Der Übersetzer DISKUSSIONSBEITRÄGE UND INFORMATIONEN

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Der Übersetzer DISKUSSIONSBEITRÄGE UND INFORMATIONEN
Der Übersetzer
DISKUSSIONSBEITRÄGE UND INFORMATIONEN
Herausgegeben vom Verband deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke e.V.

                               Nr. 10   7. Jahrgang                       Neckarrems       Oktober 1970

            Rolf ltaliaander gibt im Delp Verlag München in      nicht eroberten, undurchforschten Gebiete des freien
            der Reihe DlSPUT einen Sammelband unter dem          sprachlichen     Lebens    terminologisch   zu   erschließen
            Titel ’Kultur ohne Wirtschaftswunder’ heraus. l4
            Experten berichten über Engpässe im kulturellen      begann, bereitete sie den Übersetzern als den Praktikern
            Bereich. Dieter Lattmann schreibt über das Thema     unter den Philologen das unerläßliche Rüstzeug für den
            ’Schriftsteller — Dinosaurier des kybernetischen     kommenden Wettbewerb mit den Computern oder
            Zeitalters?’, ein Aufsatz der auch alle Übersetzer   vielleicht für die unumgängliche Arbeit mit ihnen als
            angeht. Der 1n allen Steuerfragen sehr erfahrene
            Berater des VS, Franz Schilling, befaßt sich mit     unentbehrlichen Hilfsmitteln. Denn aus der Erfahrungs-
            dem Thema ’Finanzen und Steuern der Musen—           tatsache, daß der technische Fortschritt sich nicht
            diener’, wodurch gleichfalls der Übersetzer vieles   aufhalten läßt, und aus der Unvereinbarkeit von asyste-
            lernt Die anderen Aufsätze behandeln Themen des      matischen linguistischen Phänomenen und Maschinen-
            Theaters, der bildenden Kunst, Musik und Archi-
            tektur. Uns Übersetzer betrifft vor allem der        systematik wird sich wahrscheinlich künftig in höherem
            Beitrag unseres Vizepräsidenten Elmar Tophoven,      Maße als bisher die Notwendigkeit ergeben, dem
            den wir mit Erlaubnis des Delp Verlages auszugs-     Absterben der Sprachen im Datenspeicher durch beson—
            weise nachdrucken. Wir empfehlen dieses kultur-      ders hellhörige Wahrnehmung und behutsame Erhaltung
            fiolitisch äußerst engagierte Buch allen unseren
              itgliedern.
                                                                 und Fruchtbarmachung ihres keimenden Lebens, wie es
                                                                 sich vor allem in den Wortkunstwerken zeigt, entgegen-
Elmar Tophoven:                                                  zuwirken. Der Übersetzer wird vielleicht eines Tages
                                                                 dazu beitragen können, den elektronisch gespeicherten
Vorn Übersetzen |eben?I                                          Sprachen immer wieder neuen Spielraum zu schaffen.
                                                                 Aber vorerst kann er noch nicht aufs Knöpfchen
Bei Anbruch des Zeitalters elektronischer Kommunika-             drücken, um alle Vokabeln antanzen zu lassen, die sich
tionen mag sich der Übersetzer literarischer Werke               um den Begriff Nebenberuf scharen, oder um alle an
fragen, ob er mit der Nachhut der letzten verweltlichten         dieses    Wort     gekoppelten     Assoziationsvariationen
Mönche außerhalb der Klostergeborgenheit untergeht               abzurufen. lst die Tätigkeit, die er ausübt, seine
oder ob er sich nun, da die ersten Datenverarbeitungsan-         Freizeitbeschäftigung, sein Hobby, sein Violon d’Ingres‘?
lagen amtliche Übersetzungsfunktionen übernehmen, mit            (Etienne Dolet ist vor 423 Jahren auf der Place Maubert
einer neuen Existenzberechtigung zur Vorhut jener                in Paris wegen eines angeblichen Übersetzungsfehlers
aufgeklärten Wortewäger zählen darf, die ihre ’Tätigkeit         verbrannt worden!) Also doch ein Beruf? Einst, auf der
im Rahmen der Gesellschaft’ nicht mehr nur darin sehen,          Penne, war das Übersetzen für ihn eine Qual, dann wurde
ein Buch nach dem anderen zu übersetzen, um dann die             es zu seinem Steckenpferd, eine Zeitlang war es sein Job
Früchte der Arbeit auf den Regalen der Bibliotheken              und schließlich wurde es zu einer Leidenschaft, der er
verstauben oder in den Kellern der Sortimenter verfaulen         gern ausgiebiger frönen möchte. Aber sein Weg wird
zu lassen, sondern die vor allem versuchen, möglichst viel       noch von einem Parallelogramm von Kräften bestimmt,
von dem Einzigartigen, das einem Original in seinem              die nicht alle in die gleiche Richtung wirken. Er muß
Ursprungsland Gehör verschafft, zu analysieren und für           sich mit dieser Kraftverschwendung zum Schaden seines
die weitere eigene Arbeit und für andere Zwecke                  Kunsthandwerks abfinden und kann nur hoffen, daß
verfügbar zu machen.                                             dieses Mißverhältnis in unserer durchrationalisierten Welt
Warum verspricht sich der Übersetzer von der kyberneti-          eines Tages auffällt und abgeschafft werden kann.
sehen Revolution eine erneuerte Existenzberechtigung?            Der erhofften angemesseneren Bewertung übersetzen-
Weil sich bei den Versuchen, Übersetzungsmaschinen zu            scher Tätigkeit steht noch vieles im Weg. Zum Beispiel
programmieren, wiederum erwies, in welch unberechen-             der schlechte Leumund, der vielen Hervorbringungen der
barem Verhältnis das Spiel der Sprachen zu deren Regeln          Übersetzenunft a priori anhaftet; der nicht zu über—
steht. Die Linguisten haben durch die Erforschung und            täubende üble Ruf, Übersetzungen seien überflüssig, weil
Gliederung unsystematischer Erscheinungen im Weben               sie ja doch nie das Original ersetzen könnten. Gibt es
der lebenden Sprachen dem ’Feld-, Wald- und Wiesen-              nicht schon einen Verlag, der sich die Losung ’Keine
Übersetzer’ gezeigt, wie er sich zugleich von der Aura           Übersetzungen!’ zu eigen machte? Hier wird ein
eines Wünschelrutengängers und dem 0dium eines                   Vorurteil werbetechnisch ausgenützt, das manche kurz—
Falschmünzers befreien kann, um dank dieser Klärung              sichtigen und leichtfertigen Kritiker mit nähren, indem
vielleicht einmal seine ganze Kraft, und nicht nur die           sie sich nur an unausbleiblichen Fehlleistungen
halbe, in jener Kunst zu erproben, die ihn selber                erquicken, anstatt den Blick aufs Ganze zu richten und
gefangennahm und in deren Übung er die größten                   auch Geglücktes zu werten. ’An der Übersetzung war
Entfaltungsmöglichkeiten zu haben glaubt. Indem die              nichts auszusetzen’ lautete kürzlich ein Freispruch in
vergleichende Sprachwissenschaft das Interesse auf jene          einer Pariser Zeitung, aus dem hervorgeht, auf welcher
Gebiete der Sprachen lenkte, die von Übersetzungs—               Bank die Übersetzer von vornherein gesehen werden.
maschinen nur als Brachland liegengelassen werden                Aus der Übersetzungsmisere, dem Schlagwort, das
können, und indem sie diese von der Systematik noch              kräftige Wurzeln treiben konnte, resultiert natürlich auch
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ein Teil der Misere der Übersetzer, deren Hoffnung, eines    grade anstellen zu können. Diese während der ganzen
Tages ihre vermittelnde Tätigkeit zur alleinigen Quelle      Übersetzung fortgesetzte doppelte Buchführung, einer-
desgLebenserwerbs zu machen, sich in den allermeisten        seits das glatte Arbeitsergebnis und andererseits die
Fällen nicht erfüllt. Darüber kann auch der Aufschwung,      Aufzeichnung der Probleme und Umwege, die zur
den die Produktion belletristischer Übersetzungen im         Lösung führten, könnte zum Grundstock einer Samm-
Wirtschaftswunderglanz genommen hat, nicht hinweg-           lung mitteilenswerter Erkenntnisse und austauschbarer
täuschen. Aus dem ’Index Translationum’ geht hervor,         Kunstgriffe werden und den einzelnen Übersetzer
daß die 2245 im Jahre 1967 ins Deutsche übertragenen         leichter entdecken lassen, welche Art Prosa ihm den
literarischen Werke eine Rekordzahl im Vergleich mit         größten geistigen Gewinn bringt. Rundet er dann sein
ähnlichen Übersetzungen in andere Sprachen darstellen.       Honorar mit diesem geistigen Gewinn ab — was der ‘
Untersuchungen würden wahrscheinlich ergeben, daß die        Verleger seit Jahrhunderten vom Übersetzer erwartet —
Übersetzer literarischer Werke, die kein Rittergut zu        so kann er sich die für die nächste Arbeit nötige
verwirtschaften haben, die kein Vermögen aufs Spiel          Gelassenheit ein oder zwei Bögen länger erhalten. Und
setzen     können,   die    keine    Mineralwasserquelle,    wie ist es zu erklären, daß es noch oder schon wieder
Champignonzucht oder Bananenreiferei besitzen, heut-         Verleger gibt, die in Geringschätzung der Toneinheit
Zutage längst in der Mehrzahl sind und sich den Luxus        eines mehrbändigen Werks dessen Übersetzer als einen
ihrer frei erwählten Tätigkeit durch andere, einträg-        leicht auswechselbaren Saisonarbeiter betrachten und
lichere Arbeiten selbst finanzieren müssen, z. B. als        ihn bei der ersten Dispositionsschwierigkeit ablösen?
Journalisten,    Bankangestellte,   Rundfunkredakteure,      Weil der Produktionsrhythmus häufig mehr von den auf
Filmsprecher. Lektoren oder Pfarrer wie der Übersetzer       vollen Touren laufenden Druckmaschinen bestimmt wird
der jüngst erschienenen bretonischen Bibel.                  als von künstlerischen Rücksichten. War es 1960 noch
Der Wohlstand in unserem so verständigungsfrohen             möglich, eine Romanübersetzung, die rechtzeitig zur
Lande hat nicht gereicht, um aus einer in der Vergangen-     Buchmesse erscheinen sollte, im August abzuliefern, so
heit oft verpönten Freizeitbeschäftigung, deren Ertrag       mußte man fünf Jahre später ein für den gleichen
dennoch seit jeher ’der Gemeinschaft zugute’ gekommen        Erscheinungstermin vorgesehenes Buch schon satzfertig
ist, einen Beruf werden zu lassen, der sich selber trägt.    dem Osterhasen anvertrauen. Durch Rationalisierungen
Man fragt sich, wie es überhaupt möglich gewesen ist,        bedingte Termindruck-Verschiebungen wirkten sich auf
daß der Dohnetscher-Übersetzer, ohne den die Reflexion       den wehrlosen Faktor im Buchproduktionsprozeß am
über Sprachen nicht hätte beginnen können, seinen            unangenehmsten aus. Die Forderung, einen in fünfjähri-
angestammten Platz in der Philologie im Laufe der            ger Arbeit entstandenen Roman, der eine unübersehbare
 Zeiten verlor, um schließlich nur noch ein fragwürdiges      Menge literarischer Miniaturen enthält, so schnell zu
uasein am nauue dieser urszrpun zu tristen“!      Was muß     übersetzen als wäre er von einem Tausendsassa in die
geschehen, um diese Entfremdung zu überwinden, die            Maschine diktiert worden, kann nur eine technokratische
wahrscheinlich auch darauf zurückzuführen ist, daß die        Verirrung sein, die jede Warenkenntnis vermissen läßt.
unmittelbare Wahrnehmung des gesprochenen Wortes in           Wird wenigstens die fertige Arbeit vor der Drucklegung
der Fremde vielfach durch die bloße Lektüre der               vom Verleger gelesen? Auch nicht immer, wenn ein
geschriebenen oder gedruckten Sprache im heimatlichen        Übersetzer seinen Ruf riskiert und die nur voll ausge-
Studierstübchen    ersetzt   wurde,   daß   der   belesene   lastet rentablen Rotationsmaschinen dem Lektor das
Schulphilologe schließlich des erfahrenen Dohnetscher-       Manuskript aus der Hand reißen. Aber hier ließe sich
ohrs ganz entraten zu können glaubte und daß so die          wieder etwas rationahsieren! Der emanzipierte Überset-
Kluft zwischen verdorrenden Schriftsprachen und              zer könnte schließlich dieses Kontrollverfahren zum
blühenden Umgangssprachen immer größer wurde, so             Frommen der Kunst selber vorbereiten, indem er den
groß, daß man das Ohr wieder auf den fremden                 Text beim Durchlesen gleich auf ein Magnetophonband
                                                             spräche.   Vielleicht     würde   der Verleger dann    den
Sprachraum richten mußte, um Umgangssprachliches
treffsicher identifizieren zu können. Heute ist die          Hersteller, den Werbechef und möglichst noch viele, viele
persönliche Begegnung zwischen Autoren und Überset—          andere zu einem Drink und dem gemeinsamen akusti-
zern keine Seltenheit mehr. Es sollte eine Selbstverständ-   schen Genuß des frisch ins Deutsche importierten Opus’
lichkeit werden, daß Übersetzer vom Ertrag ihrer Arbeit      einladen? Dabei würde sich auch herausstellen, daß
oft und lange genug in jenen Ländern leben können, mit       manches Werk, das noch als Lesetext in die Hand
deren gesprochener Sprache sie vertraut bleiben müssen.      genommen wird, längst zu einem Vorlesetext oder
                                                             Hörtext gediehen ist und vom Trommelfell viel leichter
Wie ist es möglich„daß die Ansprüche eines Übersetzers       wahrgenommen wird als von der Netzhaut, was wieder-
von Unterhaltungsliteratur, die im Original pro Seite an     um Aussichten auf neue Märkte eröffnen würde.
die 10 000 Francs wert sein soll, wie neulich in einer       Außerdem könnte der Übersetzer, wenn es nicht allzu
französischen Illustrierten zu lesen war, ebenso schnöde     sehr pressiert, vor der Ablieferung seine eigene Arbeit
abgegolten werden wie die Forderungen eines Überset—         lauschend mit dem Original vergleichen und manche
zers dichterischer Prosa? Weil die Übersetzungskosten        allzu knechtische Texthön‘gkeit, die ihm beim Lesen des
allzu lange einen festen Posten in der Verlagskalkulation    druckfeuchten Exemplars zwei Monate oder              Jahre
bildeten, was vielleicht auch darauf zurückzuführen ist,     später sofort ins Auge springen würde, rechtzeitig
daß der Schwierigkeitsgrad einer Arbeit sich früher, in      entdecken. Er könnte sich eine klärende zeitliche
der Eile der Auftragsübernahme, kaum richtig abschät-        Distanz künstlich schaffen und so wenigstens eine
zen ließ, sondern sich oft erst ’vor Wort’ herausstellte.     Fehlerquelle verstopfen. Es lauern noch genug Gefahren
Da von den Bergungsarbeiten nach Abschluß der                in seiner Arbeitsklause, die sich alle Augenblicke 1n eine
Übersetzung kaum Spuren übrigblieben, hatte man bei          Zirkuskuppel verwandeln kann, wo die geringste Unauf—
neuen Verhandlungen nichts als vage Erinnerungen in die      merksamkeit des Äquilibristen, ein verpatzter Buchstabe,
Waagschale zu werfen. Um dem Überraschungsmoment             die Fehldeutung des Geschlechts der Engel genügt, damit
nicht mehr zu erliegen, sollte man drei bis fünf Seiten       die Pfiffe erschallen.                  (wird fortgesetzt)
sorgfältig auf lexikalische, syntaktische und verschiedene
andere Schwierigkeiten hin prüfen und all diese linguisti-    Erster Internationaler
schen Hindernisse gegliedert und gezählt aufführen, um        Übersetzerpreis verliehen
bei der Kalkulation etwas in der Hand zu haben und            Zum Abschluß des in Stuttgart veranstalteten Vl. Dele-
später Vergleiche mit Büchern anderer Schwierigkeits—         gierten-Kongresses der FIT gab Pierre-Frangois Caille,
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Präsident der F5de’ration Internationale des Traducteurs,
die Namen der Preisträger des erstmals vergebenen inter-                    Englisch Äup to date
nationalen Übersetzerpreises bekannt. Es sind Professor               Französisch au courant
Ervino Pocar, Nestor der literarischen Übersetzer Italiens
                                                                   mit den Sprachzeitungen   Wo rld         and     Press
mit weit über 200 bedeutenden Übersetzungen, die über-
wiegend ’dem großen Erbe deutscher Literatur’ gewid—                                         Revue de la Presse
met sind, und der Dr. Alexander Gode von Aesch,                                              (mit Sprachplatien)
                                                                                             Kostenlose Ansichtsexemplare:
dessen hervorragende    Leistungen als Fachübersetzer,
                                                                  EILERS G SCHONEMANN        2800 Bremen - Sehiinemannhaus K
Lexikograph und Publizist in den Vereinigten Staaten
sowie als Direktor des Interlingua-Institutes großes
Ansehen genossen.
                                                              In einer fremden Sprache
                                                              Das amerikanische Ehepaar Ruth und Matthew Mead hat
Der von den C. B. Nathorst Stiftungen mit 10.000
                                                              sich für die Unicorn German Series der Unicorn Press,
Schwedischen Kronen dotierte Preis wird jeweils für die
                                                              Santa Barbara, Cal.‚ der Übersetzung moderner deut-
beste übersetzerische Leistung auf literarischem und
                                                              scher Lyrik angenommen. Wenn man ihre Übertragungen
technisch-naturwissenschaftlichem Gebietvergeben.
Im Verlauf der Stuttgarter Sitzung wurde der Vorstand
                                                             ' der Spröden Gedichte von Elisabeth Borchers und der
                                                               düsteren, um die Themen von Gefangenschaft und
der FIT neu gewählt.
                                                               Zwangsarbeit kreisenden Verse von Horst Bienek mit
                                                              den jeweils im zweiten Teil der Bändchen abgedruckten
Präsident:           M. Pierre-Francois Caille
                                                              Originalen vergleicht, so darf man insgesamt ganz sach-
                     (Frankreich)
                                                              lich feststellen, daß hier das oft zu freigiebig verwandte
Vizepräsidenten:     Prof. Dr. Erich Weis (Deutschland)
                                                              Prädikat ’kongenial’ am Platze ist.
                     Mr. Henry Fischbach (USA)
                                                               Zugegeben, diese freien, auf den Reimzwang mit weni-
                     Mme. Elena Nikolova
                                                              gen Ausnahmen verzichtenden Verse sind leichter zu
                     (Bulgarien)
                                                              übersetzen als etwa Sonette oder Stanzen, und wenn in
Generalsekretär:     Dr. Rene’ Haeseryn
                                                              Bieneks sechsstrophigem ’Schwarzbitter weiden die
                     (Belgien)
                                                               Stunden] Am Horizont der Qual./ Ich habe heimgefun-
Schatzmeister:       M. Pierre Malinverni
                                                              den,/ Verloren sind Rom und Baal’ das Reimschema
                     (Frankreich)
                                                              abab zu abcb vereinfacht wird: ’Bitter-black hours are
Beiräte:             Dr. K. Gingeld, Zlatko Gorjan,
                                                              grazing/ Upon the horizon of pain./ Rome and Baal are
                     Jacques Goetschalckx.
                                                               forsaken,/ I have found my way home again’, so könnte
                                                              nur Beckmesserei darin ein Versagen sehen. Einzig bei
Der 78jährige Mailänder Literaturprofessor Ervino Pocar        dem kurzen, dreistrophigen Tundra-Gedicht vermißt
und der New Yorker Fachübersetzer Dr. Alexander Gode           man den Verzicht auf den Reim des Originals: ’Im Tun-
von Aesch sind die ersten Träger des internationalen          dramoos/Wächst ohne Saat/ Bizarrer Urwald/Aus
Übersetzerpreises der ’Fe’deration Internationale des         Stacheldraht’, bei dem die Übersetzung lautet: ’From
Traducteurs’ (FIT).                                           the moss of the tundra/ Springs a bizarre/ And unsown
Am sechsten FIT-Kongreß in Stuttgart nahmen 45 Dele-          jungle/Of barbed wire’. Aber wie hätte sich bei der stren-
gierte aus 18 Ländern teil. Sie beschlossen, den Entwick-     gen Einhaltung von Wort, Begriff, Bild, Mitteilung und
lungsländern jede mögliche Hilfe bei der Übersetzung           Rhythmus ohne Einbuße oder unzulässige Hinzufügung
ihrer Literatur zukommen zu lassen. Der Kongreß nahm          ein Reim finden lassen? Einem solchen Dilemma sieht
die tschechoslowakischen Übersetzer in den Verband            sich der Lyrik-Übersetzer nur zu oft gegenüber, und er
auf.                                                          darf in derartigen Fällen die Unmöglichkeit der Nachbil-
                                                              dung zu seinen Gunsten anführen.
                                                              Die Verse von Elisabeth Borchers bieten sich durch ihre
Alexander Gode gestorben                                      einfache Struktur der Übertragung in eine verwandte
                                                              Sprache relativ leicht an, doch steht der Übersetzer
Wie spät bekannt wurde, ist der aus Bremen stammende
                                                              plötzlich auch vor ganz vertrackten Stellen, so etwa in
amerikanische Übersetzer Alexander Gode vor kurzem
                                                              einer Strophe des Liedes Nun singt es — nun klagt es:
im Alter von dreiundsechzig Jahren gestorben. Gode, der
                                                              ’Nun klagt es:/ kommst du immer so spät/ abgeblättert
 1927 amerikanischer Staatsbürger wurde und an der
                                                              die Elfenbeinmünder/ zersprungen geschmolzen/ silber-
Universität New York Deutsch gelehrt hat, besaß nicht
                                                              nes Fischwerk/ steht eingefroren im See/ über die Mau-
nur als Lexikograph, Zeitschriftenherausgeber und Über-       ern/ jagt der Wind/ mit blanken Messern’. Die Übertra-
setzungstheoretiker einen weithin bekannten Namen,
                                                              gung folgt getreulich: ’Now it lamentszl do you always
sondern auch als naturwissenschaftlicher Fachübersetzer,      come late/ peeled off the mouths of ivory/ cracked
der neun Sprachen beherrschte. Mit ihm hat die                melted/ silver fish-work/ stands frozen in the lake/across
’American Translators Association’ nicht nur ihren            the walls/ the wind hunts/ with naked knives’. Daß sich
ersten Präsidenten verloren, sondern auch die internatio-     von der herrlichen Zeile ’abgeblättert die Elfenbeinmünd
nale Wissenschaft einen gewichtigen Sprachmittler. hmb        der’ der lyrische Schmelz durch die anderen Vokale und
                                                              Konsonanten des Englischen nicht erhalten ließ, darf
                                                              man den Übersetzern nicht anlasten und kann am
   3. Esslinger Gespräch                                      Gesamturteil über die beiden Bändchen nichts ändern.
   Sollte es jemanden geben, ganz gleich ob innerhalb         Wenn die sechs Zeilen des Gedichtes In 'einer fremden
   oder außerhalb des VDÜ, der noch keine Ein-                Sprache im Original lauten: ’Die Sterne in dem Sommer—
   ladung zum 3. Esslinger Gespräch (vom 13. bis 15.          tuch/ die brech ich auf/ ich finde nichts/ und wieder
   November in Bad Boll) erhalten hat, so sei er              nichts/ und dann ein Wort/ in einer fremden Sprache’,
   hiermit herzlich aufgefordert, sein Interesse sofort       und sie sich verwandeln in: ’The stars in the cloth of
   der Geschäftsstelle des VDÜ zu melden. Die                 summer/ I break them open/ I find nothing/ and again
   Veranstalter erwarten — was wohl selbstverständ-           nothing/ and then a word/ in a strange language’, so
   lich ist —, daß möglichst viele Teilnehmer zum             darf man hier wie bei den anderen Gedichten von Horst
   Esslinger Gespräch kommen werden.                          Bienek wie Elisabeth Borchers bewundern, wie Ruth und
                                                              Matthew Mead nicht nur die foreign language der deut-
Der Übersetzer DISKUSSIONSBEITRÄGE UND INFORMATIONEN
schen Originale übertragen haben, sondern auch die                — Es geht nicht ums Leben. — Es geht nicht ums Leben.
strange language der dichterischen Sprach— und Vorstel-           — Es geht nicht. —— Es geht nicht    nur um Worte
lungswelt zu treffen wußten.                                      (Ruhiger Atem, der allmählich in Wind übergeht. Im
                                                       Fr. W.     Wind wiederholt sich, stärker und schwächer werdend,
                                                                  der Laut: )
Der Übersetzer als Hörspielheld                                   sssn
In keiner der heutigen     Gesellschaften ist der Übersetzer
eine populäre Figur.       In Romanen und Erzählungen              Die alte, wohlbekannte, unausweichliche Falle. Die alte
berichten Schriftsteller   zwar verhältnismäßig oft über ihr     _ Leimrute. Die Dinge werden von den Wörtern angezogen
Verhältnis zur Welt,       den Mitmenschen, ja auch zur            wie die Wespen vom Honig. Und die Ereignisse heften
Sprache, aber vom Verhältnis des Übersetzers zum Wort              sich den Dingen an die Fersen. Und an die Ereignisse
erzählen      sie nichts. Und nun die Ausnahme:          Zum       heftet sich das, was kein      das, was nur das wahre
erstenmal in der Geschichte des Hörspiels steht der                Gegenteil ist   das, was etwas anderes ist  das, was zu
Übersetzer im Mittelpunkt eines Dialogs (den sein Ich              benennen ich mich weigere, damit es nicht zustande
mit einem Echo—Ich führt). Das muß notiert werden:                 kommt — nein, ich weigere mich nicht, ich weiß nur
dankbar und freudig. Und das muß auch kurz kommen-                nicht, wie es heißt — das     das    ich habe das Wort fast
tiert werden.                                                     auf der Zunge!
Je älter die Gattung ’HörSpiel’ wird, desto schwieriger ist       (Geräusche des offenen Raums, mit leisen entfernten
es, sie zu definieren. Ihr Forrnenreichtum nimmt ständig          Gesprächen, dem Rauschen von Bäumen undsoweiter.
zu. ’Der Übersetzer’, geschrieben von Vera Linhartovä             Daraus lösen sich allmählich, tastend, die Laute):
im Auftrag des Süddeutschen Rundfunks (Stuttgart),                sssn
gibt hierfür ein neues BeiSpiel. Die tschechische Autorin         shzn
nimmt Fragen der Linguistik auf und meditiert über sie            schn
sprachphilosophisch. Das Ich und das Echo-Ich des                 hin
sowohl um als auch mit dem Wort ringenden Übersetzers             neige
führen einen teils bitter ironischen, teils heiter verspiel-      nä’z’ne
ten Dialog über die Sprache, die ’wie die Schneide in der         snäin
Wunde’ sei. Aber ist es nun das Wort ’Schneide’, das              schnee
verletzt? Oder ist es die Schneide, die das verwundende           sn‘e'z'enka
Wort schafft? Und wo verbirgt sich das ’unverbindliche            Sollte das snezenka sein? Sollte das etwas anderes sein
Es’, das alle Sprachen miteinander verbindet und für das          als snez'enka? Gibt es noch etwas anderes als sn‘e’ienka?
in allen Sprachen Gemeinsame des Begriffs ’Schneide’              Gibt es irgendein Wort, das dem Wort snä‘z’enka ähnelt?
sorgt   obgleich sich dessen Bedeutung von Sprache zu             (Die entfernten Stimmen bilden ’sneienky’ auf verschie-
       -
Sprache jedesmal sanft wandelt?      Wäre die völlig              denen Sprachen, sie soufflieren):
adäquate Übersetzung nur möglich, wenn die Sprachen               das Schneeglöckchen
’ohne Worte’ und Wörter wären? Andererseits: Ist nicht            la perce-neige
das Wort das einzige, was unsere Imagination nicht von            podsneznik
seinem festen Platz vertreiben kann? Schließlich werden           snieguka
die Dinge ’von den Worten angezogen wie die Wespen                snowdrop
vom Honig’. ’Und die Ereignisse heften sich den Dingen            snödroppe
an die Fersen.‘ Vera Linhartovä beweist all dies in               bucaneve
kleinen, sich in der Phantasie des grübelnden Übersetzers         visibaba
ereignenden Sätzen und mit siebensprachigen Wortket-              vintergaek
ten, die sie zu einem melodiösen Klingen bringt und die           campanilla blanca ——
auch nach ihrem Transport vom Tschechischen ins                   Aber das ist nicht dasselbe. -— Es ähnelt sich nur
Deutsche durch Peter Urban nichts von ihrem Klang                 entfernt. — Das eine ist nicht das andere. — Das ist nicht
verloren haben. Welch seltener Fall: ’Der Übersetzer’             dasselbe. —— La perce-neige n’est pas das Schneeglöckchen
verweist auf die ungezählten Schwierigkeiten des Über- 1          ist nicht sneeuwklokje is nit the snowdrop is not
setzers Urban, so daß sich nach der Sendung wohl                  snödroppe är inte vintergaek er ikke lumikielo ei ole
niemand mehr mit gutem Gewissen auf den Weg von der               bucaneve non e campanilla blanca no es campaina branca
Ausgangssprache zur Zielsprache machen mag.                       non e sneznye kolokol’ ‘c'iki net kokice net snezocvet net
Nun ist’s erwiesen, das Hörspiel sperrt sich nicht gegen          podsne znik net visibaba nije snjegoborka nije ni
die sperrige Sprachtheorie, und die Literatur hält ihre           snieguka snezienka neni snezenka. — Was haben diese
Türen offen, wenn der Übersetzer, mit schwerem                    Worte gemeinsam? —— Wo ist die Wurzel?
Problemgepäck beladen, um Einlaß und Vorstellung                  (Pause)
seiner Person bittet. (Mit freundlicher Genehmigung von           (Beruhigt sich, in sehr sachlichem und ruhigem Ton):
Vera Linhartovä bringt DER ÜBERSETZER die letzten                 Nein. Nein, nein, das darf ich nicht Nun ja. — Das ist
Abschnitte ihres 1n Stuttgart urgesendeten Hörspiels ’Der         nur ein rein linguistisches Problem. — Nichts geschieht.
Übersetzer’ .)                           HelmutM. Braem           — Es geht nicht ums Leben. — Es geht nicht ums Leben.
                                                                  — Es geht nicht. -— Es geht nicht     nur um Worte
(lll       Ich): (Beruhigt sich, in sehr sachlichem und           (Ruhiger Atem, der allmählich in Wind übergeht. Im
ruhigem Ton):                                                     Wind wiederholt sich, stärker und schwächer werdend,
Nein Nein, nein, das darf ich nicht. Nun Ja.           Das ist    der Lautz)
                                                   -
nur ein rein linguistisches Problem. .. Nichts geschieht.         sssn

DER UBERSETZER erscheint monatlich. Einzelpreis 75 Pf zuzüglich Versandkosten. Herausgeber: Verband deutschsprachiger
Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke e.V. (VDÜ), Präsident Helmut M. Braem, 7141 Neckarrems, Schloß Remseck. —
Redaktion Eva Bornemann, A 4612 Scharten, Vitta 7, Oberösterreich. Postscheckkonto für die Zeitschrift DER ÜBERSETZER:
Stuttgart Nr. 932 68. Konten des VDÜ: Postscheckkonto Hamburg Nr. 6447, Dresdner Bank, Stuttgart, Nr. 480 660. — Für
unverlangte Manuskripte keine Haftung. Nachdruck mit Genehmigung der Redaktion und mit Quellenangabe gestattet. — Druck: Belser
Verlag, 7000 Stuttgart.
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