Der bunte Paris Ein Interview mit Prof. Vinzenz Brinkmann
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philoSOCIETY 53 Herr Prof. Brinkmann, Sie haben zu- chen Resten von Bemalung aufgefunden mentbestimmungen vornehmen können. sammen mit Ihrer Frau in jahrelanger wurden. Eine kleine Marmorstatue der Andererseits ist es uns durch Aufnahmen Forschungsarbeit herausgefunden, dass Liebesgöttin ist nur scheinbar nackt. Ein- in der UV-Reflexion, der UV-Fluoreszenz antike Skulpturen nicht in weißem Mar- deutige Spuren beweisen, dass eine Art und im extremen Streiflicht gelungen, un- mor erstrahlten, sondern in kräftigen Far- Bikini auf den Körper aufgemalt war. zählige Hinweise zur ursprünglichen ben und Mustern ausgeführt wurden. Ist Die Reisenden und Forscher haben in Farbfassung zusammenzutragen. Im UV- das nicht eine Revolution in der Auffas- den folgenden 200 Jahren viele Spuren der und Streiflicht werden aufgemalte Ele- sung der Reinheit und kühlen Sachlichkeit antiken Polychromie festgehalten. Im 19. mente aufgrund der unterschiedlichen des klassischen Geistes, wie er seit der Jh. wurden an der Pariser Kunstakademie, Verwitterung der Marmoroberfläche wie- Renaissance vermittelt wird? aber auch in anderen europäischen Metro- der sichtbar. polen großartige - zum Teil sogar sehr Diese chemische und mechanische Ver- Die Künstler der Renaissance erlebten freie - Rekonstruktionen ganzer Heiligtü- änderung der Steinoberfläche hängt von antike Skulptur als Torso, patiniert und na- mer in ihrer Farbigkeit gewagt und Ende der Haltbarkeit der in der Antike verwen- türlich farblos. Die virtuose Bildhauerar- des 19. Jahrhunderts wurden auf der Athe- deten Naturpigmente ab. So können wir beit faszinierte sie und sie versuchten, ihr ner Akropolis bei Ausgrabungen mehrere einen bestimmten Verwitterungsgrad der nachzueifern. Aber mit der Erfindung der Dutzend Statuen entdeckt, die noch reiche Steinoberfläche mit einiger Verlässlich- Kunstwissenschaften prägte dann J. J. Farbreste trugen. keit einer bestimmten Farbe zuordnen. Winckelmann im 18. Jahrhundert unser Häufig haben sich Skulpturen oder Bild der antiken Skulptur: In der marmor- Wie genau lässt sich die Art der Bema- Fragmente von Skulpturen so gut erhalten, weißen Oberfläche der Bildwerke spie- lung rekonstruieren? Welche Techniken dass die originalen Farben zu einem Groß- gelte sich für ihn die „edle Einfalt und stil- gibt es? teil - selbst in ihrer ursprünglichen Kon- le Größe“ der antiken Kultur. Humanisti- sistenz - noch vorhanden sind. sches Bildungsgut blieb seitdem untrenn- Schon seit 200 Jahren werden chemi- Diese breite Wissensbasis versetzt uns bar mit weißem Marmor verbunden. In sche und physikalische Untersuchungen in die Lage, einzelne Figuren anhand ei- diesem reinen Material sah man den per- zu den Farbresten an antiken Skulpturen nes Abgusses neu zu fassen. Natürlich fekten Ausdruck einer intellektuellen durchgeführt. Begonnen hat diese lange können wir in keinem Fall wirklich alle Transzendenz und der neue Purismus des Tradition Anfang des 19. Jh., als die Detailfragen klären. Die Rekonstruktion 20. Jahrhunderts hat diese Haltung sogar Skulpturen des Parthenon (Athenatempel stellt jedoch eine Annäherung von höch- noch bestärkt. Vor diesem Hintergrund auf der Athener Akropolis) nach London ster wissenschaftlicher Zuverlässigkeit kann unser Experiment mit den „Bunten verbracht worden waren. Die interessierte dar. Nicht immer ist der Farbwert genau Göttern“ natürlich als Angriff oder Revo- Öffentlichkeit wollte es genau wissen: zu bestimmen, auch ist der Aufbau eines lution empfunden werden. War die antike Marmorskulptur tatsäch- Ornaments nicht mehr grundsätzlich an lich einmal bunt bemalt, wie die Reisen- allen Stellen einer antiken Statue nachzu- Seit wann weiß man um die Farbigkeit den, die aus Griechenland und Italien zu- vollziehen. Einiges ist also Interpretation der antiken Skulpturen? rückgekehrt waren, bereits berichtet hat- oder baut auf analogen Beobachtungen an ten? Ein Forscherteam unter der Führung zeitgleichen Werken auf. Im 18. Jh. wurden Pompeji und Hercu- des berühmten Physikers Michael Fara- Wir verwenden für die Rekonstruktio- laneum entdeckt und ausgegraben, die day hat zwar nur wenig Farbreste gefun- nen die gleichen Naturpigmente, die auch durch den Vulkanausbruch in wenigen den, aber dennoch die Tatsache der farbi- in der Antike benutzt wurden. Vor Stunden verschüttet worden waren, wo- gen Skulptur bestätigt. allem die mineralischen Farben, wie durch das Leben in den Städten ganz ab- Unsere Rekonstruktionen bauen auf den Azurit und Malachit, beides Halbedelstei- rupt angehalten wurde. Durch die massi- Untersuchungsergebnissen der Naturwis- ne, hatten eine brillante Farbwirkung, die ve Schicht verbackener Lava haben sich senschaftler auf. Augenblicklich wird von wir heute auch wieder mit großem Auf- viele Gegenstände gut erhalten. So ver- unserem Team die zerstörungs- und be- wand herstellen können. Gebunden wer- wundert es nicht, dass auch Statuen, die rührungsfreie Messung der Pigmente den die Pigmente mit Eigelb oder Casein, einst die Villen und Gärten der wohlha- (UV-VIS) präferiert. Gerade haben wir an beides witterungsbeständige Maltechni- benden Kaufleute schmückten, mit rei- einem einzigen Monument über 350 Pig- ken. Fortsetzung Seite 56 A b e n t e u e r P h i l o s o p h i e 1 / 2 0 0 7
In der Antike wurden häufig Naturpigmente benutzt, Blick in die Walhalla mit farbig gefassten Figuren von Ludwig Schwanthaler, vor 1842 vor allem mineralischen Farben, wie Azurit und Malachit. Spuren eines gemalten Gewands im UV-Licht, Oberkörper der Grabfigur eines Reiters, um 510 v. Chr. Rekonstruktionszeichnung des Gewandes Antike Löwenfigur Farbrekonstruktionszeichnung des Löwen
Marmorbüste des Caligula Bogenschütze (der so genannte „Paris“) aus dem Westgiebel des Aphaia-Tempels in Ägina, Farbrekonstruktion, mit ergänztem Haar aus Bleilocken Derselbe Bogenschütze im Originalzustand in der Münchner Glyptothek Farbrekonstruktion des Caligula
die Möglichkeit des Chiaro- barbaron“ ein begehrtes, aber seltenes Im- scuro, also der Abschattierung portprodukt gewesen. Durch die Perser- der abgewandten Flächen, auch kriege hatten die Griechen plötzlich tau- beobachten sie das Glanzlicht und sendfaches „Anschauungsmaterial“. Die die verkürzten und stürzenden Linien kostbare Kriegsbeute wurde in den Hei- des perspektivischen Raums. Die Vorliebe ligtümern ausgestellt und wurde so zu ei- der kräftigen Primärfarben wird zugun- ner ästhetischen Kategorie. sten einer feineren Abstufung einzelner Es verwundert also nicht, dass die Farbwerte aufgegeben. Diese für Europa Künstler der Giebelskulpturen des so bedeutende Entwicklung wird vollstän- Aphaia-Tempels den östlichen Nachbarn dig für die Farbfassung der Skulpturen und trojanischen Prinzen „Paris“ in das Bei übernommen. ornamental überbordende Gewand eines aller Vor- Gerade stellen wir eine Rekonstruktion Persers stecken. sicht: Die des berühmten „Alexandersarkophags“ Rekonstruktionen, auch wenn sie nicht al- her, der sich seit seiner Auffindung vor Die Bemalung gibt den Figuren eine le Fragen beantworten können - sind dem hundert Jahren im Istanbuler Nationalmu- enorme Ausdruckskraft und Lebendigkeit. ursprünglichen Erscheinungsbild des Ori- seum befindet. Die Farbfassung der Re- Fast erwartet man, dass der Bogenschüt- ginals viel näher als die farblose Marmor- lieffiguren ist sehr gut erhalten und zeigt, ze seinen Pfeil durch die Luft schwirren figur. dass um 320 v. Chr. fein abgestufte Farb- lässt und gleich den nächsten zieht. Wo- werte zur Anwendung kamen. Auch lässt durch entsteht diese starke Wirkung? Die von Ihnen rekonstruierten Giebelfi- sich nachweisen, dass Licht und Schatten guren des Aphaia-Tempels leuchten in durch malerische Mittel verstärkt wurden. Die Skulpturen und Gemälde der Grie- äußerst kräftigen Farben. War die ganze So wurden z. B. Faltentäler durch einen chen sollen den Betrachter in ihren Bann Antike gleich bunt? dunkleren Farbton und zusätzliche ziehen. Sie stellen kein abstraktes Gegen- Schraffuren betont. Auch finden sich noch über in unserem modernen musealen Sinn Die griechische und römische Antike Reste von Bleiweiß als Glanzlicht auf den dar, sondern sollen Lebensfülle und Vita- durchlief eine Entwicklung. Die Formen Augen der Menschen und der Tiere. lität suggerieren. und die Bildsprache der Kunst waren ei- Der Betrachter soll sich an der Schön- nem starkem Wandel unterworfen. Kaum Die berühmteste Figur ist der „Paris heit des Werkes erfreuen, aber auch immer eine andere Zeit in der Menschheitsge- von Troja“, der ein äußerst modern wir- wegen der Lebensnähe der Arbeit „ge- schichte generierte dabei so viele neue äs- kendes Gewand trägt. Entspricht dies der täuscht“ werden. In der antiken Philoso- thetische und intellektuelle Modelle. Da damaligen griechischen Mode? phie begegnen wir in diesem Zusammen- ist es natürlich selbstverständlich, dass hang dem Begriff „Mimesis“. Dieser Be- auch der Umgang mit der Farbe einer ste- Der Bogenschütze „Paris“ aus dem griff findet sich in unserem modernen ten Veränderung unterlag. Westgiebel des Aphaia-Tempels ist nicht Wort „Pantomime“ oder „Mimik“ wieder, Die Giebelfiguren des Aphaia-Tempels das Bild eines Griechen, sondern eines er stammt vom griechischen Verb miméo- stammen aus der frühen Phase der grie- östlichen Nachbarn. mai, das nichts anderes als „nachahmen“ chischen Bildhauerkunst. Noch hat man Mit einem gewaltigen Heer waren die bedeutet. Aristoteles und Platon benutzten sich nicht vollständig von den ästheti- Perser 490 und 480 v. Chr. in Griechen- diesen Ausdruck, um das Streben der schen Kategorien und Vorbildern Ägyp- land eingedrungen und hatten schließlich Schriftsteller und Künstler nach einer im- tens und der östlichen Nachbarn gelöst. - als Vergeltungsschlag - Athen mit seinen manenten Lebenswirklichkeit - einer Die großartige Entdeckung des modellie- Heiligtümern zerstört, bevor sie von der Plausibilität - ihrer Werke zu charakteri- renden Farbauftrages war noch nicht ge- griechischen Flotte besiegt wurden. sieren. macht worden. Daher wirkt die Farbigkeit Dieser Feind war ein schöner Gegner, er Der Zuschauer, Zuhörer oder Betrachter dieser Figuren kräftig und ornamental. trug kostbare, gewebte und bestickte Ge- kann hiernach nur wirklich in den Bann Im Verlauf des 5. und 4. Jh. v. Chr. re- wänder und Goldschmuck, die Waffen des Werkes gezogen werden, wenn die volutionieren die griechischen Künstler waren aus kostbaren Materialien gefertigt. Handlung und Form ganz der eigenen Le- den Umgang mit der Farbe. Sie entdecken Immer schon waren diese „yphasmatan benswahrnehmung entsprechen. Damit ist A b e n t e u e r P h i l o s o p h i e 1 / 2 0 0 7
philoSOCIETY 57 nicht unbedingt ein sklavischer Realismus Der Gott sollte als eine besonders star- des Schmucks durchbricht dieses Dogma gemeint, jedoch eine Regung der Sinne in ke Kraft auch durch sein Bild erscheinen. und ist als solches abgelehnt worden. der durch den Alltag und die Lebenser- Natürlich ist das Götterbild über die Ma- Ist eine Gesellschaft bereit, die hohe ge- fahrung unmittelbar nochvollziehbaren ßen schön und kostbar, häufig auch über- stalterischen Kräfte der farbigen, mimeti- Art. dimensioniert. Immer muss der Gott aber schen Bildwerke zu akzeptieren, muss sie Wir erfahren aus den antiken Schrift- auch „erscheinen“, er ist also ein gestei- sich zwangsläufig ein neues, anderes Bild quellen, dass die berühmtesten griechi- gertes Ebenbild des Menschen und soll in der klassischen Antike bauen. Dieses Bild schen Maler versuchten, sich gegenseitig seinem skulpturalen Ebenbild sinnlich ist stärker von der Unmittelbarkeit sinn- zu täuschen. So malte Parrhasios einen vollständig erfahrbar sein. Das wäre ohne licher Wahrnehmung geprägt, es ist ver- Vorhang und als sein Kollege Xeuxis das Schmuck und Farbe eben undenkbar. spielter, vielfältiger, eben auch - aber nicht Bild zum ersten Mal sah, forderte er Par- nur - im Wortsinn „bunter“. rhasios auf, doch den Vorhang wegzuzie- Abschließend würde mich interessieren, Der griechische Intellekt ist in der Ana- hen, damit man sich das Tafelgemälde an- welche Konsequenzen sich durch die Ent- lyse, aber auch bezüglich der Gestaltung, sehen könne… deckung der Farbigkeit der Skulpturen für ganz von der Idee des Eidos geleitet. Ein Die griechischen Skulpturen unterlie- unser Verständnis der Antike ergeben. Gegenstand, ein Begriff besitzt in seiner gen denselben Kategorien der Ästhetik Herrschte ein anderes Lebensgefühl, eine dinglichen, aber auch gedachten Wirk- und Wahrnehmung. Auch sie sollen im andere „Philosophie“ als bisher ange- lichkeit ein ganz klar gestaltetes Äußeres. Sinne der Mimesis erfahrbar sein, also die nommen? Sollen wir unsere Sichtweise Der Drang des griechischen Künstlers ist Wirklichkeit und deren sinnliche Wahr- des antiken Geistes revidieren? auch heute noch klar zu verspüren: Der nehmung - vielleicht sogar in übersteiger- Gegenstand wie auch die einzelnen Ele- ter Form - täuschend nachahmen. Dem Jede Zeit macht sich ihr eigenes Bild mente, aus dem er zusammengefügt wur- Künstlerteam, das den Bogenschützen aus von der Vergangenheit. Das gebildete de, müssen so klar und deutlich wie nur ir- dem Westgiebel des Aphaia-Tempels ent- Bürgertum der Aufklärung hat ein hohes gend möglich dargestellt werden. worfen hat, war es besonders wichtig, Maß an Vergeistigung, Disziplin und for- Zur visuellen Wahrnehmung des Men- durch eine subtile Konstruktion der Orna- maler Strenge in die klassische Antike schen gehören Licht, Schatten und Farbe. mente, die den Körper umspielen, die phy- projiziert. Dagegen stand aber schon im- Im Sinne der Eidetik darf auf keinen die- sische Präsenz der Figur zu steigern. Auch mer das Wissen um die starke Dialektik ser Aspekte auch nur für einen Augenblick wurden Haarlocken in Blei gegossen und der antiken Ethik und auch Ästhetik. Je- verzichtet werden. einzeln angefügt. Diese Bleilocken stellen dem - aus moderner Sicht positiven - Mo- eine technische und ästhetische Innova- dell stand ein krasses Gegenmodell Sehr geehrter Herr Professor, vielen tion dar: Das Haar fällt frei, die Locken - gegenüber. Dank für das spannende Gespräch! Q einzeln gebogen - reagieren auf die Be- Das gilt für so genannte moralische, po- wegung des Körpers. litische, aber eben auch künstlerisch-äs- Sehr wichtig für den mimetischen Ge- thetische Kategorien. Der Aufführung ei- samteindruck ist jedoch die farbige Fas- ner Tragödie ging das possenhafte Satyr- sung der Haut und ganz selbstverständ- spiel unmittelbar voraus. Die Komödie lich die Angabe der Elemente des mensch- schafft eine abgrundtiefe Karikatur der lichen Auges: Hiermit erhält die Figur ei- ernsthaften Künste. All diese - eigentlich ne „Seele“, blickt in die Welt und nimmt integrativen - Aspekte werden, eben um mit ihr direkten Kontakt auf. das hehre Ideal der Antike zu retten, als ausgrenzbarer Sonderbereich gedeutet. Ihre Ausstellung trägt den Namen Nun gehört - in der Wahrnehmung „Bunte Götter“ - heißt dies, dass diese bürgerlicher Gesellschaften der Mo- besondere Wirkung bemalter Skulpturen derne - zum Bild der intellektuellen in den Heiligtümern und Tempeln bewusst Strenge die Beschränkung der Skulptur eingesetzt wurde? Gibt es Zeugnisse dar- auf ihre räumliche Formgebung. Die über, ob die Menschen davon berührt wur- Vermischung von plastischer Form mit den? den sinnlichen Werten der Farbe und A b e n t e u e r P h i l o s o p h i e 1 / 2 0 0 7
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