Partizipation und Jugendkultur
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Natalia Waechter Partizipation und Jugendkultur Zum Widerstandscharakter von Jugendkultur am Beispiel von SkateboarderInnen und HausbesetzerInnen 1 Einleitung In Österreich fanden gerade die – wie Medien berichten – größten Studierendenproteste seit 22 Jahren statt. Ausgehend von der Besetzung an der Akademie der Bildenden Künste und der folgenden „Audimax“-Besetzung1 auf der Universität Wien, die am 22. Oktober 2009 begann, breiteten sich die Proteste in Form von Demonstrationen und Besetzungen in wenigen Tagen und Wochen auch auf andere Universitäten in ganz Österreich und schließlich auch auf weitere europäische Universitäten aus. Die Studierenden traten für den freien Universitätszugang ein und stellten Missstände an den finanziellen, infrastrukturellen und personellen Ressourcen der Universitäten fest. Die Forderungen umfassten u.a. Re-Demokratisierung, Ausfinanzierung sowie unabhängige Lehre und Forschung. Interessant ist dabei, dass die Proteste weniger von den gewählten StudierendenvertreterInnen („Österreichische Hochschülerschaft (ÖH)“) getragen wurden, sondern vom „Audimax“ – den unorganisierten BesetzerInnen. Mittels Facebook und Twitter kam es rasch zu einer spontanen Mobilisierung von zuerst hunderten Studierenden, die sich ohne Parteigebundenheit und –verantwortlichkeit schneller zu einem Protest („Uni brennt“) bewegen und einigen konnten als das im Rahmen der Arbeit der ÖH möglich gewesen wäre. Die ÖH trat zwar während der laufenden Proteste in Kommunikation mit dem Wissenschaftsminister, allerdings galt dabei die Voraussetzung, dass die ÖH nicht die Vertretung der Proteste darstellt. Der „Audimax“ hatte keine personelle Vertretung und schickte auch keine VertreterInnen ins Ministerium. Wer mitdiskutieren wollte, konnte das gerne im Rahmen des Plenums tun – ob es nun Studierende, JournalistInnen oder der Wissenschaftsminister waren. Das war die Botschaft, die vermittelt wurde – alle sind zur basisdemokratischen Beteiligung aufgerufen, jede/r kann gleichberechtigt um Redezeit im Plenum ansuchen. Mit dem Konzept, dass nicht die Studierenden als Bittsteller ins Ministerium gehen und auf einen Termin hoffen, sondern die PolitkerInnen gefordert werden, sich den Regeln der Protestierenden und des Plenums zu unterwerfen, wurde versucht, die Regeln der traditionellen Beteiligung zu entkräften. Dank neuer Kommunikationsmedien war es möglich, die Proteste offen und für alle einsichtig zu halten. Nicht nur innerhalb des Audimax, sondern auch online wurde rund um die Uhr diskutiert. Es wurden verschiedene Arbeitsgruppen gebildet, die ebenfalls alle Interessierte zur Beteiligung aufriefen. Dabei wurden Aktionsformen und politischer Usus der Hausbesetzerbewegung fortgeführt, zum Beispiel das Zusammenspiel der Arbeitsgruppen im Plenum, das Einrichten einer Volksküche, die die Besetzung substanziell unterstützt, oder die Solidarisierung und Unterstützung von Obdachlosen. Politisches Statement wurde also nicht nur mit einem Forderungskatalog, sondern auch in ihrem Handeln ausgedrückt. Das Medieninteresse war enorm, die Medienunterstützung (in Form reflektierter, kritischer Berichterstattung) gering. Hinsichtlich der Forderungen der Protestierenden waren die Proteste wenig erfolgreich – das auf Bundesebene einzige Zugeständnis einer kleinen Erhöhung des Universitätsbudget wurde vom „Audimax“ als bereits längst den Universitäten gewidmete Summe identifiziert. Die institutionalisierte Politik blieb hart, und zu Beginn der Weihnachtsferien wurde der Audimax von der Polizei geräumt. Weitere Besetzungen dauerten zwar an, aber die Höhepunkt der Protestbewegung war vorbei. 1 Der Audimax (auditorium maximum) ist der größte Hörsaal der Universität Wien. 1
Das aktuelle Beispiel kann erstens veranschaulichen, welche Formen politische Partizipation, die von jungen Erwachsenen getragen ist, annehmen kann, und zweitens, wie die politische Beteiligung von Bevölkerungsgruppen schnell ausgeschlossen werden kann, indem Handlungen und Aktionsformen nicht als politische Partizipation anerkannt werden. In einem Fernsehinterview vom 3. Dezember 2009 meint ein protestierender Student: „Einerseits engagieren wir uns politisch und dann wird uns gedroht mit Räumung und Polizei, und andererseits heißt es immer, dass die Jugend unpolitisch ist“ (ORF1, ZIB 24). 2 Jugendkultur und Partizipation Dieser Artikel betrifft die Fragestellung, wie die politische und gesellschaftliche Partizipation von Jugendlichen unter einem handlungstheoretischen Ansatz neu verstanden werden kann. Dabei muss erstens der Partizipationsbegriff kritisch hinterfragt werden, und zweitens verlangt die Fragestellung, mögliche Veränderungen im „Partizipationsverhalten“ nicht nur auf einer strukturellen Ebene, sondern auch auf der Handlungsebene zu untersuchen. Um die Thematik der Partizipation Jugendlicher nicht nur aus dem Blickwinkel institutioneller Erfahrungen zu untersuchen und damit eine Einschränkung vorzunehmen, die dem sozialen Wandel nicht gerecht wird, müssen wir unsere Aufmerksamkeit auch auf die kulturellen Produktionen von Jugendlichen richten. Folgender Absatz aus dem Interim-Report verdeutlicht diese Sichtweise: „The fact that young people take actions differently with regard to family, citizenship or work compared to the generation of their parents and to the expectation of institutional actors may be either ascribed to different demand and constraints by which they are confronted, or it may be interpreted as different cultures of practice, of parenthood, work or citizenship. Culture is one way of understanding the meaning of practice as it evolves both individually and collectively. It embodies the sets of practices developed by groups, communities of societies. These sets of practices are the totality of social actions which are interlinked within a given social context and which share values, principles and norms. Thereby they represent the repertoire from which individuals construct meaning and relate it to specific forms of practice.“ (Pohl, Stauber, & Walther 2007, S. 40-41) Diese Herangehensweise legt nahe, dass Jugendkultur für das Verständnis von den Einstellungen und Verhaltensweisen der Jugendlichen bezüglich Partizipation zentral ist, und erfordert damit, dem Phänomen der Jugendkulturen, denen in letzter Zeit ideologischer Hintergrund und politische Motivation immer mehr abgesprochen wurden, wieder mehr Aufmerksam zu widmen. In der folgenden Untersuchung wird daher Jugendkultur unter dem Aspekt betrachtet, welche politischen und gesellschaftlichen Partizipationsfunktionen sie erfüllen kann, was auch zur Weiterentwicklung des Partizipationsbegriffes betragen soll. Damit kann auch zu einem besseren Verständnis beigetragen werden, in welcher Art und Weise sich Jugendliche und junge Erwachsene auf lokaler Ebene engagieren. In dieser Hinsicht wird versucht, die Fragen der Struktur und Handlung zu verbinden. In dem nicht oft gedachten und untersuchten Zusammenhang von Jugendkultur und (sozialer und politischer) Partizipation lassen sich verschiedene theoretische Herangehensweisen feststellen. Während in den Siebziger Jahren Jugendkultur generell als etwas Subversives, Gegenkulturelles gedacht wurde („Jugendsubkulturen“), und dabei angenommen wurde, dass sich ihre jeweiligen TeilnehmerInnen in ihren Einstellungen, Werthaltungen und Verhaltensweisen von der Gesamtgesellschaft unterscheiden (z.B. Schwendter 1973), hat sich in den Neuzigern die Sichtweise der Spaß-orientierten, kurzlebigen, flexiblen und entpolitisierten Jugendkulturen („Jugendszenen“) durchgesetzt (z.B. Ferchhoff 2006; 2007). Letzteren wird politisches Handeln in der Regel abgesprochen, obwohl einige Forschungsarbeiten in Bezug auf Funktionen von Jugendkulturen (z.B. Identitätspolitik) eher das Gegenteil feststellen konnten (z.B. Stauber 2001) und in der Zwischenzeit Diskussionen stattfinden, ob in der empirischen und theoretischen Betrachtung nicht doch zuviel Augenmerk auf Musik und Style gelegt wurde (Shildrick & MacDonald, 2006). 2
In diesem Artikel zu Partizipation finden jedenfalls sowohl Jugend(sub)kulturen, die als explizit politisch bezeichnet werden können, als auch implizit politisch agierende Jugendszenen Beachtung, die zwar nicht mit politischen Statements operieren, aber eigene Ideen von gesellschaftlicher Teilnahme entwickeln. Zudem gehe ich mit Pfaff (2006) und Pohl, Stauber, & Walther (2007) davon aus, dass Jugendkultur nicht nur politisches Handeln hervorbringt, sondern jugendkulturelle Handlungspraxen auch als Teil von politischen Bewegungen gesehen werden können: „Concerning civic participation, youthful political articulation almost cannot be discerned from youth cultural features: on the one hand late modern political movements such as e.g. anti- globalisation-movement do enfold a (youth) cultural activity, on the other hand youth cultures themselves are to be seen as participatory movements in terms of their use/appropriation of (public) space, in terms of the shaping of imageries by symbolic policies, in terms of identity policies (e.g. the shaping of gender identities). Although mainstream/dominant culture and subculture in late modernity cannot be discerned that clearly any more, those young people who are engaged in these movements often at the same time are engaged in identity policies based on distinction.“ (Pohl, Stauber, & Walther, 2007, S.42) Die institutionalisierte Politik der Erwachsenenwelt scheint den Jugendlichen und jungen Erwachsenen vorgeben zu wollen, in welcher Art und Weise Partizipation zu erfolgen hat und wie die Inhalte beschaffen sein sollen. Für Heranwachsende hat Partizipation jedoch neue Bedeutungen und ihre Artikulationsweisen und Partizipationsformen haben sich geändert. Der Artikel untersucht nun aktuelle, jugendkulturelle Partizipationsformen, wobei zwei Tendenzen gegenübergestellt werden. Die Auseinandersetzung bezieht sich zum einen auf die HausbesetzerInnen-Szene als explizit politisch agierende, aber realpolitisch unerwünschte Jugendkultur und zum anderen auf die Skater-Szene als implizit politisch agierende und ebenfalls gesellschaftlich tendenziell unerwünschte Jugendkultur. Sogar explizit politischen Jugendkulturen wird in der öffentlichen Meinung, von Behörden und der Politik abgesprochen, einen positiven Beitrag zur gesellschaftlichen bzw. politischen Partizipation zu leisten, obwohl sich die Themen, mit denen sich beispielsweise HausbesetzerInnen (Wohnungsnot, Gentrifikation, Spekulantentum) oder GlobalisierungsgegnerInnen (Kapitalismuskritik, Kritik des Finanzwesens, Ausbeutung der 3. Welt) auseinandersetzen, auf die gleichen Inhalte beziehen, wie sie auch von der formalen Politik behandelt werden. Diese Gruppen fühlen sich durch die Bedeutungen, die diesen Themen offiziell gegeben werden und durch die Art und Weise, wie die Themen behandelt werden, befremdet. Die Folge ist ein bewusstes Abwenden von der formalen Politik und das Einsetzen informeller, jugendkultureller Formen öffentlicher Partizipation. Diese dienen dem Ausdruck darüber, welche Bedeutungen Thematiken einnehmen (z.B. Gentrifikation statt Stadterneuerung) sowie dem konkreten Erreichen von Zielen (z.B. Wohnraum). In unserer Betrachtung beziehen wir uns aber nicht nur auf jugendkulturelle Handlungsfelder, die von den Beteiligten selbst als politisch verstanden werden, sondern auch auf jene, die im Zuge von Freizeitaktivitäten oder Konsumorientierungen auftreten. Ein wahrscheinlich oft bemühtes, aber dennoch sehr gutes Beispiel bildet die Szene der SkateboarderInnen. Dabei sind zwei Phänomene von Interesse: Zum einen haben sie konkrete Forderungen an politische VertreterInnen und Behörden, indem sie sich Plätze und die Bereitstellung von Material und Infrastruktur für die Ausübung ihrer Tätigkeit wünschen, und sind damit – nicht ohne Grund – oft recht erfolgreich: Die offensichtliche Materialität ihrer Forderungen macht sie beliebt, wenn es darum geht, Jugendliche in politische Entscheidungsfindungsprozesse mit einzubeziehen. Es gibt ein sichtbares Ergebnis, den Skatepark, und dabei ist es nicht notwendig, in Konflikt mit der herrschenden Ordnung zu treten (Weller, 2006). Dabei wird vernachlässigt, dass in diesen Szenen Bedeutungen ausgehandelt werden, und dass es sich dabei um einen Prozess handelt, der eng mit den Identitätskonstruktionen der Jugendlichen verknüpft ist. Zum anderen begnügen sich Street Skater nicht mit Skatehallen oder –parks, sondern benützen vorhandenen, öffentlichen Raum für ihre Aktivitäten. Die Aneignung bestimmter Orte erfolgt 3
nicht nur, weil sie sich aufgrund ihrer Beschaffenheit so gut zum Skaten eignen oder weil es keine eigenen Fahrbahnen gibt, sondern auch aus Gründen der Sichtbarkeit. In ihrer Raumergreifung befinden sie sich im Wettstreit mit anderen Personengruppen, die ebenfalls Anspruch auf die Nutzung dieses Raumes legen könnten, und sie befinden sich oft schnell in der Illegalität (weil anderen, aber nicht ihnen die Nutzung gesetzlich zusteht). Durch das „Besetzen“ von Räumen geben sie ihnen eine neue Bedeutung, wiederum verbunden mit eigenen Identitätskonstruktionen. Dazu fassten Waechter, Cuconato, Lenzi, & Loncle (2008, S.81) folgendermaßen zusammen: “Youth cultures are contexts in which sociality and identity are linked, related, integrated. They provide access to how young people – from their specific points of view – actually are involved in and contribute to the societal meaning making process, how they perceive and value sociality and the public, how they link past and future within present situations and how they relate it to their own identity work (Stauber, 2004; Mørch, 1999; Fornäs, 1995).” Bevor im Folgenden mit qualitativem, empirischen Material beschrieben und analysiert wird, wie die jugendkulturellen Handlungsfelder der HausbesetzerInnen und der SkateboarderInnen als politischer Ausdruck und gesellschaftliche Partizipation betrachtet werden können, wird in den nächsten beiden Kapiteln diskutiert, wie die Jugendkulturforschung den Zusammenhang von Partizipation und Jugendkultur verordnet. Begonnen wird mit einer Erörterung vom diesbezüglichen Wandel der theoretischen Herangehensweise der Jugendkulturforschung. 3 Subkultur, Post-Subkultur und zurück Jugendkulturen im heutigen Sinn traten vor etwas mehr als einem Jahrhundert in Erscheinung. Von Anbeginn gab es zu jeder Zeit nicht nur eine einzige Ausprägung, sondern es standen sich verschiedene Strömungen teils freundschaftlich, teils feindlich gegenüber. Ähnlich alt wie die Jugendkulturen ist auch die sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit ihnen. Die Begründung der Jugendkulturforschung ist in Deutschland mit Wyneken und in Österreich mit Bernfeld anzusetzen; beide beschäftigten sich und unterstützten die „Jugendbewegung“, die als Wandervogel bekannt wurde, und nahmen in ihren Arbeiten einen sozialpädagogischen Fokus ein (Waechter 2006). So wie sich die Jugendkulturen im Laufe der Zeit wandelten, änderte sich auch die wissenschaftliche Herangehensweise. In den Vierziger und Fünfziger Jahren wurde Jugendkultur als abweichendes Verhalten interpretiert. Begründet und berühmt geworden ist diese Tradition durch Whyte’s „Street Corner Society” (1943). Im Zuge der „Studentenbewegung“ in den späten Sechzigern wurde der Begriff „Gegenkultur“ eingeführt. Auch in den Siebziger und Achtziger Jahren schien Jugendkultur in erster Linie eine Abgrenzung gegenüber Erwachsenen und dem herrschenden System zu bedeuten, und wenn es auch weniger neue Gesellschaftsentwürfe waren, wie sie von der Studentenbewegung postuliert wurden, vertraten sie doch gesellschaftskritische Ideen und versuchten, eigene Werthaltungen und Lebensweisen aufzubauen. Die jugendlichen Bewegungen wurden als „Jugendsubkulturen“ im Sinne von gesellschaftlichen Teilkulturen, die sich in den zentralen Werten und Normen von jenen der Gesamtgesellschaft abgrenzen, beschrieben. Im deutschsprachigen Raum beschäftigte sich insbesondere Rolf Schwendter mit den (jugendlichen) Subkulturen. In seiner Theorie der Subkultur“ beschreibt er Subkultur als „Teil einer konkreten Gesellschaft, der sich in seinen Institutionen, Bräuchen, Werkzeugen, Normen, Wertordnungssystemen, Präferenzen, Bedürfnissen usw. in einem wesentlichen Ausmaß von den herrschenden Institutionen etc. der jeweiligen Gesamtgesellschaft unterscheidet“ (Schwendter, 1973, S.11). Die international bedeutendsten Forschungsarbeiten entstanden im britischen CCCS („Centre for Contemporary Cultural Studies“). Die CCCS VertreterInnen haben festgestellt, dass eine bestimmte Kultur immer die einer bestimmten Klasse ist. Demnach sind Subkulturen immer Subsysteme entweder der herrschenden Kultur (Ober- und Mittelschicht) oder der Kultur der Arbeiterschicht. Jugendliche Subkultur entwickeln sich immer in Relation zu ihrer jeweiligen Klassenkultur (dominante Kultur oder Arbeiterkultur) (siehe Willis, 1981; Hall & Jefferson, 1976). Kaum war der starke Zusammenhang von sozialer Herkunft und Jugendkulturzugehörigkeit formuliert, wurde auch schon Kritik geübt, dass zwischen industriellem Kulturmuster (nach dem Schichtenmodell) und postindustriellem Kulturmuster, bei 4
dem die Kulturen nicht mehr mit den sozialen Schichten korrelieren, unterschieden werden müsse (Lewis 1978). Der deutsche Jugendforscher Baacke führte vor allem an Hand von drei Argumenten aus, warum der Begriff der Subkultur nicht (mehr) zur Beschreibung und Erklärung von Jugendkulturen herangezogen werden kann: Erstens ist Subkultur nicht als Kultur unterhalb der dominanten Kultur zu verstehen. Zweitens geht die Subkultur-Theorie fälschlicherweise davon aus, dass einzelne Subkulturen präzise lokalisierbar sind, das heißt in einer bestimmten Schicht auftreten oder mit einer bestimmten politischen Einstellung verbunden sind. Drittens schließlich sind Subkulturen keine unabhängigen Teilsegmente der Gesellschaft, sondern es gibt eine Fülle von Übergängen zur Gesamtgesellschaft (Baacke 1987, S.123f). Damit hat Baacke vorweggenommen, was zum späteren Common Sense in der Jugendkulturforschung wurde - die Abkehr vom „Subkultur“-Begriff. Seit den Neunzigern wird in der Jugendforschung vermehrt von selbst gewählten, von der sozialen Herkunft unabhängigen und entideologisierten Lebenstilen und Jugendszenen gesprochen. Dieser, mittlerweile als „post-subcultural“ bezeichneter Ansatz wird sowohl von britischen wie auch deutschen JugendkulturforscherInnen vertreten (Muggleton 2000; 2005; Ferchhoff 2006; 2007; Baacke 2004). Ausgehend von einem gesamtgesellschaftlichen Strukturwandel (Individualisierung, Entstrukturierung, Destandardisierung, Differenzierung und Pluralisierung) wird auch für Jugendkulturen festgestellt, dass sie schnelllebig, flexibel sowie offen nach innen wie nach außen sind. Offenheit nach innen bedeutet, dass es möglich ist, in Jugendkulturen bei gleichzeitiger Anpassung an die Regeln der Gesamtgesellschaft zu partizipieren. Offen nach außen dagegen meint, dass die Abgrenzung zu anderen Szenen und zur Gesamtkultur der Erwachsenengesellschaft geringer und durchlässiger ist. Jugendliche können gleichzeitig an mehreren Szenen partizipieren, wobei sich die meisten nicht im Szenekern, sondern an seiner Peripherie befinden. Auch Szenewechsel sind bei aktuellen Jugendszenen verglichen mit den Jugendsubkulturen einfacher geworden. Schließlich wird davon ausgegangen, dass die Jugendlichen ihre Szenenzugehörigkeit nicht in Abhängigkeit von ihrer sozialen Herkunft wählen. Im Allgemeinen wurden strukturelle Betrachtungen aber zugunsten von der Beschreibung von Szenen, Style und Musik vernachlässigt. Jüngste Auseinandersetzungen mit Jugendkulturen kritisieren wiederum genau dieses Ignorieren von strukturellen Bedeutungen (Shildrick & MacDonald 2006; McCulloch, Stewart, & Lovegreen 2006) und belegen mittels theoretischen Auseinandersetzungen wie auch empirischen Studien, dass die sozialstrukturelle Herkunft immer noch wesentliches Differenzierungskriterium für den Zugang zu Jugendkulturen ist. Shildrick & MacDonald (2006) verweisen darauf, dass die allgemeine Jugendforschung in letzter Zeit zeigen konnte, welche Bedeutung soziale Trennungen für das kulturelle Leben und Identitäten von Jugendlichen nach wie vor einnehmen: „very recent youth research that demonstrates the continuing role of social divisions in the making and shaping of young people’s leisure lives and youth cultural identities and practices.” (S.125). Auch in der deutschen Jugendkulturforschung wird Kritik geäußert: „Jenseits der ästhetischen Inszenierung spielt die sozialstrukturelle Herkunft der Jugendlichen, bezogen auf Schicht, Milieu, ethnische Herkunft oder Geschlecht weiterhin eine zentrale Rolle für die Einschätzung von Jugendkulturen. Es macht einen prinzipiellen Unterschied, ob ein Hip Hop Fan beispielsweise als junger Mann aus dem türkischen Migrantenmilieu oder als junge Frau aus einer weißen Akademikerfamilie stammt.“ (Spatscheck 2005, S.424). Ein zweiter, aktueller Diskussionsstrang behandelt den Widerstandcharakter bzw. die potentielle Entideologisierung aktueller Jugendkulturen. Dieser Diskurs hat zwar auf den ersten Blick mit der Diskussion um die Bedeutung der sozialstrukturellen Zugehörigkeiten für die Teilnahme an Jugendkulturen nicht viel gemeinsam, dennoch zeigen sich Übereinstimmungen. Diejenigen VertreterInnen der Jugendkulturforschung, die sich auf stilistische Ausdrücke von Jugendkultur konzentrieren und der Sozialstruktur eine schwindende Bedeutung bemessen, sehen tendenziell auch wenig Widerständisches in den aktuellen Jugendkulturen. Das Verschwinden der „Jugendsubkulturen“ zugunsten von „Jugendszenen“ sei auf sozialstrukturelle und kulturelle Wandlungsprozesse sowie auf zunehmende Ausdifferenzierung und Individualisierung sozialer Lebenslagen zurückzuführen. „Die heutigen Jugendkulturen weisen im Gegensatz zu klassischen Jugendkultur-Konzepten weit weniger Affinitäten zu hochkulturellen, klassenkulturellen und 5
schichtspezifischen Dimensionen auf und sind vor allem noch stärker freizeit-, symbol- und medienbezogen, konsumorientiert sowie entschieden schulferner.“ (Ferchhoff 2006, S.125). Ferchhoff sieht keinen einheitlicher Bezugspunkt einer dominanten Kultur mehr, sondern „der Jugendsubkulturbegriff in seinem widerständig-konfliktträchtigen und asymmetrischen Anderssein (…) scheint im (…) weitverbreiteten anything goes der Stilmixe abhanden gekommen sein“. (S.124) KritierInnen dieses Ansatzes bemerken, dass die „post- subculturalists” den politischen, widerständischen, subkulturellen Charakter von Jugendkulturen vernachlässigen würden (Blackman 2005; zit. nach Shildrick & MacDonald 2006, S.136). Demgegenüber gibt es eine Reihe von ForscherInnen, die zwar eine unterschiedliche Herangehensweise der jugendkulturellen Akteure bemerken, aber sie eben als konstruktive „Handelnde“ wahrnehmen. So zitieren Roth & Rucht (2000) Beck, der bei Jugendlichen zwar einen gewissen Individualisierungszwang, aber auch die Chance zum Erfinden ihrer eigenen Biographie sieht. „Die Jugendlichen werden nicht individualisiert, sondern individualisieren sich selbst.“ (Beck 1998, S.62, zit. nach Roth & Rucht 2000 – Hervorhebungen im Original). Die Vielfalt der gegenwärtigen Jugendstile ist Ausdruck dieser selbständigen „Biographisierung“ und bedeutet, dass die Jugendliche in „experimentellen Suchbewegungen“ aktiv ihr eigenes Leben gestalten (Beck 1998, S.62, zit. nach Roth & Rucht 2000). „Die Abkehr von institutioneller Politik, ihre Lust am Spaßhaben und ihr selbstorganisiertes Engagement für andere, ihre ‚hochpolitisierte Politikverleugnung (Beck 1997, S.11) lässt Jugendliche zu den politischen Hoffnungsträgern der ‚zweiten Moderne’ werden.“ (Roth & Rucht 2000, S.13) Nachdem sich einstmalige Klassenunterschiede weitestgehend verschoben haben und neue gesellschaftliche Unterscheidungen hinzugekommen sind, müsse auch Jugendkultur und dessen Widerstand nicht mehr „in einer am Klassenmodell orientierten Logik nachgehen, sondern die Mikroprozesse jugendkulturellen Protests innerhalb von Gesellschafts- und Machtformationen in den Blick nehmen“. (Hagedorn 2008, S.27). Es geht nun weniger um Widerstand gegen „Durchschnittsbürger“ und Eltern, weil auch (kulturelle) Minderheiten sehr schnell zum Mainstream werden. Der jugendkulturelle Widerstand kann auch nicht mehr als Ausdruck eines Klassenkonflikt oder „stimmgewaltige Opposition“ definiert werden, sondern „Widerstand, und damit die Potentialität, gesellschaftliche Ordnungsstrukturen subversiv zu unterlaufen, liegt in den kleinen unauffälligen kunstvollen Alltagsprozeduren von Konsumenten, die in diesem gesellschaftlichen Regelkanon herumwildern:“ Diese Improvisationen hängen von den jeweiligen Umständen und Gelegenheiten ab und funktionieren daher „eher als Spielzüge, denn als Wahrheiten oder beständige Sinn- und Bedeutungswelten“. (Hagedorn 2008, S.39). Jugendkulturen nehmen also verschiedene Funktionen mit emanzipatorischem Potential für Jugendliche ein: Als kreative StilistInnen sind sie als konstruktive Akteure zu begreifen, die gesellschaftliche Normen subversiv auf lustvolle Art und Weise angreifen. Jugendkulturen bieten eine Menge an Provokationspotential und die Teilnahme an Jugendkulturen kommt dem jugendlichen Abgrenzungsbedürfnis und der Lust am Tabubruch und Grenzüberschreitung entgegen. „Die jugendkulturellen Szenen enthalten ein vielfältiges Repertoire an Zeichen und Symbolen, die das ‚Ganz-anders-Sein’ zum Ausdruck bringen, die eignet sind, mit ästhetischen Konventionen zu brechen, zu provozieren, zu schockieren und Tabus zu verletzen.“ (Göppel 2005, S.51). Das experimentelle Aneignen, Entwickeln und Aushandeln von Stilen und Ausdrucksformen ist auch als Teil der Identitätsentwicklung zu begreifen. Die jugendkulturelle Teilnahme mag zwar vergänglich sein, aber Jugendkultur nur als transistorisch zu sehen, wäre zu verkürzt. Jugendkultur wirkt für Jugendliche sinnstiftend und ist somit als nachhaltiges Phänomen zu betrachten (vgl. Roth & Rucht 2000). Roth & Rucht nennen die Entstrukturierung des Politischen als Kennzeichen von Jugendkultur: „Die schroffen Gegenüberstellungen von Kommerz und Politik, von Protest und Anpassung, von Politik und Kultur, die die Jugenddebatten seit Jahrzehnten begleiten, beginnen sich abzuschleifen, wenn nicht gar aufzulösen. Dass es weiterhin diese Extremwerte gibt, kann als gesichert gelten. Aber es mehren sich Phänomene, die 6
Eindeutigkeit vermissen lassen. Gegen ein auf Macht und Herrschaft bezogenes Politikverständnis wird eine Politik der Lebensstile ins Spiel gebracht, die sich bewusst von den Ansprüchen emanzipatorischer Projekte, von Zukunftsorientierungen und Gesellschaftsvisionen zugunsten einer Glückssuche im Hier und Jetzt verabschiedet.“ (Roth & Rucht 2000, S.23). Als Beispiele werden Berliner Skater, die sich die Straße zueigen machen, angeführt. Aber auch das jugendliche oder jugendkulturelle Engagement in sozialen Bewegungen, entspricht diesen Annahmen. Jugendliche schaffen dabei häufig eigene Netzwerke und Aktionsformen, die ihnen entsprechen, und die teils im Einklang und teils im Widerspruch zur Kooperation mit den Erwachsenen stehen. Im Folgenden werden die beiden Jugendkulturen SkateboarderInnen und HausbesetzerInnen vorgestellt und auf Grundlage des Jugendtheoriekultur-Diskurses um widerständisches Handeln diskutiert. 4 Jugendkultur, politische Einstellungen und politisches Engagement Ein Kennzeichen der jüngeren Entwicklung von Jugendkulturen ist die zunehmende Ausdifferenzierung in verschiedene Szenen und Subszenen. Hinsichtlich des Einflusses des sozio-ökonomischen Status auf die möglichen Zugehörigkeiten zu Jugendkulturen ist festzustellen, dass es kaum mehr möglich ist, klare Zuordnungen vorzunehmen. Innerhalb einer jugendkulturellen Richtung bilden sich jedoch Subszenen, die teilweise eine relativ genaue sozio-ökonomische Zuordnung erlauben. Beispiele für solche Subgenres, die jeweils einem bestimmten Publikum entsprechen, sind in vielen Jugendkulturen zu finden. Unter dem Überbegriff Techno wird zum Beispiel die Free-Tekno-Szene mit konsum- und politk- kritischem Hintergrund genauso wie die konsumorientierte Krocha-Szene2 subsumiert. HipHop bringt bereits seit einiger Zeit verschiedene, konträre Spielarten hervor: Obwohl zwar unter der Schirmherrschaft des Begriffs und der Kultur „HipHop“ vereint, könnten Substile alleine im deutschsprachigen Raum wie zum Beispiel die VertreterInnen von Aggro-Berlin im Vergleich zu „akademischem“ gesellschaftskritischen HipHop in ihren inhaltlichen Orientierungen nicht gegensätzlicher sein. Außerdem gibt es vor allem im Bereich der ideologisch orientierten Jugendkulturen gewisse Häufungen – so werden unter den GlobalisierungskritikerInnen vermehrt mittelständische, höher gebildete junge Menschen zu finden sein. Im Allgemeinen ist es sinnvoll, fünf verschiedene Tendenzen jugendkultureller Ausprägungen zu unterscheiden: musikorientierte Jugendkulturen, sportorientierte Jugendkulturen, ideologisch orientierte Jugendkulturen, computer- und medienorientierte Jugendkulturen und Fankulturen (Waechter 2006). Ideologisch orientierten Jugendkulturen können bestimmte politische oder religiöse Anschauungen zugeordnet werden können, wobei das politische Spektrum der Einstellungen und Werthaltungen von rechtsradikal und rassistisch (z.B. rechte Skinheads) über religiös-konservativ (z.B. „Junge Christen“), anarchistisch und selbstbestimmt (z.B. Autonome, TierbefreierInnen) bis zu linksradikal und intellektuell (z.B. GlobalisierungskritikerInnen, Antifa) reichen kann (vgl. ebd.). Die politische „Mitte“ findet sich eher in der „verbandlichen Jugendkultur“ – das sind jene Jugendlichen, welche die Jugendorganisationen der politischen Parteien und Verbände bilden. Jugendkulturen ohne ausdrücklichem gemeinsamen ideologischem Fokus können aber ebenfalls gemeinsame Anschauungen teilen, zum Beispiel sympathisieren Punks in der Regel mit anarchistischen oder linken Ideen. Gleichzeitig gibt es aber Christen-Punkrock- Bands, was deutlich gegen leichte ideologisch zuordenbare Jugendkulturen spricht. Eine empirische Untersuchung von Pfaff (2006 und 2007) hat sich unter anderem auch damit befasst, wie Präferenzen für Politik und Jugendkultur zusammenhängen. Diejenigen, die mit Jugendkulturen etwas anfangen können, d.h. die sich selbst im Spektrum der Jugendkulturen positionieren können (das sind etwa zwei Drittel der deutschen Jugendlichen), hat sie wiederum in zwei Gruppen geteilt. Innerhalb der ersten Gruppe, die sich Proteststilen und alternativen Musikstilen zugeneigt fühlen, wurden vier Untergruppen ermittelt. Den knapp größten Teil (10% aller jungen Deutschen) bilden Mainstream- 2 Spezifisch österreichische Ausprägung der Gabba/Jumpstyle-Szene. 7
Musikfans mit Sympathien für die rechte Szene. 9% der Jugendlichen hören ebenfalls am liebsten Mainstream Musik, sympathisieren aber mit links-alternativen Szenen. 7% bevorzugen Punk, Gothic, Metal und die Antifa-Szene, und 4% sympathisieren mit Skinheads, Neonazis und Hooligans. Innerhalb der zweiten Gruppe der deutschen Jugendlichen, die überhaupt Präferenzen ausdrücken können, wurden drei Typen von Jugendlichen zusammengefasst, denen gemeinsam ist, dass sie populäre Musikstile bevorzugen. Dabei gehören die meisten zur Gruppe der Computerfreaks (12%); und die beiden anderen Gruppen werden von HipHop-Fans (9%) und Pop-Fans (9%) gebildet (Pfaff 2007). Entsprechend diesem empirischen Befund, sympathisieren also fast ein Drittel der Jugendlichen mit Protestkulturen. Klare Zusammenhänge zwischen Jugendkulturen und politischen Anschauungen sind aus den Ergebnissen dieser Studie allerdings nicht zu erkennen, außer dass Punks, Gothics und Metaller auch der Antifa-Szene nicht abgeneigt sind. Pfaff (2007) hat zwei Gruppen (Punks/Gothics und HipHopper) bezüglich ihrer politischen Einstellungen und Handlungen tiefer gehend untersucht. Jugendliche, die sich als Punks oder Gothics bezeichneten, beschrieben sich selbst als politisch links und betonten ihre Toleranz, die sie gegenüber Anderen, außer gegenüber faschistischen und rechten Gruppen hätten. Politische Diskussionen sind Bestandteil der Szene und zu Demonstrationen zu gehen gehört für die Jugendlichen selbstverständlich dazu. Demgegenüber zeigt sich die HipHop-Szene weniger politisch interessiert und vertritt im geringeren Ausmaß konkrete politische Anschauungen. Kritische Auseinandersetzung mit sozialer Ungleichheit finden tendenziell auf einer persönlichen Ebene statt und werden in Rap Lyrics ausgedrückt. Auch politisches Engagement wird nur auf das unmittelbare Umfeld (Nachbarschaft) bezogen ausgeübt. Im HipHop zeigt sich damit, dass es zwar wenig Interesse für traditionelle Politik und Beteiligungsformen gibt, gleichzeitig aber mittels kulturellen Ausdrucksformen Widerstand gegen bestehende Verhältnisse ausgedrückt wird. 5 SkateboarderInnen Für die folgende Darstellung der beiden Jugendszenen der SkateboarderInnen und HausbesetzerInnen in Bezug auf jugendkulturelle und politische Handlungspraxen wurde auf empirisches Interviewmaterial zurückgegriffen, welches im Rahmen von mehreren Seminaren an der Universität Wien3 im Zeitraum von 2007 bis 2008 erhoben wurde. Für die Durchführung der qualitativen, teilstrukturierten Interviews wurde jeweils dieselbe Leitfadenstruktur verwendet. Das Hauptaugenmerk der Datenerhebung und Auswertung im Rahmen des Seminars lag auf einer umfassenden Erfassung einer je bestimmten Jugendkultur hinsichtlich ihrer Ausdrucksformen, Inhalte, Werthaltungen, Aktivitäten, usw. Für den vorliegenden Artikel habe ich nun eine fokussierte, inhaltsanalytische Auswertung von 15 Interviews (davon 8 mit HausbesetzerInnen und 7 mit (ausschließlich männlichen) Skateboardern) hinsichtlich Jugendkultur und politischer Partizipation durchgeführt. Die Interviewten kamen aus verschiedenen Orten und Bundesländern Österreichs und waren zum Zeitpunkt des Interviews zwischen 17 und 34 Jahre alt. Obwohl sich Skateboarder4 und Skateboarderinnen am ersten Blick nicht besonders von Durchschnittsjugendlichen unterscheiden, haftet ihnen etwas Besonderes, Unnahbares, Unabhängiges und Draufgängerisches an. Die Jugendkultur hat nach dem Entstehen in den USA auch rasch in Europa Fuß gefasst und bereits mehrere Wellen an Beliebtheit und Verbreitung erlebt. Wahrscheinlich hat der rebellische Charakter auch etwas mit der Entstehungsgeschichte zu tun: Kalifornische Surfer und Surferinnen, denen im Winter das 3 Die verwendeten Interviews wurden in den von mir an der Universität Wien geleiteten Seminaren in den Semestern SS2007, WS 2007/08, SS 2008 und WS 2008/09 erhoben. 4 Im deutschen Sprachgebrauch wird für die Jugendkultur von Außenstehenden eher die Bezeichnung Skater verwendet; im Englischen bezeichnen sich die Angehörigen nicht als Skater sondern als Skateboarder, auch in Abgrenzung zu den „Inline-Skatern“, die englisch verkürzt „Skater“ genannt werden. Nachdem auch von den deutschsprachigen Szene-Angehörigen vorrangig der Begriff Skateboarder gebraucht wird, wird hier die besprochene Szene als die der „Skateboarder“ bezeichnet. 8
Wasser doch zu kalt war (Neopren war noch nicht verbreitet), begannen an zu kalten oder wellenarmen Tagen, in leeren, ausgelassenen Swimmingpools in den Suburbs von Los Angeles und Orange County auf Boards mit Rädern zu „surfen“. Im Gegensatz zu europäischen quaderförmigen Pools hatten die kalifornischen Pools an den Rändern eine Wölbung und glichen einer Schüssel. So konnten sie als erste Pipes dienen und das Skateboarden war erfunden. SurferInnen wie SkateboarderInnen galten als Outsider der Gesellschaft, die sich nicht einem Nine-to-Five Job unterwarfen, sondern am Strand und auf der Straße lebten. Die Benützung und damit Aneignung fremder Pools in fremden Gärten war nicht nur einfach verboten und brachte somit Probleme mit sich, sondern war vor allem auch ein Angriff auf die Bürgerlichkeit und den Schein des perfekten Lebens in der Vorstadt. Nicht zufällig gab es auch enge Verbindungen zur lokalen Punk- und Hardcore-Szene, deren überregional bekannt gewordene VertreterInnen sich auch gerne als SkateboarderInnen ausgaben. Umgekehrt hörten SkateboarderInnen auch bevorzugt Punkrock (was mittlerweile insbesondere durch HipHop ergänzt wurde). Mittlerweile wurden in den vielen Städten Amerikas und Europas Skateparks errichtet, die den Jugendlichen erstens einen Treffpunkt und zweitens ein eigenes und geeignetes Gelände mit Möglichleiten zum Springen und zur Ausübung anderer Tricks bieten. Die Ausdifferenzierung in verschiedene Szenen machte auch vor den SkateboarderInnen nicht halt. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Street-Skateboardern5 und den Rampen- und Pool-Skateboardern (letztere im folgenden Park-Skater/Park-Skateboarder genannt), wobei Skateboarder oft eine dieser Ausrichtungen präferieren und sich einer bestimmten Szene zugehörig fühlen. Park- Skater bewegen sich am liebsten in den Skateparks und üben ihr Tricks während sich Street- Skater nicht mit dem für sie bereit gestellten Raum zufrieden geben und stattdessen lieber den urbanen Raum mit seinen „natürlichen“ Obstacles nutzen. Damit greifen sie die Ursprungsidee des Skateboardens auf: vorhandenen Raum zu eigenen Zwecken zu benutzen und diesen, wenn notwendig, mit kleinen Betonarbeiten brauchbarer zu machen, womit sie sich schnell in der Illegalität bewegen: Weder ist Skateboarden an öffentlichen, beliebten Plätzen häufig erlaubt, besonders nicht an solchen, die auch für TouristInnen interessant sind, noch sind sie in Siedlungen oder ruhigeren Straßenzügen aufgrund von Lärmbelästigung willkommen. Aber auch dort, wo sie weder den Touristenverband noch die Vorstädter stören könnten, dafür aber ein paar Adaptierungen an möglichen Spots notwendig sind, kommt es rasch zu Problemen: Eigenmächtiges Betonieren, um etwa das Auffahren für einen Sprung zu ermöglichen, wird von der öffentlichen Verwaltung nicht toleriert. Naturgemäß gibt es in größeren Städten eher Street- Skater als am Land, da in der Stadt, wie es ein Skateboarder im Interview ausdrückt, einfach „viel mehr street“ da ist, während viele ländliche Gemeinden Skateparks errichten: „Gibt es irgendwelche regionale Besonderheiten, also im städtischen Bereich und im ländlichen Bereich?“ „Ja, natürlich, weil natürlich in der Stadt viel mir street da ist. Es ist viel mehr Architektur, viel mehr verschiedenstes Terrain zu suchen und auch zu finden, und am Land ist das halt nicht so, weil in einem kleinen Dorf gibt es nicht unbedingt jetzt, Dreierstiegen, Viererstiegen, Zwölferstiegen, Handrails in den verschiedenen Höhen, sondern da gibt es meistens einen Spot und dort fahrt man halt dann. Und dort und da gibt es am Land halt noch einen Skatepark, und es wird eher Skatepark gefahren als Straße.“ (m, 29) Street-Skateboarder und Park-Skateboarder haben ein gemeinsames Anliegen - die Nutzungsrechte am öffentlichen Raum - , das sich aber in verschiedenen Forderungen darstellt: Park-Skater fordern von der zuständigen Gemeinde, einen Teil der öffentlichen Fläche nutzbar zu machen und einen guten Skatepark idealerweise mit guter öffentlicher Verkehrsanbindung zu errichten und zu erhalten. Street-Skater fordern, dass sie bereits existierende öffentliche Plätze, die gerne der touristischen Nutzung vorbehalten sind, ebenfalls nutzen dürfen. Im Zuge dieser Anliegen kommen beide Gruppen in Kontakt mit lokaler Politik und diskutieren die Problematik in eigenen oder anderen Medien. Das Aushandeln um die mögliche Verwendung 5 Obwohl ich mich als Vertreterin und Verfechterin der gegenderten Formulierung verstehe, finde ich bei der Benennung der differenzierten Szenemitgliedschaften eine ungegenderte Ausdrucksweise angebrachter, zumal es sich um ursprünglich englische Ausdrücke handelt. 9
öffentlichen Raums passiert aber nicht nur mit VertreterInnen aus der Politik. In Cork (Irland) zum Beispiel sind es vor allem die Securitykräfte der Einkaufszentren, die auf skatefreie Zonen achten (und damit unwissentlich zum Spaß der gejagten SkateboarderInnen beitragen), während die Polizei üblicherweise kein Problem mit SkateboarderInnen hat. Aber auch Park- Skater erleben Interessenskonflikte mit anderen Bevölkerungsgruppen, die ebenfalls den Park nutzen wollen. In einem Interview werden die BMX-FahrerInnen als Feinbild der SkateboarderInnen beschrieben: „Zum Beispiel werden die BMXler sehr gehasst, weil die oft die Spots für die Skateboarder kaputtmachen mit ihren schweren Fahrrädern, die springen halt dann auf die Kanten, die dann kleine Dellen bekommen und mit den kleinen Achsen muss halt die Kante möglichst fein sein. Also da gibt’s dann schon Hatereien und so.“ (m, 23) Lokale Skateboarderszenen sind meist nicht formal organisiert, können aber auch zum Beispiel mit Einrichtungen oder Organisationen der Jugendarbeit zusammenarbeiten. In Cork haben sich die SkateboarderInnen aber eigenständig organisiert und das “Cork Urban Skateboard Project” (CUSP) gegründet. Die Anbindung an die lokale Jugendarbeitseinrichtung “Youth Action Cork” ermöglicht ihnen eine formale Stellung und mehr Unterstützung im Rahmen der Jugendarbeit. Die SkateboarderInnen bereiten ihre Teilnahme an den nächsten Gemeindewahlen (2009) vor, mit dem Ziel für ihre Anliegen ein breiteres öffentliches Forum zu gewinnen. Sie schätzen die Situation realistisch genug ein, um sich nicht ein Mandat zu erhoffen, gehen aber davon aus, dass in Bezug auf junge Leute doch eine Konkurrenz für die anderen, traditionellen Parteien darstellen und damit diese Parteien zwingen können, ihre Anliegen Ernst zu nehmen (Waechter et al. 2008). Ein weiteres Beispiel für Partizipationsstrategien sind die Kölner Skateboarder und Skateboarderinnen, die sich im Konflikt mit den Stadtbehörden um den Platz am Dom, ein zentraler Treffpunkt der lokalen sowie internationalen Skateboarderszene, befinden. Für ihr Anliegen, die „Domplatte“ oder alternative Plätze zum Skateboarden benutzen zu können, gründeten sie „Dom Skateboarding e.V.“ als „Verein zur Wahrung und Förderung der Bewegungskultur im öffentlichen Raum“. Vom Verein wurde zum Beispiel der „Go Skateboarding Day“ im Juni 2009 abgehalten, bei dem SkateboarderInnen dazu aufgerufen waren, zur Domplatte zum Skaten zu kommen. Neben den offensichtlichen Forderungen von SkaterboarderInnen, die in erster Linie die Nutzung von öffentlichem Raum betreffen, enthält die Jugendkultur auch partizipatives, politisches Potential, wenn ihre Handlungen als gesellschaftlich subversiv betrachtet werden. In den Interviews mit österreichischen (männlichen) Skaterboardern wird vielfach betont, dass die sportliche Leistung zwar ein wichtiges Ziel ist, gleichzeitig aber die individuelle Herangehensweise und die Spaßorientierung nicht zu kurz kommen dürfen. Damit stehen SkateboarderInnen im starken Kontrast zu traditionellen Sportarten mit dazugehöriger Sportkultur. „Und es war halt einfach eine Art mich auszudrücken, wo ich sag, trotzdem mach ich einen Sport, aber ich mache halt jetzt nicht unbedingt einen Mannschaftssport wie Handball oder sonstiges. Ich war schon immer sportlich versiert und ich habe Fünfkampf einmal gemacht, aber das waren dann alles halt Sportarten wo es um sehr viel Disziplin geht, sehr viele Vorschriften, da gibt es einen gewissen Plan und das ist halt beim Skateboard fahren nicht so. Beim Skateboard fahren geht man jeden Tag hinaus, sucht sich einen neuen Spot und den fährt man. Ich glaub, dieses Individuelle war halt der Reiz dran.“ (m, 29) Ein wesentliches Kennzeichen von Jugendkulturen ist das Verhandeln von Zugehörigkeiten und Abgrenzungen. Innerhalb der SkateboarderInnen kann nun nicht nur zwischen Street-Skatern und Rampen- oder Pool-Skatern unterschieden werden, sondern Szenen werden auch rund um Musikorientierungen und –kulturen gebildet. In Wien konnte man beobachten, dass sich das lange Zeit vorherrschende einheitliche Erscheinungsbild der Skateboarder und Skateboarderinnen (weite Hosen und Shirts) gewandelt hat. Heute sieht man sie nicht nur im 10
klassischen Outfit, das an die HipHop-Kultur angelehnt ist, sondern viele tragen auch enge Hosen und Shirts im Emo-Style. Während zurzeit die Trennung in „HipHop Skater“ und „Emo- Skater“ recht augenscheinlich ist, gab es aber immer schon auch Vorlieben für Punk und Hardcore in der Skaterszene. Beiden Jugendkulturen, an denen sich SkaterboarderInnen gerade vorrangig orientieren, HipHop und Emo, wird Subversion und Widerständigkeit von mehreren Seiten abgesprochen wird. HipHop wird insgesamt als Mainstream betrachtet und die auffälligen Erscheinungen, wie sie vor allem von Aggro Berlin repräsentiert sind, werden als reaktionär eingestuft. Emo dagegen wird sowohl von anderen Jugendkulturen als auch von wissenschaftlichen BetrachterInnen als nicht authentisch eingestuft (vgl. Waechter/Triebswetter 2009). Eine Herangehensweise, die den (jugend)kulturellen Ausdruck als Angriff gegen die Normalität begreift, kommt jedoch zu einem anderen Ergebnis. Für HipHop und Emo trifft gleichermaßen zu, dass ihr vermeintlich nicht-subversives Verhalten auf sehr viel Widerstand stoßt. Den HipHoppern sind die Emos verhasst, weil sie sich dem normalen Männlichkeitsbild widersetzen, die Emos hassen die HipHopper weil sie homophob und reaktionär sind, und die linke und rechte Öffentlichkeit stößt sich bei der jeweils ihren Idealen entgegen gesetzten Jugendkultur an deren Verweigerung gegenüber gesellschaftlicher Disziplinierung und Normalisierung (vgl. Waechter/Triebswetter). In erster Linie definieren sich SkateboarderInnen zwar über ihre Jugendkultur, allerdings zeigen die Verbindungen zu HipHop, Emo, Punk und Hardcore, dass in musikkulturellem Bezug vor allem solche Richtungen gefragt sind, die explizite oder subversive Gesellschaftskritik aufweisen oder verkörpern. Gleichzeitig versteht sich auch die Skateboardkultur selbst in mehrerer Hinsicht als non-konform: Skateboarden wird nicht als Sport, sondern als zentraler Lebensinhalt und Lebensstil betrachtet. In den Interviews stellen sich die Befragten als von der Normalität abweichend dar: „…ich glaub Skateboarding ist schon eine Lebenseinstellung, eben grad dieses Lockere und Innovative, dieses Anders-Sein als die anderen, prägt sicher den gesamten Lebensstil und man lebt das schon ein bissl.“ (m, 29) Der Widerstandscharakter der Jugendkultur der SkateboarderInnen zeigt sich zusammengefasst in zweierlei Hinsicht: Zum einen bilden lokale Skateboardgruppen Interessensgemeinschaften und setzen sich mit der lokalen Politik in Verbindung. Zum anderen besteht der partizipatorische Aspekt im Handeln selbst: in der Raumaneignung, im Aushandeln der „Nutzungsrechte“ der Räume, in der jugendkulturellen Selbstdarstellung mit Anleihen an HipHop oder Emo, in der unkonventionellen Sportausübung, kurz – in der non-konformen, öffentlichen Präsentation und Ausleben ihres eigenen Stils, eigenen Werthaltungen und Verhaltensweisen. 6 HausbesetzerInnen Obwohl HausbesetzerInnen eher in die Gruppe der politischen Jugendkulturen der Achtziger Jahren eingeordnet werden (vgl. Waechter 2006) und ihre Blütezeit damit vorüber scheint, blieben sie als Jugendkultur existent und zeichnen sich zumindest in Österreich durch eine Vielzahl an Aktivitäten aus. Gut vernetzt konnte sich eine überregionale Szene bilden, die sich bei ihren Projekten gegenseitig unterstützt. Die Hauptaktivität liegt naturgemäß im Besetzen von leerstehenden, ungenützten Gebäuden oder Arealen. Dabei gibt es mehrere Arten solcher „Besetzungen“: Erstens werden Gebäude (oder Areale) mit wenig Hoffnung auf eine langfristige Nutzungsperspektive besetzt. Trotzdem können damit mehrere Funktionen erfüllt werden: Es kann als politisches Ausdrucksmittel verstanden werden, mit dem auf die Wohnraumsituation und Gentrifikationsprozesse sowie auch auf die autonome Aneignung hingewiesen wird. Der gewonnene Raum kann auch als kurzfristiger Treffpunkt dienen und die Infrastruktur für verschiedene Aktivitäten bieten. Zweitens werden Gebäude leise besetzt mit dem vorrangigen Ziel, eine Wohnmöglichkeit für meist mehrere Personen zu schaffen. Diese Praxis gibt es natürlich auch unabhängig von der HausbesetzerInnen-Szene; obdachlos-gewordene Menschen versuchen auch ohne Szene-Eingebundenheit kurzfristig ein Dach über dem Kopf zu bekommen. Drittens gibt es die Instandbesetzung, die in gewisser Weise als Ideal der 11
HausbesetzerInnen-Szene beschrieben werden kann. Damit wird ein ungenutztes Gebäude nicht nur kurzfristig besetzt, sondern die Besetzung ist auf eine mittel- bis längerfristige Nutzung angelegt. Idealerweise gewähren die Eigentümer den neuen BewohnerInnen die Bleibe, was es jenen wiederum ermöglicht, bauliche, elektrische oder Installationsarbeiten im und am Haus vorzunehmen und damit das Haus wieder bewohnbar zu machen. Zwischen diesen drei Arten der Besetzung gibt es keine harten Grenzen, alle Mischformen sind möglich. Die aktiven HausbesetzerInnen suchen sich auch nicht unbedingt aus, welche Form von Besetzung für sie gerade am meisten Sinn macht, sondern handeln nach den gebotenen und sich verändernden Möglichkeiten. Eine Instandbesetzung ermöglicht es auch, den gewonnen Raum nicht nur zum gemeinschaftlichen Wohnen, sondern auch zur Verwirklichung verschiedener Projekte zu nützen. Nach der ursprünglichen Idee, wie sie in den Siebziger Jahren von der Bewegung der Kultur- und Kommunikationszentren formuliert wurde, soll Wohnen, Arbeit, Kultur und Politik vereint werden. Dieses Ideal wird nach wie vor zumindest insofern umgesetzt, als dass es geradezu als Standard zu bezeichnen ist, dass ein besetztes Haus verschiedene politische Projekte beherbergt. Eine lokale Gruppierung der in mehreren österreichischen Städten agierenden Gruppe „Freiraum“ beschreibt ihren Raum auf ihrer Website folgendermaßen: „Freiraum bezeichnet einen Ort, der kritisches Denken distanziert von den üblichen gesellschaftlichen Ver- und Bewertungsmechanismen fördert. Außerdem soll er der eigenen Individualität freien Lauf lassen und mensch die Möglichkeit bieten, sich mit sich selbst und Anderen auseinanderzusetzen. Dieser Raum soll Platz für Projekte wie z.B. eine Volksküche, Diskussionsabende, eine offene Werkstatt, Konzerte, Vernissagen, Workshops und andere Ideen bieten. Der Freiraum wird ein selbst bestimmtes Projekt für alle interessierten Menschen - unabhängig von deren Herkunft, Geschlecht, Sexualität und der Größe des Geldbeutels - sein. Die vorhandenen Ressourcen sind der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt. Wir wollen eine bunte, für jede/n zugängliche Einrichtung, möglichst frei von den herrschenden Zwängen (z.B. Konsumzwang, angepasstes Erscheinungsbild und Verhalten) schaffen und allen anbieten, selbst aktiv zu werden um sich abseits der normierten Wege zu verwalten.“ Neben dem Miteinander von Leben, Arbeiten, Party feiern und sich politisch engagieren, ist auch die Idee wesentlich, dass eigene Strukturen geschaffen und etabliert werden, die eine Unabhängigkeit von bestehenden staatlichen oder marktwirtschaftlichen Strukturen und Mechanismen erzeugen. Diese Idee kann verschiedene Ausrichtungen annehmen, wie folgender Interviewausschnitt zeigt: „Andere Leute wollten eben viel, viel mehr Raum für ihre Projekte. Dann, andere Leute wollten wieder Strukturen aufbauen, die nach nicht-kapitalistischen Kriterien funktionieren, also wo nicht Dinge zur Verwertung produziert werden, sondern aus eigenem Interesse oder für die Bedürfnisse anderer (…), um quasi die grundlegenden Strukturen kapitalistischer Ökonomie irgendwie auszuhebeln, in einem selbstorganisiertem Prozess. Und zwar mehr als über Volxküchen Essen zur Verfügung zu stellen, über Kost-nix-Läden, über Werkstätten Leuten zu helfen, irgendwie ihr tägliches Leben jenseits von Kapitalismus zu bestreiten, das ein bisschen denkbarer zu machen. Anderen Leuten ging’s auch wieder mal um einen propagandistischen Effekt, nämlich Besetzungen, diesen Prozess der Aneignung, nämlich Dinge aus einem Eigentumsverhältnis, in einem Kapitalfluss integriert, rauszuholen und sich Häuser zu holen.“ (m, 24) Die politischen Einstellungen weisen einen linken und anarchistischen Ideenhintergrund auf und können nicht auf eine bestimmte vorherrschende Denkrichtung beschränkt werden. Es ist sogar als typisch zu bezeichnen, dass es abgelehnt wird, eine bestimmte Ideologie zu verfolgen oder eine gemeinsame Denkrichtung der Gruppe oder der Bewegung zu bestimmen. Was politisch richtig und was falsch ist, muss in Gruppenprozessen und –diskussionen wiederholt ausgehandelt werden. Dennoch können sowohl die Gruppe Freiraum in ihrer Selbstpräsentation 12
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