Tarifergebnis bei der BVG: Ein Happen mehr und eine verpasste Chance

Die Seite wird erstellt Manuel Wenzel
 
WEITER LESEN
Tarifergebnis bei der BVG:
Ein Happen mehr und eine
verpasste Chance
Lars Keller, Infomail 1051, 21. April 2019

Nach dem 24-Stunden-Streik bei der Berliner
Verkehrsgesellschaft (BVG) am 1. April ging ver.di zügig zur
Einigung mit dem
Arbeit„geber“Innenverband KAV (Kommunaler Arbeitgeberverband)
über. Am 4. April
wurde das Ergebnis bekannt. Herausgekommen ist eine
Lohnsteigerung von
mindestens 8 % – die war dringend nötig und doch nicht
ausreichend und
relativiert sich bei einer Betrachtung des Gesamtabschlusses.

Während die Laufzeit des Manteltarifes bis zum Juni nächsten
Jahres reicht, gilt der Entgelttarifvertrag bis Dezember 2020,
also fast zwei
Jahre, womit sich die 8 Prozent deutlich relativieren. Die
Entgeltgruppenordnung läuft bis Ende 2023. Das Weihnachtsgeld
wurde auf 1600
Euro angehoben. Die Unterschiede zwischen den Entgeltgruppen
wurden teilweise
verkleinert, wenn auch nicht aufgelöst. Die Zusatzauszahlung
für
Gewerkschaftsmitglieder wurde nicht durchgesetzt.

Schon vor dem Ausstand am 1. April hatte ver.di bereits
bekanntgegeben,       dass    sie     die    Forderung    der
Arbeitszeitverkürzung um 2,5 Stunden
auf 36,5 Stunden pro Woche fallen lässt – obwohl dies für
viele Beschäftigte
die Kernforderung bezüglich einer Verbesserung des
Manteltarifs darstellte, um so
eine dringend nötige Entlastung durchzusetzen. Auch Pausen
gelten weiterhin
nicht als Teil des Arbeitstages. So wurde den
VerhandlungsführerInnen und der
BVG-Spitze bereits signalisiert, dass die ver.di-
Verantwortlichen einen
Arbeitskampf – wie gewohnt – nicht
auf die Spitze treiben und auch nicht zum unbefristeten
Vollstreik übergehen
wollen. Dabei wäre genau der nötig gewesen! Den ganzen Tag im
Stadtverkehr,
Abfertigung im   Minutentakt   und   dann   noch   die    allseits
bekannten
Betriebsstörungen      –   kein      Wunder,       dass     viele
VerkehrsarbeiterInnen von sich aus
in Teilzeit wechseln.

Der Arbeitskampf

Insgesamt gab es drei Arbeitsniederlegungen, was an sich
schon mal ein Fortschritt war, denn der letzte Streik der
BVGlerInnen lag
bereits 7 Jahre zurück. Zurück lag und liegt die BVG mit der
Tochter Berlin
Transport (BT) auch bei der Vergütung. Im Vergleich mit
anderen
InfrastrukturbetreiberInnen Berlins wird das deutlich:
LokführerInnen bei der
S-Bahn Berlin (Tochter der DB AG) verdienen rund 930 Euro
Grundgehalt mehr im
Monat – nicht ohne Grund wechseln einige FahrerInnen zur S-
Bahn, die selbst an
Personalmangel leidet. MüllbeseitigerInnen bei der Berliner
Stadtreinigung
(BSR) verdienen bis zu 3500 Euro brutto. Damit liegen die
FahrerInnen der BVG
bei jetzt 2685 Euro brutto noch immer zurück.

Der Arbeitskampf selbst ging nie über das Stadium von
Warnstreiks hinaus. Der erste Streik am 15. Februar umfasste
die Frühschicht in
allen drei Bereichen Bus, Tram, U-Bahn. Der zweite Streik (15.
März) war
lediglich ein Teilstreik der BusfahrerInnen. Zum besagten
letzten Streik am 1.
April wurde wieder in allen Bereich mobilisiert.

Den Beschäftigten fehlte es sicher nicht an Kampfkraft und
Entschlossenheit, um noch deutlich mehr rauszuholen. Über die
Jahre des
Überstundensammelns, der Verschlechterung der Qualität im ÖPNV
und steigender
Lebenshaltungskosten – in Berlin insbesondere die Miete – hat
sich unter den
ArbeiterInnen viel Wut angestaut. Zudem war trotz der massiven
Auswirkungen auf
die ganze Stadt eine gewisse Solidarität unter der Bevölkerung
gegeben. Selbst
bürgerliche Blätter, normalerweise jederzeit bereit, gegen
streikende
LokführerInnen zu hetzen, hielten sich im Zaum und rechneten
sogar vor, wie
viel weniger eine BVGlerIn im Vergleich zu ihren KollegInnen
andernorts
verdient (Berlin vor dem Arbeitskampf: 2270 Euro brutto,
Bayern 2836 Euro
brutto).

Es stellt sich also die Frage, warum ver.di den Arbeitskampf
nicht eskalierte und zum Vollstreik überging. Warum führte
ver.di den zweiten
Streik so inkonsequent und mobilisierte nur die
BusfahrerInnen? So konnten
viele auf U-Bahn und Tram ausweichen, es wurde so die eigene
Aktion deutlich
geschwächt.

Die Antwort ist, dass das BürokratInnenteam um
ver.di-Verhandlungsführer Jeremy Arndt nicht die Kontrolle
über den Streik verlieren
wollte und die Warnstreiks nur als Mittel betrachtete, einen
etwas besseren
Kompromiss zu erreichen, der den Senat nicht zu sehr schmerzt.
Schon eine
Urabstimmung über einen Vollstreik war zu viel. So wurde etwas
gekämpft, ein
bisschen Druck und Wut abgelassen und die Belegschaft mit
einigen Häppchen
beruhigt.

Tatsächlich steckt ver.di beim BVG-Streik in einem
Widerspruch. Politisch ist die Gewerkschaftsführung eng mit
Linkspartei und SPD
verbunden. Diese sind aber als Teil der Landesregierung und in
diesem
Arbeitskampf auf Seiten des/r Arbeit“geber“In, dem/r die BVG
gehört. SPD und
Linkspartei schauen auf den Landeshaushalt und haben die
Schuldenbremse im
Nacken. Klar weiß das auch der ver.di-Apparat. So gibt sich
Arndt dann auch
zufrieden: „Der Abschluss kann sich sehen lassen, da der neue
Tarifvertrag
einen deutlichen Schritt im bundesweiten Vergleich nach vorne
macht.“ Bloß
keine zu großen Schritte machen und den Gehaltsrückstand zu
anderen FahrerInnen
auf einmal aufholen …

Gewerkschaften,                 Senat         und        die
Verkehrswende

Der Streik hätte das Potential gehabt, auch politische
Fragen aufzuwerfen. Einige BVG-Beschäftigte machten deutlich,
dass sich der
Streik nicht gegen die BerlinerInnen richtet, sondern vielmehr
auch in ihrem
Interesse ist. Eine höhere Entlohnung der FahrerInnen macht
diesen Beruf
attraktiver, eine Arbeitszeitverkürzung erhöht die
Aufmerksamkeit und
Ausgeglichenheit des Betriebspersonals und damit die Qualität
des Berliner
ÖPNV.

Die Arbeitsqualität im ÖPNV ist ein relevanter Punkt für die
Umsetzung eines anderen, momentan brennenden Themas:
Zeitgleich mit dem
Tarifkampf nahm die Umwelt-SchülerInnenbewegung „Fridays for
Future“ massiv an
Fahrt auf. Viele der Jugendlichen thematisieren korrekterweise
die Wichtigkeit
der sogenannten Verkehrswende als Teil des Kampfes gegen den
menschengemachten
Klimawandel. SPD, Grüne und Linkspartei haben nicht gezögert,
„Fridays for
Future“ in Worten zu unterstützen. Gleichzeitig verschleppen
sie eben jene
„Verkehrswende“. In Berlin beschlossen sie zwar den Ausbau von
U-Bahn und Tram
für 28 Milliarden Euro, aber die Umsetzung soll sich bis 2035
hinziehen. In
Brandenburg wurde vor einigen Jahren von SPD und DIE LINKE dem
Ausbau des
Braunkohletagebaus Welzow zugestimmt. Die Versuche von den
beiden bürgerlichen
ArbeiterInnenparteien, Umweltschutz, Belange der ArbeiterInnen
und die Zwänge
von Kapital und Staatshaushalt unter einen Hut zu bringen,
führen bestenfalls
zu Halbherzigkeiten      wie   z.   B.   der,   dass   man   zwar
perspektivisch,
irgendwann aus der Braunkohleverstromung raus und irgendwie
auch einen besseren
ÖPNV will. In der Regel führt diese Politik aber dazu, dass
vor dem Willen des
Kapitals eingeknickt wird. So wird dann schon mal zugesichert,
dass die Profite
der Kohleindustrie oder des Automobilsektors gerettet und,
wenn nötig, durch
die SteuerzahlerInnen, sprich die ArbeiterInnen, bezahlt
werden. Freilich dient
als Rechtfertigung für diese kapitalhörige Politik die
Sicherung von
Arbeitsplätzen und die Standortsicherheit Deutschlands, die in
der Realität jedoch
auch noch abgebaut werden, statt gleichwertige und gleich gut
bezahlte
Ersatzarbeitsplätze zu schaffen.

Es ist wichtig, diese politische Dimension zu begreifen. Die
Gewerkschaften des DGB arbeiten dabei auch noch mitunter
direkt gegeneinander.
Ver.di und EVG sollten ein Interesse daran haben, den
öffentlichen Personennah-
und Schienengüterverkehr zu stärken. Die bürokratische Führung
der IG Metall
hat demgegenüber aufgrund ihrer Nähe zu den Bossen von
Daimler, VW und Co. ein
Interesse daran, die Profite der PKW- und LKW-Industrie zu
sichern. Diese
Widersprüchlichkeit schlägt sich dann eben auch in den
Parteien der
ArbeiterInnenbewegung nieder.

Aus dem Kampf lernen

Warum diese thematischen Bezüge zu Umweltschutz und
Senatspolitik? Weil es unserer Meinung nach höchste Eisenbahn
(oder
Straßenbahn) ist, aus der scheinbar ewig währenden Lethargie
von Tarifrunden
auszubrechen und den Kampf um höhere Löhne mit politischen
Forderungen zu
verbinden. Es hätte sich geradezu angeboten, gemeinsame
Proteste von BVGlerInnen
und „Fridays for Future“ durchzuführen: einfach die
SchülerInnen mit den
bestreikten Fahrzeugen vor den Schulen abholen, vor den
Bundestag fahren und
geschlossen demonstrieren.
Freilich hätte es nicht nur gemeinsame Aktionen, sondern
auch gemeinsame Forderungen gebraucht. Diese hätten nicht bei
bloßen
Tarifforderungen stehen bleiben dürfen, sondern eine
politische Ebene einnehmen
müssen. Eckpunkte wären:

     Keine Gehalterhöhung auf Kosten anderer! Gegen jede
     Ticketpreiserhöhung, die durch höhere Gehälter von
     BVGlerInnen begründet wird – im Gegenteil! Für einen
     kostenlosen ÖPNV und Berufsverkehr für ArbeiterInnen,
     SchülerInnen und StudentInnen, bezahlt durch eine
     massive Besteuerung der Profite von Automobil-, Kohle-,
     und Flugzeugindustrie!

     Planmäßige Umstellung der Stromversorgung für Tram und
     U-Bahn auf regenerative Energie! Für einen durch
     ArbeiterInnen geplanten und demokratisch kontrollierten,
     organisierten Ausstieg aus fossiler und atomarer
     Stromerzeugung!

     Für die Verkehrswende in unseren Städten! Massiver
     Ausbau von S-Bahn und Straßenbahnen in Berlin –
     kontrolliert und demokratisch geplant durch die
     ArbeiterInnen von BVG und DB sowie Ausschüsse von
     Fahrgästen und PendlerInnen!

     Gegen jede Privatisierungsversuche und Auslagerung von
     ÖPNV! Ausgelagerte Buslinien wieder in die Hand der BVG!

Es wäre aber nicht nur darum gegangen, die Verbindung zu den
SchülerInnen zu suchen. Eine weitere wichtige Lehre aus
vergangenen Kämpfen
besteht darin, dass wir für eine klassenkämpferische
Neuausrichtung der
Verkehrsgewerkschaften in ver.di, GdL und EVG in Form von
oppositionellen
Strukturen gegen die Apparatschiks kämpfen müssen.

Die S-Bahn Berlin – ihrerseits
Tochter der Deutschen Bahn AG und daher nicht Teil der
Tarifverhandlungen
zwischen ver.di und BVG – hatte im Rahmen der Streiks
Betriebsreserven
mobilisiert, um deren Auswirkungen abzufedern. Hier wären die
EisenbahnerInnengewerkschaften EVG und GdL sowie die
Betriebsräte gefragt,
diesen Streikbruch zu verhindern. So wirkt die Grußbotschaft
an die BVG-ArbeiterInnen
in der aktuellen Ausgabe der EVG-Zeitung fast schon zynisch
angesichts der
Tatsache, dass nicht einmal die Zustimmung zu den Extrafahrten
der S-Bahn
verweigert wurde. Dieser Streikbruch durch die S-Bahn Berlin
wird von der EVG
nicht einmal erwähnt. Immerhin konnten die Beschäftigten bei
BVG und BT den
Streikbruch im eigenen Unternehmen teilweise bekämpfen, u. a.
durch
Streikposten in den Busdepots – ein wichtiger Teilerfolg!

Die Lehre ist aber, dass die
Widersinnigkeit gegenseitigen Streikbruchs von Beschäftigten
desselben Sektors
und die Untätigkeit, diesen zu verhindern, darauf verweist,
wie notwendig der
Kampf für eine Transport- und Logistikgewerkschaft ist, die
alle im Sektor
Beschäftigen umfasst und demokratisch von diesen kontrolliert
wird statt durch
Vorgaben der BürokratInnen. So wäre es denn auch möglich,
gemeinsam zu
streiken, statt getrennt zu kämpfen oder die Aktionen der
anderen faktisch zu
unterlaufen – ansonsten fährt beim nächsten S-Bahn-Streik die
BVG oder
umgekehrt. Die Beschäftigten sollten bei künftigen Streiks –
womöglich schon
2020 – eigene demokratische Basisstrukturen aufbauen und die
Kontrolle über den
Streik übernehmen. Sie wählen die Kampfmittel, die Länge des
Streiks, bestimmen
über die Forderungen, wählen        und   kontrollieren   ihre
VerhandlungsführerInnen,
indem sie Rechenschaft von ihnen verlangen. Jede künftige
Annahme neuer
Tarifverträge bedarf einer vorherigen Zusstimmung durch die
Belegschaft.

Letztlich gilt es, eine
internationale demokratische Gewerkschaft aller Transport- und
LogistikarbeiterInnen zu erkämpfen, die die oben aufgeführten
politischen
Forderungen erhebt und die Kämpfe über Ländergrenzen hinweg
zusammenführt, denn
in letzter Konsequenz ist die Verkehrswende – so wie der
Klimawandel und der
Kampf dagegen – eine internationale Angelegenheit!
Tarifrunde   Druckindustrie:
Durchsetzungsstreiks für den
Erhalt                   des
Manteltarifvertrags!
Helga Müller, Infomail 1051, 19. April 2019

Am Dienstag, dem 16. April, traten die
streikenden KollegInnen der Druckindustrie aus Bayern in
München auf dem
Marienplatz zu einer öffentlichen Streikversammlung zusammen.
Aufgerufen zu
Solistreiks zur Unterstützung der DruckerInnen waren auch
RedakteurInnen und
Angestellte der Zeitungsverlage aus ganz Bayern, aus dem
Konzern der
Süddeutschen Zeitung auch die KollegInnen eines Buchverlages.
Insgesamt versammelten
sich ca. 500 KollegInnen auf dem Marienplatz. Die Stimmung war
kämpferisch und
man konnte auf dem Platz förmlich spüren, dass der Kampfesmut
ungebrochen ist.

Parallel zogen in Essen 250 streikende
KollegInnen der Druckindustrie aus Nordrhein-Westfalen durch
die Innenstadt.

Es geht um viel: Der Bundesverband Druck und
Medien (bvdm) bläst in dieser Tarifrunde zu einem
Frontalangriff auf den lang und hart erkämpften
Manteltarifvertrag
(MTV) der DruckerInnen – wie schon einmal im Jahr 2011. Laut
ver.di würden die
Forderungen des bvdm einen Lohneinbruch und damit
Kostensenkungen im
Personalbereich von 30 %
bedeuten!

Im Einzelnen möchte der bvdm folgendes
durchsetzen:

     Verlängerung der Arbeitszeit von 35
     Stunden auf bis zu 40 Stunden proWoche – das ist nichts
     anderes als
     Personalabbau       und    Mehrbelastung     für    die
     „übriggebliebenen“ KollegInnen
     Ersatzlose Streichung der Regelungen zur
     Maschinenbesetzung – auch dies bedeutet Personalabbau
     und Mehrbelastung
     Aufgabe des FacharbeiterInnenschutzes
     für DruckerInnen durch die Besetzung       mit   anderen
     Fachkräften – das ist
     nichts anderes als Lohnabbau
     Kürzung der Zuschläge für Wochenend- und
     Nachtarbeit – Lohnabbau
     Abschaffung der Erschwerniszulage für
     Sonn- und Feiertagsarbeit – Lohnabbau
     Kürzungen der Jahresleistung und des
     Urlaubsgeldes – Lohnabbau
     Durchsetzung von betrieblichen
     Öffnungsklauseln im MTV zur Verschlechterung der
     Arbeitsbedingungen für
     Neueingestellte, die auch auf Altbeschäftigte angewendet
     werden können:
     Einführung des Samstags als Regelarbeitstag,
Arbeitszeitverlängerung ohne
     Lohnausgleich, Kürzungen bei den Zuschlägen und dem
     Urlaubs- und
     Weihnachtsgeld.

Damit würden die Konflikte auf die
Betriebsebene verlagert – dies würde die Beschäftigten in eine
schwächere
Position bringen, weil die Belegschaften Betrieb gegen Betrieb
ausgespielt
werden könnten.

Aber das reicht den
DruckunternehmerInnen immer noch nicht!

Auch was das Entgelt angeht, will die
Druckindustrie einen Durchbruch erzielen und einen
Reallohnverlust durchsetzen.
Ihr „Angebot“: 2,4 Prozent ab April 2019 und 1,4 Prozent ab
April 2020 sowie
400 Euro als Einmalzahlung für 7 Nullmonate bei einer Laufzeit
von 30 Monaten!
Und das auch nur, wenn der MTV verschlechtert wird. Dieses
„Angebot“ stellt
noch nicht einmal einen Inflationsausgleich dar!

Seit Oktober letzten Jahres sind die
KollegInnen der Druckindustrie in mehreren mehrtägigen
Warnstreikwellen für den
Erhalt des MTV und für eine reale Erhöhung ihrer Löhne aktiv.
Vor allem in
Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen hat sich die
Streikwelle
ausgedehnt – auch sogenannte OT-Betriebe (Druckereien ohne
Tarifbindung, die
aber noch Mitglied im Arbeit„geber“Innenverband sind) konnten
in die
Streikwelle einbezogen werden. Dieser Druck – es geht um einen
der am längsten
bestehenden MTVs in der Bundesrepublik – hat dazu geführt,
dass die seit
Dezember bestehende Blockadehaltung des bvdm durchbrochen
werden konnte und er
am 9. April wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren
musste.

Die vielen Reden der Streikenden aus den
verschiedenen Druckereien des Landes machten deutlich, dass
die
Kampfbereitschaft ungebrochen      ist     und   die   KollegInnen
verstanden haben, was der
bvdm   will:  eine   grundsätzliche          Veränderung      des
Kräfteverhältnisses zu seinen
Gunsten, in einem Bereich der noch sehr gut organisiert und
kampfstark ist.

Auch der Verhandlungsführer von ver.di, Frank
Werneke (designierter Nachfolger von ver.di Chef Bsirske),
hielt eine
kämpferische Rede. Auch er konnte nicht umhin, immer wieder zu
betonen, dass
der Kampf für einen 100-prozentigen Erhalt des
Manteltarifvertrages noch nicht
zu Ende ist und dieser ausgeweitet werden wird, bis der MTV
ohne Abstriche
wieder in Kraft tritt – was mit tosendem Beispiel quittiert
wurde. Auch wenn
die Streikfähigkeit im Osten und Norden der Bundesrepublik
nicht so stark ist
wie im Süden und Westen, blieb er aber die einzige Antwort,
die auf eine solche
Provokation gegeben werden muss, schuldig – nämlich sofortige
Urabstimmung für
unbefristete Durchsetzungsstreiks und Fortführung der
Solistreiks in der
Zeitungsbranche.

Am 2. Mai finden die nächsten Verhandlungen
auf Bundesebene mit dem bvdm statt. Ob der Druck der vielen
Warnstreiks, die
ungebrochen weitergehen, ausreichen wird, um den bvdm von
seinem Vorhaben, die
KollegInnen für seine Krise zahlen zu lassen, abzubringen,
wird sich dann
spätestens herausstellen.

     Durchsetzungsstreiks         für    den    Erhalt     des
     Manteltarifvertrags und die volle Durchsetzung der
     geforderten 5 % Lohnerhöhung!
     Alle KollegInnen der Zeitungsverlage an die Seite der
     KollegInnen aus der Druckindustrie

Tarifergebnis Stahl 2019 –
ein Erfolg oder eher nicht?
Kuno Benz, Frederik Haber, Infomail 1051, 16. April 2019
Nach vielen Warnstreiks und
Aktionen    der   Beschäftigten     der   nordwestdeutschen
Stahlindustrie und etlichen,
zähen Verhandlungsrunden gab es nun am 16. März einen
Abschluss, der schließlich
auch im Saarland mit einer 2-monatigen tariflichen
Verschiebung übernommen
wurde. Aber: Kann dieser Abschluss als Erfolg gewertet werden?

Viele Beschäftigte sind
unzufrieden. Selbst in der Tarifkommission regte sich Unmut,
vor allem aus den
norddeutschen Betrieben. Aber die Dominanz der VertreterInnen
von Thyssen-Krupp
in der Tarifkommission sorgte für ein eindeutiges Ergebnis.
Offensichtlich
waren die führenden    Kräfte   aus   diesem   Konzern   genauso
zufrieden mit dem
Abschluss wie der IG Metall-Vorstand.              Haben    die
SpitzengewerkschafterInnen
wegen der aufziehenden Krisenwolken die Bremse reingehauen
oder hatten sie zu
Beginn der Tarifrunde zu laut geklappert?

„Wir wollen von dem dicken
Kuchen, der auf dem Tisch liegt, dieses Mal ein gutes Stück
abhaben“ tönte noch
im Februar Duisburgs IG-Metall-Chef Dieter Lieske. „Nach den
zum Teil
hausgemachten Krisen der vergangenen Jahre, die wir als
Arbeitnehmer zu einem
guten Teil aufgefangen haben, hat die Stahlbranche im
vergangenen Jahr wieder
richtig gutes Geld verdient.“ Bei den Stahlpreisen in den
vergangenen zwölf
Monaten hätten die Arbeit„geber“Innen das Geld nur noch mit
der Schneeschaufel
in die Garagen schubsen müssen.

Unmittelbar nach dem Abschluss
werteten beide Seiten die Einigung als „schwierigen, aber
vertretbaren“
Kompromiss. „Wir haben in den letzten drei Monaten und auch in
den letzten 16
Stunden hart miteinander gerungen. Das Ergebnis kann sich
sehen lassen“,
betonte IG Metall-Verhandlungsführer Knut Giesler. „Gerade die
unteren
Entgeltgruppen profitieren besonders von den 1.000 Euro
zusätzlicher
tariflicher Vergütung.“ Damit habe der Vertrag eine starke
soziale Komponente.
Und mit den Regelungen für mehr freie Tage in der Stahlbranche
setze die IG
Metall ihre arbeitszeitpolitische Offensive fort. Nach dem
Abschluss in der
Metall- und Elektroindustrie sei ihr in einer weiteren großen
Branche ein
Durchbruch für mehr Arbeitszeitsouveränität gelungen. „Damit
tragen wir dem
Wunsch der Beschäftigten nach mehr          Selbstbestimmung,
Entlastung und mehr Freiräumen
für das Private Rechnung“, sagte Giesler.

Die IG Metall ist also mehr als
zufrieden mit dem Abschluss.

Und die Arbeit„geber“Innen? Sie
stöhnen zwar ein wenig – jedoch mehr über die Tarifrunde als
solche denn über
das Ergebnis: „Diese Tarifrunde war außergewöhnlich komplex
und wurde
dementsprechend intensiv geführt. Insbesondere die Forderung
nach einem in
Freizeit umwandelbaren Zusatzentgelt hat uns vor eine
Zerreißprobe gestellt“,
erklärte auch Christian Büttner, Geschäftsführer im
Arbeitgeberverband Stahl.

Wie ist aber der Abschluss für
uns zu bewerten? Woher kommt der Unmut der Kolleginnen und
Kollegen?

Entgelt

Man kann Tariferhöhungen
unterschiedlich einschätzen. Auf lange Sicht ist die Erhöhung
der Tabellenwerte
entscheidend, für den Lebensunterhalt zählt dagegen das
Volumen im laufenden
Jahr.

Die Tabellenerhöhung von 3,7 %
klingt ordentlich, ist aber die einzige Erhöhung der
Entgeltgruppen während der
gesamten Laufzeit von 26 Monaten. Dazu kommt dann noch das
„zusätzliche
Urlaubsgeld“ in Höhe von 1.000 Euro ab dem Jahr 2020. Dieses
ist
tarifdynamisch, soll also bei den nächsten Tariferhöhungen
steigen. Immerhin
bedeuten diese 1.000 Euro eine Sockelerhöhung, die in der
Vergangenheit, wenn
eine solche Forderung aus den Vertrauenskörpern kam, von der
IG Metall-Führung
heftig bekämpft wurde.

Die 1.000 Euro entsprechen
einer Tariferhöhung von etwa 1,5 % (geschätzter Mittelwert),
wenn man 13,2
Monatsentgelte zugrunde legt. Zusammen ergibt sich also eine
Erhöhung der
Tarifentgelte von 3,7 % + 1,5 %, also 5,2 % über 26 Monate
oder
2,4 % auf 1 Jahr gerechnet – denn die Preissteigerungsraten
sind auch
immer auf 1 Jahr gerechnet. Und dann sieht der Abschluss also
alles andere als
üppig aus!

Wie viel mehr im Geldbeutel?

Die Tariferhöhung von
3,7 % gilt ja erst ab 1. März. Zuvor gibt es 100 Euro für
Januar und
Februar. Wenn man also das Volumen ab dem Zeitpunkt der
Laufzeit – also ab 1.
März 2019 – rechnet, dann erhöhen 3,7 % in zehn Monaten das
Jahreseinkommen nur um rund 3,1 %, zu denen dann noch 100 Euro
Einmalbetrag
kommen.

Die gleiche Betrachtung findet
dann 2020 nochmals statt, wenn das zusätzliche Urlaubsgeld die
einzige
Tariferhöhung sein wird – je nach Entgelt im Mittel rund
1,5 %. Und 2021
startet aufgrund der Laufzeit des Tarifvertrags mit zwei Null-
Monaten.

Arbeitszeit

Anders als in der Metall- und
Elektroindustrie forderte die IG Metall keine „verkürzte
Vollzeit“ oder „tarifliches
Zusatzgeld“ (T-ZUG), sondern mehr Urlaub. Immerhin wurde dann
das Ergebnis auch
längst nicht so kompliziert – und auch nicht an bestimmte
Beschäftigungsgruppen
bzw. Voraussetzungen gekoppelt.

Als Ergebnis kann jede(r)
Beschäftigte ab 2020 das zusätzliche Urlaubsgeld in bis zu 5
freie Tage
umwandeln – allerdings ist der Anspruch je nach Anzahl der
Anträge gedeckelt.
Für die Arbeit„geber“Innen ist das Ergebnis zunächst
„kostenneutral“ – dafür
kostet einen Beschäftigten jeder freie Tag 200 Euro.

Bewertung

Eine genaue Betrachtung des
Ergebnisses lässt wenig von der Begeisterung übrig, die die
Verlautbarungen der
IG Metall, aber auch manche BetriebsrätInnen und
Vertrauensleute verbreiten.
Die Erhöhung der Tariftabellen um rund 2,4 % auf 12 Monate
gerechnet ist
nicht der große Erfolg. Das gleicht kaum die Preissteigerungen
aus. Der
Produktionsfortschritt geht weiter überwiegend in die Kassen
des Kapitals.

Die maximal 5 Tage zusätzlicher
Urlaub sind durchaus etwas, was vielen nützt, den zunehmenden
Arbeitsstress
oder private Belastungen zu bestehen – so es für sie
finanziell verkraftbar
ist. Wie weit diese Möglichkeit tatsächlich genutzt wird,
bleibt abzuwarten.

Die Regelung verliert bei der
Umwandlung in Urlaub übrigens ihre „soziale Komponente“: Der
zusätzliche
Urlaubstag ist für alle Entgeltgruppen der gleiche! Wenn er
freiwillig genommen
wird, ist das dennoch okay. Nicht aber, wenn aus dieser
Urlaubs-Flatrate per Betriebsvereinbarung ein Zwang werden
würde. In etlichen
Betrieben der Metall- und Elektroindustrie, so bei Ford, Opel,
Audi, wird die
Umwandlung der dort „tarifliches Zusatzgeld (T-ZUG)“ genannten
Komponente schon
als Kurzarbeitsinstrument (ohne KurzarbeiterInnengeld)
genutzt.

Betrachtet man jedoch, was
eigentlich tarifpolitisch nötig wäre, sieht der Abschluss
schlecht aus. Der
zunehmende Arbeitsdruck; bevorstehende Angriffe auf
Arbeitsplätze und
Standorte; massive Arbeitsplatzverluste durch E-Mobilität,
Digitalisierung und
Industrie 4.0; die Ausdifferenzierung der Belegschaften in
überausgebeutete
LeiharbeiterInnen und Ausgegliederte einerseits und tarifliche
Stammbelegschaften andererseits – all das wurde schon im
Vorfeld bei der
Debatte um die Aufstellung der Forderungen ausgeblendet. In
der betrieblichen
Wirklichkeit bestimmt dies viel mehr das Arbeiten und das
gewerkschaftliche
Handeln als individuell einige Urlaubstage mehr oder weniger.
Bei einer
Gesamtbewertung des Abschlusses muss dies die Perspektive
sein.

Als Mittel gegen die schon bestehenden
und drohenden weiteren Arbeitsplatzverluste         hätte   die
Forderung nach einer
kollektiven Arbeitszeitverkürzung erhoben werden müssen. Die
Arbeitsproduktivität ist in den letzten Jahren gestiegen, so
dass mit weniger
KollegInnen in der gleichen Zeit mehr produziert werden kann.
Von daher wäre es
möglich und auch nötig gewesen, eine kollektive
Arbeitszeitverkürzung bei
vollem Lohn- und Personalausgleich zu fordern. Natürlich hätte
man das mit der
besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Abmilderung
von Arbeitsdruck
vor allem bei Schichtarbeit verbinden müssen. Kollektive
Arbeitszeitverkürzung
ist aber das einzige Mittel, um dem                drohenden
Arbeitsplatzabbau auf
gewerkschaftlicher Ebene etwas entgegenzusetzen.

Dass dies bei Aufstellung der
Forderungen nicht diskutiert werden konnte, zeigt auch, wie
wenig die
KollegInnen in den Betrieben darüber in einer Tarifrunde
entscheiden können.
Und das Ergebnis zeigt auch, dass trotz des Kampfwillens, den
viele in der
Warnstreikrunde gezeigt haben, die IG Metall-Führung nicht
geneigt ist, die
ganze Kampfkraft durch unbefristete Streiks in die Waagschale
zu werfen. Ihr
ist ein Ergebnis, das die UnternehmerInnen nicht zu viel
kostet, wichtiger, als
die Arbeitenden vor Arbeitsdruck, Arbeitsplatzverlust und
prekärer
Beschäftigung zu schützen. Dieses Ergebnis reiht sich ein in
die Tarifpolitik
der letzten Jahre: Die Kampfkraft der Lohnabhängigen wird
nicht ausgeschöpft,
damit „Deutschland“ weiter Exportweltmeister bleibt. Auch die
lange Laufzeit
von 26 Monaten gibt den UnternehmerInnen Planungssicherheit,
wie VertreterInnen
der Unternehmerverbände ganz unverhohlen loben. Sie ist auch
ein Geschenk für
die Bundesregierung von Seiten der (un)heimlichen
MitkoalitionärInnen im IG
Metall-Apparat an ihre ParteifreundInnen von der
Koalitionspartnerin SPD.

Auch der Kampf um die
35-Stundenwoche im Osten – eine Angleichung, die schon vor
etlichen Jahren am
Widerstand der westdeutschen BetriebsratsfürstInnen in der
Automobilindustrie
scheiterte – wird mit diesem Abschluss und der darauf
folgenden Friedenspflicht
untergraben. Von der IG Metall ist dazu nur zu hören, dass sie
Vereinbarungen
aushandeln wolle. Wie sollen hier Vereinbarungen auf reinem
Verhandlungsweg
erzielt werden, wenn die UnternehmerInnen schon jetzt sagen,
alles solle im
Osten so bleiben, weil die Produktivität dort nach wie vor
geringer sei als im
Westen. Eine Angleichung der Arbeitszeit von 38 auf 35 Stunden
wie im Westen
wird von den Arbeit„geber“Innen weiterhin abgelehnt.

Die IG Metall will sie
zumindest dazu bringen, mit ihr zu verhandeln. „Wir sind mit
den Arbeitgebern
in Ostdeutschland bereits im Gespräch“, sagt Bernd Kruppa,
Erster
Bevollmächtigter     der   IG   Metall   Leipzig.      Doch   die
Arbeit„geber“Innen rühren
bereits Beton an: „Der Osten braucht diesen Wettbewerbsvorteil
weiterhin. Die
längere Arbeitszeit muss bleiben“, stärkt Gesamtmetall-
Präsident Rainer Dulger
den HardlinerInnen in Sachsen den Rücken.

Die ArbeiterInnen brauchen die
Kontrolle über ihren Kampf von Anfang an – von Aufstellung der
Forderungen,
über die Durchführung, wo, wann und wie lange gestreikt wird,
bis zum Abschluss
der Verhandlungen. Es darf kein Übereinkommen geben, ohne dass
die Beschäftigten
in den Betrieben über die genauen Bedingungen des
Tarifvertrags auf
Betriebsversammlungen und mit Aushängen eingehend informiert
wurden und in
einer Urabstimmung darüber entschieden haben.

Tarifkampf bei der Berliner
BVG: Solidarität mit dem
Streik!
Lars Keller, Neue Internationale 236, April 2019

In den
vergangenen Monaten fanden nicht nur die Tarifverhandlungen
des öffentlichen
Dienstes der Länder statt. In Berlin kämpfen die ArbeiterInnen
der Berliner
Verkehrsgesellschaft (BVG) für bessere Arbeitsbedingungen.

Zu dem
Zeitpunkt, da dieser Artikel verfasst wird, steht ein 24-
Stunden-Streik am 01.
April an, nachdem die Verhandlungen zwischen ver.di und dem
Kommunalen
Arbeitgeberverband (KAV) am 28. März abgebrochen wurden.
Dieser Streik verdient
in jedem Fall unsere Solidarität!

Forderungen

Konkret
gefordert   werden   von   ver.di:   eine   36,5-Stunden-Woche,
Weihnachtsgeld für neu
Eingestellte, Wegfall der unteren Lohngruppen in Verbindung
mit schnelleren
Gehaltssprüngen sowie eine Einmalzahlung von 500 Euro für
Gewerkschaftsmitglieder.

Angesichts der
explodierenden Mieten in der Stadt und der geringeren
Entlohnung der
BVG-ArbeiterInnen        im    Vergleich      zu     anderen
Infrastrukturbeschäftigten
(DB/Deutsche Bahn, BWB/Berliner Wasserbetriebe, BSR/Berliner
Stadtreinigung)
sind die Forderungen mehr als berechtigt. Zudem müssen die
BVG-Beschäftigen
seit Jahren die verfehlte Personalpolitik ausbaden. Auch
deshalb ist die
Arbeitszeitverkürzung um 2,5 Stunden pro Woche so wichtig und
richtig.

Berlin bildet
dabei nur die Spitze des Eisberges. Laut ver.di fehlen
bundesweit im ÖPNV mehr
als 30.000 Beschäftigte. Hier zeigen sich die Folgen von
Privatisierungen und
der sogenannten Schuldenbremse, die die Kommunen zum Sparen
verdonnert und
damit die Kosten der Finanzkrise 2008 vor allem auf die
ArbeiterInnen abwälzt –
sei es durch geringe Löhne, Überlastung, fehlendes Personal
oder durch hohe
Fahrpreise.

Dementsprechend
quer stellen sich die Arbeit„geber“Innen. Dreist war das
Angebot Mitte März von
12 % über 5 Jahre Vertragslaufzeit. Das Ziel ist eindeutig:
die Belegschaft
durch einen hohen Wert blenden und sie gleichzeitig möglichst
lange in die
Friedenspflicht zwingen. Gleichzeitig verdient eine Sigrid
Nikutta
(BVG-Vorstand)     500.000    Euro   pro   Jahr   und   fährt
selbstverständlich mit einer
dicken Limousine durch die Gegend.

Wo gestreikt
wird, da lauert auch der Streikbruch. Beim zweiten Warnstreik
am 15. März
lieferte ver.di gleich selbst die Möglichkeit zur Schwächung
des
Arbeitskampfes, indem die Gewerkschaft lediglich die
FahrerInnen der Busse zum
Streik mobilisierte.

Wie kämpfen?
Zu Recht
empörten sich viele BVGlerInnen, viele Fahrgäste konnten auf
Tram und U-Bahn
ausweichen. Diese Art von Teilwarnstreik schwächt den Kampf.
Daher ist es nur
richtig, dass zum 1. April wieder die gesamte Belegschaft
mobilisiert wird.
Dazu gehört die Forderung, die ver.di nicht aufgestellt hat,
an Subunternehmen
ausgelagerte Buslinien mitsamt ihren Beschäftigten wieder
unters Dach der BVG
zu integrieren! Diese Linien werden am Montag nahezu
uneingeschränkt betrieben
und damit den Streik unterlaufen.

Aber auch aus
einer anderen Ecke droht der Streikbruch: Die S-Bahn Berlin –
ihrerseits
Tochter der Deutschen Bahn AG und daher nicht Teil der
Tarifverhandlungen – hat
bereits angekündigt, Betriebsreserven zu mobilisieren, um die
Auswirkungen des
Streiks      abzufedern.       Hier      wären              die
EisenbahnerInnengewerkschaften EVG und GdL
sowie die Betriebsräte    gefragt,   diesen   Streikbruch    zu
verhindern.

Diese
Widersinnigkeit gegenseitigen Streikbruchs von Beschäftigten
desselben Sektors
und die Untätigkeit, diesen zu verhindern, verweist darauf,
wie notwendig der
Kampf für eine Transport- und Logistikgewerkschaft ist, die
alle im Sektor
Beschäftigen umfasst und die demokratisch von diesen
kontrolliert wird statt
durch    Vorgaben     der    BürokratInnen.       Für diese
klassenkämpferische Neuausrichtung
muss in der Basis von ver.di, GdL und EVG in Form von
oppositionellen
Strukturen gegen die Apparatschiks gekämpft werden.

Für den Streik
selbst gilt, was wir bereits im Flugblatt zum ersten Ausstand
der BVG
schrieben: Nur ein entschlossener Arbeitskampf kann die Lage
ändern – und das
heißt: vom Warnstreik zum unbefristeten Vollstreik! Damit ein
solcher breit
getragen wird und erfolgreich        sein    kann,    braucht    es
Vollversammlungen der
Beschäftigten. Ver.di soll      so   rasch    wie    möglich    die
Urabstimmung einleiten.
Inhalt von Versammlungen in          den    Depots    wie     einer
Vollversammlung bei der BVG
muss vor allem eine Diskussion sein, wie die Forderungen ohne
faule Kompromisse
erzwungen    werden     können.        Dazu         braucht      es
rechenschaftspflichtige
Streikleitungen, die aus der Belegschaft heraus gewählt werden
und den
Arbeitskampf koordinieren. Die Verhandlungskommission muss
diesen Versammlungen
gegenüber rechenschaftspflichtig und von diesen abwählbar
sein. Es darf keinen
Abschluss ohne Zustimmung der Gewerkschaftsmitglieder geben!
Streik und
Verkehrsfrage

Eine Aufwertung
des Berufes der FahrerIn ist eines der Versprechen der viel
gepriesenen
Verkehrswende. Die Parteien des Berliner Senats (SPD, Linke,
Grüne) befinden
sich in der
Tarifauseinandersetzung auf Arbeit„geber“Innenseite, auch wenn
sie
vorgeben, die SchülerInnenbewegung Fridays for Future zu
unterstützen und den
öffentlichen Nahverkehr zu stärken.

Trotzdem wird
die Finanzierbarkeit als Grund vorgeschoben, die Forderungen
ver.dis
abzulehnen. Dies zeigt nicht nur die engen Grenzen der
kommunalen Kassen,
sondern auch die eines grünen Kapitalismus. Wenn sie nicht
finanzierbar ist,
gibt es eben keine Qualitätssteigerung im ÖPNV, gibt es weder
mehr Personal
noch Entlastung der FahrerInnen.

Deswegen treten
wir anstelle einer kapitalistischen Verwaltung durch Land und
BVG-ChefInnen für
eine demokratische Kontrolle durch die VerkehrsarbeiterInnen
und lohnabhängigen
Fahrgäste in Form eines gewählten Verkehrsplanungskomitees
ein. Unser Ziel ist
ein kostenloser ÖPNV, finanziert durch hohe Besteuerung der
Reichen und
KapitalistInnen insbesondere der Automobil- und Ölindustrie
sowie privater
Verkehrsgesellschaften. Auch aufgrund dieses Zusammenhangs
sollten sich ver.di
und die streikenden SchülerInnen zusammentun, Schulstreiks und
BVG-Streik
zusammenführen. Unbefristeter Streik für unsere Zukunft!

Massenentlassungen bei Opel
Österreich: ein umfassender
Streik ist nötig!
Michael Märzen, Infomail 1048, 31. März 2019

Von der Ankündigung des Stellenabbaus sei
man im Betriebsrat von Opel in Wien-Aspern nicht überrascht
gewesen, nur vom
tatsächlichen Ausmaß. Am Dienstag wurde der Belegschaft des
Motoren- und
Getriebe-Werks bei einer Betriebsversammlung mitgeteilt, dass
bis Jahresende
350–400 Arbeitsplätze wegfallen sollen – angesichts der knapp
1.200
Beschäftigten ist das jede dritte Stelle!

Kämpfen wolle man um die Arbeitsplätze
aber nicht, immerhin gebe es noch vom Vorjahr, als damals
schon 100 Jobs
gestrichen wurden, einen Sozialplan. „Jetzt beginnen erst
einmal die
Detailverhandlungen mit der Geschäftsleitung“, sagt dazu die
Vorsitzende des
Arbeiter*innen-Betriebsrats, Renate Blauensteiner. In diese
Richtung geht neben
den Gewerkschaften PRO-GE (Produktionsgewerkschaft) GPA-djp
(Gewerkschaft der
Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier) auch der
Vorsitzende des
Angestellten-Betriebsrats, Franz Fallmann: „Gesucht werden
Mitarbeiter, die mit
Jahresende freiwillig austreten, aus Altersgründen oder
Jobwechsel.“ Das werde
aber nicht reichen.

Die Pläne der Konzernleitung bedeuten somit nicht einfach
einen Haufen goldener Handschläge, sondern tatsächlich
Arbeitslosigkeit sowie eine Arbeitsverdichtung für die
restliche Belegschaft. Dass Betriebsrat und Gewerkschaften
einen solchen heftigen Anschlag einfach hinnehmen, spricht
Bände über die sozialdemokratische Gewerkschaftsfraktion FSG,
deren Angehörige Blauensteier (nebenbei auch Vizepräsidentin
der Arbeiterkammer Wien) ist.

Der rigorose
Sparkurs der Opel-Automobilsparte

Warum aber möchte die Konzernleitung
überhaupt so viele Arbeitsplätze        abbauen?   Laut   der
Tageszeitung „Die
Presse“ macht der deutsche Autokonzern Opel als
Tochtergesellschaft von
General Motors schon seit dem Jahr 2000 jährlich Verluste. Im
März 2017 wurde
das Unternehmen vom französischen Automobilhersteller PSA
(Peugeot, Citroën,
DS, Vauxhall) übernommen. Noch im selben Jahr begann man im
Rahmen des
sogenannten Zukunftsplans „Pace“ (zu deutsch: Tempo) mit der
Umsetzung
rigoroser Sparpläne. Größere „Umstrukturierungen“ gab es dann
2018 in
Deutschland, wo bspw. 3.700 Jobs vernichtet wurden. Insgesamt
konnte man so die
Fixkosten stark reduzieren, sodass man schon 2018 wieder
Gewinne verbuchte.

PSA-Chef Carlos Tavares ist das aber offenbar nicht genug.
Denn wie das deutsche Wochenmagazin „Stern“ berichtete, liegt
es im strategischen Konzerninteresse, den operativen Gewinn
bis 2026 weiter zu erhöhen. Insgesamt läuft die Strategie auf
die Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit
hinaus, um neue Märkte zu erobern. So sollen die Übersee-
Exporte bis 2020 verdoppelt werden und bis 2022 will man 20
neue Exportmärkte erschließen, etwa in Saudi-Arabien, Taiwan
und Argentinien. Mittelfristig möchte man womöglich nach China
und Brasilien liefern. Es steckt also viel mehr hinter der
Arbeitsplatzvernichtung             als        irgendwelche
Wettbewerbsschwierigkeiten.Es geht um Expansion zur
Gewinnsteigerung auf Kosten der ArbeiterInnen!

Die
sozialdemokratische                  Strategie           ist
gescheitert

Nachdem PSA den Opel-Konzern übernommen
hatte, mussten die Belegschaften in den verschiedenen Ländern
um ihre Standorte
fürchten. So auch in Wien-Aspern, wo in diesem Jahr die
Aufträge zur Produktion
von 5-Gang-Schaltgetrieben auslaufen. Damit ein neues
Schaltgetriebe durch den
Mutterkonzern in Auftrag gegeben wird, hat sich die Stadt Wien
im Juni letzten
Jahres zu einer „Innovationsförderung“ auf Kosten der
Allgemeinheit in der Höhe
von einer Million Euro hinreißen lassen, wobei man nicht
einmal eine
Arbeitsplatzgarantie erwirken konnte. Damit schrieb sich die
Stadtregierung
allerdings die Rettung des Standorts auf die Fahnen. Ähnlich
wie die SPÖ Wien
hat sich der Betriebsrat schon drei Jahre davor verhalten, als
er mit der
Geschäftsführung einen Standortsicherungspakt mit zwei mal 2 %
Lohnverzicht unterzeichnete. Weder die Förderung der Stadt
Wien noch der
Lohnverzicht der Belegschaft haben Arbeitsplätze retten
können. Und es stellt
sich die Frage, was passiert, wenn die Autoproduktion
angesichts der Tendenz
zum Elektroantrieb in einigen Jahren auf die neuen
Schaltgetriebe verzichten
kann. Werden dann noch mehr Arbeitsplätze abgebaut? Oder wird
dann doch das ganze
Werk geschlossen?
ArbeiterInnen und Gewerkschaften müssen
kämpfen!

Die bisherige SPÖ-FSG-Strategie des
Klein-Beigebens ist klar gescheitert. Durch kampflose
Zugeständnisse erreicht
man eben doch nichts weiter als neue Einsparungen. Die jetzige
Orientierung von
Betriebsrat, PROGE und GPA-djp auf einen Sozialplan bedeutet,
den Kampf schon
aufzugeben, bevor er überhaupt begonnen hat. Um die Vorstöße
der
Konzernführungen heute und morgen abzuwehren, muss man aber in
die Offensive
gehen, statt Schritt für Schritt zurückzuweichen!

Wenn die ArbeiterInnen von Opel Wien-Aspern den Jobabbau nicht
einfach hinnehmen wollen, dann müssen sie Druck auf ihre
VertreterInnen in Betriebsrat und Gewerkschaft ausüben. Sie
müssen neue Betriebsversammlungen fordern und über
Kampfmaßnahmen diskutiert. Sollen die Arbeitsplätze und das
Werk erhalten bleiben, dann muss gestreikt werden. Mit einem
Streikkomitee, gewählt aus den eigenen Reihen, jederzeitig
rechenschaftspflichtig und abwählbar, kann die Führung des
Streiks durch die ArbeiterInnen selbst kontrolliert werden. In
einem solchen Arbeitskampf dürfen die Streikenden auch nicht
den Angaben der Geschäftsführung vertrauen, sondern müssen den
Einblick in die Geschäftsbücher verlangen. Kann das
Unternehmen das Werk und die Arbeitsplätze nicht erhalten,
dann sollte es entschädigungslos und unter demokratischer
Kontrolle der Beschäftigten von der Allgemeinheit übernommen
werden!
„Aus unseren Kämpfen lernen“
– aber wie?
Frederik Haber/Helga Müller, Infomail 1064, 14. März 2019

Unter obigem Motto fand die 4. Streikkonferenz vom 15. bis 17.
Februar in Braunschweig statt. Mit rund 800 Teilnehmenden war
sie die bisher größte ihrer Art. Offensichtlich gibt es
Bedarf, über die Praxis der Gewerkschaften zu diskutieren. Von
den Mitgliederzahlen her waren diese in den letzten 70 Jahren
noch nie so schwach wie heute. Nur noch die Hälfte der
Beschäftigten arbeitet in Betrieben mit Betriebs- oder
Personalräten, der Geltungsbereich von Tarifverträgen ist auf
unter 50 Prozent gesunken.

Niedergang

Dieser
Niedergang hat nicht nur auf Grundlage strategischer
Niederlagen wie der Agenda
2010 stattgefunden, sondern setzte sich in den letzten Jahren
auch ohne scharfe
offene Angriffe und Rückschläge fort, in Zeiten, in denen die
Gewerkschaftsführungen mit der Regierung kooperieren, ja sie
sogar offen
unterstützen; in Zeiten, in denen der DGB gemeinsam mit den
Unternehmerverbänden „Hundert Jahre Mitbestimmung“ feiert.
Höchste Zeit
also zu fragen, was die Gewerkschaften falsch machen. Ist es
nur die Praxis
oder steht dahinter auch eine bestimmte Politik? Die Rosa-
Luxemburg- Stiftung
als Veranstalterin der Braunschweiger Konferenz beschränkte
sich allerdings
bewusst auf ein Konzept, einzelne gute Beispiele zu
präsentieren, die dann
anderswo nachgeahmt werden können. Recht offen stellte ihre
Vorsitzende dar,
dass in den Gewerkschaftsführungen oft Leute sitzen, die
nichts ändern möchten.
Sie berichtete von der mühevollen Arbeit, diese trotzdem von
der Notwendigkeit
dieser Konferenz zu überzeugen.

Die einfache
Frage, warum die     Leute,   die   für   den   Niedergang   der
Gewerkschaften
verantwortlich sind, an der Klassenzusammenarbeit um praktisch
jeden Preis
festhalten und daran auch nichts ändern wollen, noch hofiert,
stellt sie nicht
und offensichtlich nicht viele im Publikum: Gehören solche
Leute nicht einfach
rausgeschmissen?

Die
VeranstalterInnen setzen denn auch darauf, möglichst viele
regionale
Verantwortliche als UnterstützerInnen zu gewinnen. Überhaupt
sind viele
Hauptamtliche dabei. Beim Branchentreff Metall stellen sie
rund die Hälfte der
Anwesenden. Mag sie auch Unbehagen über die derzeitige Politik
nach
Braunschweig getrieben haben, in der Diskussion verteidigen
sie die Politik der
Führung – sei es aus Überzeugung oder Reflex.

Der
Tarifabschluss 2018 sei ein Einstieg in die Arbeitszeitdebatte
und hätte eine
Verkürzung der Arbeitszeit gebracht – meinte z. B. das IGM-
Vorstandsmitglied
Urban. Dass der Abschluss ein größeres Arbeitszeitvolumen
ermöglicht und viele
Unternehmen dies nutzen, wird genauso wenig erwähnt, wie dass
der rechte
Apparat der IGM mit diesem Abschluss die Arbeitszeitdebatte
für beendet erklärt
hat. Jegliche Strategie der Linken muss aber von der Realität
ausgehen und
nicht von Wunschdenken und Schönreden.

Rechtsruck und
Gewerkschaften

Die Krise der
Gewerkschaften drückt sich auch darin aus, wie sie mit dem
Rechtsruck in der
Gesellschaft umgehen. So sorgte sich die IG Metall bei den
Betriebsratswahlen
2018 sehr um das Abschneiden einiger betont rechter,
rassistischer und
gewerkschaftsfeindlicher Listen. Nachdem diese aber nur wenige
Mandate erzielt
hatten, ist das kein wirkliches Thema mehr.

Dazu trug Klaus
Dörre auf der Konferenz ein Referat vor, das darauf hinwies,
dass „sich nur
wenige Kandidaten gefunden haben, die sich während der
Betriebsratswahlen auf
Listen offensiv dazu bekennen, rechte Positionen zu vertreten,
doch das bedeute
nicht, dass diese nicht existieren.“ Allein 19 Prozent der
Lohnabhängigen und
15 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder haben bei der
Bundestagswahl 2017 der
AfD ihre Stimme gegeben – bei einem Gesamtergebnis von 12,6
Prozent ein
deutlich überdurchschnittlicher Wert.

Er stellte dar,
dass es nicht nur GewerkschafterInnen gibt, die sowohl
„korrekte“
gewerkschaftliche      Positionen       vertreten   wie   auch
rechtspopulistische Floskeln
äußern, sondern auch überzeugte rassistische ReaktionärInnen,
die manchmal eine
führende Rolle in den betrieblichen Strukturen ausüben und als
„gute InteressensvertreterInnen“
gelten. Wo diese einmal etabliert sind, wird das Thema vom
Apparat tabuisiert,
solange die Mitglieder oder Betriebsräte keine Konkurrenzliste
aufmachen.

Das hätte viel
Anlass zur Diskussion geben können und müssen. Es zeigt, dass
die
reformistischen BürokratInnen rassistische, nationalistische
und
rechtspopulistische Positionen dulden, solang diese Kräfte die
Gesamtpolitik
des Apparates nicht stören. Man könnte das als
unausgesprochenes
Stillhalteabkommen bezeichnen. Für die Linke in den
Gewerkschaften bedeutet
dies, dass es nicht reicht, nur gute, aktive Betriebsarbeit zu
machen, auf
„Organizing“ zu setzen und sich um die unorganisierten
Bereiche insbesondere im
prekären Sektor zu kümmern, der bekanntlich von der Bürokratie
fast völlig
vernachlässigt wird. Vielmehr muss dies mit einem aktiven
Kampf gegen Rassismus
verbunden werden – und eine solche Politik muss auch gegen den
Apparat in den
Gewerkschaften und in den Großkonzernen durchgesetzt werden.

Es liegt auf der
Hand, dass diese nicht in „Bunt statt Braun“- Bekenntnissen
aller Gutmenschen
oder in gemeinsamen Erklärungen von Betriebsräten mit den
Unternehmensleitungen
bestehen kann. Die richtige Erklärung, dass die AFD
„neoliberale“ und
arbeiterInnenfeindliche Politik mache, bleibt solange
weitgehend unwirksam, wie
die Gewerkschaften auf Klassenzusammenarbeit mit den
BetreiberInnen und
ProfiteurInnen dieser „neoliberalen“ Politik setzen. Der Kampf
gegen rechts ist
in den Gewerkschaften zugleich einer gegen die
Klassenzusammenarbeit und kann
letztlich nur so erfolgreich sein.
Dies wird nicht
nur in den Gewerkschaftsstrukturen kaum thematisiert. Auch in
Braunschweig gab
es keine Diskussion mit Dörre zu dessen Studien und teilweise
provozierenden
Thesen. Nur ein Workshop ganz am Ende der Tagung betrachtete
den „Umgang mit
Rechtspopulismus in Betrieb und Gewerkschaft“ – ansonsten
wurde das Thema
routiniert ausgesessen.

Beteiligung

Ein gutes
Drittel der TeilnehmerInnen kann man als „jung“ (also unter
40) bezeichnen und
insgesamt lag der Altersdurchschnitt deutlich unter dem der
meisten
Gewerkschaftsveranstaltungen. Aber die in Braunschweig
versammelte
„Gewerkschafts-Jugend“ war nicht sonderlich radikal. Es
schienen viele
Studierende unter ihnen zu sein, denen die Konferenz mal
erlaubt, an
Betriebsarbeit zu schnuppern, aber auch viele, die direkt an
einem Aufstieg in
den Apparat arbeiten.

Frappant war der
geringe Anteil an MigrantInnen auf der Konferenz. Sie sind
bekanntlich in der
Gewerkschaft umso schlechter vertreten, je höher es in die
Ränge der
FunktionärInnen geht. In Braunschweig kamen gerade mal 16
Menschen zum Workshop
über Migration. Das stand in eklatantem Gegensatz zu Bernd
Riexingers Statement
in der Podiumsdiskussion am Freitagabend, dass Streiks „heute
jünger, weiblicher
und migrantischer“ seien. Diese Aussage ist dort gültig, wo
Streiks im Handel,
bei ErzieherInnen und in ähnlichen Bereichen stattfinden. Sie
wirft aber auch
ein Licht darauf, dass genau diese KollegInnen in Braunschweig
wenig anwesend
waren, sondern vor allem die GewerkschaftssekretärInnen, die
diese Kämpfe
betreuen und organisieren.

Insgesamt war
ver.di viel besser vertreten als die IG Metall – ein Indiz
dafür, dass dort die
Spielräume größer sind.     Das    liegt    einerseits   an   deren
branchenbedingter Vielfalt
und einem relativ schwächeren Apparat, aber auch daran, dass
die IG Metall die
Schlachtschiffe des    deutschen    Groß-    und   Exportkapitals
organisiert,
insbesondere die Autoindustrie. Ihr Beitrag zu der dort
herrschenden engen
Zusammenarbeit mit dem Kapital ist es, alle eigenständigen
Bewegungen und
Initiativen zu ersticken, die die arbeitsteilige Produktion
und den Umsatz
gefährden könnten. Ja, es werden sogar störende Elemente in
Kollaboration mit
dem Management aus den Betrieben entfernt.
Pflegenotstand

Ein wichtiger
Schwerpunkt     der    Konferenz    war   die   Debatte    zum
Gesundheitswesen. Kein Wunder
fehlen nach ver.di-Angaben über 100.000 Pflegekräfte. Ver.di
hatte deswegen vor
ca. 2 Jahren eine Kampagne zur Entlastung der
Klinikbeschäftigten initiiert und
in   immerhin    13   Krankenhäusern     Tarifverträge     und
schuldenrechtliche Abkommen für
mehr Personal durchsetzen können, teilweise durch wochenlange
Durchsetzungsstreiks wie an den Unikliniken in Essen und
Düsseldorf. In den
Medien ist seitdem die Personalmisere insbesondere in den
Krankenhäusern immer
wieder Thema. Selbst die Politik musste mit diversen neuen
Gesetzen reagieren,
die vorgeben den Personalnotstand zu bekämpfen. Von daher
wurden auf der
Konferenz    diverse   Arbeitsgruppen      zur   Bilanz   der
Entlastungskampagne und wie es
damit weitergeht angeboten.

Trotz positiver
Beispiele wie Abkommen und Tarifverträge für mehr Personal
durchgesetzt werden
konnten, wurde hier versäumt intensiv darüber zu diskutieren,
welche Mittel die
Belegschaften einsetzen müssen, um die Tarifverträge auch
gegen den Willen der Klinikleitungen
in der Realität umzusetzen. Trotz eines Beschlusses des
Bundesfachbereichsvorstandes 3 (Fachbereich 3 ist in ver.di
für den
Gesundheitsbereich zuständig), die Kampagne fortzuführen und
trotz des
ernstgemeinten Appells eines linken Gewerkschaftssekretärs,
die Umsetzung des
Personalaufbaus gemeinsam mit allen Beschäftigten der 13
Krankenhäuser gegen
die Verweigerungshaltung der Klinikleitungen durchzusetzen,
wurde es versäumt
zu diskutieren, wie genau dieses gemeinsame Vorgehen gegen den
Willen des
Apparats durchgesetzt werden kann. Lag doch eine der Schwächen
der Kampagne
genau darin, dass die ver.di-Verantwortlichen die Kampagne in
keiner Phase des
Kampfes so angelegt hatten, dass die Belegschaften aller
Krankenhäuser in einen
gemeinsamen Kampf für die Durchsetzung von mehr Personal
entsprechend dem
Bedarf geführt wurden.

Eigentlich eine
gewerkschaftliche Binsenweisheit! Liegt doch die Kraft eines
bundesweit
angelegten gewerkschaftlichen Kampfes gerade darin, dass
besser organisierte
und kampffähigere Belegschaften schwächere mitziehen können
und diese durch ein
bundesweites Abkommen für mehr Personal davon profitieren
können. Immer wieder
wurde auch gemunkelt, dass der Bundesvorstand die Kampagne
gerne nur noch auf
Sparflamme hätte fortführen wollen bis sie dann zu guter Letzt
ganz aufgegeben
wird. Das konnte tatsächlich durch den Kampf der Belegschaften
der 13
Krankenhäuser durchbrochen werden. Sehr richtig wurde in den
Diskussionen von
ver.di-Seite angemerkt, dass diese Kampagne mehr ist als der
„übliche“
gewerkschaftliche Kampf um einen Tarifvertrag, diese darüber
hinausgeht und
auch eine politische Kampagne beinhaltet.

Aber anstatt
Ross und Reiter zu nennen, dass es um einen politischen Streik
geht gegen die
Privatisierungspolitik der Regierungen und gegen die
Einführung der sog. DRGs
(Fallpauschalen), die die Privatisierung erst für
Gesundheitskonzerne lukrativ
gemacht haben, verwiesen die anwesenden Gewerkschaftssekretäre
und die
Vertreter der Linkspartei auf die diversen Volksbegehren in
Hamburg, Berlin,
Bremen und Bayern, die zum Ziel haben einen verbindlichen
gesetzlichen
Personalschlüssel durchzusetzen. Egal ob im Norden oder Süden
der Republik – diese
Volksbegehren haben den großen Nachteil, dass sie einerseits
einem mehr oder
weniger komplizierten gesetzlichen Verfahren unterworfen sind,
das zum Ziel
oder auch nicht führen kann und das andererseits vollkommen
vom politischen
Willen der jeweiligen Regierungen abhängig ist.

Perspektive

Insgesamt ist
Sie können auch lesen