Der Einsatz des Youth Self Report (YSR/11-18) bei Heranwachsenden: Eine faktorenanalytische Betrachtung im Kontext der Beruflichen Bildung
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Einsatz des Youth Self Report bei Heranwachsenden 3 Empirische Sonderpädagogik, 2020, Nr. 1, S. 3-26 ISSN 1869-4845 (Print) · ISSN 1869-4934 (Internet) Der Einsatz des Youth Self Report (YSR/11-18) bei Heranwachsenden: Eine faktorenanalytische Betrachtung im Kontext der Beruflichen Bildung Sophie Clara Holtmann, Hans-Walter Kranert & Roland Stein Julius-Maximilians-Universität Würzburg Zusammenfassung Psychische Belastungen junger Menschen stellen auch für die Gestaltung und Bewältigung Be- ruflicher Bildungsprozesse eine pädagogische Herausforderung dar. Insbesondere ergeben sich für Berufliche Schulen als wichtigen Ankerpunkt Beruflicher Bildung aus zwei Gründen heraus Bedarfe im Hinblick auf qualitativ hochwertige diagnostische Instrumente: zum einen, weil auch hier eine zunehmend intensive Diskussion um eine stärker inklusiv orientierte Ausrichtung im Gange ist – und zum anderen, weil neben dem Erkennen von Interventionsbedarfen, etwa über den Response-to-Intervention-Ansatz, mehr als bisher die Frage der Früherkennung und der Prävention für solche Problematiken gestellt wird. Auf Basis vorliegender Daten aus bayeri- schen Berufs- bzw. Berufsfachschulen wird in diesem Beitrag untersucht, inwiefern sich in der Faktorenstruktur des Instruments „Youth Self Report (YSR)“ der Achenbach-Skalen (Arbeitsgrup- pe Deutsche Child Behavior Checklist, 1998), trotz einer partiell abweichenden Altersstruktur der Stichprobe, mögliche Besonderungen ergeben. Eine vollständige Replikation der Struktur gelang nicht, jedoch ergaben sich einige Analogien mit einer deutlichen Reduzierung der Item- anzahl. Schlüsselwörter: Psychische Belastung, Berufliche Bildung, Berufsschule, Diagnostik, YSR, Fak- torenanalyse Identification of mental stress in vocational schools: a validation of the Youth Self Report (YSR/11-18) Abstract Mental stress in young adults is an educational challenge during vocational education. Especial- ly for schools providing vocational education high-quality diagnostic instruments are relevant in two aspects: first because there are more and more discussions about a future path to inclusive learning. Second, because there is a need of early intervention, early diagnosis and prevention. Based on the data of Bavarian pupils of schools providing vocal education we investigated via factorial analysis whether the diagnostic instrument „Youth Self Report (YSR)“ (Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist, 1998) is valid for this sample. We investigated whether the
4 Sophie Clara Holtmann, Hans-Walter Kranert & Roland Stein factorial structure is stable and identic to the primary version. A complete replication of the structure wasn´t possible but similarities were found with a considerable reduction of items. One reason might be the deviating age from the original sample. Keywords: Mental stress, vocational education, vocational school, diagnostic, YSR, factor anal- ysis Die Diskussion um stärkere inklusive Struk- ken – in ausgeprägter Form schulisch dekla- turen in der Beruflichen Bildung ist erst in riert als sonderpädagogischer Förderbedarf den letzten Jahren – und dabei zunehmend im Förderschwerpunkt emotional-soziale intensiv – aufgekommen (Biermann, 2015; Entwicklung – auch eine Herausforderung Bylinski & Rützel, 2016; Euler & Severing, für die Berufliche Bildung, insbesondere 2014; Vollmer, 2007, 2011, 2013; Zoyke & auch für Berufsschulen, darstellen dürften. Vollmer, 2016). Dabei werden Berufsschu- Jedoch finden sich nur sehr wenige ein- len – als Teilsegment Beruflicher Schulen – schlägige Studien: So geht beispielsweise aufgrund ihrer spezifischen Rolle im dualen Wolff (2013) von einer möglichen Erhöhung System einerseits als „Brennpunkte“ identi- von Aggressionsproblematiken in Berufs- fiziert, andererseits wird ihnen aber auch kollegs aus und diskutiert dies. Auf Basis eine wichtige Brückenfunktion innerhalb einer Befragung von Berufsschülerinnen der Inklusionsdiskussion zugewiesen (vgl. und -schülern in Stade sieht Baier (vgl. Euler & Severing, 2014; Euler & Severing, 2010) Berufsschulen nicht als übermäßig 2015). Im Rahmen der sich daraus ergeben- delinquenzbelastet, wohl jedoch das Be- den Fragestellung, wie Bildungsprozesse rufsvorbereitungs- und Berufsgrundbil- angesichts heterogener Gruppen umzuset- dungsjahr. Gerade aus dem Kontext der Be- zen wären, finden inzwischen auch psychi- ruflichen Rehabilitation heraus werden in sche Belastungen junger Menschen eine jüngerer Zeit psychische Störungen disku- erste Berücksichtigung (vgl. bspw. Albrecht tiert. Den Anstieg psychischer Störungen in et al. 2014; Bylinski 2015; Westhoff & Ernst, Berufsbildungswerken betrachtet Henkel- 2016). mann (vgl. 2014) etwa im Hinblick auf Hin- Emotionaler und sozialer Förderbedarf, tergründe dieses Phänomens sowie auf Fra- Verhaltensstörungen, psychische Auffällig- gen des Umganges hiermit; auch Phänome- keiten und psychische Störungen bilden ne wie Autismus-Spektrum-Störung, Auf- unterschiedliche Betrachtungsweisen, Fa- merksamkeits- und Hyperaktivitäts-Impulsi- cetten und Qualitäten eines (sonder-)päda- vitätsproblematiken, Psychosen, Persön- gogischen Unterstützungsbedarfes junger lichkeitsstörungen, Drogen und Sucht oder Menschen ab, welcher sich unter anderem Essstörungen geraten vermehrt in den Fokus im subjektiven Erleben psychischer Belas- der Aufmerksamkeit (vgl. Bundesarbeitsge- tungen bei jungen Menschen äußert. Diese meinschaft der Berufsbildungswerke, 2014). werden von den Autoren grundsätzlich aus Im Kontext der Diskussion um eine verstärkt einem pädagogischen Blickwinkel heraus inklusive Ausrichtung des Beruflichen Bil- gesehen. Sie werden als Erscheinungen auf dungssystems werden psychische Belastun- Basis dahinterstehender Störungen der Per- gen als eine Dimension im Kontext hetero- son-Umwelt-Interaktion betrachtet (vgl. gener Lerngruppen angeführt, jedoch nicht Stein, 2017). Epidemiologische Daten (Ihle dezidiert fokussiert (vgl. bspw. Albrecht et & Esser, 2002, 2008; Hölling et al., 2007; al., 2014; Severing & Weiß, 2014). Eigene Hölling et al., 2014) weisen deutlich darauf Untersuchungen aus der Autorengruppe, hin, dass derartige psychische Problemati- die in mehreren Wellen an Berufs- und Be-
Einsatz des Youth Self Report bei Heranwachsenden 5 rufsfachschulen, Berufsschulen zur sonder- wäre, um darauf aufbauend indizierte Maß- pädagogischen Förderung sowie einem Be- nahmen zuzuweisen. Langfristiges Ziel der rufsbildungswerk durchgeführt wurden, Autoren ist es daher, ein geeignetes eigen- zeigen jedoch die deutliche Prävalenz des ständiges Instrument zu entwickeln, wel- Themenfeldes auf, insbesondere für das Be- ches folgenden Grundanliegen im Kontext rufsschulische Lernsetting, und konstatieren Beruflicher Bildungsprozesse entspricht: einen pädagogischen Handlungsbedarf • ökonomische Erfassung von Belastun- (Stein & Ebert, 2010; Stein et al., 2015; gen im Verhalten und Erleben Stein, Kranert & Wagner, 2016; Kranert et • in einer Altersspanne von 15 bis vor- al., 2017).1 nehmlich 25 Jahren Die Untersuchung der Auftretensraten • vorrangig bei Berufsschülerinnen und psychischer Problematiken im Berufsbil- -schülern denden Bereich kann zum einen, wie in • mit pädagogischer statt klinischer Aus- den genannten Untersuchungen der Auto- richtung rengruppe, Forschungszwecken folgen. • unter dem Aspekt der Mehrperspektivi- Zum anderen stellt sich jedoch auch die tät. Frage des Erkennens solcher Problemlagen in der pädagogischen Praxis, um gezielt da- Während für die Altersgruppe der Kinder rauf reagieren zu können. Des Weiteren er- und Jugendlichen an allgemeinbildenden gibt sich im Zuge der Verstärkung präventi- Schulen derartige Instrumente verfügbar ver und frühinterventiver Systeme, wie sie sind oder aus verschiedenen Forschergrup- etwa der Response-to-Intervention-Ansatz pen heraus, etwa im Rahmen der Umset- nahelegt (Grosche & Huber, 2012), die Fra- zung und Evaluation des „Rügener Inklusi- ge, inwiefern über flächendeckende Scree- onsmodells“, aktuell entwickelt werden nings zu bestimmten Aspekten, Funktionen (Voß et al., 2016), gibt es noch kein Erhe- und Thematiken – hier psychischen Proble- bungsinstrument spezifisch für den Berufs- matiken – eine Früherkennung möglich bildenden Bereich, welches die genannten Tabelle 1: Übersicht aktueller Selbstauskunfts-Verfahren zur psychischen Belastung. Name des Autoren Skalen Alters Fremdein Verfahrens (Erscheinungs gruppe schätzung jahr) vorgese hen? Brief- Franke, G.H. 1.Aggressivität/Feindseligkeit Jugendliche Nein Symptom- (2017) 2.Ängstlichkeit und Checklist 3.Depressivität Erwachse- (BSCL) 4.Paranoides Denken ne ab 16 5.Phobische Angst Jahren 6.Psychotizismus 7.Somatisierung 8.Unsicherheit im Sozialkontakt 9.Zwanghaftigkeit + grundsätzliche psychische Belastung + Intensität der Antworten + Anzahl der Symptome Fortsetzung Tabelle 1 ▷ 1 In diesem Kontext wurde auf Grund der Spezifik des dualen Systems in deutschsprachigen Ländern (Deutschland, Österreich, Schweiz) bewusst nur der Forschungsstand des entsprechenden Berufsbilden- den Schulsystems aufgegriffen.
6 Sophie Clara Holtmann, Hans-Walter Kranert & Roland Stein Fortsetzung Tabelle 1 Name des Autoren Skalen Alters Fremdein Verfahrens (Erscheinungs gruppe schätzung jahr) vorgese hen? Gesundheits- Gräfe, K., 1. Somatoformes Syndrom Keine Nein Fragebogen Zipfel, S., 2. Major Depressives Syndrom Angaben für Patienten Herzog, W. 3. Andere Depressive Syndrome (PHQ-D) & Löwe, B. 4. Paniksyndrom (2004) 5. Andere Angstsyndrome 6. V.a. Bulimia nervosa 7. V.a. „Binge-Eating“-Störung 8. Alkoholsyndrom Strengths and Goodman, R. 1. Emotionale Probleme Kinder und Ja (Eltern Difficulties (1997) 2. Hyperaktivität/Aufmerksam- Jugendliche und Questionnaire keitsprobleme von 11-16 Lehrer) (SDQ-Deu) 3. Probleme im Umgang mit Jahren Gleichaltrigen 4. Verhaltensauffälligkeiten 5. Prosoziales Verhalten + Gesamtproblemwert Symptom- Franke, G.H. 1. Aggressivität/Feindseligkeit Jugendliche Nein Checklist-90®- (2014) 2. Ängstlichkeit und Standard 3. Depressivität Erwachse- (SCL-90®-S) 4. Paranoides Denken ne 5. Phobische Angst 6. Psychotizismus 7. Somatisierung 8. Unsicherheit im Sozialkontakt 9. Zwanghaftigkeit + grundsätzliche psychische Belastung + Intensität der Antworten + Anzahl der Symptome Kriterien hinreichend erfüllen würde. Po- Kontext konzipiert wurde; weiterhin nach- tentiell kämen hierfür die in Tabelle 1 dar- teilig wirkt sich hinsichtlich seiner Anwend- gestellten Verfahren in Betracht. barkeit aus, dass für diese Version noch kei- Wie Tabelle 1 zu entnehmen ist, erfüllt kein ne deutsche Normierung vorliegt (Achen- Verfahren die zuvor aufgestellten Kriterien bach & Rescorla, 2001; Achenbach & Re- in Gänze; insbesondere die Breite der Al- scorla, 2014). Infolgedessen wurde auf den tersgruppe, wie sie an Berufsschulen typi- Fragebogen für Jugendliche (YSR) zurückge- scherweise vorzufinden ist, wird von kei- griffen, da dieser mit der Möglichkeit der nem Instrument vollständig erfasst. In der Fremdeinschätzung durch Lehrkräfte (TRF) Auswahl des im Folgenden beschriebenen speziell auch den schulischen Kontext ab- Forschungsprojektes fiel die Entscheidung deckt. Auch hier ergibt sich wiederum die zugunsten der Achenbachskalen, da diese Problematik, dass dieses Instrument nicht das Kriterium der Ökonomie sowie der für den Berufsbildenden Bereich evaluiert Mehrperspektivität erfüllen. Das Instrumen- wurde und die Normierung nur bis 18;11 tarium für Erwachsene, der Adult Self-Re- Jahre reicht. Dadurch umfasst der Fragebo- port for Ages 18-59 (ASR/18-59) wurde je- gen für Jugendliche ebenso nur teilweise doch nicht herangezogen, da es nicht für die zu erfassende Altersgruppe, jedoch liegt die spezifische Anwendung im schulischen eine deutsche Normierungsstichprobe vor.
Einsatz des Youth Self Report bei Heranwachsenden 7 Ergänzend kann die Autorengruppe auf gelbeckers et al., 2016; Urben et al., vielfältige Erfahrungen und empirische Er- 2016; Zeiler et al., 2016); kenntnisse im Berufsbildenden Bereich mit • störungsübergreifende Aspekte: psychi- diesem Instrumentarium verweisen (vgl. sche Belastung, internalisierende Symp- Stein & Ebert 2010; Stein, Kranert, Tulke & tome, Selbst- und Fremdwahrnehmung Ebert 2015; Stein, Kranert & Wagner 2016). und Stresserleben (Debbané et al., 2017; Der Fragebogen für Jugendliche und Dölitzsch et al., 2016; Huemer et al., seine korrespondierenden Fremdeinschät- 2015; In-Albon et al., 2017; Margraf & zungsinstrumente (TRF; CBCL) kommen in- Pinquart, 2016; Plener et al., 2017; ternational breit zur Anwendung und kön- Seiffge-Krenke et al., 2018; Spaeth, nen daher als gut erprobt eingestuft werden. Weichold & Silbereisen 2017; Syed & Bereits in einer früheren Publikation der Seiffge-Krenke 2015; White et al., 2015); Autoren (Stein et al., 2015) wurde der inter- • störungsunabhängige Aspekte: Emoti- nationale Forschungsstand aufbereitet. Hier onserkennung, fokussierte Aufmerksam- wurde deutlich, dass neben spezifischen keit und soziale Unterstützung (In-Al- Formen von Belastungen auch Fragen der bon, Ruf & Schmid, 2015; Oberwelland Skalenkonsistenz wie auch der Normierung et al., 2016; Oris et al., 2016; Raschle et im Vordergrund des Forschungsinteresses al., 2017). standen (vgl. ebd., 344f.). In einer aktuellen Datenbankrecherche (PSYNDEX und Psy- In keiner der aufgeführten Untersuchungen cINFO) fanden sich seit 2015 insgesamt 85 im deutschsprachigen Raum wurde die neu neue Studien für die Altersgruppe der über normierte Fassung YSR/11-18R (Arbeits- 11-Jährigen. Hierbei kam mehrheitlich der gruppe Deutsche Child Behavior Checklist, Elternfragebogen (CBCL) zum Einsatz (n = 2014) herangezogen; zudem wurde der Fra- 59), um spezifische Phänomene zu erfas- gebogen nahezu ausschließlich als ergän- sen; lediglich eine Studie befasste sich mit zendes Instrument zum Forschungsdesign einer vergleichenden Analyse von Erfas- eingesetzt. Lediglich in sechs Studien (Burt sungsinstrumenten im Kontext von Depres- et al. 2015; Spaeth et al. 2017; Dölitzsch et sion (Maur, 2016). Von daher finden die al. 2016; Syed & Seiffge-Krenke, 2015; Achenbachskalen eine breite Rezeption zur Seiffge-Krenke et al., 2018; Margraf & Pin- Erforschung spezifischer Aspekte im Kon- quart, 2016) war das Verfahren zentral, um text von Verhalten und Erleben. Wird der die Forschungsfragen, in der Regel zu stö- Fokus auf diejenigen Studien eingeengt, in rungsübergreifenden Aspekten, beantwor- denen (unter anderem) der Fragebogen für ten zu können. Ebenso wurde der Fragebo- Jugendliche (YSR) (n = 31) eingesetzt wur- gen in sechs Studien für eine Altersgruppe de, lassen sich folgende Forschungsschwer- jenseits der Normierung eingesetzt, und punkte herausarbeiten: zwar in einer Altersspanne bis zu 25 Jahren • ausgewählte Phänomene: ADHS, anti- (Plener et al., 2017; Raschle et al., 2017; soziales Verhalten, Essstörung, Internet- In-Albon, Ruf &Schmid, 2015; Okello et al., sucht, Missbrauch, soziale Phobie, Nar- 2015; Huemer et al., 2015; Aebi et al., zissmus, Selbstverletzendes Verhalten 2015). In keiner der vorgenannten Studien und Trauma (Aebi et al., 2015; Allrog- findet sich als Limitation ein Hinweis auf gen et al., 2018; Burt et al., 2015; Cate- die Überschreitung der Altersgrenze hin- lao et al., 2015; Gensthaler et al., 2016; sichtlich der Normierungsstichprobe; dies Klasen et al., 2015; Koenig et al., 2015; wird offenbar dann akzeptiert, wenn ein Lindenberg et al., 2017; Okello et al., einheitliches Verfahren für den Einsatz bei 2015; Pihet et al., 2015; Pihet, Ridder & Heranwachsenden benötigt wird und keine Suter, 2017; Raiker et al., 2017; Svaldi et Trennung nach dem Aspekt der Volljährig- al., 2016; Tegelbeckers et al., 2015; Te- keit mit 18 Jahren erfolgen kann. Eine Tren-
8 Sophie Clara Holtmann, Hans-Walter Kranert & Roland Stein nung nahmen beispielsweise Plener et al. rufsschule und einer Berufsschule zur son- (2017) vor. derpädagogischen Förderung war es, die Aus dem skizzierten Forschungsstand Gelingensbedingungen von Inklusion im und den weiteren Überlegungen lässt sich Hinblick auf sonderpädagogische Förderbe- begründen, den Fragebogen für Jugendliche darfe in den Bereichen Lernen sowie emo- (YSR) heranzuziehen, um unter den oben tional-soziale Entwicklung zu erfassen und genannten Bedingungen ein entsprechen- darüber hinaus eine bestmögliche Förde- des eigenständiges Verfahren zu entwi- rung von Schülerinnen und Schülern mit ckeln. Zudem liegen den Autoren an größe- Förderbedarf zu ermöglichen. Für die Teil- ren Stichproben an allgemeinen Berufs- und nahme an dem Modellversuch konnten sich Berufsfachschulen gewonnene Daten (vgl. Schultandems mit ausgewählten Klassen oben) bereits vor, sodass ökonomisch zent- der allgemeinen Berufsschule beim zustän- ral folgende Fragestellung überprüft werden digen Ministerium bewerben; hier erfolgte kann: auch die Auswahl der Tandems. Insgesamt Inwiefern ergibt sich für das Instrument wurden vom Ministerium für den Modell- YSR eine nachvollziehbare Faktoren- versuch über den hier zu berichtenden Zeit- struktur zur Nutzung bei der spezifi- raum der Schuljahre 2013/2014 und 2014/ schen Zielgruppe von Schülerinnen und 2015 1543 junge Menschen gemeldet, die Schülern an Berufs- und Berufsfachschu- sich über einen Zeitraum von einem oder len2? Wie ist diese Faktorenstruktur zu zwei Jahren an dem Projekt beteiligt haben. beschreiben? Eine detailliertere Aufschlüsselung der Da- ten liegt den Autoren auf Grund der Zutei- Die hier vorgenommene Beschränkung auf lung durch die Ministerien nicht vor. den YSR ergab sich aus den Erkenntnissen, Insgesamt nahmen an der Einstiegsbe- dass die anhand der Selbstauskunft gewon- fragung in den Schuljahren 2013/2014 bzw. nenen Daten aussagekräftiger im Hinblick 2014/2015 670 Schülerinnen und Schüler auf mögliche pädagogische Unterstützungs- teil. Die Erhebungen fanden jeweils zu Be- bedarfe sind als die Fremdeinschätzung ginn des Schuljahres statt, jedoch lehnten durch die berufs- und wirtschaftspädagogi- zwei Berufsschultandems auf Ebene der schen Fachkräfte (Kranert & Stein, 2016). Projektverantwortlichen bereits im Vorfeld Die gewonnenen Daten aus den parallel den Einsatz der Achenbachskalen ab (n = durchgeführten TRF-Erhebungen werden in 128; 19.1%).Von den verbleibenden 542 einem späteren Schritt analysiert. Schülerinnen und Schülern wurden von 14.6% (n = 79) keine Fragebögen ausgefüllt (am Erhebungstag nicht anwesend oder ver- weigert). Methode Somit haben an der vorliegenden ex- plorativen Querschnittstudie N = 463 Be- Studiendesign und Stichprobe rufsschülerinnen und -schüler aus Bayern ab einem Alter von 15 Jahren freiwillig und Die Erhebungen mit Hilfe des YSR sowie vergütungsfrei teilgenommen. In die Analy- der TRF erfolgten im Rahmen der wissen- se wurden alle Teilnehmerinnen und Teil- schaftlichen Begleitung des Modellversuchs nehmer, welche die Befragung vollständig „Inklusive Berufliche Bildung in Bayern abgeschlossen hatten, aufgenommen; somit (IBB)“ (vgl. Stein, Kranert & Wagner 2016). ergab sich N = 238. Dies stellt einen kon- Ziel dieses Modellversuches mit 18 Tan- servativen Umgang mit Missings dar, der demschulen aus je einer allgemeinen Be- auf Grund der ausreichend großen Stich- 2 In der Folge wird hierbei von Berufsschülerinnen und -schülern gesprochen.
Einsatz des Youth Self Report bei Heranwachsenden 9 probengröße und der zufälligen Verteilung schwierigkeiten und Impulskontrollschwie- der Missings möglich war. Insgesamt wie- rigkeiten werden auf der Skala der Aufmerk- sen 42 Teilnehmer und Teilnehmerinnen samkeitsprobleme erfasst. Dissoziales Ver- sonderpädagogischen Förderbedarf auf. Die halten erfragt delinquentes Verhalten. Zu- Alters- und Geschlechterverteilung sowie letzt werden über die Skala Aggressives der Förderbedarf sind in Tabelle 2 einzuse- Verhalten Selbst- und Fremdaggression so- hen. wie prahlerische und laute Verhaltenswei- sen erhoben. Des Weiteren werden unter Material Andere Probleme Items gelistet, welche in der Ursprungs-Analyse keiner Skala eindeu- Der Fragebogen für Jugendliche für 11 bis tig zugeordnet werden konnten, jedoch auf 18-Jährige deutsche Normierung (1998) – Grund ihrer klinischen Relevanz für den Syndromskalen (YSR; Arbeitsgruppe Deut- Einzelfall beibehalten wurden. In der Aus- sche Child Behavior Checklist, 1998) ist ein wertung fließen diese Items in die Gesamt- Selbstbeurteilungsfragebogen, der im ersten skala mit ein. Es werden Schlafprobleme, Teil Kompetenzen ermittelt. Im zweiten Teil Tics und Schwierigkeiten bezüglich Sexua- werden Verhaltensauffälligkeiten und emo- lität aufgeführt. Daneben finden sich 18 tionale Probleme abgefragt. Im Modellver- Fragestellungen, die als Kontrollitems zur such wurde ausschließlich der zweite Teil sozialen Erwünschtheit fungieren und nicht eingesetzt, da die Kompetenzen mittels an- in die Skalenberechnung mit einfließen. Sie derer Instrumente erfasst wurden. Der zwei- dienen der Beurteilung, inwiefern durch die te Teil besteht aus 119 Items, die auf einer Selbstbeurteilung valide Beurteilungen zu dreistufigen Likert-Skala beurteilt werden (0 erwarten sind. Die Normierung der Origi- = nicht zutreffend, 1 = etwas oder manch- nalfassung erfolgte aufgrund der festgestell- mal zutreffend, 2 = genau oder häufig zu- ten Unterschiede beider Gruppen getrennt treffend). Auf acht Skalen werden hier emo- für Jungen und Mädchen für internalisieren- tionale Auffälligkeiten, Verhaltensauffällig- de und externalisierende Syndrome (Ar- keiten und somatische Beschwerden erfasst. beitsgruppe Deutsche Child Behavior Che- Die Skala Sozialer Rückzug beschreibt zu- cklist, 1998). Validierungsstudien ergaben, rückgezogenes Verhalten, Körperliche Be- dass die interne Konsistenz und die faktori- schwerden verschiedene somatische Symp- elle, diskriminante und konvergente Validi- tome wie Bauchweh und Müdigkeit. Auf tät des YSR als hinreichend angesehen wer- der Skala Ängstlich/Depressiv werden Sym- den können (Arbeitsgruppe Deutsche Child ptome und Verhaltensweisen ängstlicher, Behavior Checklist, 2014; Seiffge-Krenke & selbstverletzender und verstimmter Art er- Lohaus, 2007), bei unterschiedlicher Quali- fragt. Die Skala Soziale Probleme beschreibt tät der einzelnen Dimensionen. Seit 2014 Probleme und Verhaltensweisen im Um- liegt eine Revision der Achenbachskalen gang mit anderen Menschen, Schizoid/ vor (Döpfner, Pflück & Kinnen, 2014), in Zwanghaft erfasst Zwangsgedanken, -hand- welcher Adaptionen in den einzelnen Erhe- lungen und Intrusionen. Konzentrations- bungsinstrumenten in Entsprechung zur Tabelle 2: Demographische Daten der 238 Teilnehmenden, die in die Berechnung mit aufgenommen wurden (davon mit sonderpädagogischem Förderbedarf). 1517 Jahre 1819 Jahre 2024 Jahre Älter als 24 Keine Jahre Altersangabe Männlich 92 (17) 36 (3) 21 (3) 5 (1) - Weiblich 37 (11) 18 (4) 13 (3) 1 (0) - Gesamt 129 (28) 54 (7) 34 (6) 6 (1) 15 (0)
10 Sophie Clara Holtmann, Hans-Walter Kranert & Roland Stein amerikanischen Originalfassung vorgenom- Die EFA wurde ausgewählt, da die Aufde- men wurden und die auf einer breiten Nor- ckung einer Skalenstruktur verfolgt wird, mierung aus dem deutschen Sprachraum die möglichst unabhängig voneinander ist, basiert. Die für die eigene Untersuchung während die Items selbst hohe Korrelatio- zugrunde gelegten Daten wurden jedoch nen innerhalb der Skalen aufweisen sollen. noch mit der ersten Fassung der Achen- Gleichzeitig kann mit der EFA die Komple- bachskalen erhoben. xität der Fragen reduziert werden (Tabach- nick & Fidell, 2007). Das Ziel der Itemre- Ablauf duktion ergibt sich aus der Annahme, dass nicht alle Items relevant für die Stichprobe Der Fragebogen wurde inklusive eines sind und gleichzeitig aus dem Wunsch, ein Mantelbogens zur kategorialen Erfassung möglichst ökonomisches Instrument für die demographischer Daten an die beteiligten Zielgruppe bereitzustellen. Beruflichen Schulen gesandt, dort anonymi- In die Analysen wurden die 119 erhobe- siert bearbeitet und an die wissenschaftli- nen Items mit einbezogen, also auch dieje- che Begleitung zurückgeschickt. Hierbei nigen, die lediglich in die Gesamtskala mit wurden jedoch nur die 119 Items zu den einfließen („Andere Probleme“) und – im Problemskalen eingesetzt, da die anderen Gegensatz zur Originalfassung – diejenigen Aspekte des Fragebogens (Ressourcen) über Items, welche sozial erwünschtes Verhalten ergänzende Erhebungsinstrumente erfasst im Selbsturteil erfassen.3 worden sind. Die Berufsschülerinnen und Mittels Hauptachsen-Faktorenanalyse -schüler wurden in einem Schreiben über und darauffolgender obliquer Promax-Rota- den Modellversuch, das Erhebungsinstru- tion und Scree-Test wurde die Überprüfung ment und das Ziel der Studie aufgeklärt und nach Empfehlung von Bortz (2005) durch- unterzeichneten die Einverständniserklä- geführt. Die Hauptachsen-Faktorenanalyse rung. Für minderjährige Schülerinnen und wurde angewendet, da nicht alle Items mul- Schüler unterzeichneten die Erziehungsbe- tivariat-normalverteilt aufgetreten sind und rechtigten die Einverständniserklärung. die Methode gegen diese Annahme robust ist (Bühner, 2011; Osborne & Costello, Statistische Analyse 2009). Die oblique Promax-Rotation wurde gewählt, da die Faktoren nicht in unkorre- Für die statistische Datenanalyse wurde die lierter Form vorliegen (Moosbrugger & Har- Statistiksoftware IBM SPSS 23.0 genutzt. tig, 2002). Mittels des Kaiser-Meyer-Olkin- Die Unterschiedsberechnung wurde mittels Kriteriums wurde die Eignung zur Faktoren- Multivariater Varianzanalyse (MANOVA) analyse überprüft. für die Faktoren Geschlecht, Alter und an- Mit der modifizierten Skalenstruktur gegebenen sonderpädagogischen Förderbe- wurde die Korrelation (r) der Skalen unter- darf durchgeführt. Die MANOVA gilt als einander ermittelt, um die Zusammenhänge robust gegen ungleich große Stichproben- zu prüfen. Mittels MANOVA wurde der Ein- größen, ab einer Stichprobengröße von ≥ fluss des Geschlechts und der weiteren Fak- 30 kann auf die Überprüfung der Normal- toren Alter und Förderbedarf sowohl auf die verteilung verzichtet werden (Bortz & Originalstruktur als auch die modifizierte Schuster, 2010). Struktur der Skalen überprüft. Zur Ermittlung einer Faktorenstruktur Als statistische Kennwerte werden Mit- wurde eine Explorative Faktorenanalyse telwert (M), Standardabweichung (SD), die (EFA) über die Gesamtstichprobe berechnet. Trennschärfe (rit), die Effektstärke (ηp2) und 3 Es handelt sich hierbei um die Kontrollitems mit den folgenden Nummerierungen: 2, 4, 6, 15, 28, 49, 59, 60, 73, 78, 80, 88, 92, 98, 106, 107, 108 und 109.
Einsatz des Youth Self Report bei Heranwachsenden 11 die interne Konsistenz (Cronbach´s α) auf- lehnung an die ursprüngliche Konstruktion geführt. Die Kommunalität wird nicht be- wurde allerdings die Entscheidung für eine richtet, da sich im Gegensatz zur Original- übersichtlichere und der Itemzahl stärker version gegen eine Hauptfaktorenanalyse entsprechende 7-Faktorenlösung getroffen. und für eine Hauptachsen-Faktorenanalyse Mit dem Ziel der Itemreduktion wurden entschieden wurde. nach Stevens (1996) alle Items mit einem Da die Anzahl der Fälle 238 vollständig Eigenwert von ≥ .364 eingeschlossen (vgl. abgeschlossene Befragungen beträgt, erfül- Tab. 3). Dies entspricht einem konservative- len die zugrunde liegenden Daten das ren Wert als dem in der Originalversion ver- Kriterium der Mindestanzahl von Fällen wendeten von ≥ .30. Items mit kritischen (N > 100) für die Faktorenanalyse (Bühner, Doppelladungen ab dem nach Stevens 2011). Nicht vollständig ausgefüllt vorlie- (1996) ermittelten Wert von ≥ .364 wurden gende Datensätze wurden von der Berech- entfernt; zuvor wurden sie allerdings noch nung der Faktorenanalyse und der Berech- auf inhaltliche Relevanz geprüft – bezie- nung der Kennwerte ausgeschlossen (vgl. hungsweise mit den besonders hoch laden- Norušis, 2011). den Items aus Erhebungen mit dem Instru- ment im Kontext der Beruflichen Bildung abgeglichen (Stein & Ebert, 2010; Stein et al., 2015). Aus den inhaltlichen Erwägun- Ergebnisse gen und Abgleichungen wurden insgesamt neun weitere relevante Items in die vorläu- Faktorenanalyse fige Fassung mit aufgenommen und in der Sammlung „Andere Probleme“ zusammen- Der Kaiser-Meyer-Olkin-Wert von .775 gefasst (s. Tabelle 5). weist darauf hin, dass sich die erhobenen Mit der reduzierten Auswahl an Items Ausgangsdaten „ziemlich gut“ für eine Fak- (insgesamt 71) wurde eine zweite explorati- torenanalyse eignen (Brosius, 1998). Der ve Faktorenanalyse berechnet. Es ergibt sich Scree-Plot verweist auf eine ein-, drei- oder hierdurch erneut eine siebenfaktorielle siebenfaktorielle Lösung, letztere beinhaltet Struktur mit einem Gesamtanteil aufgeklär- einen aufgeklärten Va- rianzanteil von 36.98 % (Abb. 1). Die Analyse der er- klärten Gesamtvarianz mittels des Kaiser- Guttmann-Kriteriums ergab eine 35-Faktoren- lösung, da 35 Faktoren einen Eigenwert > 1 aufwiesen. Diese reprä- sentieren 72.08 % der aufgeklärten Varianz. Auf Grund der bisheri- gen Untersuchungen und der Validierung der deutschen Version (Ar- beitsgruppe Deutsche Child Behavior Che- Abbildung 1. Darstellung der Eigenwerte im Scree-Plot der Hauptach- cklist, 1998) und in An- sen-Faktorenanalyse mit Promax-Rotation.
12 Sophie Clara Holtmann, Hans-Walter Kranert & Roland Stein Tabelle 3 (diese und folgende Seiten): Hauptachsen-Faktorenanalyse mit einer siebenfaktoriellen Lö- sung und promax-rotierter Faktormatrix, eingeschlossen wurden Ladungen ≥ .364. Nr. Item F1 F2 F3 F4 F5 F6 F7 1 Ich verhalte mich zu jung für mein Alter 2 Ich leide unter Heuschnupfen oder anderen Allergien* 3 Ich streite häufig oder widerspreche .486 4 Ich leide unter Asthma* 5 Ich verhalte mich wie jemand des anderen Geschlechts 6 Ich mag Tiere* 7 Ich gebe an, schneide auf, prahle gern 8 Ich habe Schwierigkeiten mich zu .454 konzentrieren oder länger aufzupassen 9 Ich komme von bestimmten Gedanken .383 nicht los 10 Ich kann nicht lange stillsitzen .601 11 Ich bin zu abhängig von Erwachsenen 12 Ich fühle mich einsam .681 13 Ich bin durcheinander oder zerstreut .489 14 Ich weine viel .435 .400 15 Ich bin sehr ehrlich* -.373 .483 16 Ich bin gemein zu anderen .419 17 Ich bin tagsüber verträumt oder in .411 Gedanken 18 Ich habe mich absichtlich verletzt oder .405 versucht, mich umzubringen 19 Ich möchte viel Aufmerksamkeit oder Beachtung bekommen 20 Ich mache meine eigenen Sachen kaputt 21 Ich mache Sachen kaputt, die anderen gehören 22 Ich gehorche meinen Eltern nicht 23 Ich gehorche in der Schule nicht .380 24 Ich esse nicht so gut, wie ich sollte 25 Ich komme mit anderen Kindern oder .396 Jugendlichen nicht zurecht 26 Wenn ich etwas Unüberlegtes getan habe, fühle ich mich nicht schuldig 27 Ich bin auf andere eifersüchtig .538 28 Ich helfe gern anderen, wenn sie Hilfe .390 benötigen* 29 Ich fürchte mich vor bestimmten Tieren, Situationen oder Orten (außer der Schule) 30 Ich habe Angst, in die Schule zu gehen .467 .385 31 Ich habe Angst, etwas Schlimmes zu denken oder zu tun 32 Ich glaube ich muss perfekt sein und alles gut können 33 Ich glaube, dass mich niemand mag .507 34 Ich glaube, dass andere mir etwas antun .418 wollen
Einsatz des Youth Self Report bei Heranwachsenden 13 Nr. Item F1 F2 F3 F4 F5 F6 F7 35 Ich fühle mich wertlos und unterlegen .658 36 Ich verletze mich häufig unabsichtlich 37 Ich gerate oft in Raufereien oder Schlägerei- .625 en 38 Ich werde oft gehänselt .441 39 Ich bin mit Kindern oder Jugendlichen .454 zusammen, die in Schwierigkeiten geraten 40 Ich höre Geräusche oder Stimmen, die .452 sonst niemand zu hören scheint 41 Ich tue etwas, ohne zu überlegen .589 42 Ich bin lieber allein als mit anderen .511 zusammen 43 Ich lüge oder schwindele .519 44 Ich kaue an meinen Fingernägeln 45 Ich bin nervös, reizbar oder angespannt .431 46 Teile meines Körpers zucken oder machen nervöse Bewegungen 47 Ich habe Alpträume 48 Ich bin bei anderen Kindern/Jugendlichen .434 nicht beliebt 49 Ich kann bestimmte Dinger besser als die meisten anderen Kinder* 50 Ich bin zu furchtsam oder zu ängstlich .435 51 Ich fühle mich schwindelig .523 52 Ich habe starke Schuldgefühle .457 53 Ich esse zu viel 54 Ich bin immer müde 55 Ich habe Übergewicht 56 a Schmerzen (außer Kopf- und Bauchschmer- .477 zen) 56 b Kopfschmerzen .690 56 c Übelkeit .668 56 d Augenbeschwerden (ausgenommen solche, .368 die durch Brille korrigiert sind) 56 e Hautausschläge oder andere Hautprobleme 56 f Bauchschmerzen oder Magenkrämpfe .768 56 g Erbrechen .452 56 h andere Beschwerden 57 Ich greife andere körperlich an .663 58 Ich zupfe an der Haut oder kratze mich an .471 anderen Körperstellen 59 Ich kann sehr freundlich sein* .396 60 Ich probiere gern etwas Neues aus* .441 61 Ich bin schlecht in der Schule 62 Ich bin unbeholfen oder schwerfällig .420 63 Ich bin lieber mit älteren zusammen als mit Jugendlichen meines Alters 64 Ich bin lieber mit jüngeren als mit Jugendlichen meines Alters zusammen 65 Ich will nicht sprechen .460
14 Sophie Clara Holtmann, Hans-Walter Kranert & Roland Stein Nr. Item F1 F2 F3 F4 F5 F6 F7 66 Ich wiederhole bestimmte Handlungen .437 immer wieder (wie unter Zwang) 67 Ich laufe von zu Hause weg .371 68 Ich schreie viel 69 Ich bin verschlossen, behalte Dinge für .547 mich 70 Ich sehe Dinge, die andere nicht zu sehen .533 scheinen 71 Ich bin befangen oder werde leicht verlegen .409 72 Ich zündele gerne oder habe schon Feuer .470 gelegt 73 Ich kann mit meinen Händen geschickt .390 umgehen* 74 Ich produziere mich gerne oder spiele den Clown 75 Ich bin schüchtern .654 76 Ich schlafe weniger als die meisten .393 Jugendlichen 77 Ich schlafe tagsüber und nachts mehr als .390 die meisten Jugendlichen 78 Ich habe viel Phantasie* .374 79 Ich habe Probleme mit dem Sprechen .554 80 Ich setze mich für meine Rechte ein* .394 81 Ich habe zu Hause gestohlen 82 Ich habe anderswo gestohlen 83 Ich horte Dinge, die ich nicht brauche .367 84 Ich tue Dinge, die andere Leute seltsam .417 finden 85 Ich habe Gedanken oder Ideen, die andere Leute seltsam finden würden 86 Ich bin eigensinnig, dickköpfig .425 87 Meine Stimmung oder Gefühle wechseln .404 plötzlich 88 Ich bin gerne mit anderen Leuten zusam- men* 89 Ich bin misstrauisch 90 Ich fluche oder gebrauche unanständige .481 Wörter 91 Ich denke darüber nach, mich umzubringen .369 92 Ich bringe andere gern zum Lachen* .516 93 Ich rede zu viel .465 94 Ich hänsele andere gern 95 Ich gerate leicht in Zorn, habe ein hitziges Temperament 96 Ich denk zu viel an sexuelle Dinge 97 Ich habe anderen gedroht sie zu verletzen .715 98 Ich bin hilfsbereit* .536 99 Ich bin zu sehr auf Ordentlichkeit oder Sauberkeit bedacht 100 Ich habe Schlafprobleme 101 Ich schwänze die Schule oder einzelne Schulstunden
Einsatz des Youth Self Report bei Heranwachsenden 15 Nr. Item F1 F2 F3 F4 F5 F6 F7 102 Ich habe nicht genug Energie 103 Ich bin unglücklich, traurig oder niederge- .727 schlagen 104 Ich bin lauter als andere Jugendliche 105 Ich trinke Alkohol, nehme Drogen oder .478 Medikamente, die nicht von einem Arzt verschrieben wurden 106 Ich versuche anderen gegenüber fair zu .514 sein* 107 Ich habe Spaß an einem guten Scherz* .540 108 Ich nehme das Leben gerne von der .542 leichten Seite* 109 Ich versuche, anderen Menschen zu helfen, .631 wenn ich kann* 110 Ich möchte gerne dem anderen Geschlecht angehören 111 Ich bin zurückhaltend, nehme keinen .675 Kontakt zu anderen auf 112 Ich mache mir viele Sorgen .654 Anmerkungen. Mit „*“ markierte Items sind Kontrollitems zur Beurteilung der sozialen Erwünschtheit. ter Varianz von 42.87 %. Doppelladungen Auf Item 67 wurde ebenfalls verzichtet, da wurden inhaltlich geprüft und auf Grund auch dieses in der neuen Validierung des inhaltlicher Relevanz der jeweils höher la- Fragebogens (Döpfner et al., 2014) nicht denden Skala zugeordnet: Hierbei handelt mehr mit aufgegriffen wurde. Die übrigen es sich um die Items mit der ursprünglichen neun wiesen keine bedeutungsvolle Faktor- Nummerierung 16 (Ich bin gemein zu an- ladung auf. Konservativ betrachtet verblei- deren), 33 (Ich glaube, dass mich niemand ben damit 59 Items auf sieben Skalen (vgl. mag) und 35 (Ich fühle mich wertlos und Tab. 4 und 5), nach inhaltlicher Abglei- unterlegen). Auf Grund zu geringer Ladung chung (vgl. oben) ergeben sich jedoch 68 fielen weitere 12 Items weg (Item 27, 45, Items auf acht Skalen. 50, 52, 56d, 67, 73, 76, 77, 78, 87 und 91 Auf Grund der neu entstandenen Struk- der ursprünglichen Nummerierung), zwei tur lassen sich die Faktoren inhaltlich neu davon waren Kontrollitems (Item 73 und 78) benennen (einzusehen in Tabelle 3). Die – sie wurden ebenfalls außen vor gelassen. Skalen finden sich in ähnlicher Struktur zur Tabelle 4: Die neue Skalenstruktur nach der EFA und deren Reliabilitätsmaße der internen Konsistenz (kategorisiert nach Blanz, 2015) und der Trennschärfe von den N = 238 ausgewählten Fällen. Skala Anzahl Interne Konsistenz Trennschärfe Items (Cronbach´s α) (rit) Skala 1: Niedergeschlagenheit und Rückzug 14 .88 (gut / hoch) .46 – .74 Skala 2: Oppositionelles Verhalten 11 .80 (gut / hoch) .35 – .57 Skala 3: Somatisierung 6 .82 (gut / hoch) .50 – .68 Skala 4: Zwänge und Intrusionen 9 .80 (gut / hoch) .45 – .61 Skala 5: Prosoziales Verhalten 9 .75 (akzeptabel) .30 – .58 Skala 6: Aggressives Verhalten 6 .73 (akzeptabel) .37 – .62 Skala 7: Empfundener Ausschluss 4 .71 (akzeptabel) .41 – .55
16 Sophie Clara Holtmann, Hans-Walter Kranert & Roland Stein Tabelle 5 (diese und nächste Seite): Hauptachsen-Faktorenanalyse mit einer siebenfaktoriellen Lösung und promax-rotierter Faktormatrix, eingeschlossen wurden Ladungen ≥ .364. Nr. Item F1 F2 F3 F4 F5 F6 F7 Skala 1: Niedergeschlagenheit und Rückzug 1. Ich komme von bestimmten Gedanken nicht los (9) .385 2. Ich fühle mich einsam (12) .696 3. Ich bin durcheinander oder zerstreut (13) .535 4. Ich bin tagsüber verträumt oder in Gedanken (17) .560 5. Ich fühle mich wertlos und unterlegen (35) .567 6. Ich bin lieber allein als mit anderen zusammen (42) .551 7. Ich bin unbeholfen oder schwerfällig (62) .384 8. Ich will nicht sprechen (65) .501 9. Ich bin verschlossen, behalte Dinge für mich (69) .669 10. Ich bin befangen oder werde leicht verlegen (71) .394 11. Ich bin schüchtern (75) .661 12. Ich bin unglücklich, traurig oder niedergeschlagen .743 (103) 13. Ich bin zurückhaltend, nehme keinen Kontakt zu .660 anderen auf (111) 14. Ich mache mir viele Sorgen (112) .696 Skala 2: oppositionelles Verhalten 15. Ich streite häufig oder widerspreche (3) .479 16. Ich habe Schwierigkeiten mich zu konzentrieren .398 oder länger aufzupassen (8) 17. Ich kann nicht lange stillsitzen (10) .530 18. Ich bin gemein zu anderen (16) .425 19. Ich gehorche in der Schule nicht (23) .381 20. Ich tue etwas, ohne zu überlegen (41) .480 21. Ich lüge oder schwindele (43) .478 22. Ich bin eigensinnig, dickköpfig (86) .443 23. Ich fluche oder gebrauche unanständige Wörter .475 (90) 24. Ich rede zu viel (93) .519 25. Ich nehme das Leben gerne von der leichten Seite .485 (108)* Skala 3: Somatisierung 26. Ich fühle mich schwindelig .531 27. Schmerzen (außer Kopf- und Bauchschmerzen) (51) .468 28. Kopfschmerzen (56b) .723 29. Übelkeit (56c) .785 30. Bauchschmerzen oder Magenkrämpfe (56f) .819 31. Erbrechen (56g) .506 Skala 4: Zwänge und Intrusionen 32. Ich habe mich absichtlich verletzt oder versucht, .437 mich umzubringen (18) 33. Ich höre Geräusche oder Stimmen, die sonst .521 niemand zu hören scheint (40) 34. Ich zupfe an der Haut oder kratze mich an anderen .417 Körperstellen (58) 35. Ich wiederhole bestimmte Handlungen immer .594 wieder (wie unter Zwang) (66)
Einsatz des Youth Self Report bei Heranwachsenden 17 Nr. Item F1 F2 F3 F4 F5 F6 F7 36. Ich sehe Dinge, die andere nicht zu sehen scheinen .609 (70) 37. Ich zündele gerne oder habe schon Feuer gelegt .504 (72) 38. Ich habe Probleme mit dem Sprechen (79) .496 39. Ich horte Dinge, die ich nicht brauche (83) .594 40. Ich tue Dinge, die andere Leute seltsam finden (84) .578 Skala 5: prosoziales Verhalten 41. Ich helfe gern anderen, wenn sie Hilfe benötigen* .417 (28) 42. Ich kann sehr freundlich sein (59)* .418 43. Ich probiere gern etwas Neues aus (60)* .433 44. Ich setze mich für meine Rechte ein (80)* .407 45. Ich bringe andere gern zum Lachen (92)* .564 46. Ich bin hilfsbereit (98)* .657 47. Ich versuche anderen gegenüber fair zu sein (106)* .566 48. Ich habe Spaß an einem guten Scherz (107)* .522 49. Ich versuche, anderen Menschen zu helfen, wenn .687 ich kann (109) Skala 6: aggressives Verhalten 50. Ich glaube, dass andere mir etwas antun wollen .381 (34) 51. Ich gerate oft in Raufereien oder Schlägereien (37) .740 52. Ich bin mit Kindern oder Jugendlichen zusammen, .413 die in Schwierigkeiten geraten (39) 53. Ich greife andere körperlich an (57) .678 54. Ich habe anderen gedroht sie zu verletzen (97) .681 55. Ich trinke Alkohol, nehme Drogen oder Medika- .380 mente, die nicht von einem Arzt verschrieben wurden (105) Skala 7: empfundener Ausschluss 56. Ich komme mit anderen Kindern oder Jugendlichen .433 nicht zurecht (25) 57. Ich glaube, dass mich niemand mag (33) .643 58. Ich werde oft gehänselt (38) .583 59. Ich bin bei anderen Kindern/Jugendlichen nicht .548 beliebt (48) Andere Probleme a. Ich bin auf andere eifersüchtig (27) b. Ich bin nervös, reizbar oder angespannt (45) c. Ich bin zu furchtsam oder zu ängstlich (50) d. Ich habe starke Schuldgefühle (52) e. Augenbeschwerden (56d) f. Ich schlafe weniger als die meisten Jugendlichen (76) g. Ich schlafe tagsüber und/oder nachts mehr als die meisten Jugendlichen (77) h. Meine Stimmung oder Gefühle wechseln plötzlich (87) i. Ich denke darüber nach, mich umzubringen (91) Anmerkungen. In () ist die ursprüngliche Item-Nummerierung angegeben. Mit „*“ markierte Items sind in der ursprünglichen Version Kontrollitems zur Beurteilung der sozialen Erwünschtheit.
18 Sophie Clara Holtmann, Hans-Walter Kranert & Roland Stein Tabelle 6: Gegenüberstellung der Skalen aus der Originalversion mit der neuen, möglichen modifizier- ten Version (Anzahl Items). Originalversion nach Achenbach (Döpfner Ermittelte Dimensionen für Berufsschü et al., 1998) lerinnen und schüler Sozialer Rückzug (7) Niedergeschlagenheit und Rückzug (14) Körperliche Beschwerden (9) Somatisierung (6) Ängstlich depressiv (16) - Soziale Probleme (8) - Schizoid/ Zwanghaft (7) Zwänge und Intrusionen (9) Aufmerksamkeitsprobleme (9) - Dissoziales Verhalten (11) Oppositionelles Verhalten (11) Aggressives Verhalten (19) Aggressives Verhalten (6) - Empfundener Ausschluss (4) Andere Probleme (20) Andere Probleme (9) Originalversion wieder, teilweise jedoch nem Arzt verschrieben wurden“ trug zur mit weniger Items und somit auch mit ei- Verbesserung der internen Konsistenz der nem inhaltlich modifizierten Schwerpunkt Skala „Aggressives Verhalten“ bei (von α = (vgl. Tab. 5 und 6). .73 auf α = .74). Die Trennschärfe aller Items Für alle Skalen fand sich eine interne lag im akzeptablen Bereich (rit > .3) nach Konsistenz im akzeptablen bis guten/hohen Fisseni (2004) (vgl. Tab. 4). Bereich (Cronbach´s α von .710 bis .880) Die Interkorrelationen der Skalen sind (vgl. Blanz, 2015). Lediglich die Entfernung zwischen schwach und stark einzustufen des Items „Ich trinke Alkohol, nehme Dro- und reichen von r = -.13 bis r = .50. Somit gen oder Medikamente, die nicht von ei- Tabelle 7: Interkorrelation der Skalen des modifizierten YSR/11-18 sowie erzielte Mittelwerte (M) und Standardabweichungen (SD) der Stichprobe. YSR in der 1 2 3 4 5 6 7 Gesamt Mit Ohne Berufsschule Förderbe Förderbe M (SD) darf darf N = 238 M (SD) M (SD) N = 41 N = 197 1 Niederge- .45 (.39) .46 (.40) .45 (.39) schlagenheit und Rückzug 2 Oppositionel- .35** .64 (.36) .58 (.38) .68 (.36) les Verhalten 3 Somatisierung .45** .30** .25 (.38) .31 (.40) .24 (.38) 4 Zwänge und .48** .37** .43** .16 (.27) .14 (.27) .16 (.29) Intrusionen 5 Prosoziales -.07 .02 -.04 -.01 1.61 (.33) 1.60 (.34) 1.62 (.33) Verhalten 6 Aggressives .32** .42** .31** .46** -.13* .25 (.33) .25 (.33) .26 (.33) Verhalten 7 Empfundener .50** .23** .40** .32** -.16* .53** .17 (.31) .21 (.32) .16 (.31) Ausschluss Anmerkungen. Auf Grund der stark differierenden Anzahl Items pro Skala wurde zur verbesserten Vergleich- barkeit der Mittelwert über die Anzahl der Items berechnet und nicht der Skalensummenmittelwert. * zwei- seitig signifikant auf dem Niveau p ≤ .05; ** zweiseitig signifikant auf dem Niveau p ≤ .001. Es fanden sich keinerlei signifikante Unterschiede der Schülerinnen und Schüler mit und ohne festgestellten sonderpäda- gogischen Förderbedarf.
Einsatz des Youth Self Report bei Heranwachsenden 19 entsprechen sie den theoretisch erwarteten Diskussion, Limitationen Zusammenhängen (vgl. Tab. 7). und Fazit Ziel dieser Untersuchung war es zu prüfen, Unterschiedsanalyse inwiefern sich für das Instrument YSR (Ar- beitsgruppe Deutsche Child Behavior Che- Die ursprüngliche Skalenstruktur wurde auf cklist, 1998) eine nachvollziehbare Fakto- Unterschiede bezüglich des Geschlechts renstruktur zur Nutzung bei der spezifi- und der Einflussfaktoren Alter und Förder- schen Zielgruppe von Schülerinnen und bedarf mittels MANOVA geprüft. In der Schülern an Berufs- und Berufsfachschulen Ausgangsversion wies der Faktor Geschlecht ergibt und wie diese Faktorenstruktur zu be- bei den N = 238 Schülerinnen und Schülern schreiben ist. Hierzu wurde auf eine vor- einen signifikanten Haupteffekt auf mit Pil- handene Datenbasis aus einem bayernwei- lai Spur F(9,214) = 2.58, p = .008, ηp2 = .10, ten Forschungsprojekt zurückgegriffen; der das Alter und der Förderbedarf zeigten kei- YSR fand hierbei Verwendung, da er, im ne Effekte (p > .05). Der signifikante Einfluss Gegensatz zu anderen Instrumenten (z.B. des Geschlechts trat ausschließlich auf der dem SCL-90 oder dem PHQ-D), eine mehr- Skala Körperliche Beschwerden mit F(1,222) perspektivische Sichtweise ermöglicht, wel- = 9.15, p = .003, ηp2 = .04 auf, wobei Schü- che explizit für die Beantwortung einzelner lerinnen mit M = 1.46 (SD = .38) höhere Forschungsfragen von Relevanz war. Werte aufwiesen als die Schüler In der nachgängigen Analyse des Daten- (M = 1.19, SD = .27). materials konnte die Struktur der ersten Um Unterschiede zwischen der Origi- deutschsprachigen Fassung des YSR (1998) nalstruktur und der neuen Struktur zu über- nicht vollständig repliziert werden; den- prüfen, wurden die inhaltlich korrespondie- noch ergaben sich Ähnlichkeiten, verbun- renden neuen Dimensionen ebenfalls mit- den mit einer deutlich reduzierten Anzahl tels MANOVA mit dem Hauptfaktor Ge- von Items. Wegen geringer Ladung findet schlecht und den weiteren Einflussfaktoren sich die Hälfte der ursprünglich 119 Items Alter und Förderbedarf überprüft. in der neuen Faktorenstruktur von sieben Die Prüfung auf Unterschiede der neuen Skalen nicht wieder. Insgesamt ergibt sich Skalenstruktur ergab ebenfalls einen signi- somit eine kompakte Version aus 68 Items fikanten Haupteffekt für das Geschlecht (59 Items auf sieben Skalen zzgl. 9 Items in (Pillai Spur F(8,215) = 2.98, p = .004, ηp2 = der Sammlung „Andere Probleme“). Die .10); dieser zeigte sich ebenfalls nur auf der Faktoren wiesen sowohl bezüglich der Skala Somatisierung mit F(1,222) = 12.01, Items als auch bezüglich der Reliabilitäts- p < .001, ηp2 = .05. Die Schülerinnen wie- analysen zufriedenstellende Maße auf. sen erneut höhere Werte auf (M = 1.46, Die veränderte Item- und Skalenstruktur SD = .44) als die Schüler mit M = 1.15 lässt vermuten, dass einige Items eventuell (SD = .29). Das Alter wies keinen Effekt auf, nicht altersentsprechend und deshalb aus- ebenso ergab sich kein Unterschied zwi- zuschließen waren. Andererseits könnten schen Schülerinnen und Schülern mit und hierfür auch die spezifischen Entwicklungs- ohne Förderbedarf (p > .05)4. aufgaben sowie der veränderte Lebenskon- text von Heranwachsenden, insbesondere auch die Berufsausbildung und die damit einhergehenden Setzungen, eine Rolle spielen. Diese eruierten Aspekte gilt es für 4 Die Mittelwerte wurden statt der eigentlich für die CBCL üblichen Rohwerte aufgeführt, da diese auf Grund der differierenden Itemanzahl der gegenübergestellten Skalen aussagekräftiger für eine Interpreta- tion sind.
20 Sophie Clara Holtmann, Hans-Walter Kranert & Roland Stein das langfristige Vorhaben der Autoren – der zu einer Veränderung der inhaltlichen Aus- Entwicklung eines Instruments zur ökono- gestaltung von Lehr- und Lernprozessen. mischen Erfassung von Belastungen im Ver- Hierdurch könnte sich die Wahrnehmung halten und Erleben in einer Altersspanne von Aufmerksamkeitsproblemen interindi- von 15 bis vornehmlich 25 Jahren unter viduell verändern. dem Aspekt der Mehrperspektivität – zu be- Limitierend ist zu bemerken, dass die rücksichtigen. Struktur ausschließlich an einer selektiven Die Korrelationen der Skalen fielen er- Stichprobe, nämlich Berufsschülerinnen wartungsgemäß aus, einzig für die Skala und -schülern, gewonnen wurde und sich „Prosoziales Verhalten“ ergaben sich keine die gewonnenen Erkenntnisse demnach signifikanten Zusammenhänge. Jedoch nicht per se auf sämtliche Bildungsgänge in spiegelt die Ausrichtung der Korrelationsko- der Sekundarstufe II bzw. die dort vorzufin- effizienten – in negativer Richtung – ein er- denden Altersbereiche generalisieren las- wartbares Moment dar, da es sich hierbei sen. Jedoch wird hierdurch die Altersstich- um eine ressourcenorientierte Skala han- probe jenseits von 18 Jahren im schulischen delt, die damit von den anderen Skalen in- Kontext dezidiert in den Blick genommen. haltlich erheblich divergiert. Erstaunlich ist In der zugrundeliegenden Stichprobe jedoch der positive, wenn auch nicht signi- finden sich sowohl Berufsschülerinnen und fikante Zusammenhang mit der Skala „Op- -schüler mit sonderpädagogischem Förder- positionelles Verhalten“. Eventuell könnte bedarf als auch ohne entsprechende Fest- in der spezifischen Altersgruppe das Be- stellungen wieder, da in dem Modellver- wusstsein der eigenen Kompetenzen stärker such eine Überrepräsentierung der Schüler- ausgeprägt sein, bei gleichzeitigem Erken- schaft mit attestierten Förderbedarfen einge- nen von alternativen Handlungsweisen im schlossen wurde. Gleichzeitig konnte aller- Alltag (Performanz). Auch könnte der positi- dings kein signifikanter Unterschied zwi- ve Zusammenhang auf eine soziale Er- schen Schülerinnen und Schülern mit und wünschtheit im Antwortverhalten hindeu- ohne Förderbedarf festgestellt werden. Die- ten. Insbesondere letzterer Aspekt wäre bei ser überraschende Befund lässt einerseits der Entwicklung eines eigenständigen Inst- vermuten, dass sich das Belastungserleben ruments kritisch in Betracht zu ziehen. nicht ausschließlich in der diagnostizierten Im Rahmen der neuen Struktur ergibt Gruppe von förderbedürftigen Schülerinnen sich keine Skala bezüglich Aufmerksam- und Schülern niederschlägt. Vielmehr ist es keitsproblemen, obwohl derartige Auffällig- als Querschnittsthema auch in dieser spezi- keiten aufgrund der Prävalenzraten in den fischen Altersgruppe anzusehen, was die jüngeren Altersstufen noch vorhanden sein Notwendigkeit zur Entwicklung eines ei- dürften. Jedoch kann dieser Aspekt mögli- genständigen Instruments unterstreicht. An- cherweise aufgrund der Altersstruktur sowie dererseits betont es die Notwendigkeit, der spezifischen Organisation des Berufs- Items zu generieren, um spezifisch vorhan- bildenden Systems individuell nicht mehr in dene Belastungen im Förderschwerpunkt dieser Qualität von Bedeutung sein. Insbe- Emotionale und soziale Entwicklung (ESE) sondere die Teilzeitbeschulung innerhalb aufzudecken (vgl. Stein, Kranert & Wagner, des dualen Systems könnte hierfür ein be- 2016). deutsamer Faktor sein, der sich grundlegend Mit der vorliegenden Version konnte von der organisatorischen Rahmung von eine nachvollziehbare Faktorenstruktur der Bildungsprozessen in der Sekundarstufe I Achenbachskalen für den Berufsbildenden unterscheidet. Trotz eines ganztägigen Bereich abgebildet werden. Im Vorfeld der Schultages führen des Weiteren fachprakti- angestrebten Neuentwicklung eines Erhe- sche Inhalte sowie eine Ausrichtung am bungsinstrumentes für dieses Segment wur- handlungsorientierten Lernfeldkonzept mit de die stichprobenspezifische Überprüfung
Einsatz des Youth Self Report bei Heranwachsenden 21 eines bestehenden Verfahrens vorgenom- schlossen wurden, wertvolle Hinweise men, welcher eine angemessene Anzahl auf bedeutsame, bisher aber weniger von Fällen aus bayerischen Berufs- und Be- berücksichtigte Belastungsmomente rufsfachschulen zugrunde lag. Somit konn- dieser Altersstufe (vgl. Sammlung „An- ten zumindest für dieses schulische Feld dere Probleme“). Dies bedarf einer wei- erste wichtige Erkenntnisse hinsichtlich ei- teren und tiefergehenden Analyse, evtl. ner möglichen Skalenstruktur gewonnen verbunden mit der Neuentwicklung er- werden; gleichzeitig wurde die Bedeutung gänzender Skalen. eines solchen Verfahrens für die Praxis • Für die Neuentwicklung eines Instru- nochmals hervorgehoben. mentes wäre es notwendig, entspre- Inhaltlich ergeben sich aus der vorlie- chende Teilgruppen mit unterschiedli- genden Untersuchung folgende Implikatio- chen Förderbedarfen, insbesondere aber nen für die Entwicklung eines eigenständi- mit dem Förderschwerpunkt ESE, einzu- gen Instrumentes unter den oben genannten beziehen, um ggf. spezifische Problem- Prämissen: lagen solcher Teilgruppen genauer iden- • Aus (sonder-)pädagogischer Perspektive tifizieren zu können und um diese Prob- können mit dem YSR auch in der Berufs- lemlagen in der neu zu entwickelnden schule relevante Aspekte hinsichtlich Itemstruktur zu berücksichtigen. des Belastungserlebens von Schülerin- • Das auf der Grundlage der skizzierten nen und Schülern erhoben werden; je- Aspekte neu entwickelte Instrumentari- doch stößt das Verfahren u.a. aufgrund um wäre in der Folge mit Hilfe einer seiner genuin klinischen Ausrichtung in größeren Stichprobe aus dem Bereich pädagogischen Kontexten an seine der Beruflichen Schulen zu validieren Grenzen. Demgemäß wäre es in der und zu normieren. Hier wäre zum einen Konstruktion eines Verfahrens notwen- auf eine angemessene Altersstruktur der dig, sich stärker auf pädagogische Felder Stichprobe jenseits von 18 Jahren zu hin zu orientieren und auch direktere achten; zum anderen wäre auch der Ver- Ableitungen pädagogischer Maßnah- such lohnenswert, das gesamte, breite men zu ermöglichen. Dadurch müssten Feld von Beruflichen Schulen – jenseits aus einer interaktionistischen Perspekti- von Berufsschulen wie beispielsweise ve auf psychische Belastungen heraus Berufsoberschulen oder Berufliche nicht nur die jungen Menschen selbst in Gymnasien – abzubilden (vgl. Pahl, den Blick genommen werden, sondern 2018). auch die Gestaltung ihres Lernumfeldes; • Die für das Lebensalter der Heranwach- darüber hinaus gälte es nicht nur die senden relevanten Entwicklungsaufga- Problematiken, sondern etwa auch wei- ben und damit verbundenen möglichen tere Kompetenzen und Ressourcen zu Lebenskrisen müssen insofern bei der berücksichtigen (vgl. Fingerle, 2010), Itementwicklung besonders Eingang fin- wie es sich bereits in Ansätzen in der den. Skala „Prosoziales Verhalten“ wider- spiegelt. Auch der YSR gibt hierzu in der Zur praktischen Umsetzung von inklusiven Gesamtfassung mit seinen zwei kompe- Strukturen in der Beruflichen Bildung müs- tenzorientierten Skalen Hinweise. sen die pädagogischen Fachkräfte in die • Dies zeichnet sich möglicherweise be- Lage versetzt werden, adaptive Lehr-Lern- reits über die Kontrollitems der Ur- arrangements zu entwickeln. Neben metho- sprungsfassung des YSR (1998) ab, die dischen und personalen Kompetenzen be- teilweise auf einzelne Faktoren hoch la- darf es auch der Ressource, mögliche Un- den. Zudem geben einzelne Items, die terstützungsbedarfe junger Menschen – aufgrund der Faktorenanalyse ausge- möglichst frühzeitig – zu erkennen. Hierfür
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