Arbeit und Digitalisierung - Warum Digitalisierung besser mit einer partizipativen Arbeitskultur gelingt

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Arbeit und Digitalisierung - Warum Digitalisierung besser mit einer partizipativen Arbeitskultur gelingt
Arbeit und Digitalisierung
Warum Digitalisierung besser mit einer partizipativen
Arbeitskultur gelingt
Arbeit und Digitalisierung - Warum Digitalisierung besser mit einer partizipativen Arbeitskultur gelingt
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Herausgeber/Redaktion:
Begleitforschung Mittelstand-Digital
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Rhöndorfer Straße 68
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Tel. +49 (0)2224-9225-0, Fax +49 (0) 2224-9225-68
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www.mittelstand-digital.de

Verantwortlich: Martin Lundborg
Texte: Die jeweils angegebenen Autoren sowie Peter Stamm

Bildquelle: (Titel) AdobeStock-Vasyl

Januar 2022
Arbeit und Digitalisierung - Warum Digitalisierung besser mit einer partizipativen Arbeitskultur gelingt
Arbeit und Digitalisierung   1

Inhalt

1   Einleitung: Arbeit und Digitalisierung                                                                2

    1.1 Erfolgreichere Digitalisierung in Kooperation mit der Belegschaft                                  2

    1.2 Die Digitalisierung im Unternehmen beginnt bei den Mitarbeitenden                                  3

2   Attraktiver Arbeitsplatz durch Digitalisierung                                                        5

    2.1 Die Landwirtschaft wird zum attraktiven Arbeitsplatz – Ein Praxisbeispiel aus Sachsen-Anhalt       5

    2.2 Was ist bei mobiler Arbeit rechtlich zu beachten?                                                  7

    2.3 Menschzentrierte Digitalisierung für mehr Wohlbefinden in der Arbeit – Positive User
        Experience als Chance                                                                              9

    2.4 Digital Diversity ist mehr als nur Toolvielfalt – Chancen und Herausforderungen für
        Diversity durch Digitalisierung                                                                  11

3   Digitale Veränderungen aktiv gestalten                                                               14

    3.1 Change Management 4.0: Alter Wein in neuen Schläuchen? Mitnichten!                               14

    3.2 Wie Beschäftigte die Digitalisierung in ihren Arbeitsprozessen erleben – Erfahrungen der
        Beschäftigten für Verbesserungen nutzen                                                   16

    3.3 Der Weg zur gelungenen Dokumentenarchivierung und was dies mit
        Kommunikation zu tun hat – Ein Praxisbeispiel aus dem Handwerk                                   18

    3.4 Leitfaden zur partizipativen Gestaltung von Smart Factory-Implementierungen                      21

    3.5 Von der klassischen Weiterbildung zur virtuellen Lernkultur                                      24

4   Führen im digitalen Zeitalter                                                                        27

    4.1 Führung 4.0 – Auf die innere Haltung kommt es an                                                 27

    4.2 Workshop zu Führung in der digitalisierten Arbeitswelt                                           29

    4.3 Künstliche Intelligenz als Unterstützung für Führungskräfte der Zukunft                          31

Quellen                                                                                                  34
Arbeit und Digitalisierung - Warum Digitalisierung besser mit einer partizipativen Arbeitskultur gelingt
2   Arbeit und Digitalisierung

    1 Einleitung: Arbeit und Digitalisierung
    1.1 Erfolgreichere Digitalisierung in Kooperation mit der Belegschaft

                                                                                                      Peter Stamm
                                                                              Mittelstand-Digital Begleitforschung

    Mit Hilfe verschiedenster Digitalisierungslösungen        Dass die mitunter gravierenden Veränderungen der
    lassen sich in Unternehmen Effizienz und Nachhal-         digitalen Transformation kein Selbstläufer sind, son-
    tigkeit steigern, Transparenz und Nutzerfreundlich-       dern aktiv vom Wandel hin zu einer neuen Füh-
    keit verbessern und somit die Wettbewerbsfähigkeit        rungs- und Arbeitskultur begleitet werden müssen,
    erhöhen. Ermöglicht durch neue Technologien bei-          liegt auf der Hand. Dieser Kulturwandel muss von
    spielsweise der Sensorik, Datenanalytik, Digitalen        der Unternehmensleitung gewollt, angestoßen und
    Zwillinge, Künstlichen Intelligenz oder der Augmen-       moderiert werden.1 Zudem besteht ein großer
    ted und Virtual Reality entstehen beeindruckende          Bedarf an Weiterqualifizierungen und Trainings,
    Möglichkeiten in vielfältigen Anwendungsfeldern.          quer durch die gesamte Hierarchie im Unterneh-
                                                              men.
    Für eine nachhaltig erfolgreiche Einführungen und
    Nutzungen dieser digitalen Technologien und               In dieser Publikation möchten die Autorinnen und
    Anwendungen braucht es jedoch immer auch das              Autoren aus den Zentren im Netzwerk Mittelstand-
    Engagement der Menschen, die in den Unterneh-             Digital Ihnen zentrale Themen rund um die digitali-
    men arbeiten. Nur wenn diese von der Vorteilhaftig-       sierte Arbeitswelt sowie zu den notwendigen Verän-
    keit der Digitalisierung überzeugt sind und eine          derungen auf dem Weg dorthin vorstellen. Hierbei
    positive Einstellung hinsichtlich der mit ihrer Einfüh-   wird insbesondere beleuchtet, wie Digitalisierung
    rung verbundenen Veränderungen einnehmen,                 zur Schaffung von attraktiven Arbeitsplätzen einge-
    können die bestehenden Potenziale der Technik             setzt werden kann, was bei der Gestaltung des Ver-
    wirklich ausgeschöpft werden.                             änderungsprozesses zu beachten ist sowie welche
                                                              Art von Führung im digitalen Zeitalter gefragt sein
    Sowohl Erkenntnisse der Arbeitswissenschaft als           wird. Diese Auswahl an Artikeln soll Ihnen neue Ein-
    auch vielfältige Erfahrungen aus der betrieblichen        blicke eröffnen und bei weiterem Interesse stehen
    Praxis zeigen, dass Digitalisierungsprojekte, die par-    Ihnen die Mittelstand-Digital Zentren mit vielfälti-
    tizipativ organisiert werden und bereits zu einem         gen Unterstützungsangeboten rund um Arbeitsthe-
    frühen Zeitpunkt die Menschen einbeziehen, deren          men zur Seite.
    Arbeitsalltag durch das Projekt verändert wird, am
    Ende erfolgreicher umgesetzt werden. Es gilt hier-
    bei die Betroffenen frühzeitig zu Beteiligten zu
    machen. Wesentlicher Erfolgsfaktor ist hierbei, die
    Technik so zu gestalten, dass die Mitarbeitenden
    sich wohl fühlen und ihre Arbeit und die digitale
    Transformation als etwas Positives erleben. Je attrak-
    tiver die Arbeitsplätze, desto einfacher lassen sich      Weitere Informationen und Angebote:
    auch künftig Fachkräfte gewinnen und desto moti-          E-Mail: mittelstand-digital@wik.org
    vierter sind die Mitarbeitenden am Werk.                  www.mittelstand-digital.de

    1 Vgl. Gries, C., M. Lundborg und P. Stamm (2021).
Arbeit und Digitalisierung   3

1.2 Die Digitalisierung im Unternehmen beginnt bei den Mitarbeitenden

                                                                                         Svenja Dittmann
                                                         Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Kommunikation

Damit der digitale Wandel funktioniert, braucht es      zessen durch neue technische Möglichkeiten vor-
mehr als nur Technologie. Denn die Digitalisierung      handen sein. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen
bietet viele Chancen: neue effizientere Geschäfts-      könnten befürchten, hinsichtlich der Effizienz und
modelle, Vernetzung von Daten und neue Mög-             Schnelligkeit ihrer Arbeit überwacht und bewertet
lichkeiten bei der Kommunikation – davon profitie-      zu werden. Die Sorge ist hier, dass der Mensch zu
ren Menschen und Unternehmen. Laut einer Studie         einem sogenannten ‚gläsernen Mitarbeiter‘ wird,
eines großen Anbieters von Soft- und Hardware-          der permanenten Analysen und Kontrollmechanis-
Lösungen stehen Mitarbeitende neuen Technolo-           men unterliegt.
gien grundsätzlich positiv gegenüber.2 Dennoch
bestehen in Teilen der Belegschaft auch Ängste          Datenschutzgrundverordnung als Absicherung für
oder Vorbehalte gegenüber den teilweise tiefgrei-       Mitarbeitende
fenden Veränderungen, die die Digitalisierung im
Unternehmen mit sich bringt. Dies stellt eine Her-      Grundsätzlich bieten einige digitale Anwendungen
ausforderung dar, die im Transformationsprozess zu      die technischen Möglichkeiten zur Überwachung.
berücksichtigen ist.                                    Die Verfügung über mögliche Überwachungswerk-
                                                        zeuge ist für Unternehmen tatsächlich jedoch sehr
Ängste durch die Digitalisierung                        begrenzt, da viele dieser Überwachungsmöglich-
                                                        keiten nicht nur Persönlichkeitsrechte der Ange-
Einige Mitarbeitende sehen weniger die positiven        stellten verletzten würden, sondern auch gegen
Auswirkungen digitaler Lösungen, sondern stehen         die gesetzlich fixierten Datenschutzvorgaben ver-
der Einführung digitaler Anwendungen im Unter-          stoßen. Grundlage dafür ist die am 28. Mai 2018
nehmen eher skeptisch gegenüber. Einer Studie           in Kraft getretene EU- Datenschutz- Grundverord-
zufolge entwickelt fast die Hälfte aller Mitarbeiten-   nung (DSGVO), die nicht nur die Möglichkeiten der
den Ängste in Bezug auf die digitale Transforma-        Datenerhebung und -verarbeitung personenbezo-
tion.3 Grund dafür können Berührungsängste mit          gener Daten im privaten, sondern auch im beruf-
technischen Lösungen für Arbeitsprozesse sein,          lichen Rahmen reguliert. Diese räumt Arbeitneh-
die zuvor analog organisiert waren. Dies geben          mern und Arbeitnehmerinnen mehr Rechte ein und
48 Prozent der Befragten an. Es können aber auch        setzt neue Regeln für Arbeitgeber fest. Die DSGVO
existenziellere Befürchtungen ausgelöst werden.         sichert Einzelpersonen gegen unrechtmäßige Über-
Die Sorge ist hier, dass digitale Systeme menschli-     wachung ab.
che Arbeitskraft etwa durch Robotik, Automatisie-
rung oder den Einsatz algorithmischer Anwendun-         Belegschaft in Digitalisierungsprozesse einbinden
gen ersetzen könnten. 51 Prozent der Befragten
befürchten, dadurch ihren Arbeitsplatz zu verlieren,    Die Digitalisierung und neue Prozesse erfordern
so eine Studie.                                         immer ein Umdenken auch bei Mitarbeitenden.
                                                        Deshalb ist es wichtig, dass Veränderungen im
Sorge vor digitaler Überwachung                         Unternehmen gemeinsam gestaltet werden. Unser
                                                        Punkteplan kann dabei unterstützen eine positive
Darüber hinaus können Unsicherheiten mit Blick auf      Haltung gegenüber Veränderungen bei allen Mitar-
Monitoring und Überwachung von Arbeitspro-              beitenden zu fördern:
2 Vgl. Microsoft (2018).
3 Vgl. ebenda.
4   Arbeit und Digitalisierung

    ►   Zeigen Sie den konkreten Mehrwert für Mitarbei-    Ansatzpunkte für Unternehmen
        tende und Betrieb auf, den die neuen Technolo-
        gien bieten, die im Unternehmen Anwendung          Für Unternehmen muss das Ziel also zum einen sein,
        finden sollen. Heben Sie hervor, inwiefern es      Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen die Skepsis zu
        ermöglicht auch individuelle Potenziale besser     nehmen und mit konkreten Maßnahmen dafür zu
        zu entfalten.                                      sorgen, dass die Digitalisierung nicht als Bedrohung
                                                           empfunden wird. Dabei gilt es Chancen und Poten-
    ►   Informieren Sie Mitarbeitenden darüber, welche     ziale hervorzuheben. Zum anderen müssen Unter-
        Maßnahmen ergriffen werden, um alle gleicher-      nehmen hinsichtlich der geltenden Rechtsprechung
        maßen zum Umgang mit neuen Anwendungen             sicherstellen, dass Aspekte der Sicherheit und des
        zu befähigen. Dies können Schulungen, Work-        Schutzes personenbezogener Daten rechtmäßig
        shops oder Weiterbildungen sein. In diesem         gehandhabt sind. Hiermit sind die Voraussetzungen
        Rahmen können Mitarbeitende konkrete Erfah-        geschaffen, um das Vertrauen von Mitarbeiter/-
        rungen machen und sich von den neuen Techno-       innen und Mitarbeitern zu festigen und Loyalität zu
        logien überzeugen.                                 stärken.

    ►   Fördern Sie eine Kultur des Vertrauens im Unter-   Die Fruchtbarkeit digitaler Lösungen im Betrieb
        nehmen, indem Sie Mitarbeitenden zu Feedback       hängt zu großen Teilen von der Einstellung der Mit-
        ermutigen und auf eventuelle Sorgen empa-          arbeitenden ab. Wenn alle an einem Strang ziehen
        thisch reagieren. Achten Sie darauf, ihr Team      und gleichermaßen von den digitalen Neuerungen
        über die Entwicklungen stets auf dem Laufen-       im Unternehmen überzeugt sind, ist eine erfolgrei-
        den zu halten.                                     che und ganzheitliche Verankerung digitaler Lösun-
                                                           gen im Unternehmen möglich. Mit den richtigen
    ►   Achten die auf Ihre Wortwahl. Schlagworte und      Maßnahmen stellen Sie sicher, dass Vertrauen bei
        Anglizismen die im Zusammenhang mit der Digi-      den Mitarbeitenden bei der Digitalisierung beste-
        talisierung häufig gebraucht werden, können bei    hen bleibt. So ist der Grundstein für eine gewinn-
        einigen Mitarbeitenden Verwirrung stiften. For-    bringende Digitalisierung in ihrem Unternehmen
        mulieren sie die Funktion und den Nutzen neuer     gelegt.
        Lösungen unmissverständlich.

    ►   Geben Sie Mitarbeitenden die Möglichkeit zum
        Experimentieren und Ausprobieren und neh-
                                                             Autorin
        men Sie ihnen die Scheu vor Fehlern im Umgang        Svenja Dittmann, Wissenschaftliche Mitarbeite-
        mit neuen Anwendungen. So tragen Sie zu einer        rin beim FTK
        konstruktiven Fehlerkultur im Unternehmen bei.
                                                             Weitere Informationen und Angebote
                                                             Haben Sie Fragen zur Digitalisierung in Ihrem
    ►   Geben Sie Mitarbeitenden die Möglichkeit zum         Unternehmen: Kontaktieren Sie gerne das
        Experimentieren und Ausprobieren und neh-            Team vom Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum
        men Sie ihnen die Scheu vor Fehlern im Umgang        Kommunikation unter
        mit neuen Anwendungen. So tragen Sie zu einer        info@kompetenzzentrum-kommunikation.de
        konstruktiven Fehlerkultur im Unternehmen bei.
Arbeit und Digitalisierung   5

2 Attraktiver Arbeitsplatz durch
  Digitalisierung
2.1 Die Landwirtschaft wird zum attraktiven Arbeitsplatz
      Ein Praxisbeispiel aus Sachsen-Anhalt
                                                                   Christina Maischak und Susanne Kaufmann
                                                              Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Magdeburg

Die Landwirtschaft gehört zu den Branchen, in            fachliches Grundwissen ist genauso wichtig, wie
denen die Digitalisierung schon vor vielen Jahren        spätere Spezialisierungen. Deshalb muss die Bereit-
Einzug gehalten hat und weit vorangeschritten ist.       schaft der Beschäftigten zu Fort- und Weiterbildun-
Dieser Prozess erfordert eine hohe technische Aus-       gen gefördert werden. Die Beschäftigten der Land-
stattung für landwirtschaftliche Betriebe, was oft mit   wirtschaftlichen Betriebsgemeinschaft GbR Groß
hohen Investitionen verbunden ist, dies gilt auch für    Germersleben werden schon von Anfang an in Pro-
alle vor- und nachgelagerten Bereiche. So können         zesse digitaler Veränderungen aktiv eingebunden,
landwirtschaftliche Arbeitsmaschinen zentimeter-         um ihre Akzeptanz für neue digitale Technologien
genau fahren und miteinander kommunizieren,              zu erhöhen. Mit dem Einsatz neuer Maschinen und
Drohnen können Teilflächen erkennen und Dünge-           Systeme erhalten die Mitarbeitenden eine Einfüh-
mittelmengen bedarfsgerecht berechnen, Tiere tra-        rung und werden mit der Bedienung der digitalen
gen digitale Halsbänder und ihre Gesundheit wird         Systeme vertraut gemacht. Für Fragen, die manch-
zentral überwacht und Roboter kommen bspw. zum           mal auch erst im Umgang mit den neuen Technolo-
Füttern, Melken und auf dem Feld zur Unkrautbe-          gien auftreten, stehen Servicemitarbeiter:innen und
kämpfung zum Einsatz.                                    eine Hotline zur Verfügung.

Die Maschinen in der Landwirtschaft sind mit GPS-        Was hat es gekostet?
Geräten ausgestattet, sie kommunizieren miteinan-
der und sind vernetzt. Der sorgfältige Umgang mit        Die Mitarbeiter:innen haben sehr positiv auf den
der Technik in der Landwirtschaft kann auch in der       Einsatz digitaler Technologie reagiert, es gab keine
Landwirtschaftlichen Betriebsgemeinschaft GbR            Widerstände. Es trat zwar die eine oder andere
Groß Germersleben nur durch entsprechende Fach-          Skepsis auf, der das Unternehmen aber erfolg-
kompetenzen sichergestellt werden. Die Motivation        reich begegnen konnte, indem die Beschäftigten
der Beschäftigten für digitale Veränderungen sowie       bei Einführung der neuen Technologien mit Schu-
passgenaue Weiterbildungsaktivitäten sollten bei         lungen unterstützt wurden. Die Schulungen haben
landwirtschaftlichen Unternehmen einen sehr hohen        sich hundertprozentig bezahlt gemacht, denn die
Stellenwert einnehmen. Denn wenn die Belegschaft         Skepsis gegenüber den neuen Technologien wurde
nicht befähigt wird, mit neuen digitalen Technolo-       abgebaut, Fragen wurden beantwortet und Sicher-
gien umzugehen, dann scheitert deren Einsatz.            heit im Umgang mit den neuen Systemen erlangt.
                                                         Mit jedem Einführungsschritt in die Digitalisierung
Die Lösung                                               wird den Kolleg:innen der Landwirtschaftlichen
                                                         Betriebsgemeinschaft ein Stück Verantwortung
Durch die Nutzung vollautomatischer Maschinen in         abgenommen und sie brauchen sich um bestimmte
allen Bereichen der Landwirtschaft wird die klassi-      Tätigkeiten nicht mehr kümmern, weil das jetzt die
sche Landwirtschaft betreibende Person zur bedie-        Computertechnologie übernimmt. Sie können sich
nende Person von digitalen Systemen, zur/zum             anderen, neu entstandenen Aufgaben oder Abläu-
Techniker:in und Programmier:in. Ein breites             fen widmen. Wenn beispielsweise ein Traktor durch
6   Arbeit und Digitalisierung

    die digitale Steuerung automatisch geradeaus fährt,      Arbeitswelt. Digitalisierung ist ein großes Thema in
    braucht der Mitarbeiter sich nicht mehr ums Lenken,      der Arbeitswelt und auch des täglichen Lebens, was
    sondern kann sich um die Bedienung der Maschine          auch nicht aufzuhalten ist. Digitalisierung ist für die
    kümmern.                                                 Branche Landwirtschaft unerlässlich geworden und
                                                             steigert nicht zuletzt die Attraktivität der Branche.
    Was würde das Unternehmen nicht wieder machen?
                                                             „Wir nutzen viele Systeme, um es uns leichter zu
    Die Landwirtschaftliche Betriebsgemeinschaft GbR         machen, um auch Entscheidungsfindungen leich-
    Groß Germersleben würde alles genauso wieder             ter zu machen, um Hintergrundinformationen zu
    machen. Doch trotz Digitalisierung ist dem Unter-        bekommen. Aber letztendlich was an welcher Stelle
    nehmen klar, dass der Mensch in der Landwirtschaft       gespritzt, gedüngt oder gesät wird, das muss der
    nicht komplett ersetzt werden wird. In allen Syste-      Bauer noch alleine entscheiden.“ SVEN BORCHERT,
    men, die in der Landwirtschaft im Bereich der Digita-    Landwirtschaftliche Betriebsgemeinschaft GbR
    lisierung verwendet werden, soll der Mensch immer        Groß Germersleben
    noch die entscheidungsbefugte Person bleiben.

    Was hat dem Unternehmen sehr geholfen?
                                                              Autorinnen
                                                              Christina Maischak befasst sich mit der Digitali-
    Unter den Beschäftigten hat der Erfahrungsaus-            sierung (in) der Arbeitswelt am Zentrum für Sozi-
    tausch zwischen den Generationen hervorragend             alforschung Halle e.V.
    funktioniert und das war sehr hilfreich für das Unter-    Susanne Kaufmann arbeitet zu Bildungsverläu-
    nehmen. „Die Kommunikation zwischen Jung und              fen, Sozialstruktur und betrieblicher Gesund-
                                                              heitspolitik am Zentrum für Sozialforschung
    Alt funktioniert reibungslos. Die älteren Kollegen
                                                              Halle e.V.
    lassen sich von den jüngeren Kollegen mitneh-
    men“ sagt der Betriebsleiter Sven Borchert. Die           Weitere Informationen und Angebote
                                                              Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Magdeburg
    Mitarbeitenden haben zum großen Teil auch pri-
                                                              Sandtorstraße 23, 39106 Magdeburg
    vat Smartphones und moderne Technik, das ist              Tel: 0391 54486 220
    eine Entwicklung der Zeit und erleichtert somit           www.vernetzt-wachsen.de
    auch den Umgang mit digitalen Neuerungen in der
Arbeit und Digitalisierung   7

2.2 Was ist bei mobiler Arbeit rechtlich zu beachten?
       Rechtliche Aspekte von dezentralem Arbeiten sowie ein Ausblick auf das
       Mobile Arbeit-Gesetz (MAG-E)
                                                                                                 Michael Rätze
                                                                         Mittelstand-Digital Zentrum Chemnitz

Noch immer bestehen zahlreiche Fragen bezüglich           Gesetzes (MAG-E), in der Fassung vom 14.01.2021,
des dezentralen Arbeitens. Seien es Begrifflichkei-       will dies künftig ändern, indem es nur noch von
ten, wie Telearbeit, Fernarbeit und Mobile Working,       „mobiler Arbeit“ spricht und dabei das heutige Home
die noch immer unspezifisch eingesetzt werden             Office dem Mobile Office unterordnet.
oder die zentrale Frage, wie solche Arbeitsplätze
auszugestalten sind und welche rechtlichen Folgen         Unabhängig von der aktuellen Gesetzesentwicklung
sich für die Beteiligten ergeben. Die Praxis, die oft-    gelten für die Gestaltung dezentraler Arbeitsplätze
mals Lösungen schnell umsetzen muss, überflügelt          derzeit für Unternehmen die Anforderungen der
hier teilweise den Rechtssetzer und greift ihm vor.       Arbeitsstättenverordnung. Das MAG-E sieht gegen-
                                                          wärtig keine Änderungen in diesem Bereich vor.
Begriff des dezentralen Arbeitens
                                                          Anforderungen aus der Arbeitsstättenverordnung
Der Begriff „dezentrales Arbeiten“ ist in aller Munde.
Allerdings sind bereits auf dieser Begriffsebene          Grundsätzlich muss eine Tätigkeit, um der Arbeits-
zahlreiche Ungenauigkeiten anzutreffen. Es werden         stättenverordnung (ArbStättV) zu unterfallen, als sol-
einschlägige Begriffe, wie Home Office, Mobile            che der Dezentralisierung zugänglich sein. Meist
Office usw. entweder ganz falsch verwendet oder           dürfte es sich dabei um Bürotätigkeiten handeln,
als Synonym, obwohl es sich dabei nicht um ein und        welche dezentralisiert an Computern erledigt und
dasselbe handelt.                                         daher ausgelagert werden können.

Strukturell lässt sich eine Abgrenzung gerade dieser      Die Anforderungen an die Ausgestaltung des
beiden zentralen Begriffe etwa nach dem Ort der           Arbeitsplatzes sind dem Anhang der ArbStättV zu
dezentralen Arbeit vornehmen. Handelt es sich um          entnehmen. Für das Home Office und das Mobile
ortsgebundene oder ortsveränderliche Tätigkeiten?         Office gelten gewisse Grundsätze gleichermaßen.
Ortsgebundene Tätigkeiten meint meistens die              So sind die Arbeitsplätze so einzurichten, dass die
Arbeit von zu Hause aus an einem fest eingerichte-        Sicherheit und der Schutz der Beschäftigten gewähr-
ten Arbeitsplatz, das Gesetz spricht hier von Telear-     leistet wird, ausreichend Raum für wechselnde
beit und diese ließe sich wohl zugleich als Home          Arbeitshaltungen und -bewegungen vorhanden ist,
Office bezeichnen. Bei der ortsveränderlichen Arbeit      Bildschirmgeräte frei von störenden Reflexionen
kann sich, wie der Name bereits verrät, der Arbeitsort    und Belendungen sind und die Bildschirmgröße
fortlaufend ändern. Mögliche Arbeitsorte sind daher       und -form der Arbeitsaufgabe angepasst ist, um die
beim Kunden, im Außendienst, in einem Café, in            wichtigsten Grundsätze zu nennen.
einem Co-Working-Space. Begrifflich wird man hier
vom sog. Mobile Office oder mobilem Arbeiten spre-        Speziell für das (stationäre) Home Office gehen die
chen können. Während das Home Office nach der             Anforderungen über diese Grundsätze hinaus. So
derzeitigen Rechtslage einen stationären und einge-       müssen die Bildschirme neben den reflexionsarmen
richteten Arbeitsplatz erfordert, ist das Mobile Office   Oberflächen noch frei und leicht dreh- und neigbar
dadurch gekennzeichnet, dass es einen solchen dort        sein. Die Tastatur muss von den Bildschirmen getrennt
nicht gibt, weshalb eine Tätigkeit im Café, der Bahn      sein und ebenfalls neigbar und reflexionsarm. Die
usw. nicht als Home Office, sondern als Mobile Office     Form und der Anschlag der Tastatur müssen ergo-
gelten. Der Referentenentwurf des Mobile Arbeit-          nomisch sein und die Beschriftung deutlich lesbar.
8   Arbeit und Digitalisierung

    Für das (ortsunabhängige) Mobile Office müssen            werden. Regelmäßig wird dies durch einen Ände-
    Größe, Form und Gewicht tragbarer Bildschirmge-           rungsvertrag realisiert, der den bestehenden
    räte der Arbeitsaufgabe entsprechen. Sobald eine          Arbeitsvertrag anpasst oder durch eine sog. Home/
    Trennung von Bildschirm und Tastatur nicht vorhan-        Mobile Office-Vereinbarung, welche neben den
    den ist und auch keine anderen externen Eingabe-          Arbeitsvertrag tritt und zeitlich begrenzt ist, sodass
    geräte vorhanden sind, werden solche Geräte nur           nach deren Ablaufen die ursprüngliche Festlegung
    für eine kurzzeitige Verwendung als geeignet ange-        wieder auflebt.
    sehen. Damit sind etwa Tablets für den längeren
    Gebrauch ausgeschlossen. So kann es für kurzzei-          Anspruch auf dezentrale Arbeit
    tige Aufgaben, wie die Pflege des Terminkalenders
    oder das vereinzelte Schreiben einer E-Mail einge-        Ein gesetzlicher Anspruch des/der Arbeitnehmers:in
    setzt werden, für dauerhafte Aufgaben, wie die            auf Home Office oder Mobile Office besteht nicht
    Buchhaltung eines Unternehmens oder das Verfas-           und soll auch durch das MAG-E nicht eingeführt
    sen langer mehrseitiger Texte wäre es ungeeignet.         werden. Der vorübergehend bestehende Anspruch
                                                              auf Home Office durch die SARS-CoV-2-Arbeits-
    Einführung der dezentralen Arbeit                         schutzverordnung während der Corona-Pandemie
                                                              endete zum 30. Juni 2021. Der Entwurf zum MAG-E
    Die Einführung von Home Office oder Mobile Office         sieht nunmehr für den/die Arbeitnehmer:in einen
    sollte sowohl vom/von der Arbeitgeber:in als auch         Erörterungsanspruch gegenüber dem/der Arbeit-
    vom/von der Arbeitnehmer:in gewollt sein. Die             geber:in vor. Der/die Arbeitnehmer:in kann danach
    Anordnung des dezentralen Arbeitens, ohne ent-            seinen/ihren Wunsch über Beginn, Dauer, Umfang
    sprechende Grundlage im Arbeitsvertrag, in einer          und Verteilung des mobilen Arbeitens an den/die
    Betriebsvereinbarung, einem Tarifvertrag oder             Arbeitgeber:in herantragen, woraufhin dieser/diese
    gegen den Willen des/der Arbeitnehmers:in ist nur         den Wunsch prüft und anschließend umsetzt oder
    schwer möglich, klammert man pandemische Kri-             begründet ablehnt. Den/Die Arbeitgeber:in trifft
    sen einmal aus.                                           also im Ablehnungsfall eine Erklärungspflicht. Ent-
                                                              scheidet sich der/die Arbeitgeber:in innerhalb von
    Ist ein Arbeitsort nicht individual- oder kollektivver-   zwei Monaten nicht, gilt die mobile Arbeit dem
    traglich festgelegt, kann der/die Arbeitgeber:in          Wunsch des/der Arbeitnehmers:in entsprechend
    auch durch Inanspruchnahme seines/ihres Wei-              als gestattet, allerdings höchstens für sechs Monate.
    sungsrechts einen Ort zur Ausübung der Tätigkeit          Der Entwurf verfolgt hier einen Ansatz, wie er sich
    festlegen. Diese Festlegung muss jedoch billigem          bereits für die Teilzeitarbeit etabliert hat.
    Ermessen entsprechen, also durch eine umfassende
    Interessenabwägung gerechtfertigt sein. Dabei ist         Weitere Informationen rund um das dezentrale
    der Umstand, dass eine solche Weisung ggf. in den         Arbeiten finden Sie auch unter: https://www.youtube.
    häuslichen Bereich des/der Arbeitnehmers:in hin-          com/channel/UCe0edlie2kDZ1n3jdM4Ojbw/videos
    einreicht, besonders zu berücksichtigen. Die Unver-
    letzlichkeit der Wohnung und damit auch der Schutz
    vor entsprechenden Festlegungen sind grundrecht-           Autor
    lich geschützt.                                            Michael Rätze arbeitet als Wissenschaftlicher
                                                               Mitarbeiter an der Professur für Privatrecht und
                                                               Recht des geistigen Eigentums an der Techni-
    Ist ein Arbeitsort individualvertraglich festgelegt,
                                                               schen Universität Chemnitz.
    bedarf es bei Einführung dezentraler Arbeit einer
    Änderung des Arbeitsvertrages. Denn der/die                Weitere Informationen und Angebote
                                                               Mittelstand-Digital Zentrum Chemnitz
    Arbeitnehmer:in schuldet lediglich die vereinbarte
                                                               Tel: 0371 531 19935
    Leistung an dem im Arbeitsvertrag festgelegten Ort,        info@digitalzentrum-chemnitz.de
    meist einer Betriebsstätte. Will man davon abwei-          www.digitalzentrum-chemnitz.de
    chen, muss der Vertrag entsprechend angepasst
Arbeit und Digitalisierung   9

2.3 Menschzentrierte Digitalisierung für mehr Wohlbefinden in der Arbeit
         Positive User Experience als Chance
                                                                                         Magdalena Laib und Michael Burmester
                                                                                    Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Usability

Positive Psychologie, also der Teil der Psychologie,                     mit der Erlebnispotenzialanalyse (EPA)8 Produkte
der sich wissenschaftlich mit Glück und Wohlbefin-                       und Systeme auf Potenziale für positives Erleben in
den beschäftigt, hat Einzug in die Gestaltung von                        Arbeitskontexten untersucht werden. Hierfür wird
Arbeit genommen.4 Wenig Beachtung hat dabei                              zunächst der Nutzungskontext analysiert. Anschlie-
bisher die Technologie gefunden, ohne die Arbeit                         ßend wird für die einzelnen Aufgabenschritte syste-
nicht mehr denkbar ist. Bereits 2012 nutzten Wis-                        matisch nach Potenzialen für positives Erleben
sensarbeiter:innen ca. 28 Stunden pro Woche digi-                        gesucht. Als Basis hierfür dienen die Erlebniskate-
tale Technologien. Wenn Unternehmen also das                             gorien9, welche Möglichkeiten für positives Erleben
Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter:innen am Herzen                           bei der Arbeit kategorisieren.
liegt, sollten nicht nur Unternehmenskultur und
Organisationsstrukturen entsprechend geformt                             Die EPA wurde im Pilotprojekt mit der Firma Ascon
werden. Die im Arbeitsalltag eingesetzte Technolo-                       zum Einsatz gebracht. Das Projekt beschäftigte sich
gie sollte so gestaltet bzw. ausgewählt werden, dass                     mit einer Applikation für das Lieferantenmanage-
sie das positive Erleben und damit das Wohlbefin-                        ment im Automobilbereich. Für die EPA konnte auf
den der Nutzer:innen unterstützt. Professionelle                         erste Screens in Form von Clickdummies zurückge-
Software sollte sich durch positive User Experience                      griffen werden. Die EPA ergab, dass die Erlebniska-
(UX), ein positives Erleben der Nutzer:innen aus-                        tegorie „zu etwas Höherem beitragen“ ein beson-
zeichnen. Die Frage wie positives Erleben durch                          ders hohes Potenzial in diesem Kontext hat. Diese
Technikgestaltung erreicht werden kann, war lange                        Kategorie bezeichnet Erlebnisse bei denen die
Zeit nur unzureichend beantwortbar. Einen wichti-                        eigene Arbeit in einen größeren Zusammenhang
gen Schritt nach vorn machte die Erkenntnis, dass                        gestellt wird. So können den Mitarbeitenden Rück-
positive UX erzielt wird, indem psychologische                           meldungen über ihren Beitrag zum Unternehmens-
Bedürfnisse der Nutzer:innen erfüllt werden.5 Die-                       ziel oder die Weiterverwendung der Arbeitsergeb-
ses Modell wurde mehrfach untersucht und konnte                          nisse gegeben werden.
sehr weitgehend bestätigt werden.6
                                                                         Positive User Experience spielt auch im Kontext der
Das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Usability                           Künstlichen Intelligenz (KI) eine Rolle, wie das Pilot-
unterstützt kleine und mittlere Unternehmen nicht                        projekt mit der Firma Qymatix zeigt. Ziel dieses Pro-
nur in Fragen der Usability, also in der Gestaltung                      jekts war es, die Akzeptanz einer auf Künstlicher
benutzungsfreundlicher Systeme. Usability wird                           Intelligenz (KI) basierten Software zur vorhersagen-
hier in ein umfassendes Verständnis der Technikge-                       den Vertriebsanalyse bei der Zielgruppe (Vertriebs-
staltung für positives Erleben in Arbeitskontexten                       mitarbeitende mittlerer Unternehmen) von Qymatix
integriert. Neben dem zur Verfügung stehenden                            zu erhöhen. Basis hierfür waren die Bedürfnisse der
Kanon von Usability-Methoden wurden völlig neu-                          Nutzer:innen. Unter anderem wurde ihre Einstel-
artige Methoden und Vorgehensweisen entwickelt                           lung zu digitalen Companions (unterstützender
und adaptiert, die eine systematische Gestaltung                         Begleiter) erfragt. Als Projektergebnis wurde ein
für positiv erlebte Arbeit ermöglichen.7 So können                       Videoprototyp erstellt, welcher die Interaktion

4   Vgl. Berend & Brohm-Badry (2020), P Alex Linley et al. (2013), Rose (2019) sowie Yeoman et al. (2019).
5   Vgl. Hassenzahl (2008).
6   Vgl. Hassenzahl et al. (2010) sowie Tuch et al. (2016).
7   Vgl. Burmester et al. (2017), Burmester et al. (2015) sowie Zeiner et al. (2017).
8   Vgl. Haspel, Laib, & Burmester (2020) sowie Laib, Burmester, & Zeiner (2017).
9   Vgl. Zeiner et al. (2018).
10   Arbeit und Digitalisierung

     Abbildung 1: Prototyp aus dem Pilotprojekt mit Qymatix (erstellt von Elena Arnold, Jana Falkner, Akina Hocke, Tabea
     Ibrahimi, Kimberley Winter)

     zwischen Nutzenden und KI darstellte und sich an           Ideen und oft sogar ganz konkrete Konzepte entwi-
     bestehenden Companion-Arten mit der Rolle der              ckeln, um die User Experience ihrer Software zu ver-
     Ratgeber oder Assistenten orientierte. Nutzende            bessern. Doch werden sie diese auch tatsächlich
     haben dabei die Möglichkeit, Vorschläge der KI             umsetzen? Und warum sollten sie das tun?
     anzupassen und so optimal in ihrem Arbeitsprozess
     anzuwenden. Die Nutzenden treffen also selbst die          Befragungen im Rahmen des Kompetenzzentrums
     Entscheidung, ob und wie sie die Informationen der         zeigten, dass die erarbeiteten Ideen meist nicht
     KI einsetzen (Bedürfnis nach Autonomie). Ein Kon-          in die Umsetzung gehen. Bei allem Interesse am
     zept sieht zudem vor, dass Verkaufsgespräche ana-          Thema positiver User Experience fällt es dann in der
     lysiert und häufig genannte Wörter als Schlagwörter        Gewichtung mit anderen Parametern hinten runter.
     anzeigt werden. Durch einen Klick auf die Schlag-          Wir haben uns mit dieser Krux bereits ausführlich
     wörter kann die/der Vertriebsmitarbeitende wäh-            auseinandergesetzt und stellen fest, dass die meis-
     rend des Gesprächs schnell auf tiefergehende fach-         ten Unternehmen einer strengen Businesslogik fol-
     liche Hintergrundinformationen zugreifen und               gen, die den Unternehmensgewinn priorisiert. Der
     diese im eben stattfindenden Gespräch verwenden            Wert einer positiven User Experience kann jedoch
     (siehe Abbildung 1). Durch die bereit gestellten           schlecht kalkuliert werden. Um positive User Expe-
     Informationen haben sie die Möglichkeit, das Ver-          rience nachhaltig zu implementieren, muss an ver-
     triebsgespräch optimal zu gestalten und sich so als        schiedenen Ebenen angesetzt werden: Gestalter:in-
     besonders wirksam im Gespräch zu erleben (Bedürf-          nen müssen fundiertes Wissen und Know-how zum
     nis nach Kompetenz).                                       Thema erwerben.10 Unternehmen müssen positive
                                                                User Experience als strategisches Ziel verstehen
     Diese Beispiele zeigen deutlich, wie Nutzer:innen          und so Raum und Budget für die Gestaltung einer
     positives und bedeutsames Erleben systematisch in          positiven UX einräumen.11 Über allem steht jedoch
     der Interaktion mit professionell genutzter Software       die Änderung des gesellschaftlichen und politi-
     ermöglicht werden kann. In Zusammenarbeit mit              schen Mindsets: wenn Gemeinwohl und Wohl-
     dem Kompetenzzentrum konnten die Unternehmen               ergehen des Einzelnen mehr priorisiert würden,
     10 Vgl. Burmester & Laib, 2019; Peters et al. (2020).
     11 Vgl. Hermosa-Perrino et al. (2021).
Arbeit und Digitalisierung   11

Unternehmen aktiv dazu aufgerufen würden, sich
                                                                             Autor:innen
um das Befinden der Mitarbeiter:innen zu küm-
                                                                             Dr. Magdalena Laib arbeitet als Wissenschaftli-
mern, hätten Unternehmen einen größeren Anreiz                               che Mitarbeiterin zu User Experience und Positi-
in eine positive User Experience ihrer Produkte                              ver Psychologie an der Hochschule der Medien
und in die entsprechende Qualifizierung ihrer Mit-                           Stuttgart. Prof. Dr. Michael Burmester leitet die
arbeiter:innen zu investieren. Der Wert einer posi-                          Information Experience and Design Research
tiven User Experience würde sich dann nicht nur                              Group an der Hochschule der Medien Stuttgart.
an ihrem Beitrag zum Unternehmensgewinn, son-                                Weitere Informationen und Angebote
dern auch an ihrem Beitrag zum Wohlbefinden der                              Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Usability
                                                                             Tel: 0711 8923-3503
Belegschaft messen.
                                                                             m.laib@kompetenzzentrum-usability.digital
                                                                             www.kompetenzzentrum-usability.digital

2.4 Digital Diversity ist mehr als nur Toolvielfalt
         Chancen und Herausforderungen für Diversity durch Digitalisierung

                                                                                                      Ilknur Atakli, Dr. Viola Hellge
                                                                                         Mittelstand-Digital Zentrum Kaiserslautern

Dass die Digitalisierung die Arbeitswelt verändert,                        Teilnehmer:innen beschäftigen. Die Module sind so
ist schon lange Zeit bekannt. Wichtig ist nun, die                         aufgebaut, dass zusätzlich zu den Grundlagenmo-
Risiken zu erkennen sowie die zahlreichen Chancen                          dulen zahlreiche themenspezifische Module ausge-
zu nutzen, um die Arbeitswelt noch effizienter, nach-                      wählt und an die Zielgruppe angepasst werden
haltiger und diverser zu gestalten. Eine dieser Chan-                      können. Die Grundlagenmodule umfassen allge-
cen liegt darin, durch die Möglichkeiten der Digitali-                     meine Informationen über Veränderungen der
sierung Diversity in Organisationen zu fördern und                         Arbeitswelt, Vorteile von Diversity in Teams und Risi-
voranzutreiben. Um diese Möglichkeiten aufzuzei-                           ken durch Digitalisierung für Diversity. Weitere
gen und die vielfältigen Vorteile von Diversity in                         Module sind speziellere Einsatzszenarien und Bei-
Organisationen herauszuarbeiten, wurde das Kon-                            spiele, die nach Diversity-Bereichen unterteilt sind.
zept zum Workshop „Digital Diversity ist mehr als nur
Toolvielfalt – Chancen und Herausforderungen für                           Laut Charta der Vielfalt werden sieben Kerndimensi-
Diversity durch Digitalisierung“ im Mittelstand-Digi-                      onen von Diversity unterschieden, die eng mit der
tal Zentrum Kaiserslautern entwickelt.                                     Persönlichkeit verbunden sind: Alter, Ethnische Her-
                                                                           kunft & Nationalität, Geschlecht und geschlechtliche
Ein wichtiger Faktor ist der modulare Aufbau der                           Identität, körperliche und geistige Fähigkeiten, Reli-
Schulung, wodurch je nach Interessenschwerpunkt                            gion & Weltanschauung, sexuelle Orientierung und
und beabsichtigtem Einsatzbereich Themen vertieft                          soziale Herkunft.12 Wir behandeln in unserem Work-
werden können. Die an die jeweilige Organisation                           shop-Konzept vier dieser Dimensionen, da sich hier
und mittelständischen Teil-Zielgruppen angepass-                           zahlreiche Einsatzmöglichkeiten von Digitalisierung
ten Elemente und der interaktive Aufbau des Work-                          zur Förderung von Diversity etabliert haben und
shops ermöglichen die optimale Ausrichtung der                             damit im Fokus der Thematik „Diversity durch Digi-
Inhalte an die Erwartungen der Teilnehmer:innen                            talisierung“ stehen: „Gender“, „Inklusion von Men-
sowie den Austausch über aktuelle Themen, die die                          schen mit Behinderung“, „Herkunft“ und „Alter“.

12 Vgl. Charta der Vielfalt (2021): Vielfaltsdimensionen (https://www.charta-der-vielfalt.de/; Stand: 02.11.21).
12   Arbeit und Digitalisierung

     Alter: Gerade in Anbetracht des demographischen
     Wandels und des allgemeinen Fachkräftemangels
     ist es wichtig, ältere Mitarbeiter:innen bei physi-                                                      Alter
     schen und mental anstrengenden Tätigkeiten zu
     unterstützen, damit ihre Expertise und Erfahrung als
     Ressource im Unternehmen erhalten bleibt.13 Dazu                                     Inklusion                         Herkunft
                                                                                            (MmB)
     gibt es vielfältige technologische Unterstützungs-                                                     Diversity
     möglichkeiten, wie Exoskelette zur Unterstützung
     bei physischen Arbeitsprozessen,14 oder Online-
     Lernplattformen sowie Umsetzungsmöglichkeiten
     moderner Konzepte der Arbeitsgestaltung (z.B.                                                Gender                  ...

     Altersgemischte Digitalisierungsteams), die ein
     lebenslanges Lernen ermöglichen. Dadurch kön-
     nen ältere Mitarbeiter:innen in relevanten Themen
     wie Digitalisierung, Internet, Software etc. geschult                    methoden sowie kreativeren und vielschichtigen
     werden. Eine Mischung aus Mitarbeiter:innen ver-                         Ansichtsweisen führt und so einen Erfolgsfaktor für
     schiedener Altersstufen ist wichtig, um voneinander                      Organisationen darstellen kann Neben dem Vorteil
     zu lernen und sowohl Arbeitserfahrungen als auch                         der Fachkräftesicherung bringen Mitarbeiter:innen
     Kenntnisse über neue Technologien und Trends                             verschiedener Herkunft unterschiedliche Wertevor-
     miteinander auszutauschen.15                                             stellungen, Glaubenshaltung und Einstellungen ins
                                                                              Team, was zu unterschiedlichen Problemlösungsme-
     Herkunft: Durch Formen des ortsunabhängigen                              thoden sowie kreativeren und vielschichtigen
     Arbeitens ist es möglich, virtuelle Teams zusammen-                      Ansichtsweisen führt und so einen Erfolgsfaktor für
     zustellen, in denen orts- und zeitungebunden gear-                       Organisationen darstellen kann.
     beitet werden kann. Teams können daher auch mit
     Fachleuten/ Projektteams über die Landesgrenzen                          Gender: Im Zusammenhang mit Digitalisierung wird
     hinweg zusammenarbeiten.16 Damit dies problem-                           oft herausgestellt, dass Frauen in Bereichen, die digi-
     los funktioniert, müssen kulturelle Unterschiede und                     tale Technologien nutzen, seltener vertreten sind.
     lokale Besonderheiten angesprochen und diskutiert                        Auch ist zu beobachten, dass in technikbezogenen
     werden sowie in die (digitale) Arbeitsgestaltung mit                     Branchen die Geschlechterungleichheit besonders
     aufgenommen werden.                                                      groß ist. Der Gender Pay-Gap ist hier z.B. beson-
     Weiterhin können durch digitale Tools auch Mitar-                        ders stark ausgeprägt.18 Hintergründe für diese
     beiter:innen vor Ort, die nicht die lokale Sprache                       geschlechterspezifischen Unterschiede gerade in
     sprechen, schnell Unterstützung finden. Dafür gibt                       technikbezogenen Berufsfeldern sind vielfältig; z.T.
     es bspw. digitale Wörterbücher, Echtzeit-Überset-                        sind sie auf tradierte Rollenbilder zurückzuführen,
     zungssoftwares mit mobilen Endgeräten, oder auch                         die sich in Bildungs- und Berufsbiographien nieder-
     innovative Lösungen wie virtuelle Arbeitsräume17                         schlagen. So können z.B. auch längere familienbe-
     zum Erlernen der Fachsprache. Neben dem Vorteil                          dingte Unterbrechungen von Frauen, die in geringe-
     der Fachkräftesicherung bringen Mitarbeiter:innen                        rer Berufserfahrung resultieren, diese Unterschiede
     verschiedener Herkunft unterschiedliche Wertevor-                        zur Folge haben. Durch neue digital-gestützte
     stellungen, Glaubenshaltung und Einstellungen ins                        Arbeitsformen und Home-Office haben Elternteile,
     Team, was zu unterschiedlichen Problemlösungs-                           die sich bspw. um ihr Kind zuhause kümmern, die

     13 Vgl. Bellmann, Lutz (2017): Chancen und Risiken der Digitalisierung für ältere Produktionsarbeiter.
     14 Vgl. Deutsche Verkehrs-Zeitung (2021): Neues Exoskelett für Lagerarbeiter.
     15 Vgl. Institut für Technologie und Arbeit (2017): Altersgemischte Digitalisierungsteams. (https://www.ita-kl.de/ita-projekte/altersgemischte-
        digitalisierungsteams/; Abruf: 02.11.2021).
     16 Peschl, Anika; Schüth, Nora Johanna; Ottersböck, Nicole (2019): Fachkräftesicherung durch Diversity und Digitalisierung – Wie lässt sich
        mit neuen Technologien vielfaltsbewusste Personalarbeit umsetzen?
     17 Vgl. Kompetenzzentrum Magdeburg (2021): Mini-Projekt - Inlingua: Holo-Deck für Sprachschulen.
     18 Tripp, Ina (2020): Diversity im Kontext des digitalen Transformationsprozesses.
Arbeit und Digitalisierung    13

Möglichkeit Familie und Beruf besser zu vereinen                       Grund, dass zum Training des Algorithmus ebenso
und Erwerbsunterbrechungen zu minimieren.19                            selten Gesichter von POC verwendet wurden.23
                                                                       Weitere Herausforderungen liegen z.B. in der Inte-
Inklusion von Menschen mit Behinderung: Neue                           gration von KI in bestehende Arbeitsprozesse und
Technologien wie Assistenzsysteme und Robotik                          der damit verbundenen Ausgestaltung der Mensch-
eröffnen Menschen mit Behinderung neue Mög-                            Technik-Interaktion zugunsten von Diversity oder
lichkeiten der Teilhabe am Arbeitsleben. Beispiels-                    in der grundlegenden Transparenz von Daten- und
weise können Greifarme oder Exoskelette Unter-                         Entscheidungsmodellen.
stützung bei körperlichen Arbeitsschritten bieten.20
Auch Technologien wie VR und intelligente Assis-                       Solange die Gefahren bewusst und vorbeugend
tenzsysteme können Arbeitsanweisungen für z.B.                         behandelt werden, kann Digitalisierung also zahl-
gehörlose Lagermitarbeiter geben und so die Inklu-                     reiche Chancen für Diversity schaffen. Diversität in
sion stärken.21 Dadurch entstehen neue Einsatzbe-                      Organisationen ist wichtig, um die Vielfältigkeit der
reiche für Menschen mit Behinderung, die somit                         Ideen, Einstellungen, Erfahrungen und Ansichtswei-
eine Chance bekommen sich selbst weiterzuentwi-                        sen zu nutzen, wodurch Innovationen erst entstehen
ckeln, zu lernen und am Arbeitsleben teilzuhaben.                      sowie kreative und neue Lösungen angeregt werden.
In diesem Kontext ist insbesondere auf eine lernför-                   Diese Chancen gilt es auch für KMU zu erschließen
derliche Ausgestaltung digitaler Assistenzsysteme                      und damit Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen.
bei der Konzeption und Implementierung zu ach-
ten, um Entwicklungspotenziale für Menschen mit                        Neben den Workshops, die sowohl online als auch
Behinderung mit Hilfe dieser Systeme nicht unbe-                       in Präsenz durchgeführt werden können, werden
rücksichtigt zu lassen bzw. negativen Auswirkungen                     die Inhalte der zentralen Module mittelfristig auch
der Assistenz (wie z.B. Kompetenzverlust durch dau-                    als Online-Lernpfad-Kurs im Rahmen der Lern- und
erhafte Anleitung) entgegenzuwirken.                                   Aktionsplattform LEA (https://lea.ita-kl.de) des Mittel-
                                                                       stand-Digital Zentrums Kaiserslautern kostenfrei zur
Neben diesen Chancen für Diversity birgt die Digi-                     Verfügung gestellt. Mittelfristig ist ebenfalls geplant,
talisierung auch Gefahren, denen man sich jederzeit                    das Thema sowie die Workshopmethodik als Train-
bewusst sein sollte und das Eintreten vorbeugen                        the-Trainer-Angebot für weitere Mittelstand-Digi-
muss. Eine dieser Gefahren ist die Diskriminierung                     tal Zentren anzubieten. Bei Interesse am Workshop-
durch künstliche Intelligenz. Auch wenn die Hoff-                      konzept wenden sie sich gerne an die folgenden
nung groß ist, dass durch den Einsatz von KI objek-                    Ansprechpartnerinnen des Mittelstand-Digital Zent-
tive, unvoreingenommene Entscheidungen getrof-                         rums Kaiserslautern, die das Thema betreuen.
fen werden, z.B. in der Bewerberauswahl, ist das
richtige Training der Algorithmen für diesen Pro-
zess essenziell. In großen etablierten Unterneh-                          Autorinnen
men hat sich dies anhand von einigen Beispielfällen                       Ilknur Atakli und Dr. Viola Hellge sind Wissen-
bereits gezeigt, als in der Auswahl von Bewerber:in-                      schaftliche Mitarbeiterinnen am Institut für Tech-
                                                                          nologie und Arbeit e.V. an der Technischen Uni-
nen Frauen eine automatische Absage von einer
                                                                          versität Kaiserslautern.
KI erhielten, da diese die überwiegend männliche
Belegschaft als Auswahlkriterium einordnete und                           Weitere Informationen und Angebote
                                                                          Mittelstand-Digital Zentrum Kaiserslautern
daher „falsch“ gelernt hat.22 Ähnliche Risiken gibt
                                                                          Tel: 0631 20575-2080
es in der Gesichtserkennung, die häufig Gesichter                         info@ digitalzentrum-kaiserslautern.de
von POC (People of Color) nicht erkennen konnte                           www.digitalzentrum-kaiserslautern.de
oder falsch zuordnete. Dies geschah allein aus dem

19 Carstensen, Tanja (2020): Orts- und zeitflexibles Arbeiten: Alte Geschlechterungleichheiten und neue Muster der Arbeitsteilung durch
   Digitalisierung.
20 Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA (2016): Teilhabe durch Robotik.
21 Work by Inclusion (2018): Entwicklung von visuellen Arbeitsmitteln für in Lagerprozessen tätige Gehörlose.
22 Dastin, Jeffrey (2018): Amazon scraps secret AI recruiting tool that showed bias against women.
23 Benton, Angela (2019): An AI-Run World Needs to Better Reflect People of Color.
14   Arbeit und Digitalisierung

     3 Digitale Veränderungen aktiv gestalten

     3.1 Change Management 4.0: Alter Wein in neuen Schläuchen?
         Mitnichten!
                                                                                 Florian Dörries und Prof. Dr. Dr. h. c. Wolfgang Kersten
                                                                                          Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Hamburg

     Eine Redewendung besagt „Nichts ist so beständig                            Warum – braucht es ein angepasstes Change
     wie der Wandel“ – die fortwährende Entwicklung                              Management?
     von Gesellschaft, Unternehmen und Co. zeigt dies
     auch recht deutlich. Allerdings treffen Veränderun-                         Da das Change Management offensichtlich keine
     gen nicht immer auf Begeisterung seitens der                                neue Erfindung ist, drängt sich Ihnen vielleicht die
     betroffenen Personen. Der Mensch ist nun mal                                Frage auf „Warum sollte man sich damit auseinan-
     Gewohnheitstier. Beim Blick in die Unternehmens-                            dersetzen?“ – zwei mögliche Antworten hierauf:
     welt zeigt sich, dass Veränderungsprojekte häufig                           Einerseits kommen Studien immer wieder zu dem
     nicht „einfach so“ funktionieren. Das sogenannte                            Ergebnis, dass ca. 2/3 aller Change-Projekte hinter
     Change Management kann Abhilfe schaffen.                                    den Erwartungen zurückbleiben bzw. vollständig
                                                                                 scheitern.27 Andererseits stehen die tradierten CM-
     Was – ist Change Management überhaupt?                                      Modelle teilweise in der Kritik, dass sie nicht mehr
                                                                                 vollumfänglich den Anforderungen aktueller Verän-
     Unabhängig von den konkreten Inhalten möglicher                             derungen entsprechen.28 So heißt es bspw., dass
     Veränderungsprojekte kann unter dem Begriff                                 die digitale Transformation die Anzahl bzw. die
     Change Management u. a. der Prozess von einem                               Geschwindigkeit von Veränderungen im Unterneh-
     nicht (mehr) befriedigendem Anfangszustand zu                               men erhöht.29 Demnach scheint eine Anpassung
     einem idealeren und gemeinsam getragenen Ziel-                              des Change Managements unumgänglich und
     zustand     verstanden      werden.24   Dabei     ist                       ebenfalls im Interesse von Unternehmen.
     Change Management eine Funktion, die „dem
     ganzheitlichen und systematischen Planen, Initiie-                          Wie – kann Change Management die digitale Trans-
     ren, Realisieren, Reflektieren und Stabilisieren von                        formation unterstützen?
     Veränderungsprozessen in Organisationen“25 dient.
     Im Laufe der Jahre wurden diverse Modelle entwi-                            Vorweg sei gesagt: Unternehmen bzw. deren Verän-
     ckelt, welche den Sachverhalt rund um die Verände-                          derungsprojekte sind individuell. Folglich ist es
     rungen im Arbeitskontext verständlich machen bzw.                           nicht möglich einen pauschalen „eins zu eins-Fahr-
     Wege zum erfolgreichen Wandel aufzeigen sollen.                             plan“ zu entwickeln, welcher zu jedem Unterneh-
     Dies beginnt 1947 mit dem 3-Phasen-Modell von                               men und jedem Veränderungsprojekt passt. Den-
     Kurt Lewin.26 Seither gab es immer wieder Anpas-                            noch lassen sich diversere Herausforderungen
     sungen, Detailbetrachtungen, etc., wobei sich beim                          sowie Erfolgsfaktoren benennen, die für einen
     Vergleich verschiedener Modelle über die Jahre                              Großteil aller Unternehmen von Belang sind. Wer-
     hinweg Parallelen erkennen lassen.                                          den diese nun mit einem groben Ablauf-Modell für

     24   Vgl. Kostka (2016).
     25   Kostka (2016).
     26   Vgl. Lewin (1947).
     27   Vgl. Dörries et al. (2021), Isern & Pung (2006), Miller (2002) sowie Beer & Nohria (2000).
     28   Vgl. Kotter (2012).
     29   Vgl. BMWi (2015).
Arbeit und Digitalisierung   15

Veränderungsprojekte zusammengebracht, ergibt                         Eine detaillierte Beschreibung des Ansatzes über-
sich eine Richtschnur, welche vielen Unternehmen                      steigt den Rahmen des Artikels, daher eine kompri-
unterstützend zur Seite stehen kann.                                  mierte Erklärung: Prinzipiell startet ein Change-Pro-
                                                                      jekt beim Prozessschritt Bedarf identifizieren. Wurde
Zu den größten Herausforderungen des Change                           festgelegt, was sich verändern muss, wird ein verant-
Managements zählen die Koordination der Zusam-                        wortliches Projektteam erstellt – wenn möglich inter-
menarbeit, die zeitliche Restriktionen und die Infor-                 disziplinär inkl. Führungskräften – welches den Fort-
mations- bzw. Berichtserstattung. Auf der Seite der                   gang des Projektes steuert (Schritt Führungsteam
Erfolgsfaktoren sind die Kommunikation, die Partizi-                  aufbauen/anpassen). Erste Aufgabe des Teams ist
pation der Mitarbeitenden und die Führung im Wan-                     es, eine Vision bzw. Strategie für das Change-Projekt
del zu nennen.30 Im Hinblick auf Veränderungspro-                     zu entwickeln und diese im Unternehmen bzw. der
jekte im Rahmen der Digitalisierung kann weiter die                   betroffenen Einheit zu kommunizieren. Auf Grund-
Frage gestellt werden: „Welche Dimensionen sind                       lage der Strategie können Maßnahmen zur Umset-
relevant für eine erfolgreiche digitale Transformation                zung der Veränderung abgeleitet werden, welche im
und sollten ggf. bei Change Management-Maßnah-                        Nachgang – bspw. in einer Pilotgruppe – zum Einsatz
men berücksichtigt werden?“. Hier lassen sich Mitar-                  kommen. Waren diese erfolgreich, kann die Verän-
beiter, Führung, Kultur und Strategie benennen.31                     derung auf die gesamte Zielgruppe ausgeweitet
                                                                      und als neuer Standard im Unternehmen definiert
Eine Kombination aus Schritten der klassischen                        werden (Schritt Veränderung leben). Weiter sollen
Change Management-Modelle, den genannten Her-                         bei allen benannten Schritten die Erfolgsfaktoren
ausforderungen bzw. Erfolgsfaktoren und relevan-                      Partizipation der Mitarbeitenden, gute Führung und
ten Dimensionen der digitalen Transformation ergibt                   ausgiebige und passende Kommunikation berück-
das in Abbildung 1 dargestellte Change Manage-                        sichtigt werden. Zusätzlich gilt es, betroffene Mitar-
ment-Konzept.32                                                       beitende so früh wie möglich einzubinden; dies kann
                                                                      je nach Projekt bereits im ersten Prozessschritt erfol-
                                                                      gen. Zuletzt bleibt festzuhalten, dass dieser Ansatz
                                                                      als Regelkreis aufgebaut ist, da auch im Anschluss an
                                                                      ein abgeschlossenes Veränderungsprojekt weiter-
                                       Bedarf                         hin Bedarfe für mögliche weitere Change-Projekte
                                       identifizieren                 zu identifizieren sind. Dies dient als Reaktion auf die
                                                                      vorausgesagte Erhöhung der Anzahl bzw. Geschwin-
       Veränderung
       leben                           MI TA                          digkeit von Veränderungen bedingt durch die digi-
                                               R                      tale Transformation.
                                               BE
                                                   I TE

                          Partizipation                   Führungs-   Und wie geht es nun – im Hinblick auf die konkrete
                                                    NDE

                            Führung                       team
                         Kommunikation
                                                          aufbauen/   Umsetzung in Ihrem Unternehmen – weiter? Hierzu
                   EIN

                                                          anpassen
                                                                      laden wir Sie ein, in unseren Umsetzungsleitfaden
                         IN
                     B

      Veränderung             DE                                      „Change Management – Wie Unternehmen den Ver-
                                   N
      umsetzen                                                        änderungsprozess aktiv gestalten können“ zu
                                                                      schauen. Neben generellen Hintergrundinformatio-
                               Strategie entwickeln
                               und                                    nen, einer detaillierteren Beschreibung des gezeig-
                               kommunizieren                          ten Vorgehenskonzeptes sowie Praxisbeispielen,
                                                                      finden Sie dort ebenfalls Anregungen, welche
Abbildung 1: Angepasstes Change Management-Konzept                    Methoden Sie bei der Umsetzung der einzelnen
(eigene Darstellung in Anlehnung an [Dörries et al. 2021])            Abschnitte unterstützen können.

30 Vgl. Dörries et al. (2021).
31 Vgl. Schumacher et al. (2016).
32 Vgl. Dörries et al. (2021).
16   Arbeit und Digitalisierung

       Autoren                                                Weitere Informationen und Angebote
       Florian Dörries, M. Sc. arbeitet als wissenschaftli-   Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Hamburg
       cher Mitarbeiter an der Technischen Universität        Tel: 040 36138-443
       Hamburg am Institut für Logistik und Unterneh-         kompetenzzentrum@hk24.de
       mensführung.                                           www.kompetenzzentrum-hamburg.digital
       Prof. Dr. Dr. h. c. Wolfgang Kersten leitet an der
       Technischen Universität Hamburg das Institut für
       Logistik und Unternehmensführung.

     3.2 Wie Beschäftigte die Digitalisierung in ihren Arbeitsprozessen erleben
            Erfahrungen der Beschäftigten für Verbesserungen nutzen

                                                                                   Inger Korflür und Marc Gerbracht
                                                                         Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Siegen

     Digitale Technologien sind in vielen Bereichen eine      Beschäftigten in der konkreten Arbeitspraxis stär-
     echte Erleichterung und Hilfestellung für die Arbeit.    ker sichtbar zu machen. Auf dieser Basis können
     Vielen Unternehmensleitungen ist jedoch oft unklar,      passgenaue Konzepte und Maßnahmen für die
     welche positiven Effekte im Detail zu erwarten sind,     Gestaltung und Umsetzung der Transformations-
     welche Probleme durch die Digitalisierung entste-        prozesse im Unternehmen erarbeitet werden.
     hen können und welche Auswirkungen digitale
     Tools auf die unterschiedlichsten Arbeitsprozesse        Die folgende Zusammenstellung bietet einen Über-
     haben. Unseren Erkenntnissen nach gelingt es des-        blick an typischen Erfahrungen, die immer wieder
     wegen nicht, dass Potenzial der digitalen Unterstüt-     beobachtet wurden. Sie können ein Anlass für Refle-
     zung voll auszuschöpfen. Das zeigen Erfahrungen          xion und Verbesserung sein:
     aus den Digitalisierungsprojekten des Mittelstand
     4.0-Kompetenzzentrum Siegen und der Anwen-               Ein digitales Tool hat in den verschiedenen Abteilun-
     dung des Instrumentes „Betriebslandkarte Industrie       gen eines Betriebes jeweils andere Auswirkungen.
     und Arbeit 4.0“.
                                                              Umfassende Softwarelösungen (z. B. ERP-Systeme)
     Die Betriebslandkarte wurde vom Beratungsunter-          werden in vielen Abteilungen eingesetzt – mit unter-
     nehmen SUSTAIN CONSULT aus Dortmund entwi-               schiedlichen Erfahrungen. In der Vertriebsabteilung
     ckelt, um Transformationsprozesse in Unternehmen         als große Hilfe bei der Arbeit erlebt, stellt dieselbe
     besser gestalten zu können. Mit dem Instrument           Software im Projektmanagement ein großes Problem
     werden die Wirkungen der Transformation auf ein-         dar, weil sich z. B. die Vielschichtigkeit eines bestimm-
     zelne Arbeitsbereiche eines Unternehmens her-            ten Prozesses in der Software nicht abbilden lässt.
     ausgearbeitet. Gemeinsam mit der IG Metall NRW           Deshalb sollten die unterschiedlichen Auswirkun-
     wurde die Betriebslandkarte im Rahmen des Pro-           gen der digitalen Technologie auch in verschiede-
     jektes „Arbeit 2020“ zur Betriebslandkarte Indust-       nen Abteilungen in den Blick genommen werden.
     rie und Arbeit 4.0 weiterentwickelt und in mehr als
     70 Betrieben eingesetzt. Dabei geht es vor allem         Schnittstellenprobleme sind in fast jedem Unter-
     darum, die Wahrnehmung und Erfahrungen der               nehmen ein Problem.
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