COVID-19 und die Menschenrechte Die Krise trifft uns alle - APRIL 2020
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COVID-19 und die Menschenrechte Die Krise trifft uns alle APRIL 2020
Deutsche Übersetzung: Deutscher Übersetzungsdienst der Vereinten Nationen, New York (DÜD-VN). Fragen zur Übersetzung sind an den DÜD-VN zu richten, der die Verantwortung für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Übersetzung übernimmt. Copyright @ Vereinte Nationen
Die Menschenrechte als Dreh- und Angelpunkt der Krisenbewältigung Sie lenken den Fokus auf den Menschen und führen zu besseren Ergebnissen Die Menschenrechte spielen bei der Bekämpfung der Pandemie eine Schlüsselrolle, sowohl im Hinblick auf den Gesundheitsnotstand als auch hinsichtlich der weitreichenden Auswirkungen auf das Leben und die Existenzgrundlagen der Menschen. Bei den Menschenrechten steht der Mensch im Mittelpunkt. Konsequent an der Achtung der Menschenrechte ausgerichtete Maßnahmen zur Überwindung der Pandemie sind erfolgreicher, da sie die Gesundheitsversorgung aller sicherstellen und die Würde des Menschen wahren. Sie sensibilisieren uns dafür, wer am meisten leidet, warum das so ist und was dagegen getan werden kann. Sie ebnen heute den Weg dafür, dass Gesellschaften, Entwicklung und Frieden nach Bewältigung der Krise gerechter und nachhaltiger sind als zuvor. Warum sind die Menschenrechte Maßnahmen ergriffen werden, um solche unbe- absichtigten Folgen abzumildern. bei den Maßnahmen gegen COVID-19 so wichtig? Die Vereinten Nationen verfügen mit den Men- schenrechten über ein mächtiges Instrumen- Die Welt erlebt derzeit eine beispiellose Krise. tarium, das Staaten und ganze Gesellschaften in Im Mittelpunkt steht ein weltweiter Gesundheits- die Lage versetzt, auf Bedrohungen und Krisen notstand, wie es ihn in diesem Ausmaß seit so zu reagieren, dass dabei die Menschen im einem Jahrhundert nicht gegeben hat und der Mittelpunkt stehen. Betrachten wir die Krise und weltweite Gegenmaßnahmen mit weitreichenden ihre Auswirkungen unter dem Aspekt der Men- Folgen für unser wirtschaftliches, gesellschaft- schenrechte, rückt die Frage in den Mittelpunkt, liches und politisches Leben erfordert. Vorrang wie sich die Krise auf die Menschen vor Ort aus- hat dabei das Ziel, Leben zu retten. wirkt, insbesondere auf die Schwächsten unter uns, und was jetzt und langfristig dagegen getan Angesichts der Ausnahmesituation und um werden kann. Auch wenn es sich in dieser Leben zu erhalten, bleibt den Ländern keine Publikation um Empfehlungen handelt, ist zu andere Wahl, als außerordentliche Maßnahmen betonen, dass die Staaten zur Einhaltung der zu ergreifen. Weitreichende Ausgangsbeschrän- Menschenrechte verpflichtet sind. kungen, die die Übertragung des Virus verlang- samen sollen, schränken notwendigerweise die Die Gewährleistung der Menschenrechte für alle Bewegungsfreiheit ein und damit auch viele stellt jedes Land der Welt vor Herausforderungen andere Menschenrechte. Solche Maßnahmen unterschiedlichen Ausmaßes. Der Gesundheits- können unbeabsichtigt die Existenzgrundlagen notstand entwickelt sich zurzeit rasch zu einer und die Sicherheit der Menschen, ihren Zugang Krise, in der alles zusammentrifft: wirtschaft- zu medizinischer Versorgung (nicht nur bei licher und sozialer Notstand, fehlender Schutz COVID-19), Nahrung, Trinkwasser, sanitären und Menschenrechtsmängel. In manchen Län- Anlagen, Arbeit, Bildung und auch zu Freizeit- dern geraten die Menschenrechte und andere aktivitäten beeinträchtigen. Es müssen internationale Rechtsschutzsysteme aufgrund 3 COVID-19 UND DIE MENSCHENRECHTE: DIE KRISE TRIFFT UNS ALLE
anhaltender Krisen, insbesondere bewaffneter Ausmaß und eine Schwere erreicht, die Konflikte, zusätzlich unter Druck. Die COVID-19- Einschränkungen aus Gründen der öffentlichen Krise hat die Verwundbarkeit derjenigen in der Gesundheit rechtfertigen. Diese Publikation stellt Gesellschaft, die am wenigsten geschützt sind, in keiner Weise einen Versuch dar, den Staaten weiter verschärft. Sie lässt tiefgreifende wirt- bei der Festlegung eines wirksamen Vorgehens schaftliche und soziale Ungleichheiten sowie gegen die Pandemie die Hände zu binden. Ziel unzulängliche Gesundheits- und Sozialschutz- ist es vielmehr, ihnen mögliche Fallen bei der systeme allzu deutlich hervortreten – Probleme, Reaktion auf die Krise aufzuzeigen und Möglich- die im Rahmen der öffentlichen Gesundheits- keiten vorzuschlagen, wie aus der Fokussierung maßnahmen dringend angegangen werden auf die Menschenrechte bessere Maßnahmen müssen. Frauen und Männer, Kinder, Jugend- erwachsen können. liche und ältere Menschen, Flüchtlinge, Migran- ten und Migrantinnen, arme Menschen, Men- Dabei gibt es drei Ziele: die Wirksamkeit der schen mit Behinderungen, Menschen in Haft, Maßnahmen gegen die unmittelbare globale Minderheiten, Lesben, Schwule, Bisexuelle, Gesundheitsbedrohung zu erhöhen; die weit- trans- und intergeschlechtliche Menschen und reichenden Folgen der Krise für das Leben andere sind alle in der einen oder anderen Weise der Menschen abzumildern und die Schaffung betroffen. Wir haben die Pflicht, dafür zu sorgen, neuer sowie die Verschärfung bestehender dass alle geschützt und in die Maßnahmen zur Probleme zu verhindern. Dieses Dreierbündel Bewältigung dieser Krise einbezogen werden. wird uns in die Lage versetzen, die Zeit danach für alle Menschen besser zu gestalten. Die staatlichen Behörden müssen die Ausbreitung der Krankheit mit allen zur Verfügung stehenden Vor dem Hintergrund eines zunehmenden Mitteln bekämpfen und Leben schützen. Entschei- Ethnonationalismus, Populismus, Autoritarismus dungen fallen schnell, und einige davon können und der Missachtung von Menschenrechten in trotz guter Intention ungewollte nachteilige Folgen manchen Ländern kann die Krise einen Vorwand haben. Die Gegenmaßnahmen müssen in einem für Unterdrückungsmaßnahmen bieten, die mit angemessenen Verhältnis zur Pandemie stehen, der Pandemie in keinerlei Zusammenhang um das Vertrauen zu erhalten, das insbesondere stehen. Durch die Instabilität und die Angst, die während einer Krise zwischen der Bevölkerung und die Pandemie hervorruft, werden bestehende ihrer Regierung bestehen muss. Men-schenrechtsprobleme verschärft, darunter die Diskriminierung bestimmter Gruppen, Hetz- Die Menschenrechte bieten den Staaten parolen, Fremdenfeindlichkeit, Angriffe und die Orientierung für die Ausübung ihrer Macht zum erzwungene Rückkehr von Flüchtlingen und Wohle der Bevölkerung, statt Schaden anzurich- Asylsuchenden, Misshandlung von Migrantinnen ten. In der gegenwärtigen Krise können die und Migranten, sexuelle und geschlechtsspezifi- Menschenrechte den Staaten helfen, ihre sche Gewalt und der eingeschränkte Zugang zu Gegenmaßnahmen neu auszurichten, um deren sexueller und reproduktiver Gesundheit und Wirksamkeit bei der Bekämpfung der Krankheit Rechten. zu maximieren und die nachteiligen Folgen zu minimieren. Dadurch, dass wie bei allen humani- Jetzt ist nicht die Zeit, die Menschenrechte tären Einsätzen der Schutz an erster Stelle steht, zu vernachlässigen; es ist eine Zeit, in der die wird sichergestellt, dass wir gemeinschaftlich Menschenrechte mehr denn je gebraucht wer- unser aller Menschlichkeit und Würde bewahren. den, damit wir so aus dieser Krise hervorgehen, dass wir uns so bald wie möglich wieder auf Im Recht der Menschenrechte wird anerkannt, die Herbeiführung einer gerechten, nachhal- dass die Ausübung bestimmter Menschenrechte tigen Entwicklung und die Aufrechterhaltung in nationalen Notsituationen möglicherweise des Friedens konzentrieren können. eingeschränkt werden muss. COVID-19 hat ein COVID-19 UND DIE MENSCHENRECHTE: DIE KRISE TRIFFT UNS ALLE 4
Der Generalsekretär forderte in seinem jüngsten SCHLAGLICHT: MENSCHENRECHTE Aufruf zum Handeln für die Menschenrechte, STEHEN BEIM KAMPF GEGEN diese auch in Krisenzeiten in den Mittelpunkt COVID-19 AN OBERSTER STELLE der Maßnahmen der Vereinten Nationen zu stellen, und unterstrich Folgendes: Bei der aktuellen Pandemie stehen drei Rechte an oberster Stelle: Unsere gemeinsame menschliche Existenz und unsere gemeinsamen Das Recht auf Leben und die Pflicht Werte müssen uns einen, nicht spalten. zum Schutz des Lebens Wir müssen den Menschen Hoffnung Wir kämpfen gegen COVID-19, um das Leben geben und eine Vision dessen, aller Menschen zu schützen. Die Berufung auf was die Zukunft bringen kann. Das das Recht auf Leben erinnert uns daran, dass Menschenrechtssystem hilft uns, den alle Staaten die Pflicht haben, das menschliche Herausforderungen, Chancen und Leben zu schützen, auch indem sie gegen grundlegende gesellschaftliche Bedingungen Bedürfnissen des 21. Jahrhunderts vorgehen, die zu einer direkten Bedrohung des gerecht zu werden, die Beziehungen Lebens führen. Dafür unternehmen die Staaten zwischen Bevölkerungen und außerordentliche Anstrengungen, und dies muss Regierenden wiederherzustellen ihr Hauptanliegen bleiben. und weltweit die Stabilität und Solidarität, den Pluralismus und die Das Recht auf Gesundheit und auf Zugang Inklusion herbeizuführen, auf die wir zu gesundheitlicher Versorgung alle angewiesen sind. Es zeigt Wege Das Recht auf Gesundheit ist mit dem Recht auf, wie wir Hoffnung in konkrete auf Leben untrennbar verbunden. COVID-19 Maßnahmen mit realen Auswirkungen stellt die Fähigkeit der Staaten auf eine harte auf das Leben der Menschen Probe, das Recht auf Gesundheit zu schützen. umsetzen können. Es darf niemals Jeder Mensch hat das Recht auf das individuell erreichbare Höchstmaß an Gesundheit, das ein Vorwand für Macht oder Politik ein Leben in Würde ermöglicht. Jeder Mensch sein, es steht vielmehr darüber. sollte ungeachtet seines sozialen oder wirt- schaftlichen Status Zugang zu der jeweils benö- Ziel der vorliegenden Publikation ist es, diesen tigten gesundheitlichen Versorgung haben. Aufruf in konkretes Handeln umzusetzen, um bei den Maßnahmen gegen die Pandemie zu Aufgrund eines seit Langem bestehenden helfen. Sie enthält sechs Kernaussagen, die im Mangels an Investitionen in die Gesundheits- Zentrum eines wirksamen Vorgehens gegen systeme ist die Fähigkeit, auf diese Pandemie zu die COVID-19-Pandemie stehen müssen. reagieren und andere grundlegende Gesund- heitsdienste bereitzustellen, beeinträchtigt. COVID-19 macht deutlich, dass eine allgemeine Gesundheitsversorgung zwingend geboten ist. Staaten, die über leistungs- und widerstandsfä- hige Gesundheitssysteme verfügen, sind besser aufgestellt, um auf Krisen zu reagieren. Überall 1 Das höchste Ziel: Ein Aufruf zum Handeln für die Menschenrechte 5 COVID-19 UND DIE MENSCHENRECHTE: DIE KRISE TRIFFT UNS ALLE
auf der Welt sind die Gesundheitssysteme stark Gesundheitsdienste zu verhindern und auf diese belastet, manche drohen zusammenzubrechen. Weise Leben zu retten. Eine allgemeine Gesundheitsversorgung fördert leistungs- und widerstandsfähige Gesundheits- Allerdings können die Auswirkungen von systeme, erreicht die Schwachen und fördert die Ausgangsbeschränkungen auf Arbeitsplätze, Pandemievorsorge und -prävention. Ziel 3 der Lebensgrundlagen, den Zugang zu Dienst- Ziele für nachhaltige Entwicklung beinhaltet die leistungen, einschließlich Gesundheitsversor- Zielvorgabe, eine allgemeine Gesundheitsver- gung, Nahrung, Wasser, Bildung und Sozial- sorgung zu erreichen. leistungen, die häusliche Sicherheit, einen ausreichenden Lebensstandard und das Allgemein zugängliche, erschwingliche Familienleben schwerwiegend sein. Wie die Welt Gesundheitsversorgungssysteme helfen bei gerade feststellt, ist die Bewegungsfreiheit ein der Bekämpfung der Pandemie, indem sie grundlegendes Recht, das zum Genuss vieler allen Menschen diskriminierungsfreien Zugang weiterer Rechte beiträgt. zu grundlegenden Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus gewähren. Dazu gehören Das Völkerrecht lässt zwar gewisse Ein- Tests, fachärztliche Behandlung der am stärks- schränkungen der Bewegungsfreiheit zu, auch ten gefährdeten Personen, intensivmedizinische aus Gründen der Sicherheit und im Fall eines Versorgung bei Bedarf und, sobald verfügbar, nationalen Notstands, beispielsweise eines eine von der Zahlungsfähigkeit unabhängige Gesundheitsnotstands, jedoch sollen solche Impfung. Als Reaktion auf die Pandemie haben Einschränkungen für den jeweiligen Zweck einige Länder den Krankenversicherungsschutz unbedingt notwendig, verhältnismäßig und auf alle Menschen in ihrem Land ausgedehnt; nicht diskriminierend sein. Die Verfügbarkeit andere haben Vereinbarungen mit privaten wirksamer und allgemein zugänglicher Tests Gesundheitsdienstleistern getroffen, damit und die Kontaktnachverfolgung sowie gezielte diese ihre Einrichtungen im Rahmen der Quarantänemaßnahmen können den Bedarf Pandemiebekämpfung zur Verfügung stellen. an weniger differenzierten Einschränkungen senken. Bewegungsfreiheit als zentrale Herausforderung Um das Virus einzudämmen und das Recht auf Leben zu schützen, muss die Infektionskette unterbrochen werden: Die Menschen müssen aufhören, sich von einem Ort zum anderen zu bewegen und miteinander zu interagieren.Die häufigste Maßnahme zum Schutz der öffent- lichen Gesundheit, die die Staaten gegen COVID-19 ergriffen haben, ist die Einschränkung der Bewegungsfreiheit: durch Ausgangsbe- schränkungen oder die Anweisung, zu Hause zu bleiben. Diese Maßnahme ist eine praktische und notwendige Methode, um die Übertragung des Virus zu stoppen, eine Überlastung der COVID-19 UND DIE MENSCHENRECHTE: DIE KRISE TRIFFT UNS ALLE 6
COVID-19 beeinträchtigt die Menschenrechte und den Schutz auf allen Kontinenten LEBEN Weltweite Todesfälle durch die COVID-19-Pandemie (Stand: 19. April 2020) 85.506 neue Fälle 2.245.872 bestätigte Fälle 152.707 Todesfälle April 2020 Kumulative Todesfälle durch COVID-19 19. April 2020, WHO 32K 16K 8K 0 VEREINTE NATIONEN Geodaten April 2020 Die in dieser Karte abgebildeten Grenzlinien und Namen und verwendeten Bezeichnungen implizieren weder offizielle Unterstützung noch Akzeptanz durch die Vereinten Nationen. Quelle: WHO-Übersichtskarte, Stand 19. März 2020 19.00 Uhr (MESZ) BILDUNG Weltweite Schulschließungen (Stand: 19. April 2020) In 191 Ländern waren die Schulen landesweit geschlossen, was fast 1,6 Milliarde Lernende betraf und damit 91,3 % der insgesamt eingeschriebenen Lernenden Schulen offen Landesweite Schulschließungen Örtlich begrenzte Schulschließungen Keine Daten VEREINTE NATIONEN Geodaten April 2020 Die in dieser Karte abgebildeten Grenzlinien und Namen und verwendeten Bezeichnungen implizieren weder offizielle Unterstützung noch Akzeptanz durch die Vereinten Nationen. Quelle: UNESCO 7 COVID-19 UND DIE MENSCHENRECHTE: DIE KRISE TRIFFT UNS ALLE
BEWEGUNGSFREIHEIT Strenge der Eindämmungsmaßnahmen der Regierungen (Stand: 18. April 2020) Die Kriterien sind Ausgangsbeschränkung oder Ausgangssperre Grenzschließung, Ein- schränkung von Inlands- reisen, Schulschließungen und Einschränkungen bei Zusammenkünften in der Öffentlichkeit. Keine Daten 20 40 60 80 100 VEREINTE NATIONEN Geodaten April 2020 Die in dieser Karte abgebildeten Grenzlinien und Namen und verwendeten Bezeichnungen implizieren weder offizielle Unterstützung noch Akzeptanz durch die Vereinten Nationen. Quelle: https://covidtracker.bsg.ox.ac.uk/stringency-map BEWEGUNGSFREIHEIT COVID-19 Pandemie an Orten mit einem Plan für humanitäre Maßnahmen UKRAINE ARABISCHE REPUBLIK SYRIEN IR AK AFGHANISTAN LIBYEN * MYANMAR HAITI MALI NIGER SUDAN JEMEN NIGERIA ÄTHIOPIEN BURKINA FASO TSCHAD VENEZUELA KOLUMBIEN KAMERUN SÜDSUDAN SOMALIA ZENTRALAFRIKANISCHE BU RU N D I REPUBLIK DEMOKRATISCHE April 2020 Kumulative Zahlen REPUBLIK KONGO bestätigter COVID-19-Fälle 19. April 2020, WHO ZIMBABWE 5K 2K 1K Land/Gebiet mit OCHA-Plan für humanitäre Maßnahmen * STA AT PAL ÄSTINA VEREINTE NATIONEN Geodaten April 2020 Die in dieser Karte abgebildeten Grenzlinien und Namen und verwendeten Bezeichnungen implizieren weder offizielle Unterstützung noch Akzeptanz durch die Vereinten Nationen. Quelle: OCHA & WHO (Stand: 19. April 2020) COVID-19 UND DIE MENSCHENRECHTE: DIE KRISE TRIFFT UNS ALLE 8
Sechs Schlüsselbotschaften in Bezug auf die Menschenrechte I. Menschenleben zu schützen ist das vorrangige Ziel – die Sicherung der Existenzgrundlagen trägt dazu bei Neben den Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit müssen wir uns auch mit den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen befassen Diese Krise trifft uns alle. Menschenleben zu retten ist zu Recht das vorrangige Ziel, und dafür ist ein allgemeiner Zugang zu gesundheitlicher Versorgung unerlässlich. Die Gesundheitskrise hat jedoch auch eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Krise ausgelöst, die Einzelne, Familien und Gemein- wesen schwer trifft. Diese negativen Auswirkungen sind zum einen auf die Krankheit an sich zurück- zuführen, zum anderen aber auch darauf, dass die zu ihrer Bekämpfung erforderlichen Maßnahmen auf grundlegende Probleme wie Ungleichheiten und unzureichende Schutzsystemen stoßen. Manche Menschen sind unverhältnismäßig stark betroffen, und oft sind es diejenigen, die sich am wenigsten schützen können. Durch wirksame Maßnahmen zur Abmilderung der schlimmsten Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, die Existenzgrundlagen, den Zugang zu grundlegenden Diensten und das Familien- leben werden Menschenleben geschützt, Menschen in die Lage versetzt, die Maßnahmen zum Gesundheitsschutz einzuhalten, und auch die wirtschaftliche Erholung nach der Aufhebung dieser Maßnahmen erleichtert. Wem schadet COVID-19, in senem Abstandhalten nur träumen. Armut welcher Form und weshalb? ist schon an sich ein enormer Risikofaktor. Zu den von der Krise am schwersten getroffe- Die armen und verwundbaren Mitglieder unserer nen Menschen gehören viele, die in ihrem tägli- Gesellschaften sind jedoch nicht nur einem chen Kampf ums Überleben ohnehin schon vor größeren Risiko durch das Virus selbst ausge- enormen Herausforderungen stehen. Für mehr setzt, sie sind auch am schwersten von den als 2,2 Milliarden Menschen auf der Welt stellt nachteiligen Auswirkungen der zu seiner Ein- regelmäßiges Händewaschen keine Option dar, dämmung ergriffenen Maßnahmen betroffen. weil sie nur unzureichenden Zugang zu Wasser Wer im informellen Sektor arbeitet – und das haben. Die 1,8 Milliarden Menschen, die obdach- sind überproportional viele Frauen – hat bei- los sind oder in unzulänglichen und überfüll- spielsweise kaum Zugang zu Sozialschutz oder ten Behausungen leben, können von angemes- Arbeitslosenunterstützung. 9 COVID-19 UND DIE MENSCHENRECHTE: DIE KRISE TRIFFT UNS ALLE
Die Regierungen konzentrieren sich mit Recht > Weitreichende Schulschließungen haben darauf, die Ausbreitung des Virus einzudämmen den Bildungsweg von mehr als einer Milliarde und Leben zu retten – die Anzahl der Infektionen, Kinder unterbrochen. Krankenhauseinlieferungen und Todesfälle ist erschreckend. Die auf Anraten von Gesundheits- > Durch Einschnitte in den Betreuungs- und fachleuten verordneten Maßnahmen zur Rettung Schutzleistungen für Kinder, unter anderem von Leben zeigen inzwischen Wirkung. Doch die abrupte Schließung von Betreuungs- zugleich haben sie auch negative Auswirkungen und Gesundheitseinrichtungen für Kinder, auf die Arbeitsplätze, Existenzgrundlagen und sind diese verstärkt durch Gewalt, Aus- den Lebensstandard der Menschen, auf Gemein- beutung und Missbrauch gefährdet. schaften und Familien. Ausgangsbeschränkun- > COVID-19 breitet sich schon jetzt mit gen bedeuten auch eingeschränkten Zugang zu rasender Geschwindigkeit in Haftanstalten Nahrungsmitteln, Schulen, Arbeitsplätzen und aus, wo Abstandsmaßnahmen nahezu Grundversorgungseinrichtungen. Es gibt weniger unmöglich sind, und Häftlinge sind Unterstützung für ältere Menschen, Kinder und weitaus anfälliger für die Krankheit. Menschen mit Behinderungen. Frauen schultern einen unverhältnismäßig hohen Anteil am resul- > Für Frauen, die zusammen mit gewalt- tierenden Pflege- und Betreuungsaufwand, was tätigen Partnern ans Haus gebunden sind wiederum Folgen für ihr eigenes Recht auf und keinen Zugang zu Hilfsdiensten und Gesundheit hat. Mit anderen Worten wirken sich Notunterkünften haben, besteht ein größe- die Beschränkungen unmittelbar auf den res Risiko häuslicher Gewalt, und die Zahl Genuss sämtlicher Menschenrechte aus. entsprechender Fälle steigt rapide an. > Strategien zur Eindämmung des Virus sind Neue menschenrechtliche für Menschen, die keinen soliden und siche- Herausforderungen im ren und Wohnraum haben, schwer umzu- Zusammenhang mit den Aus- setzen. Für Obdachlose oder Bewohner von wirkungen der Krise auf das Elendsvierteln, für die der Zugang zu sau- Leben der Menschen und berem Wasser und Abwasserentsorgung ein grundlegendes Problem darstellt, ihre Existenzgrundlagen sind Abstandhalten, Selbstisolierung und Die vorliegende Analyse legt nahe, dass vorran- Händewaschen schlichtweg nicht möglich. gig Maßnahmen zur Gewährleistung der grund- legenden wirtschaftlichen und sozialen Rechte > COVID-19 fegt durch bevölkerungsreiche, ergriffen werden müssen – und viele Länder dicht besiedelte, informelle Siedlungen haben damit bereits begonnen. Doch die Aus- sowie Lager für Flüchtlinge, Binnenver- wirkungen der Krise auf diese Rechte sind real : 2 triebene, Migranten und Migrantinnen, wo Kontaktvermeidung schwer umsetzbar > Arbeitslosigkeit und Ernährungsunsicherheit und der Zugang zu Gesundheitsdiensten haben in vielen Ländern innerhalb kürzester eingeschränkt ist und die Menschen Zeit ein nie zuvor gekanntes Ausmaß erreicht. besonders anfällig für Krankheiten sind. 2 Nähere Informationen dazu finden sich in den Kurzdossiers Gemeinsame Verantwortung, globale Solidarität: Bewältigung der sozioökono- mischen Auswirkungen von COVID-19 (Shared Responsibility, Global Solidarity: Responding to the socio-economic impacts of COVID-19); Die Auswirkungen von COVID-19 auf Frauen (Impact of COVID-19 on Women); und Die Auswirkungen von COVID-19 auf Kinder (Impact of COVID-19 on Children). COVID-19 UND DIE MENSCHENRECHTE: DIE KRISE TRIFFT UNS ALLE 10
Bereits jetzt leben weltweit Millionen von wahrnehmen, indem sie ihre wirtschaftli- Menschen von der Hand in den Mund. Vor dieser chen und sozialen Rechte garantieren. Krise kam es häufig zu Demonstrationen gegen Ungleichheiten und sinkende Lebensstandards. Dennoch werden wir nach dem Ende der Krise Die Menschen waren frustriert und voller Zorn. Vor eine wichtige Lektion lernen müssen. Die Länder, diesem Hintergrund führt die Pandemie zu wei- die in den Schutz der wirtschaftlichen und teren Entbehrungen, die Spannungen auslösen sozialen Rechte investiert haben, sind wahr- werden und Unruhen verursachen könnten, wenn scheinlich widerstandsfähiger. Systeme zur sie nicht abgemildert werden. Dies könnte wiede- allgemeinen Gesundheitsversorgung befähi- rum zu der Art von Sicherheitsmaßnahmen führen, gen Länder, eine Bedrohung der öffentlichen Gesundheit besser einzudämmen, doch das die, wie später ausgeführt wird, unbedingt vermie- Gleiche gilt auch für wirksame Systeme zur den werden müssen, da sie die Wirksamkeit der Nahrungsmittelverteilung, Sozialversicherungs- Pandemieabwehr untergraben. Jetzt bietet sich und -schutzsysteme, die Gleichstellung der die Gelegenheit für einen „besseren Wiederaufbau“ Geschlechter, den Schutz von Menschen und auf der Grundlage eines neuen wirtschaftlichen Arbeitsplätzen durch Arbeitnehmerrechte, und gesellschaftlichen Denkens, basierend auf Mindestlöhne und Lohnfortzahlung im den Menschenrechtsverpflichtungen der Staaten Krankheitsfall sowie Standards für Gesundheit und den Lehren aus Fehlern, die beispielsweise und Sicherheit am Arbeitsplatz (wie etwa per- bei den wirtschaftlichen Maßnahmen als Reaktion sönliche Schutzausrüstung in dieser Krise), auf die Weltfinanzkrise 2008 gemacht wurden. die Bereitstellung erschwinglichen, adäqua- COVID-19 untergräbt die nachhaltige Entwick- ten Wohnraums, mit ausreichenden Mitteln lung zu einem Zeitpunkt, an dem die Anstrengun- ausgestattete Bildungssysteme, die rasch auf gen zur Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Fernunterricht umstellen können, sowie den Entwicklung eigentlich beschleunigt werden Zugang zum Internet. Diese Rechte sind als müssen. Die Agenda 2030, deren Fundament die grundlegender Bestandteil einer Präventions- Menschenrechte sind, bietet ein umfassendes und Vorsorgestrategie anzusehen. Konzept für eine nachhaltige Erholung von der Pandemie. SCHLAGLICHT: DIE LÄNGERFRISTIGE Vorbildliche Verfahren, bei denen BEDEUTUNG DER WIRTSCHAFTLICHEN sich die ergriffenen Maßnahmen UND SOZIALEN RECHTE FÜR DEN AUFBAU an den Menschenrechten orien- VON KRISENRESILIENZ tieren Die COVID-19-Krise wirft ein Schlaglicht auf Viele Länder haben im Rahmen ihrer Möglich- die wesentliche Rolle, die dem Schutz und der keiten fiskalische, finanzielle und wirtschaft- Förderung wirtschaftlicher und sozialer Rechte liche Maßnahmen zur Milderung der nach- bei Notfallmaßnahmen in Krisensituationen teiligen Auswirkungen von COVID-19 auf ihre zukommt. Nie zuvor war so deutlich zu sehen, Bevölkerung ergriffen. Hier einige Beispiele: wie wichtig es ist, dass die Regierungen ihre Verantwortung zum Schutz der Menschen 11 COVID-19 UND DIE MENSCHENRECHTE: DIE KRISE TRIFFT UNS ALLE
> Bereitstellung einer Notfall-Wasser- > Bereitstellung von Notunterkünften versorgung in Elendsvierteln; für Obdachlose; > Aussetzung von Zwangsräumungen auf- > Ausweitung der Maßnahmen für grund ausstehender Mietzahlungen Opfer häuslicher Gewalt; während der Krise; > Kinderbetreuung für in systemer- > Arbeitsplatzerhaltung und Lohnfortzah- haltenden Berufen Tätige. lung durch gezielte wirtschaftliche Maß- nahmen, die in einigen Fällen fast schon Doch nicht jeder Staat verfügt über die Mittel, an ein universelles Grundeinkommen für um allen seinen Bürgern und Bürgerinnen alle heranreichen, sowie durch Unterstüt- ausreichenden Schutz zu gewähren. zung für Arbeitgeber und Unternehmen; > Einführung oder Ausweitung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder von Arbeitslosengeld; COVID-19 UND DIE MENSCHENRECHTE: DIE KRISE TRIFFT UNS ALLE 12
II. Das Virus macht keinen Unter- schied, aber seine Auswirkungen machen die Diskriminierung deutlich Inklusive Maßnahmen zur Bewältigung einer globalen Bedrohung, damit niemand zurückgelassen wird Diese Krise trifft uns alle. Die Gegenmaßnahmen müssen inklusiv, gerecht und universell sein, sonst werden sie ein Virus, das jede und jeden ungeachtet des Status trifft, nicht besiegen. Bringt ein Gemein- wesen das Virus nicht unter Kontrolle, dann bleibt es eine Bedrohung für alle Gemeinwesen – diskrimi- nierende Vorgehensweisen bringen uns daher alle in Gefahr. Es gibt Anzeichen dafür, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen unverhältnismäßig stark unter dem Virus und seinen Auswirkungen leiden, was die bestehenden strukturellen Ungleichheiten und die weitverbreitete Diskriminierung verdeutlicht, gegen die sowohl bei der Bewältigung der Krise als auch in der Folgezeit vorgegangen werden muss. Warum sind Gleichheit und kann das Virus in der Gesamtgesellschaft weiterbestehen, und unsere ganzen Anstren- Nichtdiskriminierung im gungen waren vergeblich. Den besten Schutz Hinblick auf die Maßnahmen für uns alle bietet ein inklusiver Ansatz. gegen COVID-19 so wichtig? COVID-19 erzeugt einen Teufelskreis, bei dem Junge wie Alte, Reiche wie Arme und Menschen die starken Ungleichheiten seine Verbreitung mit Vorerkrankungen – alle können am Corona- fördern und dies wiederum die Ungleichhei- virus erkranken und sterben. Rasse, Haut- ten verstärkt. Nachweislich leiden bestimmte farbe, Geschlecht, Sprache, Religion, sexuelle Personen und Gruppen aufgrund seit langem Orientierung oder geschlechtliche Identität, bestehender Ungleichheiten und ungleicher politische oder andere Ansichten, nationale, grundlegender Determinanten für Gesund- ethnische oder soziale Herkunft, Vermögen, heit weit mehr unter den Auswirkungen des Behinderung, Geburts- oder sonstiger Status Virus als andere, und zwar sowohl was den – dem Virus ist das einerlei. Das Virus macht Verlust an Menschenleben als auch das Weg- keinen Unterschied, und auch wir dürfen bei brechen von Existenzgrundlagen angeht. unseren Maßnahmen gegen die von ihm aus- gehende Bedrohung nicht diskriminieren. Den Staaten obliegt die Verantwortung dafür, sicherzustellen, dass alle vor diesem Diskriminierende Verfahrensweisen schlie- Virus und seinen Auswirkungen geschützt ßen Menschen von den Maßnahmen aus, sind. Dazu sind gegebenenfalls Sonder- mit denen die Staaten versuchen, ihre Bürger maßnahmen und spezielle Schutzvor- gegen das Virus zu schützen. Wenn auch kehrungen für bestimmte Gruppen erfor- nur eine Person davon ausgeschlossen wird, derlich, die am stärksten gefährdet oder 13 COVID-19 UND DIE MENSCHENRECHTE: DIE KRISE TRIFFT UNS ALLE
unverhältnismäßig stark betroffen sind. in den Gesundheitssystemen schafft nach- Bei der Reaktion auf die Krise muss mehr- haltigere Pflege- und Betreuungsmodelle. fachen und sich überschneidenden Formen von Diskriminierung und Ungleichheiten Tief verwurzelte Geschlechterdiskriminierung, eine sozioökonomisch schwächere Position, Rechnung getragen werden, insbesondere eine Verschärfung häuslicher Gewalt im Zusam- auch der weit verbreiteten Ungleichstellung menhang mit Ausgangsbeschränkungen sowie der Geschlechter. Darüber hinaus müssen eine Tätigkeit an vorderster Front als Pflege- und wir uns aber auch verpflichten, deren Fort- medizinisches Fachpersonal haben die Gefähr- bestand nach der Krise zu verhindern. dung und Prekarisierung von Frauen allesamt noch verstärkt. Vielerorts können Kinder ihr Recht auf Bildung nicht mehr wahrnehmen, Neue menschenrechtliche werden zudem in manchen Fällen zwangsweise Herausforderungen in von ihren Eltern und Erziehungsberechtigten Bezug auf Ungleichheit, getrennt und sind der Gefahr von Gewalt und Diskriminierung und krisenbedingter Traumatisierung ausgesetzt. Ausgrenzung3 Diese Krise stellt die marginalisierten und ver- Leider erhebt in dieser Krise die Diskriminie- wundbarsten Mitglieder der Gesellschaft vor rung wieder ihr hässliches Haupt. Überall hat besondere Schwierigkeiten. Marginalisierung es Vorfälle gegeben, bei denen Menschen, führt zu Verwundbarkeit. In der Krise zeigt sich, denen die Schuld für die Verbreitung des Virus wie unverhältnismäßig stark bestimmte Grup- pen betroffen sind, etwa dadurch, dass unter zugeschoben wurde, Diskriminierung, Frem- ihnen überproportional viele Infektions- und denfeindlichkeit, Rassismus und Angriffen Todesfälle auftreten. Auch die Maßnahmen ausgesetzt waren. In einigen Ländern haben zur Eindämmung des Virus treffen die ärms- Regierende COVID-19 etwa als „ausländische ten Bevölkerungsgruppen, die nicht von zu Krankheit“ bezeichnet. Die mit dem Virus Infi- Hause aus arbeiten können und am Existenz- zierten werden zunehmend stigmatisiert. Die minimum leben, unverhältnismäßig stark. Mitgliedstaaten tragen die Hauptverantwortung dafür, gegen Diskriminierung und Hetze vor- Die schlimmsten Auswirkungen hat die Pan- zugehen, aber alle Akteure, auch die Anbieter demie auf das Leben, die Gesundheit und das sozialer Medien, müssen ihren Beitrag leisten. Wohlergehen von älteren Menschen, Menschen mit Vorerkrankungen und Menschen mit nied- In manchen Ländern wurden Gesundheits- rigerem sozioökonomischen Status – einer fachkräfte, also diejenigen, die an vorderster Kategorie, die in den meisten Ländern eng mit Front gegen die Krankheit kämpfen und dabei der Zugehörigkeit zu einer Minderheit korreliert. ihr Leben riskieren, ausgegrenzt oder sogar angegriffen. Dabei handelt es sich vorwiegend Unter älteren Menschen ist die Infektions- und um Frauen, die für geringere Bezahlung, in Teil- Sterblichkeitsrate höher. Gleichzeitig erfahren zeit und bisweilen unter prekären Bedingungen sie Altersdiskriminierung, sowohl im öffentlichen arbeiten und Misshandlungen und geschlechts- Diskurs als auch bei Entscheidungen bezüg- spezifischer Gewalt ausgesetzt sind. Eine lich Gesundheitsversorgung und Triage, leiden verstärkte Gleichstellung der Geschlechter zuhause unter Vernachlässigung und häuslichem 3 Siehe auch die spezifischen Kurzdossiers der Vereinten Nationen Gemeinsame Verantwortung, globale Solidarität: Bewältigung der sozioökonomischen Auswirkungen von COVID-19 (Shared Responsibility, Global Solidarity: Responding to the socio-economic impacts of COVID-19); Auswirkungen von COVID-19 auf Frauen (Impact of COVID-19 on Women); Auswirkungen von COVID-19 auf Kinder (Impact of COVID-19 on Children) COVID-19 UND DIE MENSCHENRECHTE: DIE KRISE TRIFFT UNS ALLE 14
Missbrauch sowie an Isolation ohne Zugang Die ohnehin bereits kritische Lage für zahl- zu grundlegenden Diensten und sind bei einer reiche indigene Völker, die unter tiefverwur- Unterbringung in Pflegeeinrichtungen einem zelten Ungleichheiten, Stigmatisierung und stärkeren Erkrankungsrisiko gepaart mit schlech- Diskriminierung leiden, darunter auch einem ten Behandlungsmöglichkeiten ausgesetzt. unzureichenden Zugang zu gesundheitlicher Versorgung und anderen grundlegenden Diens- Rassische, ethnische und religiöse Minderhei- ten, wird durch die Pandemie noch verschärft. ten, denen häufig ein niedrigerer sozioökono- Für Angehörige indigener Bevölkerungsgruppen mischer Status zugewiesen wird und die tief- entstehen dadurch besondere existenzielle und verwurzelter Diskriminierung ausgesetzt sind, kulturelle Bedrohungen, und die Älteren unter weisen aufgrund dieser Faktoren besonders häu- ihnen sowie diejenigen, die in freiwilliger Iso- fig eine höhere Infektions- und Sterblichkeitsrate lation leben, sind ganz besonders gefährdet. auf, werden im Kontext von Notstandsmaßnah- Die Lage der Menschen mit Behinderungen, men von Vollzugspersonal strenger behandelt besonders derjenigen, die Vorerkrankungen und erhalten keinen gleichberechtigten Zugang haben oder in Einrichtungen untergebracht zu angemessener medizinischer Versorgung. sind, ist besonders ernst. Menschen mit Behin- derungen kann es schwerer fallen, vernünftige Migrantinnen und Migranten, Flüchtlinge und Vorkehrungen für ihren eigenen Schutz zu Binnenvertriebene sind besonders durch Stig- treffen. Durch den Krankheitsausbruch ist die matisierung, Fremdenhass, Hetze und damit Unabhängigkeit von Menschen mit Behinde- verbundene Intoleranz gefährdet. Auf der rungen beeinträchtigt, die zwar im eigenen ganzen Welt sind Migrantinnen und Migranten Zuhause leben, aber dennoch einer Unter- mit Arbeitsplatzverlust und Diskriminierung stützung von außen bedürfen. Für sie kann es konfrontiert sowie mit Schwierigkeiten bei der schwierig sein, Dinge des täglichen Bedarfs, Rückkehr in ihre Heimatländer aufgrund von Nahrungsmittel und Medikamente zu bekom- Grenzschließungen. Etwa 167 Länder haben ihre men. Eine durchgängige Unterstützung wäh- Grenzen geschlossen. Mindestens 57 Staaten rend der gesamten Krise muss gesichert sein. gewähren für Asylsuchende keine Ausnah- men. Seit Beginn der Krise wurden Tausende Gefangene, Häftlinge und Personen, denen die Menschen zurückgewiesen oder in gefährliche Freiheit entzogen ist, unabhängig davon, ob es Regionen abgeschoben. Flüchtlinge, Binnen- sich um Erwachsene oder Kinder handelt, sind besonders anfällig für die rasche Ausbreitung des vertriebene sowie Migrantinnen und Migranten Virus. Die Pandemie verschärft die in überbeleg- leben in beengten Verhältnissen mit beschränk- ten Vollzugsanstalten herrschenden Spannungen, tem Zugang zu sanitärer und gesundheitlicher und es gibt Berichte von Massenausbrüchen und Versorgung und sind besonders ansteckungs- Revolten. Es gilt, nicht freiheitsentziehende Sank- gefährdet. Diese Menschen sowie Staatenlose tionen zu verhängen und ausgewählte Kategorien sind von den Sozialschutzmaßnahmen zur von Gefangenen aus der Haft zu entlassen. Die Bewältigung der Auswirkungen von COVID-19 Zahl der Menschen, die sich in Untersuchungs- unter Umständen ausgenommen. Migrantinnen haft befinden, wegen geringfügiger oder politi- und Migranten ohne regulären Aufenthaltssta- scher Vergehen inhaftiert sind, ihre Haftstrafe tus nehmen aus Angst vor Inhaftierung oder nahezu abgebüßt haben oder unrechtmäßig in Abschiebung womöglich keine Gesundheitsver- Haft gehalten werden, sollte umgehend verringert sorgung in Anspruch. Diejenigen, die in ihre Hei- werden. Diejenigen, die nicht aus der Haft ent- matländer zurückkehren, werden dort bisweilen lassen werden können, müssen eine angemes- als vermeintliche Infektionsträger stigmatisiert. sene gesundheitliche Versorgung erhalten. 15 COVID-19 UND DIE MENSCHENRECHTE: DIE KRISE TRIFFT UNS ALLE
Die Krise verschärft die Schwierigkeiten von Vorbildliche Verfahren, Lesben, Schwulen, Bisexuellen sowie trans- und bei denen sich die ergriffenen intergeschlechtlichen Menschen, die bei der Inanspruchnahme gesundheitlicher Versor- Maßnahmen an den gungsleistungen häufig Diskriminierung und Menschenrechten orientieren Stigmatisierung erleben und einem höheren Zahlreiche Länder haben im Rahmen ihrer ver- Risiko von Gewalt und anderen Menschenrechts- fügbaren Ressourcen gezielte Maßnahmen verletzungen ausgesetzt sind. Es gibt Berichte, ergriffen, um die wirtschaftlichen und sozialen wonach Anordnungen im Zusammenhang mit COVID-19 von der Polizei dazu missbraucht Auswirkungen der Krise auf die verwundbarsten werden, gezielt gegen Lesben, Schwule, Bise- Mitglieder der Gesellschaft abzumildern. Einige xuelle sowie trans- und intergeschlechtliche Länder haben allen Migrantinnen und Migranten Menschen und ihre Organisationen vorzugehen. und Asylsuchenden, deren Status nicht geregelt ist, vorübergehend ein Aufenthaltsrecht erteilt, Menschen mit HIV haben möglicherweise damit sie während des eskalierenden Ausbruchs eingeschränkten Zugang zu lebensrettenden uneingeschränkten Zugang zum jeweiligen antiretroviralen Medikamenten. Drogenkonsu- Gesundheitsversorgungssystem erhalten und menten haben unter Umständen keinen Zugang so die Risiken für die öffentliche Gesundheit ins- mehr zu Programmen zur Reduzierung der gesamt verringert werden. Andere bieten unent- gesundheitsschädlichen Folgen des Drogen- geltliche Coronavirus-Behandlungen für alle an. konsums, einschließlich Nadeln und Spritzen. In einigen Ländern wurden Maßnahmen zum Schutz verwundbarer Gruppen, darunter Men- SCHLAGLICHT: GLEICHHEIT, NICHT- schen mit Behinderungen, Obdachlose und DISKRIMINIERUNG UND INKLUSION in Einrichtungen lebende Jugendliche, getrof- STEHEN IM MITTELPUNKT DER KRISE fen. Andere haben die Festnahme irregulärer Migrantinnen und Migranten ausgesetzt. Gleichheit und Nichtdiskriminierung sind wesentliche Menschenrechte, die immer In allen Weltregionen haben Regierungen zur gelten, doch die Pandemie führt uns deutlich vor Abmilderung der Auswirkungen von COVID auf Augen, warum Ungleichheit und Diskriminierung Gefängnisinsassen Maßnahmen in Form von nicht hinnehmbar sind und letztendlich allen Entlassungen und Hafturlaub eines Teils der schaden. Wir können es uns nicht leisten, bei Häftlinge ergriffen. unseren Anstrengungen zur Bekämpfung der Pandemie irgendjemanden zurückzulassen. Die Ungleichheit erschwert schon jetzt bestimm- ten marginalisierten Bevölkerungsgruppen den Genuss ihrer Menschenrechte. Die Pandemie bringt grundlegende strukturelle Ungleichheiten ans Licht, aufgrund derer bestimmte Gruppen unverhältnismäßig stark betroffen sind. Das zeigt sich eindrücklich darin, wie schwer die Pandemie bestimmte Bevölkerungsgruppen trifft, insbesondere marginalisierte Menschen. COVID-19 UND DIE MENSCHENRECHTE: DIE KRISE TRIFFT UNS ALLE 16
III. Alle müssen in die Gegenmaß- nahmen eingebunden werden Teilhabe an offenen, transparenten und mit Rechenschaftslegung verbundenen Maßnahmen Diese Krise trifft uns alle. Um die Pandemie wirksam zu bekämpfen, müssen wir alle Anteil an der Bewältigung haben. Damit sich die Menschen wirksam beteiligen können, müssen sie informiert sowie in die sie betreffenden Entscheidungen eingebunden werden und nachvollziehen können, dass die zur Bekämpfung des Virus und zur Rettung von Menschenleben ergriffenen Maßnahmen notwendig, ange- messen und verhältnismäßig sind. Jeder einzelne Beitrag zählt, aber der wirksamste Weg zu einer mög- lichst umfassenden Teilhabe führt über empirische Fakten, Überzeugungsarbeit und die Übernahme gemeinsamer Verantwortung. In einer Krise brauchen die Menschen Mitsprachemöglichkeiten und eine Stimme. In Zeiten wie diesen müssen die Regierungen mehr denn je offen, transparent und bürgernah sein und den Menschen, die sie zu schützen suchen, Rechenschaft ablegen. Die Organisationen der Zivilgesellschaft können ebenso wie der Privatsektor und die Unternehmen Beiträge leisten, die es zu fördern gilt. Warum ist es wichtig, dass die berichten und darzulegen, dass die Maßnah- men vernünftig sind, voraussichtlich Wirkung Menschen in die Maßnahmen zur zeigen werden und nicht länger in Kraft blei- Bekämpfung von COVID-19 ben als notwendig. Wenn sichergestellt werden eingebunden werden? soll, dass die Menschen die Maßnahmen befol- gen, braucht es Vertrauen, und Vertrauen wie- Von den Menschen wird verlangt, sich außer- derum setzt Transparenz und Teilhabe voraus. ordentlichen Maßnahmen zu unterwerfen, von denen viele ihre Menschenrechte stark ein- Bei der Teilhabe geht es jedoch nicht allein schränken. Bisher haben die Menschen auf der darum, das Vertrauen der Öffentlichkeit zu ganzen Welt eine außerordentliche Koopera- gewinnen, sondern auch darum, sicherzustellen, tionsbereitschaft an den Tag gelegt, trotz der dass die ergriffenen Maßnahmen tatsächlich reellen Auswirkungen dieser Maßnahmen auf ihr funktionieren und mögliche unbeabsichtigte Fol- Leben. Wenn sich das Virus weiterverbreitet und gen verhindert oder behoben werden. Quer durch die Maßnahmen sowohl zeitlich als auch in ihrem alle Bereiche, auch in der Wirtschaftsplanung Umfang ausgeweitet werden müssen, könnte es und bei Notstandsmaßnahmen, zeigen empiri- schwieriger werden, diese Kooperationsbereit- sche Daten, dass Maßnahmen schlicht weniger schaft aufrechtzuerhalten. Der beste Weg für Wirkung entfalten und sogar Schaden anrichten die Regierungen, die Unterstützung der Öffent- können, wenn Frauen bei der Entscheidungsfin- lichkeit für die Maßnahmen aufrechtzuerhal- dung nicht konsultiert oder einbezogen werden. ten, ist es, offen und transparent zu agieren und die Menschen in die sie betreffenden Entschei- Die Behörden müssen bei der Entscheidungs- dungen einzubinden. Es ist wichtig, ehrlich über findung offen und transparent vorgehen, sich das Ausmaß der Bedrohung durch das Virus zu etwaiger Kritik stellen und auf sie eingehen. 17 COVID-19 UND DIE MENSCHENRECHTE: DIE KRISE TRIFFT UNS ALLE
Es ist äußerst wichtig, dass aktuelle, zutreffende Hälfte der Menschen auf der Welt keinen und faktenbasierte Informationen und unter Internetzugang hat, müssen dringend Schritte anderem nach Geschlecht aufgeschlüsselte unternommen werden, um das Angebot an Daten frei zugänglich sind, damit diejenigen, Internetdiensten für die Armen und die am die danach trachten, die Wirksamkeit des staat- stärksten Gefährdeten zu erweitern und eine lichen Handelns zu überprüfen oder kritisch zu Abschaltung des Internets zu vermeiden. Der hinterfragen, ihre Rolle wahrnehmen können. Internetzugang derjenigen, die ihn möglicher- weise nicht bezahlen können, sollte von den Die Regierungen müssen gegenüber den Internetanbietern nicht gesperrt werden. Menschen, die sie zu schützen suchen, Rechen- schaft ablegen. Eine freie Presse und in einem offenen zivilgesellschaftlichen Raum agierende Neue menschenrechtliche zivilgesellschaftliche Organisationen sind Herausforderungen in Bezug wesentliche Elemente der Pandemiebekämpfung und müssen gefördert werden. auf Teilhabe und den zivil- gesellschaftlichen Raum Viele zivilgesellschaftliche Organisationen tra- gen zu den Hilfsmaßnahmen an vorderster Front Diese Analyse legt nahe, dass die Staaten bei und schließen durch ihre Tätigkeit Lücken in neben anderen Rechten das Recht der freien der Grundversorgung, um den am schwersten Meinungsäußerung, die Pressefreiheit, die betroffenen Menschen zu helfen. Die Medien Informationsfreiheit sowie die Vereinigungs- und die zivilgesellschaftlichen Organisationen und Versammlungsfreiheit achten und schützen helfen auch dabei, lebensrettende Empfehlungen müssen. Das Vorgehen in vielen Ländern im und Informationen zur Pandemie und zu den im Kontext von COVID-19 lässt darauf schließen, jeweiligen Land getroffenen Maßnahmen zu ver- dass dies nicht unbedingt gegeben ist. Zu den breiten. Auch die Wirtschaft und der Privatsektor besorgniserregenden Entwicklungen gehören können auf vielfältige Weise zu den gemein- unter anderem: samen Anstrengungen im Kampf gegen die Pandemie beitragen und tun dies bereits, zum > Maßnahmen zur Steuerung des Informations- Beispiel durch die Umstellung von Produktions- flusses und zur Unterdrückung des Rechts kapazitäten zur Herstellung persönlicher Schutz- der freien Meinungsäußerung und der Presse- ausrüstung für die an vorderster Front Tätigen. freiheit vor dem Hintergrund eines sich ver- engenden zivilgesellschaftlichen Raums. Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pande- mie, insbesondere der Einsatz von Notstands- > Festnahme, Inhaftierung und strafrechtliche befugnissen, müssen weiterhin unter demo- oder sonstige Verfolgung von politischen kratischer Aufsicht stehen. Bei Wahlen kommen Gegnerinnen und Gegnern, Journalistinnen in den Wahllokalen viele Menschen zusammen, und Journalisten, Ärztinnen und Ärzten, was im Widerspruch zum empfohlenen Abstand- medizinischem Personal, Aktivistinnen und halten zum Schutz der öffentlichen Gesundheit Aktivisten und anderen unter dem Vorwand, steht. Ungeachtet der zentralen Bedeutung funk- sie würden „Falschinformationen“ verbreiten. tionierender demokratischer Institutionen wer- den manche Wahlen möglicherweise verschoben > Scharfe Kontrollen im Cyberspace und werden müssen. In vielen Ländern ist dies verstärkte Online-Überwachung. bereits geschehen. > Die Verschiebung von Wahlen gibt in Wie nie zuvor hat die Krise uns vor Augen manchen Fällen Anlass zu ernsten ver- geführt, wie wichtig der Zugang zum Internet fassungsrechtlichen Bedenken und kann ist. Angesichts dessen, dass mehr als die zu zunehmenden Spannungen führen. COVID-19 UND DIE MENSCHENRECHTE: DIE KRISE TRIFFT UNS ALLE 18
Die Krise wirft die Frage auf, wie am besten erhalten in den Ländern die Unterstützung für gegen Hetze vorgegangen und zugleich das die getroffenen Maßnahmen und stellen sicher, Recht der freien Meinungsäußerung geschützt dass zutreffende Gesundheitsinformationen und werden kann. Weitreichende Maßnahmen gegen -empfehlungen verbreitet werden und die Men- Falschinformationen und Desinformation kön- schen wissen, wo sie Hilfe bekommen können. nen, ob gewollt oder nicht, zu Zensur führen, was wiederum das Vertrauen untergräbt. Die beste Manche Regierungen haben zwecks Überprü- Wirkung lässt sich mit zutreffenden, klaren fung des Handelns der Exekutive während der und faktenbasierten Informationen aus Quel- Krise einen unabhängigen oder unter der Leitung len erzielen, denen die Menschen vertrauen. Die der Opposition stehenden, online und öffentlich Kennzeichnung und Entfernung von Fehlinfor- tagenden parlamentarischen Ausschuss ein- mationen sind durchaus begrüßenswerte Maß- gesetzt oder entsprechend ermächtigt. nahmen, in erster Linie sollte die Verteidigungs- Die Zivilgesellschaft und die Wirtschaft ver- strategie jedoch darin bestehen, verlässliche suchen auf vielerlei und äußerst kreative Weise, Informationen in den Vordergrund zu rücken. die Auswirkungen zu mildern und vermehrten Schutz zu bieten, unter anderem durch die Vorbildliche Verfahren, bei Einführung gesonderter Ladenöffnungs- denen sich die ergriffenen zeiten für ältere Menschen, die Einrichtung kommunaler Hilfsnetzwerke für gefährdete Maßnahmen an den Personen oder die Aussetzung von Miet- Menschenrechten orientieren zahlungen für Menschen ohne Einkommen. In vielen Ländern werden täglich Pressekonfe- renzen abgehalten, um die Bevölkerung über die Lage und die geltenden Maßnahmen zu informie- ren. Diese Foren sind ein wichtiger Bestandteil der nationalen Reaktion, denn sie schaffen und 19 COVID-19 UND DIE MENSCHENRECHTE: DIE KRISE TRIFFT UNS ALLE
IV. Die Bedrohung geht nicht von den Menschen, sondern vom Virus aus Notstands- und Sicherheitsmaßnahmen, falls erforderlich, müssen zeitlich begrenzt und verhältnismäßig sein und den Schutz der Menschen zum Ziel haben Diese Krise trifft uns alle. Die Pandemie stellt eine ernste Bedrohung für die öffentliche Gesund- heit dar und hat weitreichende Folgen für Frieden und Sicherheit. Der Rechtsdurchsetzung kommt im Kampf gegen die Krankheit und beim Schutz der Menschen eine unterstützende Rolle zu. Notstandsbefugnisse können notwendig sein; rasch erteilte, weitreichende exekutive Befugnisse mit minimaler parlamentarischer Kontrolle bergen jedoch Gefahren. Unverhältnismäßige Sicher- heitsmaßnahmen untergraben die Gesundheitsmaßnahmen und können bestehende Bedrohungen des Friedens und der Sicherheit verschärfen oder neue verursachen. Der beste Weg besteht darin, unmittelbaren Bedrohungen unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zu begegnen und gleichzeitig die Menschenrechte im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit zu schützen. Dies ist eine Zeit, in der wir für Frieden sorgen müssen, damit wir uns auf die Bekämpfung des Virus konzentrieren können. Warum spielen Gerechtigkeit, Wenngleich Zwangsmaßnahmen in bestimmten Situationen gerechtfertigt sein Zurückhaltung und die Achtung mögen, kann ihre grobe und unverhältnis- der Rechtsstaatlichkeit für die mäßige Anwendung fehlschlagen und die Bekämpfung von COVID-19 gesamte Pandemieabwehr untergraben. eine zentrale Rolle? Angesichts der von dieser Gesundheitsnotlage Aufgrund der Pandemie haben die Länder verursachten Instabilität müssen Frieden Notstands- und Sicherheitsmaßnahmen und Stabilität aufrechterhalten werden. Zur verhängt. Während die meisten davon für die Stärkung und Unterstützung der nationalen Bekämpfung des Virus notwendig sind, können Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie diese Maßnahmen auch politisch motiviert sein sind Fairness, Gerechtigkeit und die Achtung und leicht missbraucht werden. Die Pandemie der Rechtsstaatlichkeit unerlässlich. Die könnte als Vorwand für das Unterminieren demo- Gerichte und das Justizwesen müssen trotz kratischer Institutionen und die Unterdrückung der krisenbedingten Einschränkungen weiter- legitimer abweichender Meinungen oder hin ihre Funktion erfüllen. Die Staaten müssen unliebsamer Personen oder Gruppen dienen, sicherstellen, dass die Rechtsdurchsetzung mit weitreichenden Folgen, die uns noch lange aufrechterhalten bleibt. Sie müssen unter nach der akuten Krise erhalten bleiben werden. anderem Frauen, ältere Menschen, Menschen COVID-19 UND DIE MENSCHENRECHTE: DIE KRISE TRIFFT UNS ALLE 20
mit Behinderungen und Kinder vor Gewalt Bedrohung für Frieden und Sicherheit dar und und Missbrauch schützen und dafür sorgen, kann Fortschritte bei der Friedenskonsolidierung dass Unterstützungsdienste für Überlebende zunichtemachen und das längerfristige geschlechtsspezifischer Gewalt auch wäh- Konfliktrisiko erhöhen. In manchen Ländern rend der Krise weiterhin verfügbar sind. sind fragile Friedensprozesse im Gange, die von der Krise unterminiert werden könnten, Wir müssen jetzt gegen diejenigen vor- insbesondere wenn die Aufmerksamkeit der gehen, die sich die Krise auf opportunis- internationalen Gemeinschaft abgelenkt ist. tische Weise zunutze machen, um ihre Andere Akteure könnten versuchen, sich die Position zu stärken oder mittels Korruption Krise für ihre politischen Zwecke zunutze zu Ressourcen zu stehlen, die für die Bekämp- machen. Gäbe es eine sofortige weltweite fung der Pandemie gedacht sind. Waffenruhe, wie sie der Generalsekretär gefordert hat, könnten wir uns auf den wahr- In den neuen Technologien steckt enormes haften Kampf unseres Lebens konzentrieren. Potenzial für den Kampf gegen COVID-19, unter anderem für die Entwicklung eines Heilmittels Im Rahmen ihrer Maßnahmen gegen COVID-19 oder Impfstoffs und für die Analyse der Krank- könnten manche Staaten versuchen, auf die heitsübertragung. Der Einsatz von Technologien Terrorismusbekämpfung abzielende Rechts- wie künstlicher Intelligenz und großen Daten- vorschriften und Sicherheitsmaßnahmen auf mengen zur Durchsetzung von Notstands- und eine Art und Weise anzuwenden, die die Men- Sicherheitsmaßnahmen oder für die Über- schenrechte verletzt. Ein derartiger Missbrauch wachung betroffener Bevölkerungsgruppen und könnte Bedingungen verschärfen, die die Aus- die Verfolgung ihrer Bewegungen gibt jedoch breitung des Terrorismus begünstigen. Anlass zur Sorge. Das Missbrauchspotenzial ist hoch: Was in einer Notsituation gerechtfertigt Wer menschenrechtliche Schutzbestimmungen ist, kann nach der Krise zum Normalzustand zurückschrauben möchte, um einen Nutzen werden. Ohne angemessene Sicherheitsvorkeh- aus der Krise zu ziehen, sollte sich dies rungen können diese mächtigen Technologien genau überlegen; ein solcher Schritt unter- zu Diskriminierung führen, in das Leben der gräbt zwangsläufig die Pandemieabwehr Menschen eingreifen und ihre Privatsphäre auf globaler und nationaler Ebene. verletzen oder auch zu Zwecken, die weit über die Pandemiebekämpfung hinausgehen, gegen Personen oder Gruppen eingesetzt werden. SCHUTZ ALS VORRANGIGES ZIEL: IN Alle Maßnahmen müssen durch sinnvolle HUMANITÄREN KRISEN DIE SCHWÄCHSTEN Datenschutzbestimmungen flankiert sein und SCHÜTZEN gesetzeskonform, notwendig, verhältnismäßig, zeitlich begrenzt und durch legitime Interessen Durch den Ausbruch werden Schutzfragen der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt sein. noch dringlicher, und für besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen in bereits bestehenden Die Pandemie wirkt sich auf alle Länder aus, humanitären Krisen entstehen neue Bedrohun- doch in manchen wird ihre Bekämpfung durch gen. Es besteht die Gefahr, dass Konfliktparteien bereits bestehende Herausforderungen im die Pandemie ausnutzen, um Unsicherheit zu Bereich Frieden und Sicherheit zusätzlich erzeugen oder zu verschärfen und die medizi- erschwert. Gepaart mit bereits herrschender nische Versorgung und andere lebensrettende Instabilität stellt die Pandemie eine ernsthafte Hilfeleistungen und Dienste zu behindern. 21 COVID-19 UND DIE MENSCHENRECHTE: DIE KRISE TRIFFT UNS ALLE
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