Grundrechte für Primaten - Positionspapier - primaten-initiative.ch - Sentience Politics
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Grundrechte für Primaten Positionspapier Eine Initiative von primaten-initiative.ch 03 ⁄ 2021
Nicht-menschliche Primaten sind hochkomplexe Wesen und besitzen ein fundamentales Interesse daran, zu leben und körperlich und geistig unversehrt zu bleiben. Die bestehenden rechtlichen Bestimmungen in der Schweiz tragen diesen Interessen aber kaum Rech- nung, w eshalb P rimaten des Schutzes durch Grundrechte bedürfen. Um die Forderung nach Grundrechten umzusetzen, wird ein konkreter Vorschlag für eine kantonale Initiative gemacht, in der die Verankerung von Grundrechten auf Leben und auf körperliche und geistige Unversehrt- heit für nicht-menschliche Primaten auf kantonaler Verfassungsstufe gefordert wird. 2 Grundrechte für Primaten Positionspapier
Inhaltsverzeichnis 5 Einleitung 6 Primaten 8 Tierschutzrecht 13 Grundrechte für Primaten 16 Einwände und Antworten 19 Politische Forderung und Begründung 21 Zusammenfassung 22 Literatur Positionspapier von Sentience Politics Bevorzugte Zitation Fasel, R., Blattner, C., Manni- no, A. und Baumann, T. (2016). Grundrechte für Primaten. Positionspapier von Sentience Politics (1): 1-18. Erstveröffentlichung April 2016 (letztes Update: April 2016) sentience-politics.org Autor*innen Raffael Fasel Sentience Politics Charlotte Blattner PhD-Kandidatin im Völker- und Tierrecht, Universität Basel Adriano Mannino Präsident, Sentience Politics Tobias Baumann Leiter Strategie, Sentience P olitics Fotos Anne Berry Sentience Politics primaten-initiative.ch 3
Boma Nicht-menschliche Primaten sind in Bezug auf ihre Interessen, nicht zu leiden und nicht getötet zu werden, menschlichen Primaten gleichwertig. Ihnen steht – wie den Menschen – ein Grundrecht auf Leben und auf Unversehrt- heit zu. 4 Grundrechte für Primaten Positionspapier
Einleitung Spätestens seit den Publikationen Charles Darwins lässt den Kreis der Grundrechtsträger aufzunehmen und da- sich ein Festhalten an Weltbildern, die den Menschen als durch ihre Interessen als moralisch und rechtlich gleich- «Krone der Schöpfung» oder als Spitze einer «Grossen wertig anzuerkennen. Sklaverei und Leibeigenschaft Kette der Wesen» darstellen, nicht mehr rechtfertigen. wurden formell abgeschafft und Menschen, die ehemals Trotz der ausserordentlichen Eigenschaften, die der der Zwangsarbeit unterworfen waren, werden nun auf Mensch im Laufe der Zeit entwickelt hat, dürfen wir nach nationaler und internationaler Ebene in ihren Grund- Darwin «nicht vergessen, dass er nur eine der verschie- rechten geschützt.3 Frauen ist es gelungen, das Stimm- denen exceptionellen Formen der Primaten ist.»1 Der und Wahlrecht sowie vollständige Eigentumsrechte zu Mensch reiht sich genauer gesagt in eine Ordnung von erlangen.4 Die Interessen von Kindern und Menschen über 300 Primatenspezies ein.2 Primaten zeichnen sich mit Behinderungen werden heute ebenfalls durch im Vergleich zu vielen anderen Tieren durch ihr grosses Grundrechte geschützt.5 Zudem werden im Bereich von Gehirn, ihre komplexe Sozialstruktur und ihre hohe physi- LGBT-Rechten immer mehr Fortschritte erzielt.6 Trotz sche und psychische Leidensfähigkeit aus. Für P rimaten, des bestehenden Verbesserungspotenzials stellen all die nicht der Spezies Homo sapiens angehören, werden diese rechtlich-moralischen Fortschritte unerlässliche diese Fähigkeiten und Eigenschaften jedoch regelmäs- Meilensteine in der Schaffung einer gerechteren Gesell- sig zum Verhängnis: Nicht-menschliche Primaten gelten schaft dar. zum Beispiel als besonders attraktiv für biomedizinische Forschung, sie werden zur Belustigung und zu Bildungs- Mitgefühl und eine rationale Anwendung moralischer und Konservierungszwecken ausgestellt, und sie werden und rechtlicher Prinzipien drängen sich indessen nicht als exotische Haustiere gehalten. nur bei Menschen auf, sondern auch bei nicht-mensch- lichen Tieren. Ziel dieses Positionspapieres ist es, auf- Je mehr wissenschaftliche Erkenntnisse wir über die be- zuzeigen, dass die Interessen von nicht-menschlichen merkenswerten Eigenschaften von nicht-menschlichen Primaten durch Grundrechte geschützt werden m üssen. Primaten erlangen, desto schwieriger wird es, solche Konkret fordern wir die Einführung eines Grundrechts Praktiken moralisch zu rechtfertigen. Einer der zent- auf Leben und eines Grundrechts auf körperliche und ralsten Gerechtigkeitsgrundsätze lautet, dass Gleiches geistige Unversehrtheit für nicht-menschliche Prima- gleich und Ungleiches nach Massgabe seiner Ungleich- ten auf kantonaler Verfassungsstufe. Zu diesem Zweck heit ungleich zu behandeln ist. In diesem Positions- stellen die nächsten Kapitel dar, über welche beson- papier zeigen wir auf, dass nicht-menschliche Primaten deren Fähigkeiten und Interessen nicht-mensch liche in Bezug auf ihre Interessen, nicht zu leiden und nicht Primaten verfügen und dass die heutige Schweizer getötet zu werden, menschlichen Primaten gleichwer- Rechtslage und Praxis selbst die fundamentalsten dieser tig sind und ihnen deshalb – wie den Menschen – ein Interessen – wie jene nach Leben und Unversehrtheit – Grundrecht auf Leben und ein Grundrecht auf Unver- trivialen menschlichen Interessen unterordnet. Wie wir sehrtheit zusteht. aufzeigen, bedürfen Primaten deshalb des Schutzes durch Grundrechte auf Leben und Unversehrtheit, um Diese Ausweitung des grundrechtlichen Schutzes auf die Sicherstellung ihrer vitalen Interessen zu garantie- nicht-menschliche Primaten drängt sich in Anbetracht ren. Mögliche Einwände und Bedenken, die gegen diese des moralischen Fortschrittes in Richtung einer diskri- Forderung nach Grundrechten für nicht-menschliche minierungsfreien Gesellschaft auf, den wir seit einigen Primaten erhoben werden können, erweisen sich als Jahrzehnten erleben. Noch vor nicht allzu langer Zeit unbegründet. Um die Erkenntnisse dieses Positions- wurden bestimmte Menschen aufgrund willkürlicher papiers in praktische Form zu giessen, präsentieren wir Kriterien wie Hautfarbe, Ethnie, Herkunft oder Ge- im letzten Kapitel unseren konkreten Vorschlag für die schlecht als minderwertig eingestuft und diskriminiert. kantonale Initiative «Grundrechte auf Leben und Unver- Diesen angeblich primitiven Menschen wurden viele, sehrtheit für alle Primaten» im Kanton Basel-Stadt. wenn nicht sogar alle, Grundrechte entzogen. Zwangs- arbeit, Leibeigenschaft, Misshandlung und die Verwei- gerung angemessener politischer Repräsentation sind nur einige der Ungerechtigkeiten, die diesen Menschen widerfahren sind. Vielerorts ist es dank intensiven ge- sellschaftlichen Debatten gelungen, diese Menschen in Sentience Politics primaten-initiative.ch 5
Primaten Biologische Systematik und Verteilung Primaten bilden eine eigene Ordnung innerhalb der Klasse der Säugetiere und umfassen sowohl mensch- liche wie auch nicht-menschliche Primaten.7 In ihren Grundsätzen lässt sich die Ordnung der Primaten wie folgt unterteilen: Systematik der Primaten Primaten Primates Feucht- Trocken- nasen- nasen- primaten primaten Strepsirrhini Haplorrhini Kobold- Lemuren makis Lemuriformes Tarsiiformes Loriartige Affen Anthropoidea Lorisiformes Fingertiere Altwelt- Daubentoniidae affen Catarrhini Loris Lorisidae Menschen- artige Hominoidea Neuwelt- Galagos affen Galagonidae Lemuroidea Platyrrhini Geschwänzte Altwelt- Gibbons affen Cercopithecoidea Menschen- affen Ceboidea Pithecoidea Innerhalb der Überfamilie der Menschenartigen können liche Primaten leben allerdings in Gefangenschaft, dies die zwei Familien Gibbons und Menschenaffen unter- vor allem in Nordamerika und Europa. Nicht-mensch schieden werden. Zu den letzteren werden die Spezies liche Primaten werden in der Schweiz entweder in Zoos Orang-Utan, Gorilla, Schimpanse, Bonobo sowie der oder in Käfigen privater Unternehmen oder öffentlicher Mensch gezählt.8 Universitäten gehalten. Im Kanton Basel-Stadt etwa wurden im Jahr 2014 knapp 180 nicht-menschliche Freilebende nicht-menschliche Primaten sind auf der Primaten in der Forschung eingesetzt, was 71 % aller Erde weit verbreitet und kommen in Afrika, Indien, schweizweit für Forschungszwecke gehaltenen nicht- Südostasien und Südamerika vor.9 Viele nicht-mensch- menschlichen Primaten entspricht.10 Im Zoo Basel 6 Grundrechte für Primaten Positionspapier
lebten im Jahr 2015 zusätzlich rund 130 nicht-mensch- Beispiel beherrscht der Bonobo Kanzi, der bei der Ape liche Primaten.11 Wenn die Zahl der in der Tierversuchs- Cognition and Conservation Initiative (ACCI) in Iowa forschung eingesetzten nicht-menschlichen Primaten lebt und dessen kognitive Fähigkeiten über Jahrzehnte mit jener des Vorjahres vergleichbar bleibt, existieren untersucht wurden, mehr als 400 Lexigram-Symbole derzeit allein in Basel-Stadt gesamthaft mehr als 300 (eine Art Tastatur, auf der Symbole abgebildet sind). Dies nicht-menschliche Primaten. erlaubt ihm, mit Menschen über Objekte, Orte, Aktivitä- ten, Erlebtes und zukünftige Pläne zu kommunizieren.23 Schimpansen konnten sogar dabei beobachtet werden, wie sie eine von ihnen erlernte Zeichensprache jungen Eigenschaften Schimpansen weitervermittelten und diese die Sprache ohne weiteres menschliches Zutun erlernt haben.24 und Fähigkeiten Primaten verfügen ferner über die Fähigkeit, sich geistig Zu den Charakteristiken, die alle Primaten verbinden, in andere Individuen hineinzuversetzen. Einige Primaten gehören – abgesehen von physischen Eigenschaften, tricksen andere dadurch aus, dass sie deren Verhalten wie spezialisierte Nervendenden in Händen und Füssen vorhersehen, indem sie darauf achten, was diese sehen, oder separate Greifzehen12 – ausserordentliche Verhal- hören oder beabsichtigen – und ihr eigenes Verhalten tensmerkmale und Fähigkeiten. entsprechend anpassen.25 Dieses Verhalten ist ver- knüpft mit der Fähigkeit von Primaten, mentale Zeitrei- So verfügen Primaten über eine hohe soziale Intelli- sen zu unternehmen. Das heisst, dass sie sich an ver- genz, deren Entstehung und Entwicklung insbesonde- gangene Ereignisse erinnern und zukünftige Ereignisse re auf die Anforderungen ihres komplexen Soziallebens voraussehen können. Entgegen einer lange verbreiteten zurückzuführen ist.13 Junge Primaten bleiben verhältnis- These haben neueste Forschungen bei Primaten ge- mässig lange von Erwachsenen abhängig. Dies erlaubt zeigt, dass sie künftige Bedürfnisse, wie zum Beispiel es ihnen, die notwendigen Fähigkeiten zu erlernen, die Durst oder Hunger, vorhersehen können, selbst wenn für das Überleben und Funktionieren in einer komplexen sie das betreffende Bedürfnis zum jeweiligen Zeitpunkt sozialen Gruppe unabdingbar sind.14 Dazu gehört die noch nicht verspüren.26 Der Schimpanse Santino konn- Fähigkeit, Empathie gegenüber anderen Primaten zu te ausserdem in einem schwedischen Zoo dabei beob- empfinden.15 In einer Studie an Rhesusaffen konnte zum achtet werden, wie er systematisch Steine und andere Beispiel festgestellt werden, dass diese es bevorzugen, Wurfgeschosse sammelte und versteckte, um sie später auf Essen zu verzichten, wenn sie dadurch verhindern herauszuholen und Besuchergruppen, die an seinem können, dass ihren Kameraden elektrische Schocks zu- Gehege vorbeikamen, damit zu bewerfen.27 Zudem gefügt werden.16 Primaten trauern ausserdem um ver- können sich Primaten selbst im Spiegel erkennen – ein storbene Bekannte.17 unter Forschern anerkannter Beweis für ein Ich- oder Selbstbewusstsein.28 Wie menschliche Primaten kennen auch nicht-menschli- che Primaten soziales Lernen, das zuerst durch die Mutter Schliesslich steht heute ausser Frage, dass Primaten und später durch erweiterte Gruppen gefördert wird.18 höchst schmerzempfindungsfähige Individuen sind. Durch die «do-as-I-do»-Lerntechnik bringen sich Prima- Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass alle ten gegenseitig bei, wie man Futter beschafft, am besten Primaten über ein hochentwickeltes zentrales Nerven- den Wald durchstöbert oder Werkzeuge gebraucht und system verfügen und ähnliche Neuronen- und Hirn- herstellt.19 Insbesondere – aber nicht nur – bei Men- strukturen aufweisen.29 Nicht-menschliche Primaten schenaffen spricht man dabei auch von eigenen Kultu- sind nicht nur in der Lage, physischen Schmerz zu emp- ren und Traditionen.20 So wurde zum Beispiel bei zwei finden, sondern sie leiden auch psychisch. Primaten er- Schimpansengruppen in Westafrika beobachtet, dass die leiden schwere Verhaltensstörungen wie Depressionen westlich des Flusses Sassandra-N’Zo lebende Gruppe die und andere geistige Störungen durch negative Ereignis- Tradition pflegt, Nüsse auf eine bestimmte Weise zu kna- se wie soziale Trennungen, sozialen Entzug, mütterliche cken. Die östlich des Flusses lebende Gruppe hingegen Vernachlässigung oder Missbrauch.30 knackt k eine Nüsse, obwohl das Vorkommen an Nüssen auf beiden Seiten des Flusses vergleichbar ist.21 Dieser kurze Überblick zeigt, dass nicht-menschliche Primaten Individuen mit einer hohen sozialen Intelli- Auch die Tatsache, dass Primaten ausserordentlich genz, Selbstbewusstsein, Zukunfts- und Vergangen- gut im Kommunizieren sind, überrascht kaum. Sie tau- heitssinn sowie ausgeprägter Schmerzempfindungs schen sich untereinander sowie mit anderen Individuen fähigkeit sind. sowohl durch Vokalisierung als auch durch Gestik aus. Dabei verfügen sie über individualisierte Laute und Dialekte.22 Bestimmte Primaten haben ausserdem ge- lernt, mit abstrakten Symbolen zu kommunizieren. Zum Sentience Politics primaten-initiative.ch 7
Tierschutzrecht In der Schweiz sind auf nicht-menschliche Primaten ver- ieres nicht durch überwiegende Interessen gerecht T schiedene tierschutzrechtliche Bestimmungen anwend- fertigt werden kann.»32 bar. Der nachfolgende Überblick wird aufzeigen, dass dieser Rechtsschutz ungenügend ist, da der Kern der Das TSchG bestimmt sodann in Art. 4 Abs. 1, dass je- Interessen nicht-menschlicher Primaten auf Leben und der, der mit nicht-menschlichen Tieren umgeht, deren Unversehrtheit nicht geschützt ist. Dieser unzureichen- Bedürfnisse in bestmöglicher Weise zu berücksichti- de Rechtsschutz wirkt sich auch in der Praxis aus: Die gen hat sowie – «soweit es der Verwendungszweck zu- im Tierschutzgesetz vorgesehenen Interessenabwägun- lässt» – für ihr Wohlergehen zu sorgen hat. Insbeson- gen fallen in aller Regel zuungunsten der Tiere aus. Eine dere darf gemäss Abs. 2 niemand «ungerechtfertigt ernsthafte Verbesserung des Schutzes der Interessen einem Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen, es nicht-menschlicher Primaten ist deshalb nur durch die in Angst versetzen oder in anderer Weise seine Würde Einführung von Grundrechten zu erreichen, welche den missachten.»33 Kerngehalt der Interessen auf Leben und Unversehrtheit garantieren. Ein Blick auf die internationale Rechtslage Der generelle Grundsatz, gemäss welchem Eingriffe wird aufzeigen, dass die Forderung nach Grundrechten für in die Interessen von Tieren gerechtfertigt sind, wenn nicht-menschliche Primaten in anderen Staaten schon diesen überwiegende Interessen entgegenstehen, wird beträchtliche Erfolge erzielen konnte und die Schweiz im TSchG durch eine Reihe von Bestimmungen spezi- hier entsprechenden Nachholbedarf hat. fiziert. So wendet Art. 19 Abs. 4 TSchG das Prinzip der Interessenabwägung auf Tierversuche an. Gemäss die- ser Bestimmung ist ein Tierversuch dann unzulässig, «wenn er gemessen am erwarteten Kenntnisgewinn dem Tier unverhältnismässige Schmerzen, Leiden Rechtslage oder Schäden zufügt oder es in unverhältnismässi- in der Schweiz ge Angst versetzt.»34 Des Weiteren regeln die Art. 17 ff. TSchG, dass Tierversuche bewilligungspflichtig und auf das unerlässliche Mass zu beschränken sind, wenn sie Bestehende Rechtslage in der Schweiz nicht-menschlichen Tieren Schmerzen, Angst oder wei- Gemäss Art. 80 Abs. 1 der Bundesverfassung (BV) hat tere Schäden zufügen oder ihre Würde in anderer Weise der Bund die Kompetenz zur Regelung des Schutzes von missachten. nicht-menschlichen Tieren, von welcher er mit dem Er- lass des Tierschutzgesetzes (TschG) Gebrauch gemacht Der Bundesrat hat die Bestimmungen des TSchG in hat. Zweck des Tierschutzgesetzes ist gemäss Art. 1 der Tierschutzverordnung (TSchV) konkretisiert. D iese TSchG der Schutz der Würde und des Wohlergehens von enthält mehrere Bestimmungen, die explizit nicht- Tieren. Der Würdeschutz ergibt sich bereits aus Art. 120 menschliche Primaten betreffen, wie beispielsweise Abs. 2 BV, welcher festlegt, dass der Bund der Würde der Bestimmungen zu Haltebewilligungen (Art. 92 Abs. 1 Kreatur Rechnung tragen muss. Gemäss herrschender Bst. b TSchV), zur Art der eingesetzten Primaten in Tier Lehre und Rechtsprechung gilt dieser verfassungsrecht- versuchen (Art. 118 Abs. 4 TSchV) sowie zu den spezifi- liche Würdeschutz sowohl für Tiere und Pflanzen und ist schen Anforderungen an die Haltebedingungen (Ziff. 14 entgegen dem Wortlaut («Vorschriften über den Um- und Tabelle 3 des Anhangs zur TSchV). gang mit Keim- und Erbgut») nicht nur bei der Gentech- nologie zu beachten, sondern hat generelle Anwendung Auf den ersten Blick scheinen diese Bestimmungen am- in der Rechtsordnung.31 Das heisst, ihm muss von der bitioniert zu sein.35 Wer jedoch genauer hinsieht, ent- Legislative, der Judikative und der Exekutive in all ihren deckt schnell, dass die bestehende Rechtslage durch Handlungen und Aufträgen Rechnung getragen werden. zwei grundlegende Mängel geprägt ist, die sich für den Unter «Würde» versteht das TSchG gemäss Art. 3 Bst. a Schutz der Interessen nicht-menschlicher Primaten TSchG den Eigenwert eines Individuums, der geachtet verheerend auswirken. werden muss. Das TschG macht dabei von einer Inter- essenabwägung abhängig, ob dieser Eigenwert gewahrt Der erste Mangel ist ein rechtlicher: Die Bestimmungen oder missachtet wird. Eine solche Missachtung liegt des TSchG und der TSchV sehen vor, dass selbst der Kern gemäss TSchG nur dann vor, «wenn eine Belastung des der Interessen auf Leben und Unversehrtheit einer Inter- 8 Grundrechte für Primaten Positionspapier
essenabwägung unterliegt.36 Nicht-menschliche Prima- bleiben auf der Strecke.42 Ein anschauliches Beispiel ten können deshalb jederzeit getötet oder es kann auf für diese Unterordnung fundamentaler Interessen von schwerwiegendste Weise in ihre körperliche und geisti- Primaten ist ein Versuch an Makaken, der vor wenigen ge Unversehrtheit eingegriffen werden, wenn entgegen- Jahren an der Universität Freiburg durchgeführt wur- stehende Interessen dies rechtfertigen. Anders als Men- de. Bei diesem Versuch wurden zwei Makaken elektro- schen, deren Interessen auf Leben und Unversehrtheit nische Sonden ins Gehirn implantiert. Anschliessend durch den Kerngehalt ihrer Grundrechte auf Leben und wurde ihnen das Rückenmark chirurgisch durchtrennt, Unversehrtheit geschützt sind, fehlt ein solcher Kern- um ihre Hände halbseitig zu lähmen. Die Tiere wurden gehaltsschutz für die Interessen nicht-menschlicher dann über M onate dazu angehalten, mit gelähmter Hand Primaten gänzlich. Damit schützen die bestehenden Futter aus Vertiefungen herauszuholen. Danach wurden Normen die Interessen auf Leben und Unversehrtheit die zwei gelähmten Makaken sowie zwei weitere Affen, von nicht-menschlichen Primaten wesentlich schlech- deren Rückenmark nicht durchtrennt wurde, getötet ter als die vergleichbaren Interessen von menschlichen und seziert.43 Dieser Tierversuch wurde von der zustän- Primaten. digen kantonalen Kommission bewilligt, da sie das Leben und die Unversehrtheit der Primaten dem behaupteten Dass die im Tierschutzgesetz vorgesehene Interessen- potenziellen Erkenntnisgewinn unterordnete. Eine durch abwägung keinen Schutz des Kerns der Interessen auf die Ärztinnen und Ärzte für Tierschutz in der Medizin Leben und Unversehrtheit mit sich bringt, wird auch durchgeführte Studie über den betreffenden Tierversuch vom Bundesgericht bestätigt. Dieses musste sich im kam allerdings zum Schluss, dass der konkrete Versuch Jahr 2009 mit der rechtlichen Zulässigkeit von Rhesus- mit dem Nützlichkeitsgrad 0 («kein Nutzen oder nur ein affenversuchen an der Universität Zürich und der ETH fraglicher Nutzen erkennbar für Mensch und Tier») hätte Zürich auseinandersetzen.37 Obwohl das Bundesge- bewertet – und folglich abgelehnt – werden müssen.44 richt in den konkreten Fällen den Entscheid fällte, dass Diese Einschätzung wurde durch eine unabhängige Stu- die Versuche wegen des gänzlich unwahrscheinlichen die von australischen Forschern bestätigt.45 Erkenntnisgewinns unzulässig sind, hielt es am Grund- satz fest, dass bei einem genügenden Erkenntnisgewinn Der ungenügende Schutz durch das Tierschutzrecht selbst in die vitalsten Interessen von nicht-mensch sowie dessen unzureichende praktische Anwendung lichen Primaten eingegriffen werden kann. machen deutlich, dass rechtliche Massnahmen jen- seits des TSchG getroffen werden müssen. Eine solche Das zweite damit verbundene Defizit liegt in der man- Massnahme ist die Verankerung von Grundrechten gelhaften Anwendung der bestehenden Tierschutz für nicht-menschliche Primaten. Dass dies gerade bei normen. In der Praxis kommt es nämlich häufig dazu, nicht-menschlichen Primaten besonders vordringlich dass die Interessen nicht-menschlicher Primaten nicht ist, haben die Eidgenössische Ethikkommission für die nur gewichtigeren entgegenstehenden Interessen wei- Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH) und die chen müssen, sondern vielfach auch trivialen Interes- Eidgenössische Kommission für Tierversuche (EKTV) in sen untergeordnet werden.38 Damit wird deutlich vom einem gemeinsamen Bericht zur Konkretisierung der Wortlaut der bestehenden Tierschutzbestimmungen Würde der Kreatur betont. So kamen beide Kommis- abgewichen, die einen Eingriff in tierliche Interessen nur sionen zum Schluss, dass die bestehende Rechtslage beim Konflikt mit überwiegenden Interessen erlauben. gerade bei solch «‚höheren’ Tieren»46 unzureichend ist: Anders gesagt kommt es in der Anwendung also häu- fig zu unverhältnismässigen Eingriffen in das Leben und die Unversehrtheit von nicht-menschlichen Primaten, was in der Lehre darauf zurückgeführt wird, dass die im «Menschenaffen verfügen in einem TSchG vorgesehene Interessenabwägung «strukturell hohen Grade über ‹menschliche› anthropozentrisch prädisponiert»39 ist. Eigenschaften wie Selbstbewusst- sein, Individualität und Vernunft- Diese defizitäre Praxis wird zum Beispiel bei Tierversu- chen deutlich.40 Berichte aus der Bewilligungspraxis für fähigkeit. Es stellt sich die Frage, Tierversuche zeigen auf, dass die vorgeschriebene Inte- ob der Schutz der Würde der ressenabwägung häufig auf unzureichende Weise vor- Kreatur diesen besonderen Eigen- genommen wird. Tierversuchskommissionen erachten es regelmässig als genügend, wenn die Forschenden schaften gerecht werden kann oder selbst bestätigen, dass allfällige Erkenntnisgewinne für ob der Umgang mit Menschen neue Therapien in Aussicht stünden und diese gewich- affen und möglicherweise mit allen tiger als die Interessen der Versuchstiere seien.41 Die In- Primaten über das Tierschutz teressenabwägung verkommt so nicht selten zu einer blossen Formalie und die vitalen Interessen auf Leben gesetz hinaus noch speziell ge und Unversehrtheit von nicht-menschlichen Primaten regelt werden müsste.»47 Sentience Politics primaten-initiative.ch 9
Dieser Überblick über die Rechtslage und Praxis in Internationale der Schweiz macht deutlich, dass das Interesse nicht- menschlicher Primaten auf körperliche und geistige Forderungen nach Unversehrtheit sowie auf Leben nicht genügend ge- Grundrechten schützt ist. Anders als bei menschlichen Primaten wird der Kern ihres Interesses auf Leben und auf Unversehrtheit Auch auf internationaler Ebene sind die besonderen rechtlich nicht gewahrt, und in der Anwendung werden Eigenschaften und Fähigkeiten von Primaten Anlass für diese Interessen selbst trivialen menschlichen Interessen rechtlich-politische Forderungen geworden. untergeordnet. Nicht-menschliche Primaten bedürfen deshalb des rechtlichen Schutzes durch Grundrechte, die Im April 2015 erkannte eine Richterin am New York über den bestehenden Tierschutz hinausgehen. Supreme Court implizit an, dass Schimpansen als Rechtspersonen gelten und Grundrechte auf Unver- sehrtheit und Bewegungsfreiheit besitzen können. Das Nonhuman Rights Project (NhRP) hatte das Gericht Politische Vorstösse mit einer habes corpus-Klage aufgefordert, die Recht- mässigkeit der Gefangenschaft zu prüfen, in der sich in der Schweiz die Schimpansen befanden.57 In Deutschland wurde am 23. April 2014 beim Deutschen Bundestag die Petition In der jüngeren Vergangenheit wurden verschiedene «Grundrechte für Menschenaffen» durch die Giordano- Vorstösse im Parlament eingereicht, die auf eine Ver- Bruno-Stiftung eingereicht. Die Petition fordert die Er- besserung des rechtlichen Schutzes von nicht-mensch- gänzung des Art. 20a des deutschen Grundgesetzes lichen Primaten zielten. Diese Vorstösse sind Ausdruck mit dem folgenden Absatz: «Das Recht der Grossen eines wachsenden Bewusstseins über die zuweilen ekla- Menschenaffen auf persönliche Freiheit, auf Leben und tanten Missstände im rechtlichen Schutz von Primaten. körperliche Unversehrtheit wird geschützt». 2008 wurde von der Umweltkommission des spanischen Parlamen- Aktuell ist im Parlament die Behandlung der folgenden tes eine Vorlage gutgeheissen, welche es sich – ähnlich drei Motionen ausstehend, die 2015 im Parlament ein- wie die Petition im Deutschen Bundestag – zum Ziel ge- gereicht wurden: die Motionen «Verbot von belastenden setzt hat, die Forderungen des Great Ape Projects (GAP) Tierversuchen an Primaten»48, «Verbot von Tierversu- umzusetzen. Das GAP ist eine durch die Philosophen chen für Kosmetika, Reinigungs- und Haushaltsmittel»49 Paola Cavalieri und Peter Singer ins Leben gerufene Be- sowie «Importverbot für Jagdtrophäen»50. wegung, die in vielen Ländern Fuss gefasst hat und auf politischem Weg versucht, Grundrechte für Menschen- Der unzureichende Primatenschutz wurde auch in den affen rechtlich einzufordern.58 Das GAP setzt sich insbe- vergangenen Jahren immer wieder mit parlamentari- sondere dafür ein, dass das Grundrecht auf Leben, das schen Vorstössen moniert. Im Jahre 2006 wurde eine Grundrecht auf körperliche und geistige Unversehrtheit parlamentarische Initiative zu einem «Verbot von mittel- sowie das Grundrecht auf Bewegungsfreiheit für Men- und schwerbelastenden Tierversuchen an Primaten»51 schenaffen rechtlich verankert wird.59 eingereicht, welche sich auf den von der EKTV und EKAH ausgearbeiteten Bericht «Forschung an Primaten – eine Nebst diesen nationalen Fortschritten wird auch auf ethische Bewertung» stützte. Auf eine Verbesserung des zwischenstaatlicher Ebene die Forderung nach Grund- rechtlichen Schutzes von Primaten zielten ferner auch rechten für nicht-menschliche Tiere immer lauter. die Interpellationen «Stopp der Tierzucht in Zoos als So fordern zum Beispiel die Universal Charter of the Publikumsmagnet»52, «Massnahmen gegen den illega- Rights of Other Species sowie die Declaration of Ani- len Buschfleischhandel»53 und «Marmosetten-Versuch mal Rights, dass nicht-menschlichen Tieren ein Recht der ETHZ»54, die Anfrage «Würde der Tiere in Schweizer auf Leben, ein Recht auf körperliche und geistige Unver- Zoos»55 sowie das Postulat «Versuche an Primaten»56 ab. sehrtheit, ein Recht auf Bewegungsfreiheit sowie weite- re Grundrechte zuerkannt werden.60 Zwar zeigen die hier genannten Vorstösse auf, dass das Parlament wiederholt die Besorgnis der Bevölkerung in Dieser Blick über die Grenzen macht deutlich, dass Bezug auf den ungenügenden Schutz nicht-menschlicher unsere Forderung nach einem Grundrecht auf Leben Primaten diskutiert. Die gemachten Forderungen verpas- und auf körperliche und geistige Unversehrtheit für sen es jedoch, den herausragenden Fähigkeiten und Inte- nicht-menschliche Primaten Teil einer globalen Bewe- ressen von Primaten genügend Rechnung zu tragen, da gung ist, die bereits bedeutende Erfolge verzeichnen keiner der Vorstösse auf die Gewährleistung eines Grund- konnte. Auch die Schweiz sollte die geltende Rechtslage rechts auf Leben oder eines Grundrechts auf körperliche für nicht-menschliche Primaten anpassen und diesen und geistige Unversehrtheit abzielt. Diese Grundrechte Grundrechte einräumen. sind gerade für nicht-menschliche Primaten unabdingbar, wie wir im Kapitel «Grundrechte für Primaten» darlegen. 10 Grundrechte für Primaten Positionspapier
Primaten sind hochgradig soziale Wesen. Sie verfügen über eine hohe soziale Intelligenz, deren Ent stehung und Entwicklung insbe sondere auf die Anforderungen ihres komplexen Soziallebens zurück zuführen ist. So trauern Primaten zum Beispiel um verstorbene Bekannte und empfinden Empathie gegenüber anderen Primaten. Sentience Politics primaten-initiative.ch 11
Eja Können nur Menschen Grundrechte haben? 12 Grundrechte für Primaten Positionspapier
Grundrechte für Primaten Warum Grundrechte? Auch Sachen werden durch Verbote «geschützt», aber über Grundrechte verfügen nur Individuen, die beson- ders schützenswerte Eigenschaften und Interessen Der obige Überblick verdeutlicht, dass das heutige Tier- haben. Wer in den Kreis der Grundrechtsträger aufge- schutzrecht und dessen Anwendung für den Schutz der nommen wird, geniesst einen höheren Status als Sachen fundamentalen Interessen auf Leben und Unversehrt- oder Wesen, die nicht über diesen Status verfügen. Dem heit von nicht-menschlichen Primaten ungenügend Konzept des Grundrechtsträgers kommt somit eine ge- sind, da nach geltendem Recht der Kern der Interessen sellschaftliche Signalwirkung zu: nicht-menschlicher Primaten auf Leben und Unver- sehrtheit nicht geschützt ist und diese Interessen in der Durch die Anerkennung nicht- Praxis zudem selbst trivialen menschlichen Interessen untergeordnet werden. Wie auch die EKAH und die EKTV menschlicher Primaten als Grund- feststellen, bedürfen die Interessen nicht-menschlicher rechtsträger wird gegenüber Primaten deshalb eines speziellen rechtlichen Schutzes. anderen Gesellschaftsmitgliedern Dieser spezielle rechtliche Schutz kann durch Grund- ausgedrückt, dass die grundrecht- rechte gewährleistet werden. Denn Grundrechte brin- lich geschützten Interessen nicht- gen im Vergleich zum bestehenden Tierschutzgesetz mehrere zentrale Vorteile mit sich: menschlicher Primaten gleichwertig mit vergleichbaren Interessen Grundrechte weisen nebst einem einschränkbaren Schutz- anderer Grundrechtsträger sind. bereich einen Kerngehalt auf, der unter keinen Umständen eingeschränkt werden darf. Während also der normale Schutzbereich bei Konflikten mit anderen Interessen einer Das heisst, dass die Interessen aller Individuen, die Grund- Abwägung zugänglich ist (siehe dazu das Unterkapitel rechte auf Leben oder auf Unversehrtheit besitzen, in Be- «Grundrechtseinschränkungen»), dürfen die sich im Kern- zug auf diese Interessen gleichwertig zu schützen sind.62 gehalt befindlichen Interessen nie abgewogen werden. Unter Grundrechtsträgern wird also mit gleich langen Dieser Kerngehalt von Grundrechten garantiert, dass die Ellen gemessen oder, anders ausgedrückt, Grundrechts- zentralsten Aspekte eines durch ein Grundrecht geschütz- träger befinden sich auf gleicher Augenhöhe, wenn es um ten Interesses nicht entgegenstehenden Interessen – und ihre durch Grundrechte geschützten Interessen geht. seien diese noch so gross – geopfert werden darf. Dadurch wird garantiert, dass fundamentale Interes- sen nicht-menschlicher Primaten ernstgenommen und Im Vergleich zu blossen Verboten, wie etwa dem Verbot nicht trivialen menschlichen Interessen untergeordnet tierquälerischer Handlungen, haben Grundrechte ausser- werden. Diese Funktion von Grundrechten erklärt auch, dem den Vorteil, dass sie genereller gefasst sind und so- weshalb das Erlangen von Grundrechten historisch gese- mit Raum für eine dynamische Weiterentwicklung bieten, hen von zentraler Bedeutung war für Gruppen, die vorher die wiederum einen verbesserten Schutz ermöglicht. So rechtlich nicht ernstgenommen wurden. Der Kampf um ist zum Beispiel das für Menschen garantierte Grundrecht Grundrechte war für Sklaven, Schwarze, Frauen, Behin- auf Leben in Art. 10 Abs. 1 BV nicht gleichzusetzen mit derte und andere Gruppen nicht nur deshalb wichtig, weil dem strafrechtlichen Verbot, Menschen zu töten. Denn dies mehr Verbote für andere mit sich brachte, sondern anders als aus diesem Verbot ergibt sich aus dem Grund- weil sie damit in den Kreis der Grundrechtsträger aufge- recht auf Leben eine positive Schutzpflicht des Staates nommen wurden. in Fällen, in denen eine Tötung, ein Verschwindenlassen oder sonst eine Lebensgefährdung droht.61 Grundrechte Da Grundrechte einen derart starken rechtlichen und so- sind mit anderen Worten nicht auf ein negatives Ver- zialen Schutz mit sich bringen, werden sie häufig auch als bot beschränkt, sondern geben zusätzlich eine positive «Trümpfe»63 bezeichnet. Sie schützen die Interessen ihrer Stossrichtung vor, nach welcher bestimmte Interessen Träger besonders gut und garantieren diese im Kern (wie Leben und Unversehrtheit) zu schützen sind. gehalt gar absolut. Für einen effizienten Schutz der Inte- ressen nicht-menschlicher Primaten auf Leben und Un- Ferner besitzen Grundrechte eine sozialgestaltende versehrtheit bedürfen diese deshalb eines Grundrechts Funktion, welche durch Verbote nicht gedeckt wird. auf Leben und eines Grundrechts auf Unversehrtheit. Sentience Politics primaten-initiative.ch 13
Können nur Menschen allen nicht-menschlichen Primaten gibt. Selbst wenn es so eine Differenz gäbe, griffe die Diskussion ins Leere: Grundrechte haben? Eine Eigenschaft, die nur und alle Menschen besitzen, würde höchstens ein Grundrecht begründen, welches die Gibt es einen Grund, warum nur Menschen Grundrechte betreffende Eigenschaft schützt. Fundamentale Eigen- besitzen sollten? Wie oben aufgezeigt wurde, stellt die schaften und Interessen, wie jene nach Leben und Un- Spezies Homo sapiens keine eigene Ordnung innerhalb versehrtheit, besitzen jedoch auch nicht-menschliche der Säugetiere dar. Vielmehr ist der Mensch eine von über Primaten. 300 Primatenarten. Bedeutet dies, dass es keinen Unter- schied zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Primaten gibt? Diese Frage der «anthropologischen Dif- ferenz» wird seit geraumer Zeit heftig diskutiert. Gründe Argumente, welche regelmässig zur Begründung einer solchen Differenz ins Feld geführt werden, sind Ratio Was sind Gründe dafür, dass ein Individuum Grundrechte nalität, Konzeptdenken und Abstraktionsfähigkeit, Spra- haben sollte? Grundrechte dienen, wie bereits angedeu- che, Bewusstsein und Empfindungsfähigkeit, Selbst- tet, dem Schutz bestimmter Fähigkeiten und Interes- bewusstsein, das Besitzen der Fähigkeit, sich in die sen, über die ein Individuum verfügt. Im Folgenden soll Bewusstseinszustände anderer hineinzuversetzen, ausgeführt werden, welche Fähigkeiten und Interessen das Besitzen einer Seele, Humorfähigkeit, Antizipie- bei nicht-menschlichen und menschlichen Primaten ren von zukünftigen Ereignissen oder Zuständen, ein relevant für die Begründung ihrer Grundrechte auf Un- Sinn für Ästhetik, Werkzeuggebrauch, Werkzeugher- versehrtheit und auf Leben sind. stellung, Technologie, freier Wille, die Fähigkeit, Regeln zu befolgen, Personsein oder Kultur.64 Keine dieser Eigenschaften und Fähigkeiten stellt jedoch ein Unter- scheidungsmerkmal dar, das allen und ausschliesslich Grundrecht auf Menschen zukommt und allen nicht-menschlichen Primaten fehlt.65 Anspruchsvollere Eigenschaften und körperliche und geistige Fähigkeiten, wie ein Sinn für Ästhetik oder eine komple- Unversehrtheit xe Sprache, mögen zwar – eng gefasst – nur Menschen besitzen. Jedoch handelt es sich dabei nicht um Eigen- Das Grundrecht auf körperliche und geistige Unver- schaften und Fähigkeiten, die alle Menschen gleichsam sehrtheit, wie es für Menschen in Art. 10 Abs. 2 BV veran- besitzen. Kleinkindern, Menschen mit schweren psychi- kert ist, dient in erster Linie dazu, seine Trägerinnen vor schen Behinderungen oder Menschen mit fortgeschrit- übermässigen physischen und psychischen Schmer- tener Demenz mangelt es an diesen Eigenschaften und zen zu schützen.66 Als körperlicher Schmerz wird ein Fähigkeiten. Weniger anspruchsvolle Merkmale, wie «unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit Werkzeuggebrauch oder Bewusstsein, über die wohl aktueller oder potentieller Gewebeschädigung verknüpft alle Menschen verfügen, liegen hingegen auch bei nicht- ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung be- menschlichen Primaten und anderen Tieren vor. schrieben wird»67 verstanden. Als Kriterien zur Bestim- mung von Schmerz können etwa herangezogen werden: Abgesehen von der Zugehörigkeit zur Spezies Homo das Besitzen eines zentralen Nervensystems, Vermei- sapiens, die allen Menschen gemein ist, lässt sich des- dungslernen, schützende motorische Reaktionen, wie halb keine Eigenschaft oder Fähigkeit finden, die eine reduzierte Verwendung der betroffenen Körperteile, anthropologische Differenz zwischen menschlichen und physiologische Veränderung, Kompromisse zwischen nicht-menschlichen Primaten begründen könnte. Ein Stimulusvermeidung und anderen Motivationsfaktoren, Abstützen auf die Spezieszugehörigkeit zur Verleihung Opioidrezeptoren und Hinweise auf reduzierte Schmerz- von Grundrechten verletzt jedoch das moralische Prin- empfindung bei Behandlung mit lokaler Anästhesie oder zip der Speziesneutralität, wonach gleichrangige Inter- einem Analgetikum sowie hohe kognitive Fähigkeiten essen unabhängig von der Spezieszugehörigkeit gleich und Bewusstsein.68 Wie menschliche Primaten verfügen berücksichtigt werden müssen. Rechte sollten grund- auch nicht-menschliche Primaten über ein zentrales sätzlich ebenso wenig von der Zugehörigkeit zu einer Nervensystem, eignen sich Vermeidungsverhalten an, bestimmten Spezies abhängig gemacht werden wie von weisen schützende motorische Reaktionen auf, unter- der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht, liegen physiologischen Veränderungen, gehen Kom- einer bestimmten Ethnie oder Altersgruppe. promisse zwischen Stimulusvermeidung und anderen Motivationsfaktoren wie etwa Nahrungsbeschaffung Die Debatte um die anthropologische Differenz schei- ein, verfügen über Opioidrezeptoren, zeigen reduzierte tert ausserdem nicht nur daran, dass es keinen moralisch Schmerzempfindlichkeit bei lokaler Anästhesie oder An- relevanten Unterschied zwischen allen menschlichen und algesie und verfügen über hohe kognitive Fähigkeiten 14 Grundrechte für Primaten Positionspapier
und Bewusstsein. Genau wie menschliche Primaten das Leben besonders schützenswert, weil es die logische erfüllen also auch nicht-menschliche Primaten alle Kri- Voraussetzung für jegliche weitere Grundrechte, wie je- terien für körperliche Schmerzempfindungsfähigkeit.69 nes auf Unversehrtheit, bildet. Aus diesen Gründen haben Daraus folgt, dass auch nicht-menschliche Primaten ein nicht-menschliche Primaten ein fundamentales Interes- Interesse daran haben, körperlich unversehrt zu bleiben. se daran, zu leben. Die geistige Unversehrtheit betrifft den Schutz vor psychischem Leiden, das eine gewisse minimale Inten- sität erreicht.70 Nicht nur menschliche Primaten, son- Grundrechtseinschränkungen dern auch nicht-menschliche Primaten können in ihrer geistigen Unversehrtheit verletzt werden. So bestimmt auch das Tierschutzgesetz in Art. 3 Bst. b Ziff. 4, dass das Wie für die Grundrechte von Menschen gilt auch für die Wohlergehen von nicht-menschlichen Tieren nur dann vorgeschlagenen Grundrechte von nicht-menschlichen gewährleistet ist, wenn «Schäden und Angst vermieden Primaten, dass sie gewissen anerkannten Einschrän- werden». Aus evolutionsbiologischer Sicht gibt es keine kungen unterliegen. So ist eine Einschränkung von Hinweise dafür, dass sich nicht-menschliche Prima- Grundrechten möglich, wenn sie den Kerngehalt nicht ten in diesem Punkt grundsätzlich von menschlichen verletzt, eine gesetzliche Grundlage besteht, sie durch Primaten unterscheiden. Nicht-menschliche Primaten ein öffentliches Interesse oder den Schutz von Grund- verfügen, wie oben ausgeführt, über eine hohe Intelli- rechten Dritter gerechtfertigt und verhältnismässig ist. genz, die sie für psychische Traumata besonders anfällig macht. Forschung an nicht-menschlichen Primaten hat Wie bei menschlichen Primaten würde auch bei nicht- ergeben, dass nicht-menschliche Primaten durch nega- menschlichen Primaten das Grundrecht auf Leben ein tive Ereignisse wie soziale Trennungen, sozialen Entzug, Verbot von willkürlicher Tötung bedeuten. Was als «will- mütterliche Vernachlässigung oder Missbrauch schwe- kürlich» betrachtet wird, sollte dabei am gleichen Masss- re Verhaltensstörungen wie Depressionen und andere tab bemessen werden, der auch bei menschlichen Pri- geistige Störungen davontragen.71 Da nicht-menschli- maten zur Anwendung kommt. Eine Tötung für blosse che Primaten unter solchen geistigen Störungen leiden Versuchszwecke oder aus Mangel an Gehegen wäre kein können, haben sie ein Interesse daran, geistig unver- genügender Grund für eine Tötung und würde das Grund- sehrt zu bleiben. recht auf Leben verletzen. Hingegen läge keine Verletzung dieses Grundrechts vor, wenn ein nicht-menschlicher Primat getötet würde, um eine nicht anders abwendbare schwere Gefährdung anderer Güter (zum Beispiel das Grundrecht auf Leben Leben eines angegriffenen Kindes) zu verhindern. Eine solche Einschränkung des Grundrechts auf Leben ist also dann gerechtfertigt, wenn sie den vier obengenannten Der Tod eines Individuums ist häufig mit Schmerzen Kriterien einer rechtmässigen Einschränkung gerecht verbunden. Da nicht-menschliche Primaten schmerz- wird. Dasselbe gilt für das Grundrecht auf körperliche und empfindungsfähige Individuen sind, haben sie ein star- geistige Unversehrtheit. Auch für Menschen gewährleis- kes Interesse daran, nicht zu sterben. Selbst wenn ihr tet dieses Recht keinen absoluten Schutz vor körperli- Tod jedoch schmerzfrei herbeigeführt werden könnte, chen oder geistigen Einschränkungen. bedeutet dies indessen nicht, dass nicht-menschliche Primaten kein Interesse daran hätten, weiterzuleben. So Nichtsdestotrotz ist die Einsicht zentral, dass Grund- verfügen nicht-menschliche Primaten über die Fähigkeit, rechte trotz ihrer Einschränkbarkeit Trümpfe darstellen, in die Vergangenheit zu blicken und zukünftige Ereignis- die ihre Träger bei Interessenabwägungen auf gleiche se zu antizipieren. Sie leben mit anderen Worten nicht in Augenhöhe mit anderen Grundrechtsträgern bringen. der blossen Gegenwart, sondern führen ein transtempo- Ihre Interessen werden dadurch wesentlich stärker ge- rales Leben. Auch eine schmerzlose Herbeiführung ihres schützt als die Interessen von Individuen, die keine Todes unterbricht dieses Leben und verletzt deshalb Grundrechte besitzen, und werden im Kerngehalt gar ihre Interessen. Ausserdem dienen Fähigkeiten wie jene absolut garantiert. der Schmerzempfindung dazu, gefährliches Verhalten zu vermeiden und dadurch das e igene Überleben, zu- mindest vorübergehend, zu sichern. Die Behauptung, ein schmerzempfindungsfähiges Individuum habe kein Inte- resse daran, zu leben, kommt deshalb der Behauptung gleich, ein Individuum mit Augen habe kein Interesse daran zu sehen. Selbst durch eine schmerzfreie Tötung werden nicht-menschliche Primaten daran gehindert, zukünftige positive Erlebnisse zu haben. Schliesslich ist Sentience Politics primaten-initiative.ch 15
Einwände «Menschenrechte» für Primaten? und Antworten Einwand: Diese Forderung gibt Primaten Menschen- rechte! Widerlegung: Die Behauptung, der hier gemachte Vor- schlag verlange «Menschenrechte» für nicht-mensch- liche Primaten, ist falsch. Was gefordert wird, ist ein Gegen die Forderung nach Grundrechten Grundrecht auf Leben für nicht-menschliche Primaten auf Leben und auf körperliche und g eistige und ein Grundrecht auf körperliche und geistige Un- Unversehrtheit für nicht-menschliche versehrtheit für nicht-menschliche Primaten. Diese Primaten könnte eine Reihe von Einwänden Grundrechte lehnen sich bewusst an die entsprechen- erhoben w erden, welche nachfolgend den Grundrechte für Menschen an, da die Gründe für analysiert und widerlegt werden. beide Rechte dieselben sind. Jedoch können sie nicht mit Menschenrechten gleichgesetzt werden, da die Kategorie «Menschenrechte» mehr als nur die von uns Zoohaltung gerechtfertigt? geforderten zwei Grundrechte beinhaltet. Insbesonde- re umfassen Menschenrechte auch das Recht auf freie Einwand: Diese Forderung würde zur Abschaffung des Meinungsäusserung oder die Religionsfreiheit. Da nicht- Zoos in Basel führen! menschliche Primaten nicht die Fähigkeit dazu haben, diese Grundrechte auszuüben, haben sie auch kein Inte- Widerlegung: Die Forderung nach Grundrechten auf resse an diesen Rechten und somit keine Schutzwürdig- Leben und körperliche und geistige Unversehrtheit für keit in Bezug auf diese Rechte. Unsere Forderung führt nicht-menschliche Primaten hat nicht zur Folge, dass also nicht dazu, dass nicht-menschlichen Primaten alle im Zoo Basel keine nicht-menschlichen Primaten mehr Grundrechte verliehen werden, die Menschen besitzen. gehalten werden dürfen. Der Zoo muss nach Annahme der Initiative einzig sicherstellen, dass die geforder- ten Grundrechte von nicht-menschlichen Primaten Impraktikabilität? gewahrt werden. Das heisst konkret in Bezug auf das Grundrecht auf Leben, dass nicht-menschliche Prima- Einwand: Man kann Primaten keine Grundrechte geben, ten nicht aus willkürlichen Gründen getötet werden da dies nicht umsetzbar wäre! dürfen. Kann dies nicht garantiert werden, muss der Zoo geeignete Massnahmen treffen, um dieses Grundrecht Widerlegung: Die Zahl der nicht-menschlichen Prima- nicht zu verletzen. Ausserdem muss der Zoo das Grund- ten im Kanton Basel-Stadt (ungefähr 300 Individuen) ist recht von nicht-menschlichen Primaten auf körperliche überschaubar. (Zum Vergleich: Im Kanton Basel-Stadt und psychische Unversehrtheit garantieren. Dies wäre in lebten im Dezember 2015 knapp 200‘000 menschliche der Regel dann gesichert, wenn der Zoo nicht selber in Primaten.) Dass nicht-menschliche Primaten ihre Grund- die körperliche und psychische Unversehrtheit der Tiere rechte nicht selber ausüben können, bedeutet nicht, eingreift sowie positive Massnahmen trifft, um körper- dass sie keine Grundrechte besitzen können. Im Kanton lichen und psychischen Schäden vorzubeugen. Basel-Stadt leben viele andere menschliche Primaten, die entweder vorübergehend (wie im Fall von Kleinkin- dern oder Komapatienten) oder permanent (wie im Fall Medizinische Forschung von Personen mit schweren psychischen Behinderun- gen oder fortgeschrittener Demenz) unfähig sind, ihre verunmöglicht? Grundrechte selber auszuüben. Damit auch die Grund- rechte dieser Menschen wahrgenommen werden, kennt Einwand: Diese Forderung verunmöglicht die biomedi- der Staat verschiedene Stellen, wie etwa die Kindes- und zinische Forschung! Erwachsenenschutzbehörde (KESB). Die Sicherstellung der Grundrechte von nicht-menschlichen Primaten Widerlegung: Unsere Forderung richtet sich nicht gegen könnte auf ähnliche Weise gewährleistet werden. Denk- die biomedizinische Forschung. Es wird lediglich verlangt, bar wäre die Einsetzung eines speziellen Beauftragten dass bei der Forschung die Grundrechte auf Leben und Un- bei der KESB oder die Einsetzung einer Ombudsfrau oder versehrtheit von nicht-menschlichen Primaten nicht ver- eines eigenständigen Primatenbeistandes, welcher die letzt werden. So wäre zum Beispiel weiterhin Forschung Sicherstellung des Lebens und der Unversehrtheit von an nicht-menschlichen Primaten denkbar, wenn sie den nicht-menschlichen Primaten zu gewährleisten hat. Schweregrad 0 – das heisst Versuche, die für die Tiere keine Belastung darstellen und bei denen das Allgemeinbefinden nicht erheblich beeinträchtigt wird – nicht überschreitet. 16 Grundrechte für Primaten Positionspapier
Slippery Slope? Unterminierung von Menschenrechten? Einwand: Wenn wir anfangen, nicht-menschlichen Pri- maten Grundrechte zu geben, dann werden in nicht a llzu Einwand: Wenn wir Primaten Grundrechte geben, dann ferner Zeit auch Hunde, Katzen, Kühe, Ratten, ja gar In- unterhöhlen wir Menschenrechte! sekten und Pflanzen Grundrechte haben! Widerlegung: Ganz im Gegenteil: Unser Vorschlag stärkt Widerlegung: Unsere derzeitige Forderung beschränkt die Menschenrechte. Heutige Menschenrechtskonzep- sich auf nicht-menschliche Primaten, die, wie oben dar- tionen sind theoretisch schlecht untermauert, da sie gelegt, Eigenschaften und Interessen besitzen, die es Rechte entweder auf die Zugehörigkeit zur menschli- rechtfertigen, dass wir ihnen diese zwei Grundrechte chen Spezies stützen (ein zirkuläres Argument) oder sie zugestehen. Dies schliesst nicht aus, dass auch andere auf vermeintlich spezifisch menschliche Eigenschaften Tiere, die die betreffenden Eigenschaften aufweisen, in wie Autonomie und Rationalität zurückführen. Letzte- den Genuss der gleichen (oder weiterer) Grundrechte rer Argumentationsstrang stellt die Grundrechte von kommen können. Nur ist diese Forderung bei nicht- Menschen mit psychischen Behinderungen, Kleinkin- menschlichen Primaten aufgrund der bisherigen über- dern oder von Menschen mit fortgeschrittener Demenz wältigenden Erkenntnisse besonders dringlich. Dies auf ein sehr wackeliges Fundament, da diese Menschen führt aber nicht zu einer «slippery slope»: Denn zuerst eben gerade nicht autonom und rational sind. Durch muss dargelegt werden, welche anderen Individuen über Hilfskonstrukte (wie jenes, dass sie zu einer Spezies ge- die notwendigen Eigenschaften und Interessen ver- hören, deren normale Mitglieder autonom und rational fügen. Grundrechte unterliegen ausserdem gewissen sind) wird häufig versucht, die Rechte aufzufangen. Die- Einschränkungen. Selbst wenn also weitere Individuen se Hilfskonstrukte sind jedoch aus theoretischer Sicht Grundrechte erhielten, bedeutete dies nicht, dass diese nicht überzeugend: Wenn zum Beispiel für die Rechte keine notwendigen Abwägungen zuliessen. eines Kleinkindes massgebend wäre, was ein «normaler» Mensch (falls man sich überhaupt darauf einigen könn- te, was «normal» ist) kann, dann würde jedes Kleinkind Keine Rechte ohne Pflichten? das Wahlrecht erhalten, einen Führerschein lösen und strafrechtlich wie ein Erwachsener zur Verantwortung Einwand: Primaten können keine Rechte haben, da sie gezogen werden können. Da solche Konstrukte nicht keine Pflichten erfüllen können! plausibel sind, vermögen bestehende Menschenrechts- konzeptionen gerade die Grundrechte von denjenigen ? Widerlegung: Träger von Grundrechten müssen nicht Menschen kaum zu begründen, die diese Rechte am selber dazu in der Lage sein, Pflichten wahrzunehmen. allernötigsten haben. Im Gegensatz dazu schafft unser Kleinkinder, Personen mit psychischen Behinderungen Vorschlag ein sicheres Fundament für die Grundrechte oder mit fortgeschrittener Demenz sind nicht dazu in von Menschen, die von den herkömmlichen Menschen- der Lage, Pflichten wahrzunehmen und werden trotz- rechtsansätzen an den Rand gedrängt werden: Auch dem durch Grundrechte geschützt. Bei nicht-menschli- Kleinkinder, schwerstbehinderte und demente Perso- chen Primaten wäre dies nicht anders. nen sind leidensfähig und haben ein Interesse daran, weiterzuleben. Genau deshalb müssen wir ihre Grund- rechte auf Leben und auf Unversehrtheit (sowie alle wei- Anthropozentrismus? teren auf sie anwendbaren Rechte) schützen. Einwand: Die Forderung nach Grundrechten für nicht- menschliche Primaten ist anthropozentrisch: Sie gibt nur jenen Tieren Rechte, die dem Menschen am meisten ähneln! Widerlegung: Unsere Forderung knüpft aus reinen Praktikabilitätsgründen an eine bestimmte Ordnung (Primates) an. Die Beschränkung auf nicht-menschliche Primaten geschieht jedoch nicht aus moralischen Grün- den. Auch andere Tiere bedürfen Grundrechte, wenn sie die betreffenden Eigenschaften und Interessen haben, welche für diese Grundrechte notwendig sind. Histo- risch gesehen ist diese Vorgehensweise keine Ausnah- me. In der Geschichte der Grundrechte wurde der Kreis der Rechtsträger stets graduell ausgedehnt. Sentience Politics primaten-initiative.ch 17
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