Der Text: Das Haus Sacré-Coeur während des Krieges 2015

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Der Text: Das Haus Sacré-Coeur während des Krieges 2015
2015

Der Text:
Das Haus Sacré-Coeur während des
Krieges

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Der Text: Das Haus Sacré-Coeur während des Krieges 2015
2015

Estas «notas», señala Andrè Perroux scj, están
contenidas en cuatro cuadernos escolares llamados
'Quaderno', de tapa azul, formato pequeño, escritura
autógrafa del Padre Dehon, paginación continua. Se
hallan en el archivo dehoniano de Roma: AD B 40/6 (1–
4). Inv. 676.00. Fueron escritas durante la guerra de
1914-1918 o inmediatamente después: un texto breve,
escritura rápida, redacción espontánea con algunos
tachones. Son un valioso complemento a otros
cuadernos, como «Notes Quotidiennes», «notes de
lectures» o retiros, y a la correspondencia poco
abundante que se ha conservado de los primeros años de
la guerra.

El texto se numera tomando los cuatro cuadernos como
un solo documento, siendo correlativa la numeración de
páginas. Son los números que aparecen entre corchetes.
Así mismo presentamos una doble anotación: en número
arábigo en superíndice la referencia al comentario
redaccional y gráfico, que pretenden ampliar las
referencias hechas por el P. Dehon en su texto; y en
cuadro lateral al texto algunas referencias al Diario (NQT)
de Dehon durante este tiempo.

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                                     [HEFT 1]

    [1] Einige Notizen zum Haus Sacré-Coeur in St. Quentin während des
                                 Krieges

    I. Vor der Okkupation
1         Ende Juli kam ich von einer
    Pilgerreise nach Notre-Dame d’Albert1
    und einem Besuch der Heiligtümer von
    Arras2 und Cambrai3 mit zwei
    holländischen Scholastikern, Bruder
    Meyer 4 und Bruder Govaart5, zurück.
          Was ist seitdem wohl aus diesen
    beiden so interessanten       Kirchen
    geworden? Die Basilika von Albert war
    ein Wunder moderner Dekorationskunst,
    alles muss hier nun wiederhergerichtet
    werden.
          Am 1. August6 begann der Krieg. Meine zwei jungen Leute waren
    drauf und dran, festgesetzt zu werden; sie nahmen den letzten Zug, der es
    ihnen erlaubte, Holland7 wieder zu erreichen.
          Normalerweise [2] sollten nur Pater Urbain8 und Bruder
    Objois9, bei mir im Haus Sacré-Coeur sein; die
    Ausweisungsgesetze waren noch immer in Kraft. Aber die
    Umstände verschafften mir eine ganze Kommunität. Pater
    Black10 kam, um bei uns zu wohnen und um seinen Aufgaben als
    Kaplan am ehemaligen Pensionat La Croix11 nachzugehen. Er
                                                                         Vgl. NQT
    brachte mir seine Köchin mit, Frau Charpentier, und kurz darauf      40/74
    Henri Vivier, einen Seminaristen aus dem kleinen Seminar. Pater      (09.1916)
    Devrainne12, die Brüder Bontemps13 und Delvigne14 verbrachten
    ihre Ferien in St. Quentin. Sie lebten bei uns. Pater Burg15 begab
    sich für seinen Militärdienst nach Argentan; dort nahm er den
    Waffenrock, dann aber schickten sie ihn mir nach einigen Tagen
    zurück, Minister Massimy17 glaubte, zu viel an Personal zu
    haben.
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2          Pater Comte18, in Amiens19, ausgemustert, kehrte auch zu uns zurück.
           [3] Bruder Roy20, im Elan seiner Zwanziger-Jahre, war von
     Clairefontaine21 herbeigeeilt, um sich zu verpflichten, obwohl er nur zwei
     Finger an der rechten Hand hatte, aber das Rekrutierungsbüro war nicht mehr
     funktionsfähig. So blieb mir auch Roy. Mit dem jungen Haushaltsgehilfen
     ergab das (für mich) dreizehn Personen.
          Pater Comte leistete Pater Mathias22 Gesellschaft und übernahm die
     Aufgabe als Pfarrer von Fayet23, so verblieben wir zu zwölft.
           Die Neuigkeiten wurden eindrucksvoll. Zuerst hatte Österreich
     Serbien den Krieg erklärt, dann Deutschland Russland.
           Man stritt sich um die Zeitungen. Vage erfuhr man von den grausamen
     Leiden Belgiens24 und vom Rückzug unserer Armee.
            Viele Belgier flüchteten [4] in Richtung Holland und Frankreich. Der
     letzte Zug erreichte uns von Quévy25 her. Er fuhr an St. Quentin vorbei ohne
     anzuhalten. Wir hatten dort Pater Gilson26 gesehen, wie er an Bord eines
     Güterwagons unter dem Schutz seines Regenschirms sass. Er schrieb mir ein
     Telegramm aus Paris. Wenn er meine Depesche erhalten haben sollte, so
     muss jene die letzte gewesen sein, die von St. Quentin aus am 26. August
     weggeschickt wurde.
           Die Post, die Bank und die Verwaltungseinrichtungen flüchteten nach
     Paris. Unsere Zeitungen hörten auf zu erscheinen; es stellte sich ein
     fieberhaftes Warten ein.

     [5] II. Der Einmarsch der deutschen Einheiten, der 28. August

    3     Die einzigen Verteidiger der Stadt waren das 10. Landwehrregiment27,
     Bürger, Familienväter, ohne militärische Übung und ohne Artillerie.
          Sie gestalteten mehr zum Schein eine Verteidigung auf der Cateau-
     und der Guise-Strasse28. Einige wurden getötet, viele flüchteten. Der
     Hauptmann Jean Lecot29, unser ehemaliger Schüler, rettete seine
     Kompagnie, indem er sich zur rechten Zeit an die Somme30 zurück zog.

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           Um 4 Uhr nachmittags, zum Klang von Pfeifen und Trommeln,
    rückten Regimente über die Rue Saint-Jean31 und die Rue d’Isle32 in das
    Zentrum der Stadt vor. Wir hatten das Haus verlassen, um zu sehen, was da
    vor sich ging. Manche
    sagten: «Das sind die
    Engländer.» Aber nein,
    es waren die Deutschen.
    Einige Landwehrmänner
    liefen   in    Richtung
    Kaserne. [6]
          Die Deutschen, gute Schützen, knallten sie beim Vorübergehen ab. Ich
    sah einen in der Rue Antoine Lécuyer33 fallen. Es war Zeit, nach Hause
    zurückzukehren.
          Ein wenig später klopfte es an unserer Tür. Es war der Pfarrer von
    Maissemy34, der schrie: «Macht endlich auf! Macht endlich auf!». Dann ein
    Landwehrmann von Flavy35, in zivil gekleidet, und ein anderer, bei uns sehr
    gut bekannt, Louis Hiver, der für zehn oder zwölf Jahre Schüler an der
    Schule St. Clement gewesen war.
4         Ich brachte den Bewohner von Flavy dazu, sich still und heimlich zu
    sich nach Hause zurückzubegeben, weil er ja in zivil gewesen war, und ich
    behielt Louis Hiver. Er kam von seinem Wachposten von Lesdins36 und hatte
    sich seiner Militäruniform in einem kleinen Restaurant entledigt, wo man
    ihm alte Zivilkleidung gegeben hatte. Er sollte für ein ganzes Jahr unser Gast
    werden.
          [7] Die deutsche Armee quartierte sich in der Stadt ein. Für meinen
    Teil hatte ich drei Mediziner oder Chirurgen. Es war nur für eine einzige
    Nacht. Sie brachten ein schönes Stück Filet, das man ihnen kochte; danach
    legten sie sich schlafen. Die Soldaten in der Stadt machten überall Radau
    und forderten überall zu essen und zu trinken.
           Um Mitternacht klopfte es heftig an
    der Tür, eine Gruppe betrunkener Soldaten      Vgl. NQT 35/94, 31. August 1914.
    schrie: «Champagner, Champagner!».
          Objois verlor die Fassung nicht, er
    sagte ihnen: «Wartet, ich werde den Chef rufen.» Sie schienen das zu
    verstehen und antworten: «Ja [in Deutsch], den Chef! Den Chef!». Es gab

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    unter ihnen ohne Zweifel einige Angestellte des Gast¬gewerbes, die
    glaubten, dass es sich um einen Küchen¬chef handele. Aber Objois lief
    schnell einen [8] der Majore wecken, der dann schrie: «Fort! Fort!», mit
    einem Satz, der bedeutete: «Lasst uns in Ruhe, oder aber… !». Die Party war
    zu Ende. Die Soldaten machten sich aus dem Staub und wir konnten
    schlafen.
                         Am nächsten Tag machten sich meine drei Majore auf:
                   «Wir gehen nach
                   Paris», sagten sie
                   mir. Einige Tage
     Vlg. NQT      später kamen sie
     35/95         nach St. Quentin
     (2.9.1914).   zurück und machten
                   keine Anstalten, bei
                   uns zu logieren, sie
                   wären wohl in
                   Verlegenheit geraten, uns das zu erzählen, was sie in Paris
                   gesehen hatten.
         Als sie aufbrachen, sagten sie noch zu mir: «Na, haben wir uns wie
    Barbaren verhalten?». Sie waren froh darüber, bemerken zu können, dass ihr
    Regiment sich nicht so benahm wie diejenigen, die Belgien terrorisierten.

    [9] III. Nach der Schlacht an der Marne: der 15. September
5         Die grosse Armee war in ihrem Einfall bis nach Paris vorgedrungen.
    Die Regierung zog sich nach Bordeaux37 zurück. Meaux38 war gefährdet, St.
    Denis39 errichtete Barrikaden. Aber Gott hatte barmherzige Pläne mit
    Frankreich, er wollte ihm die Zeit geben, zu ihm zurückzukehren.
          Dies also geschah in den ersten Tagen des Septembers, etwas, das man
    die wundersame Schlacht an der Marne genannt hat40.
          Das göttliche Eingreifen wurde von gläubigen Menschen nicht
    angezweifelt. Unsere führenden Generäle, Castelnau, Pau und Joffre41 hatten
    gebetet.
         Das Heiligtum von Montmartre, das das Schlachtfeld überragte, war
    Ausdruck des Glaubens eines Volkes.

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               [10] Man sprach auch von einer Erscheinung der Heiligen Jungfrau42.
        Es gibt noch ein Geheimnis, das über dieser Schlacht schwebt, welche das
        Schicksal Frankreichs entscheiden sollte und welche die grösste Schlacht
        gewesen ist, die die Welt bisher gesehen hat.
               Es gab eine Verwirrung bei den Einmarschierenden. Sie sind 50 bis 60
        Kilometer pro Tag zurückgefallen. Amiens, Reims, Soissons 43 wurden
        befreit. St. Quentin blieb besetzt. Einige Pariser Zeitungen erreichten uns,
        wir lasen im «Écho de Paris»44 die Beschreibung der Schlacht durch Albert
        de Mun45. Die Ströme der Eindringlinge zogen sich bis nach St. Quentin
        zurück, die Stadt jedoch wurde nicht befreit.

6             Der 15. September war ein Tag der Hoffnung. Französische
        Kürassiere mit einer Artillerie-Einheit46 waren in Fayet. Die Geschütze [11]
        waren hinter dem Haus St. Clément, ganz in der Nähe des Monuments von
        187047. Einer unserer Kinder, Louis Girardin, war dort; er beriet die
        Schützen, die ihr Ziel auf die Kaserne von St. Quentin richteten. Unser Haus
        Sacré-Cœur wurde zunehmend bedroht. Wir sind in den Keller hinunter
        gegangen, aber nur einen Moment, für die Zeitdauer eines Rosenkranzes. Die
        Deutschen waren nicht abgesichert, aber wir hatten nicht genügend Truppen
        in Fayet. Unser Schicksal war an diesem Tag besiegelt; die Stadt sollte, auf
        unbestimmte Zeit besetzt werden.
                                    Der junge Louis Girardin huschte überall mit
         Vlg. NQT 35/111
                              seinem Rad herum. Man liess das zu. An einem dieser
         (10-14.10.1914)      Tage fuhr er bis nach La Capelle. Man nahm ihn bei
                              meinem Bruder auf. [12] Er brachte uns die
                              Neuigkeit, dass französische Aufklärer bis nach
                              Hirson48 gekommen waren.

    7          Seitdem haben wir gewusst, dass Pater
        Joseph Paris49 zu Fuss von Quévy bis zu seinem      Vlg. NQT 35/159
        alten Vater gekommen war, aber die Deutschen        (17.10.1914).
        liessen ihn nicht die Stadt betreten.
              Der deutsche Rückzug brachte uns Tausende von Verletzten50. St.
        Quentin schickte sich an, für lange Zeit das grosse deutsche Lazarett und die
        kleine Hauptstadt der okkupierten Gebiete zu werden…

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    [13] IV. Die Lazarette51

8      Die Lazarette organisieren und vervielfachen
 sich. Der Justizpalast52 wird zum Modelllazarett.
                                                           Vlg. NQT 35/95
 Seine schönen Räume haben eine grosse Aura,               (1.9.1914).
 zweimal ist der Kaiser Wilhelm53 gekommen, um hier
 den Verwundeten Trost zu spenden.
         Der schöne Vauban-Saal hat viele französische Verletzte, die Damen
    vom Roten Kreuz widmen sich ihnen hier.
          Das Gymnasium und die Thellier-Schule sind zu grossen Lazaretten
    der Deutschen geworden.
           Im Pensionat La Croix gibt es einen Saal für die Deutschen und einen
    für die Franzosen. Zwei von unseren Scholastikern, Bontemps und Roy, sind
    hier Krankenpfleger – sie verbringen dort mehr als eine Nacht. Pater Black
    versorgt hier die Sterbenden mit den Sakramenten, er spendet diese sogar
    guten Glaubens einem Algerier, der [14] nicht getauft war.

9          Es gibt Speziallazarette für bestimmte Krankheiten. Das Institut St.
        54
    Jean ist für jene reserviert, die durch die Gewalt des Artilleriebeschusses
    Schäden am Gehirn erlitten haben. Armes Institut St. Jean, zu einem
    Irrenhaus geworden! Ein kranker Offizier hat sich aus dem Fenster des
    dritten Stocks geworfen!
           Wir brauchen Armbinden, um in die Lazarette hineinzukommen. Ich
    lege eine an, um am Sonntag die Messe in der Klinik der Schwestern von St.
    Erme zu lesen.
          Welch’ traurige Konvois auf unseren Strassen! Die Krankenwagen
    bringen die Verletzten zu einem Zuteilungsbüro, in der Rue du Palais de

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     justice, und von dort schickt man sie weiter zu den verschiedenen Stationen
     gemäss der Schwere ihrer Verletzungen.
           [15] An gewissen Tagen gibt es so viele, dass man nicht weiss, wo
     man sie hinlegen soll. Sie werden auf dem Schulplatz auf die Erde gelegt,
     um die Statue des armen Henri Martin55 herum, bis man wieder Platz in den
     Lazaretten geschaffen hat, indem man diejenigen Verletzten zum Bahnhof
     schickt, die transportfähig sind und die sich im Norden pflegen lassen
     können, in Maubeuge und bis nach Köln56.
10         Jedes wichtige Lazarett hat seine Kapelle und
     seinen Kaplan. Auf diese Weise sehen wir unseren Herrn      Vlg. NQT 37/65
     wieder in die Schule oder ins Krankenhaus zurückkehren,     und 37/67
                                                                 (04.1915)
     von wo die Radikalen oder Sozialisten ihn vertrie¬ben
     hatten.

          Der Justizpalast und die Thellier-Schule haben ihre Kapellen. Die
     Deutschen besitzen sehr fähige Chirurgen, [16] die sogar bereit sind, einige
     Operationen an französischen Zivilisten vorzunehmen.
           Das Haus Sacré-Cœur ist von Lazaretten und deren Anbauten
     umgeben. Mehrmals ging es darum, uns wegzuschicken, um Verletzte in das
     Haus zu bringen. Wir nahmen das wohlwollende Eingreifen der
     Franziskaner in Anspruch, und so konnten wir wohnen bleiben, wo wir
     waren.
          Alle benachbarten Häuser in der Rue Antoine Lécuyer, jene des Notars
     Guiard-Latour, der Fräulein Fouquier und Marlier, wurden beschlagnahmt,
     um darin Spezialkliniken zu errichten.

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                                      [HEFT 2]

     [17] V. Priester und Kapläne
11          Deutschland hatte an der Front zahlreiche Kapläne57, katholische
     Priester und protestantische Pastoren; darin übertrafen sie uns. Alle
     deutschen Soldaten gehen am Sonntag zum Gottesdienst.
           Sie benutzten unsere Kirchen für den protestantischen wie auch für
     den katholischen Gottesdienst. Für sie ist es eine Übung … wie jede andere,
     man geht dorthin, weil es die Regel ist. Ich verurteile das nicht. Wenn ihr
     Soldaten seid, geht die Regierung nicht davon aus, dass ihr eure Taufe
     verleugnet habt, und sie bringt euch am Sonntag zur Kirche. Die Religion
     gehört zum Naturrecht, der Mensch ist ein religiöses Tier.
          Bei uns ist der Soldat frei und geht selten zur Messe. Die Deutschen
     werfen uns das vor. Aber wenn ihre Männer nicht mehr zur Messe
     angehalten werden, wie es bei ihren Kriegsgefangenen [18] in Frankreich
     vorkommt, so hö¬ren sie alsbald damit auf, dorthin zu gehen. Die
     «Menschenfurcht» erfasst sie, wie sie auch die unseren beherrscht.

12          Unter den Kaplänen gibt es gute und sehr gute. Es gibt auch
     Merkwürdigkeiten und bedauernswerte Vorfälle. In St. Quentin waren die
     offiziellen Kapläne in Ordnung. Die Franziskaner in den Lazaretten waren
     Männer mit Eifer, studiert und von einem weiten Geist, sie haben uns viele
     Dienste geleistet. Pater Raymond58 war gelehrt, er hat sehr gut gemachte
     Broschüren über unsere Kathedralen publiziert.
           Ein Frontkaplan, ein Steyler Pater, war ein Mann Gottes, er ist oftmals
     gekommen, um mich zu besuchen. Dieser sah in der Widmung unserer
     Strassen an all die Ungläubigen eine Kampfansage gegenüber Gott. Ich habe
     ihm mitgeteilt, was ich über den ungerechten und übertriebenen
     Chauvinismus [19] der Kölner Zeitung dachte.

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13         Diese Kapläne brachten aussergewöhnliche Kräfte auf: das tägliche
     Lesen mehrerer Messen, die kollektive Absolution eines Regiments, das zur
     Front aufbricht, und das Austeilen der Kommunion an alle Männer nach dem
     Abendessen.
           Mangels ausreichender Ziborien haben sie Hostien                      in
     Zigarrenschachteln konsekriert, sie hätten Besseres finden können.
           Einige, sogar Ordensleute, liessen sich vom Meinungsstrom
     mitreissen, Meinungen, die die Moral zur Kriegszeit unterdrückten. Ein
     Religiose eines grossen Ordens schickte seinem Konvent Bücher, die er aus
     den Bibliotheken der Pfarrer ausgewählt hatte. Ein anderer ging zu einem
     Händler von liturgischen Gegenständen in St. Quentin und nahm [20] für 15
     Franken einen Kelch im Wert von 80 Franken. «Es ist Krieg», sagte er.
     Damit rechtfertigten sie alles.
            Sie waren erstaunt zu sehen, dass es in Frankreich so viel Glauben gab,
     so viele Konvente und so viele Priester.
           Ihre Zeitungen in Köln und anderswo hatten ihnen so gut
     eingetrichtert, dass Frankreich eine verdorbene Nation und ohne Religion
     sei!
           Die Kapläne in St. Quentin wollten sehr wohl die Kultobjekte unserer
     Kapellen nach Maubeuge59 schicken. Ich habe diese ohne Erfolg in Brüssel
     zurückgefordert. Werde ich sie eines Tagen wiedersehen? Sie sind mehr als
     zehntausend Franken wert, mit zahlreichen Reliquien und wertvollen
     Gegenständen.

     [21] VI. Fayet
 14      Was wurde während dieser Zeit nun aus Fayet? Pater Mathias hatte
   seinen guten Teil an Prüfungen. Sein Haus wurde ständig überfallen. Seine
   Vorräte verschwanden, man verbrannte seine Wandverkleidungen, seine
   Holzböden und seine Balustraden.
           Seine Kapelle konnte er erhalten. Eines Tages sollte sie jedoch zu
     einem Getreidespeicher werden. Der Herr Bürgermeister hatte die Besatzer
     darauf hingewiesen, aber wir suchten durch die Vermittlung von Herrn
     Raymond rasch die militärische Autorität auf, und die Kapelle ist so gerettet
     worden.

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           Die guten Damen Sarrazin halfen ein wenig, dass Pater Matthias leben
     konnte.
           Pater Comte war da, er übernahm die Aufgabe eines Pfarrers. Dank
     der Umstände [22] hatte er einen vollen Erfolg. Beinahe die ganze Pfarrei ist
     wieder zur religiösen Praxis zurückgekehrt. Der Lehrer sang bei der Messe,
     dabei assistierte der Adjunkt. Auch der Bürger-meister selbst liess sich bei
     den grossen Festen blicken.
           Ein Nachbar von St. Clement bestand jedoch hartnäckig darauf, den
     ganzen Sonntag in seinem Garten zu arbeiten. Er soll ihn jetzt mal schauen
     gehen, seinen so gut gepflegten Garten!
           Pater Mathias hat seinen Bruder verloren, den Herrn Pfarrer von
     Urvillers60; er erhielt, nicht ohne Probleme, die Erlaubnis zum Begräbnis zu
     gehen.
           Bruder Roy war auch in St. Clement und auch Kaplan Doucy, ein
     Postulant. Pater Comte hat ihnen Philosophieunterricht gegeben. Der junge
     Bruyelle, genannt Raynaut, studierte Latein. Louis Girardin besorgte die
     Einkäufe und [23] stellte Karbitlampen her...
15          Alle zwei Wochen ging ich nach
     Fayet.    Man      gab    mir     einen
     Passierschein. Ich ging zu Fuss, es gab
     keinen einzigen Wagen in St. Quentin.
     Herr Hugues konnte eine Mähre und
     einen Esel behalten.
           In den letzten Monaten hatte ich
     keinen Passierschein mehr.
            Bruder Roy übersetzte die
     deutschen Meldungen, die der
     Bürgermeister von der Kommandatur
     erhielt. Aber eines Tages zerstritt er
     sich     mit    dem    Neffen      des
     Bürgermeisters, Herrn Hazard, der
     sehr antiklerikal war.
           Unsere Studenten von Fayet
     hatten Passierscheine, um zum
     Unterricht nach St. Quentin zu kommen. Man borgte diese berühmten
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     Passierscheine weiter, die Ordonanzsoldaten, bemerkten nichts und die
     Beziehungen [24] blieben ziemlich häufig.
            Zum Schluss wurde ganz Fayet evakuiert. Die armen Leute konnten
     nichts anderes mitnehmen als einen kleinen Koffer, man liess sie den Zug in
     Vermand und Beaurevoir61 nehmen. Pater Mathias und die Schwestern sah
     man im Bahnhof von Rocourt62 vorbei fahren. Erst einige Monate später
     erfuhr ich, dass man sie nach Noyon63 evakuierte hatte, und da die Deutschen
     sich wenig später aus Noyon zurückzogen, ging der gute Pater Mathias,
     erstaunt, sich in einem freien Land wiederzufinden, fromme Tröstungen im
     Karmel von Lisieux64 suchen.

     [25] VII. Unsere Gäste im Sacré-Coeur
16         In den ersten Monaten haben wir fünf deutsche
     Franziskaner, Kapläne und Sanitäter, beherbergt. Sie   Vlg. NQT 35/103
     kamen nur für die Nacht; sie assen im Lazarett des     (25.09.1914) und NQT
                                                            35/117 (10.1914)
     Justizpalastes.
            Einer von ihnen bekam den Typhus, das war nicht gerade beruhigend
     für das Haus. Eine Dame vom Roten Kreuz65, Schwester Alexandra, kam ihn
     pflegen. Diese Damen nannten sich Schwester (Schweister), und hatten doch
     nichts Monastisches an sich. Viele Offiziere hatten ihre Freundinnen ins
     Rote Kreuz aufnehmen lassen, um sie mit sich zu nehmen, es war eine wenig
     erbauliche Welt. Schwester Alexandra war korrekt und sogar fromm. Sie war
     Tochter eines Ungarn und einer Italienerin und sagte mir, dass sie
     Gouvernante [26] der Kinder des Herzogs von Parma gewesen war, sie
     meinte wohl Zimmermädchen.
           Mehrere evakuierte Pfarrer aus der Somme und dem
     Pas-de-Calais66 trafen bei uns ein. Der Herr Pfarrer von
     Curchy67 blieb die ganze Zeit. Er war Gefangener auf Abruf    Vlg. NQT 36/16
     und musste morgens und abends bei der Kommandatur             (10.01.1914)
     vorstellig werden. Als guter Redner brachte er die
     Gläubigen der Pfarrei St. Jean68 oftmals zum Weinen und
     es gab Bekehrungen.
           Herr Sueur, Pfarrer von Montauban69 (Somme), kam sehr
     niedergeschlagen zu uns. Er hatte einen Monat in seinem Hof ohne Bett
     gelebt. Er blieb nicht bei uns, liess seine Familie zu sich zu kommen und

                                          13
2015

     richtete sich in der Stadt ein. Er war sehr erbaulich und leis¬tete dem Pfarrer
     von St. Martin70 gute Dienste.
           Ein guter alter Pfarrer aus dem Pas-de-Calais [27] von über 80 Jahren
     kam an und nahm Unterkunft bei den Schwestern des Hôtel-Dieu. Er hatte
     jede Menge Predigten mitgebracht, aber der gute Mann bekam nicht mehr
     die Gelegenheit zu predigen, er starb nach einigen Wochen. Seine alte
     Haushälterin liess sich von den Schwestern bedienen: «Ich bin nicht die
     Köchin des Herrn Pfarrer, sagte sie, ich bin seine Gouvernante.»... Der gute
     Pfarrer hatte auch seinen Wellensittich mitgebracht, um ihn nicht in die
     Hände der Feinde auszuliefern. Er wird wohl aus Kummer nach ihm
     gestorben sein.
17          Während Monaten habe ich Louis Hiver beherbergt, dann den jungen
     Sarmer, den Cousin des Frater Bontemps. Das waren verkappte Soldaten und
     ohne Papiere. So brachte ich mich in grosse Gefahr, aber man muss
     hilfsbereit sein. Louis Hiver vermochte es, unter Umgehung der Wachen,
     [28] nach La Capelle zurückzukehren.
            Wir hatten einen kleinen, sehr nervösen Dienstboten. Wenn es läutete,
     ging er mit dem Metzgermesser unter der Schürze zur Tür. Er hätte uns
     Schwierigkeiten einbrocken können, so habe ich ihn entlassen. Frau Lefort,
     unsere ehemalige Köchin, die in ihrer Wohnung in der Nähe des Bahnhofs
     zitterte, kam bei uns wohnen, sie half Frau Charpentier.
            Bei mir war wenig Militär einquartiert, manchmal ein Offizier oder
     einige Soldaten. Es gefiel ihnen nicht bei uns, das Haus schien ihnen eine
     Falle zu sein.

     [29] VIII. Eine Episode: das Garde-Korps
18         Unsere jungen Priester gingen oft aus, vielleicht ein wenig zu oft, um
     Neuigkeiten zu erfahren. Eines Tages erlebten zwei von ihnen ein
     Abenteuer: Pater Devrainne und Frater Bontemps, die um 10 Uhr
     ausgegangen waren, kamen zu Mittag nicht zurück. Wir waren ohne sie zu
     Tisch, als ein Freund des Hauses uns sagen kam, dass sie am Marktplatz
     festgenommen und auf die Wache geführt worden waren. Was war passiert?
     Eine deutsche Streife ging vorüber und ein Offizier hiess seine Männer mit
     rauher Stimme im Paradeschritt marschieren, als sie sich dem Rathaus
     näherten.

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2015

           Unsere zwei Priester brachen in ein schallendes Gelächter aus und der
     Offizier schickte zwei Männer, um sie festzunehmen und auf die Wache zu
     führen.
            [30] Wir berieten uns mit Pater Black, und er machte sich in meinem
     Auftrag auf, um die wohlwollende Vermittlung des Paters Raymond zu
     erbitten.
           Der Pater begab sich zur Kommandantur, wo man ihm sagte, dass die
     Patres noch am selben Abend ein Urteil erhalten würden. Er trat für sie ein
     und sagte zu den Offizieren: «Das sind Franzosen, welche leicht zu lachen
     beginnen, und dann lachten sie womöglich wegen einer anderen Sache als
     das Vorübergehen der Abteilung.»
19         Ich war beunruhigt. Unsere jungen Leute waren se¬parat im Rathaus
     unter Arrest. Dort amüsierten sie sich nicht. Man brachte ihnen nur um vier
     Uhr die Soldatenkost, dann führte man sie zum Verhör. «Warum haben Sie
     gelacht? Wollten Sie sich über die kaiserliche deutsche Armee lustig
     machen?». Der Fall war schwerwiegend. Glücklicherweise gaben sie [31]
     eine einhellige Antwort: «Wir haben aufgrund der erkälteten Stimme des
     Kommandanten gelacht.»
           Es gab zwei Richter: der eine wollte eine Verurteilung, der andere, von
     Pater Raymond beeinflusst, wollte einen Freispruch. Dieser trug den Sieg
     davon und man liess die jungen Leute frei, nachdem man sie eine Erklärung
     hat unterzeichnen lassen, in der sie aussagten, dass sie nicht die Absicht
     hatten, sich über die kaiserliche Armee lustig zu machen. Ich meinerseits
     habe am meisten bei diesem Prozess gewonnen, weil ich die Strafe hätte
     bezahlen müssen, zu der sie verurteilt worden wären.
           Dieser bekannte Paradeschritt erscheint schön jenseits des Rheins, bei
     uns ist das eine sonderbare Sache, die einen zum Lachen bringt. Unsere
     Burschen hier in St. Quentin [32] nannten das «Gänsemarsch». Es gab ein
     Lied über den Gänsemarsch. Einer unserer Schüler wurde auf dem Weg nach
     Fayet durchsucht und dabei mit dem «Gänsemarsch»71 in der Tasche
     erwischt. Glücklicherweise nahm die Patrouille das gut auf, man lachte
     darüber und sagte: «Das kennen wir.»

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      Ich wäre auch beinahe in eine Spionageaffäre
geraten. Der gute Pater Oswald, Franziskaner, schickte
unsere Briefe nach Italien und nahm welche von dort für
mich in Empfang. Eines guten Tages rief ihn der            Vlg. NQT 36/24
Kom¬mandant zu sich und drohte ihm, ihn als Spion          (01.1915).

ein¬zu¬sperren. Auch mir wäre das passiert. Da jedoch in
meinen Briefen nichts Politisches stand, legte sich die
Angelegenheit und Pater Oswald konnte aufatmen.

                                   16
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                                     [HEFT 3]

     [33] IX. Der erste Winter
20         Im Dezember kam der gute Pater Joseph aus Quévy zu Fuss zu uns.
     Er hatte auf dem Weg bei einem Freund, dem Herrn Dechanten von
     Wassigny72, übernachtet. Er kam seinen alten Vater besuchen, der einige
     Monate später gestorben ist. Er erzählte uns, dass bei der Belagerung
     Maubeuges die Granaten das Haus in Quévy gestreift hatten. Pater Gilson
     hatte sich nach Frankreich aufgemacht, die Patres Joseph und Charles
     begaben sich nach Bavay73, aber sie kamen tags darauf wieder nach Hause
     zurück.
          Die Deutschen feierten Weihnachten in unseren Kirchen, die ihrem
     Brauch gemäss mit Tannen geschmückt wurden.
           Ich lese die Weihnachtsmette, nur für die Bewohner unseres Hauses,
     in unserer Kapelle. Weihnachten, das Johannesfest, Neujahr, alle Feste sind
     während des Krieges ohne Freude [34]. Man betet, man wartet, man findet
     sich damit ab.
           Die Kohle ist selten, unmöglich die Heizung zu unterhalten: Wir
     heizen nur die Kapelle, den Speisesaal und einige Zimmer. Die jungen
     Menschen schlafen in kalten Räumen.
           Einige Zeitungen erreichten uns von Paris her, ich weiss nicht auf
     welchem Wege. Man reichte sie herum; das gab ein wenig Trost. Es war ein
     Genuss, wenn man einige Artikel von Albert de Mun oder von Maurice
     Barrès las.
21         Some newspapers from Paris reached us, I do not know by what route.
     We passed them around, there was some small comfort in that. When we
     read some article by Albert de Mun or Maurice Barrès74, that was a treat.
            In unseres Strassen verkaufte man die Gazette des Ardennes75, viele
     Menschen kauften sie, weil es nichts besseres gab: natürlich wurden die
     Redakteure bezahlt, um einige tendenziöse Thesen zu unterstützen. Häufig
     fielen sie [35] den Engländern in den Rücken. Das Volk las dies und blieb
     misstrauisch. Die Jungen riefen die Zeitung aus, indem sie schrien: «Wer
     will die Gazette des Ardennes, die Zeitung der Lügner, hundert
     Unwahrheiten für einen Sou.»

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           Im Haus Sacré-Cœur zogen wir es vor, die Kölner Zeitung zu kaufen
     oder die Frankfurter. Die Zeitungen aus Köln waren auch gefälscht, sie
     hatten eine Spezialausgabe für uns. Die Gazette populaire de Cologne, eine
     katholische Zeitschrift, war keineswegs erbaulich. Sie legte einen
     übertriebenen Chauvinismus an den Tag und behandelte ihre Feinde mit
     einer wenig christlichen Verachtung.
22         Der Krieg bescherte mir freie Zeit: keine Zeitungen
     mehr, keine Reisen, keine Korrespondenz. Ich hatte Zeit, all
     das an asketischen Büchern, Heiligenbiografien und                Vlg. NQT
                                                                       39/162
     Abhandlungen über Spiritualität zu lesen, was ich in meiner
                                                                       (02.1916)
     Bibliothek angehäuft hatte [36], bis hin zu den
     Offenbarungen der heiligen Brigitte76 auf Latein im
     Quartformat.
           Die Biografien der heiligen Seelen unserer Zeit, wie Gertrude Marie,
     Élisabeth de la Sainte Trinité, Catherine Labouré77, usw., usw., interessierten
     mich ganz besonders. Diese privilegierten Seelen haben die jetzigen grossen
     Prüfungen vorausgesehen, jedoch sagen sie alle, dass nach der Stunde der
     Gerechtigkeit jene des Erbarmens kommen werde, und dass die Älteste
     Tochter der Kirche, nach hartem Sühnen, noch schöne Tage erleben werde.

     [37] X. Der 15. April
23         Es war ein denkwürdiger Tag für St. Quentin.
           Oft schon hatten die französischen Flugzeuge die
     Stadt überflogen, und sie hatten Bomben auf den Bahnhof
     geworfen78, aber am 15. April 1915 konnten sie ihren
     grossen Coup landen. Es gab am Bahnhof beträchtliche             Vlg. NQT
                                                                      37/64
     Munitionslager, die Bomben fielen dort mitten hinein und es      (15.04.1915)
     gab eine fürchterliche Explosion; die Erde bebte bis in die
     Stadtmitte hinein. In der Nähe des Bahnhofs stürzten viele
     Häuser ein, andere bekamen Risse. Die ganze Atmosphäre
     wurde erschüttert wie bei einem Tornado oder einem
     Monsunregen. Tausende Glasfenster gingen in Stücke. Viel
     Häuser verloren ihre Fenster, vom Bahnhof her bis zum
     grossen Platz.

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2015

           Wir spürten die Erschütterung bis nach Sacré-Cœur, aber nur zwei
     [38] Fensterscheiben wurden zerbrochen.
24       An der Basilika79 war der Schaden enorm. Grosse
  Fenster     waren     mit     ihren    Steinhalterungen
                                                                  Vlg. NQT 40/63
  heruntergefallen. Jedoch blieben die alten Kunstfenster         (01.07.1916)
  intakt, ihre Position im Osten hatte sie nicht der
  Druckwelle ausge¬setzt, die vom Süden her kam.
            Die Basilika konnte nicht mehr benutzt werden, sie wurde
     geschlossen. Der Gemeinderat stimmte sofort die nötigen Gelder für eine
     eilige Notausbesserung. Man brachte Bretter an den Fenstern an und einige
     Wochen danach konnte hier der Gottesdienst wieder aufgenommen werden.
           In der Zwischenzeit hielt man den Gemeindegottesdienst in der La
     Croix Kapelle, und die Kapellen der Charité80 und der Augustinerinnen
     waren für die Öffentlichkeit zugänglich.
          Auch die Kirche St. Éloi81 war ohne Fenster, man behalf sich dort mit
     Matratzentuch.
           [39] Beim Bahnhof wurde der ganze Bestand an Munition durch Brand
     vernichtet. Explosionen folgten eine nach der anderen, je nachdem das Feuer
     die Depots erreichte. Eine enorme, rote Rauchsäule erhob sich zum Himmel
     und neigte sich unter dem Einfluss des Windes. Das erinnerte an den Vesuv
     in den Momenten seines Zorns.
25       Das Übel hätte noch grösser sein können: es gab dort
     Dynamitbestände, die aber nicht getroffen wurden.
           Zum Zeitpunkt der Explosion brachte ein Militärkonvoi die Leiche
     eines Offiziers zum Bahnhof. Viele Offiziere folgten, sie beeilten sich, in die
     Keller zu gelangen, der Leichenwagen blieb allein auf der Strasse zurück.
     Die Offiziere wussten, dass es dort Bestände an Dynamit gab, und wenn
     diese Depots getroffen würden, [40] dann wäre die ganze Stadt
     niedergerissen worden.

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2015

         Die deutsche Presse vermeldete, dass französische Bomben auf die
  Kathedrale geworfen worden waren. Nichts ist weniger wahr als das. Unsere
  Flugzeuge haben die Munitionslager beim Bahnhof anvisiert und auch
  getroffen. Die Kirche ist nur durch den Rückschlag und die Druckwelle
  getroffen worden. Einige Tage später haben neu angekommene Offiziere die
  Kathedrale besichtigt und fragten die Angestellten, wo die französischen
  Granaten eingeschlagen hätten. Man erklärte ihnen, wie die Kirche gelitten
  hatte, ohne Bomben abbekommen zu haben: «Dann», sagten sie, «haben
  unsere deutschen Zeitungen nicht die Wahrheit gesagt» … Das passierte
  mehr als einmal.

  [41] XI. Das Institut St. Jean
26      Was wurde in dieser Zeit aus unserem geschätzten Haus St. Jean? Der
  obere Teil, in der Rue des Arbalétriers82, hat seine Bestimmung bewahrt, es
  gab dort bis zum Vorabend der Evakuation Schüler. Der untere Teil, zur Rue
  Antoine Lécuyer hin, wurde zu einem Lazarett für die armen Soldaten, die
  durch den Kanonenbeschuss Hirnschäden erlitten hatten, mit anderen
  Worten: es war ein Irrenhaus. Die Deutschen hatten es nach ihrem Ermessen
  eingerichtet. Sie haben im Hof eine Baracke für Küche und Kantine errichtet
  und im ersten Stock die Wände der Klassenzimmer entfernt, um dort einen
  Schlafsaal einzurichten.

                                      20
2015

           Die Kapelle ist lange Zeit dem Gottesdienst vorbehalten geblieben,
     jedoch hielten hier die Protestanten abwechselnd [42] mit den Katholiken
     ihre Gottesdienste ab. Zum Schluss ist die arme Kapelle ein Schlafsaal
     geworden. Das Haus Michel diente den kranken Offizieren.
           Herr Rouchaussé83 hat die Räume seines Hauses die ihm noch
     geblieben waren gut genutzt. Überall wurde Unterricht gehalten: im Salon,
     in der Bibliothek, in den Zimmern der Professoren. Es gab bis zu hundert
     Studenten. Zwei Priester-Professoren: die Herren Gratiot und Virlaye,
     mehrere Laien, die Herren Vilfort, Harmant, Tétier, Vinchon. Der
     Deutschlehrer, Herr Kielwasser, leistete gute Dienste, indem er als
     Dolmetscher tätig war, um die Fragen der Nachbarschaft mit dem Lazarett
     zu regeln.
           Das Hauspersonal war dasselbe geblieben: Schwester Saint Marcel
     mit ihren Gehilfen, die Pförtnerin und der treue Gaston.
27         Der Grundton des Hauses war fromm. [43] Herr Rouchaussé hatte ein
     Dutzend Schüler von St. Charles vereint. Er hatte mehrere kleine
     «apostolische Schüler» hinzugenommen.
           Alles ging seinen gewohnten Weg: die Klassen, ja sogar die
     Vorbereitungen auf die Prüfungen, denn wir hatten während der Besatzung
     Berufsschulabschluss- und Abiturexamen in St. Quentin. Die Professoren
     von Lille84 hatten einen Passierschein bekommen, um die Prüfungen
     vorzunehmen.
           Der deutsche Kaplan gab sich als Schulinspektor aus und kam
     schauen, was da passierte.
           Der Katechismus-Unterreicht wurde gepflegt.
          Herr Rouchaussé predigte seinen Schülern Exerzitien zum
     Schulbeginn und zweimal als Vorbereitung zur Erstkommunion in der
     Kapelle des Sacré-Cœur.
           [44] Es gab angstvolle Stunden. Mehrmals ging es drum, einen ganzen
     Teil des Gebäudes, den man uns bisher gelassen hatte, ans Lazarett
     anzuschliessen.
           Mehrere Professoren, die nervöser waren als die anderen, gerieten oft
     aus der Fassung. Sie suchten die Keller auf, sobald sie die Flieger anrauschen
     oder die Bomben einschlagen hörten.

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         Herr Rouchaussé hatte einen Gebetsraum in meinem alten Büro im
  ersten Stock eingerichtet. Dort betete ich mit grosser Rührung.

  [45] XII. Das Leben in St. Quentin
28       Es war hart. Jeden Tag ermüdete uns der Wechsel zwischen Ängsten
  und Hoffnungen. Die Gazette des Ardennes und die deutsche Presse
  bemühten sich darum, uns zu deprimieren. Manchmal erhielten wir – ich
  weiss nicht woher – einen französischen Zeitungsfetzen, oder die Flugzeuge
  warfen uns die aufmunternden Worte von Lavisse85 in Rundbriefen runter,
  die für die besetzten Gebiete bestimmt waren.
        Es bedurfte der Hingabe an Gott, des Gebets und der spirituellen
  Lektüre, um die Seelenruhe zu bewahren.
       Oft kamen viele falsche Nachrichten, viele «Enten», die uns auf die
  Nerven gingen.
                        Die Lebensmittelversorgung war eingeschränkt: 250
   Vlg. NQT      oder 300 Gramm Brot, und welches Brot! Meistens war es
   37/1          schwarz, schlecht gebacken und unverdaulich. [46] Es war ein
   (03.1915);    Gemisch aus Kleie, Maismehl, Leinölkuchen… Was die
   vlg. 38/97.   Quantität anbelangt, so gab es Ausgleiche: der Bäcker gab uns
                 oft zusätzlich ein Brot, das er übrig hatte86.
         Fleisch war selten. Ab und zu gaben die Deutschen den Metzgern
  einige Tiere zum Schlachten. Diejenigen, die sich eingeschrieben hatten,
  erhielten eine sehr beschränkte Menge.
        Die Deutschen konfiszierten Früchte, Kartoffeln, Eier; die Märkte
  hatten nur mehr wenig grünes Gemüse und Grasbündel für die Kaninchen.
       I had planted potatoes in our lawns and in my plot of land on Rue de
  Mulhouse87.
29     Ich hatte Kartoffeln auf unseren Rasenflächen und auf meinem
  Grundstück in der Rue de Mulhouse gepflanzt. Die amerikanische
  Nahrungsmittelversorgung [47] hat uns viel geholfen. Sie verkaufte zu
  einem vernünftigen Preis Reis, Fett, Speck und ab und zu Fisch. Die alten
  Leute bekamen Milchdosen, aber alles war rationiert entsprechend der
  Einwohnerzahl eines jeden Hauses.

                                       22
2015

      Wir hatten Kriegsgeld, kleine Scheine von allen Wertsorten, ab 5
Centimes bis zu tausend Franken. Man wird damit Sammlungen machen wie
mit unseren alten Anweisungen auf Nationalgüter [Papiergeld aus der Zeit
der Revolution]. Die Mark hatte einen Zwangskurs.
     Man fand nicht mehr viel zu kaufen. Die deutschen Kapläne gaben uns
Wein für die Messe und verkauften uns Wachs für acht Franken das Kilo.
      Das Kanonenfeuer hörten wir Tag und Nacht. Die Somme war nicht
weit und während zwei Jahren bekämpfte man sich dort jeden Tag.
      [48] Unsere Vorräte an Kohle waren sehr begrenzt.
      Einige Händler betrieben Spekulation auf Kosten ihrer Mitbürger. Sie
kauften den Zucker für 100 Franken den Sack und verkauften diesen für 500
Franken.
      Mit der Moral war es nicht weit her in der Stadt. Viele Frauen, sogar
aus wohlhabenden Familien, waren zu entgegenkommend im Umgang mit
den Okkupanten. Man wird nach dem Krieg viele dieser Erbärmlichkeiten in
Erinnerung rufen.

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2015

                                      [HEFT 4]

     [49] XIII. Die Pfarreien – der pastorale Dienst

30         In St. Quentin gab es einen grossen Aufschwung des Glaubens und
     des Gebets während der ersten zwei Kriegsjahre. Darauf folgte anscheinend
     ein wenig Entmutigung und Überdruss.
           Der Herr Erzpriester88 legte einen wahrlich beharrlichen Eifer an den
     Tag. Jeden Abend beim Gebet richtete er das Wort an die Pfarrkinder, und
     man kam in ziemlich grosser Zahl. Aber während Monaten war die arme
     Basilika nicht nutzbar.
           Herr Crinon fand in der Pfarrei St. Jean Anregungen, um die
     Frömmigkeit aufrechtzuerhalten. Dort gab es die Verehrung und den Altar
     Unserer Lieben Frau der Armeen. Jeden Monat feierte er eine Messe für die
     verstorbenen Soldaten. Der Herr Pfarrer von Curchy predigte mit viel
     Hingabe.
           [50] Herr Rouchaussé setzte sich voll in der Basilika ein: er hielt dort
     die Fastenpredigten.
           Wir halfen überall aus, soweit wir es vermochten. Pater Urbain ging
     jeden Tag zur Pfarrei St. Jean, dort las er die Spätmessen. Pater Devrainne
     ging während der Woche nach St. Éloi und sonntags nach Homblières89.
     Pater Burg war Kaplan der Charité, Pater Black Kaplan der Kapelle La
     Croix.
                                  Ich konnte einmal den Kleinen Schwestern90
      Vlg. NQT 38/132       der Armen Exerzitien predigen, und zweimal bei
      (09.1915) und NQT     unseren Schwestern91, trotz meiner Bronchitis. Ich
      39/68 (5-8.12.1915)   habe es nicht gewagt, dies auch in der La Croix
                            Kapelle zu tun, wo man mich darum gebeten hatte.
           Unsere bescheidene Kapelle vom Sacré-Cœur ist notwendigerweise
     halb öffentlich geworden. Da die Basilika ziemlich lange geschlossen blieb
     und sie [51] in der Folge allen Wetterlagen ausgesetzt war, suchte ein jeder
     eine Kapelle in seinem Umkreis. Die unsere war am Sonntag gut gefüllt.
     Während der Woche kamen einige Gewohnheitsteilnehmer, wie Herr Vilfort
     und Herr Harmant vom St. Jean und die Schwester St. Marcel.

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31           Jeden Monat ging ich ins Kloster, um dort eine Unterweisung zu
      geben. Ich sah die geschätzte Mutter Oberin [«la Chère Mère»], die sich
      langsam auf den Tod vorbereitete. Ihr Gedächtnis liess nach, aber moralisch
      blieb sie das, was sie immer gewesen ist: eine Frau grossen Glaubens und
      mit festem Charakter. Sie betete, sie munterte auf, sie entäusserte sich, indem
      sie jedem Besucher was schenkte. Sie starb dann in Soignies92, als sie in
      Belgien ankam, am Vorabend ihres 80. Geburtstags.
            [52] Oft ging ich Frau Malézieux besuchen, und ich brachte ihr ein-
      oder zweimal im Monat die heilige Kommunion. Sie entbehrte es sehr, nicht
      zur Messe gehen zu können, weil es keinen Wagen mehr in St. Quentin gab.
            Man rief mich zu Kranken, aus meinem alten Bekanntenkreis.
      Mehrere von ihnen habe ich auf den Tod vorbereitet: meinen ehemaligen
      Schüler Paul Poette, den Bruder der Priester; Herrn Evrard, ehemaliger
      Schreiner, ein bedeutender Arbeitgeber, der sehr verarmt war, immer treu
      und fromm; Herrn Cogne, ein Industrieller, ehemaliger Seminarist, der
      Erfolg gehabt und seinen Glauben bewahrt hatte.

      [53] XIV. Beziehungen
 32         In Zeiten der Prüfung wendet man sich wieder seinen
      Freunden zu und seinen alten Bekannten. Ich habe ziemlich
      viele Besuche in St. Quentin empfangen: Herrn Desjardins,         Vlg. NQT
      ehemaliger Abgeordneter und seinen Sohn93, Herrn Hugues           35/121
      Frédéric, Herrn Jourdain, Herrn Fleury, Herrn Soret,              (11.1914)
      Gemeindeeinnehmer, die Maréchal, Marchandier, usw94.
      Viele der guten Familien waren rechtzeitig weggegangen.
           In schwierigen Zeiten braucht man gegenseitige Ermunterung, die
      Möglichkeit, seinen Kummer ausschütten und seine Hoffnungen mitteilen zu
      können.
            Der deutsche Bahnhofsvorsteher, ein katholischer Notar aus
      Lothringen, kam mich begrüssen. Sein Bruder, Priester in Amerika, hatte
      Bischof Grison95 gekannt, und auch unsere Patres in Ecuador. Er war mit
      unserem Bischof von dort unten nach St. Quentin gekommen.

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                          [54] Mehrere unserer Patres und Brüder aus
   Vlg. NQT         Deutschland kamen mich besuchen: die Priester waren
   38/97            Kapläne, die Brüder Soldaten. Alle waren mir gegenüber so,
   (28.08.1915)
                    wie sie es sein sollten. Mehrere kamen aus Belgien und
                    brachten mir Aufträge von Pater Falleur96 mit.
        Mehrere Male habe ich Pater Loh97 gesehen, der Sanitäter am Bahnhof
  von Cherbourg98 war, Pater Storms99, Missionar, und Pater Demont100, der
  Pastoraldienst sogar bei den Franzosen an der Front in Chauny101 leistete. Er
  versuchte, mir eine Erlaubnis zu besorgen, um nach Brüssel zu fahren. Eines
  Abends suchte er den Kommandanten auf, der wie gewohnt ein üppiges
  Abendessen mit seinen Offizieren einnahm. Der Pater kam zu mir zurück
  und sagte: «Es ist nichts zu machen, sie sind betrunken.»
        [55] Mehrmals wurde ich zur Kommandantur gerufen, um Briefe von
  meinen jungen Patres aus Elsass-Lothringen102 entgegenzunehmen, die
  Weiheentlassschreiben beantragten. Ich konnte mehrere von ihnen in Trier103
  und sogar in Breslau104 weihen lassen.
33      Einmal, im August 1915, gab man mir eine Depesche,
  es war eine schlechte Nachricht: der Tod des lieben Paters       Vlg. NQT
  Jean Guillaume105, ein frommes Opfer des Herzens Jesu, der       38/75
  seine schrecklichen Leiden für all unsere grossen                (01.08.1915)
  Angelegenheiten aufgeopfert hat. Er ruht auf dem traurigen
  Friedhof von Hérent106.
   Vlg. NQT 38/27                Die Patres von Charleroy107 brachten mir
   (21.06.1915)             Nachrichten aus Holland und Belgien.
         Der Kaplan aus La Capelle108 brachte mir Briefe von meinem
  Bruder109. [56] Er war sehr freundlich und gut erzogen; er war bei meiner
  Familie untergebracht und skandalisierte sie mit seinen modernistischen
  Ideen.
       Im Verlaufe der ersten Kriegsmonate erhielt ich aus Bologna
  Nachrichten aus der ganzen Welt durch die Vermittlung des Kaplans Pater
  Oswald, aber das ging schief und man musste drauf verzichten, um nicht der
  Spionage verdächtig zu werden.

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  [57] XV. Fürstliche Besuche. Beschlagnahmungen
34      Dreimal besuchte der Kaiser St. Quentin110. Er wohnte in einem
  eleganten Bürgerhaus, gelegen in den Champs Élysées, Boulevard
  Gambetta111, das der Familie Basquin-Bartaut gehörte. Der Kaiser
  beglückwünschte Frau Basquin zu ihrem guten Geschmack bezüglich ihres
  Mobiliars und erteilte ihr eine Dispens von militärischer Einquartierung für
  die Zeit der Besetzung.
        Als seine Dienstoffiziere das Haus vorbereiteten, fragte man sie, ob
  man ein Bild der Heiligen Jungfrau abnehmen sollte, das den Kaiser in
  seinem lutherischen Glauben stören könnte. Sie antworteten, dass der Kaiser
  dieser Sache keine Aufmerksamkeit schenken würde, dass er Deist sei und
  dass es sich damit habe. Hat er nicht sogar eine Tendenz, den Gott der
  Christen mit dem alten deutschen Gott, Odin oder Wotan, zu verwechseln?

        [58] Es gab eine Heeresschau auf dem Platz112, Militärmusik, Besuch
  der grossen Lazarette, im Justizpalast und im Gymnasium.
35      Im Jahr 1916 wollte der Kaiser das Monument einweihen, das auf dem
  neuen Friedhof errichtet worden war, wo man die Toten der Lazarette
  begrub, Deutsche und Franzosen113. Er lud den Bürgermeister ein, die
  protestantischen Pastoren und den Erzpriester. Dieser hielt eine kurze, sehr
  gewandte Ansprache, höflich und ohne Schöntuerei, mit Lob auf die
  Soldaten, die für ihre Heimat ihr Leben hingaben.
        Der Kaiser sprach ungezwungen mit ihm. Er sagte ihm, dass der Papst
  sein Freund war, dass er Frankreich sehr liebe und er kommen werde, um zu
  helfen, Calais zurückzuerobern, wo die Engländer sich festsetzen wollten. Er
  fand, dass unsere Kartoffelbebauungen es nicht mit jenen der sandigen
  Felder Preussens aufnehmen konnten.
        [59] Ein Sohn des Kaisers, Prinz August114, hielt sich lange Zeit in St.
  Quentin auf. Er hatte nichts Militärisches an sich; er war verletzt worden,
  jedoch durch einen Autounfall. Er amüsierte sich auf eine derart
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     unerbauliche Art und Weise, dass sein Vater ihn zur Strafe nach Vervins115
     schickte. Viele von den Offizieren waren im Übrigen Genussmenschen und
     hinterhältig dazu. Der Kaiser sagte ihnen eines Tages: «Ihr seid nicht mehr
     wie die Offiziere zur Zeit Bismarcks!».
           Ein junger sächsischer Prinz, der zweite Sohn des Königs116, hielt sich
     auch unter uns auf. Dieser war klug und fromm. Er nahm jeden Tag an der
     Messe in der La Croix Kapelle teil, wo ihm Pater Black die heilige
     Kommunion reichte. Er machte einen Besuch bei Madame Malézieux, im
     Gedenken eines Aufenthalts, [60] den ein sächsischer Prinz bei ihr im Jahre
     1870 gemacht hatte.
           Fürst Salm, einer der führenden Köpfe der katholischen Partei, stand
     an der Spitze unserer Lazarette.
36          Und die Beschlagnahmungen! Zuerst der ganze Wein. Man sagte uns,
     dass dieser für die Lazarette bestimmt sei, aber die Verwundeten haben
     nichts davon gesehen. Er diente lange Zeit für die Gelage der Offiziere, und
     man belud damit Wagons in Richtung Deutschland.
           Man machte keinen Unterschied zwischen teuren erlesenen Weinen
     und ganz gewöhnlichen. Im Sacré-Cœur haben sie davon nichts gefunden,
     Pater Urbain hatte hier alles in Ordnung gebracht. Zwecklos blieb eine
     zweimalige Durchsuchung im Garten, wo sie sämtliche Beete mit ihren
     Baionnetten durchstiessen…

     [61] XVI. Letzte Plagereien – Unfall – Aufbruch
 37      Die letzte Zeit war ziemlich hart. Man konnte die Stadt nicht mehr
   verlassen. Für mehr als sechs Monate konnte ich nicht mehr nach Fayet
   gehen. Pater Devrainne konnte auch nicht nach Homblières gehen.
            Wir haben mehrere Hausdurchsuchungen auf der Suche nach Kupfer
     erlitten. Die Besucher haben das genommen, was sie vorfanden: die Glocke
     der Kommunität, die Kerzenständer, die Fusswärmer, einige Kochtöpfe; sie
     haben mir einen Bon für die Beschlagnahmung gegeben.

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                            Es gab auch eine Spezialeinheit für «Suchaktionen».
      Vlg. NQT       Ein Jude unter ihnen begann sich an das Weihrauchfass zu
      40/84          machen und wollte die Kapelle ausräumen, aber der
      (10.1916)
                     Korporal erinnerte ihn daran, dass die Beschlagnahmung
                     sich nicht auf die Kultgegenstände beziehe…
           [62] Die Stadt war in Aufruhr, man sprach von der bevorstehenden
     Evakuierung, obwohl die Kommandantur das verneinte. Schlussendlich
     wurde am 2. März die Evakuierung117 öffentlich angeschlagen. Die ganze
     Stadt sollte in 15 Tagen abreisen. Traurig begann jeder seine Koffer zu
     packen. Man musste alles zurück lassen, Bibliotheken, wertvolle
     Gegenstände, Erinnerungsstücke der Familie!
            Man weinte nicht, aber man litt. Die deutschen Kapläne wollten sich
     wohl um unsere Kisten mit den Kultgegenständen kümmern: werden wir
     diese jemals wiedersehen?
           Wir erhielten je nach den Stadtvierteln Anweisungen zum Aufbruch.
     Zwei Züge pro Tag gingen in Richtung Belgien, ohne zu wissen wohin:
     langes Warten am Bahnhof, Viehwagen oder Güterwagen.
           [63] Jeder trug seine Koffer zum Bahnhof, so wie er es vermochte. Ein
     deutscher Soldat führte unsere Leute mit dem Wagen: er erhielt Trinkgeld.

38          Am 11. März brach ein Feuer bei Herrn Arrachart aus. Ich ging ihn
     trösten. Alle Prüfungen kamen miteinander.
            Am 13., Aufbruch. Um fünf Uhr morgens zum Bahnhof, um um 9 Uhr
     abzureisen. Ich hatte die Messe um halb 5 Uhr gelesen. Man hat uns in einen
     Güterwagen gesteckt. Wir setzten uns auf das Gepäck. Die amerikanische118
     Versorgung hatte uns Zwieback und Schokolade für die Reise gegeben. Ich
     liess meine zwei Häuser möbliert zurück, die Kapelle im Sacré-Cœur war
     voll ausgestattet.
                           Die Reise war beschwerlich: langes Halten.
                     Unsicherheit über [64] das Ziel der Reise. Man sprach von
                     Givet119. Am Abend stiegen wir in Enghien120 aus. Todmüde,
      Vlg. NQT
      40/115         mit unseren Gepäckstücken auf dem Arm, konnten wir nur
      (12.03.1917)   einer nach dem anderen den Bahnhof verlassen. Die
                     Stadtverwaltung von Enghien wollte uns zählen:
                     Absurditäten der Verwaltung. Wir stürzten vor Müdigkeit
                     um. Die Jesuiten nahmen uns brüderlich auf.

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      Ich war erschöpft vor Müdigkeit und von den Eindrücken. Ich werde
mich davon nie wieder völlig erholen.

     Fiat voluntas Dei!

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