Leitgedanken zur Kooperation von Schule und Jugendhilfe - Peter Balnis, Marianne Demmer, Hermann Rademacker
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Peter Balnis, Marianne Demmer, Hermann Rademacker Leitgedanken zur Kooperation von Schule und Jugendhilfe Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
Impressum Herausgeber: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft - Hauptvorstand Reifenberger Str. 21, 60489 Frankfurt am Main Tel.: 069/78973-0 E-Mail: juhi@gew.de www.gew.de Verantwortlich: Marianne Demmer, Norbert Hocke Redaktion: Bernhard Eibeck, Sarah Holze, Stefanie Eßwein Titelfoto: David Ausserhofer Gestaltung: Jana Roth Druck Spitzer Druck, Darmstadt Februar 2005 2
Leitgedanken zur Kooperation von Schule und Jugendhilfe Inhalt Vorwort 2 1. Jugendhilfe und Schule – gemeinsam vor neuen Herausforderungen 3 2. Schritte zu einem konsistenten Gesamtsystem von öffentlicher Bildung, Erziehung und Betreuung 9 2.1 Verständigung auf einen gemeinsamen, umfassenden Bildungsbegriff 2.2. Bei den gemeinsamen Aufgaben von Schule und Jugendhilfe ansetzen 2.3. Unterschiede von Schule und Jugendhilfe produktiv machen 2.4. Kooperationskultur und Kooperationsstrukturen entwickeln 2.5. Größere Selbstständigkeit und Qualitätsentwicklung der Bildungseinrichtungen gewährleisten 2.6. Demokratische Mitwirkungsrechte sichern 2.7. Finanzierung und geeignete Rahmenbedingungen sichern 2.8. Personalentwicklung und Arbeitsbedingungen 3. Gemeinsame Aufgaben und Handlungsfelder von Schule und Jugendhilfe 17 3.1. Frühkindliche Bildung und flexible Schuleingangsphase 3.2. Ganztägige Bildung und Erziehung 3.3. Schulsozialarbeit 3.4. Kinder und Jugendliche mit besonderem Förderbedarf 3.5. Schulversäumnisse 3.6 Übergang von der Schule in den Beruf 3.7 Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund 3.8 Freizeitgestaltung, Jugendarbeit und kulturelle Bildung 3.9 Körperliches, geistiges und soziales Wohlbefinden Literaturhinweise und Links 24/25 * Der Text ist entstanden nach intensiven Diskussionen in Gremien und Fachgruppen der Bereiche „Schule“ und „Jugendhilfe“ beim GEW-Hauptvorstand und unter Beratung von Bernhard Eibeck, Torsten Fust, Ursula Herdt, Norbert Hocke und Martina Schmerr. 3
Vorwort Die GEW betont die gesellschaftliche Verantwortung für das Aufwachsen junger Menschen und legt mit diesen Leitgedanken Argumente vor, die das bisherige Nebeneinander von Familie, Schule und Jugendhilfe hinterfragen und überwinden sollen. Die Bedingungen, unter denen junge Menschen in unserer Gesellschaft aufwachsen, verändern sich gravierend. Die GEW plä- diert dafür, ein neues System aufzubauen, in dem Bildung, Erziehung und Betreuung junger Menschen konsistent aufeinander bezogen und miteinan- der verbunden sind. Wesentliche Bezugspunkte dieses konsistenten Gesamt- systems sind die Lebenssituationen und Die GEW plädiert dafür, ein neues System die persönlichen Voraussetzungen der jungen Menschen sowie die Anforde- aufzubauen, in dem Bildung, Erziehung rungen, die als Erwachsene auf sie zu- und Betreuung junger Menschen konsis- kommen. Es muss darauf ausgerichtet tent aufeinander bezogen und miteinander sein, die Bildungsbereitschaft Jugend- verbunden sind. licher zu stärken, ihre individuelle und soziale Entwicklung zu fördern, Chan- cengleichheit zu verwirklichen, Benachteiligungen abzubauen, sie vor Ge- fahren für ihr Wohl zu schützen, positive Lebensbedingungen zu schaffen und so ein gelingendes Aufwachsen aller Jungen und Mädchen und ihre In- tegration in die Gesellschaft und Mitwirkung an der Gesellschaft zu unter- stützen. Kern eines solchen konsistenten Gesamtsystems ist das gemeinsame und ko- ordinierte Handeln der beteiligten Professionen. Die GEW hat als Bil- dungsgewerkschaft, deren Mitglieder aus allen pädagogischen Bereichen stammen, ein besonderes Potenzial, diesen Prozess entscheidend voranzu- treiben. 4
1. Jugendhilfe und Schule – gemeinsam vor neuen Herausforderungen Bildung ist die Befähigung zu einer eigenständigen Lebensführung in sozialer Verantwortung. Sie stellt „kulturelles Kapital“ dar, erweitert die Handlungsmöglichkeiten von Personen und beeinflusst ihre sozio- ökonomische Stellung. Sie ist eine zentrale Ressource der Lebensbe- wältigung. Sie entscheidet über die Teilhabe an der Gesellschaft und ist Voraussetzung für deren Entwicklung. Die Gesellschaft der Zukunft wird noch stärker Der Prozess des Aufwachsens als die der Vergangenheit auf eine umfassende Die Familie ist im Prozess des Aufwachsens Bildung aller in kognitiver, emotionaler, sozia- von Kindern zunächst der wichtigste Bezugs- ler, kultureller und physischer Hinsicht angewie- rahmen und Bildungsort. Grundgesetzlich ob- sen sein. Alle Menschen, gleich welcher Her- liegt Vater und Mutter das Recht und die kunft, welchen Alters und Geschlechts brauchen Pflicht, ihre Kinder zu erziehen. Inwieweit dies komplexe Kompetenzen, Einsichten und Fähig- gelingt, hängt von vielerlei Faktoren ab, etwa keiten. Die Bedeutung von Bildungsprozessen von der psychischen Konstitution der El- steigt. tern/Kind-Beziehung, dem Bildungsstand der Eltern, der materiellen Ausstattung der Familie Das Bildungswesen in Deutschland weist erheb- und dem Netz ihrer sozialen Beziehungen. Bil- liche Defizite auf. Es hält in seinem derzeitigen dung in öffentlichen Einrichtungen hat schon Entwicklungsstand nicht Schritt mit gesellschaft- immer auf den Bildungs- und Erziehungsleis- lichen Erfordernissen. Das Hauptproblem be- tungen der Familien aufgebaut. Wissenschaftli- steht darin, dass sich zu wenige junge Menschen che Untersuchungen haben die in Deutschland umfassend bilden können. Wenn, wie PISA be- besonders starke Abhängigkeit der Bildungs- legt, ca. ein Viertel der 15-Jährigen nicht über karriere vom ökonomischen, sozialen und kul- die Kompetenzen verfügen, die für eine erfolg- turellen Kapital der Herkunftsfamilie aufge- reiche Berufsausbildung erforderlich und für ei- zeigt. Heute unterliegt auch die Familie grund- ne aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben legenden Wandlungsprozessen, die zu einem notwendig sind, so ist das eine ernsthafte Gefahr größeren Bedarf an öffentlicher Erziehung füh- für die Zukunftsfähigkeit dieser Gesellschaft. ren und die Arbeitsteilung zwischen Familien und öffentlichen Einrichtungen verändern. An- Soziale Benachteiligungen abbauen haltende Massenarbeitslosigkeit, Ausweitung Eine Schlüsselfrage sieht die GEW darin, die so- prekärer Beschäftigungsverhältnisse und zu- ziale Spaltung im Bildungswesen, die Abhängig- nehmendes Verarmungsrisiko bei wachsender keit der Bildungsmöglichkeiten der Individuen Kinderzahl belasten den Alltag vieler Familien. von ihrer sozialen Herkunft zu überwinden. Bil- Benachteiligungen, die in der kulturellen, sozi- dung alleine kann die sozialökonomische Spal- alen und materiellen Situation der Familie ihre tung der Gesellschaft zwar nicht überwinden, aber Ursache haben, sind, wenn ihnen nicht früh- sie kann und muss heute stärker denn je dazu bei- zeitig begegnet wird, später immer schwerer tragen, soziale Benachteiligung auszugleichen. auszugleichen. Diese Benachteiligungen wirken 5
sich nicht nur auf die Kindheit aus, sondern Das Schulwesen muss sich verändern bestimmen den Lebensweg des Kindes bis zur Das dritte „System“ des Aufwachsens, die Berufslaufbahn. Belastungen der Familien und Schule, stellt dem Kind neue Anforderungen: daraus resultierende Risiken für den Bildungs- Der Handlungsraum weitet sich aus, formale erwerb müssen heute stärker denn je durch öf- Abläufe gewinnen an Bedeutung, die Maßstä- fentliche Bildungsinstitutionen ausgeglichen be für Scheitern und Gelingen verändern sich, werden. Scheitern bekommt „existenzielle“ Bedeutung. Die Individualität der Kinder steht in einem „Auf den Anfang kommt es an“ wachsenden Spannungsverhältnis gegenüber Mit dem Besuch der Kindertagesstätte verlässt äußeren Leistungsanforderungen. PISA hat ge- das Kind den familiären Rahmen und tritt in zeigt, das das Schulwesen in Deutschland heu- den Raum öffentlicher Erziehung. Hier gibt es te im internationalen Vergleich gravierende erstmals für alle Kinder die Möglichkeit, mehr Mängel aufweist. Die Kompetenzen der 15- zu lernen als die Familie bieten kann. Gut aus- Jährigen sind in allen wichtigen Bereichen gebildete und professionell handelnde Erzieher- unterdurchschnittlich, der Anteil der Hoch- Innen können die Kinder systematisch för- schulzugangsberechtigten ist viel zu gering, die dern, ihre Lernmotivation stärken und Be- Einteilung der Kinder in Schüler verschiedener nachteiligungen entgegenwirken. Indem Kin- Schulformen fördert die soziale Segregation. dertagesstätten im System der Jugendhilfe ver- Migrantenkinder werden zu wenig systema- ortet sind, können sie einerseits relativ frei, tisch gefördert, die angebotenen Lerninhalte plural und subsidiär agieren, sind andererseits sind zu wenig auf das bezogen, was junge Men- aber kaum dazu zu verpflichten, die Qualität schen für ihr Leben brauchen, das Risiko des ihrer Bildungs- und Erziehungsangebote einer Scheiterns wächst. Die starke Fokussierung auf ernsthaften Überprüfung zu unterziehen oder die unterrichtliche Leistung verstellt den Blick an einheitlichen Standards auszurichten. In auf die Lebenssituation der Schülerinnen und Deutschland ist die frühkindliche Bildung und Schüler, auf das Aufwachsen der Kinder und Erziehung lange sträflich vernachlässigt wor- Jugendlichen. Das Schulwesen muss gründlich den. Seit einigen Jahren wächst aber die Er- umgestaltet werden in Richtung eines mög- kenntnis, dass Einrichtungen für Kinder unter lichst langen gemeinsamen Lernens aller Schü- sechs Jahren nicht nur familienergänzende Be- lerinnen und Schüler, einer individueller För- treuungsaufgaben haben, sondern ein wesentli- derung statt früher Selektion, einer Verände- ches Fundament für alle späteren Bildungspro- rung der Lernkultur, einer Umgestaltung zu ei- zesse darstellen. Dazu bedürfen sie aber ver- nem Ganztagsschulwesen. Eine der Hauptauf- bindlicher Grundlagen, wie sie z.B. Bildungs- gaben für die Zukunft ist, die Mehrgliedrigkeit pläne für Kindertagesstätten darstellen, einer des Schulwesens zu überwinden, da sie die so- sorgfältigen Evaluation ihrer Arbeit und der ziale Ungleichheit verstärkt. weiteren Qualifizierung des Personals. „Auf den Anfang kommt es an!“ – diese bildungs- Die Rolle der Kinder- und Jugendhilfe politische Weisheit aus den skandinavischen Die Kinder- und Jugendhilfe bietet eine Viel- Ländern muss auch bei uns mit allen Konse- zahl von Angeboten und Diensten an. Das quenzen zum Tragen gebracht werden. Spektrum reicht von der Jugendarbeit bis zur 6
Heimerziehung, von der Jugendsozialarbeit bis rationspartner berechenbarer zu sein. Sie muss zur Erziehungsberatung. Sie leisten einen wich- anwaltschaftlich ihren Beitrag zur Chancen- tigen Beitrag, um den Lebensalltag zu bewälti- gleichheit leisten und Ausgrenzungen ent- gen. Ihre Inanspruchnahme ist überwiegend gegenwirken. freiwillig. Diese Freiwilligkeit als selbstverant- wortete Entscheidung für oder gegen ein Ange- Bessere Vernetzung von Jugendhilfe und bot ist konstituierendes Merkmal der Jugend- Schule hilfe. In der Realität belasteter Lebensverhält- Bei der Bewältigung dieser Herausforderungen nisse ist aber oft motivierende Arbeit notwen- sind Schule und Jugendhilfe stärker denn je dig, damit Jugendliche und Erziehungsberech- aufeinander angewiesen. Schulen können ihre tigte sich helfen lassen. Realisiert werden diese ureigensten Aufgaben ohne stärkere Beachtung Angebote in einem durch das Kinder- und Ju- sozialpädagogischer Aufgaben nicht mehr be- gendhilfegesetz (KJHG) geordneten System wältigen, und die Jugendhilfe ist nicht in der von freier und öffentlicher Trägerschaft. Die Lage, ihre Aufgaben ohne die Berücksichtigung dabei vielerorts entstehende Unübersichtlich- der zentralen Lebensthematik junger Men- keit ist Teil des Selbstverständnisses der Ju- schen – der Bildung – zufriedenstellend zu lö- gendhilfe, die den Grundprinzipien der Plura- sen. Es kommt darauf an, die beiden gesell- lität und der Subsidiarität folgt. Nicht der Staat schaftlichen Systeme Jugendhilfe und Schule ist es, der einheitlich strukturierte und profi- besser miteinander zu vernetzen. Das schließt lierte Angebote macht, sondern man setzt auf ein, dass sich beide Systeme selbst erneuern, ih- die Eigentätigkeit der unterschiedlichen gesell- re Arbeit neuen gesellschaftlichen Herausforde- schaftlichen Kräfte. Das sind allen voran die rungen anpassen und ihre eigenen „Hausaufga- Wohlfahrtsverbände, aber auch eine große Zahl ben“ machen. Die Kooperation von Jugendhil- von Vereinen, Verbänden, Initiativen und fe und Schule kann und darf kein Ersatz für Selbsthilfegruppen. Allerdings hat der Staat die dringend notwendige Schul- und Jugendhilfe- Pflicht, Angebote und Dienste zu gewährleis- reformen sein – sie muss aber unabdingbarer ten. Die Tendenzen der letzten Jahre weisen ei- Bestandteil dieser Reformen werden und ihnen nen gefährlichen Weg, indem die finanzielle Impulse geben. Unterstützung dieser subsidiären Eigentätigkeit immer öfter an den Preis des Angebots ge- Kooperationsformen knüpft wird. Das Prinzip der Subsidiarität Die Notwendigkeit dieser Kooperation wird in- droht den Prinzipien und Maximen der kapita- zwischen kaum noch ernsthaft bestritten und listischen Marktwirtschaft geopfert zu werden. es ist schon Einiges dazu auf den Weg gebracht Eine zunehmende Kommerzialisierung und worden. Bisher haben sich folgende Koopera- Privatisierung der Angebote macht sich breit. tionsformen herausgebildet: Die Kinder- und Jugendhilfe selbst muss ihren eigenen Bildungsauftrag offensiver und qualifi- ■ Gemeinsame oder koordinierte Gestaltung zierter als bisher umsetzen und sich dabei nicht des Übergangs von der Kindertagesstätte in Verwertungsinteressen unterordnen. Sie muss die Grundschule. ihre Arbeitsfelder deutlicher profilieren und ■ Zusammenarbeit bei der Unterstützung Standards gewährleisten – auch um als Koope- einzelner Kinder und Jugendlicher, die auf- 7
grund von Benachteiligungen oder Beein- systems, eines Sozialraums und einer Gesamt- trächtigungen Hilfe zur Bewältigung schuli- gesellschaft zu sehen sind. Umfassende indivi- scher Anforderungen und alltäglicher Le- duelle Förderung ist die bestmögliche Grundla- bensprobleme brauchen. ge für die Bildungslaufbahn der jungen Men- ■ Nutzung von Einrichtungen und Angebo- schen. In allen Bildungsbereichen ist, nach ten der Jugendhilfe durch Schulen (z.B. Ju- dem Vorbild des in der Jugendhilfe gesetzlich gendzentren, politisch-kulturelle Jugendbil- vorgesehenen Hilfeplanes, eine individuelle dungsangebote, Jugendbildungsstätten und Bildungsplanung verbindlich zu machen. Die- Freizeitheime), Nutzung schulischer Räu- se soll zwei Aufgaben haben: Sie soll die ver- me und Veranstaltungen durch die Jugend- schiedenen Prozesse der formellen, nichtfor- arbeit. mellen und informellen Bildung zusammen- ■ Schaffung von Ansprechpartnersystemen führen und als „roter Förderfaden“ bei der Be- und Netzwerken zwischen Allgemeinen So- wältigung von Übergängen und Brüchen in der zialem Dienst und Schulen; Beratungsan- Bildungsbiografie für Kontinuität und Verläss- gebote von Jugendhilfeträgern an und im lichkeit sorgen. Junge Menschen sollen einen Umfeld von Schulen für Kinder, Eltern Rechtsanspruch auf individuelle Förderung er- und Lehrkräfte. halten. ■ Systematische Zusammenarbeit von Ein- richtungen der Jugendsozialarbeit, die Ju- Hilfeplan gendliche bei ihrer schulischen und beruf- Der Hilfeplan nach § 36 KJHG ist einerseits lichen Integration unterstützen (Schülerhil- ein Instrument zur Koordinierung der ver- fen, Jugendberufshilfen, Förderzentren schiedenen Angebote der erzieherischen Hil- u.ä.), mit den entsprechenden allgemein fen und zur Selbstkontrolle, ob die zu errei- bildenden und berufsbildenden Schulen; chenden Ziele erreicht wurden. Andererseits ■ Gemeinsame Gestaltung ganztägiger Bil- wird im Hilfeplan auch dokumentiert, welche dung, Erziehung und Betreuung (Ganz- Vorstellungen, Erwartungen und Ziele die Kin- tagsschulen, Kooperation Schule – Hort, der, Jugendlichen und ihre Eltern haben,wie sie Schülerhäuser und -läden). sich an den vereinbarten Maßnahmen beteili- ■ Schulsozialarbeit als intensivste Form der gen, und welche Rechte und Pflichten die Be- Kooperation, bei der professionelle Ange- teiligten haben. bote der Jugendhilfe fest im Schulalltag ver- ankert sind. Individueller Bildungsplan Diese und andere Kooperationsformen müssen auf Dauer gesichert und zu einem Gesamtsys- tem von Bildung und Erziehung weiterentwi- ckelt werden. Die jungen Menschen müssen dabei mit ihren Interessen, ihrem Bedarf und ihren Bedürfnissen im Mittelpunkt stehen, wo- bei sie zugleich als Teil eines sozialen Bezugs- 8
2. Schritte zu einem konsistenten Gesamtsystem von öffentlicher Bildung, Erziehung und Betreuung Die GEW setzt sich dafür ein, ein konsistentes Gesamtsystem öffentlicher Bildung, Erziehung und Betreuung zu schaffen. Konsistentes Gesamtsystem nes konsistenten Gesamtsystems vorangebracht Der Begriff „konsistentes Gesamtsystem“ ist werden sollte. von der Jugendministerkonferenz mit einem Beschluss vom 18./19. Mai 2000 in die Dis- kussion gebracht worden. Gemeint ist ein Sys- 2.1 Verständigung auf einen gemeinsamen, tem,das bei Anerkennung der Eigenständigkeit umfassenden Bildungsbegriff der einzelnen Bereiche (Jugendhilfe, Schule), In der bildungspolitischen Debatte zeigt sich die gemeinsame Verantwortung für das Auf- immer wieder, dass unterschiedliche gesell- wachsen junger Menschen sieht und daraus schaftliche Kräfte jeweils etwas anderes unter einheitliche, zusammenhängende und sich er- Bildung verstehen, und dass Bildung zu oft mit gänzende Angebote und Leistungen ableitet. Schule gleichgesetzt wird. Für ein konsistentes Gesamtsystem ist es erforderlich, dass sich die Erfolgreich können die Bemühungen zur Akteure zunächst auf einen gemeinsamen, alle Schaffung eines konsistenten Gesamtsystems Bereiche umfassenden Bildungsbegriff verstän- nur sein, wenn Jugendhilfe und Schule Bereit- digen müssen. schaft zeigen, unter Berücksichtigung oben ge- nannter Ausgangslage, ihre Strukturen, ihren Bildung ist ein offener und unabschließbarer Ressourceneinsatz, ihre Arbeitsweise einer kri- Prozess der Entwicklung der Persönlichkeit und tischen Überprüfung zu unterziehen. Ausge- ihres Hineinwachsens in Kultur und Gesell- hend von dem, was junge Menschen benöti- schaft. Dies gilt in Bezug auf das Ziel der ei- gen, müssen geeignete Strukturen und Finan- genständigen Lebensführung in Partnerschaft zierungsfragen geklärt werden. Dabei sollten und Familie, in Bezug auf soziale und politi- auch scheinbar sichere Besitzstände und Ge- sche Teilhabe, kulturell-ästhetische Praxis und wissheiten zur Disposition stehen und Fragen in Bezug auf berufliche Ansprüche und Erfor- der Zuständigkeit und der Verantwortung als dernisse. Bildung ist stets ein „eigensinniger“ gestaltbar angesehen werden. Prozess des sich bildenden Subjekts und zielt immer auf Selbstbildung ab. Sie ist zu verste- Mittlerweile gibt es in allen Bundesländern ge- hen als Befähigung zu eigenbestimmter Le- nügend gute und schlechte Beispiele der Ko- bensführung, als Empowerment, als Aneig- operation zwischen Jugendhilfe und Schule. nung von Selbstbildungsmöglichkeiten. Sie ist Diese sollten die Grundlage bieten für eine un- ebenso ein gesellschaftlicher Prozess der Ein- befangene Bestandsaufnahme mit dem Ziel, führung und Eingliederung in das Kulturgut förderliche und hemmende Gesichtspunkte ei- bzw. Bildungsgut dieser Gesellschaft. ner Kooperation zu erkennen als Grundlage ei- ner neuen Steuerung des Prozesses. Bildung ist mehr als der Erwerb von Qualifika- tionen und Kompetenzen, die auf dem Ar- Die GEW unterbreitet im Folgenden Vorschlä- beitsmarkt gebraucht werden, ist mehr als ein ge, mit welchen Schritten die Entwicklung ei- Katalog akkumulierten Wissens, ein Kanon 9
von Inhalten, über den man verfügen muss, Formell, nichtformell, informell um – wie gerne behauptet – als gebildeter Im internationalen Diskurs wird das Zu- Mensch zu gelten. Bildung ist kein Gut und sammenwirken von formellen, nichtformellen keine Ware. Bildung meint auch Wissenser- und informellen Bildungsorten und Lernsitua- werb, geht aber darin nicht auf. Bildung be- tionen thematisiert: Unter formeller Bildung zieht darüber hinaus wesentlich die Persönlich- wird das gesamte hierarchisch strukturierte keitsentwicklung und Werthaltungen ein, die und zeitlich aufeinander aufbauende Schul-, die Qualität der Beziehungen des Einzelnen zu Ausbildungs- und Hochschulsystem gefasst, seinem engeren und weiteren sozialen Umfeld mit weitgehend verpflichtendem Charakter prägen. und unvermeidlichen Leistungszertifikaten. Mit nichtformeller Bildung wird jede Form or- Nicht nur Erwerb von Kompetenzen ganisierter Bildung und Erziehung gemeint,die In diesem Verständnis von Bildung geht es so- generell freiwilliger Natur ist und Angebots- mit neben dem Erwerb von Kompetenzen charakter hat. Unter informeller Bildung wer- auch um Selbstbestimmung, Handlungsfähig- den ungeplante und nichtintendierte Bildungs- keit, Kritikfähigkeit und Empathie. Für die Bil- prozesse verstanden, die sich im Alltag von Fa- dung von Kindern und Jugendlichen sind des- milie, Nachbarschaft, Arbeit und Freizeit erge- halb Eigentätigkeit, Übernahme von Verant- ben, aber auch fehlen können. Sie sind zu- wortung, Möglichkeiten der Teilhabe und Ge- gleich unverzichtbare Voraussetzung und staltung und der Aneignung von Räumen „Grundton“, auf dem formelle und nichtfor- wichtige Voraussetzungen. melle Bildungsprozesse aufbauen. Menschen eignen sich Bildung auf unter- Die internationale Forschung und Diskussion schiedliche Weise und in unterschiedlichen Zu- über Bildung (wie jüngst die Ergebnisse der PI- sammenhängen an. Bildungs- und Lernorte SA-Studie) haben deutlich gemacht, dass die haben sich vervielfältigt und sind zum Teil ent- verschiedenen Weisen, in denen Menschen koppelt von Schule, Hochschule und Beruf. sich bilden, ihren bedeutsamen Eigenwert ha- Wesentliche Anteile dieser Aneignung finden ben, dass sie aufeinander angewiesen sind, sich außerhalb von formalen Bildungsinstitutionen gegenseitig bedingen und beeinflussen und in nichtformellen und informellen Bildungs- sich nicht für Über- oder Unterordnungen eig- prozessen statt. Kinder und Jugendliche lernen nen. Formelle Bildung ist nicht mehr und auch in Peergroups und in Medien- und Konsum- nicht weniger „wert“ als informelle oder nicht- welten von- und miteinander. Nicht nur Junge formelle. Es ist deshalb eine wichtige Aufgabe, lernen von Alten, auch ältere Menschen lernen in allen Bildungsbereichen formelle, informel- von jüngeren Menschen. le und nichtformelle Bildungsprozesse aufein- ander zu beziehen. Dabei ist es notwendig, ein Denken in starren Zuordnungen zu überwinden. In Schulen fin- det nicht nur formelle Bildung statt, und die Jugendhilfe ist nicht nur Ort für informelle 10
und nichtformelle Bildungsprozesse. In den Beide Systeme haben eine Integrationsfunk- letzten Jahren haben sich Schulen zunehmend tion und trotz je spezifischer Aufgabenstellun- dem sozialen Umfeld geöffnet und praktizie- gen überschneiden sich ihre Aufgaben in viel- ren neue Lehr- und Lernformen, die auch viele fältiger Weise, zumal sie sich grundsätzlich auf nichtformalisierte Bildungsgelegenheiten bein- dieselben Kinder und Jugendlichen (im schul- halten. Schulen sind heute für die meisten Kin- pflichtigen Alter) beziehen. Wir finden die glei- der und Jugendlichen der zentrale Ort, an dem chen Ziele auf der allgemeinen Ebene wie die sie mit Gleichaltrigen in Kontakt kommen und Befähigung zum Handeln nach ethischen Beziehungen aufbauen. Die Jugendhilfe bietet Grundsätzen, die Förderung der staatsbürger- ebenfalls systematische „formelle“ Bildungspro- lichen Verantwortung und des demokratischen zesse an, z.B. beim erzieherischen Kinder- und Verhaltens, die Fähigkeit, Konflikte vernunftge- Jugendschutz oder in der Jugendberufshilfe. mäß zu lösen, aber auch Konflikte zu ertragen sowie sich im Berufsleben zu behaupten und das soziale Leben verantwortlich mitzugestal- 2.2. Bei den gemeinsamen Aufgaben von ten. Schule und Jugendhilfe ansetzen Die GEW stellt fest, dass auf der Gesetzesebe- Beide Systeme haben den gesellschaftlichen ne über die allgemeinen Ziele von Schule und Auftrag, einen pädagogischen Beitrag zum Jugendhilfe weitgehende Übereinstimmung be- Ausgleich von Lebensbedingungen und zum steht. Wichtig und hilfreich ist, sich das Ge- Abbau von Benachteiligungen zu leisten. meinsame zu vergegenwärtigen, bei der Zu- sammenarbeit dort anzusetzen und dabei die Diese Gemeinsamkeit darf auch angesichts der Besonderheiten des jeweils anderen Systems zu Unterschiede in konkreten Aufgaben, Realisie- berücksichtigen. rungsstrukturen und Methoden nicht vernach- lässigt werden, sondern sie ist die Vorausset- Grundsätzlich ist festzustellen, dass für Jugend- zung dafür, um zu gemeinsamem und wir- hilfe und Schule das gemeinsame Ziel der För- kungsvollem Handeln der beteiligten Profes- derung und Unterstützung der Sozialisations- sionen zu kommen. prozesse junger Menschen maßgeblich ist. Schule und Jugendhilfe haben neben den Er- ziehungsberechtigten das gemeinsame Ziel, die 2.3.Unterschiede von Schule und Erziehung und Bildung junger Menschen zu Jugendhilfe produktiv machen fördern. Sie erheben beide den Anspruch, mit Zwischen Jugendhilfe und Schule bestehen we- ihrem jeweiligen Instrumentarium den Erwerb sentliche Unterschiede in den Aufträgen und allgemeiner Qualifikationen und Kompeten- Strukturen, die für die Umsetzung der gemein- zen wie Kommunikations- und Kooperations- samen Ziele ebenso Bedeutung haben, wie für fähigkeit, Reflexionsfähigkeit, Selbstständig- die Schaffung eines konsistenten Gesamtsys- keit, Fähigkeit zur Mitbestimmung und zur tems von Bildung, Erziehung und Betreuung. Verantwortungsübernahme, Planungsfähigkeit Auch die Finanzierungsstrukturen und Träger- zu fördern. strukturen sowie das formelle Qualifikationsni- veau der Fachkräfte unterscheiden sich erheb- 11
lich. Diese Unterschiede dürfen nicht außer Leistungen werden in Zusammenarbeit von öf- Acht gelassen werden; sie müssen vielmehr fentlichen und freien Trägern angeboten, wo- produktiv gemacht werden. bei, so die Idee, die freien Träger mit ihren unterschiedlichen weltanschaulichen Ausrich- Der Auftrag der Schule tungen Vorrang haben, damit Erziehungsbe- Die Schule hat den gesellschaftlichen Auftrag, rechtigte die ihren Wünschen entsprechende Kinder und Jugendliche für ihr Leben zu qua- Grundrichtung der Erziehung auswählen kön- lifizieren, indem sie ihnen Allgemeinbildung nen. und beruflich verwertbare Kenntnisse ver- mittelt. In Deutschland gilt das als eine hoheit- Sinnvolles Ganzes liche Aufgabe des Staates. Alle Kinder haben Die Kooperation von Jugendhilfe und Schule nicht nur das Recht, die Schule zu besuchen, erweitert den Blickwinkel der Akteure. Das sondern auch die Pflicht, dies zu tun. Auf der kann nur dann gelingen, wenn Schule und Ju- Grundlage landeseinheitlicher Lehrpläne und gendhilfe diese Erweiterung wollen, sie als Teil Stundentafeln werden fachspezifische Qualifi- ihres Profils betrachten und die konstitutionel- kationen vermittelt. Dazu kommen soziale len Grundlagen des anderen Kooperationspart- und auf die individuelle Persönlichkeitsent- ners akzeptieren. Insofern sind Pflicht und Frei- wicklung abzielende Kompetenzen. Die ange- willigkeit, Stringenz und Flexibilität, Allge- botenen Inhalte repräsentieren die Vielfalt der meinheit und Individualität, Fachwissenschaft- Wissenschaften, der Technik und der Kultur. lichkeit und Persönlichkeitsbezug keine Gegen- sätze, sondern den unterschiedlichen Herkünf- Der Auftrag der Jugendhilfe ten und Aufträgen an Schule und Jugendhilfe Die Jugendhilfe hat den gesellschaftlichen Auf- geschuldet und haben in beiden Bereichen ihre trag, junge Menschen in ihrer individuellen Bedeutung. Sie gilt es weder zu negieren noch und sozialen Entwicklung zu fördern und dazu zu überwinden, sondern in einer intensiven beizutragen, Benachteiligungen zu vermeiden Kooperation zu einem sinnvollen Ganzen zu oder abzubauen, bei der Erziehung zu beraten verbinden. und zu unterstützen, Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen und da- Schulen haben eine Verteilungsfunktion, in- zu beizutragen, positive Lebensbedingungen dem Berechtigungen erteilt und gesellschaftli- für junge Menschen und ihre Familien, sowie che Chancen zugeteilt werden. Dies gilt so für eine kinder- und familienfreundliche Umwelt die Jugendhilfe nicht. Allerdings unterstützt zu schaffen. Diesen Aufgaben kommt die Ju- die Jugendhilfe z.B. im Bereich der Jugendsozi- gendhilfe mit einem flexiblen Leistungsange- alarbeit Kinder und Jugendliche auch beim Er- bot nach. Alle Kinder und Jugendlichen haben werb von formellen Berechtigungen, und ande- Anspruch auf Leistungen der Jugendhilfe, aber rerseits gehört es auch dezidiert zu den Aufga- über deren freiwillige Inanspruchnahme ent- ben der Schule, unterschiedlich verteilte Chan- scheiden letztendlich die Erziehungsberechtig- cen auszugleichen und Kinder und Jugendliche ten oder die Jugendlichen selbst. Die Jugend- mit Lern- und Verhaltensschwierigkeiten be- hilfe erreicht daher im Unterschied zur Schule sonders zu fördern. Außerdem hat die Veran- nicht eine komplette Altersjahrgruppe. Die kerung in der Jugend(verbands)arbeit einen 12
nicht unerheblichen Einfluss auf die Verteilung sind. Es handelt sich auch um Kinder und Ju- von Lebenschancen. gendliche, die bisher an der Schule gescheitert sind, bzw. an denen die Schule gescheitert ist. Schulen erfassen nur bestimmte Altersjahrgän- Die Jugendhilfe unterstützt sie dabei, Strate- ge, während die Jugendhilfe Kinder von Ge- gien der Lebensführung und -bewältigung zu burt an und weit über die Schulzeit hinaus be- reflektieren und nach Ansatzpunkten für einen gleitet. „gelingenden Alltag“ zu suchen. Dies stellt be- reits einen Bildungsprozess eigener Art dar, der Jugendhilfe hat sozialräumliche Gestaltungs- zudem darauf abzielt, jungen Menschen zu er- aufträge (Jugendhilfeplanung) und anwalt- möglichen, an Bildungsprozessen auch schuli- schaftliche Funktion (Einmischungsstrategie) scher Art (wieder) teilzunehmen. zum Wohle der Kinder, für die Gestaltung po- sitiver Lebensbedingungen. Schule konzen- Die Jugendarbeit sowie die kulturelle Jugend- triert sich vielfach auf die Entwicklung des ei- bildung bieten die Chance zu einem hohen genen Systems und die Gestaltung von Schul- Maß an selbstbestimmter Aneignung von Bil- laufbahnen. Schulentwicklung kann aber nicht dungsmöglichkeiten, wodurch autonomes und losgelöst vom sozialen Umfeld stattfinden, verantwortungsbewusstes Denken gefördert und die Gestaltung positiver Lebensbedingun- wird. Die Möglichkeiten, Unterrichtsinhalte gen beinhaltet auch den Zugang zu schulischen und Unterrichtsformen offiziell mitzubestim- Bildungsgängen. Insofern leisten Schulen auch men, sind für Schülerinnen und Schüler eher einen Beitrag zur Gestaltung von Sozialräu- gering. Allerdings nehmen sie durch Störun- men, hängen Schulentwicklung und Sozialrau- gen, Abschalten und Versäumnisse auf infor- mentwicklung zusammen. melle Weise oft erheblichen Einfluss auf die Unterrichtsgestaltung. Jugendhilfe hat auch Eingriffs- und Kontroll- funktionen gegenüber dem Familienleben: im Der Blick für die Unterschiede darf nicht ver- Bereich des Kinder- und Jugendschutzes, der stellt werden. Basis der Zusammenarbeit müs- Inobhutnahme oder der Herausnahme aus be- sen jedoch Respekt, gegenseitige Akzeptanz lastenden Situationen sowie bei den Hilfen zur und Verständigungswillen sein. Auch bei den Erziehung. Rechtlich beschränkt sich der Ein- Unterschieden gilt es wahrzunehmen, dass es fluss von Schulen auf Familien auf die Durch- Schnittstellen gibt. Sie müssen im Mittelpunkt setzung der Schulpflicht. Allerdings ragen stehen. Die unterschiedlichen Aufgaben, Struk- schulische Anforderungen oft weit in das Fami- turen und Arbeitsweisen müssen miteinander lienleben hinein. koordiniert und zum Wohl der Kinder und Ju- gendlichen zum Tragen gebracht werden. Im Bereich der Hilfen zur Erziehung, der Ju- gendsozialarbeit oder der Jugendstraffälligen- hilfe werden junge Menschen von der Jugend- 2.4. Kooperationskultur und Kooperations- hilfe erreicht, deren Lebensgestaltungskompe- strukturen entwickeln tenz beeinträchtigt und deren Zugang zu Bil- Der Zweck der Kooperation von Jugendhilfe dungsgelegenheiten erschwert oder verstellt und Schule besteht darin, in Wahrnehmung 13
der öffentlichen Verantwortung für das Auf- Stellen. Sie sind verpflichtet, die Koopera- wachsen von Kindern und Jugendlichen ihre tionsprozesse in die Hand zu nehmen, freie Lebens- und Lernbedingungen zu verbessern Träger zu beteiligen und Kinder und Jugendli- und Bildungs- und Hilfeplanung miteinander che in die Gestaltung einzubeziehen. zu koordinieren. Analog zu § 81 KJHG sollten Schulen – wie in Diese Zusammenarbeit braucht eine entspre- einigen Ländern bereits geschehen – durch chende Kooperationskultur und fest vereinbar- entsprechende Landesgesetze zur Zusammen- te Strukturen, die die Qualität der pädagogi- arbeit mit Trägern der Jugendhilfe verpflichtet schen Arbeit sichern und entwickeln. Beides werden. In entsprechenden Erlassen müssen entsteht nicht im Selbstlauf, sondern muss sys- Rahmenbedingungen für die Kooperation von tematisch gefördert und gepflegt werden. Jugendhilfe und Schule sowie für die Tätigkeit sozialpädagogischer Fachkräfte an Schulen ge- Kooperation von Jugendhilfe und Schule wird regelt werden dann vorankommen, ■ wenn die Beteiligten gleichberechtigt zu- Zur Schaffung eines konsistenten Gesamtsys- sammenarbeiten, für gemeinsame Ziele die tems müssen die unterschiedlichen Zuständig- sich ergänzenden professionellen Kompe- keiten überwunden und auf allen Ebenen poli- tenzen gemeinsam zum Tragen bringen tisch und organisatorisch zusammengeführt und verbindliche Absprachen über ge- werden. Davon ausgehend, dass Schule und meinsame und getrennte Ziele sowie die Jugendhilfe jedoch als eigenständige Bereiche Art und Form der Zusammenarbeit treffen. weiter bestehen, kommt es bei den gemeinsam ■ wenn die Beteiligten das jeweils andere zu erfüllenden Zielen und wahrzunehmenden System mit seinem jeweiligen gesellschaft- Aufgaben wesentlich darauf an, dass auf allen lichen Auftrag, seiner eigenen Professiona- Ebenen verbindliche Organisations- und Ko- lität und seinen spezifischen Handlungs- operationsstrukturen geschaffen werden, die maximen kennen und akzeptieren. eine gemeinsame Aufgabenwahrnehmung er- ■ wenn die Beteiligten bereit sind, sich dar- möglichen. auf einzulassen, sich selbst im Prozess der Kooperation zu verändern und sich für die Verbindliche Strukturen schaffen jeweils andere Seite zu öffnen. D.h. die Ju- Die vielen Beispiele der Kooperation zwischen gendhilfe wird sich ihres Bildungsauftrages Jugendhilfe und Schule auf der örtlichen Ebe- bewusst und hält spezifische Bildungsange- ne zeigen, dass die Bildungs-, Erziehungs- und bote vor, die Schulen öffnen sich den sozi- Betreuungsaufgaben besser erfüllt werden kön- alpädagogischen Aspekten ihrer eigenen nen, wenn die unmittelbar Beteiligten koope- Arbeit und nehmen diese Aufgabe aktiv rieren. Die GEW empfiehlt daher, diese Ko- an. operationen vor Ort auszubauen und zu ver- stärken. Die tradierte Praxis der Trennung von Die Verantwortung für die Steuerung der Ko- inneren und äußeren Angelegenheiten der operation liegt bei den für die Jugendhilfe- Schulen ist überholt, weil sie u.a. die Koopera- und Schulentwicklungsplanung zuständigen tionsmöglichkeiten einschränkt. Schulen müs- 14
sen stärker zu einer Angelegenheit der Men- 2.6.Demokratische Mitwirkungsrechte schen „vor Ort“ werden. Auf der Ebene von sichern Landkreisen und Städten sollte nicht nur über In den Schul- und Jugendhilfegesetzen der Räumlichkeiten und ihre Instandhaltung, son- Länder muss eine gleichberechtigte Mitwir- dern auch über das strukturelle, inhaltliche kung aller Beteiligten ausgebaut werden. und didaktische Angebot des Schulwesens in Kooperation mit anderen örtlichen Institutio- Kinder, Jugendliche und ihre Eltern müssen nen entschieden werden. Das darf allerdings bei der Ausgestaltung der Bildungsangebote – nicht zur Abhängigkeit der Bildung von den in qualitativer und quantitativer Hinsicht – in städtischen Finanzen führen. Deshalb spricht und außerhalb der Bildungseinrichtungen mit- sich die GEW für bundeseinheitliche Gesetze entscheiden können. Dadurch erhalten sie in und Regelungen sowie Maßnahmen zur Siche- Kooperation mit Schul- und Sozialpädagogin- rung von Qualitätsstandards auf Landesebene nen und -pädagogen und den Trägern einen und weitgehende Gestaltungsmöglichkeiten tatsächlichen Einfluss auf die Leistungen der auf der kommunalen Ebene aus. Angebote. 2.5. Größere Selbstständigkeit und Quali- 2.7.Finanzierung und geeignete Rahmen- tätsentwicklung der Bildungseinrichtungen bedingungen sichern gewährleisten Die Entwicklung eines Gesamtsystems von Bil- Die Bildungseinrichtungen vor Ort benötigen dung, Erziehung und Betreuung erfordert die zur Erfüllung ihrer Aufgaben ein größeres Weiterentwicklung bisheriger Finanzierungs- Maß an Selbstständigkeit sowohl in pädagogi- strukturen. Die Finanzierungsregelungen müs- scher Hinsicht wie bei der Verwendung der sen von der Lebenslage und den Bedürfnissen Mittel. Allerdings darf das nicht dazu führen, von Kindern und Familien ausgehen. Das bis- dass damit landesweit geltende Mindeststan- herige „Haushaltsstellen-“ und „Nicht-Zustän- dards beim Personalschlüssel und der Qualifi- digkeitsdenken“ muss überwunden werden. Es kation des Personals sowie seiner arbeitsrecht- sind gesetzliche Möglichkeiten für Mischfinan- lichen Absicherung unterlaufen werden und zierungen zu schaffen. die Mängelverwaltung generell in die Zustän- digkeit der Einrichtungen verlagert wird. Mit allen gesellschaftlichen Kräften ist daran zu arbeiten, die Ungleichheit der Zugangs- Die Leistungen der Bildungseinrichtungen er- möglichkeiten zu Bildungsressourcen abzu- fordern eine regelmäßige qualifizierte Evalua- bauen. Elternbeiträge dürfen nicht zum fakti- tion. Für die Qualitätsentwicklung und Selbst- schen Ausschluss von Kindern und Jugend- evaluation in den Einrichtungen müssen pas- lichen führen. Für im Rahmen des individuel- sende Rahmenbedingungen (Fortbildung und len Bildungsplanes vorgesehene Maßnahmen Verfügungszeiten) sichergestellt sein. ist Beitragsfreiheit anzustreben. Eine bedarfsgerechte personelle Besetzung in Jugendhilfe und Schule ist sicherzustellen, da- 15
mit die Förderung der jungen Menschen, die benbereiche. Die Notwendigkeit von Um- Zusammenarbeit mit den Erziehungsberech- strukturierungen ergibt sich auch im Prozess tigten, die Zusammenarbeit des pädagogischen der europäischen Einigung. Personals und die Kooperation mit anderen Beteiligten möglich ist. Zeiten für Vor- und Analog dazu sind auch Veränderungen in der Nachbereitung, Teambesprechungen, Fortbil- Vergütungsstruktur erforderlich. Sie müssen dung, Elternarbeit und Vernetzung müssen insbesondere zu einer höheren Bezahlung für grundsätzlich und ausreichend für alle vorhan- Erzieherinnen und Erziehern sowie zu einer den sein. Diese Zeiten müssen ausdrücklich in Verbesserung ihrer Aufstiegsmöglichkeiten die Personalschlüssel aufgenommen werden. führen. Flexible Öffnungszeiten müssen dabei berück- sichtigt werden. Besondere Förderbedarfe von Kindern müssen anerkannt und bei der Perso- nalbemessung berücksichtigt werden. Neue Aufgaben sowie ein verändertes Verständnis von Lehr- und Lernprozessen machen eine deutliche Verbesserung der räumlichen Bedin- gungen notwendig. 2.8. Personalentwicklung und Arbeitsbedin- gungen Die Qualität der Arbeit in einem Gesamtsys- tem von Bildung, Erziehung und Betreuung ist im Wesentlichen von der Qualifikation, Moti- vation und Leistung des Fachpersonals abhän- gig. Die GEW hält es für erforderlich, in Aus- und Fortbildung die Erfordernisse eines derar- tigen Gesamtsystems zu berücksichtigen, ge- meinsame Fortbildungen für alle Berufsgrup- pen anzubieten und Praxisbegleitsysteme so zu entwickeln, dass das Zusammenwirken von Schule und Jugendhilfe unterstützt wird. Ein Gesamtsystem von Bildung, Erziehung und Betreuung macht es erforderlich, Konzepte für eine aufgabenadäquate Ausbildung und Vergü- tung der in diesem Bereich tätigen pädagogi- schen Fachkräfte zu entwickeln. Ziel ist dabei eine gemeinsame pädagogische Grundausbil- dung auf Hochschulebene mit anschließender Spezialisierung für die verschiedenen Aufga- 16
3. Gemeinsame Aufgaben und Handlungs- felder von Schule und Jugendhilfe 3.1. Frühkindliche Bildung und flexible 3.3. Ganztägige Bildung und Erziehung Schuleingangsphase Endlich ist auch in Deutschland eine Entwick- Der gegenwärtige Umbruch in der Bildungspo- lung zum Ausbau von Ganztagsschulen in litik stellt eine neue Chance dar, das Bildungs- Gang gekommen. Ganztägige öffentliche Bil- potenzial der Kindertagesstätten anzuerken- dungsprozesse zu gestalten erfordert Umstel- nen und so weiter zu qualifizieren, dass sie ih- lungen im Schulwesen ebenso wie in der Ju- ren Bildungsauftrag gezielter wahrnehmen gendhilfe. können. Er soll auf Inklusion, auf das gemein- same Aufwachsen, Spielen und Lernen aller Längerfristiges Ziel der GEW ist die ganztägig Kinder eines Wohngebiets zielen. Benachteili- geöffnete Stadtteil- oder Nachbarschaftsschule, gungen ausgleichen, (Selbst-) Lernfähigkeit, die von allen Kinder und Jugendlichen ge- Lernfreude und Neugierde stärken, soziale Fä- meinsam und verbindlich besucht und ge- higkeiten und Ich-Stärke entwickeln, Sprach- meinsam mit der Jugendhilfe gestaltet wird. kompetenz fördern und das Weltwissen der Wie in anderen europäischen Ländern auch, Kinder vermehren, müssen Kern des Bildungs- sollen in Deutschland Ganztagsschulen zur auftrags sein. Die Unterstützung der Erzie- Regelform und ihr Besuch zur Normalität wer- hung in der Familie und die Gestaltung des den. Die Zusammenarbeit von selbstständigen Übergangs zur Schule sind wichtige Aufgaben. Ganztagseinrichtungen der Jugendhilfe (wie Horten, Schülerläden oder Kinder- und Ju- Die GEW ermuntert die beteiligten Bildungs- gendhäusern) und Schulen ist von zentraler einrichtungen, im Rahmen ihrer Programm- Bedeutung und muss entsprechend entwickelt entwicklung ein Profil „veränderter Schulan- werden. Leitvorstellung sind hier kommunale fang“ zu gestalten. Zentrales Anliegen ist da- Bildungszentren, die das gemeinsame Dach bei, Kindern zwischen dem fünften und sieb- dieser Einrichtungen bilden. Energisch spricht ten Lebensjahr einen flexiblen, angstfreien und sich die GEW gegen „Billiglösungen“ und erfolgreichen Übergang vom Kindergarten in „Aufbewahrungsschulen“ aus und verlangt, die Grundschule zu ermöglichen. Nicht eine – dass Schul- und Sozialpädagoginnen und -pä- wie auch immer definierte – Schulfähigkeit der dagogen in Aus- und Fortbildung systematisch Kinder soll ausschlaggebend für den Schulein- auf das gemeinsame Arbeiten im Ganztagsbe- tritt sein, sondern die Fähigkeit der Schulen, trieb vorbereitet werden. sich auf die ganz unterschiedlichen Kinder ein- zustellen. Schulmodelle mit jahrgangsübergrei- fenden Klassen sollen weiter entwickelt wer- 3.3. Schulsozialarbeit den. In solchen Modellen sind auch gleitende Angesichts der Veränderungen in den Lebens- Übergänge möglich, in denen Kinder eine An- bedingungen von Kindern und Jugendlichen zahl von Stunden pro Woche in der Schule und den daraus folgenden Probleme in den verbringen, aber noch Kindergartenkinder Schulen, ist es erforderlich, die Kompetenz und sind. In der flexiblen Schuleingangsphase müs- das pädagogische Verständnis von sozialpäda- sen schul-, sozial- und sonderpädagogische gogischen Fachkräften vor Ort in allen Schulen Kompetenzen im Team vertreten sein. zu nutzen. Angebote der Schulsozialarbeit sind deshalb an allen Schulen auszubauen. 17
Schulsozialarbeit ist eine eigenständige, dauer- ■ Schulsozialarbeit auf Dauer zu institutio- haft im Schulalltag verankerte Institution, die nalisieren, aus dem zweiten Arbeitmarkt verschiedene Leistungen der Jugendhilfe wie herauszuführen und klare und belastbare Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, erzieheri- Kooperationsstrukturen zu etablieren. schen Kinder- und Jugendschutz sowie die För- derung der Erziehung in Familien miteinander verbindet und mit diesem Angebot im Alltag 3.4. Kinder und Jugendliche mit besonde- von Kindern und Jugendlichen ständig präsent rem Förderbedarf und ohne Umstände erreichbar ist. Sie bringt Kinder und Jugendliche mit besonderem För- jugendhilfespezifische Ziele, Tätigkeitsformen, derbedarf zu unterstützen, gehört zu den Methoden und Herangehensweisen in die Grundaufgaben von Schule und Jugendhilfe. Schule ein, die auch bei einer Erweiterung des Angesichts der Hierzulande besonders starken beruflichen Auftrages der Lehrkräfte nicht Abhängigkeit der Bildungsmöglichkeiten von durch diese allein realisiert werden können. sozialer Herkunft sind Schule und Jugendhilfe Für Kinder, Jugendliche und ihre Eltern öffnet gemeinsam gefordert, wesentlich mehr zum die Schulsozialarbeit neue Zugänge zum Leis- Ausgleich sozialer Benachteiligung zu tun. tungsangebot der Jugendhilfe und erweitert deren präventive und integrative Handlungs- Häufig ist für Kinder aus bildungsfernen Mi- möglichkeiten. lieus eine Unterstützung kognitiven Lernens ebenso erforderlich wie bei der Entwicklung Der weitere Ausbau von Schulsozialarbeit der Persönlichkeit und des Sozialverhaltens. braucht vor Ort von den jeweiligen Schulen Deshalb ist eine stärkere Verschränkung von und ihren Lehrkräften sowie von den betref- schulischen- und Jugendhilfeangeboten erfor- fenden Jugendhilfeträgern und ihren Mitarbei- derlich. Bei Teilleistungsstörungen, für die terinnen und Mitarbeiter die Bereitschaft und zwar primär die Schule zuständig ist, kann die Fähigkeit zur Kooperation mit dem ande- auch ein sozialleistungsrechtlicher Anspruch ren Partner. Kooperationsbereitschaft und Ko- begründet sein. operationsfähigkeit müssen durch geeignete Maßnahmen systematisch gefördert werden. Das betrifft zum einen Angebote der Jugend- sozialarbeit zur Unterstützung der schulischen Gemeinsam geht es jetzt darum, Integration. Schulen können den tatsächlichen ■ das spezifische Profil von Schulsozialarbeit Bedarf und seine Ausprägungen deutlich ma- in dem weiten Feld der Kooperation von chen und intensiver mit vorhandenen Einrich- Jugendhilfe zu schärfen, tungen kooperieren. Einrichtungen der Ju- ■ die Leistungen der Schulsozialarbeit mit gendsozialarbeit können sich auch in der Schu- ihren Rahmenbedingungen, Abläufen und le direkt verankern, deren Ressourcen mit nut- Wirkungen präzise zu beschreiben, Min- zen und ihre Arbeit mit dem schulischen För- deststandards durchzusetzen und langfris- derangebot koordinieren. tig abzusichern und Bei Hilfen zur Erziehung sind Schwierigkeiten in bzw. mit der Schule einer der Hauptgründe 18
für die Inanspruchnahme dieser Leistung. Des- Hier nur nach der Verantwortung der Eltern zu halb sollten die betreffenden Lehrkräfte stärker rufen oder administrative Wege bis hin zur po- an der für diese Leistungen vorgeschriebenen lizeilichen Vorführung zu suchen, greift zu Hilfeplanung beteiligt werden und analog da- kurz. Zwar gehören das Elternhaus, das soziale zu eine entsprechende Bildungsplanung mit Umfeld, die Clique wie auch personenbezoge- allen Beteiligten entwickeln. Die Notwendig- ne und gesellschaftliche Faktoren zu den keit eines solchen, eher ganzheitlichen, Ansat- Gründen für Schuldistanz. Allerdings darf sich zes besteht besonders bei den Kindern und Ju- die Schule in ihrer Gestaltung und Organisa- gendlichen, die sowohl in der Schule als auch tion des Schullebens nicht von der Mitverant- außerhalb Unterstützung brauchen. Jugendhil- wortung für selbstschädigendes Verhalten von fe und Schule müssen beachten, dass erfolgrei- Schülerinnen und Schüler entlasten. che Sozialisation ohne schulische Leistung und ohne Kompetenz zur Alltagsbewältigung Im Wege der verstärkten Kooperation im Sozi- nicht zu erreichen ist. alraum sollen Jugendhilfe und Schule Präven- tionskonzepte zum Umgang mit Schuldistanz entwickeln, die Lernbedingungen in Schulen 3.5. Schulversäumnisse gemeinsam verändern und verbindliche Ver- Zu viele junge Menschen verlassen unsere fahrensweisen im Einzelfall vereinbaren. Schulen ohne Abschluss und haben damit deutlich schlechtere Lebens- und Berufschan- Wichtig ist, gemeinsam genauer hinzuschauen, cen. Eine Ursache dafür sind Schulversäum- Schulversäumnisse frühzeitig zu registrieren nisse. Schulversäumnisse erhöhen das Risiko und schnell darauf zu reagieren, um deutlich sozialen Ausschlusses erheblich und sind da- zu machen, dass es auffällt, wenn jemand fehlt, mit eine gemeinsame Herausforderung für Ju- dass er bzw. sie vermisst wird, und dass sie gendhilfe und Schule. willkommen in der Schule sind. Bei häufigen Schulversäumnissen sollten gemeinsam Schuldistanziertes Verhalten Hintergründe und Ursachen aufgeklärt und ge- Schulverweigerung – Schulmüdigkeit – Schul- meinsam mit den Betroffenen solche Wege zur verdrossenheit Rückkehr in die Schule entwickelt werden, die In Deutschland zeigen ca. 15-20 Prozent der für sie eine sinnvolle Perspektive darstellen. Schülerinnen und Schüler ein schuldistanzier- Übergeordnetes Ziel muss die Reintegration in tes Verhalten. Man unterscheidet grob: passi- die Regelschule sein. Das kann auch mal zeit- ve Form mit innerem „Ausklinken“ (z.B. durch lich begrenzte Lernangebote alternativ zur Träumen, permanentes „Blödsinnmachen“), Schule beinhalten. Auf keinen Fall dürfen sich Verweigerung der Mitarbeit im Unterricht) aber Regeleinrichtungen der Jugendhilfe für Schulvermeidung (starkes Schwänzen), totale „Schulverweigerer“ neben der Regelschule eta- Schulverweigerung (klassisch: Schulabbruch). blieren, weil das eine besonders intensive Form ausgrenzender Beschulung in einem oh- nehin schon übermäßig gegliederten Schulsys- tem bedeuten würde. 19
3.6 Übergang von der Schule in den Beruf In diesem Übergangsprozess haben sich Sozi- Der Übergang von der Schule in den Beruf ist alpädagoginnen und -pädagogen und Sozialar- insbesondere für Jugendliche aus der Haupt- beiterinnen und -arbeiter als Begleiter bewährt. schule schwieriger geworden. Es gelingt immer Deshalb sollte Schulsozialarbeit an berufsbil- seltener unmittelbar im Anschluss an die Be- denden Schulen deutlich ausgebaut werden. endigung der allgemeinen Schulpflicht einen Ausbildungsplatz zu bekommen – zum einen, Maßnahmen der Jugendberufshilfe weil es zu wenig Ausbildungsplätze gibt, zum In Ergänzung zu den berufsvorbereitenden anderen, weil ein nennenswerter Teil der Ju- Maßnahmen der Berufsschulen werden vielfäl- gendlichen nicht den betrieblichen Erwartun- tige Maßnahmen der Jugendberufshilfe ange- gen entspricht. Der Übergang hat sich zu ei- boten, die den Schwerpunkt der Leistungen nem Prozess entwickelt, in dem Berufsvorbe- der Jugendhilfe im Rahmen der Jugendsozial- reitungsklassen an berufsbildenden Schulen, arbeit (§ 13 SGB VIII) ausmachen. Sie wendet Schulen der „zweiten Chance“ (zum Erwerb sich traditionell an „individuell beeinträchtig- eines höherwertigen Schulabschlusses), Freiwil- te“ und „sozial benachteiligte junge Men- liges Soziales oder Ökologisches Jahr und schen“, denen im Anschluss an die Schule ein Maßnahmen der Jugendberufshilfe für wach- unmittelbarer Übergang in Ausbildung oder sende Anteile der Jugendlichen wichtige Beschäftigung nicht gelingt, und zielt auf die Durchgangsstadien auf dem Weg zu einer Be- Verbesserung der individuellen Voraussetzun- rufsausbildung geworden sind. Sie führen gen junger Menschen für den Zugang zu Aus- allerdings nicht für jede/n zu einer Ausbildung bildung und Beschäftigung. in einem anerkannten Ausbildungsberuf. Seit Jahrzehnten bleiben etwa 15 Prozent der Ju- Die Wirksamkeit dieser berufsvorbereitenden gendlichen eines Altersjahrgangs auf der Stre- Maßnahmen im Anschluss an eine oft über- cke. Deshalb müssen diese Durchgangsstadien wiegend durch Scheitern gekennzeichnete zu einem sinnvollen Übergangssystem weiter- Schulkarriere wird mit Recht immer wieder in entwickelt werden, um Jugendliche in ihrer Zweifel gezogen. Denn neben allen positiven Kompetenzentwicklung zu fördern und sie Effekten, die sie für einen Teil der betroffenen darin zu unterstützen, einen für sie gangbaren Jugendlichen haben, erweisen sie sich für an- Einstieg ins Berufsleben zu finden. Die struk- dere als Warteschleifen, in denen ihre Chancen turellen Veränderungen in der Arbeitswelt er- auf einen gelingenden Berufseinstieg wie auch fordern dauerhafte, von zyklischen Entwick- ihre Berufs- und Lernmotivation weiter absin- lungen im Wirtschaftssystem unabhängige An- ken. Deshalb wird zunehmend die Frage dis- gebote zur Orientierung, Begleitung und kutiert, was Schule zur besseren Vorbereitung Unterstützung junger Menschen in dieser für junger Menschen auf die Bewältigung der An- die Verteilung von Lebenschancen entschei- forderungen des Übergangs beitragen kann. denden Phase. Schulen, Arbeitsverwaltung und Jugendhilfe müssen dabei systematisch Berufsorientierung und -vorbereitung und auf der Grundlage gemeinsam entwickel- Ihr Beitrag zur Berufsorientierung und Berufs- ter Konzepte zusammenwirken. vorbereitung junger Menschen beschränkte sich lange auf die Angebote des Faches Ar- 20
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