DAS ÖSTERREICHISCHE GLÜCKSSPIELGESETZ IM SPANNUNGSVERHÄLTNIS ZU DEN EUROPÄISCHEN GRUNDFREIHEITEN - JKU ePUB
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Eingereicht von Julia Hartner Angefertigt am Institut für Europarecht Beurteiler / Beurteilerin Univ.-Prof. Dr. Franz Leidenmühler DAS ÖSTERREICHISCHE November 2021 GLÜCKSSPIELGESETZ IM SPANNUNGSVERHÄLTNIS ZU DEN EUROPÄISCHEN GRUNDFREIHEITEN Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magistra der Rechtswissenschaften im Diplomstudium Rechtswissenschaften JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich jku.at
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch. Wien, 03.11.2021 Julia Hartner 2
GENDER ERKLÄRUNG Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wurde von einer geschlechterspezifischen Differenzierung abgesehen. Sämtliche Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung für alle Geschlechter. 3
Inhaltsverzeichnis 1. Vorwort 5 2. Abkürzungsverzeichnis 6 3. Die Europäischen Grundfreiheiten 8 3.1. Dienstleistungsfreiheit 9 3.2. Niederlassungsfreiheit 10 4. Anwendbarkeit der europäischen Grundfreiheiten auf verschiedene Glücksspielsachverhalte 11 4.1. Inländerdiskriminierung 12 5. Das österreichische Glücksspielgesetz 12 5.1. Verfolgte Ziele 13 5.2. Monopolregelung 13 5.3. Spielerschutz 17 5.4. Kriminalitätsbekämpfung 20 5.5. Novellen der Vergangenheit 21 5.6. Aufgehobene Beschränkungen der Vergangenheit 22 6. Eingriff in die europäischen Grundfreiheiten 24 6.1. Rechtfertigungs-/Verhältnismäßigkeitsprüfung 24 6.2. Zwingende Gründe/Erfordernisse des Allgemeininteresses 25 6.3. Eignungsprüfung des Eingriffs in die Grundfreiheiten 25 6.4. Kohärenzprüfung des nationalen rechtlichen Rahmens sowie seiner Umsetzung 26 6.5. Prüfung der Kriminalität im Zusammenhang mit Spielsucht 28 6.6. Prüfung der Werbung auf ihre Kohärenz 28 6.7. Hypocrisy test – „Scheinheiligkeitstest“ 29 7. Anwendungsvorrang des Unionsrechts 30 7.1. Anwendungsvorrang in der Theorie („effet utile“) 30 7.2. Anwendungsvorrang in der Praxis der österreichischen (Höchst)Gerichte 30 8. Auswirkungen der Missachtung des Anwendungsvorranges 33 8.1. Auswirkungen in der Zivilgerichtsbarkeit 33 8.2. Auswirkungen im Verwaltungsstrafrecht 35 9. Aktuelle Entwicklungen in der Rechtsprechung 37 10. Conclusio 40 11. Literaturverzeichnis 41 12. Judikaturverzeichnis 41 13. Materialienverzeichnis 42 4
1. Vorwort Das österreichische Glücksspielmonopol ist insbesondere unter Bezugnahme auf die im unionsrechtlichen Primärrecht verankerte Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit stark umstritten. Während die österreichischen Höchstgerichte dem Österreichischen Glücksspielgesetz und seiner Monopolregelung seit Jahren unverändert im Tenor die Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht zusprechen, fragen sich unter anderem Juristen, Anwälte und Universitätsprofessoren, ob denn in „Österreich wirklich alles möglich[ist]?“.1 Kaum ein Rechtsgebiet ist im Alltag der österreichischen Bevölkerung gleichzeitig so präsent wie auch umstritten, denn Unzählige „glauben ans Glück“ und wissen, dass „Mittwoch Damentag“ ist2. Durch meinen Berufsalltag in einer Wiener Rechtsanwaltskanzlei ist mir bekannt, welch’ Beträge in Millionensummen jährlich für Verwaltungsstrafen wegen Eingriffs in genau dieses Glücksspielmonopol veranschlagt werden, wie viele sündhaft teure Automaten beschlagnahmt, wie viele Lokale versiegelt und vor allem welche Beträge in horrenden Summen von Spielern eingeklagt werden, deren Online-Glücksspielvertrag mit Glücksspielanbietern aus dem EU- Ausland nicht rechtsgültig war. Da sich Österreich aber auch den Werten und vor allem den Grundfreiheiten der Europäischen Union verschrieben hat, beschäftigte mich seit jeher Frage, ob denn diese Herangehensweise an den Glücksspielmarkt, wie Österreich sie pflegt, nach wie vor zeitgerecht ist und vor allem ob sie in den vergangenen Jahren jemals unionsrechtskonform gewesen ist. In der nachfolgenden Arbeit habe ich daher zunächst die Europäischen Grundfreiheiten skizziert und deren Anwendbarkeit auf Glücksspielsachverhalte erörtert. In weiterer Folge habe ich sodann das österreichische Glücksspielgesetz und seine Entwicklung in der Vergangenheit unter die Lupe genommen. Das Kernstück dieser wissenschaftlichen Arbeit bildet allerdings die Eingriffsprüfung in die Grundfreiheiten sowie insbesondere die Nachvollziehbarkeit und Auswirkungen der gegenwärtigen Judikatur der Österreichischen Höchstgerichte im Hinblick auf die Vereinbarkeit des Österreichischen Glücksspielgesetzes mit den europäischen Grundfreiheiten. 1 Vgl. Kletecka, Glücksspielwerbung und Höchstgerichtes: Ist in Österreich wirklich alles möglich? Ecolex 2021/132, 168 (Stand 24.10.2021, rdb.at). 2 Vgl. Kletecka, Glücksspielwerbung und Höchstgerichtes: Ist in Österreich wirklich alles möglich? Ecolex 2021/132, 169. 5
2. Abkürzungsverzeichnis ABGB Allgemein Bürgerliches Gesetzbuch Abs. Absatz ad zu AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union AG Aktiengesellschaft Art. Artikel BGBl. Bundesgesetzblatt bzw. beziehungsweise bspw. beispielsweise B-VG Bundes-Verfassungsgesetz CASAG Casinos Austria AG ecolex Fachzeitschrift für Wirtschaftsrecht E Entscheidung EG Europäische Gemeinschaft, -en EGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EMRK Europäische Menschenrechtskonvention EU Europäische Union EuGH Europäischer Gerichtshof EUV Vertrag über die Europäische Union EWR Europäischer Wirtschaftsraum GebG Gebührengesetz 1957 GSpG Glücksspielgesetz Hrsg Herausgeber idF. in der Fassung idgF. in der geltenden Fassung iSd. im Sinne der/des iZm. im Zusammenhang mit lit. litera (Buchstabe) LVwG Landesverwaltungsgericht MR Medien und Recht (Zeitschrift) ÖBAG Österreichische Beteiligungs Aktiengesellschaft ÖIAG-Gesetz 2000 Bundesgesetz über die Neuordnung der Rechtsverhältnisse der Österreichischen Industrieholding Aktiengesellschaft und der Post und Telekombeteiligungsverwaltungsgesellschaft ÖBl. Österreichische Blätter für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (Zeitschrift) OGH Oberster Gerichtshof OÖ Oberösterreich RDB Rechtsdatenbank Rom I-VO Verordnung (EG) Nr. 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, Rs Rechtssache (bei Europäischen Gerichten) Rsp Rechtsprechung Rz. Randzahl StGB Strafgesetzbuch 6
stRsp ständige Rechtsprechung ua. und andere UVS Unabhängige Verwaltungssenate (bis Ende 2013) VfGH Verfassungsgerichtshof VfSlg Sammlung der Erkenntnisse und wichtigsten Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes vgl. vergleiche VwGH Verwaltungsgerichtshof Z. Ziffer 7
3. Die Europäischen Grundfreiheiten Eines der Hauptziele der Europäischen Union ist es seit jeher einen Binnenmarkt zu errichten. Das bedeutet, dass ein staatenübergreifender Markt entstehen soll, welcher einem nationalen gleicht. Gewährleistet wird dies unter anderem durch die Verwirklichung der vier Grundfreiheiten, die den Waren-, Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehr betreffen. Ferner sollen Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche einem solchen Binnenmarkt abträglich sind, angeglichen werden.3 Zunächst setzten sich die Gesetzgebungsorgane der Europäischen Union durch Art. 14 Abs. 1 EGV selbst die Frist, den Binnenmarkt bis zum 31.12.1992 zu verwirklichen. Sie mussten sich im Laufe der Zeit allerdings eingestehen, dass es sich bei der Errichtung eines Binnenmarktes um eine Daueraufgabe handelt. Diesem Umstand wurde sodann mit der Nachfolgebestimmung des Art. 14 Abs. 1 EGV, nämlich Art. 26 AEUV Rechnung getragen, welche keine Fristsetzung mehr enthält.4 Die Beseitigung von Mobilitätshindernissen steht für die Gewährleistung des Binnenmarktes an oberster Stelle und ist eine abschottende Wirkung der nationalen Rechtsordnungen zu vermeiden.5 Zur Gewährleistung eines Binnenmarktes sind alle Grundfreiheiten unmittelbar anwendbare Normen des Primärrechts der Europäischen Union und dadurch mit Anwendungsvorrang ausgestattet. Dies wiederum bedeutet, dass sie das nationale Recht der Mitgliedstaaten im Kollisionsfall verdrängen. Mitgliedstaatliches Recht hat sodann unangewendet zu bleiben und die mit Self-exekuting-Charakter ausgestatteten Binnenmarktfreiheiten kommen auf den jeweiligen Sachverhalt ohne einen weiteren Zwischenschritt zur Anwendung.6 Damit solche Grundfreiheiten allerdings überhaupt Anwendung finden können, muss das Vorliegen des sachlichen, persönlichen und räumlichen Anwendungsbereiches gegeben sein. Im Zuge dieser Prüfung ist unter anderem abzuklären, ob nicht Bereichsausnahmen oder abschließende Harmonisierungen durch Sekundärrechtsakte vorliegend sind (sachlicher Anwendungsbereich), ob Begünstigter und Verpflichteter der Grundfreiheit von deren persönlichen Anwendungsbereich erfasst sind und ob ein zwischenstaatlicher und damit grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegend ist (räumlicher Anwendungsbereich).7 Wer Begünstigter der jeweiligen Grundfreiheiten ist, erschließt sich aus dem jeweils einschlägigen persönlichen Anwendungsbereich einer bestimmten Grundfreiheit. So sind in etwa Begünstigte der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 Abs. 2 AEUV „Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten“ und Begünstigte der Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 28 Abs. 2 AEUV wiederum „aus den Mitgliedstaaten stammende Waren, sowie diejenigen Waren aus dritten Ländern, die sich in den Mitgliedstaaten in freien Verkehr befinden“.8 3 Vgl. Leidenmühler, Europarecht – Die Rechtsordnung der Europäischen Union4 147. 4 Vgl. Piska in Jaeger/Stöger (Hrsg), EUV/AEUV Art. 26 AEUV (Stand 1.7.2019, rdb.at) Rz. 6. 5 Vgl. Piska in Jaeger/Stöger (Hrsg), EUV/AEUV Art. 26 AEUV (Stand 1.7.2019, rdb.at) Rz. 7. 6 Vgl. Leidenmühler, Europarecht – Die Rechtsordnung der Europäischen Union4 159. 7 Vgl. Leidenmühler, Europarecht – Die Rechtsordnung der Europäischen Union4 160, 161. 8 Leidenmühler, Europarecht – Die Rechtsordnung der Europäischen Union4 160. 8
Es handelt sich bei Grundfreiheiten um den Mitgliedstaaten bzw. bspw. auch den Medien und Parteien (sog. „intermediären Gewalten“) auferlegte Diskriminierungs- und Beschränkungsverbote und soll der Nichteingriff in die Grundfreiheiten in gewissen Bereichen auch durch mitgliedstaatliche Handlungspflichten gewährleistet werden.9 Eine Beschränkung der Grundfreiheiten ist den Mitgliedstaaten nur in Ausnahmefällen, bei Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes, gestattet 10. Es gibt sowohl geschriebene Rechtfertigungsgründe, als auch jene, welche sich im Laufe der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) als „zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses“ als ungeschriebene Rechtfertigungsgründe gebildet haben. Als „zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses“ werden unter anderem auch der Verbraucherschutz und die Bekämpfung von Spielsucht qualifiziert, wobei wirtschaftliche Gründe nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH niemals eine Rechtfertigung für den Eingriff in eine Grundfreiheit darstellen können. Erachtet ein Mitgliedstaat einen Eingriff aus den obgenannten Rechtfertigungsgründen als notwendig, trifft ihn jedenfalls die Beweislast für die Rechtfertigung des Eingriffs 11. Dies stellt einen weiteren Schutzmechanismus zur Aufrechterhaltung der Grundfreiheiten und in weiterer Folge des Binnenmarktes dar. Im Bereich des Glücksspiels liegt es im Ermessen des jeweiligen Mitgliedstaates, welche Ziele er für nötig hält, um Verbraucher- und insbesondere Spielerschutz ausreichend gewährleisten zu können und ist hiezu grundsätzlich auch die Errichtung von Monopolen zulässig. 12 Dies wird unter anderem damit gerechtfertigt, dass im Glücksspielbereich in den verschiedenen Mitgliedstaaten beachtenswerte Unterschiede in sittlicher, religiöser und kultureller Hinsicht bestehen. 13 Allerdings muss der mitgliedstaatliche Grundfreiheiten-Eingriff die Verhältnismäßigkeitsprüfung dahingehend bestehen, dass er durch seine Eignung, Angemessenheit und Erforderlichkeit gerechtfertigt werden kann.14 3.1. Dienstleistungsfreiheit Die Dienstleistungsfreiheit ist in Art. 56 AEUV geregelt, wonach „Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Union für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind [...] verboten“ sind und werden Dienstleistungen im Art. 57 AEUV legaldefiniert und sind zusammengefasst „Leistungen, die in grenzüberschreitendem Zusammenhang von selbständig Erwerbstätigen gegen Entgelt erbracht werden.“15 9 Vgl. Leidenmühler, Europarecht – Die Rechtsordnung der Europäischen Union4 160, 161. 10 Vgl. Leidenmühler, Europarecht – Die Rechtsordnung der Europäischen Union4 164. 11 Vgl. Leidenmühler, Europarecht – Die Rechtsordnung der Europäischen Union4 164, 165. 12 Vgl. Sauer, Minutiöse Missbrauchskontrolle bei der Begrenzung der Grundfreiheiten Zur "Gesamtwürdigung der Umstände" als Aufgabe der nationalen Gerichte, 5/2021, 485, ecolex 2021/320. 13 Vgl EuGH, Rs C-920/19, Fluctus und Fluentum, Rz. 20. 14 Vgl. Leidenmühler, Europarecht – Die Rechtsordnung der Europäischen Union4 166. 15 Leidenmühler, Europarecht – Die Rechtsordnung der Europäischen Union4 224. 9
Dienstleistungen sind nicht-körperliche Leistungen, zu deren Durchführung sich der Dienstleistungserbringer vorübergehend in einen anderen Mitgliedstaat begibt, oder die Dienstleistung (allein) als solche grenzüberschreitend erbracht wird, ohne dass sich der Dienstleistungserbringer dauerhaft in einem anderen Mitgliedstaat niederlässt. 16 Nach ständiger Rechtsprechung (stRsp) des EuGH erfüllt das Anbieten von Glücksspielleistungen den Begriff der Dienstleistung im Sinne des Art. 57 AEUV17, zumal Tätigkeiten, die den Nutzern gegen Entgelt die Teilnahme an einem Geldspiel ermöglichen Dienstleistungen im Sinne des Art. 56 AEUV sind.18 Begünstigte der Dienstleistungsfreiheit sind natürliche Personen welche die Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedstaates haben und gemäß Art. 54 AEUV begünstigte juristische Personen.19 Diese begünstigten juristischen Personen sind „Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben.“20 3.2. Niederlassungsfreiheit Die Niederlassungsfreiheit gewährleistet die freie Entscheidung des Ortes der selbständigen Erwerbstätigkeit bzw. des Unternehmensstandortes.21 Sie ist geregelt wie folgt: „Die Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten. Das Gleiche gilt für Beschränkungen der Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines Mitgliedstaats, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig sind. Vorbehaltlich des Kapitels über den Kapitalverkehr umfasst die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2, nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eigenen Angehörigen.“22 Der Niederlassungsbegriff im Sinne der gegenständlichen Grundfreiheit umfasst „die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit.“23 Die Begünstigten der Niederlassungsfreiheit gleichen jenen der Dienstleistungsfreiheit und ist diesbezüglich auf die Ausführungen im Punkt 4.1. zu verweisen. 16 Vgl. Leidenmühler, Europarecht – Die Rechtsordnung der Europäischen Union4 224. 17 Vgl. Leidenmühler, Rechtsgutachten zur Frage der Zulässigkeit des Betriebs von Pokerspielsalons vor dem Hintergrund der Grundfreiheiten des Unionsrechts, erstellt im Auftrag der Concord Card Casino Gruppe (CCC), Rz. 1 (Stand 06.09.2021, www.ccc.co.at). 18 EuGH 08.09.2010, Rs C-409/06, Winner Wetten, Rz. 43. 19 Vgl. Leidenmühler, Europarecht – Die Rechtsordnung der Europäischen Union4 225. 20 Art 54 AEUV idgF. 21 Vgl. Leidenmühler, Europarecht – Die Rechtsordnung der Europäischen Union4 209. 22 Art 49 AEUV idgF. 23 EuGH, 25.07.1991, Rs C-221/89, Factortame, Rz. 20. 10
4. Anwendbarkeit der europäischen Grundfreiheiten auf verschiedene Glücksspielsachverhalte Die Grundfreiheit des freien Dienstleistungsverkehrs schützt nach stRsp des EuGH sowohl den Erbringer der Dienstleistung, als auch den Dienstleistungsempfänger und gliedert sich sohin in eine aktive (Dienstleistungserbringer) und eine passive Dienstleistungsfreiheit 24 (Dienstleistungsempfänger). Der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten eröffnet sich zunächst nur unter jener Bedingung, dass überhaupt eine Handelsverbindung zwischen den Mitgliedstaaten besteht. Es muss sohin ein Sachverhaltsmerkmal über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinausreichen, damit die Grundfreiheiten Anwendung finden. Nach stRsp. des EuGH ist die Dienstleistungsfreiheit auch anwendbar, sofern ein Teil der Kunden aus anderen EU-Mitgliedstaaten kommt. Hiezu ist allerdings ein entsprechender Nachweis zu erbringen, zumal die Behauptung allein, dass Kunden aus dem EU-Ausland kommen, zur Anwendbarkeit der Dienstleistungsfreiheit auf den jeweiligen Sachverhalt nicht ausreicht.25 Somit kann die Dienstleistungsfreiheit von den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten mit Sitz in einem anderem Mitgliedstaat als dem des Dienstleistungsnehmers in Anspruch genommen werden, umgekehrt wiederum aber auch von Unternehmen gegenüber ihren Sitzstaaten, sofern Leistungen an Dienstleistungsnehmer erbracht werden, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind26. So kann sich etwa ein Anbieter von Online-Glücksspielen dann auf die Dienstleistungsfreiheit berufen, wenn er seinen Sitz in Malta hat und seine Dienstleistung des Online-Walzenspiels in einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch genommen wird. 27 Genauso kann sich allerdings auch ein Casinobetreiber aus Österreich auf die Anwendbarkeit der Dienstleistungsfreiheit berufen, wenn er ein Casino in Österreich betreibt und seine Leistungen von Dienstleistungsnehmern in Anspruch genommen werden, die Staatsangehörige anderer EU- Mitgliedstaaten sind.28 Führt allerdings eine Gesamtbetrachtung des Kundenstockes z.B. eines Casinobetreibers zu dem Endergebnis, dass wesentliche Elemente seiner Betätigungen nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinausweisen, so sind die Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr nicht anwendbar.29 24 Vgl. Leidenmühler, Rechtsgutachten zur Frage der Zulässigkeit des Betriebs von Pokerspielsalons vor dem Hintergrund der Grundfreiheiten des Unionsrechts, erstellt im Auftrag der Concord Card Casino Gruppe (CCC), Rz 2 (Stand 06.09.2021, www.ccc.co.at). 25 Vgl. Balthasar-Wach/Lanser, EuGH-Update – Öffentliches Wirtschaftsrecht, ecolex 2021-128, 165 (Stand 06.09.2021, rdb.at). 26 Vgl. EuGH, 11.01.2007, Rs C-208/05, ITC, Rz. 56. 27 Vgl. LVwG Wien 28.10.2016, VGW-002/042/9229/2015 ua. 28 Vgl. Leidenmühler, Rechtsgutachten zur Frage der Zulässigkeit des Betriebs von Pokerspielsalons vor dem Hintergrund der Grundfreiheiten des Unionsrechts, erstellt im Auftrag der Concord Card Casino Gruppe (CCC), 6 (Stand 06.09.2021, www.ccc.co.at). 29 Vgl. EuGH, Rs 52/79, 18.03.1980, Debauve, Rz. 9. 11
4.1. Inländerdiskriminierung Kommt man nach Prüfung der Anwendbarkeit der Grundfreiheiten auf einen Glücksspielsachverhalt zum Ergebnis der Unanwendbarkeit aufgrund des Fehlens eines zwischenstaatlichen Sachverhalts, so wäre eine Verfassungswidrigkeit und damit Aufhebbarkeit der nationalen Gesetze noch unter dem Gesichtspunkt der Inländerdiskriminierung zu beleuchten.30 Gibt es z.B. ein Urteil des EuGH, welches ausspricht, dass unmittelbar anwendbares Unionsrecht einer innerstaatlichen Norm entgegensteht, so haben die betroffenen Teile der innerstaatlichen Norm in Hinkunft unangewendet zu bleiben, dies allerdings nur im Hinblick auf Sachverhalte, die aufgrund Vorliegens der Zwischenstaatlichkeitserfordernisse vom Vorrang des Unionsrechts erfasst sind. Ein solches Urteil kann dazu führen, dass es zur Ungleichbehandlung rein innerstaatlicher Sachverhalte aus dem Nebeneinander von innerstaatlichem Recht und Unionsrecht kommen kann.31 Damit man von einer solchen Inländerdiskriminierung sprechen kann, hat - wie bereits erwähnt - zunächst ein reiner Inlandssachverhalt vorzuliegen, welcher anders behandelt wird, als ein grenzüberschreitender Sachverhalt. Diese Ungleichbehandlung muss in weiterer Folge dazu führen, dass Inländer im Vergleich zu Unionsbürgern (die vom Anwendungsbereich der Grundfreiheit erfasst werden) schlechter gestellt werden. Dies dergestalt, dass diese Schlechterstellung dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz des Art. 7 B-VG widerspricht und auch nicht aus sachlichen Gründen gerechtfertigt werden kann.32 In der Vergangenheit hat auch der Oberste Gerichtshof (OGH) beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) bereits einen Antrag dahingehend gestellt, Vorschriften des Glücksspielgesetzes als verfassungswidrig aufzuheben. Dies mit der Begründung, dass diese unionsrechtswidrig seien, was zu einer verfassungswidrigen Inländerdiskriminierung führe.33 Näheres hiezu siehe Punkt 8.2. 5. Das österreichische Glücksspielgesetz Das Glücksspiel im Sinne des GSpG ist „ein Spiel, bei dem die Entscheidung über das Spielergebnis ausschließlich oder vorwiegend vom Zufall abhängt“34. Im Gegensatz zu einem Geschicklichkeitsspiel muss der Ausgang des Spiels maßgeblich von einem aleatorischen Moment, somit einer nicht beherrschbaren Ursächlichkeit, abhängen.35 In der Literatur und der stRsp von VwGH und OGH ist ein Spiel „eine zweckfreie Beschäftigung aus Freude an ihr selbst und/oder ihren Resultaten, zur Unterhaltung, Entspannung oder zum Zeitvertreib, die festen Regeln unterliegt und mit der der Mensch seinen natürlichen Spieltrieb befriedigt“.36 30 Vgl. Leidenmühler, Rechtsgutachten zur Frage der Zulässigkeit des Betriebs von Pokerspielsalons vor dem Hintergrund der Grundfreiheiten des Unionsrechts, erstellt im Auftrag der Concord Card Casino Gruppe (CCC), 8 (Stand 06.09.2021, www.ccc.co.at). 31 Vgl. VfGH 15.12.2011, G77/10. 32 Vgl. VfSlg 14.963/1997; VfSlg 17.150/2004. 33 Vgl. Sauer, Minutiöse Missbrauchskontrolle bei der Begrenzung der Grundfreiheiten Zur "Gesamtwürdigung der Umstände" als Aufgabe der nationalen Gerichte, 5/2021, 485, ecolex 2021/320 (Stand 06.09.2021, rdb.at). 34 Vgl. § 1 Abs 1 GSpG idgF. 35 Vgl. Schmitt/Steiner, Lootboxen: Glücksspiel in Computerspielen? Exolex 2019, 395 (Stand 06.09.2021, rdb.at). 36 Bergmann/Pinetz (Hrsg), GebG2, GSpG, §§ 57–59, II. Glücksspielrechtliche Grundlagen Rz. 17 (Stand 06.09.2021, lindedigital.at). 12
Von der Wette grenzt sich das Spiel nach stRsp des OGH dergestalt ab, dass bei einer Wette die eigene Behauptung bestätigt wird, wohingegen beim Spiel nur die Unterhaltung und der Gewinn im Vordergrund steht. Im Zivilrecht gleichen sich die Vorschriften das Spiel und die Wette betreffend, nicht so im Glücksspielrecht, in welchem die zivilrechtlichen Wetten in der Regel nicht vom Glücksspielbegriff des GSpG und in weiterer Folge nicht vom Glücksspielmonopol des Bundes erfasst sind. Dies mit jener Begründung des Gesetzgebers, dass in Bezug auf Wetten der Zufallsmoment im Vergleich zu Glücksspielen als nicht derart ausgeprägt erachtet wird.37 Aufgezeichnete Wettrennen hingegen – bei denen der Zufall entscheidet, welches der gespeicherten Wettrennen am Bildschirm zum Abgeben einer Wette angezeigt wird – fallen eindeutig unter den Glücksspielbegriff des § 1 Abs. 1 GSpG.38 Das GSpG zählt demonstrativ auf, welche Spiele jedenfalls als Glücksspiele im Sinne des GSpG zu qualifizieren sind und sind das aktuell „Roulette, Beobachtungsroulette, Poker, Black Jack, Two Aces, Bingo, Keno, Baccarat und Baccarat chemin de fer und deren Spielvarianten“39. Ferner wird durch diese gesetzliche Bestimmung der Finanzminister dazu ermächtigt – aus Gründen der Rechtssicherheit – durch Verordnung weitere Spiele als Glücksspiele im Sinne des Abs. 1 zu bezeichnen.40 5.1. Verfolgte Ziele Bereits mit dem Glücksspielgesetz in seiner Urfassung wollte man gewisse ordnungspolitische und fiskalpolitische Ziele umsetzen. Ordnungspolitischer Natur sind die Ziele der Hintanhaltung von Geldwäscherei und Beschaffungskriminalität. An „oberster Stelle“ steht der Spielerschutz, welcher durch die Überwachung des Glücksspiels gewährleistet werden soll. Dass ein gänzliches Verbot von Glücksspiel keinen Sinn ergibt, zumal Spielwillige in die Illegalität abdriften würden, war dem seinerzeitigen Gesetzgeber bewusst. Man entschied sich dazu, den für den Menschen typischen Trieb spielen zu wollen dergestalt zu regulieren, dass man dem Bund eine Monopolstellung in Bezug auf das Glücksspiel einräumt. Ferner hat der Bund die Kompetenz das Glücksspiel mittels Konzessionswesens zu privatisieren.41 Das fiskalpolitische Ziel das Glücksspiel betreffend ist selbstredend seit jeher die Besteuerung des Glücksspiels und der Wunsch einen möglichst hohen Ertrag aus der Monopolstellung des Bundes erwirtschaften zu können. Dies hat aber selbstredend unter der Prämisse des Spielerschutzes zu erfolgen. Die soeben dargelegten Gedankengänge waren schon den Gesetzesmaterialen des GSpG zu entnehmen42 und stellt sich immer wieder die Frage, ob denn Spielerschutz und Gewinnmaximierung tatsächlich miteinander vereinbar sind. 5.2. Monopolregelung Dem Bund obliegt im Hinblick auf das Glücksspiel die Gesetzgebung und die Vollziehung. 43 37 Vgl. Bergmann/Pinetz (Hrsg), GebG2, GSpG, §§ 57–59, II. Glücksspielrechtliche Grundlagen Rz. 20, 21 (Stand 06.09.2021, lindedigital.at). 38 Vgl. Bergmann/Pinetz (Hrsg), GebG2, GSpG, §§ 57–59, II. Glücksspielrechtliche Grundlagen Rz. 22. 39 § 1 Abs 2 GSpG idgF. 40 Vgl. § 1 Abs 2 GSpG idgF. 41 Vgl. Bergmann/Pinetz (Hrsg), GebG2, GSpG, §§ 57–59, I. Einleitende Bemerkungen – Die ordnungspolitischen und fiskalischen Zielsetzungen des GSpG Rz 2 (Stand 06.09.2021, lindedigital.at). 42 Vgl. Bergmann/Pinetz (Hrsg), GebG2, GSpG, §§ 57–59, I. Einleitende Bemerkungen – Die ordnungspolitischen und fiskalischen Zielsetzungen des GSpG Rz 3. 43 Art. 10 Abs. 1 Z 4 B-VG idgF. 13
§ 3 GSpG normiert ein staatliches Glücksspielmonopol, das grundsätzlich lediglich den Bund berechtigt Glücksspiele durchzuführen.44 Um das Ausmaß des Glücksspielmonopols besser begreifen zu können, ist daher zunächst darauf abzustellen, welche Spiele unter den monopolisierten Glücksspielbegriff fallen und welche nicht.45 Nach der Ausnahmeregelung des GSpG unterliegen Glücksspiele nicht dem Glücksspielmonopol des Bundes, „wenn sie nicht in der Form der Ausspielung im Sinne des § 2 Abs. 1 (Z 1), nicht bloß zum Zeitvertreib und um geringe Beträge (Z 2 lit. a) oder nur einmalig zur Veräußerung eines körperlichen Verkaufsgegenstandes durchgeführt werden (Z 2 lit. b).“46 Wenn es dem Spieler gerade darauf ankommt, Geld zu gewinnen, also seine Motivation derart weit in den Vordergrund tritt, geht die stRsp davon aus, dass dann nicht bloß zum Zeitvertreib gespielt wird.47 Im Zuge dieser Betrachtung wird allerdings nicht auf einzelne Spieler abgestellt, sondern kommt es darauf an, welche Motivation ein Spiel objektiv geeignet ist bei einem Durchschnittsmenschen hervorzurufen.48 Um von geringfügigen Beträgen sprechen zu können, darf kein zehn Euro überschreitender Betrag vorliegen, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der einzelnen Spielteilnehmer spielen bei dieser Betragsbemessung keine Rolle. Ferner ist zu beachten, ob es sich um einzelne Spiele, oder Serienspiele handelt,49 weil letztere die eingesetzten Beträge durch Wiederholungen selbstredend in die Höhe treiben. Es ist also dann nicht nur das einzelne Spiel zu betrachten, wenn „ein Serienspiel sowohl auf Veranstalter- als auch auf Spielerseite als objektiv sicher und auch so gewollt“50 erscheint. Wichtig und vor allem wesentlich ist an dieser Stelle der Begriff der Ausspielungen. Wie bereits erwähnt unterliegen nur jene Glücksspiele dem staatlichen Glücksspielmonopol, die in Form einer Ausspielung veranstaltet werden.51 „Ausspielungen sind Glücksspiele, 1. die ein Unternehmer veranstaltet, organisiert, anbietet oder zugänglich macht und 2. bei denen Spieler oder andere eine vermögenswerte Leistung iZm der Teilnahme am Glücksspiel erbringen (Einsatz) und 3. bei denen vom Unternehmer, von Spielern oder von anderen eine vermögenswerte Leistung in Aussicht gestellt wird (Gewinn).“52 Ad 1.) Der Unternehmerbegriff des GSpG gleicht jenem des Umsatzsteuerrechts, notwendig für die Erfüllung des Unternehmerbegriffes ist daher, dass mit dem Glücksspiel zwar ein nachhaltiges Einkommen erzielt wird, dass die Erwirtschaftung von Gewinn angestrebt wird ist hingegen nicht 44 Vgl. Schmitt/Steiner, Lootboxen: Glücksspiel in Computerspielen? Exolex 2019, 395 (Stand 11.09.2021, rdb.at). 45 Vgl. Bergmann/Pinetz (Hrsg), GebG2, GSpG, §§ 57–59, II. Glücksspielrechtliche Grundlagen Rz. 89 (Stand 11.09.2021, rdb.at). 46 § 4 Abs 1 GSpG idgF. 47 Vgl. OGH 13.12.1983, 9 Os 195/83. 48 Vgl. Schmitt/Steiner, Lootboxen: Glücksspiel in Computerspielen? Exolex 2019, 398. 49 Vgl. Schmitt/Steiner, Lootboxen: Glücksspiel in Computerspielen? Exolex 2019, 399. 50 OGH 03.10.2002, 12 Os 49/02, 12 Os 50/02. 51 Vgl. § 4 Abs 1 GSpG idgF. 52 § 2 Abs. 1 GSpG idgF. 14
erforderlich. Zur Anwendbarkeit des GSpG ist es von Nöten, dass dieser Unternehmer Glücksspiel anbietet, es organisiert oder veranstaltet. Selbst wenn einem Veranstalter weder der Spieleinsatz zufließt, noch dieser den Gewinn an die Spieler auszahlt, kann er Veranstalter im Sinne des GSpG sein. Der Tatbestand des Anbietens von Glücksspiel ist auch dann erfüllt, wenn das Angebot von möglichen Interessenten nicht in Anspruch genommen wird.53 Ad 2.) Als Einsatz im Sinne des § 2 Z 2 GSpG ist eine Leistung jedenfalls dann zu qualifizieren, wenn der Unternehmer am vom Spieler Geleisteten ein eigenwirtschaftliches Interesse hat und reichen unter diesem Gesichtspunkt schon lediglich Handlungen aus um als Einsatz iSd GSpG qualifiziert werden zu können54, wenngleich in der Praxis der Einsatz in der Regel in Geld geleistet wird. Ad 3.) Der Begriff des Gewinns und damit in weiterer Folge der Ausspielung wird weit definiert, so liegt eine Ausspielung auch dann vor, wenn zwar ein jeder Mitspieler einen Preis erhalten wird, aber nicht von vornherein klar ist, wer welchen konkreten Preis erhält. Bleibt also bei Einsatzleistung des Spielers offen, welchen exakten Preis der Spieler bekommt, so liegt aufgrund der Gestalt des Gewinns schon eine Ausspielung vor.55 Eine Ausspielung mit Glücksspielautomaten liegt vor, „wenn die Entscheidung über das Spielergebnis nicht zentralseitig, sondern durch eine mechanische und elektronische Vorrichtung im Glücksspielautomaten selbst erfolgt“56. Hier steht dem Spieler also kein lebendiger Croupier gegenüber, der bspw. Karten gibt, oder die Kugel ins Roulette wirft, sondern wird das Spielergebnis vom bespielten Glücksspielautomaten gesteuert und hergestellt. „Nicht zentralseitig“ bedeutet, dass mechanische und elektronische Vorrichtungen im Glücksspielautomaten selbst das Spielergebnis generieren und die Entscheidung über den Ausgang des Spiels im Gerät selbst gefällt wird. Die dadurch generierten Ergebnisse müssen gänzlich vom Zufall abhängen. Wesentlich für Glücksspielautomaten ist daher, dass das Ergebnis nicht durch einen ausgelagerten Server, sondern durch den Glücksspielautomaten selbst in diesem dezentral generiert wird.57 Das Glücksspiel wird nicht – wie man es zunächst vermuten könnte - vom Bund selbst betrieben, sondern hat sich der Gesetzgeber mittels § 21 GSpG die Möglichkeit geschaffen privaten Unternehmen Konzessionen im Hinblick auf Lotterien und Spielbanken erteilen zu können, die es letzteren ermöglichen unter dem Deckmantel des „Glücksspielmonopols des Bundes“ dem Bund vorbehaltene Glücksspiele anzubieten, zu veranstalten und zu organisieren.58 Die vom Glücksspielmonopol des Bundes erfassten Glücksspiele, insbesondere in Form von Lebendspielen (z.B. Roulette, Poker, Black Jack usw.) und in Form der Glücksspielautomatenausspielung sind aufgrund § 21 GSpG sohin vom Bund ernannten Konzessionären vorbehalten. Nach dem Glücksspielgesetz dürfen maximal 15 der sogenannten zeitlich auf maximal 15 Jahre limitierten Spielbankkonzessionen vom Fiskus vergeben werden 53 Vgl. Schmitt/Steiner, Lootboxen: Glücksspiel in Computerspielen? Exolex 2019, 397 (Stand 11.09.2021, rbd.at). 54 Vgl. Schmitt/Steiner, Lootboxen: Glücksspiel in Computerspielen? Exolex 2019, 397. 55 Vgl. Schmitt/Steiner, Lootboxen: Glücksspiel in Computerspielen? Exolex 2019, 398. 56 § 2 Abs. 3 GSpG idgF. 57 Vgl. Bergmann/Pinetz (Hrsg), GebG2, GSpG, §§ 57–59, II. Glücksspielrechtliche Grundlagen Rz. 69 (Stand 11.09.2021, lindedigital.at). 58 Vgl. Bergmann/Pinetz (Hrsg), GebG2, GSpG, §§ 57–59, II. Glücksspielrechtliche Grundlagen Rz. 90. 15
und sind aktuell 12 davon vergeben, dies ausschließlich an die Casinos Austria AG (umgangssprachlich „CASAG“). Die drei bis dato noch nicht vergebenen Spielbankkonzessionen sind nach einem von Verfahrensfehlern dominierten Ausschreibungsverfahren aufgehoben worden und wartet man bis dato vergebens auf deren neuerliche Ausschreibung.59 Sämtliche bis 31. Dezember 2012 und 2015 an die CASAG vergebenen Konzessionen wurden ohne vorherige öffentliche Ausschreibung vom Bund vergeben. 60 Diese Vorgehensweise, somit das „völlige Fehlen von Transparenz“ wurde vom EuGH als nicht mit dem Transparenzgebot der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit vereinbar angesehen und stellte diese Ausschreibung eine Ungleichbehandlung in anderen Mitgliedstaaten niedergelassener potentieller Konzessionswerber, ferner eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit dar.61 Aktuell ist die CASAG bis Ende Dezember 2027 bzw. 2030 alleinige Glücksspiel- Konzessionsinhaberin und betreibt zwölf Spielbanken in Baden, Bregenz, Graz, Innsbruck, Kitzbühel, Kleinwalsertal, Linz, Salzburg, Seefeld, Velden, Wien und Zell am See.62 Die CASAG ist eine teilstaatliche österreichische Aktiengesellschaft und ist ihr größter Anteilsinhaber mit 55,48% die tschechische Sazka Group s.a.. Der zweitgrößte Aktionär ist mit 33.24% die Österreichische Beteiligungs AG („ÖBAG“).63 Sämtliche Anteile der ÖBAG stehen im Eigentum des Bundes.64 Nur ergänzend sei an dieser Stelle angemerkt, dass auch das Lotteriewesen dergestalt monopolisiert und konzessioniert ist, dass der Bund eine Einzelkonzession an einen einzigen privaten Lotterieanbieter vergeben kann65 und ist die derzeitige Lotterien-Konzessionsinhaberin die Österreichische Lotterien GmbH.66 Ferner stehen der Österreichischen Lotterien GmbH und der Casinos Austria AG das exklusive Recht zur Durchführung von Ausspielungen im Word Wide Web zu, abrufbar sind deren Glücksspiele unter der Domain www.win2day.at. Daraus folgt, dass alle anderen von Österreich aus abgerufenen Homepages, welcher Glücksspiel- bzw. Lotterieanbieter auch immer, konzessionslos Glücksspiel in Österreich anbieten und gelten diese damit grundsätzlich als verbotene Ausspielungen im Sinne des § 2 Abs. 4 GSpG.67 Mit welchen Folgen Glücksspielanbieter unter andrem beim Veranstalten bzw. Organisieren derartiger verbotener und dem Monopol des Bundes vorbehaltener Ausspielungen zu rechnen haben, wird in den Punkten 9.1. und 9.2. erläutert. 59 Vgl. Bergmann/Pinetz (Hrsg), GebG2, GSpG, §§ 57–59, II. Glücksspielrechtliche Grundlagen Rz. 116 – 119 (Stand 14.09.2021, lindedigital.at). 60 Vgl. EuGH 09.09.2010, Rs C-64/08, Engelmann, Rz. 16. 61 Vgl. EuGH 09.09.2010, Rs C-64/08, Engelmann, Rz. 47 – 56. 62 Vgl. https://www.bmf.gv.at/themen/gluecksspiel-spielerschutz/gluecksspiel-in-oesterreich/konzessionaere- ausspielbewilligte.html (abgefragt am 26.10.2021). 63 Vgl. https://www.derstandard.at/story/2000118351430/tschechische-sazka-group-uebernimmt-mehrheit-an-casinos- austria (abgefragt am 14.09.2021). 64 § 1 Abs. 3 ÖIAG-Gesetz 2000 BGBl. I Nr. 24/2000. 65 Vgl. Bergmann/Pinetz (Hrsg), GebG2, GSpG, §§ 57–59, II. Glücksspielrechtliche Grundlagen Rz. 105, 106. 66 Vgl. Bergmann/Pinetz (Hrsg), GebG2, GSpG, §§ 57–59, II. Glücksspielrechtliche Grundlagen Rz.108. 67 Vgl. Bergmann/Pinetz (Hrsg), GebG2, GSpG, §§ 57–59, II. Glücksspielrechtliche Grundlagen Rz. 111, 112. 16
5.3. Spielerschutz Man kann zwischen problematischem und pathologlischem Spielen unterscheiden. Bei ersterem wird die Häufigkeit und die Höhe des Spieleinsatzes im Laufe der Zeit erhöht und der Spieler verspürt den Drang seine bereits erlittenen Verluste durch Fortsetzen des Spiels wieder hereinwirtschaften zu müssen. Alltägliches wird vernachlässigt und die Spieler nehmen ihre Welt verzerrter und irrationaler wahr. Pathologisches Spielen ist dominiert von unkontrolliertem Spielverhalten, das Glücksspiel wird zum Lebensmittelpunkt und der Spieler steht unter Druck Geld für dieses aufzutreiben, er wird unruhig, leicht reizbar und flüchtet sich aus Konflikten ins Spiel, der Verschuldungsgrad steigt.68 Glücksspiel – insbesondere das Walzenspiel – verändert empirisch nachweisbar das Belohnungssystem des menschlichen Gehirns und ähnelt die Glücksspielsucht damit nicht unwesentlich der Kokainsucht. Menschen, deren Belohnungssystem im Alltag nicht genug gereizt wird, neigen zu dieser Suchtsymptomatik. Im Jahr 2015 gelang es Dr. Christian Büchel am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf empirisch nachzuweisen, dass sich durch die Spielsucht das Belohnungssystem im Gehirn verändert. Während der Teilnahme glücksspielabhängiger und diesbezüglich gesunder Probanden an einem Glücksspiel konnte wahrgenommen werden, dass das Belohnungssystem von Spielsüchtigen beim Spielen weniger aktiv wurde. Je mehr die Probanden von der Sucht zu Spielen betroffen waren, umso weniger Aktivität ihrer Belohnungssysteme war zu verzeichnen69. Spielsüchtige neigen somit bei fortschreitender Abhängigkeit unterbewusst dazu ihr im Lauf der Sucht immer stumpfer gewordenes Belohnungssystem durch höhere Einsätze und eine längere Spieldauer zu reizen. Das GSpG legt den Spielbankbetreibern Pflichten dergestalt auf, dass, wenn zu befürchten ist, dass ein Spieler, der Staatsbürger der Europäischen Union oder eines Staates des Europäischen Wirtschaftsraumes ist, in einer derartigen Intensität und Häufigkeit spielt, dass er durch dieses Verhalten sein Existenzminimum gefährdet, zunächst Bonitätsauskünfte über diese Person von unabhängigen Einrichtungen einzuholen sind. Sollte sich aufgrund dieser Abfrage eine tatsächliche Existenzgefährdung des Spielers herausstellen, so ist von „besonders geschulten Mitarbeitern“ der Spielbank ein Beratungsgespräch mit dem Spieler durchzuführen, im Zuge dessen er auf die mögliche Gefährdung seines Existenzminimums hingewiesen werden soll und auf Beratungseinrichtungen verwiesen wird. Spielt der Betroffene dennoch unverändert weiter, so ist ihm der Zutritt zur Spielbank dauernd zu untersagen oder zu limitieren. Sollte die Einholung der Bonitätsgründe – aus welchen Gründen auch immer – nicht möglich sein, ist sogleich ein entsprechendes Beratungsgespräch durchzuführen und im Zuge dieses Gesprächs herauszufiltern, ob der Betroffene durch sein Spielverhalten seine Existenz gefährdet. Verletzt die Spielbank diese ihr vorgeschriebenen Pflichten, so haftet sie dem Spieler für jene Verluste, die er erlitten hat, weil ihm die Möglichkeit zum Spiel unverändert und weiterhin geboten wurde. Die Spielbank haftet allerdings nicht für leichte Fahrlässigkeit und auch nicht für jenen Fall, dass der Spieler im Zuge des Beratungsgespräches unwahre Angaben getätigt hat. 70 Aufgrund dieser Bestimmung wurden laut Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Burgenland vom 19.07.2021 in 2016 von den Spielbanken insgesamt 7.923 Bonitätsauskünfte 68 Vgl. „Spielsucht“ Website Anton Proksch Institut Wien, www.api.or.at (abgefragt am 14.09.2021). 69 Vgl. scinexx – das wissensmagazin, Gehirn erzeugt Spieler – Grundlage der Spielsucht aufgedeckt, www. https://www.scinexx.de/news/biowissen/gehirn-erzeugt-spieler/, 11.05.2005, (Abfragedatum: 14.09.2021). 70 Vgl. § 25 Abs. 3 GSpG idgF. 17
beim Kreditschutzverband 1870 (KSV) abgefragt, 5.555 davon betrafen Österreicher, 1.944 Spieler aus dem übrigen EU-Mitgliedstaaten bzw. aus dem Europäischen Wirtschaftsraum. Ebenso erfolgten 7.159 Online-Checks, bei welchem das Ergebnis umgehend ausgegeben wurde. Zusätzlich hat der Konzessionär 634.657 Personen einem Screening-Programm unterzogen, bei welchem 221.296 Personen im Hinblick auf § 25 Abs. 3 GSpG als auffällig hervorgingen, ihr Existenzminium nachhaltig zu gefährden. Aus dieser Zahl (221.296) resultierten wiederum 1.631 Informationsgespräche und 1.050 Beratungs- bzw. Erhebungsgespräche. Standpunkt 2016 gab es 33.737 Eintritts- bzw. Spielverbote von potentiell oder nachweislich Spielsüchtigen.71 Zunächst ist an dieser Stelle anzumerken, dass wohl keine neueren Erhebungsdaten, als jene aus dem Jahr 2016 vorhanden sind, zumal sich das Landesverwaltungsgericht Burgenland im Juli dieses Jahres (2021) auf Daten aus dem mittlerweile fünf Jahre zurückliegenden Jahr 2016 beruft. Interessant ist ferner, dass beim sogenannten „Screening-Programm“ 221.296 von 634.657 Personen als „auffällig“ hervorgingen, dies entspricht einem Prozentsatz von 34,87% der Spieler und wäre demnach mehr als jeder dritte Spieler gefährdet spielsüchtig zu sein oder demnächst zu werden. Bemerkenswert ist ferner, dass mit diesen „auffälligen Personen“ lediglich 1.631 Informations- und 1.050 Beratungsgespräche geführt wurden, dies entspricht bei Zusammenschau von beiden Gesprächsarten, einer weiteren Betreuung von lediglich 1,2% dieser auffälligen Personen. Das Landesverwaltungsgericht Burgenland hielt in selbigem Erkenntnis fest, dass im Jahr 2015 „zwischen 0,34% und 0,60% der Bevölkerung ein problematisches Spielverhalten“ aufgewiesen hätten, das seien „zwischen 19.915 und 35.827 Personen“ und seien zusätzlich, ebenso im Jahr 2015, „ca. 27.600 bis 46.000 Personen aktuell spielsüchtig“ gewesen. Ferner wird im gegenständlichen Erkenntnis den „klassischen Casinospielen“ eine untergeordnete Rolle zugeteilt, zumal nur 4% der Bevölkerung im Jahr 2015 angaben, diese in den letzten zwölf Monaten gespielt zu haben.72 Per 01.01.2015 gab es in Österreich 8.584.926 Einwohner73, 4% davon sind 343.397 Menschen. Der Zwischenwert jener Personen, deren Spielverhalten als problematisch skizziert wurde beträgt 27.871, jener der spielsüchtigen 36.800, insgesamt sind das sohin 64.671 „Problemspieler“ und stellt dieser Wert 18,83% der in 2015 Glücksspiel konsumierenden Menschen dar. Es mag schon sein, dass dies nur 0,75% der Bevölkerung sind, wenngleich 0,75% die angegebenen Spanne von 0,34 bis 0,60% selbstredend überschreitet, allerdings wird mit der nunmehrigen Kalkulation ein wesentlicher Dissens zur obigen Berechnung aufgezeigt. Im Screening 2016 waren 34,87% der Spieler auffällig, hier – und nur ein Jahr zuvor – sind es lediglich 18,83% der Spieler. Es mag schon sein, dass beim oben zitierten Screening Bürger der EU- bzw. EWR-Staaten miteinbezogen wurden, doch selbst unter Berücksichtigung dieses Gesichtspunktes stehen die soeben kalkulierten Werte in einem auffallend groben Missverhältnis zueinander und muss man sich aus diesen Gründen zwangsläufig die Frage stellen, ob und wenn 71 Vgl. LVwG Burgenland 19.07.2021 E 018/02/2019.011/008. 72 Vgl. LVwG Burgenland 19.07.2021 E 018/02/2019.011/008. 73 Vgl. Statistik Austria, Bevölkerung zu Quartalsbeginn 2002-2021 nach Bundesland, https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bevoelkerung/bevoelkerungsstand_und_verae nderung/bevoelkerung_zu_jahres-_quartalsanfang/index.html (Abfragedatum: 14.09.2021). 18
ja warum seit dem Jahr 2015 das Problem der Spielsucht trotz Monopolisierung zu wachsen scheint und wie viele „Problemspieler“ in den vergangenen fünf Jahren hinzugekommen sind, wenn die Tendenz steigend war. Sollten die Spielsucht von 2015 auf 2016 nicht derart gewachsen sein, dann muss man zwangsläufig an der Qualität jener vom Landesverwaltungsgericht Burgenland herangezogenen Daten zweifeln. Zur Eindämmung der Spielsucht gibt es jedenfalls seit Dezember 2010 beim Bundesministerium eine Spielerschutzstelle, die sich mit den Konzepten der Konzessionsinhaber zum Spielerschutz auseinandersetzt und sie beurteilen soll. Ferner soll sie Aufklärungsarbeit über Glücksspielrisiken leisten und die Datenlage betreffend die Versorgung von Patienten durch Spielschutzeinrichtungen verbessern. Anvisiert wurde ebenso ein regelmäßiger Austausch zwischen Suchtberatungsstellen und der Glücksspielaufsicht. Ferner wurde durch die GSpG- Novelle 2008 und 2010 die Möglichkeit geschaffen die Glücksspielautomaten der Konzessionäre an die Bundesrechenzentrum GmbH anzubinden. Dadurch wurde die Chance installiert das Spielerverhalten dahingehend elektronisch zu überwachen, ob Spielerschutzmaßnahmen, wie unter anderem sogenannte „Cooldown-Phasen“, eingehalten werden. Solche an das Netz der Bundesrechenzentrum GmbH angebundene Automaten werden durch eine Vignette gekennzeichnet.74 Bei einer Fachtagung der Stabstelle für Spielerschutz im Jahr 2019 wurde festgestellt, dass es die aktuelle Datenlage immer noch nicht zulässt, Aussagen über Personen mit problematischen oder pathologischen Glücksspielverhalten treffen zu können und können aufgrund dieses Umstandes auch Angaben zu Bedürfnissen Betroffener nur eingeschränkt getroffen werden. 75 Die erste (und vorläufig auch letzte) Glücksspielstudie in Österreich fand im Jahr 2011 statt. Diese Studie gelangte zu dem Ergebnis, dass in Österreich ungefähr 64.000 Personen zwischen 14 und 65 glücksspielsüchtig seien und76 und hievon wiederum etwa 25.000 ein problematisches Spielverhalten an den Tag legen und 39.000 Personen pathologisch glücksspielsüchtig seien.77 Die Studie aus dem Jahr 2011 wurde dergestalt durchgeführt, dass ungefähr je 700 Personen aus jedem Bundesland für eine Telefonbefragung ausgewählt wurden. Von insgesamt 6.324 angerufenen Personen gaben 27 Personen (0,43% der Befragten) an nach deren Eigeneinschätzung problematische Spieler zu sein und 41 Personen (0,65% der Befragten) stuften sich selbst als pathologische Spieler ein und kam man im Zuge einer Hochrechnung dieser Quoten auf die österreichische Bevölkerungszahl 2011 auf insgesamt 63.031 Personen, die nach deren Eigenbeurteilung Probleme mit dem Glücksspiel hätten. Seit dieser Studie scheint die Zahl der 64.000 Spielsüchtigen in Österreich in Stein gemeißelt zu sein. Das Bundesministerium für Finanzen verwendet in seinem Glücksspielbericht 2010-2013 die Diktion von „64.000 tatsächlich spielsüchtigen Personen“ und verabsäumt hierbei den Fakt, dass es sich um einen statistisch hochgerechneten Wert handelt, welcher einer Wahrscheinlichkeit bedeutend näher zu kommen scheint, als einer Tatsache. Dies zumal die Betroffenen selbst ihre Abhängigkeit subjektiv 74 Vgl. VfGH 15.10.2016, E 945/2016. 75 Vgl. Puhm, „Standards für ein umfassendes Monitoring glücksspielassoziierter Probleme“, www.bmf.gv.at/themen/gluecksspiel-spielerschutz/spielerschutz-hilfsangebote.html, (Abfragedatum 17.09.2021). 76 Vgl. Bundesministerium für Finanzen, Glücksspiel – Bericht 2010-2013, (https://www.bmf.gv.at/themen/gluecksspiel-spielerschutz/gluecksspiel-in-oesterreich/gluecksspielbericht-2010- 2013.html) (Abfragedatum 17.09.2021). 77 Vgl. LVWG OÖ 29.05.2015 LVwG-410287/42/Gf/Mu. 19
einstufen mussten. Unterschätzt wird hier ebenso der viel Interpretationsspielraum gebende Abhängigkeitsbegriff, welcher bei diversen Suchtproblematiken unterschiedlich ausgelegt wird.78 Bemerkenswert ist weiters, dass diese Zahlen aus dem Jahr 2011 nahezu identisch mit jenen Zahlen sind, welche das Landesverwaltungsgericht Burgenland in seinem obigen Erkenntnis für das Jahr 2015 ins Treffen geführt hat.79 Wie hoch die Zahl der Glücksspielabhängigen im Jahr 2011 oder 2015 in Österreich nun wirklich war, kann aufgrund der mangelhaften Datenlage sohin nicht zufriedenstellend festgestellt werden, schenkt man der nicht nachvollziehbaren Vermutung, dass es 2011 in Österreich 64.000 Spielsüchtige gab Glauben, so muss man wohl davon ausgehen, dass zu diesem Zeitpunkt die Spielsucht für die Gesellschaft kein relevantes Problem darstellte, welches ein sofortiges Handeln des Gesetzgebers oder der staatlichen Behörden rechtfertigen hätte können.80 Nicht zu unterschätzen und jedenfalls auch im Auge zu behalten in der heutigen Zeit ist das Onlineglücksspiel, zu welchem der Zugang 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche gewährleistet ist, und bei dem die Anonymität und Flexibilität aufgrund der Ortsunabhängigkeit gewahrt bleiben. Die markanteste Zunahme an Abhängigkeitserkrankungen ist bei Online- Glücksspielen zu erkennen und hat auch die Weltgesundheitsorganisation die Krankheit der „Online-Spielsucht“ mittlerweile in ihren Katalog der psychischen Erkrankungen aufgenommen.81 5.4. Kriminalitätsbekämpfung Kriminalität im Zusammenhang mit Glücksspiel hat mehrere verwaltungsstrafrechtliche und strafrechtliche Facetten. Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe von bis zu € 60.000,00 zu bestrafen, „wer zur Teilnahme vom Inland aus verbotene Ausspielungen im Sinne des § 2 Abs. 4 veranstaltet, organisiert oder unternehmerisch zugänglich macht oder sich als Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 2 daran beteiligt“82. Mit einer Geldstrafe von bis zu € 22.000,00 ist unter anderem zu bestrafen, „wer ein Glücksspiel trotz Untersagung oder nach Zurücknahme der Spielbewilligung durchführt, wer technische Hilfsmittel (z. B. eine entsprechend geeignete Fernbedienung) bereit hält, die geeignet sind den Spielablauf zu beeinflussen, oder wer verbotene Ausspielungen (§ 2 Abs. 4) im Inland bewirbt.“83 Das österreichische Strafgesetzbuch (StGB) sieht ebenso eine Bestimmung vor, wonach mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen ist „wer, ein Spiel, bei dem Gewinn und Verlust ausschließlich oder vorwiegend vom Zufall abhängen oder das ausdrücklich verboten ist, veranstaltet oder eine zur Abhaltung eines solchen Spieles veranstaltete Zusammenkunft fördert, um aus dieser Veranstaltung oder Zusammenkunft sich oder einem anderen einen Vermögensvorteil zuzuwenden.“84 Da sich diese Strafnormen des StGB und jene des § 52 GSpG stark ähneln, sieht das GSpG eine Subsidiaritätsreglung vor, wonach nur nach den Verwaltungsstrafbestimmungen des § 52 GSpG zu bestrafen ist, wenn „sowohl der Tatbestand der Verwaltungsübertretung nach § 52 GSpG als auch der Tatbestand des § 168 StGB verwirklicht“ ist.85 78 Vgl. LVWG OÖ LVwG-410287/42/Gf/Mu 29.05.2015. 79 Vgl. LVwG Burgenland 19.07.2021 E 018/02/2019.011/008. 80 Vgl. LVWG OÖ LVwG-410287/42/Gf/Mu 29.05.2015. 81 Vgl. Klever, Online-Glücksspiel in Österreich, Vbr 2021/71, 4/2021, 128 (Stand 17.09.2021, rdb.at). 82 § 52 Abs. 1 Z. 1 GSpG idgF. 83 § 52 Abs. 1 Z. 4, Z. 7., Z. 9 GSpG idgF. 84 § 168 StGB idgF. 85 § 52 Abs. 3 GSpG idgF. 20
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