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Genetische Vielfalt PyPo 65 Der Berger des Pyrénées – von der Vielfalt zur Einfalt? Josef Müller Die hohe Variabilität (~ Viel- rameter, nämlich a) die effektive An- falt) des Pyrenäen-Hütehundes im zahl der Gründertiere einer Popula- Phänotyp ist eine beliebte Formel in tion und b) die effektive Anzahl der französischen Berger-Kreisen - sie ist verbleibenden Gründergenome und Ausdruck der verschiedenenTaltypen, c) die effektive Anzahl der Vorfahren - aber man kann mit ihr auch sehr typ- mit diesem letzten Ansatz berücksich- arme Hunde noch als Angehörige der tigt man die „bottle neck“ genannten Rasse Berger des Pyrénées retten, Engpässe in einer Population: Beim wenn sie einem der Rasse angemes- Berger des Pyrénées ergaben sich sol- senen Biotop und Verwendungszu- che Engpässe beispielsweise durch sammenhang entstammen - oder ei- die Verwendung der Rasse als Kriegs- ner Zuchtstätte, deren Inhaber keine hund im 1. Weltkrieg, durch die Errich- pyrenäische Vision vom Berger des tung eines offiziellen Zuchtbuchs Pyrénées hat. Aber ist die äußere Va- 1923-1925, durch den Rückgang der riabilität auch Ausdruck einer gene- Zuchtstätten in und kurz nach dem 2. tischen Vielfalt? Nimmt man sich die Weltkrieg und durch den ungleichmä- Ahnentafeln französischer wie deut- ßigen Einsatz bestimmter Deckrüden scher Bergers zur Analyse vor, dann ab den späten 1970er Jahren. Man wird man sehr rasch zu der Erkenntnis versuchte durch den Einsatz dieser gezwungen, dass zumindest auf dem Star-Deckrüden einen kurzfristigen Papier keineswegs die Variabilität ge- genetischen Fortschritt zu erreichen - spiegelt wird, die die Rasse bis heute das aber führte langfristig zu einem nicht nur in ihrem Äußeren, sondern genetischen Rückschritt, nämlich zu auch in ihrer Mentalität zeigt. Dieser einer Verarmung des Genpools. Zwiespalt zwischen der verringerten Variabilität auf dem Papier und der Der französische Populationsgeneti- selbst für jeden Laien wahrnehmba- ker Grégoire Leroy hat eine Disserta- ren Variabilität unserer Rasse im Exté- tion zum Thema Genetische Verschie- rieur und im Verhaltensrepertoire denheit von Hunderassen am 30. Mai kann wisennschaftlich analysiert wer- 2008 in Paris zur Prüfung vorgelegt den: Man nehme als Schlüssel die Zu- und 2009 veröffentlicht; in ihr hat er nahme der Inzuchtrate in einer ge- 61 in Frankreich gezüchtete Rassen, schlossenen Population, um die effek- darunter auch den Berger des Pyré- tive Größe einer Population und da- nées, analysiert, und zwar sowohl mit ihre Variabilität zu schätzen - das hinsichtlich der Ahnenverteilung auf hat Elisabeth Dietschi in ihrem Vortrag Ahnentafeln als auch hinsichtlich ihrer vor der Züchtergilde im Mai demon- molekulargenetischen Struktur. 28 striert. Allerdings mindert sich der real existierende Bergers wurden Wert dieses Ansatzes bei unvollstän- stellvertretend für die französische digen Ahnentafeln, wie dies beim Ber- Population molekulargenetisch unter- ger des Pyrénées bis in die 1980er sucht. Fangen wir an mit Leroys Pédi- Jahre in Frankreich noch die Regel grée-Analyse der Jahrgänge 1997 bis war und seit 2004/2005 im CBP ver- 2001 (seine Vergleichsgrößen aus den stärkt vorkommt. Hier helfen drei Pa- Jahren 1997 - 2001 (1092 nur zur Zucht
66 PyPo Genetische Vielfalt Abb. 1: Wahrscheinlichkeitsberechnung für die Herkunft der genetischen Information für Hunde, die von 1997 bis 2001 geboren wurden mit beiden bekannten (~ ins Zuchtbuch eingetragenen Eltern). Die Gesamtzahl der Gründertiere (= f) beträgt für den Berger 317, die tatsächliche Zahl (= fe) aber nur 51, und die tatsächliche Anzahl der Vorfahren (= fa) nur 16,7; die Anzahl der Vorfahren, die wahrscheinlich mehr als 50% der Gene beisteuern, liegt für den Berger nur bei 7 Hunden. Legende der Abkürzungen > Abb. 3 In: Leroy, 72, T. 4. zugelassene Bergers) und 2001 - 2005 2001 deutlich unter dem langjährigen (alle eingetragenen Berger-Welpen = Mittelwert. Die Zahl der Generationen 3742) sind leider nicht homogen, wo- für diese Gruppe der zugelassenen für Leroy aber nicht verantwortlich zu Bergers beträgt im Zeitraum 1997 - machen ist) - dennoch ist seine Arbeit 2001 ca. 6,1 - und das Generationsin- sehr belangreich: Leroys Analyse tervall dieser Gruppe liegt bei 4,7 Jah- zeigte, dass für unsere Rasse (hier ren. Insgesamt wurden in von 1997 Lang- und Kurzhaar ununterschieden) bis 2001 je Jahr nur 97 Elterntiere ver- zwar eine Gesamtzahl von 317 betei- wendet in Eintragungen, bei denen ligten Vorfahren (auf 5 Generationen), beide Eltern bekannt waren (die 2. Be- aber nur knapp 17 echte Gründertiere dingung für diese Gruppe) - etwas ermittelt werden konnten, und das be- weniger als die Hälfte der pro Jahr zu- deutet ein hohes Ungleichgewicht - gelassenen Bergers kam also tatsäch- das heißt mit anderen Worten, dass lich in die Zucht. Vergleicht man diese die genetische Variabilität des Berger Gruppe der zur Zucht zugelassenen des Pyrénées erheblich zurückgegan- 1.092 Bergers aus den Jahren 1997 bis gen ist, jedenfalls nach dieser Pédi- 2001 mit den insgesamt 3.742 Berger- grée-Analyse: In der Zeitspanne von welpen, die zwischen 2001 und 2005 1997 bis 2001 wurden 1.092 zur Zucht für das LOF gemeldet wurden, sollte zugelassene Bergers ins französische man vielleicht einige Unterschiede er- Zuchtbuch LOF definitiv eingetragen, warten dürfen zwischen den zugelas- d.h. in Wirklichkeit waren es zwar ca. senen Bergers der 1. Gruppe und al- 3.700 geborene Bergers, die aber im len geborenen und gemeldeten Ber- Gegensatz zu den tatsächlich zur gers der 2. Gruppe. Wenn man jedoch Zucht zugelassenen Bergers nur als die Zahl der gemeinsamen Vorfahren temporär eingetragen gelten. Leroy betrachtet, dann sind die Ergebnisse hatte für diesen Teil seiner Untersu- für beide Gruppen relativ gleich, auch chung nur Zugang zu den zur Zucht wenn die Tendenz eindeutig negativ zugelassenen Bergers im LOF - und ist: Für 1997 bis 2001 sind es 16,7 (> davon wurden ca. 218 je Jahr einge- Abb. 1) und für 2001 bis 2005 sind es tragen, das sind in etwa 30% des ge- nur noch 15 reale Ahnen. In diesen samten Jahrgangs, während die Zahlen für den Zeitraum von 2001 bis durchschnittliche Jahreseintragung 2005 sind jetzt auch die Gründertiere der zur Zucht zugelassenen Bergers ohne Ahnen enthalten (das können von 1975 bis 2001 bei 348 liegen im Prinzip die ersten registrierten Ber- müsste - d.h. die Zahl der zur Zucht gers überhaupt sein, das können im- zugelassenen Bergers liegt 1997 bis portierte Hunde sein - die aber doch
Genetische Vielfalt PyPo 67 Abb. 2: Die Entwicklung des durchschnittlichen Inzuchtkoeffizienten ( F in % ) je Jahrgang von 1975 bis 2001 (der Maßstab der y-Achse ist je nach Kurvendiagramm unterschiedlich). Legende der Abkürzungen für die neun französischen Rassen: BAR = Barbet; BAF = Basset fauve de Bretagne; BEN = Beauceron; BQG = Braque Saint-Germain; BRP = Berger des Py- rénées; BUF = Bouledogue Français; DOB = Dogue de Bordeaux; EPB = Epagneul Breton; MOP = Montagne des Pyrénées (~ Pyrenäen-Berghund). In: Leroy, 69, Tafel 1.
68 PyPo Genetische Vielfalt i.d.R. eine komplette Ahnentafel ha- tion in den Pyrenäen zusammen- ben -, und das können neu registrier- bricht, steigt der Inzuchtkoeffizient te Bergers aus pyrenäischen Bergli- deutlich über 2%, um dann rasch und nien sein). Der Rückgang überhaupt fast kontinuierlich auf 8,8% anzu- von 16,7 auf 15 reale Ahnen und das wachsen (> Abb. 2). Dazu beigetragen zudem in einer für 2001 bis 2005 wei- hat auch das Deckrüdenkarussell, das ter gestreuten Erfassungsmethode Anfang der 1980er Jahre von Gérard ist schon sehr signifikant. Leroy hat Ravier und seiner Zuchtstätte du auch für den Pyrenäen-Berghund eine Grand Bestiolan in Savoyen seinen Pédigrée-Analyse durchgeführt, wie- Ausgang nahm: Unter den von ihm der für die zur Zucht zugelassenen produzierten Welpen waren im Jahr Hunde, nicht für die Gesamtzahl der ein bis zwei phänotypisch interessan- Eintragungen ins LOF. Der Vergleich te Rüden, die er zuerst an André Audi- der Ergebnisse ist sehr aufschluss- bert - de l Oustaou de Padel im Dépar- reich und zugleich alarmierend für tement Ardèche - weitergab, der sie den Zustand des Berger des Pyré- dann nach dem Einsatz in die Pyrenä- nées: Denn im selben Zeitraum von en zu Marie-Béatrice Maillot - du Pic 1997 bis 2001 wurden für den Pyrenä- d Arbizon - und/oder zu Catherine de en-Berghund nur 413 zur Zucht zuge- Neckère-Tomballe - de Loubajac - wei- lassene Hunde eingetragen mit einer terreichte. Von dort wanderten diese Generationenzahl von 6,1 und einem Rüden zu Salvatore Giannone - de la Generationsintervall von 4,5 Jahren. Tuile au Loup - nach Belgien, und sie Die Anzahl der gemeinsamen Vorfah- kamen über eine jetzt erloschene ren in der Gruppe der zugelassenen Zuchtstätte im Elsass nach Savoyen Berghunde aber beträgt mehr als das zu Ravier zurück. So waren viele der Doppelte, nämlich 34. Noch geringer Siegerhunde Halbgeschwister, und ist natürlich die Zahl der Vorfahren, hauptsächlich mit deren direkten die wahrscheinlich für 50% der in der Nachkommen wurde weitergezüch- Rasse im Umlauf befindlichen Gene tet. Dieses perfekt organisierte und verantwortlich sind: Es sind gemäß vor wenigen Jahren endlich geplatzte einer speziellen Berechnungsmetho- Karussell gab es beim Berghund nicht de für den Berger nur 7, während der - hier verwendeten die Züchter vor- Berghund es mit derselben Methode nehmlich ihre eigenen Rüden, und immerhin noch auf das Doppelte durch diese (mehr oder eher weniger bringt. Für den Berger enthüllt das an- reflektierte) Linienzucht stieg der Ge- scheinend eine äußerst schmale ge- samtinzuchtkoeffizient deutlich weni- netische Basis - das ist jedenfalls die ger an, nämlich etwa nur um die Hälf- Erkenntnis, die Leroy aus dem Ver- te. Der Zuchtverein für die noch viel gleich der beiden Rassen und aus der kleinere Population der Jagdhund- Analyse der zur Zucht zugelassenen rasse Braque St. Germain hat seine Hunde zieht. Auch der Inzuchtkoeffi- Züchter ermutigt, Paarungen durch- zient liegt beim Pyrenäen-Berghund zuführen mit geringer oder gar keiner trotz der deutlich kleineren Popula- Verwandtschaft - trotz der sehr klei- tionsgröße der zuchtaktiven Hunde nen realen Population steht dieser nur bei 5,8%, während er für die Ver- Verein jetzt viel besser da als die RACP gleichsgruppe beim Berger 8,8% be- mit ihrer erheblich größeren Berger- trägt. Dabei lag der durchschnittliche Population und ihrem Deckrüden- Inzuchtkoeffizient des Berger um 1975 karussell (> Abb. 2 & Abb. 3.1 & 3.2). noch knapp unter 2% (was allerdings Ein differenzierteres Modell wäre die der Methodik (~ Zeitgrenze der Unter- Aufteilung der Vereinspopulation in suchung) geschuldet ist und nichts Segmente, aus denen wiederum mit der Realität zu tun hat), und erst mehrere Zuchtlinien hervorgehen um 1985, wohl auch, weil in dieser sollten (> Pyrenäen· Schäfer·Hunde, Zeit das Reservoir der Naturpopula- 2. Band, 893-895). Das bedingt zu-
Genetische Vielfalt PyPo 69 Abb. 3.1 (= Tafel 5): Die jährliche Zuwachsrate der Inzucht, die effektive (d.h. in der Zucht verwendete) Anzahl der Zuchttiere (= Ner) und der Grad der Gefährdung der Rasse (nach zwei verschiedenen Methoden berechnet). Der Berger des Pyrénées hat die zweithöchste Zuwachsrate der Inzucht, die zweitkleinste effektive Populati- onsgröße und den zweithöchsten Inzuchtwert, auf 50 Jahre berechnet. Abb. 3.2 (= Tafel 6): Die Inzuchtkoeffizienten (·100) der zwischen 1997 und 2001 geborenen Hunde, von denen bei- de Eltern bekannt sind, und die durchschnittlichen Koeffizienten (·100) der Verwandtschaft zwischen ihren Eltern. Der Berger des Pyrénées hat im Zeitraum 1997 bis 2001 den dritthöchsten Verwandtschaftskoeffizienten, im Mittel den zweithöchsten Inzuchtkoeffizienten und der Anteil der Inzuchtkoeffizienten, die höher als 6,25% sind, liegt beim Berger mit 43% an zweiter Stelle der neun Rassen. Quelle: Leroy, S. 73. nächst einen Anstieg des Gesamt- verwandte Hunde zu paaren. Dass so inzuchtkoeffizienten in jedem Seg- ein fortschrittliches Modell wie die ment, aber mit der anschließenden Segmentierung in den Köpfen der Rotation der Deckrüden aus Segment anarchistischen Züchterkollegen in X mit Hündinnen aus Segment X + 1 Frankreich natürlich undenkbar ist, und dem Weiterdrehen des Zeigers muss nicht eigens erwähnt werden. der Rotationsuhr für die zuständigen Die Rotation der Deckrüden in einer Deckrüden um ein Segment pro Jahr segmentierten Population, wie wir sie (> Pyrenäen·Schäfer·Hunde, 2. Band, beinah praktiziert hätten, wäre etwas 860) hätten wir im CBP noch mehr er- ganz Anderes gewesen als das Deck- reichen können als mit der bloßen rüdenkarussell, das die französischen Empfehlung im Verein Braque Saint- Kollegen betrieben haben. Bei uns Germain, möglichst nicht miteinander wäre das für eine geschlossene Popu-
70 PyPo Genetische Vielfalt lation natürliche Wachstum der In- zuchtrate von 0,2% wegen des gleich- mäßigen Rüdeneinsatzes verlang- samt worden, aber in Frankreich be- trägt die jährliche Inzuchtzuwachsrate beim Berger in Frankreich sogar 0,3% - damit weist der Berger nach dem Barbet den stärksten Anstieg des durchschnittlichen Inzuchtkoeffizien- ten auf (> Abb. 3.1 = Tafel 5), während die tatsächliche, nämlich die gene- tische Größe seiner Population nur 33 (abstrakte) Zuchttiere ausmacht (im- mer für die Gruppe der zuchtzugelas- senen Bergers). Der Pyrenäen-Berg- hund hingegen weist in Frankreich nur einen jährlichen Zuwachs an In- zucht von 0,12% auf, die Anzahl seiner abstrakten, d.h. genetisch unter- schiedlichen Zuchttiere beläuft sich auf 82 - und das bei einer deutlich klei- neren Gesamtpopulation. Gleichwohl hat für beide Rassen der Risikostatus die zweithöchste Stufe erreicht: Beide Rassen sind gefährdet, aber gerade der Berger des Pyrénées wird von Le- roy bezeichnet als the most endangered (breed) becau- se of its lower effective number of an- cestors and its higher rate of inbree- ding - die gefährdetste Rasse wegen ihrer niedrigen tatsächlichen Anzahl von Gründertieren und ihrer höheren In- zuchtrate (Leroy, 74). Abb. 4: Häufigkeitstabelle der Inzuchtkoeffi- Es lohnt sich jetzt auch aus Gründen zienten (~ IK) im CBP von 0% IK bis 41% IK - der Gerechtigkeit und der besseren Legende: 1. Spalte = IK; 2. Spalte = absolute Selbsteinschätzung, einen Blick auf Zahl; 3. Spalte = % der Hunde. Quelle: TG- den CBP zu werfen, dessen deutlich Verlag, Mai 2009. kleinere Population mit noch ver- schärfteren Relationen zu kämpfen hat zwischen der tatsächlichen Anzahl werden, die uns Frau Dr. Schiller vom von Gründertieren und der noch et- TG-Verlag in Giessen übermittelt hat, was höheren Inzuchtrate - die Ergeb- und in einem Diagramm, das Udo Ko- nisse sollten uns zu denken geben, zu- pernik erstellt hat: Die CBP- mal sie für die gesamte CBP-Popula- Gesamtpopulation, d.h. die Anzahl al- tion gelten und nicht ausschließlich ler bisher eingetragenen Bergers von für die zur Zucht zugelassene Gruppe 1974 an bis heute beträgt 3.509 Hun- innerhalb der CBP-Population: Die In- de. Der durchschnittliche Inzuchtkoef- zuchtentwicklung unserer Population fizient beträgt für diese Gesamtpopu- kann in drei Statistiken dargestellt lation und für diesen Zeitraum
Genetische Vielfalt PyPo 71 Abb. 5: Häufigkeitstabelle der Inzuchtkoeffi- Abb. 6: Die durchschnittlichen Inzuchtkoeffizienten der jeweili- zienten (~ IK) im CBP von für den Jahrgang gen Geburtsjahrgänge von 2000 (oben) bis 2009 und dann von 2008. Legende: 1. Spalte = IK; 2. Spalte = ab- 1974 bis 1999 (unten). 1. Spalte = Geburtsjahrgang; 2. Spalte = solute Zahl; 3. Spalte = % der Hunde. Quelle: Anzahl der Tiere; 3. Spalte = durchschnittlicher IK. Quelle: TG- TG-Verlag, Mai 2009. Verlag, Mai 2009. 11,52%. Abb. 4 zeigt die Häufigkeit von Dr. Schiller vom TG-Verlag kommen- Inzuchtkoeffizienten von 0% bis 41% tiert diese drei Statistiken wie folgt: von 1974 bis 2008. Abb. 5 zeigt die gleiche Statistik, allerdings nur für Die Inzuchtkoeffizienten beinhalten al- den Jahrgang 2008 zum Vergleich. In le Generationen bis zu den Gründer- diesem Jahrgang wurden 134 Hunde tieren. Die Entwicklung ist jedoch nicht eingetragen, und der durchschnitt- die tatsächliche Entwicklung der In- liche IK des Jahrgangs 2008 liegt bei zucht. Die ersten Jahrgänge haben we- 15,7336%. Die Tabelle zeigt die Häu- sentlich weniger dokumentierte Gene- figkeitsverteilung des IK analog zu rationen, so dass der IK kleiner ist als Abb. 3. Zum Abschluss dieses Blicks tatsächlich vorhanden (!). Inzuchtkoef- auf den CBP betrachten wir mit Abb. 6 fizienten sind nur vergleichbar, wenn und 7 noch die durchschnittlichen der Abstand in Generationen zu den Inzuchtkoeffizienten der jeweiligen Gründertieren gleich ist. Das ist in der Geburtsjahrgänge, wobei die frühen Regel innerhalb eines Jahrgangs der Jahrgänge nur aus methodischen Fall, aber nicht bei Importen oder Regi- Gründen besser wegkommen. Frau strierungen, bei denen begrenzte Ge-
72 PyPo Genetische Vielfalt Abb. 7: Die durchschnittlichen Inzuchtkoeffizienten der jeweiligen Geburtsjahrgänge des Berger des Pyrénées im CBP von 1974 bis 2009 als Diagramm. Quelle: TG-Verlag, Mai 2009. nerationen aufgenommen werden untraditionellen Maßnahmen in der und die letzte Generation dann als Lage ist. Leroys immerhin 210 Seiten Gründertier fungiert (Dr. Schiller). starke Studie wurde zwar im Vereins- heft der RACP auf 2 Seiten präsentiert, Als Gegenmaßnahme zu hohen Ge- diese Konsequenzen aber wurden mit samtinzuchtkoeffizienten einer Popu- keiner Silbe erwähnt. Im Wunderhorn lation empfiehlt Leroy seinen Lands- haben wir zwei Hündinnen in die leuten die Limitierung der Deckakte je Zucht integriert, die absolut nicht mit Rüde, womit eine Neuauflage des der CBP-Population und auch nicht Deckrüdenkarussells nicht mehr emp- mit der französischen Population ver- fehlenswert wäre. Darüber hinaus rät wandt sind - sie stammen aus einem er - wie auch zahlreiche populations- pastoralen Rückzugsgebiet, das seit genetische Ratgeber vor ihm dies für Jahrhunderten keinen Genaustausch andere Rassen taten - möglichst mehr mit der französischen Popula- Zuchttiere zu fördern, die kaum ver- tion der Rasse hatte. Wir verwenden wandt sind mit der übrigen Popula- diese Hündinnen und ihre Nachkom- tion. Es wird zu beobachten sein, ob men konform zu den Ratschlägen der die aktuelle Leitung der RACP zu so Populationsgenetiker. Dabei dürfen
Genetische Vielfalt PyPo 73 wir natürlich nicht zu sehr die phäno- und die Zahl der Vorfahren, die wahr- typischen Zuchtziele des CBP hint- scheinlich für 50% der in der Rasse im anstellen. Aber wir werden versu- Umlauf befindlichen Gene verant- chen, diese beiden Hündinnen als wortlich sind (es sind für den Berger Gründerinnen einer eigenen Linie zu nur 7), während der Berghund es im- verwenden, indem wir nur zwei Rü- merhin noch auf das Doppelte bringt. den aus der CBP-Population mit ihnen Die Zahl der Vorfahren, die wahr- paaren, um dann möglichst auf diese scheinlich für 50% der in der Popula- Gründerinnen zurückzuzüchten. Da- tion im Umlauf befindlichen Gene ver- bei wollen wir gleichzeitig eine größt- antwortlich sind, konnte für den CBP mögliche Spreizung der zu Beginn leider nicht ermittelt werden (dazu extrem schmalen Basis erreichen - bräuchte man eine besondere Soft- analog zur Rekonstruktion von gefähr- ware, die der TG-Verlag (noch?) nicht deten Nutztierrassen (> Pyre- hat). Wenn wir all diese Zahlen in ei- näen·Schäfer·Hunde, 2. Band, 852- nen größeren zeitlichen und organi- 854): Auch hier begann man mit satorischen Zusammenhang stellen, manchmal sogar nur noch einem rein- dann wird deutlich, dass in Frankreich rassigen Elternpaar und erreichte mit die Eintragungen von 1994 bis 2003 der Segmentierung in wenigen Gene- für beide Rassen rückläufig waren, für rationen eine Liniendiversifikation, den Berger um 19% und für den Berg- sodass die jeweilige Rasse bald nicht hund um 32%. Im Jahr 2004 zeichne- mehr gefährdet war. ten insgesamt 82 Züchter für den Ber- ger und 38 Züchter für den Berghund Extrapoliert man aus den franzö- im französischen Zuchtbuch verant- sischen Zahlen das Maximum des In- wortlich durch die Eintragung von zuchtwerts auf 50 Jahre, dann kommt mindestens einem Wurf. der Berger auf 14,5% - nach dem Bar- bet der höchste Wert unter den neun Von 1975 bis 2001 wurden für den Ber- französischen Rassen (> Abb. 3.1) - ger 8.687 Hunde (mit dem Zuchtbuch unser CBP-Jahrgang 2008 liegt bei ei- bekannten Eltern) in das Zuchtbuch ner viel kleineren Population „nur“ eingetragen, das ergibt in diesem knapp 1% darüber. Der Berghund Zeitraum eine durchschnittliche Jah- aber erreicht in Frankreich trotz kleiner reseintragung von ca. 348 Welpen. Population lediglich 6% und gilt daher Von 1997 bis 2001 wurden 1.092 Ber- unter diesem Gesichtspunkt nicht als gers ins Zuchtbuch eingetragen, von gefährdet. Berechnet man den durch- denen beide Eltern bekannt waren: schnittlichen Verwandtschaftskoeffi- Diese Referenz-Population trug also zienten zwischen den von 1997 bis in diesen fünf Jahrgängen im jähr- 2001 in Frankreich eingesetzten Hün- lichen Durchschnitt nur noch ca. 218 dinnen und Rüden, dann kommt man Welpen ins Zuchtbuch ein. Der Rück- auf einen Wert von 4,4% für den Ber- gang hat sich zum Ende des letzten ger; der durchschnittliche Inzucht- Jahrhunderts also beschleunigt, wäh- koeffizient für diese Zuchttiere liegt rend die Inzuchtrate fast umgekehrt bei 7,2%. Betrachtet man aber in der proportional gestiegen ist. Ab dem Gruppe von neun französischen Ras- Jahr 2000 konnte der Berger seine sen die Proportion zwischen Inzucht- Eintragungen relativ konstant halten, koeffizienten unter und über 6,25%, während die Eintragungen für den dann ergibt sich für den Berger mit Berghund bis 2007 um weitere 19% 46% der zweithöchste Wert innerhalb sanken. Die nur scheinbare Bestän- der Neunergruppe (nur der Barbet digkeit in der Populationsgröße, die liegt mit 74 noch höher, keine andere der Berger in diesen sieben Jahren er- der neun Rassen übersteigt 29).Erin- reicht hat, darf also nicht über die pre- nern wir uns jetzt an die Anzahl der käre Situation hinwegtäuschen, in der gemeinsamen Vorfahren, nämlich 35, er sich tatsächlich zu befinden scheint.
74 PyPo Genetische Vielfalt Das bringt uns zu unserer Ausgangs- lei Verwandtschaft zwischen den bei- frage zurück, ob die genetische Varia- den Rassen festgestellt werden - je- bilität im CBP und auch in der RACP denfalls nicht anhand der ausgewähl- denn wirklich so klein ist, wie es die ten 21 Marker. Ein „Nachbarschafts“- Pédigrée-Analyse erwarten ließ? Netz kann also auf den ersten Blick Nein! Unser französischer Populati- sehr irreführend wirken. Der zweite onsgenetiker hat fachgerecht den Ko- Blick zeigt aber (> Abb. 9), dass die effizienten für Mischerbigkeit (~ Hete- beiden Rassen zwar nebeneinander rozygotie) für die 61 untersuchten stehen, es aber keine Verzweigung Rassen berechnet, und siehe da, der gibt - man vergleiche z.B. mit den Berger liegt in Frankreich mit 0,67 und Rassen BUT (~ Bull-Terrier), AST (~ der Berghund mit 0,60 deutlich über American Staffordshire-Terrier), DOA dem Heterozygotie-Koeffizienten von (~ Dogo Argentino), BLF (~ frz. Boule- Rassen mit weitaus größerer Popula- dogge), BLD (~ Bulldog) usw., bei de- tion und mit einer deutlich höheren nen jeweils eine Verzweigung ent- Anzahl gemeinsamer Vorfahren - der fernt von der Sternmitte zu sehen ist, Durchschnittswert liegt für alle 61 Ras- diese ist aber nicht vorhanden zwi- sen bei 0,62, und einige Rassen fallen schen Berger des Pyrénées (~ BRP) sogar auf 0,40 zurück (Leroy, 152). Die und Border Collie (~ BOCo). Also genetische Variabilität erschließt sich wohl keine, jedenfalls - vorsichtiger also keineswegs aus der scheinbar als Leroy es sagt - keine hohe Ver- geringen Vielfalt, die sich aus der Pé- wandschaft zwischen den beiden digrée-Analyse ergibt. Hier liegt aus- Rassen, obwohl man sie mit unserem nahmsweise die Chance in prekärer „Freund“ Xavier de Planhol ja anneh- Situation - wie es der optimistische men sollte (> PyPo-Serie Seit wann Dichter Friedrich Hölderlin schon um gibt es Hütehunde? Folge 1 & 2). 1803 formulierte: Und darüber hinaus hält Leroy aus- In der Gefahr liegt das Rettende auch. drücklich fest, dass für den Berger des Pyrénées auch zu den übrigen 59 un- Denn auch wenn die molekulargene- tersuchten Rassen keinerlei Ver- tische Situation im Gegensatz zu den wandtschaft mit molekulargeneti- Ergebnissen der Pédigrée-Analyse scher Methode festgestellt werden uns etwas zuversichtlicher stimmen konnte. Entweder ist der Berger tat- kann - die Züchter müssen diesen Vor- sächlich ein Überbleibsel jener früh- teil jetzt beherzt nutzen, rät Leroy: neolithischen Haplogroup (~ „Linie“), die ich in meiner Serie Seit wann gibt Breeders should be careful with ge- es Hütehunde? in der Folge 3 (> PyPo netic diversity even if heterozygosi- 2/09) erwähnt habe - oder die Unter- ties were not particularly low in these suchungsmethode muss revidiert breeds (Leroy, 107). werden. So ist z.B. zu kritisieren, dass zwar der Beauceron, nicht aber der Das wäre allerdings das genaue Ge- Briard zu den 61 untersuchten Rassen genteil von der Haltung, die sich in gehört. Leroy schreibt mir in einer per- der RACP als schlechte Tradition ein- sönlichen Mitteilung, man habe gebürgert hat. Noch eine Erkenntnis schließlich eine Auswahl treffen müs- ist erwähnenswert, die aus Leroys sen zwischen den 50 französischen Studie resultiert: Obwohl im geneti- Rassen und den etwa 300 in Frank- schen Nachbarschaftsnetz (~ neigh- reich gezüchteten nicht-französischen bornet ~ hier: die Beziehungen zwi- Rassen. Dabei ist ja gerade der Briard schen den untersuchten Rassen) der ein Anwärter für einen hohen Ver- Berger des Pyrénées direkt neben wandtschaftsgrad mit dem Berger dem Border Collie zu finden ist (> Abb. des Pyrénées, wie seine Rassege- 8), konnte molekulargenetisch keiner- schichte nahelegt (nähere Informatio-
Genetische Vielfalt PyPo 75 Abb. 8: Im Neighbornet für die 61 Hundepopulationen und 14 Wölfe, die Leroy analysiert hat, befinden sich der Berger des Pyrénées (~ BRP) und der Border Collie (~ BOCo) zwar in unmittelbarer Nachbarschaft, aber es ließ sich keinerlei Verwandtschaft zwischen den beiden Rassen nachweisen. In: Leroy, 143, Abb. 1. Abb. 9: Der zweite Blick offenbart: Es gibt keine gemeinsame Verzweigung für Berger und Border Collie. nen dazu in meinem o.g. Beitrag in „Eigenständigkeit“ des Berger des PyPo 2/09, S. 65-66). Außerdem füh- Pyrénées als Pseudo-Eigenständig- ren bekanntlich bottle-neck-Effekte (~ keit entlarven. In diesem Zusammen- Flaschenhals) innerhalb einer Rasse hang ist auch zu kritisieren, dass Le- wie dem Berger des Pyrénées zu einer roy für seine molekulargenetische nur scheinbaren Eigenständigkeit, die in 21 autosomale Marker verwendet Wirklichkeit so nicht gegeben ist - hat. Bei 39 Chromosomenpaaren, die auch das könnte die überraschende der Hund nun mal hat, kommt da
76 PyPo Genetische Vielfalt nicht einmal 1 Marker auf 1 Chromo- von zwei Hündinnen aus einer Berg- som. Wie also wurden die Marker linie mit Sicherheit noch gesteigert ausgewählt und wie sind sie über das wird. In Frankreich neue Saiten aufzu- gesamte Chromosom verteilt? Und ziehen, dürfte schwierig bis unmög- eine zweite Frage: Reichen 21 Marker lich sein. Zu sehr sind die dortigen Ver- überhaupt für eine korrekte Untersu- antwortlichen verstrickt in die veralte- chung aus? Die Antwort auf diese bei- ten Methoden, die jetzt zum Desaster den Fragen bleibt Leroy schuldig, führen. Im CBP aber haben wir schon weil er diesen Ansatz nicht hinrei- frühzeitig Front gemacht gegen den chend reflektiert - er müsste ja dann Schlendrian einer vermeintlich guten seine eigene Arbeit kritisieren. Schon Tradition, die doch eigentlich nur noch die Auswahl der Rassen, die über- Schlamperei ist: Was ist denn zu er- haupt untersucht werden, beeinflusst warten von einem Verein wie der ja sein Ergebnis, und so frage ich RACP, in dem im Jahr 2008 (d.h. nicht mich dann doch, was passiert wäre, ausschließlich aus dem Jahrgang hätte Leroy z.B. 21 komplett andere 2007) 49 Bergers auf HD geröntgt Marker genommen oder eine weitaus wurden, während es bei uns im CBP größere Anzahl von Markern, z.B. ei- Jahr für Jahr 70 bis 80 pro Jahrgang ne genomdeckende Auswahl. Das al- sind - bei einer im Vergleich mit Frank- les ist etwas dünn gestrickt und be- reich gerade mal 20% großen dürfte dringend weiterer Untersu- „Produktion“ im Jahr? Was ist denn chungen - was Leroy in einer persön- zu erwarten von einem Verein wie der lichen Mitteilung auch einräumt. So RACP, in dem die hd-mittel- und hd- ist auch der hohe Hetero- schwer-Fälle immer noch nicht mit der zygotiekoeffizient der französischen Zuchtbuchnummer veröffentlicht wer- Population zu hinterfragen, auch den, so dass man befallene Linien wenn die Rasse rein phänotypisch nicht erkennen, nicht einschätzen und immer noch eine hohe Variabilität Merkmalträger als Partner in der Paa- zeigt und diese daher auch genetisch rungsplanung gegebenenfalls nicht erwarten lässt - sicher kann man da meiden kann? In der nächsten PyPo aber nicht sein. gehe ich intensiver auf die Inzuchtpro- blematik ein, die in der HD-Problema- Zieht man eine kurze rassespezifische tik verborgen liegt. Wir werden dann Bilanz der insgesamt zwar umfangrei- sehen, dass ein erhöhter Inzuchtkoef- chen, aber doch keineswegs einheit- fizient nicht für alles verantwortlich lich geschriebenen und in ihren wert- gemacht werden kann. bestimmenden Bestandteilen auch keineswegs ausgewogenen Disserta- PS. Hinsichtlich meiner Kritik am tion von Grégoire Leroy, so kann man molekulargenetischen Ansatz von - wenn man unbedingt Optimist sein Leroys Dissertation bedanke ich mich will - eine positive Bilanz ziehen: Noch bei meiner Nichte Cordula, die ich scheint nicht alles verloren für den damit aber keineswegs für meine Berger - weder in Frankreich noch bei Schlussfolgerungen haftbar machen uns im CBP. Aber wir müssen reagie- will. ren, auch und gerade wegen des (eventuell) noch vorhandenen Vorteils Literatur: Grégoire LEROY: Diversité eines hohen Heterozygotie- génétique et gestion génétique des Koeffizienten, der bei uns im CBP races canines, AgroParisTech, 2009. durch die neuerliche Eingliederung ■
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