Der digitale Euro - Neue Entwicklungsstufe oder riskante Phantasterei? - Wüstenrot ...

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Sonderbericht

Der digitale Euro - Neue
Entwicklungsstufe oder
riskante Phantasterei?

Das Wichtigste in Kürze: Die Europäische Zentralbank erwägt ähnlich wie auch          21. Januar 2021
andere Notenbanken die Einführung einer digitalen Währung. Hiervon werden
Vorteile für Unternehmen erhofft, die ihren Zahlungsverkehr zukünftig schneller
und kostengünstiger durchführen könnten. Außerdem reagiert die EZB auf Pläne
der Privatwirtschaft zur Einführung digitaler Währungen wie beispielsweise dem
Diem-Projekt von Facebook (vormals Libra) sowie der zunehmenden Beliebtheit
von Kryptowährungen wie Bitcoin. Mit dem digitalen Euro soll technikafinen
Nutzern ein Angebot bereitet werden, damit sich diese auch weiterhin im
Einflussbereich der EZB bewegen.

Für die konkrekte Ausgestaltung eines digitalen Euro wären verschiedene
Möglichkeiten denkbar. Er könnte von allen Unternehmen und Privatpersonen zur
Kreditaufnahme und Geldanlage genutzt werden oder nur von Geschäftsbanken.
Die Nutzung der Distributed Ledger Technologie (Blockchain) wäre möglich, aber
keine zwingende Voraussetzung. Denkbar ist daneben die Einführung als
eigenständige Währung mit oder ohne festen Wechselkurs zum konventionellen
Euro, oder der digitale Euro könnte nur ein Zahlungsversprechen (Token) für die
bisherige Währung darstellen.

Eine Einführung hätte jedenfalls das Potenzial für große Umwälzungen in der
Kreditwirtschaft. Im Extremszenario würden bei den Banken die Geschäftsfelder
Zahlungsverkehr, Kreditvergabe und Spargeschäft wegfallen. Die EZB müsste         ■ Dr. Torsten Gruber
dann zur zentralen Planungs- und Durchführungsbehörde für das Geldangebot         ■ Dr. Thorsten Proettel
und die Kreditnachfrage werden. Mit einem digitalen Euro als dominantem           ■ Bernhard Spitz
Zahlungsmittel wäre es auch möglich, stark negative Zinsen durchzusetzen. Die
Geldpolitik würde damit größeren Spielraum gewinnen.
SONDERBERICHT: DER DIGITALE EURO                                                                        2

1. Die EZB prüft die Einführung eines digitalen Euro
Letzte Woche ging eine dreimonatige öffentliche Konsultation zu Ende, in der die     EZB erwägt Einfüh-
Europäische Zentralbank (EZB) mehr als 8.000 Rückmeldungen von                       rung eines digitalen
Wissenschaftlern, Unternehmensvertretern und Privatpersonen zur Einführung           Euro,…
eines digitalen Euro sammelte. Die Auswertung soll bis Mitte des Jahres
abgeschlossen sein und eine Entscheidung ermöglichen, ob ein Projekt für eine
Einführung begonnen wird.

Vermutlich sind die Würfel im Hintergrund aber bereits gefallen. Die EZB gründete    …und spricht sich mit
schon vor längerer Zeit zusammen mit der schwedischen Reichsbank, der Bank           anderen Notenbanken
of England, der Bank of Canada, der Schweizerischen Nationalbank und der Bank        ab,…
für Internationalen Zahlungsausgleich eine Arbeitsgruppe für digitales
Notenbankgeld, auf Englisch auch bezeichnet als „Central-Bank-Issued Digital
Currency (CBDC)“.

In Schweden beschäftigt sich die Notenbank mindestens seit 2018 mit dem             …während Schweden
Thema, und sie begann 2020 zusammen mit der Unternehmensberatung                    konkrete Planungen
Accenture die Planungen für die technische Umsetzung einer „e-Krona“. Der           macht…
Abschluss dieser Vorbereitungen ist für November 2022 geplant.

Ein Vorreiter ist die chinesische Notenbank, die seit 2014 an einer digitalen       …und in China bereits
Währung arbeitet und im September 2020 ein weiteres Pilotprojekt unter der          ein Pilotprojekt starte-
Bezeichnung „Digital Currency Electronic Payment (DC/EP)“ startete. Dabei           te.
erhielten 50.000 zufällig ausgewählte Personen ein Guthaben über 200 digitale
Yuan (circa 25 Euro) geschenkt. Die Nutzung beschränkt sich jedoch auf wenige
teilnehmende Unternehmen, wie beispielsweise den in China bekannten
Lieferdienst Meituan Dianping.

Die EZB erwägt die Einführung einer digitalen Währung aus mehreren Gründen,         Aussicht auf Vorteile
die sich grob in zwei verschiedene Kategorien einteilen lassen. Dies sind           und Angst vor Bedeu-
einerseits erhoffte Modernisierungsvorteile für die Nutzer der Währung und          tungsschwund bewe-
zweitens der Selbsterhaltungstrieb der EZB, also insbesondere die Angst vor dem     gen Notenbank.
Bedeutungsverlust aufgrund einer denkbaren Verdrängung des Euro durch
ausländische oder private Digitalwährungen. Nachfolgend werden die wichtigsten
Argumentationsstränge beider Motive vorgestellt.

2. Offizielle Motive für die Einführung
Institutionelle Befürworter einer digitalen Währung wie beispielsweise der IT-      Sicherung der Wett-
Branchenverband Bitkom und der von Vertretern aus Finanzunternehmen                 bewerbsfähigkeit als
besetzte FinTechRat im Bundesfinanzministerium heben vor allem die möglichen        Argument,…
Vorteile für die Wirtschaft hervor. Demnach sei die Einführung eines digitalen
Euro geboten, um mit „schnellen Geldtransfers und geringen Transaktionskosten“
zur „Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit europäischer
Unternehmen“ beizutragen.

Diese Forderung beruht auf der Einsicht, dass grenzüberschreitende Zahlungen         …da Zahlungsverkehr
durch Privathaushalte und Unternehmen in vielen Fällen weiterhin                     teuer ist.
arbeitsaufwendig, zeitintensiv und kostspielig sind. Zwar wurde 2014 der
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Europäische Zahlungsraum SEPA eingeführt, der die Ablösung der bisherigen
Kontonummern und Bankleitzahlen durch die sogenannten IBAN-Kontonummern
mit sich brachte. Hierdurch ist ein kostengünstiger und vergleichsweise schneller
internationaler Geldtransfer möglich. Doch das SEPA-Gebiet erstreckt sich nur auf
die Mitgliedsstaaten der EU inklusive einiger Überseegebiete und der den Euro
nutzenden Kleinstaaten sowie die EFTA (Island, Liechtenstein, Norwegen,
Schweiz). Die international wichtigen Wirtschaftszentren in Nordamerika und
Fernost bleiben dagegen ausgeschlossen, und Geldtransfers dorthin werden wie
seit vielen Jahrzehnten über die Clearingstelle SWIFT und ein Netz von                 Ware ist schneller
Korrespondenzbanken abgewickelt. Dies kann gemäß einer gängigen Erzählung              unterwegs als Bezah-
dazu führen, dass beispielsweise die Bestellung von Produkten in China per             lung.
Luftkurrier bereits im gleichen Tag in Deutschland einträfe, wohingegen die
Zahlungsanweisung in die umgekehrte Richtung mehrere Wochen unterwegs sei.

Im grenzüberschreitenden Online-Handel für Privathaushalte haben sich vor              Zahlungen in Bitcoin
diesem Hintergrund meistens Kreditkarten durchgesetzt oder neuerdings vor              kosten nicht viel,…
allem aus den USA stammende Alternativen wie Paypal. Für Unternehmen, bei
denen es um größere Beträge geht, sind dies jedoch alleine aufgrund der hierbei
entstehenden Gebühren, welche zumeist dem Verkäufer in Rechnung gestellt
werden, keine ernstzunehmenden Möglichkeiten. Deshalb erscheinen digitale
Währungen in Anlehnung an die bereits seit einigen Jahren nutzbare private
Kryptowährung Bitcoin interessant. Mit ihr lassen sich weltweit Zahlungen zu eher
geringen Kosten bewerkstelligen. Allerdings entspricht die pauschale
Mindestgebühr von 0,00001 Bitcoin je Transaktion derzeit bereits 35 US-Cents,
und eine schnelle Verarbeitung muss mit einer höheren Gebühr erkauft werden.

Abgesehen hiervon weisen Bitcoin einen zweiten wichtigen Vorteil gegenüber            …und erfolgen sehr
dem traditionellen bargeldlosen Zahlungsverkehr mit Überweisungen oder                schnell,…
Einzugsermächtigungen auf. Der Geldtransfer erfolgt sofort („instant payment“),
womit das Risiko von Zahlungsausfällen entfällt, beispielsweise durch
mangelndes Guthaben auf dem Konto desjenigen, der seiner Bank einen
Überweisungsauftrag erteilt. Letztlich soll eine digitale Währung somit den Vorteil
der unmittelbaren Bezahlung, wie es bereits heute mit Bargeld beim
Gebrauchtwagenkauf oder auf Flohmärkten möglich und oftmals gewünscht ist,
auf den bargeldlosen Zahlungsverkehr übertragen.

Eine intensivere Nutzung von Bitcoin oder anderer Kryptowährungen scheidet für        …aber Kursschwan-
den vorgesehenen Zweck allerdings bis auf weiteres aus, da hierfür der rechtliche     kungen sind ein Prob-
und regulatorische Rahmen fehlt. Bitcoin gelten nicht als gesetzliches                lem.
Zahlungsmittel. Das mag zwar für technikafine Privatpersonen keine wirkliche
Hürde sein, es ist aber für Unternehmen entscheidend. Daneben kommt Bitcoin
alleine schon aufgrund der heftigen Kursschwankungen als ernstzunehmendes
Zahlungsmittel kaum in Betracht. Anfang Dezember kostete ein Bitcoin rund
19.000 US-Dollar, Mitte Dezember mehr als 40.000 US-Dollar und zuletzt rund
35.000 US-Dollar. Von einem offiziellen digitalen Euro wird demnach erwartet,
dass er diese Nachteile nicht aufweist, beispielsweise durch eine
Konvertierbarkeit im festen Verhältnis von 1:1 zu dem bestehenden Euro.

Die Befürworter erhoffen sich von einem digitalen Euro sogar weitergehende            Programmierbarkeit
Möglichkeiten und Effizienzsteigerungen, die bislang weder mit Bitcoin noch mit       wäre ein Vorteil.
Bargeld möglich sind. Gewünscht ist eine „programmierbarer digitaler Euro“,
womit gemeint ist, dass durch ein paar Zeilen zusätzlichen Programmcode in
Verträgen und Regelwerken automatisch Zahlungen durchgeführt werden können,
SONDERBERICHT: DER DIGITALE EURO                                                                            4

ohne dass ein Warenempfänger oder ein Sachbearbeiter in einem Unternehmen              Der digitale Euro
tätig werden muss („Smart Contract“). Beispielsweise könnte ein digitaler              könnte Smart
Bausparvertrag in der Ansparphase selbst die vorgesehenen Geldtransfers in             Contracts fördern.
digitalen Euro von der elektronischen Geldbörse des Bausparers vornehmen und
nach der von der Bausparkassen-Cloud ausgelösten Zuteilungsreife automatisiert
eine Gutschrift beim Kunden veranlassen. In den kühnsten Vorstellungen ist die
digitale Währung dabei nicht nur eine Recheneinheit, die hin- und hergebucht
wird, sondern ein unendlich teilbarer Programmcode mit einem gewissen
Eigenleben im Sinne des „Internets der Dinge“. Das Geld bewegt sich sozusagen
von selbst, wenn ein bestimmter Zustand erreicht ist, beispielsweise wenn eine
Warenlieferung erfolgte („Integration von Leistung und Gegenleistung“).

3. Wesentliche Gründe für einen digitalen Euro
Viel wichtiger als die oben beschriebenen offiziellen Argumente für einen digitalen    EZB hat Angst, den
Euro sind weitere, teilweise hiermit zusammenhängende Motive, die höchstens            anderen Notenbanken
hinter vorgehaltener Hand oder überhaupt nicht erwähnt werden. Die chinesische         hinterherzuhinken…
Notenbank hat bezüglich der Einführung einer Digitalwährung gegenüber den
Zentralbanken in der westlichen Welt einen Entwicklungsvorsprung von mehreren
Jahren. Der digitale Yuan könnte demnach in absehbarer Zeit allgemein
eingeführt werden. Gleichzeitig nimmt in manchen Staaten der Wunsch zu, einen
rechtlichen Rahmen für private Kryptowährungen wie Bitcoin zu schaffen, womit
diese stärker genutzt werden könnten. Und drittens dürften sich sogenannte
Stablecoins privater Anbieter, die über eine oder mehrere konventionelle
Währungen gedeckt sind und deshalb deutlich geringere Kursschwankungen als
Bitcoin aufweisen, nicht ewig durch sanften Druck staatlicher Stellen
hinauszögern lassen (zu den Unterschieden zwischen Kryptowährungen und
Stablecoins vgl. unseren Sonderbericht „Digitalwährungen“ vom 30. Juli 2019).
Beispielsweise wurden die von Facebook im Juni 2019 vorgestellten Pläne für die
mit einem Währungskorb unterlegte Digitalwährung „Libra“ noch durch
entsprechende Interventionen vereitelt. Doch letztes Jahr änderte Facebook die
Konzeption und bereitet nun die Einführung von Digitalwährungen unter dem
Namen „Diem“ (lateinisch, „der Tag“) vor, die jeweils nur an die lokal gültige
Währung gekoppelt sein sollen. Es gäbe dann Euro-Diem, US-Dollar-Diem und so           …und auch manchem
weiter. Der Start ist bereits für 2021 geplant. Die Risiken für die EZB liegen damit   privaten Projekt.
auf der Hand: Da Verbraucher erfahrungsgemäß dazu neigen, den für sie
bequemsten Weg zu wählen, während Unternehmen zu der preislich günstigsten
legalen Alternative im Zahlungsverkehr und bei der Kreditaufnahme tendieren,
besteht nach unserer Einschätzung die Möglichkeit, dass der Euro mittel- bis
langfristig als Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittel in der Eurozone an
Bedeutung verlieren könnte. Dies ist natürlich nicht im Interesse der EZB.

Die neue private Konkurrenz auf dem Währungsmarkt stellt für die staatlichen           Sind Digitalwährungen
Notenbanken auch aufgrund der ultralockeren Geldpolitik ein Problem dar. Der           sicherer als ungedeck-
oder die Schöpfer des Bitcoin hinter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto                    tes Papiergeld?
schrieben als Begründung für ihre Kryptowährung, das Kernproblem
konventioneller Währungen sei das für das Funktionieren notwendige Vertrauen,
doch die Geschichte der ungedeckten Papierwährungen sei „voll von Verrat an
diesem Vertrauen“. Möglicherweise hatten der oder die Erfinder dabei die
Situation in Deutschland vor Augen mit zwei Währungsreformen im 20.
Jahrhundert, beziehungsweise drei, wenn man die D-Mark-Umrechnung größerer
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ostdeutscher Sparguthaben 1990 im Verhältnis 2:1 bei unveränderten Löhnen und
Preisen ebenfalls berücksichtigt.

Die Nutzung von vermeintlich wertstabilen, privaten, digitalen Währungen wäre         Im Extremszenario
demnach für Anleger ein Ausweg aus der „Financial Repression“, also dem               könnten sich die Men-
Versuch der Notenbanken, durch höhere Inflationsraten einen schleichenden             schen komplett vom
Vermögenstransfer von Gläubigern zu Schuldnern zu erreichen. Würde ein                Euro abwenden.
entsprechendes Schlupfloch durch die Verbraucher und Unternehmen in der
Eurozone massenhaft genutzt werden, dann würde die EZB im Extremszenario zu
einer reinen Staatsschuldenverwaltungsbehörde degradiert, während die Bürger
ihren Zahlungsverkehr über „Diem“ oder „Bitcoin“ abwickeln und ihr Erspartes
aufgrund höherer Zinsen in digitalen Yuan anlegen, womit das hiesige Zinsniveau
in Peking festgelegt werden würde.

Letztendlich befindet sich die EZB somit aus mehreren wichtigen Gründen unter          Die EZB sieht Hand-
Zugzwang. Man möchte Unternehmen und Verbrauchern eine digitale Währung                lungsbedarf, um ihre
anbieten, welche möglichst alle technischen Vorteile der von privaten und              Stellung zu verteidi-
ausländischen Konkurrenten in Aussicht gestellten Währungen aufweist. Somit            gen.
soll zumindest in diesem Punkt kein Anlass für einer Abkehr vom Euro geboten
werden. Hierbei sieht man sich wahrscheinlich einem großen Zeitdruck
ausgesetzt, da die Befürworter des digitalen Euro mehrheitlich von einer Art „First
Mover Advantage“ ausgehen. Demnach würde das erste Angebot für die
Konsumenten auch aufgrund von Netzwerkeffekten die Standards setzen, und es
wäre sehr schwierig, verloren gegangene bisherige Nutzer des konventionellen
Euro zurückzugewinnen. Wie der digitale Euro technisch und inhaltlich konzipiert
sein sollte, steht dabei noch völlig in den Sternen. Für die EZB scheint
unabhängig hiervon der für Umbruchzeiten gemünzte Sinnspruch des
italienischen Schriftstellers Giuseppe Tomasi di Lampedusa zu gelten, wonach
sich alles ändern muss, damit die Dinge letztlich so bleiben, wie sie sind.

4. Umsetzungsalternativen
Die obigen Ausführungen zeigen, dass ein digitaler Euro je nach den ge-               Unser Geld ist bereits
wünschten Zielsetzungen unterschiedlich ausgestaltet werden könnte                    heute digital,…
beziehungsweise müsste. Dabei ist anzumerken, dass unser Geld bereits heute
weitgehend digital verwaltet wird. Nur der kleinste Teil der umlaufenden
Geldmenge besteht aus Münzen und Banknoten als unmittelbare Form des
Geldes. Wer einen Geldschein in einer Bankfiliale einzahlt, erzeugt eine
Computergutschrift und Buchgeld. Und die Notenbanken schreiben den
Geschäftsbanken mit Liquiditätsbedarf sogenanntes Giralgeld gut, welches
ebenfalls nicht physisch greifbar ist.

Insofern wäre die Einführung eines digitalen Euro in einem eher kleinen Schritt       …weshalb nur kleine
durch mehr oder minder große Änderungen des aktuellen Zustandes denkbar.              Schritte notwendig
Beispielsweise erwarten manche Befürworter die Möglichkeit eines elektronisch         wären.
geführten Konten- und Zahlungssystems ohne Verwendung von Bargeld und mit
der EZB als zentraler Clearingstelle.

Den Unterschied zur heutigen Situation soll das folgende kleine Beispiel              Ein Beispiel…
verdeutlichen: Ein Bauherr möchte einen Handwerker bezahlen und reicht bei
seiner Sparkasse per Online-Banking einen Überweisungsauftrag ein. Diese
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bucht dann den Betrag vom Girokonto ab und schreibt ihn dem eigenen
Verrechnungskonto gut. In einem zweiten Schritt und nach Weiterleitung der
Zahlungsinformation bucht die Landeszentralbank den Betrag von dem bei ihr           …für die Situation
geführten Konto der Sparkasse ab und bucht in auf das Konto der Volksbank um,        heute…
der Hausbank des Handwerkers. Die Volksbank muss letztendlich in einem dritten
Schritt eine Umbuchung von ihrem Zahlungsverkehrskonto auf das individuelle
Konto des Handwerkers vornehmen, wobei der gesamte Vorgang mehrere
Stunden oder einen vollen Werktag dauert. Liegt sogar eine grenzüberschreitende
Transaktion vor, dann sind noch mehrere Zwischenschritte über die Bundesbank,
die EZB und mögliche Korrespondenzbanken notwendig. Mit einem digitalen Euro
in der einfachsten Variante wäre es dagegen möglich, dass der Zahlungspflichtige
beispielsweise per Smartphone eine Zahlung über sein Konto bei der EZB               …und die Vorteile
veranlasst, wobei der Handwerker auf seinem Smartphone sofort die Gutschrift         eines einfachen digita-
angezeigt bekäme. Der Zahlungsempfänger hätte damit die gleichen Vorteile wie        len Euro.
bei der Nutzung von Bargeld, wobei für beide Parteien zusätzlich zu der
bequemen Durchführung die Gebühren ihrer Hausbanken wegfallen würden.

Notwendig wäre in dieser Variante die Erweiterung der EZB zu einer der größten       EZB würde größte
Retail-Banken der Welt. Alleine die Eurozone weist rund 342 Mio. Einwohner           Kundenbank werden.
beziehungsweise potenzielle Nutzer auf. Hierzu kämen Unternehmen und
Interessierte im Ausland. Grundsätzlich realisierbar wäre das Projekt trotzdem. So
zählt beispielsweise das chinesische Online-Bezahlsystem Alipay etwa 520 Mio.
Nutzer. Und das oben erwähnte Facebook-Projekt Diem soll sich zunächst vor
allem an die 2,5 Mrd. aktiven Nutzer des sozialen Netzwerkes richten.

Die Einführung eines digitalen Euro wäre alternativ auch in einem größeren Schritt   Alternativ könnte EZB
unter Nutzung der „Distributed Ledger Technologie“ möglich, die allgemein auch       die Blockchain nut-
unter dem Namen „Blockchain“ bekannt ist. Wie bei Bitcoin und anderen ähnlich        zen,…
konzipierten Kryptowährungen werden mit dieser „Technologie der (in der Cloud)
verteilten Kassenbücher“ jeweils mehrere Transaktionen für das gesamte System
zu einem kleinen Rechnungsabschluss („Block“) zusammengefasst und
kryptographisch gespeichert. Die kryptographische Entstehung jedes neuen
Blocks wird dabei von dem zuletzt gespeicherten Block beeinflusst, wodurch eine
Verkettung („chain“) entsteht. Hierdurch sollen nachträgliche Manipulationen eines
Blocks ausgeschlossen werden. Durch die Speicherung in einem dezentralen
Netzwerk sollen gleichzeitig das Risiko des Verlustes von Daten oder
betrügerische Aktivitäten vermieden werden.

Grundsätzlich handelt es sich bei der Distributed Ledger Technologie damit um        …was eine Abkehr
eine Art Ordnungs- beziehungsweise Buchungssystem, welches an die Stelle der         vom bisherigen Bu-
kaskadenförmig gestaffelten Kontoführung des heutigen Systems treten würde           chungssystem bedeu-
(siehe obiges Beispiel mit der Bezahlung des Handwerkers) oder alternativ zur        tet.
möglichen zentralen Führung der Konten bei der EZB im Fall der oben
beschriebenen „kleinen Lösung“.

Würde der digitale Euro über die Distributed Ledger Technlogie eingeführt            EZB wird weiterhin
werden, dann bestünde jedoch ein entscheidender Unterschied zum Bitcoin: Die         über die Geldmenge
EZB dürfte die Entscheidungsfreiheit darüber behalten wollen, ob und wie stark       bestimmen wollen.
die Geldmenge in digitalen Euro ausgeweitet werden soll. Nur wenn diese
Voraussetzung erfüllt ist, kann sie wie bislang auch, über ihre Kreditvergabe zu
von ihr festgelegten Konditionen einen Einfluss auf die Inflationsentwicklung
ausüben. Zweitens könnte auch nur bei einer vollen Kontrolle der Geldmenge die
Wechselkursbindung von digitalem Euro zu konventionellem Euro im vermutlich
SONDERBERICHT: DER DIGITALE EURO                                                                        7

gewünschten Verhältnis 1:1 beibehalten werden. Bitcoin ist dagegen eine sich        Der digitale Euro wür-
stark deflationär entwickelnde Kryptowährung, da der Umlauf anfänglich auf 21       de sich von Bitcoin
Mio. Bitcoin beschränkt wurde und hiervon bereits rund 18 Mio. im Umlauf sind.      unterscheiden,…
Der starke Kursanstieg der letzten Jahre – ohne Berücksichtigung der
Schwankungen – ist quasi das Spiegelbild der Deflation von Güterpreisen in
Bitcoin. So wurden der erste Bezahlvorgang mit Bitcoin der Legende nach am 22.
Mai 2010 zum Kauf von zwei Pizzen genutzt, wofür 10.000 Bitcoin bezahlt
wurden. Für das gleiche Warenangebot wären heute in Ludwigsburg nur noch
rund 0,0005 Bitcoin notwendig.

Wenn die EZB die Oberhand über die Zentralbankgeldmenge behalten möchte,            …weshalb die EZB
dann folgt hieraus, dass sie selbst die Verwaltung der Blockchain organisieren      selbst die Block-
muss. Bei Bitcoin funktioniert die dezentrale Kryptographierung und Speicherung     erstellung in die Hand
der Transaktionen gewissermaßen nur über einen Trick: Jede Person mit einem         nehmen müsste.
Computer und einem Internetzugang kann daran freiwillig mitwirken und erhält
dafür eine Gutschrift in Form von Bitcoin. Das sogenannte Mining
beziehungsweise Schürfen, welches in Presseberichten häufig nur mit der
Generierung von neuen Bitcoins in Verbindung gebracht wird, stellt neben der
oben erwähnten kleinen Transaktionsgebühr die notwendige Voraussetzung dar,
damit die Kryptowährung überhaupt nutzbar ist. Bei den geplanten Facebook-
Währungen       Diem    muss      dagegen     das    Facebook-Konsortium     für
Kryptographierung und Speicherung sorgen, bei einem digitalen Euro in Form
eines „großen Schritts“ wäre mutmaßlich die EZB für die Block-Erstellung
zuständig. Die chinesische Notenbank verzichtete in ihrem jüngsten Pilotprojekt
übrigens auf die Verwendung der Blockchain.

Für die konkrete Ausgestaltung des digitalen Euro sind noch viele weitere Fragen    Viele Fragen sind
zu beantworten. Beispielsweise wäre es möglich, ihn als eigenständige Währung       noch offen.
zu kreieren. Alternativ könnte der digitale Euro auch nur als eine Art Wertmarke
(„Token“) für den konventionellen Euro konzipiert und mit konventionellen Euro
unterlegt werden. Diese Variante entspräche weitestgehend dem geplanten Euro-
Diem von Facebook, für den wiederum eine Blockchain zum Einsatz kommen soll.

5. Konsequenzen für Kreditwirtschaft und Geldpolitik
Ein digitaler Euro hätte neben den bereits in den Kapiteln 2 und 3 beschriebenen     EZB könnte mit digita-
Argumenten einen weiteren großen Vorteil für die EZB. Bislang ist es so, dass        lem Euro das Zins-
sich ihre zentral für die gesamte Eurozone festgelegten Leitzinsen in den            niveau direkt bestim-
Mitgliedsstaaten unterschiedlich auswirken. Dies liegt an dem Einfluss der           men.
Renditen von Staatsanleihen auf die örtlichen Kapitalmärkte, weshalb
Kreditnehmer in Staaten mit schlechter Bonität wie beispielsweise Italien höhere
Kreditzinsen zu berappen haben als in bonitätsstarken Ländern wie
beispielsweise Österreich. Die Anleihekäufe der EZB reduzierten diesen Einfluss
in den letzten Jahren erheblich, doch bislang bleiben Unterschiede von mehr als
einem Prozentpunkt im Bereich von Geldleihen über zehn Jahre bestehen. Mit der
Einführung des digitalen Euro wäre es möglich, dass die EZB direkt als
Kreditgeberin für Unternehmen und gegebenenfalls für Private auftritt. Sie könnte
in diesem Fall unmittelbar in der gesamten Eurozone das Kreditzinsniveau für
Endverbraucher nach Belieben festlegen.
SONDERBERICHT: DER DIGITALE EURO                                                                         8

Dieser Schritt hätte weitreichende Konsequenzen und Rückwirkungen. Die               Wer bräuchte noch
Geschäftsbanken würden nicht nur Marktanteile im Zahlungsverkehr verlieren,          Geschäftsbanken?
sondern sie würden möglicherweise auch um das einträgliche Kreditgeschäft
beraubt werden. Letztendlich könnte dies eine vollständige Neuordnung des
Währungssystems mit sich bringen, denn bislang kann die Geldmenge je nach
Höhe der Kreditnachfrage „atmen“, da die Geschäftsbanken durch die Annahme
von Spargeldern und die Ausreichung von Krediten vereinfacht gesprochen bei
konstanter Zentralbankgeldmenge automatisch Geldschöpfung betreiben. Würde
nur noch die EZB Darlehen vergeben, da sie die niedrigsten Zinsen und
Verwaltungskosten in Rechnung stellt, dann fiele der sogenannte Geldmengen-
multiplikator auf 1, und die Eurozone hätte ein „Vollgeldsystem“. Fortan müsste
die EZB als zentrale Planungsbehörde die Arbeit von Tausenden Bankan-
gestellten übernehmen und entscheiden, ob sie ihr Geldangebot in der
nachgefragten Höhe ausweitet, oder ob sie restriktiv wird und unsoliden
Unternehmen ein Darlehen verwehrt. Der politische Druck auf die Notenbank
könnte in solchen Situationen noch weiter zunehmen, ebenso die Streitigkeiten,
wenn die öffentliche Meinung aufkäme, dass Unternehmen aus einem Land
bevorzugt würden und aus einem anderen nicht.

Denkbar ist auch ein System, bei dem die Geschäftsbanken nach Prüfung und            Digitaler Euro erleich-
unter Mithaftung Kreditgesuche an die EZB weiterleiten. Oder nur die                 tert Bankruns.
Kreditinstitute erhielten in einem zweistufigen Modell Zugriff auf den digitalen
Euro. Fraglich ist auch, inwieweit Privatpersonen ihre Guthaben in digitalen Euro
anlegen können sollen. Der digitale Yuan richtet sich ausdrücklich an
Privatpersonen und dies ist auch für die schwedische e-Krona vorgesehen.
Besteht jene Option, dann könnte ein Bankrun zukünftig blitzartig erfolgen. Die
Kunden würden bei einer Finanzkrise per Knopfdruck auf dem Smartphone ihre
konventionellen Euro bei ihrem Kreditinstitut in digitale Euro bei der EZB
umtauschen, die ein „new safe asset“ darstellen. Dies ist der Grund, warum von
Vertretern der Banken bereits eine Beschränkung, beispielsweise auf 3.000 Euro
pro Kopf, gefordert wird. Im Gespräch sind auch gestaffelte Beträge („Tiering“),
beziehungsweise im Notfall stark negative Zinsen, um den Sparern bei Bedarf die
Umschichtung ihrer Guthaben zu vergällen.

Unzweifelhaft wäre die Verantwortungszunahme der EZB übrigens hinsichtlich           Der „gläserne Bürger“
Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Bereits heute sind die Kreditinstitute       würde zur Realität
der Eurozone dazu verpflichtet, für jeden Kredit beziehungsweise jede                werden.
kombinierte Schuldsumme ab 25.000 Euro pro Kopf rund 100 Einzelinformationen
über den Kreditnehmer an das Meldesystem AnaCredit der EZB zu berichten. Die
Zielsetzung ist in diesem Fall die Finanzmarktstabilität. Bei der Einführung eines
digitalen Euro ist mit der vollständigen Aufzeichnung und Auswertung jedweder
Transaktion bis hin zum Kauf von Zigaretten am Automaten u.ä. zu rechnen. In
China wird ein Vorteil des digitalen Yuan in der zusätzlichen Möglichkeit zur
Überwachung der Bevölkerung gesehen.

6. Unsere Einschätzung
Führt man sich vor Augen, wie allein die Einführung von Smartphones vor einem         Die technische Ent-
Jahrzehnt die Digitalisierung vieler Lebensbereiche vorangebracht hat, dann sind      wicklung war schon
manche Zukunftsvisionen über einen digitalen Euro vielleicht weniger spektakulär,     immer rasant.
als sie im ersten Moment erscheinen. Es wäre insofern kein Wunder, wenn die
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aus der Antike und dem 11. Jahrhundert stammenden Finanzinnovationen Münze
beziehungsweise Banknote demnächst durch etwas Jüngeres abgelöst werden
würden. Und da es für die Politik reizvoller ist, durch die Einführung von Neuem
erhoffte Vorteile herbeizuführen, als durch die Lösung bestehender Probleme,
dürfte auch von dieser Seite wenig entgegenstehen. Selbstverständlich sind noch        EZB dürfte versuchen,
viele Details offen, doch allein aufgrund der öffentlichen Anhörung in den letzten     Probleme zu vermei-
Monaten dürfte es gelingen, manche erkennbare Probleme vorab zu beheben.               den,…

Nach jetzigem Kenntnisstand würde die Einführung eines digitalen Euro jedoch           …doch die größten
nicht nur kleine und vermeidbare Schwierigkeiten mit sich bringen, sondern durch       Probleme zeigen sich
das potenzielle Umkrempeln der gesamten Geldwirtschaft immense unbekannte              meist erst später,…
Risiken. Dies zeigt alleine schon die Einführung der Gemeinschaftswährung Euro
als bislang größtes geldpolitisches Experiment der Menschheitsgeschichte. In den
1990er Jahren wurde der Euro mit exakt den gleichen Argumenten beworben wie
heute der digitale Euro, weshalb der Vergleich nicht abwegig erscheint. Demnach
sollten mit dem Euro durch die Verringerung der Transaktionskosten und den
Wegfall des Wechselkursrisikos blühende Wirtschaftslandschaften in den Euro-
Staaten entstehen. Außerdem hätten die Verbraucher von dem Wegfall der
Umtauschkosten bei Urlaubsreisen profitieren sollen. Diese Versprechen haben
sich jedoch als zu optimistisch oder als irrelevant erwiesen. Beispielsweise ist der   …wie die Einführung
Anteil der Exporte baden-württembergischer Unternehmen in die Eurozone nach            des Euro zeigt.
Einführung der Gemeinschaftswährung nicht gewachsen, dafür aber der Anteil der
Ausfuhren in Fremdwährungsgebiete (siehe im Detail unseren Sonderbericht
„Konjunktur Baden-Württemberg“ vom 31. Januar 2020). Die hiesige Wirtschaft
profitierte vor allem durch die Schwäche des Euro gegenüber anderen
Währungen und die künstlich niedrig gehaltenen Zinsen. Hinzu kamen aber
ausgesprochen drastische Nebenwirkungen wie der Bruch von Stabilitätskriterien,
verschiedene Staatsschuldenkrisen, ein uneinbringlicher Target II-Saldo der
Deutschen Bundesbank in Höhe von aktuell 1,136 Bio. Euro, die Monetarisierung
der bestehenden und die Vergemeinschaftung der zukünftigen Staatsschulden.
Zugespitzt formuliert könnte man auch sagen, der Bedarf an Währungs-
experimenten mit ungewissem Ausgang müsste hierzulande eigentlich gedeckt
sein.

Befürworter des digitalen Euro könnten an dieser Stelle einwenden, dass man            Schneller Zahlungs-
jene Risiken eingehen müsse, da andernfalls irreparable Schäden für die                verkehr ist nicht ent-
Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft drohen. Wie schon Michail             scheidend.
Gorbatschow wusste, bestraft das Leben, wer zu spät kommt. Allerdings hält die
Geschichte auch viele Beispiele parat, in denen die Inventoren scheiterten und
der Erfolg sich erst bei den Nachfolgenden einstellte. Die Bedeutung eines
ultraschnellen und möglichst kostengünstigen Zahlungsverkehrs wird zudem
überschätzt. So wird in den USA noch heute vielfach der Postversand von
Verrechnungsschecks genutzt, der dem Giroverkehr in Europa unzweifelhaft
unterlegen ist. Aber niemand käme deshalb auf die Idee, den US-Unternehmen
pauschal fehlende Wettbewerbsfähigkeit zu unterstellen. Vermutlich sind eher
andere Faktoren für den Unternehmenserfolg ausschlaggebend.

Es ist auch auffällig, dass die größten Fürsprecher des digitalen Euro,                Viele Befürworter ver-
beispielsweise die Mitglieder des FinTecRats im Bundesfinanzministerium, fast          treten nur eigene Inte-
ausschließlich aus Technologie-Unternehmen stammen, die zu den Profiteuren             ressen.
gehören würden. Sie repräsentieren dabei nur einen sehr kleinen Ausschnitt der
Kreditwirtschaft.
SONDERBERICHT: DER DIGITALE EURO                                                                          10

Für die Masse der Menschen könnte ein digitaler Euro jedoch bereits jetzt              Der digitale Euro wür-
absehbare Nachteile mit sich bringen. So könnte die EZB nach einer                     de stark negative Zin-
Zurückdrängung des Bargeldes mit dem digitalen Euro leichter als bislang               sen eher möglich ma-
negative Zinsen auf Sparguthaben durchsetzen. Beispielsweise empfahl der               chen,...
frühere IWF-Chefvolkswirt Kenneth Rogoff, die Leitzinsen bei Bedarf auf bis zu
minus 6 % zu setzen. Auch in der EZB macht man sich Gedanken über die
Implementierung von stark negativen Zinsen, wie die Veröffentlichung eines
entsprechenden Arbeitspapieres von Katrin Assenmacher, der Leiterin der
Abteilung Geldpolitische Strategie in der EZB, im Jahr 2018 belegt.

Programmierbares Digitalgeld würde vermutlich sogar die Möglichkeit eröffnen,          …und vermutlich so-
einen Negativzins auch auf jene Guthaben zu berechnen, die sich in einer               gar Schwundgeld.
elektronischen Geldbörse in der Verfügungsgewalt von Privathaushalten und
Unternehmen befinden. Auf diese Weise würde sich die vom deutsch-
argentinischen Kaufmann Silvio Gesell am Anfang des 20. Jahrhunderts
vorgeschlagene Idee des „Schwundgeldes“ problemlos umsetzen lassen. Die
Guthaben würden im Zeitablauf automatisch abnehmen, womit die Bürger zum
gewünschten Ausgeben des Geldes gezwungen wären. Theoretisch denkbar
wären auch andere wohlmeinende Zwecke. Beispielsweise könnte die von EZB-
Präsidentin Christina Lagarde in den Mittelpunkt gerückte „grüne Wirtschaft“
gefördert werden, indem für sie ein Vorteilszins gelten oder ihre Transaktionen
schneller ausgeführt werden würden. In China ist es vermutlich nur eine Frage der
Zeit, bis der digitale Yuan an das sogenannte Social Credit-System zur
Verhaltensoptimierung der Menschen gekoppelt wird. Das Bonmot von Fjodor
Dostojewski, „Geld ist geprägte Freiheit“, gilt für Digitalwährungen voraussichtlich
nicht mehr.

Abschließend möchten wir auf eine Fragestellung hinweisen, die eigenartiger-            Der Bitcoin ist Ener-
weise in den offiziellen Stellungnahmen nicht thematisiert wird und für die auch        gieverschwendung.
wir keine Antwort kennen: Bei Nutzung der Distributed Ledger Technologie wird           Wie stünde es um den
für die kryptographische Erstellung der Blocks sehr viel Elektrizität benötigt. Die     digitalen Euro?
Technische Universität München schätzte den Stromverbrauch des „Minings“ bei
Bitcoin für das Jahr 2018 auf rund 46 Terrawattstunden (TWh), also 46 Mrd.
Kilowattstunden, und die Judge Business School der Universität Cambridge kam
nach einer vorläufigen Hochrechnung für das Jahr 2020 bereits auf 90 TWh. Dies
entspricht ungefähr dem jährlichen Stromverbrauch der Schweiz. Hierbei ist noch
zu berücksichtigen, dass Bitcoin ein vergleichsweise leistungsschwaches
Zahlungssystem darstellt. Im Jahr 2020 dürften nur ungefähr 120 Mio.
Transaktionen absolviert worden sein. Dagegen kommt allein der US-
amerikanische Online-Bezahldienst Paypal mit herkömmlicher Technik im
gleichen Zeitraum auf circa 15 Mrd. Transaktionen, und gemäß Zahlungs-
verkehrsstatistik wurden 2018 im Euroraum insgesamt 90,7 Mrd. bargeldlose
Zahlungsvorgänge verzeichnet. Es wäre demnach abzuklären, wie hoch der
Ressourcenverbrauch für einen digitalen Euro auf Basis der Blockchain-Technik
ausfallen würde.
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