
  Haftung gilt. Ein Grund für die lebhafte Diskussion             naler und internationaler Ebene abgemildert wer-
                                                                  den kann. Auf die durch die Einschränkungen der
                                                                  wirtschaftlichen Aktivität und durch unterbrochene
  4) https://ec.europa.eu/info/business-economy-euro/eco-         nationale und internationale Lieferketten ausgelöste
  nomic-and-fiscal-policy-coordination/eu-financial-assistance/   Angebotskrise folgt allmählich eine durch die stark
  loan-programmes/sure_en sowie https://ec.europa.eu/info/        gestiegene gesundheitliche und wirtschaftliche Un-
  sites/info/files/about_the_european_commission/eu_bud-
  get/13032020_-_coronavirus_response_investment_initiative_      sicherheit ausgelöste Nachfragekrise, die mögli-
  final_v2_0.pdf.

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                                          cherweise noch stärkere ökonomische Auswirkun-                  zeptieren müssen. Es überrascht nicht, dass dieser
                                          gen haben wird als die akute Corona-Krise.                      angebotsseitige Maßnahmenschwerpunkt von fast
                                                                                                          allen Expertinnen und Experten als sinnvoll erachtet
                                             Wirtschaftliche Prognosen sind aufgrund der me-              wird. Viel umstrittener ist allerdings, wie ein nachge-
                                          dizinischen Unsicherheit durch ungewohnt große                  lagertes Konjunkturpaket aussehen soll und zu wel-
                                          Bandbreiten gekennzeichnet. Dies ist in diesem Fall             chem Zeitpunkt es am effektivsten sein kann. Auf
                                          keine Folge der schlechten Modellierung von Ange-               jeden Fall ist es sinnvoll, dass die Bundesregierung,
                                          botskrisen, sondern Ausdruck der großen Unsicher-               ggf. abgestimmt mit der Europäischen Kommission
                                          heit über die Dauer der akuten medizinischen Krise,             und den anderen Mitgliedstaaten, die Eckpunkte ei-
                                          der damit verbundenen einschränkenden Maßnah-                   nes Pakets, konditional auf verschiedene Szenarien,
                                          men der Regierungen weltweit, der Wirksamkeit der               möglichst rasch ausarbeitet, um es dann auch zum
                                          verschiedenen Gegenmaßnahmen und der Dauer                      optimalen Zeitpunkt in Kraft setzen zu können.
                                          der medizinischen und ökonomischen Unsicherheit,
                                          bis eine adäquate Behandlung von COVID-19 oder                           „Die Balance zwischen expansiver Geldpo-
                                          eine Impfung gegen das Virus gefunden wird.                          litik, einer Lockerung von strengen Kreditver-
                                                                                                               gaberegeln und der mittel- und langfristigen
                                         „Wirtschaftliche Prognosen sind aufgrund                              Stabilität des Bankensektors ist dabei ein ma-
                                       der medizinischen Unsicherheit durch unge-                              gisches Dreieck.“
                                       wohnt große Bandbreiten gekennzeichnet.“
                                                                                                              Die Geldpolitik dient ebenfalls dazu, möglichst
                                               Trotz dieser Unsicherheit sind die Maßnahmenpa-            viel Liquidität bereitzustellen. Dabei hat die EZB vor
                                          kete auf nationaler, supranationaler und internationa-          allem die Banken im Auge, die in einer solchen Situ-
                                          ler Ebene vom Prinzip her sehr ähnlich, wenngleich              ation Kredite vergeben sollen und damit Unterneh-
                                          sie sich naturgemäß vom Volumen her unterschei-                 men unterstützen, die dringend Liquidität brauchen.
                                          den, was nicht zuletzt auf die unterschiedlichen                Die Balance zwischen expansiver Geldpolitik, einer
                                          fiskalischen Spielräume zurückzuführen ist. Zur                 Lockerung von strengen Kreditvergaberegeln und
                                          gleichen Zeit werden Einschränkungen der wirt-                  der mittel- und langfristigen Stabilität des Banken-
                                          schaftlichen Aktivität zur Unterbrechung von Infek-             sektors ist dabei ein magisches Dreieck. Ein engma-
                                          tionsketten („social distancing“) und wirtschaftspo-            schiges und zeitnahes EU-weites Monitoringsystem
                                          litische Gegenmaßnahmen implementiert. Der Staat                soll implementiert werden, das über die regelmäßi-
                                          agiert im Rahmen dieser Gegenmaßnahmen als Ver-                 gen Stress-Tests der Banken hinausgeht, um eine
                                          sicherer des Umsatzausfalles. Die Instrumente dazu              nachgelagerte Finanzkrise zu verhindern, im Rah-
                                          sind in praktisch allen Staaten Stundungen von Kre-             men derer Banken aufgrund einer großen Anzahl
                                          ditraten, Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern,             uneinbringlicher Kredite in Schwierigkeit geraten.
                                          Kredithaftungen und Garantien, Kostenersatz für
                                          besonders stark betroffene Branchen, Beihilfen zur                    „Viel gewichtiger ist allerdings das Argu-
                                          Kurzarbeit, maßgeschneiderte Hilfspakete für einzel-                ment, dass die EU auf eine gemeinschaftliche
                                          ne Branchen und Härtefallfonds für besonders Be-                    Schuldenaufnahme nicht vorbereitet ist.“
                                          troffene, die durch die anderen Maßnahmen nicht
                                          abgesichert sind. Die Fiskalpolitik versucht damit,                Wiewohl eine gemeinsame Schuldnerhaftung
                                          auf den verschiedenen Ebenen die negativen Effek-               aus wirtschaftstheoretischer Sicht in einer Wäh-
                                          te der wirtschaftlichen Beschränkungen so gut es                rungsunion zu Effizienzgewinnen führen kann, spre-
                                          geht abzufedern. Das Ziel dabei ist Liquidität bereit-          chen im Moment viele Argument gegen die Einfüh-
                                          zustellen und Insolvenzen wirtschaftlich gesunder               rung von Corona-Bonds oder Eurobonds. In einer
                                          Unternehmen zu vermeiden. Die damit verbundenen                 wenig schlagkräftigen Form wären sie nichts ande-
                                          Mitnahmeeffekte wird man, zumindest zum Teil, ak-               res als ein ESM II. Sollten sie wirklich stärker wirk-

10                               Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
ÖGfE Policy Brief 11’2020
sam werden, würde die Einführung zu lange dauern,               Czypionka, T., Schnabl, A., Lappöhn, S., Plank,
weil EU-Vertragsveränderungen wohl nötig wären.                   K., Reiss, M., Weyerstraß, K., Wimmer, L., Zenz,
Viel gewichtiger ist allerdings das Argument, dass                H. (2020), Abschätzung der wirtschaftlichen
die EU auf eine gemeinschaftliche Schuldenaufnah-                 Folgen des Ausbruchs des neuartigen Coro-
me nicht vorbereitet ist. Dafür braucht es langfristig            navirus (SARS-CoV-2) – 5. Mai 2020, IHS Poli-
mehr als Koordination der nationalen Budgetpoli-                  cy Brief Nr. 13/2020. https://irihs.ihs.ac.at/id/
tiken. Angesichts des geringen Umfangs des EU-                    eprint/5314/2/ihs-policy-brief-2020-czypionka-
Budgets und der Größe der nationalen Budgets                      schnabl-et-al-wirtschaftliche-folgen-coronavirus-
bräuchte es dafür eine Erhöhung des EU-Budgets                    update-2020-05-05.pdf.
und einen europäischen Finanzminister mit Durch-
griffsrechten auf die nationalen Budgets. Eine sol-             Heinemann, F., Wambach, A. (2020), Corona-
che Position passt nicht in das aktuelle Institutio-              Anleihen sind das falsche Instrument. ZEW
nengefüge der EU (Asatryan et al., 2018). Die Gefahr              Standpunkt.     https://www.zew.de/de/presse/
von politischen Konflikten zwischen Nord und Süd                  pressearchiv/corona-anleihen-sind-das-falsche-
in der EU wäre groß und könnte zum Zerfall der Eu-                instrument/.
rozone und sogar der EU führen, wenn es keine
Konfliktlösungsmechanismen gibt. Corona-Bonds                   IWF (2020a), World Economic Outlook, April 2020,
nicht für die Altschulden einzusetzen oder gegen-                 Washington, DC.
über nationalen Anleihen zu begünstigen, um den
nördlichen Ländern entgegenzukommen, hätte laut                 IWF (2020b), Global Financial Stability Report. April
Analysen (Heinemann und Wambach, 2020) sogar                      2020, Washington, DC.
negative Folgen für die besonders betroffenen Län-
der im Süden Europas, weil sie sich bei der Refinan-            IWF (2020c), Exceptional Times, Exceptional Action:
zierung von nationalen Anleihen, die dann benach-                 Opening Remarks for Spring Meetings Press
teiligt wären, vielleicht sogar schwerer tun würden.              Conference. By Kristalina Georgieva, IMF Mana-
Ein Ausbau des ESM und eine Änderung der ESM-                     ging Director, Washington, DC.
Regeln sind zu bevorzugen.
                                                                Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2020),
                       Literatur                                  Wirtschaft unter Schock – Finanzpolitik hält da-
                                                                  gegen, Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2020,
Ahir, H., Bloom, N., Furceri, D. (2020), Global Uncer-            München.
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                                                                  economic-impact-of-covid-19) (abgerufen am
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Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999                               11
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                                          Über die Autoren
                                          Univ.-Prof. Dr. Martin Kocher ist Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Höhere
                                          Studien (IHS) und Professor an der Universität Wien.

                                          Kontakt: martin.kocher@ihs.ac.at

                                          PD Dr. Klaus Weyerstraß ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Höhere Studi-
                                          en (IHS), Gruppe „Makroökonomie und Wirtschaftspolitik“, sowie Lehrbeauftragter an der
                                          Wirtschaftsuniversität Wien.

                                          Kontakt: klaus.weyerstrass@ihs.ac.at

                                          Über die ÖGfE
                                          Die Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) ist ein parteipolitisch unabhän-
                                          giger Verein auf sozialpartnerschaftlicher Basis. Sie informiert über die europäische In-
                                          tegration und steht für einen offenen Dialog über aktuelle europapolitische Fragen und
                                          deren Relevanz für Österreich. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Bezug auf die
                                          Förderung einer europäischen Debatte und agiert als Katalysator zur Verbreitung von eu-
                                          ropapolitischen Informationen.

                                          ISSN 2305-2635                                                         Impressum

                                          Die Ansichten, die in dieser Publikation zum Ausdruck kom-             Österreichische Gesellschaft für Europapolitik
                                          men, stimmen nicht unbedingt mit jenen der ÖGfE oder je-               Rotenhausgasse 6/8-9
                                          ner Organisation, für die die Autoren arbeitet, überein.               A-1090 Wien, Österreich

                                          Schlagwörter                                                           Generalsekretär: Mag. Paul Schmidt
                                          Coronavirus, SARS-CoV-2, wirtschaftliche Auswirkungen,
                                          wirtschaftspolitische Maßnahmen, Österreich, Europa                    Verantwortlich: Dr. Susan Milford-Faber

                                          Zitation                                                               Tel.: +43 1 533 4999
                                          Kocher, M., Weyerstraß, K. (2020). Coronavirus stellt nati-            Fax: +43 1 533 4999 – 40
                                          onale und internationale Wirtschaftspolitik vor große Her-             E-Mail: policybriefs@oegfe.at
                                          ausforderungen. Wien. ÖGfE Policy Brief, 11’2020                       Web: http://oegfe.at/policybriefs

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