Coronavirus stellt nationale und internationale Wirtschaftspolitik vor große Herausforderungen
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ÖGfE Policy Brief 11’2020 Coronavirus stellt nationale und internationale Wirtschaftspolitik vor große Herausforderungen Von Martin G. Kocher, Klaus Weyerstraß Wien, 13. Mai 2020 ISSN 2305-2635 Handlungsempfehlungen 1. Angebotsseitige Maßnahmen zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Krise werden von fast allen ExpertInnen als sinnvoll erachtet. Hinsichtlich der eher umstrittenen Frage eines österreichischen Konjunkturpakets erscheint es sinnvoll, die Eckpunkte, konditional auf verschiedene Szenarien, möglichst rasch auszuarbeiten, um es dann zum optimalen Zeitpunkt in Kraft setzen zu können. 2. Bezüglich des Finanzsektors sollte ein engmaschiges und zeitnahes EU- Monitoringsystem implementiert werden, das über die regelmäßigen Stress-Tests der Banken hinausgeht, um eine nachgelagerte Finanzkrise zu verhindern, im Rahmen derer Banken aufgrund einer großen Anzahl von uneinbringlichen Krediten in Schwierigkeiten geraten. 3. Für Corona-Bonds oder Eurobonds bräuchte es langfristig einen europäischen Finanzminister mit Durchgriffsrechten auf die nationalen Budgets, aber eine solche Position passt nicht in das aktuelle Institutionengefüge der EU. Ein Ausbau des Europäischen Stabilitätsmechanismus und eine Änderung seiner Regeln sind zu bevorzugen. Zusammenfassung Aus ökonomischer Sicht verursacht die Corona-Krise sche Bundesregierung stellt ein Paket im Umfang von Angebots- und Nachfrageschocks von teils histori- 38 Mrd. Euro bereit, das Direktzahlungen, Garantien schem Ausmaß. In der Industrie sind Lieferketten un- und Haftungen zur Kreditsicherung von Unternehmen terbrochen, viele Dienstleistungsunternehmen werden und Steuerstundungen umfasst. Dazu kommen zu- zur Eindämmung der Pandemie durch „soziale Distan- sätzliche Mittel für den Gesundheitsbereich und ein zierung“ behördlich geschlossen. In Österreich sinkt massiver Ausbau der Kurzarbeitsbeihilfen. Die Staats- die Wertschöpfung in jeder Woche des Shutdown um und Regierungschefs haben sich auf ein erstes EU- rund 2,2 Mrd. Euro. Die Arbeitslosigkeit steigt kräftig, Paket von 540 Mrd. Euro verständigt; Corona-Bonds und die Beschäftigung geht stark zurück. Weltweit werden diskutiert. Auch die EU-Kommission stellt ver- haben die Zentralbanken, soweit sie dafür noch Spiel- schiedene Finanztöpfe bereit. Der Policy Brief stellt die raum hatten, die Leitzinsen gesenkt und stellen um- Maßnahmen detailliert dar und diskutiert deren Wirk- fangreiche Liquidität zur Verfügung. Die österreichi- samkeit und mögliche Alternativen. Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999 1
ÖGfE Policy Brief 11’2020 Coronavirus stellt nationale und internationale Wirtschaftspolitik vor große Herausforderungen Von der lokalen Epidemie zur Pandemie ropa gab. Gemäß Daten des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) traten in Am 31. Dezember 2019 wurde die Weltgesund- Deutschland am 28. Jänner und in Österreich am heitsorganisation WHO von den chinesischen Be- 25. Februar die ersten Fälle auf. Am 11. März er- hörden über 44 Fälle einer bis dahin unbekannten klärte die WHO die Viruserkrankung zur Pandemie, Lungenkrankheit informiert, die in der zentralchi- also zu einer Epidemie mit weltweiter Verbreitung. nesischen Elf-Millionen-Einwohner-Stadt Wuhan in Inzwischen (Stand 4.5.2020) sind nach Angaben der Provinz Hubei ihren Ausgangspunkt hatte. Am des ECDC weltweit knapp 3,5 Millionen Menschen 7. Jänner 2020 wurde das für diese Krankheit ver- mit dem Coronavirus infiziert, und mehr als 245.000 antwortliche neuartiges Coronavirus isoliert und Personen sind mit oder an COVID-19 verstorben. zunächst als 2019-nCoV bezeichnet (WHO, 2020). Die höchsten Zahlen von Infektionen verzeichnen Am 11. Februar verlautbarte die WHO als neue Be- Mitte Mai weltweit die USA bzw. in Europa Spanien, zeichnung SARS-CoV-2, und die von dem Erreger Italien, Frankreich und das Vereinigte Königreich. In ausgelöste Lungenkrankheit wurde als COVID-19 Österreich hat sich die Ausbreitung des Coronavi- benannt. Zwischen dem 13. und dem 20. Jänner rus inzwischen stark verlangsamt. Die Zahl der täg- wurden aus Thailand, Japan und Südkorea die ers- lichen Neuinfektionen liegt bereits seit 19.4. im zwei- ten Infektionsfälle mit SARS-CoV-2 außerhalb Chi- stelligen Bereich. Abbildung 1 zeigt im oberen Teil nas gemeldet. In Europa wurden die ersten drei Fälle die Verläufe der Infektionszahlen für China und aus- am 24. Jänner in Frankreich gemeldet, wo es am 15. gewählte europäische Länder sowie im unteren Teil Februar auch den ersten bestätigten Todesfall in Eu- die Verläufe in den USA und in der Welt insgesamt. Abbildung 1: SARS-CoV-2-Fälle nach Land Quelle: European Centre for Disease Prevention and Control (https://www.ecdc.europa.eu/en/publications-data/download-todays- data-geographic-distribution-covid-19-cases-worldwide); eigene Darstellung. 2 Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
ÖGfE Policy Brief 11’2020 Maßnahmen zur Eindämmung der schränkungen erlassen. In fast allen Ländern muss- Pandemie ten Geschäfte schließen, die als nicht notwendig angesehene Waren verkaufen. Auch Restaurants, Zur Eindämmung der Pandemie haben die Re- Kultur-, Sport- und Freizeiteinrichtungen mussten gierungen aller Länder, in denen sich das Corona- schließen. In Deutschland, Österreich und anderen virus rasch ausbreitete, teils drastische Maßnahmen Ländern mit ähnlich günstigem Verlauf der Pandemie ergriffen. Diese zielen vor allem auf „soziale Distan- wird nach rund sechs- bis siebenwöchiger Dauer die- zierung“ ab, also darauf, die unmittelbaren Kontak- ses Shutdown allmählich mit dem Wieder-Hochfah- te zwischen den Menschen stark einzuschränken. ren der ökonomischen Aktivität begonnen. Die Daten Dabei setzten die Regierungen meist zunächst auf der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und zum Appelle, indem sie etwa dazu aufriefen, Massen- Arbeitsmarkt zeigt, dass die Shutdown-Maßnahmen versammlungen zu vermeiden. Später wurden aber und die Unterbrechung der Lieferketten erhebliche immer mehr Zwangsmaßnahmen getroffen. Zu- negative gesamtwirtschafte Effekte zeitigen. nächst hatte die Regierung in China am 23. Jänner die Stadt Wuhan von der Außenwelt abgeschnitten. Wirtschaftliche Folgen der Pandemie In der ersten Märzhälfte wurden in Italien, Frank- reich, Spanien und den Niederlanden die Schulen Kurzfristige konjunkturelle Effekte und Universitäten geschlossen. Beinahe alle Staa- ten in der EU und darüber hinaus schlossen die Die direkten und indirekten ökonomischen Aus- Grenzen für den Personenverkehr. Italien, Spanien wirkungen der Corona-Pandemie sind in Abbildung und Frankreich haben zudem strikte Ausgangsbe- 2 schematisch dargestellt. Abbildung 2: Übersicht über die ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Shretta (2020). Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999 3
ÖGfE Policy Brief 11’2020 Es können direkte und indirekte Kosten unter- essentiell eingestufte Produkte herstellen. Zudem schieden werden (vgl. Shretta, 2020). Direkte Kos- müssen jene Branchen mit überdurchschnittlich ten fallen etwa für Virus- und Antikörpertests sowie hohen Umsatzausfällen rechnen, deren Nachfrage die Ermittlung von Kontaktpersonen, die medizini- aufgrund der eingeschränkten Ausgangsmöglich- sche Betreuung, Kontrollen zur Eindämmung der keiten und Reisefreiheiten verloren geht. Pandemie sowie die Gehälter des Gesundheitsper- sonals an. Direkte Kosten umfassen zudem die Auf- Auch von der Finanzierungsseite geraten Unter- wendungen für die Entwicklung neuer Medikamente nehmen und Staaten unter Druck. Als sich im März und Impfstoffe. Auch Ausgaben für Hygieneartikel, die Pandemie in Europa stark ausbreitete, kam es Desinfektionsmittel und Schutzausrüstung sind zu an den Finanzmärkten zu massiven Kurseinbrü- den direkten Kosten zu zählen. Diese fallen bei Un- chen. Die Risikoaufschläge auf Unternehmensan- ternehmen, privaten Haushalten und dem Staat an. leihen und auf die Staatsanleihen von Staaten mit hohen Schuldenständen stiegen beträchtlich. Damit Indirekte Kosten entstehen aufgrund von Fehlzei- erhöhen sich die Finanzierungskosten. Der Internati- ten der Arbeitskräfte oder durch die staatlich ver- onale Währungsfonds (IWF) schreibt in seinem Mitte ordneten Shutdown-Maßnahmen zur Eindämmung April erschienen Finanzstabilitätsbericht, dass die der Pandemie. So entstehen Produktivitätsverlus- Corona-Pandemie eine Herausforderung von his- te, wenn Personen wegen Krankheit, Quarantäne torischem Ausmaß für die Stabilität des globalen oder Kinderbetreuungspflichten ihren Arbeitsplatz Finanzsystems darstellt (IWF, 2020b). Falls es auf- nicht aufsuchen können. Im Ergebnis treten sowohl grund von Liquiditätsproblemen oder einer großen Angebots- als auch Nachfrageschocks auf. Ange- Zahl von Unternehmensinsolvenzen zu hohen Kre- botsschocks entstehen durch die Schließung von ditausfällen kommt, würde dies die Banken unter Betrieben, Hotels, Restaurants und anderen Unter- Druck setzen, unter Umständen ihre Kreditvergabe nehmen, die als „nicht wesentlich“ gelten. Nachfra- zu reduzieren. Auch können die Risikoaufschläge geschocks resultieren aus einer Verringerung von auf Unternehmensanleihen weiter steigen und so- Konsum, Reisen, Transport und anderen Ausgaben. mit die Finanzierungskosten erhöhen. Sorgen berei- ten dem IWF unter anderem hohe Schuldenstände „Die größten Einbußen erleiden jene Bran- von Unternehmen und Privathaushalten. Beson- chen, die ihre Tätigkeit vollständig einstellen ders gefährdet sind nach Einschätzung des IWF die mussten, also vor allem viele Dienstleistungs- Schwellenländer. Dort kam es bereits zu massiven unternehmen und in manchen Ländern auch Kapitalabzügen. Industriebetriebe, die nicht als essentiell ein- gestufte Produkte herstellen.“ Zudem geriet der Ölpreis stark unter Druck. Am 9. März kam es zum stärksten Einbruch des Ölprei- Im Verarbeitenden Gewerbe treten neben den ses seit dem Beginn des Golfkriegs im Jänner 1991. Produktivitätseinbußen vor allem Probleme durch Neben der Corona-Pandemie hatte dazu auch das die Unterbrechung von Lieferketten auf. Dazu trägt Scheitern von Verhandlungen zwischen der OPEC auch die Schließung der Grenzen bei. Auch wenn und Russland über Förderkürzungen beigetragen. diese nur auf den Personenverkehr abzielen, verur- Von dem Ölpreisverfall profitieren zwar die Ölim- sachen sie Staus an den Grenzübergängen mit er- portländer, aber jene Schwellenländer, deren Wirt- heblichen Beeinträchtigungen des Warenverkehrs. schaftsleistung und Staatseinnahmen wesentlich auf Erdölexporten beruhen, erleiden starke wirt- Die größten Einbußen erleiden jene Branchen, die schaftliche Einbußen. Deshalb haben sich am 13. ihre Tätigkeit vollständig einstellen mussten, also vor April die OPEC und wichtige andere Ölproduzenten allem viele Dienstleistungsunternehmen und in man- auf eine Reduktion der Fördermenge geeinigt. Die chen Ländern auch Industriebetriebe, die nicht als Preise sanken aber weiter, weil der Nachfrageein- 4 Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
ÖGfE Policy Brief 11’2020 bruch noch stärker war als die Angebotskürzung. -9,8%, Spanien -7,9%, Frankreich -4,1%). Für Ös- Am 20. April war der Preis für ein Barrel der US- terreich wird ein Rückgang um 3,9% erwartet. Für Sorte West Texas Intermediate (WTI) erstmals in der die USA wird ein BIP-Rückgang um 4% voraus- Geschichte sogar negativ, d.h. man wurde für die gesagt, für China ein Wachstumseinbruch auf 1% Abnahme von Öl sogar bezahlt. (nach 6,2% im Jahr 2019). Der Welthandel dürfte um 7,4% einbrechen. Unter der Annahme, dass die „Der Grad der Unsicherheit im Zusammen- Shutdown-Maßnahmen ab Mitte April schrittweise hang mit dem Coronavirus ist beispiellos.“ gelockert werden, wird für die zweite Jahreshälfte und für das Jahr 2021 eine markante wirtschaftliche Auch die wirtschaftspolitische Unsicherheit ist Erholung erwartet. So dürften das weltweite Brut- aufgrund der Coronavirus-Pandemie sprunghaft toinlandsprodukt um 5,4% und der Welthandel um gestiegen. Um diese Unsicherheit zu quantifizieren, 7% expandieren. Pessimistischer ist der IWF, der in hat der IWF den World Pandemic Uncertainty Index seinem Mitte April erschienen Weltwirtschaftsaus- (WPUI), einen Unterindex des World Uncertainty In- blick für 2020 von einem Rückgang der weltweiten dex, für 143 Länder entwickelt (Ahir et al., 2020). Da- Wirtschaftsleistung um 3% ausgeht, gefolgt von ei- bei wird die Häufigkeit gezählt, mit der das Wort „Un- nem Wachstum um 5,8% im kommenden Jahr. Für sicherheit“ in den Länderberichten der Economist Österreich erwartet der IWF im Jahr 2020 einen Ein- Intelligence Unit (EIU) im Zusammenhang mit Pan- bruch des realen Bruttoinlandsprodukts um 7% und demien oder Epidemien erwähnt wird. Der Grad der für 2021 einen Anstieg um 4,5% (IWF, 2020a). Unsicherheit im Zusammenhang mit dem Corona- virus ist beispiellos. Zum 31. März ist der Indexwert „Absolut am größten ist der Wertschöp- dreimal so hoch wie während der SARS-Epidemie fungsrückgang im Verarbeitenden Gewerbe, 2002/2003 und etwa 20 Mal so groß wie während gefolgt vom Bereich Beherbergung und Gast- des Ebola-Ausbruchs. Es wird erwartet, dass der ronomie sowie vom Groß- und Einzelhandel.“ Grad der Unsicherheit in Bezug auf das Coronavirus hoch bleibt, da nicht klar ist, wann die Krise beendet Für Österreich schätzen Czypionka et al. (2020), sein wird. Die Unsicherheit im Zusammenhang mit dass das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2020 auf- der aktuellen Pandemie nahm zunächst in China zu, grund des neuartigen Coronavirus und der damit ist nun aber in vielen Ländern sichtbar. Die hohe Un- zusammenhängenden Maßnahmen um knapp 36 sicherheit dürfte negativ auf den privaten Konsum Mrd. Euro sinken wird. Dies entspricht rund 9% der und die Investitionen wirken. Zu der Kaufzurückhal- österreichischen Wirtschaftsleistung. Besonders tung und dem Investitionsattentismus dürfte insbe- stark fällt nach diesen Schätzungen der Einbruch sondere beitragen, dass die Dauer der Einschrän- in Tirol, Vorarlberg und Salzburg mit jeweils rund kungen der normalen wirtschaftlichen und sozialen 10% aus, weil in diesen Bundesländern der Touris- Abläufe nicht sicher ist. mus von überdurchschnittlicher Bedeutung ist. Ab- solut am größten ist der Wertschöpfungsrückgang Die Projektgruppe Gemeinschaftsdiagno- im Verarbeitenden Gewerbe, gefolgt vom Bereich se (2020), an der das Institut für Höhere Studien Beherbergung und Gastronomie sowie vom Groß- (IHS) als Partner des RWI - Leibniz-Institut für Wirt- und Einzelhandel. Relativ sind die Bereiche Beher- schaftsforschung in Essen beteiligt ist, schätzt, bergung und Gastronomie, Kunst, Unterhaltung dass weltweit das reale Bruttoinlandsprodukt als und Erholung sowie Erbringung von freiberuflichen, Folge der SARS-CoV-2-Pandemie einbricht. Für die wissenschaftlichen und technischen Dienstleistun- Welt insgesamt wird im Frühjahrsgutachten Anfang gen am stärksten betroffen. Es gibt nur wenige Sek- April ein Rückgang der Wirtschaftsleistung um 2,5% toren, deren Wertschöpfung und Arbeitsvolumen angenommen. Für die EU27 ein Rückgang um 5,1% sich erhöhen. Hierzu zählen das Gesundheits- und prognostiziert (darunter Deutschland -4,2%, Italien Sozialwesen sowie die öffentliche Verwaltung. Bei Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999 5
ÖGfE Policy Brief 11’2020 den Schätzungen werden der Shutdown sowie die Außerdem könnte es durch verbesserte digitale Ar- internationalen Auswirkungen und folglich die wirt- beitsmöglichkeiten zu einer Verringerung von Ge- schaftlichen Verflechtungen mit dem Ausland be- schäftsreisen kommen. Analog profitiert der Online- rücksichtigt. handel zulasten des stationären Einzelhandels. Die Arbeitslosigkeit steigt in fast allen Ländern „Dass es zeitweise durch die Grenzkontrol- sprunghaft. So ist in den USA die Zahl der wöchent- len zu langen Staus und Verzögerungen beim lichen Erstanträge auf Arbeitslosenunterstützung, grenzüberschreitenden Güterverkehr kam, die im langjährigen Durchschnitt bei rund 250.000 hat deutlich vor Augen geführt, wie wichtig liegt, mit Stichtag 21. März auf rund 3,3 Millionen der europäische Binnenmarkt mit seinem frei- hochgeschnellt und hat sich dann nochmals auf en Warenverkehr ist.“ jeweils etwa 6,6 Millionen in den beiden folgenden Wochen verdoppelt, bevor die Zahl wieder ein we- Hinsichtlich der Globalisierung ist zwar kein ver- nig auf 5,25 Millionen abnahm. stärkter Gegentrend zu erwarten. Gleichwohl haben die zeitweiligen Engpässe in manchen europäischen In Österreich ist die Beschäftigung im März 2020 Ländern bei der Versorgung mit Medikamenten und im Vorjahresvergleich um 5% gesunken. Besonders Medizinprodukten sowie vorübergehende Export- stark war der Einbruch mit 41% im Bereich Beher- verbote in einzelnen Ländern gezeigt, dass eine zu bergung und Gastronomie. Aber auch der Bau so- starke Abhängigkeit von einzelnen (vornehmlich asi- wie die wirtschaftlichen und persönlichen Dienst- atischen) Ländern bei diesen notwendigen Produk- leistungen waren stark betroffen. Dies war der erste ten in Krisenzeiten problematisch sein kann. Medi- Beschäftigungsrückgang seit dem Jahr 2009 und kamente und Medizinprodukte werden daher wohl der stärkste seit Dezember 1952. Während der Fi- verstärkt in Europa produziert werden. Ähnliches nanzkrise wurde der stärkste Rückgang im April trifft auf die globalen Liefer- und Wertschöpfungs- 2009 mit 2,3% im Vorjahresvergleich verzeichnet. ketten im Verarbeitenden Gewerbe zu. Hier würde Die Zahl der Arbeitslosen schnellte im März 2020 eine stärkte Diversifizierung von Lieferbezügen die gegenüber dem gleichen Vorjahresmonat um knapp Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten verringern. 200.000 Personen bzw. rund 66% nach oben. Die im Zuge der Corona-Krise ausgeweitete Kurzarbeit Dass es zeitweise durch die Grenzkontrollen zu wurde Mitte Mai von rund 1,3 Millionen Personen in langen Staus und Verzögerungen beim grenzüber- Anspruch genommen, vor allem im Verarbeitenden schreitenden Güterverkehr kam, hat deutlich vor Gewerbe und im Handel. Während der Finanzkrise Augen geführt, wie wichtig der europäische Binnen- wurde der Höhepunkt mit 56.728 geplanten bzw. markt mit seinem freien Warenverkehr ist. Gleiches 37.348 realisierten Kurzarbeitsfällen im April 2009 gilt für die Freizügigkeit im Personenverkehr, was erreicht (Bock-Schappelwein et al., 2011). das Fehlen von Pflegekräften, Erntehelfern und Ar- beitskräften im Baubereich gezeigt hat. Mittelfristige Effekte Wirtschaftspolitische Maßnahmen Neben den kurzfristigen Einbrüchen der Wirt- schaftsleistung aufgrund unterbrochener Lieferket- Internationale Maßnahmen ten oder staatlich angeordneter Unternehmens- schließungen dürfte die Corona-Pandemie auch Weltweit haben Zentralbanken, Regierungen und mittelfristige ökonomische Effekte nach sich ziehen. internationale Organisationen massive Program- So könnte der Zwang zum Arbeiten im Homeoffice me aufgelegt, um die wirtschaftlichen und sozialen bzw. zur Distanzlehre an Universitäten und Schulen Folgen des ökonomischen Einbruchs abzufedern. der Digitalisierung zusätzlichen Schub verleihen. Nach Angaben des IWF belaufen sich Mitte April die 6 Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
ÖGfE Policy Brief 11’2020 von den Regierungen beschlossen fiskalpolitischen sind ein Härtefallfonds (mittlerweile von 1 Mrd. auf Maßnahmen weltweit auf 8 Billionen Dollar und die 2 Mrd. Euro aufgestockt), ein Corona-Hilfsfonds mit von Zentralbanken bereitgestellten Liquiditätshilfen 15 Mrd. Euro, Garantien und Haftungen zur Kredit- auf 6 Billionen Dollar (IWF, 2020c). sicherung von Unternehmen (mit 9 Mrd. Euro) und Steuerstundungen im Umfang von 10 Mrd. Euro. Die Weltbank hat Anfang April beschlossen, in Dazu kommen zusätzliche Mittel für den Gesund- den nächsten 15 Monaten bis zu 160 Milliarden US- heitsbereich und die Erstattung der Kosten für die Dollar bereitzustellen, um Ländern zu helfen, die Kurzarbeitsbeihilfen. ärmsten Bevölkerungsgruppen sowie Unternehmen zu unterstützen und die wirtschaftliche Erholung zu Der 15 Mrd. Euro schwere Corona-Hilfsfonds fördern. Der IWF hat Schuldenerleichterungen für dient der Unterstützung von Unternehmen, die mas- 25 arme Länder beschlossen. Derzeit stehen dafür sive Umsatzrückgänge zu verzeichnen haben. Je 540 Millionen Dollar zur Verfügung, der IWF drängt nach Betroffenheit des Unternehmens, gemessen aber die Mitgliedstaaten auf eine Erhöhung dieses an Umsatzrückgängen im Vergleich zum Vorjahr, Betrages auf 1,4 Mrd. Dollar. Zudem stellt der IWF kann ein Kredit bis zur Höhe eines Quartalsum- zusätzliche Kreditlinien zur Verfügung. satzes beantragt werden. Von diesem Kredit muss dann, wiederum je nach Betroffenheit, ein Teil nicht „Weltweit haben Zentralbanken, Regierun- mehr zurückgezahlt werden. Das Maximum sind gen und internationale Organisationen massi- 75% der Fixkosten und die Kosten für wertlos ge- ve Programme aufgelegt, um die wirtschaftli- wordene Waren im relevanten Zeitraum. Arbeitskos- chen und sozialen Folgen des ökonomischen ten werden nicht abgedeckt; dafür soll die Corona- Einbruchs abzufedern.“ Kurzarbeitsregelung greifen, die je nach Lohnniveau 80% bis 90% des Lohns davor abdeckt und sogar In den USA hat die Notenbank die Leitzinsen um eine temporäre Reduktion der Arbeitszeit auf null insgesamt 150 Basispunkte gesenkt, die Leitzin- Stunden erlaubt. Die Kredite aus dem Corona-Hilfs- sen in den USA liegen jetzt nahe bei null. Zusätz- fonds garantieren 90% der Kreditsumme, bei einer lich wurden umfangreiche Anleihekaufprogramme Laufzeit von maximal fünf Jahren, die nochmals um begonnen. Die Regierung hat finanzpolitische Maß- fünf Jahre verlängert werden kann. In die nur teilwei- nahmen mit einem Gesamtumfang von rund 2 Billi- se rückzuzahlenden Fixkosten fallen unter anderem onen Dollar zur Stabilisierung der Konjunktur ange- Miete, Strom, Gas, Zinsaufwendungen und verderb- kündigt. Insbesondere umfassen diese Maßnahmen liche bzw. saisonale Waren, die wegen der Corona- Notkredite und Bürgschaften für Unternehmen, di- Krise zumindest 50% an Wert verloren haben. rekte Transfers an Haushalte sowie eine Erhöhung und Verlängerung der Arbeitslosenunterstützung. Für den Corona-Hilfsfonds gilt eine Obergrenze von 120 Mill. Euro. Über Hilfen für Unternehmen, die Österreichische Maßnahmen über diese Obergrenze hinausgehen, soll im Einzel- fall entschieden werden. Dafür hat die Bundesregie- Auch die österreichische Bundesregierung hat rung eine analoge Vorgangsweise wie im Rahmen – wie andere europäische Regierungen in unter- des Hilfsfonds angekündigt, zusätzliche Bedingun- schiedlichem Ausmaß – ein umfangreiches Paket gen bzw. Beteiligungen an den betroffenen Unter- zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der nehmen aber nicht ausgeschlossen. Neben der Pandemie aufgelegt. Es handelt sich dabei um ei- Verhinderung von Insolvenzen geht es dort auch nen Umfang von 38 Mrd. Euro, wobei schon bei der um die Verhinderung nicht erwünschter Übernah- Ankündigung verlautbart wurde, dass die Regierung men aus dem Ausland. sowohl beim Umfang als auch bei der Verteilung auf verschiedene Teilpakete flexibel sei. Inkludiert Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999 7
ÖGfE Policy Brief 11’2020 Der Härtefallfonds greift für Unternehmen, die weitet. Insgesamt stehen daher gegenwärtig (Mit- nicht unter den Corona-Hilfsfonds fallen. Darunter te April) zusätzliche 870 Mrd. Euro für den flexiblen fallen vor allem Ein-Personen-Unternehmen (EPU, Ankauf von Schuldverschreibungen des öffentlichen neue Selbständige), freie Dienstnehmer nach §4 und privaten Sektors bis Ende des Jahres zur Verfü- Abs. 4 ASVG und Kleinstbetriebe. In der Phase 1 gung. Dies entspricht rund einem Drittel des gesam- konnten bis 1.000 Euro, in der vor kurzem begonne- ten bisherigen Ankaufprogrammes der EZB, das seit nen Phase 2 können insgesamt bis zu 6.000 Euro 2014 läuft. Im Rahmen des PEPP dürfen, anders als Unterstützung beantragt werden. in den bisherigen Anleihekaufprogrammen, auch griechische Staatsanleihen gekauft werden. Außer- Zu den oben beschriebenen Gegenmaßnahmen dem werden die im November wieder aufgenomme- zur Sicherung der Liquidität und des Überlebens nen Ankäufe von monatlich 20 Mrd. Euro fortgeführt. von Unternehmen kommen eine Vielzahl an Maß- Die aufsichtsrechtlichen Maßnahmen beinhalten nahmen für spezifische Branchen, Bundesländer, insbesondere temporäre Kapitalerleichterungen Hilfsfonds von Berufsvertretungen, etc. und operative Flexibilität (Projektgruppe Gemein- schaftsdiagnose, 2020). Die Aufteilung der Anleihen Maßnahmen der Europäischen Zentralbank nach Staaten zeigt, dass die EZB mehr italienische und der Europäischen Union Staatsanleihen gekauft hat, als es dem Kapitalanteil der Banca d’Italia an der EZB entspricht.2 Die Europäische Zentralbank (EZB) hat im März eine Reihe expansiver Maßnahmen beschlossen. „Die Europäische Zentralbank (EZB) hat im Diese betreffen längerfristige Refinanzierungsge- März eine Reihe expansiver Maßnahmen be- schäfte, das laufende Ankaufprogramm und auf- schlossen.“ sichtsrechtliche Vorgaben. Die Leitzinsen blieben dagegen unverändert, da der Hauptrefinanzierungs- Die Europäische Kommission hat am 20. März satz bereits bei 0% lag und der Einlagesatz mit vorgeschlagen, die allgemeine Ausweichklausel des 0,5% bereits negativ war. Neu beschlossen wurden Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) zu aktivie- zunächst zusätzliche längerfristige Refinanzierungs- ren.3 Damit ist eine höhere Neuverschuldung als 3% geschäfte, um den Zeitraum bis zu den bereits ge- in Relation zur Wirtschaftsleistung zulässig. Formell planten Gezielten Langfristigen Refinanzierungsge- beschließen kann dies nur der Europäische Rat der schäften (GLRG-III)1 im Juni zu überbrücken und Finanzminister. Die EU-Kommission hat darüber hi- damit die Liquidität bis dahin sicherzustellen. Dar- naus Anfang April mit „SURE“ ein befristetes Instru- über hinaus wurden für die geplanten Refinanzie- ment zur Unterstützung von Kurzarbeit vorgeschla- rungsgeschäfte ab Juni die Bedingungen deutlich gen. Zudem wurden die Vorschriften für staatliche gelockert. Zudem wurden zusätzliche Nettoankäu- Beihilfen überarbeitet und eine 37 Mrd. Euro umfas- fe im Rahmen des laufenden Programmes zum An- sende Investitionsinitiative beschlossen, um kleinere kauf von Vermögenswerten (APP) in Höhe von 120 Mrd. Euro bis Ende 2020 beschlossen. Einige Tage später wurden die angekündigten Käufe mit dem Corona-Notfallankaufprogramm (Pandemic Emer- gency Purchase Programme, PEPP) von 750 Mrd. Euro bis Jahresende noch einmal drastisch ausge- 2) Informationen zu den verschiedenen Anleihekaufprogram- men der EZB und eine Aufschlüsselung der Staatsanleihen nach Ländern findet sich hier: https://www.ecb.europa.eu/mopo/im- 1) Für eine Erläuterung dieser Geschäfte vgl. https://www. plement/omt/html/index.en.html. bundesbank.de/de/aufgaben/geldpolitik/offenmarktgeschaefte/ gezielte-laengerfristige-refinanzierungs-geschaefte-iii/gezielte- 3) https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ laengerfristige-refinanzierungs-geschaefte-iii-782974. ip_20_499. 8 Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
ÖGfE Policy Brief 11’2020 Betriebe und den Gesundheitssektor mit Krediten sind – neben den ökonomischen Differenzen über zu versorgen.4 die grundsätzliche Sinnhaftigkeit – die unterschied- lichen Vorstellungen zur konkreten Ausgestaltung Die europäischen Finanzminister haben sich auf solcher Bonds. Einige Staaten sehen darin ein Son- ein Corona-Rettungspaket verständigt, das mindes- dervehikel zur Finanzierung der Folgekosten der tens 540 Mrd. Euro umfassen soll. Es beinhaltet Kre- Corona-Krise, also quasi einen ESM II mit speziel- dite durch die Europäische Investitionsbank EIB, das len Regeln und Konzentration auf die Corona-Krise. bereits erwähnte SURE-Programm sowie Kredite, Andere Staaten sehen darin den Einstieg in eine ge- die beim europäischen Rettungsfonds ESM (Euro- nerell gemeinschaftliche Schuldenaufnahme durch päischer Stabilitätsmechanismus) abgerufen werden Eurobonds. können. Wie immer ist bei den genannten Zahlen ex ante nicht ganz klar, wie hoch die tatsächlich zusätz- „Die Einzigartigkeit der Situation erfordert lich verfügbaren Mittel sind, welche sich nicht aus wirtschaftspolitisch viel Pragmatismus.“ Umschichtungen ergeben, und wie hoch der Lever- agenanteil der Summe ist. Als viertes Element wurde Zudem gibt es laufende Diskussionen auf EU- ein europäischer Wiederaufbaufonds genannt, des- Ebene zur Frage, inwieweit der Mehrjährige Finanz- sen Ausgestaltung noch in Verhandlung ist. rahmen 2021-27 für die Krisenbewältigung einge- setzt werden kann und wie mögliche Krisenkosten Die im Rahmen des ESM nutzbaren Mittel sind finanziert werden können. Dabei geht es auch um die pro Land auf 2% des BIP begrenzt. Die einzige Auf- Frage, zu welchem Anteil ein europäischer Wieder- lage für den Zugriff auf die Mittel ist die direkte oder aufbaufonds aus Krediten besteht und zu welchem indirekte Verwendung für das Gesundheitswesen. Anteil aus nicht-rückzahlbaren Zuschüssen. Wer die Allerdings scheinen Lockerungen dieser Regelun- EU kennt, weiß, dass das Ergebnis eine Mischung gen durchaus möglich, insbesondere wenn der Zu- aus den verschiedenen Ansätzen sein wird und sein griff auf die Mittel aus dem ESM mit der Diskussion muss – ein vorsichtig austarierter Kompromiss, der über den Wiederaufbaufonds verknüpft werden. im Idealfall allen Mitgliedsregierungen erlaubt, sich zu Hause als jene darzustellen, die sich mit ihrem „Die europäischen Finanzminister haben Konzept durchgesetzt haben. Wenn daraus ein ge- sich auf ein Corona-Rettungspaket verstän- wisser Pragmatismus entsteht, ist das vielleicht gar digt, das mindestens 540 Mrd. Euro umfassen nicht schlecht. Die Einzigartigkeit der Situation erfor- soll.“ dert wirtschaftspolitisch viel Pragmatismus. Um diesen Wiederaufbaufonds hat sich in den Zusammenfassung und Einschätzung letzten Wochen eine politische Diskussion entspon- nen. Die entscheidende politische Frage ist, ob er Die Corona-Krise ist ein exogener nicht-ökono- durch sogenannte Corona-Bonds gespeist wird, mischer Schock, der aufgrund seines Ausmaßes also Anleihen in der Eurozone (oder gar der Euro- nur durch den massiven Einsatz geld- und fiskal- päischen Union), für die eine gesamtschuldnerische politischer Instrumente auf nationaler, supranatio- Haftung gilt. Ein Grund für die lebhafte Diskussion naler und internationaler Ebene abgemildert wer- den kann. Auf die durch die Einschränkungen der wirtschaftlichen Aktivität und durch unterbrochene 4) https://ec.europa.eu/info/business-economy-euro/eco- nationale und internationale Lieferketten ausgelöste nomic-and-fiscal-policy-coordination/eu-financial-assistance/ Angebotskrise folgt allmählich eine durch die stark loan-programmes/sure_en sowie https://ec.europa.eu/info/ gestiegene gesundheitliche und wirtschaftliche Un- sites/info/files/about_the_european_commission/eu_bud- get/13032020_-_coronavirus_response_investment_initiative_ sicherheit ausgelöste Nachfragekrise, die mögli- final_v2_0.pdf. Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999 9
ÖGfE Policy Brief 11’2020 cherweise noch stärkere ökonomische Auswirkun- zeptieren müssen. Es überrascht nicht, dass dieser gen haben wird als die akute Corona-Krise. angebotsseitige Maßnahmenschwerpunkt von fast allen Expertinnen und Experten als sinnvoll erachtet Wirtschaftliche Prognosen sind aufgrund der me- wird. Viel umstrittener ist allerdings, wie ein nachge- dizinischen Unsicherheit durch ungewohnt große lagertes Konjunkturpaket aussehen soll und zu wel- Bandbreiten gekennzeichnet. Dies ist in diesem Fall chem Zeitpunkt es am effektivsten sein kann. Auf keine Folge der schlechten Modellierung von Ange- jeden Fall ist es sinnvoll, dass die Bundesregierung, botskrisen, sondern Ausdruck der großen Unsicher- ggf. abgestimmt mit der Europäischen Kommission heit über die Dauer der akuten medizinischen Krise, und den anderen Mitgliedstaaten, die Eckpunkte ei- der damit verbundenen einschränkenden Maßnah- nes Pakets, konditional auf verschiedene Szenarien, men der Regierungen weltweit, der Wirksamkeit der möglichst rasch ausarbeitet, um es dann auch zum verschiedenen Gegenmaßnahmen und der Dauer optimalen Zeitpunkt in Kraft setzen zu können. der medizinischen und ökonomischen Unsicherheit, bis eine adäquate Behandlung von COVID-19 oder „Die Balance zwischen expansiver Geldpo- eine Impfung gegen das Virus gefunden wird. litik, einer Lockerung von strengen Kreditver- gaberegeln und der mittel- und langfristigen „Wirtschaftliche Prognosen sind aufgrund Stabilität des Bankensektors ist dabei ein ma- der medizinischen Unsicherheit durch unge- gisches Dreieck.“ wohnt große Bandbreiten gekennzeichnet.“ Die Geldpolitik dient ebenfalls dazu, möglichst Trotz dieser Unsicherheit sind die Maßnahmenpa- viel Liquidität bereitzustellen. Dabei hat die EZB vor kete auf nationaler, supranationaler und internationa- allem die Banken im Auge, die in einer solchen Situ- ler Ebene vom Prinzip her sehr ähnlich, wenngleich ation Kredite vergeben sollen und damit Unterneh- sie sich naturgemäß vom Volumen her unterschei- men unterstützen, die dringend Liquidität brauchen. den, was nicht zuletzt auf die unterschiedlichen Die Balance zwischen expansiver Geldpolitik, einer fiskalischen Spielräume zurückzuführen ist. Zur Lockerung von strengen Kreditvergaberegeln und gleichen Zeit werden Einschränkungen der wirt- der mittel- und langfristigen Stabilität des Banken- schaftlichen Aktivität zur Unterbrechung von Infek- sektors ist dabei ein magisches Dreieck. Ein engma- tionsketten („social distancing“) und wirtschaftspo- schiges und zeitnahes EU-weites Monitoringsystem litische Gegenmaßnahmen implementiert. Der Staat soll implementiert werden, das über die regelmäßi- agiert im Rahmen dieser Gegenmaßnahmen als Ver- gen Stress-Tests der Banken hinausgeht, um eine sicherer des Umsatzausfalles. Die Instrumente dazu nachgelagerte Finanzkrise zu verhindern, im Rah- sind in praktisch allen Staaten Stundungen von Kre- men derer Banken aufgrund einer großen Anzahl ditraten, Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern, uneinbringlicher Kredite in Schwierigkeit geraten. Kredithaftungen und Garantien, Kostenersatz für besonders stark betroffene Branchen, Beihilfen zur „Viel gewichtiger ist allerdings das Argu- Kurzarbeit, maßgeschneiderte Hilfspakete für einzel- ment, dass die EU auf eine gemeinschaftliche ne Branchen und Härtefallfonds für besonders Be- Schuldenaufnahme nicht vorbereitet ist.“ troffene, die durch die anderen Maßnahmen nicht abgesichert sind. Die Fiskalpolitik versucht damit, Wiewohl eine gemeinsame Schuldnerhaftung auf den verschiedenen Ebenen die negativen Effek- aus wirtschaftstheoretischer Sicht in einer Wäh- te der wirtschaftlichen Beschränkungen so gut es rungsunion zu Effizienzgewinnen führen kann, spre- geht abzufedern. Das Ziel dabei ist Liquidität bereit- chen im Moment viele Argument gegen die Einfüh- zustellen und Insolvenzen wirtschaftlich gesunder rung von Corona-Bonds oder Eurobonds. In einer Unternehmen zu vermeiden. Die damit verbundenen wenig schlagkräftigen Form wären sie nichts ande- Mitnahmeeffekte wird man, zumindest zum Teil, ak- res als ein ESM II. Sollten sie wirklich stärker wirk- 10 Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
ÖGfE Policy Brief 11’2020 sam werden, würde die Einführung zu lange dauern, Czypionka, T., Schnabl, A., Lappöhn, S., Plank, weil EU-Vertragsveränderungen wohl nötig wären. K., Reiss, M., Weyerstraß, K., Wimmer, L., Zenz, Viel gewichtiger ist allerdings das Argument, dass H. (2020), Abschätzung der wirtschaftlichen die EU auf eine gemeinschaftliche Schuldenaufnah- Folgen des Ausbruchs des neuartigen Coro- me nicht vorbereitet ist. Dafür braucht es langfristig navirus (SARS-CoV-2) – 5. Mai 2020, IHS Poli- mehr als Koordination der nationalen Budgetpoli- cy Brief Nr. 13/2020. https://irihs.ihs.ac.at/id/ tiken. Angesichts des geringen Umfangs des EU- eprint/5314/2/ihs-policy-brief-2020-czypionka- Budgets und der Größe der nationalen Budgets schnabl-et-al-wirtschaftliche-folgen-coronavirus- bräuchte es dafür eine Erhöhung des EU-Budgets update-2020-05-05.pdf. und einen europäischen Finanzminister mit Durch- griffsrechten auf die nationalen Budgets. Eine sol- Heinemann, F., Wambach, A. (2020), Corona- che Position passt nicht in das aktuelle Institutio- Anleihen sind das falsche Instrument. ZEW nengefüge der EU (Asatryan et al., 2018). Die Gefahr Standpunkt. https://www.zew.de/de/presse/ von politischen Konflikten zwischen Nord und Süd pressearchiv/corona-anleihen-sind-das-falsche- in der EU wäre groß und könnte zum Zerfall der Eu- instrument/. rozone und sogar der EU führen, wenn es keine Konfliktlösungsmechanismen gibt. Corona-Bonds IWF (2020a), World Economic Outlook, April 2020, nicht für die Altschulden einzusetzen oder gegen- Washington, DC. über nationalen Anleihen zu begünstigen, um den nördlichen Ländern entgegenzukommen, hätte laut IWF (2020b), Global Financial Stability Report. April Analysen (Heinemann und Wambach, 2020) sogar 2020, Washington, DC. negative Folgen für die besonders betroffenen Län- der im Süden Europas, weil sie sich bei der Refinan- IWF (2020c), Exceptional Times, Exceptional Action: zierung von nationalen Anleihen, die dann benach- Opening Remarks for Spring Meetings Press teiligt wären, vielleicht sogar schwerer tun würden. Conference. By Kristalina Georgieva, IMF Mana- Ein Ausbau des ESM und eine Änderung der ESM- ging Director, Washington, DC. Regeln sind zu bevorzugen. Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2020), Literatur Wirtschaft unter Schock – Finanzpolitik hält da- gegen, Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2020, Ahir, H., Bloom, N., Furceri, D. (2020), Global Uncer- München. tainty Related to Coronavirus at Record High, IMF Blog, https://blogs.imf.org/2020/04/04/ Shretta, R. (2020), The economic impact of CO- global-uncertainty-related-to-coronavirus-at-re- VID-19. University of Oxford. Blog (https://www. cord-high/ (abgerufen am 14.4.2020). research.ox.ac.uk /Ar ticle/2020-04-07-the- economic-impact-of-covid-19) (abgerufen am Asatryan, Z., Debrun, X., Havlik, A., Heinemann, F. 14.4.2020). Kocher, M., Tamborini R. (2018) Which role for a European Minister of Economy and Finance in a WHO (2020), Novel Coronavirus (2019-nCoV) Situa- European Fiscal Union?, EconPol Policy Report tion Report - 1 21 January 2020. 6, May 2018. Bock-Schappelwein, J., Mahringer, H., Rückert, E. (2011), Kurzarbeit in Deutschland und Österreich. Studie im Auftrag des Arbeitsmarktservice Ös- terreich. Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999 11
ÖGfE Policy Brief 11’2020 Über die Autoren Univ.-Prof. Dr. Martin Kocher ist Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS) und Professor an der Universität Wien. Kontakt: martin.kocher@ihs.ac.at PD Dr. Klaus Weyerstraß ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Höhere Studi- en (IHS), Gruppe „Makroökonomie und Wirtschaftspolitik“, sowie Lehrbeauftragter an der Wirtschaftsuniversität Wien. Kontakt: klaus.weyerstrass@ihs.ac.at Über die ÖGfE Die Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) ist ein parteipolitisch unabhän- giger Verein auf sozialpartnerschaftlicher Basis. Sie informiert über die europäische In- tegration und steht für einen offenen Dialog über aktuelle europapolitische Fragen und deren Relevanz für Österreich. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Bezug auf die Förderung einer europäischen Debatte und agiert als Katalysator zur Verbreitung von eu- ropapolitischen Informationen. ISSN 2305-2635 Impressum Die Ansichten, die in dieser Publikation zum Ausdruck kom- Österreichische Gesellschaft für Europapolitik men, stimmen nicht unbedingt mit jenen der ÖGfE oder je- Rotenhausgasse 6/8-9 ner Organisation, für die die Autoren arbeitet, überein. A-1090 Wien, Österreich Schlagwörter Generalsekretär: Mag. Paul Schmidt Coronavirus, SARS-CoV-2, wirtschaftliche Auswirkungen, wirtschaftspolitische Maßnahmen, Österreich, Europa Verantwortlich: Dr. Susan Milford-Faber Zitation Tel.: +43 1 533 4999 Kocher, M., Weyerstraß, K. (2020). Coronavirus stellt nati- Fax: +43 1 533 4999 – 40 onale und internationale Wirtschaftspolitik vor große Her- E-Mail: policybriefs@oegfe.at ausforderungen. Wien. ÖGfE Policy Brief, 11’2020 Web: http://oegfe.at/policybriefs 12 Österreichische Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) | Rotenhausgasse 6/8-9 | A-1090 Wien | europa@oegfe.at | oegfe.at | +43 1 533 4999
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