Partizipation und Jugendkultur

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Natalia Waechter

Partizipation und Jugendkultur
Zum Widerstandscharakter von Jugendkultur am Beispiel von SkateboarderInnen
und HausbesetzerInnen

1 Einleitung

In Österreich fanden gerade die – wie Medien berichten – größten Studierendenproteste seit 22
Jahren statt. Ausgehend von der Besetzung an der Akademie der Bildenden Künste und der
folgenden „Audimax“-Besetzung1 auf der Universität Wien, die am 22. Oktober 2009 begann,
breiteten sich die Proteste in Form von Demonstrationen und Besetzungen in wenigen Tagen
und Wochen auch auf andere Universitäten in ganz Österreich und schließlich auch auf weitere
europäische Universitäten aus. Die Studierenden traten für den freien Universitätszugang ein
und stellten Missstände an den finanziellen, infrastrukturellen und personellen Ressourcen der
Universitäten fest. Die Forderungen umfassten u.a. Re-Demokratisierung, Ausfinanzierung
sowie unabhängige Lehre und Forschung. Interessant ist dabei, dass die Proteste weniger von
den gewählten StudierendenvertreterInnen („Österreichische Hochschülerschaft (ÖH)“)
getragen wurden, sondern vom „Audimax“ – den unorganisierten BesetzerInnen. Mittels
Facebook und Twitter kam es rasch zu einer spontanen Mobilisierung von zuerst hunderten
Studierenden, die sich ohne Parteigebundenheit und –verantwortlichkeit schneller zu einem
Protest („Uni brennt“) bewegen und einigen konnten als das im Rahmen der Arbeit der ÖH
möglich gewesen wäre. Die ÖH trat zwar während der laufenden Proteste in Kommunikation mit
dem Wissenschaftsminister, allerdings galt dabei die Voraussetzung, dass die ÖH nicht die
Vertretung der Proteste darstellt. Der „Audimax“ hatte keine personelle Vertretung und schickte
auch keine VertreterInnen ins Ministerium. Wer mitdiskutieren wollte, konnte das gerne im
Rahmen des Plenums tun – ob es nun Studierende, JournalistInnen oder der
Wissenschaftsminister waren. Das war die Botschaft, die vermittelt wurde – alle sind zur
basisdemokratischen Beteiligung aufgerufen, jede/r kann gleichberechtigt um Redezeit im
Plenum ansuchen. Mit dem Konzept, dass nicht die Studierenden als Bittsteller ins Ministerium
gehen und auf einen Termin hoffen, sondern die PolitkerInnen gefordert werden, sich den
Regeln der Protestierenden und des Plenums zu unterwerfen, wurde versucht, die Regeln der
traditionellen Beteiligung zu entkräften.

Dank neuer Kommunikationsmedien war es möglich, die Proteste offen und für alle einsichtig zu
halten. Nicht nur innerhalb des Audimax, sondern auch online wurde rund um die Uhr diskutiert.
Es wurden verschiedene Arbeitsgruppen gebildet, die ebenfalls alle Interessierte zur Beteiligung
aufriefen. Dabei wurden Aktionsformen und politischer Usus der Hausbesetzerbewegung
fortgeführt, zum Beispiel das Zusammenspiel der Arbeitsgruppen im Plenum, das Einrichten
einer Volksküche, die die Besetzung substanziell unterstützt, oder die Solidarisierung und
Unterstützung von Obdachlosen. Politisches Statement wurde also nicht nur mit einem
Forderungskatalog, sondern auch in ihrem Handeln ausgedrückt.

Das Medieninteresse war enorm, die Medienunterstützung (in Form reflektierter, kritischer
Berichterstattung) gering. Hinsichtlich der Forderungen der Protestierenden waren die Proteste
wenig erfolgreich – das auf Bundesebene einzige Zugeständnis einer kleinen Erhöhung des
Universitätsbudget wurde vom „Audimax“ als bereits längst den Universitäten gewidmete
Summe identifiziert. Die institutionalisierte Politik blieb hart, und zu Beginn der Weihnachtsferien
wurde der Audimax von der Polizei geräumt. Weitere Besetzungen dauerten zwar an, aber die
Höhepunkt der Protestbewegung war vorbei.

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    Der Audimax (auditorium maximum) ist der größte Hörsaal der Universität Wien.
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Das aktuelle Beispiel kann erstens veranschaulichen, welche Formen politische Partizipation,
die von jungen Erwachsenen getragen ist, annehmen kann, und zweitens, wie die politische
Beteiligung von Bevölkerungsgruppen schnell ausgeschlossen werden kann, indem
Handlungen und Aktionsformen nicht als politische Partizipation anerkannt werden. In einem
Fernsehinterview vom 3. Dezember 2009 meint ein protestierender Student: „Einerseits
engagieren wir uns politisch und dann wird uns gedroht mit Räumung und Polizei, und
andererseits heißt es immer, dass die Jugend unpolitisch ist“ (ORF1, ZIB 24).

2 Jugendkultur und Partizipation

Dieser Artikel betrifft die Fragestellung, wie die politische und gesellschaftliche Partizipation von
Jugendlichen unter einem handlungstheoretischen Ansatz neu verstanden werden kann. Dabei
muss erstens der Partizipationsbegriff kritisch hinterfragt werden, und zweitens verlangt die
Fragestellung, mögliche Veränderungen im „Partizipationsverhalten“ nicht nur auf einer
strukturellen Ebene, sondern auch auf der Handlungsebene zu untersuchen. Um die Thematik
der Partizipation Jugendlicher nicht nur aus dem Blickwinkel institutioneller Erfahrungen zu
untersuchen und damit eine Einschränkung vorzunehmen, die dem sozialen Wandel nicht
gerecht wird, müssen wir unsere Aufmerksamkeit auch auf die kulturellen Produktionen von
Jugendlichen richten. Folgender Absatz aus dem Interim-Report verdeutlicht diese Sichtweise:

„The fact that young people take actions differently with regard to family, citizenship or work
compared to the generation of their parents and to the expectation of institutional actors may be
either ascribed to different demand and constraints by which they are confronted, or it may be
interpreted as different cultures of practice, of parenthood, work or citizenship. Culture is one
way of understanding the meaning of practice as it evolves both individually and collectively. It
embodies the sets of practices developed by groups, communities of societies. These sets of
practices are the totality of social actions which are interlinked within a given social context and
which share values, principles and norms. Thereby they represent the repertoire from which
individuals construct meaning and relate it to specific forms of practice.“ (Pohl, Stauber, &
Walther 2007, S. 40-41)

Diese Herangehensweise legt nahe, dass Jugendkultur für das Verständnis von den
Einstellungen und Verhaltensweisen der Jugendlichen bezüglich Partizipation zentral ist, und
erfordert damit, dem Phänomen der Jugendkulturen, denen in letzter Zeit ideologischer
Hintergrund und politische Motivation immer mehr abgesprochen wurden, wieder mehr
Aufmerksam zu widmen. In der folgenden Untersuchung wird daher Jugendkultur unter dem
Aspekt betrachtet, welche politischen und gesellschaftlichen Partizipationsfunktionen sie
erfüllen kann, was auch zur Weiterentwicklung des Partizipationsbegriffes betragen soll. Damit
kann auch zu einem besseren Verständnis beigetragen werden, in welcher Art und Weise sich
Jugendliche und junge Erwachsene auf lokaler Ebene engagieren. In dieser Hinsicht wird
versucht, die Fragen der Struktur und Handlung zu verbinden.

In dem nicht oft gedachten und untersuchten Zusammenhang von Jugendkultur und (sozialer
und politischer) Partizipation lassen sich verschiedene theoretische Herangehensweisen
feststellen. Während in den Siebziger Jahren Jugendkultur generell als etwas Subversives,
Gegenkulturelles gedacht wurde („Jugendsubkulturen“), und dabei angenommen wurde, dass
sich ihre jeweiligen TeilnehmerInnen in ihren Einstellungen, Werthaltungen und
Verhaltensweisen von der Gesamtgesellschaft unterscheiden (z.B. Schwendter 1973), hat sich
in den Neuzigern die Sichtweise der Spaß-orientierten, kurzlebigen, flexiblen und entpolitisierten
Jugendkulturen („Jugendszenen“) durchgesetzt (z.B. Ferchhoff 2006; 2007). Letzteren wird
politisches Handeln in der Regel abgesprochen, obwohl einige Forschungsarbeiten in Bezug
auf Funktionen von Jugendkulturen (z.B. Identitätspolitik) eher das Gegenteil feststellen konnten
(z.B. Stauber 2001) und in der Zwischenzeit Diskussionen stattfinden, ob in der empirischen
und theoretischen Betrachtung nicht doch zuviel Augenmerk auf Musik und Style gelegt wurde
(Shildrick & MacDonald, 2006).

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In diesem Artikel zu Partizipation finden jedenfalls sowohl Jugend(sub)kulturen, die als explizit
politisch bezeichnet werden können, als auch implizit politisch agierende Jugendszenen
Beachtung, die zwar nicht mit politischen Statements operieren, aber eigene Ideen von
gesellschaftlicher Teilnahme entwickeln. Zudem gehe ich mit Pfaff (2006) und Pohl, Stauber, &
Walther (2007) davon aus, dass Jugendkultur nicht nur politisches Handeln hervorbringt,
sondern jugendkulturelle Handlungspraxen auch als Teil von politischen Bewegungen gesehen
werden können:

„Concerning civic participation, youthful political articulation almost cannot be discerned from
youth cultural features: on the one hand late modern political movements such as e.g. anti-
globalisation-movement do enfold a (youth) cultural activity, on the other hand youth cultures
themselves are to be seen as participatory movements in terms of their use/appropriation of
(public) space, in terms of the shaping of imageries by symbolic policies, in terms of identity
policies (e.g. the shaping of gender identities). Although mainstream/dominant culture and
subculture in late modernity cannot be discerned that clearly any more, those young people who
are engaged in these movements often at the same time are engaged in identity policies based
on distinction.“ (Pohl, Stauber, & Walther, 2007, S.42)

Die institutionalisierte Politik der Erwachsenenwelt scheint den Jugendlichen und jungen
Erwachsenen vorgeben zu wollen, in welcher Art und Weise Partizipation zu erfolgen hat und
wie die Inhalte beschaffen sein sollen. Für Heranwachsende hat Partizipation jedoch neue
Bedeutungen und ihre Artikulationsweisen und Partizipationsformen haben sich geändert. Der
Artikel untersucht nun aktuelle, jugendkulturelle Partizipationsformen, wobei zwei Tendenzen
gegenübergestellt werden. Die Auseinandersetzung bezieht sich zum einen auf die
HausbesetzerInnen-Szene als explizit politisch agierende, aber realpolitisch unerwünschte
Jugendkultur und zum anderen auf die Skater-Szene als implizit politisch agierende und
ebenfalls gesellschaftlich tendenziell unerwünschte Jugendkultur.

Sogar explizit politischen Jugendkulturen wird in der öffentlichen Meinung, von Behörden und
der Politik abgesprochen, einen positiven Beitrag zur gesellschaftlichen bzw. politischen
Partizipation zu leisten, obwohl sich die Themen, mit denen sich beispielsweise
HausbesetzerInnen (Wohnungsnot, Gentrifikation, Spekulantentum) oder
GlobalisierungsgegnerInnen (Kapitalismuskritik, Kritik des Finanzwesens, Ausbeutung der 3.
Welt) auseinandersetzen, auf die gleichen Inhalte beziehen, wie sie auch von der formalen
Politik behandelt werden. Diese Gruppen fühlen sich durch die Bedeutungen, die diesen
Themen offiziell gegeben werden und durch die Art und Weise, wie die Themen behandelt
werden, befremdet. Die Folge ist ein bewusstes Abwenden von der formalen Politik und das
Einsetzen informeller, jugendkultureller Formen öffentlicher Partizipation. Diese dienen dem
Ausdruck darüber, welche Bedeutungen Thematiken einnehmen (z.B. Gentrifikation statt
Stadterneuerung) sowie dem konkreten Erreichen von Zielen (z.B. Wohnraum).

In unserer Betrachtung beziehen wir uns aber nicht nur auf jugendkulturelle Handlungsfelder,
die von den Beteiligten selbst als politisch verstanden werden, sondern auch auf jene, die im
Zuge von Freizeitaktivitäten oder Konsumorientierungen auftreten. Ein wahrscheinlich oft
bemühtes, aber dennoch sehr gutes Beispiel bildet die Szene der SkateboarderInnen. Dabei
sind zwei Phänomene von Interesse: Zum einen haben sie konkrete Forderungen an politische
VertreterInnen und Behörden, indem sie sich Plätze und die Bereitstellung von Material und
Infrastruktur für die Ausübung ihrer Tätigkeit wünschen, und sind damit – nicht ohne Grund –
oft recht erfolgreich: Die offensichtliche Materialität ihrer Forderungen macht sie beliebt, wenn
es darum geht, Jugendliche in politische Entscheidungsfindungsprozesse mit einzubeziehen. Es
gibt ein sichtbares Ergebnis, den Skatepark, und dabei ist es nicht notwendig, in Konflikt mit der
herrschenden Ordnung zu treten (Weller, 2006). Dabei wird vernachlässigt, dass in diesen
Szenen Bedeutungen ausgehandelt werden, und dass es sich dabei um einen Prozess handelt,
der eng mit den Identitätskonstruktionen der Jugendlichen verknüpft ist.

Zum anderen begnügen sich Street Skater nicht mit Skatehallen oder –parks, sondern benützen
vorhandenen, öffentlichen Raum für ihre Aktivitäten. Die Aneignung bestimmter Orte erfolgt
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nicht nur, weil sie sich aufgrund ihrer Beschaffenheit so gut zum Skaten eignen oder weil es
keine eigenen Fahrbahnen gibt, sondern auch aus Gründen der Sichtbarkeit. In ihrer
Raumergreifung befinden sie sich im Wettstreit mit anderen Personengruppen, die ebenfalls
Anspruch auf die Nutzung dieses Raumes legen könnten, und sie befinden sich oft schnell in
der Illegalität (weil anderen, aber nicht ihnen die Nutzung gesetzlich zusteht). Durch das
„Besetzen“ von Räumen geben sie ihnen eine neue Bedeutung, wiederum verbunden mit
eigenen Identitätskonstruktionen. Dazu fassten Waechter, Cuconato, Lenzi, & Loncle (2008,
S.81) folgendermaßen zusammen:

“Youth cultures are contexts in which sociality and identity are linked, related, integrated. They
provide access to how young people – from their specific points of view – actually are involved
in and contribute to the societal meaning making process, how they perceive and value sociality
and the public, how they link past and future within present situations and how they relate it to
their own identity work (Stauber, 2004; Mørch, 1999; Fornäs, 1995).”

Bevor im Folgenden mit qualitativem, empirischen Material beschrieben und analysiert wird, wie
die jugendkulturellen Handlungsfelder der HausbesetzerInnen und der SkateboarderInnen als
politischer Ausdruck und gesellschaftliche Partizipation betrachtet werden können, wird in den
nächsten beiden Kapiteln diskutiert, wie die Jugendkulturforschung den Zusammenhang von
Partizipation und Jugendkultur verordnet. Begonnen wird mit einer Erörterung vom
diesbezüglichen Wandel der theoretischen Herangehensweise der Jugendkulturforschung.

3 Subkultur, Post-Subkultur und zurück

Jugendkulturen im heutigen Sinn traten vor etwas mehr als einem Jahrhundert in Erscheinung.
Von Anbeginn gab es zu jeder Zeit nicht nur eine einzige Ausprägung, sondern es standen sich
verschiedene Strömungen teils freundschaftlich, teils feindlich gegenüber. Ähnlich alt wie die
Jugendkulturen ist auch die sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit ihnen. Die
Begründung der Jugendkulturforschung ist in Deutschland mit Wyneken und in Österreich mit
Bernfeld anzusetzen; beide beschäftigten sich und unterstützten die „Jugendbewegung“, die als
Wandervogel bekannt wurde, und nahmen in ihren Arbeiten einen sozialpädagogischen Fokus
ein (Waechter 2006). So wie sich die Jugendkulturen im Laufe der Zeit wandelten, änderte sich
auch die wissenschaftliche Herangehensweise. In den Vierziger und Fünfziger Jahren wurde
Jugendkultur als abweichendes Verhalten interpretiert. Begründet und berühmt geworden ist
diese Tradition durch Whyte’s „Street Corner Society” (1943). Im Zuge der
„Studentenbewegung“ in den späten Sechzigern wurde der Begriff „Gegenkultur“ eingeführt.
Auch in den Siebziger und Achtziger Jahren schien Jugendkultur in erster Linie eine
Abgrenzung gegenüber Erwachsenen und dem herrschenden System zu bedeuten, und wenn
es auch weniger neue Gesellschaftsentwürfe waren, wie sie von der Studentenbewegung
postuliert wurden, vertraten sie doch gesellschaftskritische Ideen und versuchten, eigene
Werthaltungen und Lebensweisen aufzubauen. Die jugendlichen Bewegungen wurden als
„Jugendsubkulturen“ im Sinne von gesellschaftlichen Teilkulturen, die sich in den zentralen
Werten und Normen von jenen der Gesamtgesellschaft abgrenzen, beschrieben. Im
deutschsprachigen Raum beschäftigte sich insbesondere Rolf Schwendter mit den
(jugendlichen) Subkulturen. In seiner Theorie der Subkultur“ beschreibt er Subkultur als „Teil
einer konkreten Gesellschaft, der sich in seinen Institutionen, Bräuchen, Werkzeugen, Normen,
Wertordnungssystemen, Präferenzen, Bedürfnissen usw. in einem wesentlichen Ausmaß von
den herrschenden Institutionen etc. der jeweiligen Gesamtgesellschaft unterscheidet“
(Schwendter, 1973, S.11). Die international bedeutendsten Forschungsarbeiten entstanden im
britischen CCCS („Centre for Contemporary Cultural Studies“). Die CCCS VertreterInnen
haben festgestellt, dass eine bestimmte Kultur immer die einer bestimmten Klasse ist. Demnach
sind Subkulturen immer Subsysteme entweder der herrschenden Kultur (Ober- und
Mittelschicht) oder der Kultur der Arbeiterschicht. Jugendliche Subkultur entwickeln sich immer
in Relation zu ihrer jeweiligen Klassenkultur (dominante Kultur oder Arbeiterkultur) (siehe Willis,
1981; Hall & Jefferson, 1976). Kaum war der starke Zusammenhang von sozialer Herkunft und
Jugendkulturzugehörigkeit formuliert, wurde auch schon Kritik geübt, dass zwischen
industriellem Kulturmuster (nach dem Schichtenmodell) und postindustriellem Kulturmuster, bei
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dem die Kulturen nicht mehr mit den sozialen Schichten korrelieren, unterschieden werden
müsse (Lewis 1978). Der deutsche Jugendforscher Baacke führte vor allem an Hand von drei
Argumenten aus, warum der Begriff der Subkultur nicht (mehr) zur Beschreibung und Erklärung
von Jugendkulturen herangezogen werden kann: Erstens ist Subkultur nicht als Kultur unterhalb
der dominanten Kultur zu verstehen. Zweitens geht die Subkultur-Theorie fälschlicherweise
davon aus, dass einzelne Subkulturen präzise lokalisierbar sind, das heißt in einer bestimmten
Schicht auftreten oder mit einer bestimmten politischen Einstellung verbunden sind. Drittens
schließlich sind Subkulturen keine unabhängigen Teilsegmente der Gesellschaft, sondern es
gibt eine Fülle von Übergängen zur Gesamtgesellschaft (Baacke 1987, S.123f). Damit hat
Baacke vorweggenommen, was zum späteren Common Sense in der Jugendkulturforschung
wurde - die Abkehr vom „Subkultur“-Begriff. Seit den Neunzigern wird in der Jugendforschung
vermehrt von selbst gewählten, von der sozialen Herkunft unabhängigen und entideologisierten
Lebenstilen und Jugendszenen gesprochen. Dieser, mittlerweile als „post-subcultural“
bezeichneter Ansatz wird sowohl von britischen wie auch deutschen JugendkulturforscherInnen
vertreten (Muggleton 2000; 2005; Ferchhoff 2006; 2007; Baacke 2004). Ausgehend von einem
gesamtgesellschaftlichen Strukturwandel (Individualisierung, Entstrukturierung,
Destandardisierung, Differenzierung und Pluralisierung) wird auch für Jugendkulturen
festgestellt, dass sie schnelllebig, flexibel sowie offen nach innen wie nach außen sind.
Offenheit nach innen bedeutet, dass es möglich ist, in Jugendkulturen bei gleichzeitiger
Anpassung an die Regeln der Gesamtgesellschaft zu partizipieren. Offen nach außen dagegen
meint, dass die Abgrenzung zu anderen Szenen und zur Gesamtkultur der
Erwachsenengesellschaft geringer und durchlässiger ist. Jugendliche können gleichzeitig an
mehreren Szenen partizipieren, wobei sich die meisten nicht im Szenekern, sondern an seiner
Peripherie befinden. Auch Szenewechsel sind bei aktuellen Jugendszenen verglichen mit den
Jugendsubkulturen einfacher geworden. Schließlich wird davon ausgegangen, dass die
Jugendlichen ihre Szenenzugehörigkeit nicht in Abhängigkeit von ihrer sozialen Herkunft
wählen. Im Allgemeinen wurden strukturelle Betrachtungen aber zugunsten von der
Beschreibung von Szenen, Style und Musik vernachlässigt.

Jüngste Auseinandersetzungen mit Jugendkulturen kritisieren wiederum genau dieses
Ignorieren von strukturellen Bedeutungen (Shildrick & MacDonald 2006; McCulloch, Stewart,
& Lovegreen 2006) und belegen mittels theoretischen Auseinandersetzungen wie auch
empirischen Studien, dass die sozialstrukturelle Herkunft immer noch wesentliches
Differenzierungskriterium für den Zugang zu Jugendkulturen ist. Shildrick & MacDonald
(2006) verweisen darauf, dass die allgemeine Jugendforschung in letzter Zeit zeigen konnte,
welche Bedeutung soziale Trennungen für das kulturelle Leben und Identitäten von
Jugendlichen nach wie vor einnehmen: „very recent youth research that demonstrates the
continuing role of social divisions in the making and shaping of young people’s leisure lives
and youth cultural identities and practices.” (S.125). Auch in der deutschen
Jugendkulturforschung wird Kritik geäußert: „Jenseits der ästhetischen Inszenierung spielt
die sozialstrukturelle Herkunft der Jugendlichen, bezogen auf Schicht, Milieu, ethnische
Herkunft oder Geschlecht weiterhin eine zentrale Rolle für die Einschätzung von
Jugendkulturen. Es macht einen prinzipiellen Unterschied, ob ein Hip Hop Fan
beispielsweise als junger Mann aus dem türkischen Migrantenmilieu oder als junge Frau aus
einer weißen Akademikerfamilie stammt.“ (Spatscheck 2005, S.424).

Ein zweiter, aktueller Diskussionsstrang behandelt den Widerstandcharakter bzw. die
potentielle Entideologisierung aktueller Jugendkulturen. Dieser Diskurs hat zwar auf den
ersten Blick mit der Diskussion um die Bedeutung der sozialstrukturellen Zugehörigkeiten für
die Teilnahme an Jugendkulturen nicht viel gemeinsam, dennoch zeigen sich
Übereinstimmungen. Diejenigen VertreterInnen der Jugendkulturforschung, die sich auf
stilistische Ausdrücke von Jugendkultur konzentrieren und der Sozialstruktur eine
schwindende Bedeutung bemessen, sehen tendenziell auch wenig Widerständisches in den
aktuellen Jugendkulturen. Das Verschwinden der „Jugendsubkulturen“ zugunsten von
„Jugendszenen“ sei auf sozialstrukturelle und kulturelle Wandlungsprozesse sowie auf
zunehmende Ausdifferenzierung und Individualisierung sozialer Lebenslagen
zurückzuführen. „Die heutigen Jugendkulturen weisen im Gegensatz zu klassischen
Jugendkultur-Konzepten weit weniger Affinitäten zu hochkulturellen, klassenkulturellen und
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schichtspezifischen Dimensionen auf und sind vor allem noch stärker freizeit-, symbol- und
medienbezogen, konsumorientiert sowie entschieden schulferner.“ (Ferchhoff 2006, S.125).
Ferchhoff sieht keinen einheitlicher Bezugspunkt einer dominanten Kultur mehr, sondern „der
Jugendsubkulturbegriff in seinem widerständig-konfliktträchtigen und asymmetrischen
Anderssein (…) scheint im (…) weitverbreiteten anything goes der Stilmixe abhanden
gekommen sein“. (S.124) KritierInnen dieses Ansatzes bemerken, dass die „post-
subculturalists” den politischen, widerständischen, subkulturellen Charakter von
Jugendkulturen vernachlässigen würden (Blackman 2005; zit. nach Shildrick & MacDonald
2006, S.136).

Demgegenüber gibt es eine Reihe von ForscherInnen, die zwar eine unterschiedliche
Herangehensweise der jugendkulturellen Akteure bemerken, aber sie eben als konstruktive
„Handelnde“ wahrnehmen. So zitieren Roth & Rucht (2000) Beck, der bei Jugendlichen zwar
einen gewissen Individualisierungszwang, aber auch die Chance zum Erfinden ihrer eigenen
Biographie sieht. „Die Jugendlichen werden nicht individualisiert, sondern individualisieren
sich selbst.“ (Beck 1998, S.62, zit. nach Roth & Rucht 2000 – Hervorhebungen im Original).
Die Vielfalt der gegenwärtigen Jugendstile ist Ausdruck dieser selbständigen
„Biographisierung“ und bedeutet, dass die Jugendliche in „experimentellen
Suchbewegungen“ aktiv ihr eigenes Leben gestalten (Beck 1998, S.62, zit. nach Roth &
Rucht 2000). „Die Abkehr von institutioneller Politik, ihre Lust am Spaßhaben und ihr
selbstorganisiertes Engagement für andere, ihre ‚hochpolitisierte Politikverleugnung (Beck
1997, S.11) lässt Jugendliche zu den politischen Hoffnungsträgern der ‚zweiten Moderne’
werden.“ (Roth & Rucht 2000, S.13)

Nachdem sich einstmalige Klassenunterschiede weitestgehend verschoben haben und neue
gesellschaftliche Unterscheidungen hinzugekommen sind, müsse auch Jugendkultur und
dessen Widerstand nicht mehr „in einer am Klassenmodell orientierten Logik nachgehen,
sondern die Mikroprozesse jugendkulturellen Protests innerhalb von Gesellschafts- und
Machtformationen in den Blick nehmen“. (Hagedorn 2008, S.27). Es geht nun weniger um
Widerstand gegen „Durchschnittsbürger“ und Eltern, weil auch (kulturelle) Minderheiten sehr
schnell zum Mainstream werden. Der jugendkulturelle Widerstand kann auch nicht mehr als
Ausdruck eines Klassenkonflikt oder „stimmgewaltige Opposition“ definiert werden, sondern
„Widerstand, und damit die Potentialität, gesellschaftliche Ordnungsstrukturen subversiv zu
unterlaufen, liegt in den kleinen unauffälligen kunstvollen Alltagsprozeduren von
Konsumenten, die in diesem gesellschaftlichen Regelkanon herumwildern:“ Diese
Improvisationen hängen von den jeweiligen Umständen und Gelegenheiten ab und
funktionieren daher „eher als Spielzüge, denn als Wahrheiten oder beständige Sinn- und
Bedeutungswelten“. (Hagedorn 2008, S.39).

Jugendkulturen nehmen also verschiedene Funktionen mit emanzipatorischem Potential für
Jugendliche ein: Als kreative StilistInnen sind sie als konstruktive Akteure zu begreifen, die
gesellschaftliche Normen subversiv auf lustvolle Art und Weise angreifen. Jugendkulturen
bieten eine Menge an Provokationspotential und die Teilnahme an Jugendkulturen kommt
dem jugendlichen Abgrenzungsbedürfnis und der Lust am Tabubruch und
Grenzüberschreitung entgegen. „Die jugendkulturellen Szenen enthalten ein vielfältiges
Repertoire an Zeichen und Symbolen, die das ‚Ganz-anders-Sein’ zum Ausdruck bringen,
die eignet sind, mit ästhetischen Konventionen zu brechen, zu provozieren, zu schockieren
und Tabus zu verletzen.“ (Göppel 2005, S.51). Das experimentelle Aneignen, Entwickeln und
Aushandeln von Stilen und Ausdrucksformen ist auch als Teil der Identitätsentwicklung zu
begreifen. Die jugendkulturelle Teilnahme mag zwar vergänglich sein, aber Jugendkultur nur
als transistorisch zu sehen, wäre zu verkürzt. Jugendkultur wirkt für Jugendliche sinnstiftend
und ist somit als nachhaltiges Phänomen zu betrachten (vgl. Roth & Rucht 2000).

Roth & Rucht nennen die Entstrukturierung des Politischen als Kennzeichen von
Jugendkultur: „Die schroffen Gegenüberstellungen von Kommerz und Politik, von Protest
und Anpassung, von Politik und Kultur, die die Jugenddebatten seit Jahrzehnten begleiten,
beginnen sich abzuschleifen, wenn nicht gar aufzulösen. Dass es weiterhin diese
Extremwerte gibt, kann als gesichert gelten. Aber es mehren sich Phänomene, die
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Eindeutigkeit vermissen lassen. Gegen ein auf Macht und Herrschaft bezogenes
Politikverständnis wird eine Politik der Lebensstile ins Spiel gebracht, die sich bewusst von
den Ansprüchen emanzipatorischer Projekte, von Zukunftsorientierungen und
Gesellschaftsvisionen zugunsten einer Glückssuche im Hier und Jetzt verabschiedet.“ (Roth
& Rucht 2000, S.23). Als Beispiele werden Berliner Skater, die sich die Straße zueigen
machen, angeführt. Aber auch das jugendliche oder jugendkulturelle Engagement in sozialen
Bewegungen, entspricht diesen Annahmen. Jugendliche schaffen dabei häufig eigene
Netzwerke und Aktionsformen, die ihnen entsprechen, und die teils im Einklang und teils im
Widerspruch zur Kooperation mit den Erwachsenen stehen. Im Folgenden werden die
beiden Jugendkulturen SkateboarderInnen und HausbesetzerInnen vorgestellt und auf
Grundlage des Jugendtheoriekultur-Diskurses um widerständisches Handeln diskutiert.

4 Jugendkultur, politische Einstellungen und politisches Engagement

Ein Kennzeichen der jüngeren Entwicklung von Jugendkulturen ist die zunehmende
Ausdifferenzierung in verschiedene Szenen und Subszenen. Hinsichtlich des Einflusses des
sozio-ökonomischen Status auf die möglichen Zugehörigkeiten zu Jugendkulturen ist
festzustellen, dass es kaum mehr möglich ist, klare Zuordnungen vorzunehmen. Innerhalb
einer jugendkulturellen Richtung bilden sich jedoch Subszenen, die teilweise eine relativ
genaue sozio-ökonomische Zuordnung erlauben. Beispiele für solche Subgenres, die jeweils
einem bestimmten Publikum entsprechen, sind in vielen Jugendkulturen zu finden. Unter
dem Überbegriff Techno wird zum Beispiel die Free-Tekno-Szene mit konsum- und politk-
kritischem Hintergrund genauso wie die konsumorientierte Krocha-Szene2 subsumiert.
HipHop bringt bereits seit einiger Zeit verschiedene, konträre Spielarten hervor: Obwohl zwar
unter der Schirmherrschaft des Begriffs und der Kultur „HipHop“ vereint, könnten Substile
alleine im deutschsprachigen Raum wie zum Beispiel die VertreterInnen von Aggro-Berlin im
Vergleich zu „akademischem“ gesellschaftskritischen HipHop in ihren inhaltlichen
Orientierungen nicht gegensätzlicher sein. Außerdem gibt es vor allem im Bereich der
ideologisch orientierten Jugendkulturen gewisse Häufungen – so werden unter den
GlobalisierungskritikerInnen vermehrt mittelständische, höher gebildete junge Menschen zu
finden sein.

Im Allgemeinen ist es sinnvoll, fünf verschiedene Tendenzen jugendkultureller
Ausprägungen zu unterscheiden: musikorientierte Jugendkulturen, sportorientierte
Jugendkulturen, ideologisch orientierte Jugendkulturen, computer- und medienorientierte
Jugendkulturen und Fankulturen (Waechter 2006). Ideologisch orientierten Jugendkulturen
können bestimmte politische oder religiöse Anschauungen zugeordnet werden können,
wobei das politische Spektrum der Einstellungen und Werthaltungen von rechtsradikal und
rassistisch (z.B. rechte Skinheads) über religiös-konservativ (z.B. „Junge Christen“),
anarchistisch und selbstbestimmt (z.B. Autonome, TierbefreierInnen) bis zu linksradikal und
intellektuell (z.B. GlobalisierungskritikerInnen, Antifa) reichen kann (vgl. ebd.). Die politische
„Mitte“ findet sich eher in der „verbandlichen Jugendkultur“ – das sind jene Jugendlichen,
welche die Jugendorganisationen der politischen Parteien und Verbände bilden.
Jugendkulturen ohne ausdrücklichem gemeinsamen ideologischem Fokus können aber
ebenfalls gemeinsame Anschauungen teilen, zum Beispiel sympathisieren Punks in der
Regel mit anarchistischen oder linken Ideen. Gleichzeitig gibt es aber Christen-Punkrock-
Bands, was deutlich gegen leichte ideologisch zuordenbare Jugendkulturen spricht.

Eine empirische Untersuchung von Pfaff (2006 und 2007) hat sich unter anderem auch damit
befasst, wie Präferenzen für Politik und Jugendkultur zusammenhängen. Diejenigen, die mit
Jugendkulturen etwas anfangen können, d.h. die sich selbst im Spektrum der
Jugendkulturen positionieren können (das sind etwa zwei Drittel der deutschen
Jugendlichen), hat sie wiederum in zwei Gruppen geteilt. Innerhalb der ersten Gruppe, die
sich Proteststilen und alternativen Musikstilen zugeneigt fühlen, wurden vier Untergruppen
ermittelt. Den knapp größten Teil (10% aller jungen Deutschen) bilden Mainstream-

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    Spezifisch österreichische Ausprägung der Gabba/Jumpstyle-Szene.
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Musikfans mit Sympathien für die rechte Szene. 9% der Jugendlichen hören ebenfalls am
liebsten Mainstream Musik, sympathisieren aber mit links-alternativen Szenen. 7%
bevorzugen Punk, Gothic, Metal und die Antifa-Szene, und 4% sympathisieren mit
Skinheads, Neonazis und Hooligans. Innerhalb der zweiten Gruppe der deutschen
Jugendlichen, die überhaupt Präferenzen ausdrücken können, wurden drei Typen von
Jugendlichen zusammengefasst, denen gemeinsam ist, dass sie populäre Musikstile
bevorzugen. Dabei gehören die meisten zur Gruppe der Computerfreaks (12%); und die
beiden anderen Gruppen werden von HipHop-Fans (9%) und Pop-Fans (9%) gebildet (Pfaff
2007). Entsprechend diesem empirischen Befund, sympathisieren also fast ein Drittel der
Jugendlichen mit Protestkulturen. Klare Zusammenhänge zwischen Jugendkulturen und
politischen Anschauungen sind aus den Ergebnissen dieser Studie allerdings nicht zu
erkennen, außer dass Punks, Gothics und Metaller auch der Antifa-Szene nicht abgeneigt
sind. Pfaff (2007) hat zwei Gruppen (Punks/Gothics und HipHopper) bezüglich ihrer
politischen Einstellungen und Handlungen tiefer gehend untersucht. Jugendliche, die sich als
Punks oder Gothics bezeichneten, beschrieben sich selbst als politisch links und betonten
ihre Toleranz, die sie gegenüber Anderen, außer gegenüber faschistischen und rechten
Gruppen hätten. Politische Diskussionen sind Bestandteil der Szene und zu
Demonstrationen zu gehen gehört für die Jugendlichen selbstverständlich dazu.
Demgegenüber zeigt sich die HipHop-Szene weniger politisch interessiert und vertritt im
geringeren Ausmaß konkrete politische Anschauungen. Kritische Auseinandersetzung mit
sozialer Ungleichheit finden tendenziell auf einer persönlichen Ebene statt und werden in
Rap Lyrics ausgedrückt. Auch politisches Engagement wird nur auf das unmittelbare Umfeld
(Nachbarschaft) bezogen ausgeübt. Im HipHop zeigt sich damit, dass es zwar wenig
Interesse für traditionelle Politik und Beteiligungsformen gibt, gleichzeitig aber mittels
kulturellen Ausdrucksformen Widerstand gegen bestehende Verhältnisse ausgedrückt wird.

5 SkateboarderInnen

Für die folgende Darstellung der beiden Jugendszenen der SkateboarderInnen und
HausbesetzerInnen in Bezug auf jugendkulturelle und politische Handlungspraxen wurde auf
empirisches Interviewmaterial zurückgegriffen, welches im Rahmen von mehreren
Seminaren an der Universität Wien3 im Zeitraum von 2007 bis 2008 erhoben wurde. Für die
Durchführung der qualitativen, teilstrukturierten Interviews wurde jeweils dieselbe
Leitfadenstruktur verwendet. Das Hauptaugenmerk der Datenerhebung und Auswertung im
Rahmen des Seminars lag auf einer umfassenden Erfassung einer je bestimmten
Jugendkultur hinsichtlich ihrer Ausdrucksformen, Inhalte, Werthaltungen, Aktivitäten, usw.
Für den vorliegenden Artikel habe ich nun eine fokussierte, inhaltsanalytische Auswertung
von 15 Interviews (davon 8 mit HausbesetzerInnen und 7 mit (ausschließlich männlichen)
Skateboardern) hinsichtlich Jugendkultur und politischer Partizipation durchgeführt. Die
Interviewten kamen aus verschiedenen Orten und Bundesländern Österreichs und waren
zum Zeitpunkt des Interviews zwischen 17 und 34 Jahre alt.

Obwohl sich Skateboarder4 und Skateboarderinnen am ersten Blick nicht besonders von
Durchschnittsjugendlichen unterscheiden, haftet ihnen etwas Besonderes, Unnahbares,
Unabhängiges und Draufgängerisches an. Die Jugendkultur hat nach dem Entstehen in den
USA auch rasch in Europa Fuß gefasst und bereits mehrere Wellen an Beliebtheit und
Verbreitung erlebt. Wahrscheinlich hat der rebellische Charakter auch etwas mit der
Entstehungsgeschichte zu tun: Kalifornische Surfer und Surferinnen, denen im Winter das
3
  Die verwendeten Interviews wurden in den von mir an der Universität Wien geleiteten Seminaren in
den Semestern SS2007, WS 2007/08, SS 2008 und WS 2008/09 erhoben.
4
  Im deutschen Sprachgebrauch wird für die Jugendkultur von Außenstehenden eher die Bezeichnung
Skater verwendet; im Englischen bezeichnen sich die Angehörigen nicht als Skater sondern als
Skateboarder, auch in Abgrenzung zu den „Inline-Skatern“, die englisch verkürzt „Skater“ genannt
werden. Nachdem auch von den deutschsprachigen Szene-Angehörigen vorrangig der Begriff
Skateboarder gebraucht wird, wird hier die besprochene Szene als die der „Skateboarder“
bezeichnet.

                                                                                                 8
Wasser doch zu kalt war (Neopren war noch nicht verbreitet), begannen an zu kalten oder
wellenarmen Tagen, in leeren, ausgelassenen Swimmingpools in den Suburbs von Los Angeles
und Orange County auf Boards mit Rädern zu „surfen“. Im Gegensatz zu europäischen
quaderförmigen Pools hatten die kalifornischen Pools an den Rändern eine Wölbung und
glichen einer Schüssel. So konnten sie als erste Pipes dienen und das Skateboarden war
erfunden. SurferInnen wie SkateboarderInnen galten als Outsider der Gesellschaft, die sich
nicht einem Nine-to-Five Job unterwarfen, sondern am Strand und auf der Straße lebten. Die
Benützung und damit Aneignung fremder Pools in fremden Gärten war nicht nur einfach
verboten und brachte somit Probleme mit sich, sondern war vor allem auch ein Angriff auf die
Bürgerlichkeit und den Schein des perfekten Lebens in der Vorstadt. Nicht zufällig gab es auch
enge Verbindungen zur lokalen Punk- und Hardcore-Szene, deren überregional bekannt
gewordene VertreterInnen sich auch gerne als SkateboarderInnen ausgaben. Umgekehrt hörten
SkateboarderInnen auch bevorzugt Punkrock (was mittlerweile insbesondere durch HipHop
ergänzt wurde).

Mittlerweile wurden in den vielen Städten Amerikas und Europas Skateparks errichtet, die den
Jugendlichen erstens einen Treffpunkt und zweitens ein eigenes und geeignetes Gelände mit
Möglichleiten zum Springen und zur Ausübung anderer Tricks bieten. Die Ausdifferenzierung in
verschiedene Szenen machte auch vor den SkateboarderInnen nicht halt. Grundsätzlich
unterscheidet man zwischen Street-Skateboardern5 und den Rampen- und Pool-Skateboardern
(letztere im folgenden Park-Skater/Park-Skateboarder genannt), wobei Skateboarder oft eine
dieser Ausrichtungen präferieren und sich einer bestimmten Szene zugehörig fühlen. Park-
Skater bewegen sich am liebsten in den Skateparks und üben ihr Tricks während sich Street-
Skater nicht mit dem für sie bereit gestellten Raum zufrieden geben und stattdessen lieber den
urbanen Raum mit seinen „natürlichen“ Obstacles nutzen. Damit greifen sie die Ursprungsidee
des Skateboardens auf: vorhandenen Raum zu eigenen Zwecken zu benutzen und diesen,
wenn notwendig, mit kleinen Betonarbeiten brauchbarer zu machen, womit sie sich schnell in
der Illegalität bewegen: Weder ist Skateboarden an öffentlichen, beliebten Plätzen häufig
erlaubt, besonders nicht an solchen, die auch für TouristInnen interessant sind, noch sind sie in
Siedlungen oder ruhigeren Straßenzügen aufgrund von Lärmbelästigung willkommen. Aber
auch dort, wo sie weder den Touristenverband noch die Vorstädter stören könnten, dafür aber
ein paar Adaptierungen an möglichen Spots notwendig sind, kommt es rasch zu Problemen:
Eigenmächtiges Betonieren, um etwa das Auffahren für einen Sprung zu ermöglichen, wird von
der öffentlichen Verwaltung nicht toleriert. Naturgemäß gibt es in größeren Städten eher Street-
Skater als am Land, da in der Stadt, wie es ein Skateboarder im Interview ausdrückt, einfach
„viel mehr street“ da ist, während viele ländliche Gemeinden Skateparks errichten:

       „Gibt es irgendwelche regionale Besonderheiten, also im städtischen Bereich und im
       ländlichen Bereich?“
       „Ja, natürlich, weil natürlich in der Stadt viel mir street da ist. Es ist viel mehr Architektur,
       viel mehr verschiedenstes Terrain zu suchen und auch zu finden, und am Land ist das
       halt nicht so, weil in einem kleinen Dorf gibt es nicht unbedingt jetzt, Dreierstiegen,
       Viererstiegen, Zwölferstiegen, Handrails in den verschiedenen Höhen, sondern da gibt
       es meistens einen Spot und dort fahrt man halt dann. Und dort und da gibt es am Land
       halt noch einen Skatepark, und es wird eher Skatepark gefahren als Straße.“ (m, 29)

Street-Skateboarder und Park-Skateboarder haben ein gemeinsames Anliegen - die
Nutzungsrechte am öffentlichen Raum - , das sich aber in verschiedenen Forderungen darstellt:
Park-Skater fordern von der zuständigen Gemeinde, einen Teil der öffentlichen Fläche nutzbar
zu machen und einen guten Skatepark idealerweise mit guter öffentlicher Verkehrsanbindung
zu errichten und zu erhalten. Street-Skater fordern, dass sie bereits existierende öffentliche
Plätze, die gerne der touristischen Nutzung vorbehalten sind, ebenfalls nutzen dürfen. Im Zuge
dieser Anliegen kommen beide Gruppen in Kontakt mit lokaler Politik und diskutieren die
Problematik in eigenen oder anderen Medien. Das Aushandeln um die mögliche Verwendung

5
 Obwohl ich mich als Vertreterin und Verfechterin der gegenderten Formulierung verstehe, finde ich
bei der Benennung der differenzierten Szenemitgliedschaften eine ungegenderte Ausdrucksweise
angebrachter, zumal es sich um ursprünglich englische Ausdrücke handelt.
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öffentlichen Raums passiert aber nicht nur mit VertreterInnen aus der Politik. In Cork (Irland)
zum Beispiel sind es vor allem die Securitykräfte der Einkaufszentren, die auf skatefreie Zonen
achten (und damit unwissentlich zum Spaß der gejagten SkateboarderInnen beitragen),
während die Polizei üblicherweise kein Problem mit SkateboarderInnen hat. Aber auch Park-
Skater erleben Interessenskonflikte mit anderen Bevölkerungsgruppen, die ebenfalls den Park
nutzen wollen. In einem Interview werden die BMX-FahrerInnen als Feinbild der
SkateboarderInnen beschrieben:

       „Zum Beispiel werden die BMXler sehr gehasst, weil die oft die Spots für die
       Skateboarder kaputtmachen mit ihren schweren Fahrrädern, die springen halt dann auf
       die Kanten, die dann kleine Dellen bekommen und mit den kleinen Achsen muss halt die
       Kante möglichst fein sein. Also da gibt’s dann schon Hatereien und so.“ (m, 23)

Lokale Skateboarderszenen sind meist nicht formal organisiert, können aber auch zum Beispiel
mit Einrichtungen oder Organisationen der Jugendarbeit zusammenarbeiten. In Cork haben sich
die SkateboarderInnen aber eigenständig organisiert und das “Cork Urban Skateboard Project”
(CUSP) gegründet. Die Anbindung an die lokale Jugendarbeitseinrichtung “Youth Action Cork”
ermöglicht ihnen eine formale Stellung und mehr Unterstützung im Rahmen der Jugendarbeit.
Die SkateboarderInnen bereiten ihre Teilnahme an den nächsten Gemeindewahlen (2009) vor,
mit dem Ziel für ihre Anliegen ein breiteres öffentliches Forum zu gewinnen. Sie schätzen die
Situation realistisch genug ein, um sich nicht ein Mandat zu erhoffen, gehen aber davon aus,
dass in Bezug auf junge Leute doch eine Konkurrenz für die anderen, traditionellen Parteien
darstellen und damit diese Parteien zwingen können, ihre Anliegen Ernst zu nehmen (Waechter
et al. 2008).

Ein weiteres Beispiel für Partizipationsstrategien sind die Kölner Skateboarder und
Skateboarderinnen, die sich im Konflikt mit den Stadtbehörden um den Platz am Dom, ein
zentraler Treffpunkt der lokalen sowie internationalen Skateboarderszene, befinden. Für ihr
Anliegen, die „Domplatte“ oder alternative Plätze zum Skateboarden benutzen zu können,
gründeten sie „Dom Skateboarding e.V.“ als „Verein zur Wahrung und Förderung der
Bewegungskultur im öffentlichen Raum“. Vom Verein wurde zum Beispiel der „Go
Skateboarding Day“ im Juni 2009 abgehalten, bei dem SkateboarderInnen dazu aufgerufen
waren, zur Domplatte zum Skaten zu kommen.

Neben den offensichtlichen Forderungen von SkaterboarderInnen, die in erster Linie die
Nutzung von öffentlichem Raum betreffen, enthält die Jugendkultur auch partizipatives,
politisches Potential, wenn ihre Handlungen als gesellschaftlich subversiv betrachtet werden. In
den Interviews mit österreichischen (männlichen) Skaterboardern wird vielfach betont, dass die
sportliche Leistung zwar ein wichtiges Ziel ist, gleichzeitig aber die individuelle
Herangehensweise und die Spaßorientierung nicht zu kurz kommen dürfen. Damit stehen
SkateboarderInnen im starken Kontrast zu traditionellen Sportarten mit dazugehöriger
Sportkultur.

       „Und es war halt einfach eine Art mich auszudrücken, wo ich sag, trotzdem mach ich
       einen Sport, aber ich mache halt jetzt nicht unbedingt einen Mannschaftssport wie
       Handball oder sonstiges. Ich war schon immer sportlich versiert und ich habe Fünfkampf
       einmal gemacht, aber das waren dann alles halt Sportarten wo es um sehr viel Disziplin
       geht, sehr viele Vorschriften, da gibt es einen gewissen Plan und das ist halt beim
       Skateboard fahren nicht so. Beim Skateboard fahren geht man jeden Tag hinaus, sucht
       sich einen neuen Spot und den fährt man. Ich glaub, dieses Individuelle war halt der
       Reiz dran.“ (m, 29)

Ein wesentliches Kennzeichen von Jugendkulturen ist das Verhandeln von Zugehörigkeiten und
Abgrenzungen. Innerhalb der SkateboarderInnen kann nun nicht nur zwischen Street-Skatern
und Rampen- oder Pool-Skatern unterschieden werden, sondern Szenen werden auch rund um
Musikorientierungen und –kulturen gebildet. In Wien konnte man beobachten, dass sich das
lange Zeit vorherrschende einheitliche Erscheinungsbild der Skateboarder und
Skateboarderinnen (weite Hosen und Shirts) gewandelt hat. Heute sieht man sie nicht nur im
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klassischen Outfit, das an die HipHop-Kultur angelehnt ist, sondern viele tragen auch enge
Hosen und Shirts im Emo-Style. Während zurzeit die Trennung in „HipHop Skater“ und „Emo-
Skater“ recht augenscheinlich ist, gab es aber immer schon auch Vorlieben für Punk und
Hardcore in der Skaterszene. Beiden Jugendkulturen, an denen sich SkaterboarderInnen
gerade vorrangig orientieren, HipHop und Emo, wird Subversion und Widerständigkeit von
mehreren Seiten abgesprochen wird. HipHop wird insgesamt als Mainstream betrachtet und die
auffälligen Erscheinungen, wie sie vor allem von Aggro Berlin repräsentiert sind, werden als
reaktionär eingestuft. Emo dagegen wird sowohl von anderen Jugendkulturen als auch von
wissenschaftlichen BetrachterInnen als nicht authentisch eingestuft (vgl. Waechter/Triebswetter
2009). Eine Herangehensweise, die den (jugend)kulturellen Ausdruck als Angriff gegen die
Normalität begreift, kommt jedoch zu einem anderen Ergebnis. Für HipHop und Emo trifft
gleichermaßen zu, dass ihr vermeintlich nicht-subversives Verhalten auf sehr viel Widerstand
stoßt. Den HipHoppern sind die Emos verhasst, weil sie sich dem normalen Männlichkeitsbild
widersetzen, die Emos hassen die HipHopper weil sie homophob und reaktionär sind, und die
linke und rechte Öffentlichkeit stößt sich bei der jeweils ihren Idealen entgegen gesetzten
Jugendkultur an deren Verweigerung gegenüber gesellschaftlicher Disziplinierung und
Normalisierung (vgl. Waechter/Triebswetter).

In erster Linie definieren sich SkateboarderInnen zwar über ihre Jugendkultur, allerdings zeigen
die Verbindungen zu HipHop, Emo, Punk und Hardcore, dass in musikkulturellem Bezug vor
allem solche Richtungen gefragt sind, die explizite oder subversive Gesellschaftskritik
aufweisen oder verkörpern. Gleichzeitig versteht sich auch die Skateboardkultur selbst in
mehrerer Hinsicht als non-konform: Skateboarden wird nicht als Sport, sondern als zentraler
Lebensinhalt und Lebensstil betrachtet. In den Interviews stellen sich die Befragten als von der
Normalität abweichend dar:

       „…ich glaub Skateboarding ist schon eine Lebenseinstellung, eben grad dieses Lockere
       und Innovative, dieses Anders-Sein als die anderen, prägt sicher den gesamten
       Lebensstil und man lebt das schon ein bissl.“ (m, 29)

Der Widerstandscharakter der Jugendkultur der SkateboarderInnen zeigt sich
zusammengefasst in zweierlei Hinsicht: Zum einen bilden lokale Skateboardgruppen
Interessensgemeinschaften und setzen sich mit der lokalen Politik in Verbindung. Zum anderen
besteht der partizipatorische Aspekt im Handeln selbst: in der Raumaneignung, im Aushandeln
der „Nutzungsrechte“ der Räume, in der jugendkulturellen Selbstdarstellung mit Anleihen an
HipHop oder Emo, in der unkonventionellen Sportausübung, kurz – in der non-konformen,
öffentlichen Präsentation und Ausleben ihres eigenen Stils, eigenen Werthaltungen und
Verhaltensweisen.

6 HausbesetzerInnen

Obwohl HausbesetzerInnen eher in die Gruppe der politischen Jugendkulturen der Achtziger
Jahren eingeordnet werden (vgl. Waechter 2006) und ihre Blütezeit damit vorüber scheint,
blieben sie als Jugendkultur existent und zeichnen sich zumindest in Österreich durch eine
Vielzahl an Aktivitäten aus. Gut vernetzt konnte sich eine überregionale Szene bilden, die sich
bei ihren Projekten gegenseitig unterstützt. Die Hauptaktivität liegt naturgemäß im Besetzen von
leerstehenden, ungenützten Gebäuden oder Arealen. Dabei gibt es mehrere Arten solcher
„Besetzungen“: Erstens werden Gebäude (oder Areale) mit wenig Hoffnung auf eine langfristige
Nutzungsperspektive besetzt. Trotzdem können damit mehrere Funktionen erfüllt werden: Es
kann als politisches Ausdrucksmittel verstanden werden, mit dem auf die Wohnraumsituation
und Gentrifikationsprozesse sowie auch auf die autonome Aneignung hingewiesen wird. Der
gewonnene Raum kann auch als kurzfristiger Treffpunkt dienen und die Infrastruktur für
verschiedene Aktivitäten bieten. Zweitens werden Gebäude leise besetzt mit dem vorrangigen
Ziel, eine Wohnmöglichkeit für meist mehrere Personen zu schaffen. Diese Praxis gibt es
natürlich auch unabhängig von der HausbesetzerInnen-Szene; obdachlos-gewordene
Menschen versuchen auch ohne Szene-Eingebundenheit kurzfristig ein Dach über dem Kopf zu
bekommen. Drittens gibt es die Instandbesetzung, die in gewisser Weise als Ideal der
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HausbesetzerInnen-Szene beschrieben werden kann. Damit wird ein ungenutztes Gebäude
nicht nur kurzfristig besetzt, sondern die Besetzung ist auf eine mittel- bis längerfristige Nutzung
angelegt. Idealerweise gewähren die Eigentümer den neuen BewohnerInnen die Bleibe, was es
jenen wiederum ermöglicht, bauliche, elektrische oder Installationsarbeiten im und am Haus
vorzunehmen und damit das Haus wieder bewohnbar zu machen. Zwischen diesen drei Arten
der Besetzung gibt es keine harten Grenzen, alle Mischformen sind möglich. Die aktiven
HausbesetzerInnen suchen sich auch nicht unbedingt aus, welche Form von Besetzung für sie
gerade am meisten Sinn macht, sondern handeln nach den gebotenen und sich verändernden
Möglichkeiten.

Eine Instandbesetzung ermöglicht es auch, den gewonnen Raum nicht nur zum
gemeinschaftlichen Wohnen, sondern auch zur Verwirklichung verschiedener Projekte zu
nützen. Nach der ursprünglichen Idee, wie sie in den Siebziger Jahren von der Bewegung der
Kultur- und Kommunikationszentren formuliert wurde, soll Wohnen, Arbeit, Kultur und Politik
vereint werden. Dieses Ideal wird nach wie vor zumindest insofern umgesetzt, als dass es
geradezu als Standard zu bezeichnen ist, dass ein besetztes Haus verschiedene politische
Projekte beherbergt. Eine lokale Gruppierung der in mehreren österreichischen Städten
agierenden Gruppe „Freiraum“ beschreibt ihren Raum auf ihrer Website folgendermaßen:

       „Freiraum bezeichnet einen Ort, der kritisches Denken distanziert von den üblichen
       gesellschaftlichen Ver- und Bewertungsmechanismen fördert. Außerdem soll er der
       eigenen Individualität freien Lauf lassen und mensch die Möglichkeit bieten, sich mit sich
       selbst und Anderen auseinanderzusetzen. Dieser Raum soll Platz für Projekte wie z.B.
       eine Volksküche, Diskussionsabende, eine offene Werkstatt, Konzerte, Vernissagen,
       Workshops und andere Ideen bieten. Der Freiraum wird ein selbst bestimmtes Projekt
       für alle interessierten Menschen - unabhängig von deren Herkunft, Geschlecht,
       Sexualität und der Größe des Geldbeutels - sein. Die vorhandenen Ressourcen sind der
       Allgemeinheit zur Verfügung gestellt. Wir wollen eine bunte, für jede/n zugängliche
       Einrichtung, möglichst frei von den herrschenden Zwängen (z.B. Konsumzwang,
       angepasstes Erscheinungsbild und Verhalten) schaffen und allen anbieten, selbst aktiv
       zu werden um sich abseits der normierten Wege zu verwalten.“

Neben dem Miteinander von Leben, Arbeiten, Party feiern und sich politisch engagieren, ist
auch die Idee wesentlich, dass eigene Strukturen geschaffen und etabliert werden, die eine
Unabhängigkeit von bestehenden staatlichen oder marktwirtschaftlichen Strukturen und
Mechanismen erzeugen. Diese Idee kann verschiedene Ausrichtungen annehmen, wie
folgender Interviewausschnitt zeigt:

       „Andere Leute wollten eben viel, viel mehr Raum für ihre Projekte. Dann, andere Leute
       wollten wieder Strukturen aufbauen, die nach nicht-kapitalistischen Kriterien
       funktionieren, also wo nicht Dinge zur Verwertung produziert werden, sondern aus
       eigenem Interesse oder für die Bedürfnisse anderer (…), um quasi die grundlegenden
       Strukturen kapitalistischer Ökonomie irgendwie auszuhebeln, in einem
       selbstorganisiertem Prozess. Und zwar mehr als über Volxküchen Essen zur Verfügung
       zu stellen, über Kost-nix-Läden, über Werkstätten Leuten zu helfen, irgendwie ihr
       tägliches Leben jenseits von Kapitalismus zu bestreiten, das ein bisschen denkbarer zu
       machen. Anderen Leuten ging’s auch wieder mal um einen propagandistischen Effekt,
       nämlich Besetzungen, diesen Prozess der Aneignung, nämlich Dinge aus einem
       Eigentumsverhältnis, in einem Kapitalfluss integriert, rauszuholen und sich Häuser zu
       holen.“ (m, 24)

Die politischen Einstellungen weisen einen linken und anarchistischen Ideenhintergrund auf und
können nicht auf eine bestimmte vorherrschende Denkrichtung beschränkt werden. Es ist sogar
als typisch zu bezeichnen, dass es abgelehnt wird, eine bestimmte Ideologie zu verfolgen oder
eine gemeinsame Denkrichtung der Gruppe oder der Bewegung zu bestimmen. Was politisch
richtig und was falsch ist, muss in Gruppenprozessen und –diskussionen wiederholt
ausgehandelt werden. Dennoch können sowohl die Gruppe Freiraum in ihrer Selbstpräsentation

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