Weise Sprüche statt leerer Worte - 16 Bibelarbeiten und Impulse über das Buch der Sprüche
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Michael Diener / Thomas Günzel / Hartmut Steeb (Hrsg.) Weise Sprüche statt leerer Worte 16 Bibelarbeiten und Impulse über das Buch der Sprüche BORN-VERLAG Die Evangelische Allianz in Deutschland Das Evangelische Allianzhaus Bad Blankenburg
Die Herausgeber Dr. Michael Diener ist Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes und Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz. Thomas Günzel ist Direktor des Evangelischen Allianzhauses in Bad Blanken- burg. Hartmut Steeb ist Generalsekretär der Evangelischen Allianz in Deutschland. Eine Kooperation mit der Evangelischen Allianz in Deutschland und dem Evangelischen Allianzhaus Bad Blankenburg Impressum © 2012 BORN-VERLAG, Kassel Printed in Germany. All rights reserved. Umschlaggestaltung: Dieter Betz Design-Kommunikation, Friolzheim Umschlagmotiv: Wortbildmarke der 117. Allianz- konferenz, b:dreizehn GmbH, Stuttgart Medien für Mitarbeiter Fotos innen: Allianzhaus-Archiv; privat; idea / auf.www.bornverlag.de Thomas Kretschel © kairospress; Fotostudio Bernd Greiner mit Leseproben zu allen Titeln Lektorat: BORN-VERLAG / Birgit Götz, Marburg Satz: BORN-VERLAG / Claudia Siebert, Kassel Druck- und Gesamtherstellung: AALEXX Buch- BORN-NEWSLETTER produktion GmbH, Großburgwedel www.bornverlag.de/newsletter Gedruckt.auf.FSC-zertifi.ziertem.Papier. BORN-VERLAG auf Facebook ISBN 978-3-87092-536-9 | Bestellnr. 182.536
Weise Sprüche statt leerer Vor-Worte Die Weisheiten des Gottesvolkes Israel, die im „Buch der Sprüche“ aufleuchten, sind über 2500 Jahre alt. Gott hat in seiner Güte seinem Volk eine Menge an Weis- heit mit auf den Weg gegeben. Auch heute wird aus dem biblischen „Buch der Sprüche“ häufig „zitiert“. Leider kennen nur wenige die Quelle der Zitate. Mit unserem Buch begeben wir uns an diese Quelle und wenden uns diesem besonderen Schatz der Heiligen Schrift zu. Für die Bibelarbeiter der 117. Allianzkonferenz in Bad Blankenburg war es eine spannende Herausforderung, sich diesen Texten zu stellen – und Bibelarbeiter und Nacharbeiter waren oft überrascht und erfreut, wie aktuell und lebensnah, grund- legend und praxistauglich diese Texte sind. Diese Entdeckungen wollen wir mit diesem Buch gern weitergeben. Beim Lesen und Weiterarbeiten mit dem Buch wird der besondere Schatz der Glaubens- und Lebensweisheiten des jüdischen Volkes für unsere Zeit neu beleuchtet. In einer Zeit vieler „leerer Worte“ finden wir hier aktuelle Auslegungen zu wegweisenden „weisen Sprüchen“! Wenn wir diesen Weg der Weisheit heute gehen wollen, dann tun wir das als Freun- de und Nachfolger von Jesus. Das Neue Testament weist uns den Weg, wie wir nicht nur Wissen, sondern Weisheit erlangen: „In Christus sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen“ (Kol 2,3). Wir hoffen, dieses Buch verhilft zu überraschenden Begegnungen mit Gottes Wort im Buch der Sprüche und mit Gott selbst, der uns in Jesus Christus begegnet und Anteil an seiner göttlichen Weisheit schenkt. Mit herzlichen Segensgrüßen im Namen der Herausgeber Thomas Günzel Direktor Evangelisches Allianzhaus Bad Blankenburg 7
Plädoyer für die Weisheit Sprüche 9,1-18 von Pfr. Dr. Michael Diener Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes und ehrenamtlicher Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz Braucht es das, ein Plädoyer für die Weisheit? So eine Art Plädoyer, also eine Ver- teidigungsrede oder eine die Kernbedeutung darstellende Rede zu den Sprüchen der Bibel, das wäre eher schon mal angebracht. Denn die Sprüche sind so gut wie nie Thema einer christlichen Veranstaltung, Predigttext eines Gottesdienstes oder Grundlage eines Chorals. Das Buch der Sprüche scheint ein blinder Fleck in den Augen der Christenheit zu sein. Aber ein Plädoyer für die Weisheit muss man doch nicht wirklich halten, oder? Denn damit ist es ähnlich wie mit dem Verstand: Jeder meint, eigentlich schon genug davon zu haben. Dabei fällt auf, dass in unserer Generation oder insgesamt in unserer Gesellschaft das Wort Weisheit sehr oft noch mit dem Alter verbunden wird. Man redet davon, dass alte Menschen weise sind. Interessant ist, dass, als diese Vorstellung erfunden wurde oder als sie entstand, die Menschen längst nicht so alt geworden sind wie heute. Alle, die heute über 40 Jahre alt sind, können sich durchaus schon auch in dem Sinne mal als „altersweise“ bezeichnen lassen. Eine echte Herausforderung Das ist schon ein großer Anspruch, „weise Sprüche statt leerer Worte“. Die Gefahr ist groß, dass wir bei den leeren Worten sofort an die anderen denken und bei den weisen Sprüchen an uns selbst. Aber was ist, wenn die leeren Worte auch von uns kommen? Was ist, wenn wir genau so Stroh dreschen wie viele andere? In der Pfalz gibt es dieses schöne Sprichwort oder diesen schönen Satz: „Mach kee Schbrisch!“ Kürzer kann man es wohl nicht sagen. Meistens steht dann einer vor dir, der seit fünf Minuten versucht hat, dir eine Melkmaschine zu verkaufen und dafür die letzte 17
Plädoyer für die Weisheit Kuh als Anzahlung mitnimmt. Und da steht dieser Pfälzer vor dir und sagt: „Mach kee Schbrisch, ich glaaab dir net!“ „Ich glaube dir nicht, egal was du sagst, es sind nur leere Worte.“ Es ist gar nicht so leicht, weise zu sein und weise zu sprechen, und das gilt auch für Christen. Spätes- tens dann, wenn wir unter uns sind, merkt man, dass es da mit der Weisheit auch höchst unterschiedlich zugeht. Nur weil wir den Geist Gottes haben, sind wir nicht automatisch weise Menschen. Und deshalb finde ich es wirklich spannend, dass wir uns mit diesem Thema beschäftigen. Ich wünsche mir, dass wir diese weisen Sprü- che als Herausforderung für unser Leben entdecken. Dass wir unser Leben prägen lassen von weisen Worten, von weisen Sprüchen anstatt von leeren Worten. Die Sprüche: ein schlaues Buch Wenn man sich das Buch der Sprüche anschaut, stellt man fest, dieses Buch ist wunderbar kunstvoll angelegt. Es finden sich eine Vielzahl von Sprach- und von Stilmitteln (siehe dazu die Einführung in das Buch der Sprüche ab Seite 9). Viele Sprüche sind bis heute bekannt als Sprichworte. In einem Satz ist alles gesagt. Davon lebt das Buch der Sprüche, dass ganz kurz und kompakt in einem Satz die Sache auf den Punkt kommt. Dieses Buch kann man nicht so überfliegen, an einem Tag durchlesen oder in einer Stunde. Ein Satz pro Tag ist ausreichend, denn da ist ungemein viel drin. Im Buch der Sprüche findet man auch längere Lehrgedichte, z. B. in den Kapiteln 1 – 9. Sie sind eine Art Einführung in die ganze Spruchsammlung. Im ersten Kapi- tel werden immer wieder die Weisheit und die Torheit nebeneinandergestellt. Die Menschen werden ermutigt und motiviert, nicht in der Torheit zu bleiben, sondern Weisheit zu erlangen. Besonders Kapitel 9 ist nichts anderes als eine bildhafte Auf- forderung: „Wählt die Weisheit!“ 1 Frau Weisheit hat ein Haus gebaut und es mit sieben Säulen ausgestattet. 2 Sie hat ein Festessen vorbereitet, guten Wein geholt und den Tisch gedeckt. 3 Ihren Dienstmädchen befahl sie: „Geht auf den Marktplatz der Stadt und ruft: 4 ,Ihr Unerfahrenen - kommt zu mir! Ihr Tagträumer, 5 euch lade ich ein. Kommt, esst euch satt, und trinkt meinen guten Wein! 6 Bleibt nicht länger unvernünftig, fangt ein neues Leben an, werdet reif und besonnen!‘„ 18
Plädoyer für die Weisheit 7 Wer einen Spötter ermahnt, erntet nichts als Verachtung, und wer einen gottlo- sen Menschen tadelt, wird von ihm gemieden. 8 Darum weise nie einen Spötter zurecht, sonst hasst er dich. Ermahne lieber einen verständigen Menschen, denn er wird dich dafür lieben. 9 Unterweise den Klugen, und er wird noch klüger. Belehre den, der Gott ge- horcht, und er wird immer mehr dazulernen. 10 Alle Weisheit beginnt damit, dass man Ehrfurcht vor Gott hat. Den heiligen Gott kennen, das ist Einsicht! 11 Ich, die Weisheit, schenke dir ein langes und erfülltes Leben. 12 Du tust dir selbst etwas Gutes, wenn du weise bist; aber wenn du über alles mit Spott hinweggehst, schadest du dir selbst. 13 Frau Torheit gleicht einer unverschämten Hure, die sich auf nichts anderes ver- steht, als die Leute zu verführen. 14 Sie sitzt vor ihrer Haustür am Marktplatz der Stadt 15 und ruft allen, die vorbeigehen und an nichts Böses denken, zu: 16 „Wer unerfahren ist, den lade ich ein!“ Sie beschwatzt die Unvernünftigen: 17 „Es ist reizvoll, heimlich vom Wasser zu trinken, das anderen gehört, und ge- stohlenes Brot schmeckt am besten!“ 18 Wer auf sie hereinfällt, weiß nicht, dass es seinen sicheren Tod bedeutet. Alle, die zu ihr gegangen sind, ruhen schon im Totenreich. Ein wunderbares Bild: Die Weisheit und die Torheit laden zum Festmahl ein. Ein Schelm, der dabei nicht auch an die Einladung Jesu zum Mahl denkt. Die Weisheit bereitet alles vor, sie lässt schlachten, sie kocht. Ihr großes Gebäude mit den sieben Säulen steht nicht am Marktplatz wie das Haus der Torheit. Es ist nicht da, wo die Post abgeht. Aber sie schickt jetzt alle hinaus und lädt ein. Wer wird eingeladen? Die, die noch nicht weise sind. Die Törichten, die Unverständigen, die werden ein- geladen. Daran sieht man etwas ganz Entscheidendes für das Buch der Sprüche und auch für unser Leben: Weisheit kann man lernen. Keiner hat eine Entschuldung nach dem Motto: „Ich habe mich gentechnisch untersuchen lassen, bei mir ist das mit der Weisheit nicht da.“ Egal was bei deiner gentechnischen Untersuchung heraus- gekommen ist, Weisheit kann man lernen und weise Dinge lassen sich lehren. Und deshalb lädt die Weisheit in ihr Haus ein und sagt: „Kommt alle zu mir, ihr müsst nicht dumm bleiben, ihr müsst nicht unverständig bleiben, ihr müsst nicht töricht bleiben.“ 19
Plädoyer für die Weisheit Und dann wird erzählt, wie die Torheit ihr Haus baut: direkt am Marktplatz, da wo die Post abgeht. Da wird nicht davon gesprochen, dass sie sich irgendwie vorberei- tet, sondern sie sitzt da, im Text dargestellt als eine Hure, als eine verführerische Frau, die die Menschen verführt, zu ihr einzutreten. Bei ihr gibt es nur Wasser und Brot und das ist noch geklaut. Und die Menschen kommen zu ihr. Am Ende ist es aber doch eine Frage nach Leben und Tod. Vers 6 heißt es in der Lutherübersetzung: „Verlasst die Torheit, so werdet ihr leben.“ Und bei denen, die bei der Torheit eingezogen sind, heißt es dann im 18. Vers: „Wer auf sie hereinfällt, weiß nicht, dass es seinen sicheren Tod bedeutet. Alle, die zu ihr gegangen sind, ruhen schon im Totenreich.“ Was ist Weisheit? Ganz so leicht darf man es sich bei der Frage nach der Weisheit darum auch nicht machen und deshalb die spannende Frage beim Plädoyer für die Weisheit: Was ist denn das überhaupt, Weisheit? Was ist das denn? Es gibt Definitionen wie Sand am Meer. Und es gibt auch Beispiele für weise Sätze, die nicht unbedingt aus der Bibel sind. Ein Beispiel aus meiner Vorgängergeneration, mit der ich aber aufgewachsen bin, ein unheimlich weiser Spruch: Der Ball ist rund! Also der Spruch mag nicht un- bedingt weise klingen, aber das, was alles dahintersteckt, das ist weise. Oder: Ein Spiel dauert 90 Minuten! Was übrigens gar nicht stimmt. „Ein Spiel dauert 90 Minuten“, das ist dieselbe Weisheit, die auch hinter dem Satz steckt: „Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben“. Wartet doch mal das Ende ab! Es gibt sehr viele Dinge, die sprichwörtlich geworden sind, die unser Leben manchmal mehr prägen, als wir glauben, die aus dem biblischen Horizont kommen oder eben auch nicht aus dem biblischen Horizont, aber die eines gemeinsam haben: In ihnen steckt Weisheit. Weisheit schließt Wissen nicht aus. Aber Weisheit ist mehr als Wissen. Jemand, der alle naturwissenschaftlichen Gesetze kennt, jemand, der ein echtes Mathegenie ist, wofür ich eine unglaubliche Bewunderung habe, muss trotzdem nicht weise sein. Aber es ist kein Zeichen von Weisheit, wenn man glaubt, man könnte alle na- turwissenschaftlichen Erkenntnisse und alle Naturgesetze und alles, was diese Welt so bestimmt, einfach über Bord werfen und sagen: Dann bin ich weise! Weisheit ist mehr als Wissen, aber es schließt das Wissen nicht aus. 20
Plädoyer für die Weisheit Weisheit hat mit Erfahrung zu tun. Deshalb spricht man es vielleicht auch manch- mal älteren Menschen zu. Weisheit bezieht sich auf Denken, Reden und Tun, ist also ein sehr ganzheitlicher Begriff. Es gibt keinen Weisen, der nur weise redet, aber nicht auch so lebt. Da gehört etwas zusammen. Weisheit kann die größeren Zusam- menhänge des Lebens erkennen und zur gleichen Zeit sich auch im Lebensalltag zurechtfinden. Weisheit ist sehr praktisch, sehr konkret. Weisheit bringt die Dinge auf den Punkt und hilft Menschen deshalb, sie auch umzusetzen. Und das Ziel der Weisheit ist ein gelingendes Leben. Dein, mein Leben soll gelingen, soll in seinen Lebensvollzügen gelingen. Jesus hat einmal davon gesprochen, dass er gekommen ist, dass die Menschen das Leben in der Fülle haben (vgl. Joh 10,10b). Dazu gehört auch die Weisheit. Und wir vergessen manchmal, dass die Weisheit in der Bibel einen breiten, aber oft unterschätzten Raum einnimmt. Es gibt ja nicht nur das Buch der Sprüche, auch die Weisheit Salomos (Prediger), das Buch Hiob, die Weis- heitspsalmen (Ps 1; 37; 39; 49; 73; 119) und auch das Apokryphenbuch Jesus Sirach gehören zur biblischen Weisheitsliteratur. Die Bedrohung der Weisheit Ist die Weisheit gefährdet? Ja, die Weisheit ist gefährdet von zwei Seiten: von den Schwärmern und von den Leugnern. Gefahr der Schwärmer Stellt euch vor, ihr habt eingeladen, eure Gäste kommen. Eine ganz besonders liebe Freundin kommt. Sie bringt einen riesengroßen Blumenstrauß mit, wunderschön, richtig geschmackvoll. All die Blumen drin, deren Namen wir gar nicht kennen. Und sie überreicht euch diesen Blumenstrauß und ihr seht nur sie an, nehmt den Blu- menstrauß, werft ihn hinter euch und sagt: „Ach, schön, dass du da bist!“ Und dann liegt dieser Blumenstrauß die ganze Zeit in der Ecke und kein Mensch achtet mehr auf ihn. Ist zwar toll, dass ihr den Geber, den Besuch höher schätzt als seine Gaben, aber so sollte man mit den Gaben ja auch nicht umgehen, oder? Das machen viele mit einem Geschenk, das Gott uns gemacht hat. Gott schenkt dir und mir diese Welt. Gott schenkt uns seine Schöpfung. Gott hat diese Schöpfung so- gar in Christus versöhnt. Und nun, wo Gott uns dieses Geschenk überreicht, sind wir so fasziniert von Gott, von allem Religiösen und Frommen, dass wir sein Geschenk, auch seine Gesetzmäßigkeiten, seine Ordnung, seine Alltagstauglichkeit einfach überspringen und so tun, als wäre das alles überhaupt gar nicht da. 21
Plädoyer für die Weisheit In der Bibel spricht Gott ganz unterschiedliche Sprachen, er redet durch die Geset- ze, er redet durch die Propheten, er redet durch die Lieder, aber Gott redet auch durch die Weisheit, durch diese Alltagstauglichkeit des Glaubens. Gott ist nicht nur da, wenn wir seinen Namen in den Mund nehmen, sondern er ist da, weil er all das, was uns umgibt, geschaffen hat. Er ist immer schon da. Und das finde ich ungemein spannend, dass wir diese Dimension der Weisheit, das heißt, die Alltagsdimension des Glaubens, nicht überspringen. Da wächst so ein kleiner Steppke in einem frommen Erziehungsheim in Berlin auf. Eines Tages geht die ganze Gruppe in den Zoo. Oben im Baumwipfel springt ein Affe herum. Der Bischof, der die Gruppe begleitet, klopft dem Kleinen auf die Schulter und sagt: „Na, mein Junge, was springt da denn?“ Der Steppke schaut den Bischof so von unten nach oben an und sagt: „Ich würde ja sagen, das ist ein Affe, aber so wie ich den frommen Laden kenne, ist das wieder das liebe Jesulein.“ Kennt ihr die, bei denen alles das liebe Jesulein ist? Egal, welches Thema man immer anspricht, man landet mit dem zweiten Satz bei Jesus. Ich weiß, dass das, was ich sage, nicht ganz leicht eingängig ist. Ich habe auf meiner Facebookseite sehr unterschiedliche Freunde. Neben den sehr Frommen auch viele nicht Fromme, ehemalige Konfirmanden, Leute aus meiner Familie, Leute aus meiner Heimatstadt Pirmasens. Und öfter mal, wenn sie (die nicht so Frommen) auf meiner Facebook- seite z. B. eine Diskussion zum Thema ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) oder zum Thema Klimaschutz lesen und jemand Frommes jeden Satz mit „Jesus“ beantwortet, bekomme ich von ihnen eine Nachricht geschickt: „Sag mal, hat der eine Meise?“ Wir haben uns auf Facebook in eine öffentliche Welt hineinbegeben. Da sind viele Menschen, die nicht jede Lebensfrage mit dem Namen Jesus beant- worten, die keine frommen Sätze erwarten, aber etwas von der Alltagstauglichkeit des Glaubens, wie wir sie in den Sprüchen finden. Vor einiger Zeit habe ich mich einmal geoutet: Als ich letztes Jahr zu Spring ge- fahren bin, habe ich leider Willingen im Sauerland mit Willingen im Westerwald verwechselt und war ziemlich lange unterwegs. Unnötigerweise! Ich habe das dann auf Facebook gepostet, das nennt man heute öffentliche Reue zeigen, und erhielt die unterschiedlichsten Ratschläge. Meine frommen Geschwister, ich schätze das hoch, ich lache nicht darüber, ich will nur eine Spannung aufzeigen, haben häufig geschrieben: „Wir beten für dich!“, „Gott findet den richtigen Weg!“, „Der Herr ist mit dir!“ Meine nicht frommen Freunde haben geschrieben: „Hast du schon mal dein Navi ausgetauscht?“, „Hast du neue Batterien reingemacht?“, „Hast du es mit einem Neustart versucht?“, „Nimm doch die Straßenkarte!“ 22
Plädoyer für die Weisheit Es gibt so etwas, das ich Schwärmerei nenne, das die Alltagswirklichkeit nicht wirk- lich von Christus her lösen, heilen, beantworten, sondern einfach nur zukleistern will. Manchmal ist es schreckliche fromme Faulheit. Ich denke an die schwierige Thematik von Tod und Sterben. Da gibt es so Welterkenntnisse, was unterschiedli- che Phasen nach schweren Krankheitsdiagnosen angeht. Da ist die erste Phase, dass man es nicht wahrhaben will. Dann kommt die Phase des Zorns, dann verhandelt man, dann fällt man in Depressionen, zum Schluss ist so etwas wie ein Einstimmen erkennbar. Diese fünf Phasen wiederholen sich oft bei Menschen in Krankheitsfäl- len wie auch in Leidens- und in Trauerfällen. Und je nachdem, in welcher Phase ein Mensch ist, muss ich unterschiedlich mit ihm umgehen. Es ist nicht besonders hilfreich, wenn jemand in der Phase des Nicht-wahrhaben-Wollens ist und jemand auf die Erkenntnis dessen, dass er schwer krank ist, schreibt: „Aber du hast ja noch den Himmel vor dir.“ In meiner Verwandtschaft hat es einen Menschen gegeben, der relativ früh an Krebs sterben musste. Und als er schon vom Tod gezeichnet auf einer christlichen Konfe- renz war und zum Buffet ging, sagte der wohlmeinende Bruder zu seiner Rechten zu seiner Frau: „Na, nun wird unser lieber Bruder ja auch bald im Himmel sein.“ Das ist nicht weise, das ist auch nicht fromm, das ist einfach schlichtweg taktlos und dumm. Und wir haben uns manchmal ein Stück weit angewöhnt, auf alles zu schnell eine Antwort zu haben. Wenn denn das Buch der Sprüche wie das Buch Hiob zur Weisheit gehört, dann kann ich am Buch Hiob zumindest einmal lernen, dass seine Freunde sieben Tage lang geschwiegen haben, bevor sie ihren Mund öffneten. Da kommt ein junger Pfarrer zu seinem älteren Kollegen, der schwer leidend ist, und sagt: „Ja, lieber Bruder, du weißt ja: Wen der Herr liebt, den züchtigt er.“ Da schaut ihn der ältere Bruder an und sagt: „Du, ich wollte, der Herr würde mal je- mand anderen lieben.“ Es geht nicht darum, dass wir Christus nicht in die Wirklich- keit der Welt hineinnehmen. Aber von der Weisheit, die oftmals auskommt, ohne direkt von Gott oder von Christus zu sprechen, kann ich lernen, dass in den Lebens- und Weltvollzügen Gott und Christus auch dann drin sind, wenn ich sie gewissenhaft und ernsthaft vollziehe und dabei berechenbar und für andere glaubwürdig bin. Ich kann in dem Buch der Sprüche lernen, dass da nicht nur so genannte jüdische Weisheiten drin stehen, sondern ugaritische, phönizische, ägyptische, gesammelt zu Zeiten des Königs Hiskia. Wenn die Weisheit uns heute etwas lehrt, dann auch das: Lasst uns nicht schwär- men, sondern lasst uns bodenständig unseren Glauben leben. Lasst uns nicht glau- ben, dass an der Quantität dessen, wie oft wir den Namen Jesus in den Mund neh- 23
Plädoyer für die Weisheit men, sich entscheiden wird, ob die Menschen, mit denen wir leben, sich bekehren. Manchmal habe ich diesen Eindruck. Gefahr der Leugner Noch mal das Beispiel von vorhin: Ihr habt Gäste eingeladen. Eine gute Freundin kommt mit einem wunderschönen Blumenstrauß, du machst die Tür auf, du siehst den Blumenstrauß, wunderschön, und den ganzen Rest des Abends kümmerst du dich nur noch um die Blumen, während dein Gast einfach an der Tür steht. So ma- chen es viele Menschen, die diese Welt und diese Schöpfung absolut setzen und den Geber Gott darüber vergessen. Das ist die andere Gefahr. Ich kann die Wirklichkeit der Welt so ernst nehmen, dass ich den Geber vergesse, oder ich kann den Geber so überbetonen, dass ich sein Geschenk nicht mehr wahrnehme (siehe Gefahr der Schwärmer). Die Gefahr, die im Buch der Sprüche deutlicher beschrieben wird, ist die, dass die Menschen das Geschenk annehmen, die Schöpfung, die Welt, die Naturgeset- ze, die Wirklichkeit des Alltags, das Vernunft-Gemäße, das Verständige, das Erfah- rungswissen, und so tun, als bräuchten sie dafür Gott nicht. Werner Heisenberg (1901–1976), deutscher Physiker und Nobelpreisträger, hat einmal dieses wunder- schöne Wort gesagt: „Der erste Schluck aus dem Becher der Wissenschaft macht atheistisch, aber auf dem Grund des Bechers wartet Gott.“ Das heißt, je mehr ich auch weiß, zu Beginn glaube ich, mein Wissen emanzipiert mich, nimmt mich he- raus aus der Hand Gottes. Aber je mehr ich weiß, desto mehr merke ich, dass ich nichts weiß. Für jede Frage, die wir naturwissenschaftlich beantworten, tun sich hundert neue Fragen auf. Oswald Bayer, Professor für Theologie, hat einmal gesagt: „Wissen ohne Weisheit macht gewissenlos.“ Es gibt viele Beispiele in der wunderbaren Welt der Naturwis- senschaften, dass Wissen ohne Weisheit gewissenlos macht. Also sei kein Leugner, nimm das Geschenk Gottes, seine Welt, an, aber vergiss darüber den Geber nicht. Unterhalten sich zwei Studenten beim Essen, der eine ein Atheist, der andere ein gläubiger Mensch. Der Atheist sagt: „Es kann keinen Gott geben. Schau dir die Welt an!“ Der Gläubige antwortet: „Schau dir die Welt an, es muss Gott geben!“ Später im Verlauf des Essens sagt der atheistische Student: „Ein hervorragendes Essen, tolles Fleisch!“ Schaut der andere ihn von der Seite an und sagt: „Glaubst du ei- gentlich an einen Koch?“ Lasst uns die Rechnung nicht ohne den Wirt machen. Lasst uns das Vorfindliche annehmen, aber darüber Gott nicht vergessen. 24
Plädoyer für die Weisheit Im Neuen Testament wird das Geschenk der Weisheit dann zu Jesus hingeführt. Johannes sagt einmal über Jesus, „da ist mehr als Salomo“ (Mt 12,42b). Salomo in all seiner Weisheit war trotzdem ein sündiger, ein fehlbarer Mensch. Aber von Jesus heißt es: „In ihm sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen“ (Kol 2,3). Deshalb ist es richtig, wenn wir alles Weltwissen in Verbindung zu Christus setzen, aber dieser Lebenswirklichkeit zugleich so viel Raum lassen, dass unsere Glaubensaussagen diese Wirklichkeit annehmen, verändern, heilen, anstatt sie zu leugnen, zu verdrängen oder zu übergehen. Weisheit im Alltag Wie komme ich zur Weisheit, wie können du und ich Weisheit lernen? Die Sprüche haben ein wunderbar simples und einfaches Konzept. Sie sagen: Die Gottesfurcht ist der Weisheit Anfang (vgl. Spr 1,7). Dass wir Menschen wahrnehmen, da ist ein Gott, ein Schöpfer, ein Versöhner, ein Erlöser, auch ein Richter aller Menschen, damit fängt Weisheit an: dass wir keine Leugner sind, sondern dass wir die Wirklich- keit Gottes mit der Wirklichkeit dieser Welt ins Gespräch bringen, sie miteinander verbinden. Weitermachen mit Christsein im Alltag Ich möchte euch zum Schluss auf ein Gemälde aufmerksam machen (zu finden un- ter richardserrinart.com/religious2.htm, „Simeon holding up the christ child“ von Richard Serrin). Es gibt eine Person der Bibel im Übergang vom Alten zum Neuen Testament, die mir immer schon viel zu sagen hatte. Auf diesem Bild seht ihr Sime- on, den Hörenden. Simeon ist ein frommer und gottesfürchtiger Mann, heißt es von ihm im Lukasevangelium. Er begegnet Jesus und Maria, als sie den kleinen Jesus in den Tempel bringen. Und von Simeon heißt es, dass Gott ihm gesagt hat, er würde nicht sterben, bevor er den Messias sieht. Und dann heißt es von ihm: „Jetzt drängte ihn der Heilige Geist, in den Tempel zu gehen“ (Lk 2,27a). Simeon war ein Mensch an der Schwelle vom Alten zum Neuen Testament, der auf den Geist Gottes gehört hat. Der Geist Gottes scheint schon dauerhaft mit ihm ge- wesen zu sein, jedenfalls führt dieser Geist ihn in den Tempel. Und jetzt geschieht für mich etwas Unglaubliches: Simeon, der ein Leben lang auf den Messias gewartet hatte, der ein Leben lang auf den gewartet hatte, der Israel befreit, Simeon, der 25
Plädoyer für die Weisheit alle Hoffnung darauf gesetzt hat, sieht ein kleines wenige Tage altes Baby auf den Armen seiner Eltern und bricht in Lobpreis aus. Sieht so der Retter aus? Wie erkennt Simeon bei den vielen Menschen im Tempel, dass das Jesus ist? Wie kann er wissen, dass dieser kleine, mit Verlaub gesagt, Hosenscheißer, der er war, wie kann er wis- sen, dass das der Heiland, der Retter dieser Welt ist? Hier fließen die Leitung Gottes und die Weisheit zusammen: ein Mann, der im All- tagsleben treu und fromm sein Leben gelebt hat, der sich aber die Verheißung Gottes nicht aus dem Herzen hat nehmen lassen und der diese Verheißung, die Situ- ation Jerusalems, der Juden, all das zusammen vor Gott bringt und jetzt hier steht und dieses Kind dem Gott entgegenstreckt, der sein Wort hält. Und ich glaube, der Weg zur Weisheit fängt damit an, dass wir Menschen wie Simeon werden: hörende Menschen; Menschen, eingebunden in unsere Lebens- und Alltagswirklichkeit; Men- schen, die den Geist Gottes immer wieder hören und sich von ihm leiten und führen lassen und die an den Punkten, wo Gott uns etwas schenkt, uns etwas zeigt, das, was er uns gezeigt hat, ihm entgegenhalten und sagen: „Hier ist es. Mach etwas daraus zu deiner Ehre!“ 26
Plädoyer für die Weisheit Fragen zum Einstieg • Berichte von einem unvergesslichen Festessen! Was war daran so besonders? • Welches Gastgeschenk hat dich (als Schenker oder Beschenkter) schon mal in Verlegenheit gebracht? Warum? Fragen zum Text • Falte ein leeres Blatt in der Mitte und schreibe auf die eine Seite die Merk- male der Weisheit (V. 1-6; Baustil, Festvorbereitungen, Gäste usw.), auf die andere die Merkmale der Torheit (V. 13-18). Was fällt dir dabei auf? • Fördert die Aufforderung in den Versen 7-9 nicht die Ungleichheit? Wie ist sie zu verstehen? • Was ist Weisheit (V. 10)? • Wie macht sich Weisheit im Leben von Menschen bemerkbar (V. 11)? Gibt es auch junge Weise mit kurzem Leben? Fragen zur praktischen Umsetzung • In welchen Bereichen des Lebens bist du eher ein Schwärmer? • In welchen Bereichen des Lebens bist du eher ein Leugner? • Wie kannst du von der Wirklichkeit des Glaubens im Alltag sprechen, OHNE dafür „fromme Worte“ zu gebrauchen? Wie musst du sprechen, damit Men- schen nicht gleich abschalten? Welche Rolle spielt dabei dein Leben? 27
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