Demographischer Wandel und Beschäftigung - Plädoyer für neue Unternehmensstrategien - Memorandum-Initiative Neue ...

 
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Demographischer Wandel
und Beschäftigung
      Plädoyer für neue Unternehmensstrategien
      – Memorandum –
Demographischer Wandel
und Beschäftigung
      Plädoyer für neue Unternehmensstrategien
      – Memorandum –
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Arbeit und Demographie:
die Chancen nutzen

D      ie Botschaft ist angekommen: Unsere
       Gesellschaft wird älter. Die Zahl der
jungen Menschen nimmt immer mehr ab, die
                                                  wieder gut zu machen und – mehr noch – sich
                                                  an die Spitze einer Entwicklung zu setzen, die
                                                  eine neue Qualität der Arbeit zu einem
Zahl der Älteren nimmt zu, und das bei ins-       erstrangigen Wettbewerbsfaktor in der
gesamt sinkenden Bevölkerungszahlen. Auch         Weltwirtschaft macht.
die Gründe haben sich herumgesprochen:               Mit diesem Memorandum und der Kam-
sinkende Geburtenraten auf der einen Seite        pagne ›30, 40, 50plus – Gesund arbeiten bis
bei gleichzeitig steigender Lebenserwartung       ins Alter‹ will INQA deshalb dazu beitragen,
des Einzelnen auf der anderen. Die Zukunft        왘 dass Wirtschaft und Gesellschaft ein
Deutschlands wird demnach von einer im               konstruktiveres, realistisches Bild von den
Durchschnitt älteren Bevölkerung gestaltet           Fähigkeiten und Kompetenzen Älterer
werden.                                              entwickeln,
   In der Arbeitswelt ist dieser demographi-      왘 dass sie diese Fähigkeiten und Kompeten-
sche Wandel bereits Gegenwart. Zwar schätzt          zen besser einsetzen und nutzen,
man, dass erst in zehn bis zwanzig Jahren         왘 dass die betriebliche Gesundheitspolitik
dem Arbeitsmarkt nicht mehr genügend                 Kurs darauf nimmt, die Beschäftigungs-
qualifizierte Fachkräfte zur Verfügung stehen        fähigkeit der heute noch jungen Mitarbei-
könnten. Doch das Phänomen der alternden             terinnen und Mitarbeiter langfristig zu
Belegschaften ist schon jetzt sichtbar, und der      sichern
Alterungsprozess wird sich beschleunigen. Die     왘 und dass das produktive Miteinander von
Unternehmen und Betriebe müssen also                 Jüngeren und Älteren sich zu einem
schnell lernen, mit einer im Durchschnitt            Erfolgsfaktor der Unternehmen entwickelt.
älteren Belegschaft zu arbeiten und innovativ         Wir sind fest davon überzeugt, dass INQA
zu bleiben. Überdies müssen sie Wege finden,      das ideale Instrument darstellt, um den
zusätzliche Arbeitskraftpotenziale zu aktivie-    notwendigen Wandel zu ›demographiefesten‹
ren, um auch in Zukunft im internationalen        Unternehmen zu beschleunigen. INQA unter-
Wettbewerb bestehen zu können.                    breitet den Unternehmen Angebote, wie sie
   Anders als in wichtigen anderen Industrie-     Probleme erkennen und lösen und somit die
nationen haben in Deutschland Politik, Wirt-      Herausforderungen des demographischen
schaft und Sozialpartner jahrelang eine syste-    Wandels für die Arbeitswelt konstruktiv an-
matische Verjüngung der Betriebe unterstützt.     nehmen können. Wir laden Führungskräfte
Jetzt ist es hohe Zeit zum Umsteuern. Eine        und Belegschaftsvertreterinnen und -vertreter
ganze Reihe von Unternehmen hat schon die         gleichermaßen dazu ein, das auf dieser Platt-
Zeichen der Zeit erkannt und bemerkenswerte       form versammelte Know-how und Gestaltungs-
Ansätze für eine demographiegerechte              wissen für ihr Unternehmen zu nutzen und
Arbeits- und Personalpolitik entwickelt. Die      gleichzeitig durch die eigenen Erfahrungen zu
Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) will   stärken und weiter zu entwickeln.
diese Ansätze bündeln, verstärken und zu
ihrer raschen Verbreitung in Wirtschaft und
Gesellschaft beitragen. INQA ist eine gemein-
same Initiative von Bund, Ländern, Sozial-
partnern, Sozialversicherungspartnern,
Bertelsmann Stiftung, Hans Böckler Stiftung
und Unternehmen. Damit ist die Initiative
Bündnis und Netzwerk zugleich. In dieser
Konstellation, davon sind wir überzeugt, liegt
die große Chance, verlorenen Boden schnell
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Inhalt
   5   Zusammenfassung: Wie Unternehmen sich dem demographischen Wandel stellen können
   7   1. Ein Wendepunkt: die neue Sicht auf das Alter
  13   2. Die gesellschaftliche Realität: demographischer Wandel und Arbeitswelt
 17    3. Die Praxis: Konsequenzen des demographischen Wandels für Unternehmen und Arbeitswelt
 25    4. Die Partnerunternehmen der Kampagne
 30    Literatur
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Zusammenfassung

Wie Unternehmen
sich dem demographischen Wandel
stellen können

D      as vorliegende Memorandum ist Teil der
       neuen INQA-Kampagne ›Arbeit und
Demographie‹. Diese stellt sich den Fragen,
                                                     Jahre bis 2020 konzentrieren. Bis 2010, so die
                                                     Experten, wird der Anteil der Erwerbspersonen
                                                     über 40 Jahre zunehmen – und ab 2010 steigt
                                                                                                        nicht nur den Betrieb als Ganzes einer Analyse
                                                                                                        zu unterziehen, sondern jede einzelne Abtei-
                                                                                                        lung, da die Alterszusammensetzung – und
wie der demographische Wandel die Arbeits-           dann der Anteil der über 50-Jährigen stark.        damit ein etwaiger Handlungsbedarf – von
welt verändert, was die Unternehmen tun              Die Folge: Im Jahr 2020 wird mehr als jeder        Forschung und Entwicklung bis zur Produk-
können, um mit einer künftig älteren Beleg-          dritte Erwerbstätige älter als 50 sein. Erstmals   tion stark differieren kann. Ungleichgewichte,
schaft wettbewerbsfähig zu bleiben, und wie          wird es dann in den Betrieben mehr 50-             die durch die Altersstrukturanalyse festgestellt
sich Arbeits- und Gesundheitsschutz auf der          Jährige als 30-Jährige geben.                      wurden, sollten möglichst frühzeitig korrigiert
einen und betriebliche Belange auf der ande-            Zu einem Problem kann künftig auch die          werden.
ren Seite erfolgreich miteinander verbinden          komprimierte Altersstruktur vieler Betriebe           Die zweite Aufgabe, der sich die Unter-
lassen. Ihre Antworten darauf bündelt die            werden: Weil ältere Arbeitnehmerinnen und          nehmen im Rahmen des demographischen
Kampagne unter dem Motto: ›30, 40, 50plus –          Arbeitnehmer vom Personalabbau der ver-            Wandels zu stellen haben, betrifft die betrieb-
Gesund arbeiten bis ins Alter‹.                      gangenen Jahre besonders betroffen waren –         liche Gesundheitsförderung. Dazu gehören:
   Das hier vorgelegte Memorandum will in            und weil nur wenige jüngere Arbeitskräfte auf-     왘 Ergonomische Arbeitsplatzgestaltung und
der Debatte über die Zukunft der Arbeit in           grund der wirtschaftlich schwierigen Lage neu-        klassische Arbeitsschutzmaßnahmen
einer älter werdenden Gesellschaft Akzente           eingestellt wurden –, sind heute die mittleren     왘 Förderung von Gesundheit und Fitness der
setzen. Und die Schrift stellt die Partnerunter-     Altersgruppen (die Generation der ›Baby-              Mitarbeiter
nehmen der Kampagne vor: Unternehmen, die            Boomer‹) in vielen Unternehmen besonders           왘 Optimierte Arbeitsabläufe (Reduzierung von
als Pioniere vorangehen. Wie deren Beispiel          stark vertreten und machen bis zur Hälfte der         Routine, reduzierter Zeittakt)
zeigt, kommt es dabei zunächst nicht so sehr         Gesamtbelegschaft aus. Wenn diese Jahrgänge        왘 Individuelle Gestaltung der Erwerbsbio-
auf praktisches Know-how, ausgeklügelte              in den nächsten 10 bis 15 Jahren geschlossen          graphie (bei Jobs mit begrenzter Tätigkeits-
Checklisten oder ausgefeilte Arbeitsplatzmodi-       in Rente gehen werden, droht den                      dauer vorausschauende Planung eines
fikationen an. Wichtig ist vielmehr ein grund-       Unternehmen ein dramatischer und                      Wechsels in andere Jobs)
legendes Umdenken. Gemeint ist der Wechsel           schlagartiger Verlust an Erfahrungswissen, der     왘 Aufbau eines systematischen betrieblichen
vom sogenannten Defizit- zum Kompetenz-              rechtzeitig kompensiert werden muss.                  Gesundheitsmanagements
modell. Unter Experten schon seit langem un-            Die Schaffung altersgemischter Teams, die          Neben unmittelbar gesundheitsfördernden
strittig, findet diese ›Revolution in den Köpfen‹    einen systematischen Transfer vorhandener          Elementen sollen auch Arbeitsorganisation
nun auch zunehmend Eingang in unter-                 Kenntnisse und Kompetenzen an Jüngere              und Arbeitsgestaltung den besonderen Be-
nehmerisches Denken. Sie besagt, dass ältere         ermöglichen, wird damit zu einem zentralen         dürfnissen wie den besonderen Kompetenzen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht             Bestandteil künftiger Personalpolitik. Und: Die    älterer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
nur – und nicht in erster Linie – Defizite           Erhaltung der Arbeitsfähigkeit der heute 35–       Rechnung tragen. Dazu gehören etwa flexible
gegenüber Jüngeren haben, sondern dass sie           45-jährigen Arbeitnehmerinnen und                  Arbeitszeitregelungen, aber ebenso eine Lauf-
über eine Vielzahl von Fähigkeiten verfügen,         Arbeitnehmer über die nächsten 15–25 Jahre         bahngestaltung, die ein rechtzeitiges Verlassen
die in der heutigen Wirtschaftswelt von zen-         erhält unter diesem Aspekt einen ganz neuen        physisch und psychisch belastender
traler Bedeutung sind: Problemlösungskompe-          betrieblichen Stellenwert. Darüber hinaus          Tätigkeitsfelder und die Übernahme neuer
tenz aufgrund von Erfahrungswissen, größere          müssen die Unternehmen sich darauf ein-            Aufgaben ermöglicht.
Toleranz gegenüber abweichenden Meinun-              stellen, zusätzliches Erwerbspotenzial zu             Des Weiteren gilt es, gezielte Weiterbil-
gen, hohe zeitliche Flexibilität, Zuverlässigkeit,   rekrutieren (Ältere, Frauen, gesteuerte Zuwan-     dungsmöglichkeiten für alle Altersgruppen zu
realistisches Einschätzungsvermögen usw.             derung), und nicht zuletzt sind unerwünschte       erschließen, beispielsweise durch:
(Kapitel 1, S. 7 bis 11)                             Kündigungen aufgrund von hoher Fluktuation         왘 Tätigkeiten, die per se Lernanreiz schaffen
   Wie wichtig dieser Paradigmenwechsel ist,         zu vermeiden (Kapitel 3, S. 17 bis 24).               (Lernfördernde Arbeitsgestaltung)
zeigt ein Blick auf die Dynamik der demogra-            In der Praxis gilt es zunächst zu klären, ob    왘 Intergeneratives Lernen in altersgemischten
phischen Entwicklung (Kapitel 2, S. 13 bis 16).      und inwieweit ein Unternehmen überhaupt               Teams (Tandems, Patenschaften)
Im Vergleich zum Status quo beschleunigt             einen demographiebedingten Handlungs-              왘 Betriebliche Qualifizierungspläne für alle
sich die Alterung der Belegschaft in den             bedarf hat. Ein zentrales Mittel dazu ist die         Altersgruppen
nächsten vier Jahrzehnten um das Dreifache.          Altersstrukturanalyse. Von Kleinstunterneh-        왘 Weiterbildung speziell für Ältere (zum
Dieser Prozess wird sich hauptsächlich auf die       men abgesehen ist es dabei immer sinnvoll,            Beispiel zu neuen Technologien)
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왘 Betriebsinterne Weiterbildungsberatung        gaben gehören: Betriebsbindung bei den
  (Weiterbildungscoaching)                      Jüngeren erzeugen, die Arbeitsfähigkeit
  Eine entscheidende Rolle bei der Bewälti-     Älterer bis zur Rente erhalten und rechtzeitig
gung des demographischen Wandels spielen        neue Arbeitskraftpotenziale in die Rekrutie-
zudem die Unternehmenskultur und das            rungsstrategien einbeziehen. Oder mit
Verhalten der Führungskräfte. Unternehmen,      anderen Worten: Ungleichgewichten in der
die den demographischen Wandel bewältigen       betrieblichen Altersstruktur muss frühzeitig
wollen, werden künftig eine ›Renaissance des    und gezielt entgegengewirkt werden.
Stellenwertes des Menschen im Unterneh-            Thematisch gesehen deckt unser Memoran-
men‹ anstreben müssen: Es gilt ein positives    dum ein ähnliches Feld ab wie die ebenfalls
Betriebsklima zu pflegen, das von der Wert-     von INQA herausgegebene Broschüre ›Mit
schätzung aller Mitarbeiterinnen und Mit-       Erfahrung die Zukunft meistern‹. Beide
arbeiter und der Förderung des Potenzials des   werden in der INQA-Kampagne ›Arbeit und
Einzelnen geprägt ist. Vorurteile gegenüber     Demographie‹ eingesetzt. Während sich die
Älteren im Betrieb – und ebenso im übrigen      eher populär gefasste Broschüre jedoch vor
von Älteren gegenüber Jüngeren – müssen         allem an die Betriebe wendet, gedacht zur
thematisiert und gegenseitig ausgeräumt         Information von Führungskräften und inter-
werden. Das muss und kann nicht nur verbal,     essierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,
sondern ganz praktisch und erfahrbar ge-        und eine Fülle von konkreten Tipps und
schehen, zum Beispiel in Form von moderier-     Handlungsanweisungen enthält, versteht sich
ten, altersgemischten Arbeitsgruppen, in        das Memorandum als die fachliche Plattform
denen Jüngere wie Ältere gemeinsam vonein-      der Demographiekampagne. Die systema-
ander lernen und praktisch profitieren kön-     tische und fundierte Darstellung des Themas
nen.                                            referiert nicht nur die unterschiedlichen
  Gutes Führungsverhalten und gute Arbeit       Aspekte des demographischen Wandels,
von Vorgesetzten sind ein hochsignifikanter     sondern erlaubt den Leserinnen und Lesern
Faktor für eine Verbesserung der Arbeits-       durch die Quellen- und Literaturhinweise eine
fähigkeit älterer Arbeitnehmerinnen und         eigenständige Bearbeitung des Themas. Damit
Arbeitnehmer. Dazu gehören:                     schließt das Memorandum eine Lücke
왘 Realistische Einschätzung des Leistungs-      zwischen der tagesaktuellen Berichterstattung
  vermögens Älterer                             der Medien einerseits und der kaum noch
왘 Förderung des intergenerativen Dialogs        überschaubaren sozialwissenschaftlichen
  zwischen Älteren und Jüngeren                 Fachliteratur andererseits. Die Schrift wendet
왘 Kooperativer Führungsstil                     sich denn auch vorzugsweise an Multiplika-
왘 Rücksicht auf die individuelle Arbeits-       toren in Medien, Politik und Verbänden, aber
  planung Älterer                               auch an ›Demographie-Beauftragte‹ in Unter-
왘 Anerkennung der Leistung Älterer, aber        nehmen und Institutionen sowie an alle Lese-
  auch Thematisierung von Leistungsdefiziten    rinnen und Leser, für die eine umfassende Er-
  und die gemeinsame Suche nach Lösungs-        arbeitung des Themas wichtig und interessant
  wegen.                                        ist.
  Und schließlich ist eine von der Unter-
nehmensleitung geförderte, ›demographie-
gerechte‹ Personalpolitik neuen Zuschnitts
notwendig. Denn die Veränderungen, welche
der demographische Wandel evoziert, bedür-
fen professioneller Instrumente in Form einer
neudefinierten Personalarbeit. Zu ihren Auf-
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1. Ein Wendepunkt:
   die neue Sicht auf das Alter

Vom Defizit- zum Kompetenzmodell                     Auch bei uns setzt sich allmählich wieder
                                                  die Erkenntnis durch, dass Ältere nicht nur –      »Heute wird von der Hypothese eines
In den sechziger Jahren des letzten Jahrhun-      und nicht in erster Linie – Defizite gegenüber     differentiellen Alterns ausgegangen, die
derts war Älterwerden als ein Prozess des         den Jüngeren haben, sondern dass sie auch          besagt, dass sich während des Älterwerdens
Verlusts, der Abnahme, des Weniger-Werdens        über spezifische Kompetenzen verfügen, die         unterschiedliche Leistungs- und Persön-
beschrieben worden – von Kraft, Gesundheit,       für Gesellschaft und Wirtschaft unverzichtbar      lichkeitsbereiche unterschiedlich stark und
von körperlicher Attraktivität, und eben auch     sind. Das Defizitmodell, das bevorzugt auf die     in verschiedene Richtungen verändern
von Fähigkeiten, die man im Erwerbsleben          im Alter nachlassenden Funktionen und              können. «
braucht. Älteren Menschen und insbesondere        Fähigkeiten schaut, ist von wissenschaftlicher     Gunda Maintz 2003 b
älteren Beschäftigten wurden überwiegend          Seite schwer erschüttert. In der gesellschaft-
Defizite zugeschrieben – gemessen am Ideal        lichen und betrieblichen Praxis ist es aller-
der Jugend und deren Eigenschaften und            dings häufig noch präsent.                        Einflüsse während des bisherigen Berufs-
Qualitäten.                                                                                         lebens.
   Eine solche Sichtweise war möglich in einer    Die Kompetenzen und Fähigkeiten                      Demnach verbieten sich pauschalisierende
Gesellschaft, die die Jugend und Jugendlich-      älterer Arbeitnehmerinnen und                     Aussagen über ›die Älteren‹ resp. ›die Jun-
keit zum Kult erhoben hatte, in der es ge-        Arbeitnehmer                                      gen‹. Dennoch gibt es ein Muster von Eigen-
nügend junge Menschen gab (›Baby-Boomer‹)                                                           schaften und Fähigkeiten, die auf die ver-
und in der man zudem offenbar glaubte, auf-       Zahlreiche Studien haben sich aus arbeitsorga-    schiedenen Altersgruppen unterschiedlich
grund der vielen, nicht zuletzt technologischen   nisatorischer, arbeitsmedizinischer sowie aus     verteilt sind bzw. die sich im Laufe eines
Neuerungen die Innovationskraft der Jungen        psychologischer Sicht mit den Fähigkeiten         (Arbeits-)Lebens verändern.
durch nichts ersetzen zu können.                  älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer        왘 Eine Reihe von – vor allem körperlichen
   Dass auch eine andere Sicht auf das Alter      bzw. mit den Unterschieden zwischen Älteren          und sinnlichen – Fähigkeiten unterliegen
möglich ist, wusste schon der Römer Marcus        und Jüngeren befasst.                                dem, was die Fachleute den ›natürlichen
Tullius Cicero im 1. Jahrhundert vor unserer         Ihr erstes wichtiges Resümee: Alter lässt         Altersgang‹ nennen. Das heißt, sie nehmen
Zeitrechnung:                                     sich nicht länger als statischer Zustand mit         ab – wenn auch häufig nicht in dem Maß,
                                                  bestimmten, vorwiegend negativen Begleit-            wie früher oft angenommen wurde.
                                                  erscheinungen betrachten. Vielmehr kann           왘 Am wichtigsten – weil sowohl für körper-
 »Nichtssagend sind also die Reden derer,         man Älterwerden als einen dynamischen,               liche als auch für geistige Prozesse zu-
 die dem Greisenalter ein tätiges Leben           differenziert verlaufenden Wandlungsprozess          treffend – ist das Nachlassen der Geschwin-
 absprechen wollen, und es ist ungefähr so,       begreifen, in welchem im Laufe des Lebens            digkeit von körperlichen und geistigen
 wie wenn man behaupten wollte, der               Funktionen abnehmen, während sich andere             Prozessen mit dem Alter. Zu den abneh-
 Steuermann tue bei der Schifffahrt nichts.       Fähigkeiten erst entwickeln. Dieser Prozess          menden Fähigkeiten gehören weiterhin
 Freilich tut er nicht das, was die jungen        läuft bei jedem Menschen unterschiedlich ab.         Sinnesfunktionen wie die Hör- und die
 Leute tun, dafür ungleich Wichtigeres und        Fachleute sprechen vom ›differentiellen Altern‹      Sehfähigkeit.
 Besseres. Nicht durch Kraft oder körperliche     und von einer ›interindividuellen Streuung‹       왘 Die Hörfähigkeit etwa erfährt bereits im
 Behändigkeit und Schnelligkeit werden            (Maintz 2003 a+b) der mit dem Alter sich             Alter zwischen 20 und 40 Jahren erste
 große Leistungen vollbracht, sondern durch       wandelnden oder gar erst entwickelnden               Einbußen und geht danach weiter zurück.
 besonnenen Rat, das Gewicht der                  Fähigkeiten und Eigenschaften. Damit meinen          Ähnliches gilt für das Sehen: Sehkraft und
 Persönlichkeit, gereiftes Urteil: Eigen-         sie, dass die verschiedenen Leistungs- und           Sehschärfe verschlechtern sich mit den
 schaften, die im Alter nicht verlorenzu-         Persönlichkeitsbereiche jedes Menschen sich          Jahren allmählich. Die genannten Einbußen
 gehen, sondern sogar noch zuzuwachsen            im Prozess des Älterwerdens unterschiedlich          sind allerdings nicht immer nur durch das
 pflegen.«                                        stark, in verschiedene Richtungen und in             Älterwerden bedingt. Ein Beispiel sind
 Marcus Tullius Cicero (106 AC – 43 AC):          verschiedenen Zeithorizonten entwickeln              Hörverluste, die sich schon im frühen
 Cato der Ältere über das Greisenalter.           können. Eine große Rolle bei der jeweiligen          Erwachsenenalter durch Lärmbelastung
 Stuttgart 1995                                   Ausprägung dieser Eigenschaften spielen,             sowohl in der Freizeit als auch im Beruf
                                                  neben anlagebedingten Faktoren und dem               einstellen.
                                                  persönlichen Lebensstil, arbeitsbedingte          왘 Die körperlichen Kräfte und damit bis zu
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Historische Vorbilder:
Alter in früheren Gesellschaften

In früheren Gesellschaften waren ältere und alte   Griechenland. So wurden Demokrit 90, Plato            Dennoch bleibt festzuhalten, dass sich die
Menschen besser integriert, ihre Erfahrungen       80, Sokrates 70 (der noch älter geworden           Strukturen der Familie ebenso wie der Status
wurden geschätzt, ihre Weisheit geachtet. Die      wäre, wenn er nicht als ›Aufrührer der Jugend‹     der Älteren erst mit dem Übergang von der
Jugend begegnete ihnen mit Respekt. Waren sie      den Schierlingsbecher hätte trinken müssen)        vorindustriellen zur industriellen
dann wirklich alt, so konnten sie im Schoß der     und Aristoteles immerhin 62 Jahre alt. Die         Gesellschaft grundlegend verändert haben.
Großfamilie friedlich und umsorgt ihr Leben        Philosophen, die alle dem griechischen Adel        Die räumliche Trennung von Lebens- und
beschließen.                                       angehörten, wurden allgemein geachtet. Von         Arbeitsstätte, Mobilität, veränderte Lebens-
   Aussagen dieser Art hört und liest man          allen ist überliefert, dass sie stets jüngere      formen der jungen Generation und sinkende
immer wieder, wenn es um Veränderungen             Schüler um sich hatten, die sie unterrichteten     Geburtenraten haben dazu geführt, dass ein
der Stellung und des Bildes der Generationen       und mit denen gemeinsam sie ihre                   Zusammenleben mehrerer Generationen
geht. Diese Aussagen enthalten zweifellos          Gedankengebäude weiterentwickelten.                heute – zumindest in den Städten – kaum
einen wahren Kern. Sie sind aber nicht frei           Besonderer Respekt wurde – und wird bis         noch möglich ist. Und obwohl Alter in
von Ideologie – »früher war alles besser«;         heute – alten Menschen in Gesellschaften           manchen Bereichen noch immer als Vorteil
»früher ging es doch auch ohne teure Sozial-       entgegengebracht, die noch keine Schrift und       gilt (zum Beispiel in der Politik), werden
systeme, da haben sich die Familien um die         damit keine schriftliche Überlieferung kann-       ältere Beschäftigte zunehmend vorzeitig aus
Alten gekümmert« – ; und sie müssen hin-           ten. Hier begründeten ihre Erfahrungen das         dem Arbeitsleben gedrängt, auch wenn sie
sichtlich ihres Wahrheitsgehaltes differen-        Wissen und die Tradition der Gesellschaft.         durchaus noch produktiv sein könnten.
ziert betrachtet werden.
                                                   Alter in vorindustriellen
Die erste Frage lautet: Wie alt                    Gesellschaften
waren die alten Menschen, die
uns als Vorbilder im Kopf sind,                    Auch in den agrarischen Gesellschaften späte-
wirklich?                                          rer Jahrhunderte genossen die Alten Ansehen
                                                   und Respekt. Das Spektrum der in solchen
Als ältester, zumindest im westlichen Kultur-      Gesellschaften zu verrichtenden Arbeiten war
kreis bekannter, Mensch wird immer wieder          breit genug, so dass auch Ältere weiterhin
Methusalem genannt. »Methusalem, ein               wertvolle und produktive Gesellschaftsmit-
Nachfahre des Seth, Sohn des Hanok, Vater          glieder sein und darüber hinaus Aufgaben in
des Lamech und Großvater des Noah, wurde           der Familie übernehmen konnten.
969 Jahre alt.« (1. Mose 5, 21.25–27) Auch            Forscher sprechen allerdings vom ›Mythos
wenn diese Altersangabe auf einer anderen          der vorindustriellen Großfamilie‹ (Mitterauer/
Zählweise und Zeitrechnung beruht – Me-            Sieder 1977) und warnen davor, die Familien-
thusalem also nicht wirklich 969 Jahre alt         verhältnisse der alten Menschen in vorindus-
wurde – , gilt er bis heute als Inbegriff eines    trieller Zeit pauschal zu idealisieren. Die
sehr alten Menschen (vgl. zum Beispiel             große, mehrere Generationen umfassende
Schirrmacher 2004: Das Methusalem-Kom-             Familie war schon aus demographischen
plott). Die heute noch gebräuchliche,              Gründen nicht sehr weit verbreitet: Die relativ
respektvolle Bezeichnung ›ein biblisches           geringe Lebenserwartung der Älteren, späte
Alter‹ bezieht sich allerdings nicht auf           Heirat und Familiengründung bei den Jünge-
Methusalem, sondern ursprünglich auf die           ren verkürzten die Zeit, in der tatsächlich drei
achtzig Jahre, die im 90. Psalm als die            (oder mehr) Generationen zusammenleben
maximale Lebenszeit eines Menschen                 konnten. Zudem gab es regionale Unterschie-
genannt werden – und die jetzt sogar die           de. Und schließlich war auch das Zusammen-
durchschnittliche Lebenserwartung sind             leben in der Großfamilie – zumal in ärmeren
(siehe dazu Kap. 2).                               ländlichen Gegenden – nicht frei von Konflik-
   Ein beachtliches Alter erreichten auch          ten und materiellen Einschränkungen (vgl.
manche Philosophen im klassischen                  auch Ehmer / Gutschner 2000).
9

  einem gewissen Grad die körperliche Aus-       Abbildung 1
  dauer und Belastbarkeit der Beschäftigten
  nehmen ebenfalls schon im dritten, beson-      Ältere sind oft besser in der Lage,
  ders stark dann im fünften Lebensjahrzehnt
  ab.                                            쐽 komplexe Aufgaben zu lösen
왘 An vielen der heutigen Arbeitsplätze ist die   쐽 offen für alternative Lösungen zu sein (weniger Eigenbetroffenheit, stärkere
  Körperkraft jedoch nicht entscheidend oder       Toleranz)
  kann durch entsprechende Arbeitsgestal-        쐽 zeitlich flexibler zu sein (kinderfrei)
  tung kompensiert werden. Ebenso lassen         쐽 Entscheidungsprozesse und Handlungen zu optimieren
  sich nachlassende Hör- und Sehfähigkeit        쐽 eigene Möglichkeiten und Grenzen zu erkennen
  korrigieren.                                   쐽 betriebsspezifische Erfahrungen einzubringen
왘 Dem gegenüber stehen Fähigkeiten, die          쐽 die subjektiven Faktoren realistischer zu beurteilen
  mit dem Alter zunehmen bzw. sich über-                                                                                         Ältere Ebert 0304
  haupt erst entwickeln. Häufig sind das                                                                              maintz.gunda@baua.bund.de
  Fähigkeiten und Kompetenzen, die mit
  Erfahrungen zu tun haben – Erfahrungen,
  die die Beschäftigten in ihrem beruflichen     Abbildung 2                  Vergleich der Eigenschaften/Leistungsparameter
  wie in ihrem privaten / persönlichen Leben                                  von Jüngeren versus Älteren 2002
  gemacht haben. Dazu gehören etwa Fähig-
  keiten wie komplexe Aufgaben zu lösen,
                                                        Erfahrungswissen 3                              44                                       53
  offen für alternative Lösungen zu sein oder
  auch größere Toleranz sowohl gegenüber
  abweichenden Meinungen als auch                 Arbeitsmoral, -disziplin 4                                           66                        30
  gegenüber anderen Menschen zu zeigen.
  Ältere sind oft zeitlich flexibler (wenn die      Qualitätsbewusstsein 4                                                  70                   26
  Kinder erwachsen sind), sie können
  betriebsspezifische Erfahrungen einbringen,                    Loyalität 4                                                          79         17
  dadurch Arbeitsabläufe und Entschei-
  dungsprozesse optimieren helfen und auch                  Teamfähigkeit         11                                                       82     7
  die eigenen Möglichkeiten und Grenzen
                                                 Psychische Belastbarkeit         12                                                  75         13
  (und die ihres Teams) besser einschätzen.
  Außerdem verfügen Ältere häufig – zu-
  mindest in Bezug auf ihren Arbeitsbereich –       Theoretisches Wissen           13                                               71           16
  über gute Ausdrucksfähigkeiten und damit
                                                               Kreativität              18                                                 75     7
  kommunikative Kompetenzen.
왘 Schließlich gibt es auch eine ganze Reihe
                                                               Flexibilität             19                                                 73     8
  von Arbeitsfähigkeiten, die über die Jahre
  konstant bleiben – sofern keine extreme
                                                         Lernbereitschaft                    22                                             73 5
  Überforderung und damit vorzeitige Ab-
  nutzung vorliegt. Dazu zählen im Wesent-
  lichen alle Fähigkeiten, die man braucht,      Körperliche Belastbarkeit                        30                                       64 6
  um sich normalen physischen und psychi-
                                                            Lernfähigkeit                          32                                           65 3
  schen Anforderungen anzupassen und die
  während eines Arbeitstages erforderten
  Leistungen zu erbringen (Konzentrations-                                       eher bei Jüngeren      kein Unterschied         eher bei Älteren
  fähigkeit, Anwendung von erworbenem                                                                              Quelle: IAB-Betriebspanel 2002
  Wissen, verbale Fähigkeiten; siehe Abb. 1)
10

  Abbildung 3                    Wichtigkeit einzelner Eigenschaften/Leistungsparameter
                                 für die Arbeitsplätze in Betrieben 2002

     Arbeitsmoral, -disziplin                                                                     137

      Qualitätsbewusstsein                                                                     132         Damit schätzten sie Eigenschaften, die eher
                                                                                                           den Älteren zugeschrieben werden, vor
                  Flexibilität                                                              127            den ›modernen‹ Tugenden wie Flexibilität
                                                                                                           (Rang 3), Teamfähigkeit (Rang 8) und Krea-
          Erfahrungswissen                                                               125               tivität (Rang 12) (siehe Abb. 3).
                                                                                                           Letzteres deckt sich wiederum mit Ergeb-
                    Loyalität                                                           123             nissen anderer Studien zum Kompetenz-
                                                                                                        modell, die ebenfalls gezeigt haben, »dass in
            Lernbereitschaft                                                           121              der modernen Arbeitswelt gerade solche
                                                                                                        Faktoren gefragt sind, die bei Älteren besser
               Lernfähigkeit                                                          120               ausgeprägt sind« (Maintz 2004 b). Hoch im
                                                                                                        Kurs stehen kommunikative Fähigkeiten,
              Teamfähigkeit                                                           119               Lebens- und Arbeitserfahrung oder die Fähig-
                                                                                                        keit, komplexe Sachverhalte zu überblicken
   Psychische Belastbarkeit                                                    108                      und entsprechende Aufgaben einer Lösung
                                                                                                        zuzuführen.
      Theoretisches Wissen                                                     107                         Man spricht den älteren Arbeitnehmerinnen
                                                                                                        und Arbeitnehmern mehr Gelassenheit,
  Körperliche Belastbarkeit                                                  104                        Zuverlässigkeit, realistisches Einschätzungs-
                                                                                                        vermögen, Krisenbeständigkeit etc. zu. Mit
                  Kreativität                        102                    102                         zunehmendem Alter verschieben sich die
                                                                                                        Kompetenzen also tendenziell von der dynami-
                                 0                     50                      100       Prozent        schen zur eher beständigen Seite. Dem stehen
                                                                                                        die Fähigkeiten der Jüngeren wie Flexibilität,
  sehr wichtig = 150 Prozent, wichtig = 100 Prozent, weniger wichtig = 50 Prozent                       Aufgeschlossenheit, Dynamik und Zu-
  Das bedeutet: Je höher der Durchschnittswert, desto wichtiger die Eigenschaft (Leistungs-             kunftsorientiertheit gegenüber. Als gesichert
  parameter).                                                                                           kann gelten, dass die Betriebe mit den dyna-
                                                                       Quelle: IAB-Betriebspanel 2002
                                                                                                        mischen Eigenschaften der Jungen alleine
                                                                                                        nicht bestehen können, sondern dass sie dazu
   Mit den genannten Befunden korrespon-               Älteren keinen sehr großen Vorsprung zu          gerade auch die Qualitäten und Kompetenzen
dieren Ergebnisse von Befragungen in den               haben scheinen. Hinsichtlich der ›psy-           erfahrener, älterer Mitarbeiterinnen und
Betrieben selbst. So hat das Institut für Arbeits-     chischen Belastbarkeit‹ wurden die älteren       Mitarbeiter brauchen.
markt- und Berufsforschung Interviews mit              Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegenüber          Doch trotz der überwiegend positiven Ein-
Arbeitgebervertretern und Personalverantwort-          den jüngeren sogar etwas positiver               schätzung der Kompetenzen älterer Beschäf-
lichen in 16.000 Betrieben durchgeführt und            eingeschätzt (siehe Abb. 2).                     tigter und deren Wertschätzung sieht die
dabei gefragt, welche Kompetenzen eher älte-         왘 Besonders auffällig aber ist, dass gerade        Praxis in den Betrieben leider häufig (noch)
ren oder eher jüngeren Beschäftigten zuge-             jene Eigenschaften, die von den Arbeit-          anders aus. Hier herrschen oft noch über-
sprochen werden (IAB-Betriebspanel 2002).              geberseite eher den älteren Beschäftigten        kommene Ansichten über die mangelnde
   Die Ergebnisse der Befragung bestätigen             zugesprochen wurden, an anderer Stelle als       Leistungsfähigkeit älterer Arbeitnehmerinnen
teilweise das Erwartete (Jüngere besser hin-           besonders wichtig erachtet wurden: Gefragt       und Arbeitnehmer vor – oder sie werden dazu
sichtlich körperlicher Belastbarkeit, Lernfähig-       danach, welche Qualitäten sie grundsätzlich      benutzt, um keine Älteren einzustellen oder
keit usw.). Teilweise sind sie aber auch über-         als sehr wichtig für den Betrieb einschätzen,    die Belegschaften aus ›Rationalisierungs-
raschend:                                              nannten die Arbeitgebervertreterinnen und -      gründen‹ zu verjüngen. Erst vergleichsweise
왘 Überraschend ist zum einen, dass die Jün-            vertreter mehrheitlich eher klassische           wenige Betriebe mit einem Anspruch an eine
   geren aus Sicht der Betriebe bei Eigenschaf-        Arbeitstugenden wie Arbeitsmoral und             nachhaltige Personalpolitik setzen auf den
   ten wie Teamfähigkeit so gut wie keinen, bei        -disziplin (Rang 1), Qualitätsbewusstsein        gezielten Mix aus älteren und jüngeren
   Kreativität und Flexibilität gegenüber den          (Rang 2) sowie Erfahrungswissen (Rang 4).        Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die mit
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                                                   Forever young
                                                   Die zeitgenössische Sicht auf Jugend und Alter

ihrem umfassenden Kompetenzbündel im
Team besonders erfolgreich arbeiten können.        T    rau keinem über 30«. Dieser Satz war
                                                        ursprünglich ein kulturkritischer Aus-
                                                   spruch der Studentenbewegung gegen das
                                                                                                    Tabu. Dahinter steht die Angst vor dem
                                                                                                    Verlust der eigenen Attraktivität und Fitness,
                                                                                                    der daran gekoppelten gesellschaftlichen
Woher kommt die neue Sichtweise?                   sogenannte Establishment. Er richtete sich       Anerkennung, die Angst vor dem eigenen
                                                   gegen die als zu satt und angepasst empfun-      Verfall und letztlich vor dem Tod. »Kein
Der beschriebene Paradigmenwechsel mit der         dene Elterngeneration und gegen autoritäre       Mensch wird gerne alt.« (Schirrmacher
neuen Sicht auf das Alter entwickelt sich          Strukturen. Die 68er-Generation, die dieses      2004)
natürlich nicht losgelöst von gesellschaftlichen   Motto prägte, ist inzwischen auch älter             Indes: Angesichts der nicht mehr über-
Prozessen. Hintergrund ist der tief greifende      geworden; viele ihrer Protagonisten sitzen in    sehbaren demographischen Veränderungen
demographische Wandel in unserer Gesell-           Amt und Würden und sind selbst etabliert.        lässt sich auch die Werbung langsam auf
schaft, mit seinen – prognostizierten bzw.            Die 68er-Studentenbewegung war Teil der       Ältere als neue, kaufkraftstarke Zielgruppe
teilweise schon sichtbaren – Folgen für Wirt-      Generation der ›Baby-Boomer‹, der gebur-         ein. Dabei fällt auf: Werbung / Marketing, die
schaft, Kultur, die Sozialsysteme und eben den     tenstarken Jahrgänge, die in den ersten bei-     gezielt Ältere, die ›jungen Alten‹ (50plus)
Arbeitsmarkt und die Betriebe. Angesichts          den Jahrzehnten nach dem Zweiten Welt-           ansprechen, betonen häufig deren Jugend-
einer älter werdenden Gesellschaft und damit       krieg auf die Welt kamen. Nicht alle ihre        lichkeit (›gut gehalten‹), verkaufen Fitness-
eines älter werdenden Erwerbspersonen-             Angehörigen waren Teil der kritischen            geräte und Anti-Aging-Produkte. Das heißt,
potenzials werden wir es uns in Zukunft nicht      Jugend- und Studentenbewegungen, aber sie        sie brechen das Tabu des Alters nicht wirk-
mehr leisten können, in den Betrieben allein       haben – ausgehend von den USA – Kultur           lich, sie schieben das Alter nur hinaus.
auf die Dynamik und Tatkraft junger Mit-           und Lebensstil in vielen westlichen Ländern
arbeiterinnen und Mitarbeiter zu setzen und        nachhaltig verändert. Dazu gehören etwa:         Der Traum von der Unsterblichkeit
gleichzeitig auf die Kompetenzen und Erfah-        Musik (Pop & Rock), Mode, aber auch ver-
rungen der Älteren zu verzichten. Und außer-       änderte Lebensformen und Beziehungs-             Darüber hinaus nähren die Medien gelegent-
dem werden unsere Sozial- und Rentensyste-         muster bis hin zur ›sexuellen Revolution‹.       lich neue Träume von Unsterblichkeit: Mit
me die wachsende Anzahl älterer Menschen              Neben diesen innovativen, teilweise           Hilfe der Gentechnik und der modernen
auf Dauer nur verkraften können, wenn diese        kritischen Momenten lösten die ›Baby             Medizin sollen die Menschen immer älter
länger als bisher ›in Lohn und Brot‹, das heißt    Boomer‹ aber auch handfeste materielle           werden (und dabei gesund bleiben); bald soll
in Beschäftigung bleiben können.                   Impulse aus. »Ihre Masse«, so der Publizist      es möglich sein, die ›biologische Uhr‹ anzu-
   Zu den gesellschaftlichen und wirtschaft-       Frank Schirrmacher (2004), »schuf eine           halten.
lichen Fakten, die hinter der Diskussion um        Kaufkraft, wie sie noch niemals zuvor in            Und wie sähen unsere Gesellschaft und
den demographischen Wandel stehen, er-             den Händen einer Jugend lag«. Allein ihre        ihre Mitglieder dann aus: ›Alt wie Methu-
fahren Sie mehr im folgenden Kapitel 2. An         Masse, und die Masse des Geldes, über das        salem‹ oder doch ›forever young‹?
dieser Stelle soll nur noch einmal darauf          sie verfügten, machte sie zur wichtigsten
hingewiesen werden, dass wir auch selbst – als     Zielguppe der Wirtschaft / der ›Konsum-
Gesellschaft und als Individuen – unser Bild       gesellschaft‹. Das, was heute gelegentlich als
vom Alter werden überprüfen und korrigieren        ›Jugendwahn‹ beschrieben wird, wäre
müssen, wenn wir in der veränderten, älteren       demnach auch ein ›Kaufkraftphänomen‹
Gesellschaft zurecht kommen wollen. Oder,          (Schirrmacher).
um mit dem Publizisten Frank Schirrmacher
(2004) zu sprechen, »wir müssen ... eine           Alter als Tabu
spektakuläre Kulturwende einleiten« und den
immer noch dominierenden »negativen                Aber schon die Tatsache, dass sich dieser
Altersvorstellungen« mit aller Entschiedenheit     ›Wahn‹, das alles dominierende Ideal der
und im eigenen Interesse entgegentreten.           Jugendlichkeit so hartnäckig hält – auch
                                                   wenn die ›Baby Boomer‹ inzwischen älter
                                                   geworden sind – lässt vermuten, dass noch
                                                   andere Motive dahinter stehen: Altern war
                                                   und ist in unserer Gesellschaft fast schon ein
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2. Die gesellschaftliche Realität:
   demographischer Wandel
   und Arbeitswelt

Demographischer Wandel:                               zu Kaisers Zeiten also auch schon Demogra-        Form und geriet ins Ungleichgewicht – und
Was ist das?                                          phie; von demographischem Wandel konnte           das gleich mehrfach. Besonders gravierend
                                                      damals allerdings keine Rede sein. Im Gegen-      waren die Veränderung am Fundament der
Für den Namen Demographie standen die alten           teil: Die demographische Struktur der Bevölke-    Pyramide: Es schmolz geradezu dahin. Der
Griechen Pate: ›Demos‹ heißt im Altgriechi-           rung war zumindest in einem wichtigen Punkt       Grund: Die Zahl der Geburten sank rapide.
schen Volk und ›graphein‹ steht für schreiben.        durchweg konstant: Stets übertraf die Zahl der    Während etwa im ›Baby-Boom‹ der 1960er
Demographie ist also ›Volksschreibung‹ – oder         Geburten die der Todesfälle, und sehr alte        Jahre die durchschnittliche Geburtenrate je
mit den Worten der Wissenschaft ausgedrückt:          Menschen gab es nur wenige. Optisch               Frau einen Höchststand von 2,5 Kindern er-
statistisch fundierte Bevölkerungslehre.              betrachtet ähnelte der Altersaufbau der Gesell-   reichte, sank sie bereits im folgenden Jahr-
   Im weiteren Sinne versteht man darunter            schaft daher in etwa einer Pyramide. Die hohe     zehnt deutlich ab und hat sich inzwischen bei
eine Teildisziplin der Sozialwissenschaft,            Zahl der Kinder und Jugendlichen bildete den      1,4 Kindern eingependelt. Umgekehrt wurde
deren Erkenntnisobjekt das Werden, Leben              breiten Sockel, die wenigen ›Methusaleme‹ die     die Spitze der Pyramide immer üppiger – eine
und Vergehen menschlicher Bevölkerung ist –           dünne Spitze der Pyramide, und dazwischen         Entwicklung, die sich freilich schon länger
allerdings nicht aus philosophischer, sondern         lagen die mittleren Jahrgänge.                    abzeichnete. Der Grund ist die steigende
aus statistischer Perspektive. Kurzum: Die               Diese demographische Struktur, die als         Lebenserwartung des Einzelnen: Infolge der
Demographie interessiert an der Bevölkerung           ›Alterspyramide‹ in den allgemeinen Sprach-       Fortschritte in Gesundheitswesen, Hygiene,
alles, was sich in Zahlen erfassen und messen         gebrauch einging, erwies sich als ungeheuer       Ernährung sowie des allgemein gestiegenen
lässt. Zu wichtigen demographischen Faktoren          beständig: Sie überdauerte nicht nur Monar-       Wohlstands und der Verbesserung der Lebens-
gehören die Geburtenrate, die Sterberate und          chie, Weimarer Republik und die Nazidiktatur,     bedingungen nahm die Lebenserwartung in
das Migrationsverhalten der Bevölkerung.              sondern reichte auch noch bis weit in die         den letzten hundert Jahren kontinuierlich zu.
   Die demographischen Daten, die hierzu-             Bonner Demokratie.                                   Auch heute bröckelt die Pyramide weiter
lande das Statistische Bundesamt regelmäßig              Erst Anfang der 1970er Jahre begann dann       und entwickelt sich optisch immer mehr in
ermittelt und veröffentlicht, wurden in               das, was man heute demographischen Wandel         Richtung ›Pilz‹. Anders gesagt: Die Bevölke-
Deutschland erstmals 1871 erfasst. So gab es          nennt: Die Pyramide verlor ihre klassische        rung schrumpft zahlenmäßig – und der Anteil

  Abbildung 4            Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland ...

                                         Alter in Jahren                                                                Alter in Jahren
  ... am 31.12.1910                                                              ... am 31.12.2001
                                                                                 und am 31.12.2050

                      Männer                    Frauen                                     Männer                                         Frauen

                                                                                    31.12.2001                                              31.12.2001

                                                                       Tausend Personen

                                                                                                             Quelle: Statistisches Bundesamt 2003-15-0220
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jüngerer Menschen an der Gesellschaft wird        unter 80 Millionen liegen und dann bis zum                          legt – bis 2030 auf 71 und bis zum Jahr 2050
immer geringer, während die Zahl der alten        Jahr 2050 auf gut 75 Millionen Einwohner                            sukzessive auf 78 ansteigen.
und immer älteren Menschen stets zunimmt.         sinken.1
Dieses Phänomen meint, wer heute vom de-             Wie schon seit 30 Jahren, so werden auch in                      Arbeitswelt und Altersstruktur
mographischen Wandel spricht (siehe Abb. 4).      den nächsten Jahrzehnten in der deutschen
                                                  Bevölkerung jährlich mehr Menschen sterben                          Wie wirkt sich diese Entwicklung nun auf
Der demographische Wandel in der                  als zur Welt kommen. Die heutige jährliche                          Arbeitswelt und Arbeitsmarkt aus? Was das
Forschung                                         Geburtenzahl von ca. 730.000 Babys wird auf                         Erwerbspersonenpotenzial betrifft, so gehen
                                                  etwa 560.000 im Jahr 2050 sinken und dann                           die Prognosen des Statistischen Bundesamtes
Zum Thema des sich abzeichnenden demo-            nur noch halb so hoch sein wie die Zahl der                         davon aus, dass dieses kaum vor dem Jahr
graphischen Wandels und seiner Folgen für         jährlich Gestorbenen. Bis 1997 konnte dieses                        2015, sondern eher erst ab 2020 unter das
Unternehmen und Wirtschaft liegen bereits         ›Geburtendefizit‹ rein zahlenmäßig durch                            derzeitige Niveau von rund 40 Millionen
seit 15 Jahren Forschungsergebnisse vor. 1989     Zuwanderung ausgeglichen werden. Seither                            sinken wird. In diesem Zeitraum wird es also
hatte das Bundesministerium für Bildung und       sinkt die Bevölkerungs-Gesamtzahl in                                noch nicht zu einem Rückgang des Arbeits-
Forschung (BMBF) den Arbeitsschwerpunkt           Deutschland ab und wird sich – wie gezeigt –                        kräfteangebots auf breiter Front kommen. –
›Demographischer Wandel‹ eingerichtet. Über       nach allen Prognosen auch weiterhin rück-                           Allerdings sind die Auswirkungen des demo-
das Rahmenkonzept ›Innovative Arbeits-            läufig entwickeln.                                                  graphischen Wandels auch branchenabhängig,
gestaltung – Zukunft der Arbeit‹ wurden in           Das niedrige Geburtenniveau auf der einen                        da einzelne Branchen sowohl unterschiedliche
den letzten fünf Jahren die Weichen zu einer      und die gestiegene Lebenserwartung auf der                          Altersstrukturen mit teilweise sehr ausge-
deutlichen Lösungsorientierung gestellt. Mit      anderen Seite haben nun erhebliche Auswirkun-                       prägten Kohorten aufweisen und sich außer-
dem Transferverbund ›Öffentlichkeits- und         gen auf die Altersstruktur der Bevölkerung:                         dem hinsichtlich der Belastung der Arbeits-
Marketingstrategie demographischer Wandel‹        Die jüngeren Altersjahrgänge (bis etwa zum                          fähigkeit des Einzelnen und damit dem Alter
wurden betriebliche und überbetriebliche          50. Lebensjahr) werden generell schwächer                           des Arbeitsausscheidens erheblich unter-
Ansätze zur Bewältigung des demographi-           besetzt sein als die älteren. Der Anteil der                        scheiden (Beispiel: Fluglotsen, Dachdecker).
schen Wandels bis hin zu Handlungshilfen          unter 20-Jährigen wird von heute 20 Prozent                            Ab 2020 wird es jedoch zu einem Rückgang
entwickelt (www.demotrans.de; Buck/Schletz        der Bevölkerung auf 16 Prozent im Jahr 2050                         des Erwerbspersonenpotenzials kommen – der
2002).                                            zurückgehen. Der Anteil der mindestens                              auch durch Zuwanderung nur begrenzt
                                                  60-Jährigen wird dann mit 37 Prozent mehr                           abgemildert wird: Selbst wenn man weiterhin
Zahlen & Fakten zum                               als doppelt so groß sein. Und ganze 12 Prozent                      von einer jährlichen Zuwanderung von
demographischen Wandel                            der Bevölkerung werden im Jahr 2050                                 200.000 Personen (mit günstiger Erwerbs-
                                                  80 Jahre oder älter sein (gegenüber knapp                           biographie und guten Qualifikationen)
Die neuesten Zahlen zum demographischen           4 Prozent im Jahr 2001).                                            ausgeht, wird das Arbeitskräftepotenzial bis
Wandel stammen aus dem Jahr 2003, aus der            Die zu erwartenden Verschiebungen im                             2050 nach den Prognosen der Statistiker auf
›10. koordinierten Bevölkerungsvorausberech-      Altersaufbau zeigen sich besonders stark beim                       30 Millionen Personen sinken (ohne Zuwan-
nung› des Statistischen Bundesamtes. Sie          sogenannten Altersquotienten, der beschreibt,                       derung allerdings auf 24 Millionen).
prognostiziert die Bevölkerungsentwicklung        wie viele Menschen im Rentenalter (60 und                              Erheblich früher wird sich eine andere
bis zum Jahr 2005 und bestätigt die oben          älter) auf 100 Erwerbspersonen (Alter von 20                        Entwicklung auswirken. Die Rede ist von der
bereits angeführte Tendenz: Die Bevölkerung       bis 59 Jahren) kommen. Lag dieser Quotient                          Alterung der erwerbstätigen Bevölkerung und
in unserer Gesellschaft wird weniger und älter.   im Jahr 2001 noch bei 44, so wird er – sofern                       damit der Betriebsbelegschaften. Dieser
   Was die Einwohnerzahl Deutschlands             man weiterhin das heutige durchschnittliche                         Prozess ist bereits in vollem Gange. Er wird
betrifft, kommen die Statistiker zu folgenden     Rentenzugangsalter von 60 Jahren zugrunde                           sich in Zukunft beschleunigt fortsetzen und
Prognosen: Von aktuell 82,5 Millionen Ein-                                                                            sich hauptsächlich auf die Jahre bis 2020
                                                  1 Diese Zahlen beziehen sich auf die ›mittlere‹ von insgesamt
wohnern wird die Bevölkerungszahl nach              drei Varianten, welche die Statistiker kalkuliert haben. Dieser   konzentrieren. Bis 2010, so die Experten, wird
einem geringen Anstieg auf 83 Millionen             Prognose liegen folgende Annahmen zugrunde: Konstante             der Anteil der Erwerbspersonen über 40 Jahre
                                                    Geburtenhäufigkeit von durchschnittlich 1,4 Kindern pro Frau;
ab dem Jahr 2013 zurückgehen, zehn Jahre            Erhöhung der Lebenserwartung (bei Geburt bis zum Jahr 2050)       zunehmen – und danach steigt dann der
                                                    für Jungen auf 81,1 Jahre und für Mädchen auf 86,6 Jahre und
später (2023) wieder annähernd auf dem                                                                                Anteil der über 50-Jährigen stark an. Im Jahr
                                                    ein jährlicher positiver Wanderungssaldo von rund 200.000
heutigen Stand sein, 2035 erstmals knapp            Personen (Quelle: Statistisches Bundesamt 2003)                   2020 wird mehr als jeder dritte Erwerbstätige
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                                                    Abbildung 5                  Anteil der Erwerbstätigen unter den 55- bis 64-Jährigen
                                                                                 im internationalen Vergleich

                                                                   Schweden                                                   68,3

                                                                     Schweiz                                               64,8
älter als 50 sein. Erstmals wird es dann in den
Betrieben mehr 50-Jährige als 30-Jährige                               Japan                                           61,6
geben.
   Der Alterungsprozess, um den es hier geht,                            USA                                          59,5
lässt sich gut mit dem Bild der ›wandernden                                                                         57,3
                                                                   Dänemark
Kohorten‹ beschreiben: Die ursprünglich
größte mittlere Altersgruppe der 35- bis 49-                 Großbritannien                                    53,3
Jährigen, die heute mit fast 20 Millionen
                                                                      Kanada                                 50,4
Menschen knapp 40 Prozent der Bevölkerung
im Erwerbsalter stellt, wird bereits in den                       Niederlande                         41,8
nächsten Jahren deutlich abnehmen. Ab 2010
steigt dann der Anteil der über 50-Jährigen                          Spanien                       39,7
stark an.
                                                                Deutschland                        38,4
   Der Grund für diese Entwicklung liegt
darin, dass die geburtenstarken Jahrgänge, die                     Frankreich                  34,2
so genannten Baby-Boomer, älter werden.
Diese Kohorten der heute ca. 35- bis 49-Jähri-                         Italien             28,9                                            Quelle: OECD
gen werden in den nächsten beiden Jahrzehn-                                                                           abgedruckt in: DER SPIEGEL 17/2004
ten zwangsläufig in die Gruppe der ›Älteren‹
hineinaltern. Auch deshalb tun die Unter-
nehmen gut daran, den demographischen             zent. Die Erwerbslosenquote Älterer ist durch-      schen. Ähnlich wie Deutschland schneiden
Wandel möglichst umgehend in ihrer Perso-         gängig höher als im Bevölkerungsdurch-              Frankreich (34,2 Prozent) und Italien (28,9
nalstrategie zu berücksichtigen.                  schnitt.                                            Prozent) ab. Im Schnitt liegen die anderen
                                                     Erinnern wir uns an die Prognosen, wonach        Industrieländer rund zehn Prozent über den
Status quo: Erwerbsquote und                      die Zahl der Bevölkerung im erwerbsfähigen          deutschen Werten. Unser Land belegt damit
Arbeitslosigkeit Älterer                          Alter ab etwa 2020 zurückgehen wird: Wirt-          einen unteren Mittelplatz in der Statistik
                                                  schaft und Unternehmen werden gut daran             (Quelle: OECD 2003; siehe Abb. 5).
Die Tatsache, dass das Durchschnittalter der      tun, das vorhandene Erwerbspersonenpoten-              Einer der hauptsächlichen Gründe für das
Erwerbstätigen bereits seit Jahren steigt, be-    zial der Älteren – wie im übrigen auch das der      ungünstige Abschneiden Deutschlands ist
deutet jedoch nun keineswegs, dass alle poten-    Frauen, deren Erwerbsbeteiligung in Deutsch-        politischer Natur. Während man sich in ande-
ziellen älteren Erwerbstätigen auch tatsächlich   land immer noch unter dem Durchschnitt              ren Nationen sehr früh Gedanken machte, wie
beschäftigt sind. Eher das Gegenteil ist der      anderer westlicher Länder liegt – besser aus-       man die Arbeitsfähigkeit Älterer erhalten und
Fall: Nach den Zahlen des Mikrozensus von         zuschöpfen.                                         durch gezielte Maßnahmen für deren Verbleib
2001 (der letzte, für den eine nach Alter                                                             im Betrieb sorgen konnte, betrieb man hier-
differenzierte Auswertung vorliegt) war nur       Deutschland im internationalen                      zulande gleich mehrfach eine Politik der
ein gutes Drittel der 55- bis 64-Jährigen hier-   Vergleich                                           frühen ›Externalisierung‹, d.h. vor allem der
zulande noch erwerbstätig (Koller u.a. 2003).                                                         frühen Verrentung älterer Arbeitnehmerinnen
Besonders wenige Erwerbstätige gab es in der      Wie ein Vergleich mit anderen Ländern zeigt,        und Arbeitnehmer.
Gruppe der über 60-Jährigen, von denen viele      ist die geringe Erwerbsquote und die hohe              Inzwischen ist diese deutsche Praxis an ihre
– vor allem Frauen – bereits regulär verrentet    Arbeitslosigkeit Älterer keineswegs durch-          Grenzen gestoßen. Die Weichen für Verän-
sind bzw. über Vorruhestandsregelungen oder       gängig ein internationales Phänomen. Wäh-           derungen sind gestellt. Ein frühes Entlassen
auch über Arbeitslosigkeit aus dem Erwerbs-       rend der Anteil der Erwerbstätigen unter den        der Beschäftigten in die Rente ist immer weni-
leben ausgeschieden sind. Dagegen waren           55- bis 64-Jährigen in Deutschland im Jahr          ger finanzierbar. Außerdem hat man erkannt,
unter den 55- bis 60-jährigen Männern 68,5        2003 bei 38,4 Prozent liegt, beschäftigen           dass der Volkswirtschaft durch diese Praxis
(alte Bundesländer) bzw. 59,7 Prozent (neue       Schweden (68,3 Prozent), die Schweiz (64,8          enorme finanzielle Schäden entstehen: zum
Bundesländer und Ost-Berlin) erwerbstätig,        Prozent), Japan (61,6) und die USA (59,5)           einen durch den Ausfall von Steuern und
bei den Frauen waren es 48,5 resp. 48,6 Pro-      einen erheblich größeren Teil älterer Men-          Beiträgen zur Sozialversicherung und zum
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anderen durch die Verschwendung von                nötig, der eine bewusste Gestaltung von          auf ein Arbeitsleben – wörtlich genommen
Humankapital: Wenn ein Teil des vorhande-          neuen, verlängerten Erwerbsbiographien er-       werden.
nen Produktionsfaktors Arbeit nicht genutzt        möglicht (siehe Kapitel 3).
wird, bedeutet dies aus volkswirtschaftlicher                                                       Bedürfnisse einer älter werdenden
Sicht Verluste an Wertschöpfung in Milliar-        Die Auswirkungen                                 Gesellschaft
denhöhe.                                           auf die Unternehmen
                                                                                                    Schließlich spricht noch ein weiterer Aspekt
Erwerbsbiographie: »Ranklotzen                     Weil ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeit-        für die Beschäftigung Älterer: Nicht nur die
bis 55 und dann tschüss«                           nehmer vom Personalabbau der vergangenen         Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
                                                   Jahre besonders betroffen waren – und weil       sondern auch die Konsumentinnen und
Die deutsche Praxis der Frühverrentung –           nur wenige Jüngere aufgrund der wirtschaftlich   Konsumenten werden älter. Damit verändern
gesellschaftlich lange Zeit nicht nur toleriert,   schwierigen Lage neu eingestellt wurden –,       sich deren Anforderungen an Produkte wie an
sondern durchaus positiv besetzt – hatte in        sind heute die mittleren Altersgruppen (Baby-    Dienstleistungen und Beratung. Produkte
vielen Betrieben problematische Folgen. Die        Boomer) in den Unternehmen besonders stark       müssen diversifiziert und auf die Bedürfnisse
Notwendigkeit, Arbeitsplätze und betriebliche      vertreten und machen bis zur Hälfte der          älterer Menschen abgestimmt werden. Und:
Karrieren so zu gestalten, dass sie bis zum        Gesamtbelegschaft aus. Betriebe mit einer        Ältere möchten gerne von Älteren bedient und
Erreichen der Altersgrenze reichten, schien        solchen ›komprimierten Altersstruktur‹ (Buck     beraten werden: »Es klappt nicht, wenn eine
ebenso zu entfallen wie die Weiterbildung          u.a. 2002: 51) sind in vielen Branchen anzu-     21-Jährige im Stilbereich Gelsenkirchener
älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.        treffen. Das Problem für die Unternehmen         Barock beraten und verkaufen soll.« (Reinhold
Und obwohl durchaus nicht sicher ist, dass         besteht nun darin, dass diese Jahrgänge ge-      Gütebier, Vertriebsleiter des bayerischen
ältere Beschäftigte immer freiwillig aus dem       meinsam, sozusagen ›en bloc‹, altern und in      Möbelhauses Segmüller, in: Frankfurter Rund-
Betrieb ausscheiden, scheint sich bis heute in     den nächsten 10 bis 15 Jahren nahezu geschlos-   schau vom 11.05.2004).
vielen Köpfen Älterer als Ziel ihrer Erwerbs-      sen in Rente gehen werden. Konkret bedeutet         Es geht also um nichts weniger als um den
biographie die Maxime festgesetzt zu haben:        das: Es droht ein dramatischer und schlag-       Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Unter-
»Ranklotzen bis 55 und dann tschüss« (vgl.         artiger Verlust an Erfahrungswissen, der kaum    nehmen und der Qualität ihrer Produkte –
Behrens u.a. 2002). Dadurch entwickelten           noch zu kompensieren ist, wenn die Mitarbei-     aber ebenso um den Erhalt der Gesundheit
sich stabile soziale Erwartungsmuster in           terinnen und Mitarbeiter erst in Rente gegan-    und Beschäftigungsfähigkeit der Arbeit-
Bezug auf ein frühes Ausscheiden aus dem           gen sind.                                        nehmerinnen und Arbeitnehmer und die
Arbeitsleben, die auch heute – wo die Nicht-          Die Schaffung altersgemischter Teams, die     Beteiligung älterer und älter werdender
fortsetzbarkeit der Praxis der Frühverrentung      einen systematischen Transfer vorhandener        Menschen in Arbeitswelt und Gesellschaft.
offensichtlich ist – weiterwirken. Steigende       Kenntnisse und Kompetenzen an Jüngere
Arbeitsbelastung und nicht alternsgerechte         ermöglichen, wird damit zu einem zentralen
Arbeitsbedingungen werden im Hinblick auf          Bestandteil künftiger Personalpolitik. Auch
ein baldiges Ausscheiden von Älteren in den        die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit der heute
Betrieben weiterhin stillschweigend toleriert.     35–45-jährigen Arbeitnehmerinnen und
   So wurden in Deutschland durch die politi-      Arbeitnehmer über die nächsten 15–25 Jahre
sche Strategie der Frühpensionierung, ver-         erhält unter diesem Aspekt einen ganz neuen
bunden mit der Philosophie der ›Defizithypo-       betrieblichen Stellenwert. Und es muss
these‹, nicht nur bis heute weiter wirkende        sichergestellt werden, dass sowohl jüngere als
negative Verhaltens- und Handlungsmuster           auch ältere Beschäftigte kontinuierlich an
geschaffen, sondern auch viele Chancen             Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen, um
verschenkt. Angesichts der geschilderten           ihre Kompetenzen nicht nur zu erhalten,
demographischen Entwicklung ist es höchste         sondern ständig zu erweitern und auf den
Zeit, diese Chancen erneut aufzugreifen und        neuesten Stand zu bringen. Das Schlagwort
im Interesse von Arbeitgebern wie Arbeit-          vom ›lebenslangen Lernen‹ erhält in einer
nehmerinnen und Arbeitnehmern zu nutzen.           älter werdenden Arbeitswelt eine neue
Hier ist nicht zuletzt ein Mentalitätswechsel      Bedeutung: Es muss – zumindest mit Bezug
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