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DER EUROPEAN GREEN DEAL UND RUSSLAND CHANCEN FÜR EINEN NEUANFANG DURCH GEMEINSAME KLIMA- UND ENERGIEPOLITIK
Der European Green Deal und Russland 3 Inhalt Vorwort: Dr. Wolfgang Schüssel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Executive Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1. Die EU und Russland – Eindämmung und Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . 8 2. European Green Deal und russische Klimapolitik – Chancen für Alle . . . . . 10 3. Erneuerbare Energien – Enormes Potenzial in Russland . . . . . . . . . . . . 16 4. Energieeffizienz – Nachholbedarf in Russland . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 5. Wasserstoff – Nur mit Russland kann die EU ihren Bedarf decken . . . . . . 29 6. Erdgas – Als „Brücke“ zwingend notwendig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 7. Kernkraft – Gemeinsame Forschung zur nuklearen Entsorgung . . . . . . . . 46 8. Rohstoffe – Diversifizierungs-Partnerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 9. Neun Forderungen an die europäische Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Nachwort: Prof. Dr. Friedbert Pflüger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Schaubildverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Auswahlbibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
4 Der European Green Deal und Russland Vorwort Mitten im Kalten Krieg, 1968, schloss Österreich als ren und wäre andererseits mit seinem gewaltigen, erstes westliches Land einen langfristigen Lieferver- teilweise noch nicht erschlossenen Potential von trag für russisches Gas ab. Wenige glaubten damals Wind-, Solar- und Biomasse-Energie ein idealer daran, dass sich daraus eine mehr als ein halbes Jahr- Partner. Beide, Russland und die Union, wollen bei hundert überdauernde produktive Lieferverbindung der Erzeugung von Wasserstoff ganz vorne dabei sein; ergeben würde. Erst drei Jahre später folgten mit geeinten Kräften wäre dies auch zu schaffen. Deutschland und Italien mit ähnlichen Kooperationen. Sowohl eine drohende Energieversorgungslücke in Heute wie damals sehen Europa und Russland eine Europa als auch ein Zurückfallen Russlands könnte geopolitische Situation mit wachsenden Spannungen dadurch abgewendet werden. Übrigens kann gerade und Konfrontationen, aber zugleich auch große glo- dabei die vielfach kritisierte Nord Stream 2 Pipeline bale Herausforderungen, die nur mit intensiver einen entscheidenden Beitrag leisten und künftig Kooperation bewältigt werden können. Die Klima auch große Mengen dringend benötigten Wasser- frage und die Transformation unserer Wirtschaft und stoffs in die EU bringen. Kompensationsmaßnahmen Gesellschaft sind solche Probleme. Das Pariser Klima- wie Aufforstungen, Abscheidung, Verwendung und abkommen verpflichtet Russland wie auch die EU- Speicherung von CO2 (CCU & CCS), Verbreiterung der Mitglieder dazu, die Erderwärmung unter 2 Grad Lieferketten und Abhängigkeiten von Seltenen Erden Celsius zu halten. Dazu hat die Europäische Kommis- und Rohstoffen sind weitere Kooperationsthemen in sion mit dem European Green Deal das Ziel formuliert, einem solchen „Wider European Green Deal“. bis 2050 den ersten klimaneutralen Kontinent zu schaffen. Präsident Putin beauftragte im Vorjahr die An dieser Stelle Dank und Anerkennung den Autoren Regierung, in zehn Jahren die Treibhausgasemissionen der Studie im Auftrag vom Dialog-Europa-Russland auf 70% (zu 1990) zu senken. Das sind höchst ambiti- und von United-Europe e.V. Zu hoffen ist, dass die onierte Ziele, die aber auch nachhaltige politische hochinteressanten Anregungen Gehör finden und zu Entscheidungen verlangen. Europa und Russland konkreten Kooperationen führen. Hugo Portisch, füh- könnten und sollten in einer substantiellen Partner- render österreichischer Journalist und Schriftsteller, schaft ihre Kräfte bündeln. Die Union geht mit dem hat in seinem Buch „Russland und wir“, das kurz vor Ausbau erneuerbarer Energiequellen, der Steigerung seinem Tod im April 2021 erschienen ist, festgestellt, der Energieeffizienz, der e-Mobilität und der CO2- dass „Europa und Russland aufeinander angewiesen Bepreisung systematisch voran. Russland könnte sind und es zunehmend sein werden.“ Dem schließe einerseits von dem gewonnenen Know-How profitie- ich mich vollinhaltlich an. Dr. Wolfgang Schüssel Bundeskanzler Österreichs 2000-2007
Der European Green Deal und Russland 5 Executive Summary Die EU verfolgt mit dem European Green Deal das Gase und erneuerbarer Energien. Es kann somit übergeordnete Ziel, Europa bis 2050 in den ersten der EU auch helfen, ihre ehrgeizigen Klimaziele klimaneutralen Kontinent zu verwandeln. Zu den leichter zu erreichen. weitreichenden geplanten Maßnahmen gehören die Erhöhung des Anteils von Energie aus erneuerbaren Schon einmal – vor einem halben Jahrhundert – Quellen, der Aufbau eines europäischen Marktes für war es die Energiepolitik, die in Zeiten des Kalten emissionsfreien Wasserstoff und die Steigerung der Krieges den Weg zu einer Entspannung ebnete. Energieeffizienz auf allen Ebenen. Ausgangspunkt die- Das Erdgas-Röhrengeschäft, das die Regierung ser gewaltigen Anstrengung ist das Pariser Klimaab- Brandt gemeinsam mit der deutschen Wirtschaft kommen mit dem Ziel, die Erderwärmung auf deut- einfädelte, ebnete den Weg zu friedlicher Koexis- lich unter 2 Grad Celsius gegenüber vorindustriellen tenz und Friedenssicherung. Auch jetzt könnte die Werten zu begrenzen. Energie- und vor allem die Klimapolitik den Weg für einen Neustart der Beziehungen ebnen. Wie die Mitgliedsstaaten der EU hat auch Russland das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet und Die EU sollte aus diesen Gründen Russland ein Ange- bekennt sich zur Reduktion von Treibhausgasen: Am bot im Rahmen des European Green Deal unterbrei- 4. November 2020 hat der russische Präsident Putin ten, die Transformation und Dekarbonisierung seiner per Präsidialdekret die Regierung angewiesen, bis eigenen Wirtschaft im Sinne einer emissionsarmen 2030 den Ausstoß von Treibhausgasemissionen auf Klima-, Energie- und Ressourcenpartnerschaft mit der 70% im Vergleich zu 1990 zu senken. Diese ambitio- EU und ihren Mitgliedsstaaten voranzutreiben. Dafür nierte Zielsetzung ist grundsätzlich sinnvoll, muss bieten sich folgende Bereiche an: aber zur Erreichung auch von entsprechenden Maß- nahmen begleitet werden. Erneuerbare Energien Die ambitionierten Emissions-Einsparziele des Euro- Es gibt drei Gründe, weshalb Russland in den Euro- pean Green Deal werden die europäische Nachfrage pean Green Deal eingebunden werden sollte: nach Strom aus erneuerbaren Quellen drastisch erhö- hen. Innerhalb der EU allein wird die hierfür notwen- Wie die meisten Nachbarländer der EU und die dige Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer meisten Staaten auf der Erde, ist das Land weit Stromproduktion wegen technischer wie politischer vom europäischen klimapolitischen Herausforderungen kaum möglich sein. Ambitionsniveau entfernt. Eine enge klimapolitische Kooperation Energie- und Klima- Auch deswegen unterstützen die euro- mit der EU wird es Russland erleich- politik können eine päischen Rahmenbedingungen für tern, die Pariser Klimaziele im eige- entscheidende Rolle bei erneuerbare Energien explizit die nen Land umzusetzen. Das wäre einem Neubeginn des Kooperation mit Drittstaaten in diesem ein entscheidender Schritt für die Dialogs mit Russland Bereich. Aufgrund seiner natürlichen globale Klimapolitik. spielen geografischen Bedingungen und riesi- gen Fläche hat Russland enorme, noch Russland sichert bereits heute einen nicht erschlossene Potenziale für Wind- wesentlichen Anteil europäischer Energieimporte, und Solarenergie sowie Biomasse und ist somit ein birgt aber darüber hinaus auch enorme Potentiale idealer Partner. für die Produktion und den Export emissionsfreier
6 Der European Green Deal und Russland Einzelne, im Rahmen einer Kooperation noch existie- Wasserstoff rende Hindernisse können durch gemeinsame euro- Sowohl Russland als auch die EU möchten sich als päisch-russische Projekte – beispielsweise zur Ver- Vorreiter bei Wasserstofftechnologien etablieren. besserung der Interkonnektivität Ganz im Sinne des European Green elektrischer Übertragungsnetze oder Deal sieht die europäische Wasserstoff- zur Effizienzsteigerung von Anlagen – Russland verfügt über strategie den zügigen Ausbau der Pro- überbrückt werden. das größte Windpoten- duktion auf Grundlage erneuerbarer zial der Welt, technolo- Energien vor, lässt aber (zumindest Auch das riesige Potential Russlands zur giebedingt ist jedoch übergangsweise) auch andere Formen CO2-Abscheidung durch Aufforstung ist nur ein sehr kleiner Teil von emissionsfreiem Wasserstoff – bei- eine signifikante Ressource, die als Teil davon wirtschaftlich spielsweise produziert durch Methan- europäisch-russischer Zusammenarbeit nutzbar pyrolyse oder mit Atomstrom – auf durch Einbindung in das Emissionshan- dem europäischen Markt zu. delssystem der EU entscheidend zur Erreichung von Netto-Emissionsfreiheit der EU bis Insbesondere auf Grundlage dieser Technologien 2050 beitragen kann und zum beiderseitigen Nutzen hegt Russland mit seinen Unternehmen nachvollzieh- erschlossen werden sollte. bare Ambitionen und könnte im Rahmen einer Part- nerschaft dazu beitragen, die enorme projizierte Eine enge europäisch-russische Zusam- europäische Versorgungslücke mit menarbeit bei erneuerbaren Energien Exporten sowie in Europa lokalisierter würde nicht nur die europäische Kli- Durch Aufforstung Produktion zu füllen. Umgekehrt mapolitik und Energiesicherheit voran- könnte Russland allein könnte Russland insbesondere bei Elek- bringen, sondern auch zur Diversifizie- 8 Prozent der jährlichen trolysetechnologien vom europäischen rung der russischen Energiewirtschaft europäischen Treibhaus- Knowhow profitieren. beitragen, den erneuerbaren Sektor gasemissionen binden des Landes ankurbeln und die beidsei- Erdgas tig vorteilhaften Interdependenzen Kurz- und mittelfristig werden Erdgas auch in Zeiten abnehmender europäischer Nachfrage importe, vor allem aus Russland, wegen deutlich nach fossilen Energieträgern zementieren. sinkender einheimischer Gas-Produktion und der Abwendung vom Energieträger Kohle einen entschei- Energieeffizienz denden Baustein der europäischen Energiewende Energieeffizienz als Querschnittsauf- darstellen. Auch mit Blick auf den Euro- gabe spielt sowohl in der Energiepolitik pean Green Deal und den daraus der EU im Rahmen des European Green Bis 2050 soll der erwachsenden Bedarf an Wasserstoff Deal als auch in Russland eine große EU-Wasserstoffsektor und emissionsfreien Gasen ist die Fort- Rolle. Kooperationspotentiale bieten mit bis zu 470 Mrd. € führung der Energiepartnerschaft mit sich hier über gemeinsame Projekte zur gefördert werden, auch Russland entscheidend. Energieeinsparung in allen Wirtschafts- 120 GW zusätzliche sektoren an. Diese sollten durch Dialog erneuerbare Leistung Kooperationsmöglichkeiten ergeben und Zusammenarbeit auf Arbeitsebene sollen entstehen sich vor allem im Bereich der Infrastruk- gestützt und geleitet werden. tur durch die Vollendung der Gaspipe- line Nord Stream 2, die zukünftig auch große Mengen Wasserstoff nach Europa bringen könnte. Potential für technische Zusammenarbeit
Der European Green Deal und Russland 7 bietet sich bei der Reduzierung von umweltschädli- Eine enge europäisch-russische nukleare Zusammen- chen Methanemissionen sowie im Bereich von CCU & arbeit kann die nötige Forschungsarbeit im Bereich CCS-Technologien bei Erdgas sowie blauem Wasser- Endlager und Behandlung von gebrauchtem nukle stoff an, wofür es bereits konkrete arem Brennstoff (etwa durch die Parti Anknüpfungspunkte in Form von tioning and Transmutation-Technologie) Rund 300.000 Tonnen Pilotprojekten und Bestrebungen der befördern und die Kernkraft als CO2-arme hochradioaktiver Privatwirtschaft für beidseitige Technologie im Sinne der Nachhaltig- Abfälle liegen in Kooperation gibt. keitsziele des European Green Deal Zwischenlagern, die etablieren. Suche nach Kernkraft Lösungskonzepten Die künftige Rolle der Kernkraft in der Rohstoffe dauert seit Beginn des EU ist heute umstritten. Trotz nahezu Der europäische Bedarf an kritischen Atomzeitalters vor über emissionsfreier Stromproduktion ver- Rohstoffen wird durch die technologi- 80 Jahren an suchen einige Länder, die Nukleare- schen Anforderungen des European nergie unter der Taxonomie des Euro- Green Deal weiter zunehmen. Sowohl pean Green Deal wegen des noch die EU als auch Russland verfolgen darü- ungelösten Problems des Atommülls als nicht nach- ber hinaus das Ziel, insbesondere im Bereich der Sel- haltig einzustufen. tenen Erden eigene Produktionen auszubauen, inter- nationale Lieferketten zu diversifizieren und die Dabei wird bereits heute an neuen Verfahren der Abhängigkeit der EU von China bei Seltenen Erden Wiederaufbereitung geforscht, die künftig einen und kritischen Rohstoffen zu reduzieren. Deshalb geschlossenen Kreislauf für hochradioaktive Rest- erscheint eine strategische Rohstoffpartnerschaft stoffe schaffen und das Endlagerproblem entschei- zwischen der EU und Russland sinnvoll. dend entschärfen könnten. Russlands Kernforschung ist auf diesem Gebiet weltweit führend.
1. DIE EU UND RUSSLAND – EINDÄMMUNG UND ZUSAMMENARBEIT
Der European Green Deal und Russland 9 Die enge Einbindung Russlands bei der Umsetzung strich auch Bundeskanzler Helmut Schmidt gegenüber von klimapolitischen Kernanliegen der EU ist nicht US-Präsident Jimmy Carter: „Wer Handel miteinander zuletzt vor dem Hintergrund historischer und sicher- treibt, schießt nicht aufeinander.“ Die meisten Regie- heitspolitischer Erwägungen eine rungen der EU-Mitgliedsstaaten sowie Chance. Die Beziehungen von EU und die Europäische Kommission sind die- NATO zu Moskau sind nach der völker- Der Schrecken zweier ser Grundmaxime im Wesentlichen bis rechtswidrigen Annexion der Krim, Weltkriege darf sich nie heute gefolgt. Sie hat zu einer inzwi- dem hybriden Krieg Russlands in der wiederholen schen 75-jährigen Friedensperiode Ostukraine, Cyberattacken zur Beein- entscheidend beigetragen. flussung der politischen Situation in westlichen Staaten und den (sehr wahrscheinlichen) Neben dem Handel mit Erdöl, Kohle und Rohstoffen Vergiftungen des ehemaligen Doppelagenten Sergej war vor allem das deutsch-sowjetische Erdgas-Röhren- Skripal sowie des Oppositionellen Alexej Nawalny Geschäft vom Februar 1970 von zentraler Bedeutung (und dessen folgender Verurteilung) angespannt. für ganz Europa, weil durch gegenseitige Abhängig- keiten und Verflechtungen (Russland verpflichtet sich Ob und inwieweit der Westen an diesen Entwicklun- mindestens 52 Mrd. Kubikmeter Erdgas zu liefern, gen eine Mitschuld trägt, kann hier im Einzelnen nicht Deutschland 1,2 Mio. Tonnen Pipelinesegmente – untersucht werden. Aber: 2001 gab es nach der – in Europa braucht Gas, Russland Devisen) Vertrauen deutscher Sprache gehaltenen – Putin-Rede im Deut- zwischen Moskau und den westeuropäischen Staaten schen Bundestag fast so etwas wie aufgebaut wurde. Diese Zusammenar- eine Aufbruchsstimmung, sechs Jahre beit erwies sich auch in den schwierig später die offenkundige Enttäuschung Europas Energiepartner- sten Phasen des Kalten Krieges als und Abwendung des russischen Präsi- schaft mit Russland hat verlässlich. denten bei seiner Rede auf der Münch- sich seit den 1970er ner Sicherheitskonferenz. Vieles deutet Jahren als erfolgreich Genauso wie damals könnte die Ener- darauf hin: Beide Seiten haben Fehler und nachhaltig erwiesen gie- und mit ihr heute die Klimapolitik gemacht. eine entscheidende Rolle bei einem Neubeginn des Dialogs mit Russland Wie immer man dies im Einzelnen beurteilen mag: spielen. Nach diesem ersten Schritt kommt es darauf Allein die Grauen der beiden Weltkriege zeigen uns, an, weitere Felder einer europäisch-russischen Ener- dass es keine Alternative zum Frieden gibt – dies gilt gie- und Klimakooperation zu identifizieren und kon- zumal vor dem Hintergrund nuklearer Waffenarsen- krete gemeinsame Initiativen zu ergreifen. Die Ziele ale. Deshalb gilt die Botschaft des Harmel-Berichts des European Green Deal bieten hierfür den idealen der NATO aus dem Jahr 1967 auch Rahmen. heute: Neben der Fähigkeit zu Selbst- behauptung und Verteidigung muss Energie- und Klima- Im Folgenden werden die Zielsetzungen immer auch die Bereitschaft zu Ent- politik können eine des European Green Deal eingeführt. spannung, Zusammenarbeit und Rüs- entscheidende Rolle bei In der anschließenden Analyse der tungskontrolle treten. einem Neubeginn des Bereiche erneuerbaren Energien, Dialogs mit Russland Energieeffizienz, Wasserstoff, sowie Eine besondere Bedeutung kommt spielen darüber hinaus einer Zusammenarbeit dabei der wirtschaftlichen Einbindung im Nuklearbereich und bei Rohstoffen Russlands zu. „Wandel durch Handel“ werden Kooperationspotentiale her- war schon die Devise von Bundeskanzler Willy ausgearbeitet, auf denen eine zukünftige engere Part- Brandt. Dieser Geist fand Eingang in die KSZE-Schluß- nerschaft der EU mit Russland basieren kann. Im akte von Helsinki aus dem Jahr 1975, mit der trotz Schlussteil werden auf dieser Grundlage neun Forde- aller Systemgegensätze eine Art europäische Haus- rungen an die europäische Politik für den Neubeginn ordnung geschaffen wurde. In diesem Sinne unter- des Dialogs mit Russland gerichtet.
2. EUROPEAN GREEN DEAL UND RUSSISCHE KLIMAPOLITIK – CHANCEN FÜR ALLE
Der European Green Deal und Russland 11 Bereits im November 2018 hat die Europäische Kom- Darüber hinaus wird die Umgestaltung der Wirtschaft mission ihre strategische Vision für eine nachhaltige, für eine nachhaltige Zukunft bei gleichzeitiger Stärkung wettbewerbsfähige und klimaneutrale Wirtschaft bis der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und Erhö- 2050 vorgestellt. Diese Vision wurde Ende 2019 von hung der Resilienz gegen die Folgen des Klimawandels der damals neuen Kommissionspräsi- durch den Aufbau eines soliden Rah- dentin Ursula von der Leyen mit dem mens für Innovationen und Investitio- European Green Deal aufgegriffen – Ziel des European Green nen verfolgt (vergleiche auch Schaubild die Maßnahmen zur Reduktion von Deal ist die nahezu 1). Der European Green Deal soll suk- Treibhausgasemissionen um 60% bis vollständige zessive durch Gesetzesvorhaben, Initia- 2050 im Vergleich zu 1990 wurde aus- Dekarbonisierung tiven, Strategien und Allianzen konkre- gebaut. Ziel ist nun die nahezu vollstän- der EU tisiert werden. dige Dekarbonisierung (Net- to-Null-Emissionen) der EU bis zur Für die Erreichung des Ziels einer kli- Mitte des Jahrhunderts mit einem besonders ehrgei- maneutralen Wirtschaft ist die Dekarbonisierung des zigen Zwischenschritt einer Reduktion von mindes- Energiesystems von entscheidender Bedeutung. tens 55% bis zum Jahr 2030 (bis 2020 war gerade eine 75% der Treibhausgasemissionen entstehen durch Verminderung von 24% erreicht), der im Rahmen der die Erzeugung und den Verbrauch von Energie in Trilog-Verhandlungen zwischen den EU-Institutionen allen Wirtschaftszweigen der EU. im April 2021 beschlossen wurde. Schaubild 1: Umfassende Umgestaltung der Wirtschaft - der European Green Deal Übersicht zum European Green Deal Quelle: Europäische Kommission
12 Der European Green Deal und Russland Hierfür gelten im Rahmen des European Green Deal lich auch Investitionen in Infrastruktur – einschließlich folgende Leitprinzipien: für Gas. Vor allem aber fördert die EU über die euro- päischen Projects of Common Interest Vorhaben im Priorisierung von Maßnahmen zur Erhöhung der Energiebereich mit ca. 5,2 Mrd. € im Zeitraum von Energieeffizienz; 2021 bis 2027. Darüber hinaus ermöglicht die Europä- Entwicklung eines Energiesystems, das sich weit- ische Investitionsbank im selben Zeitraum durch die gehend auf erneuerbare Energiequellen stützt, Vergabe von Darlehen öffentliche Investitionen von Elektrifizierung und Nutzung von Wasserstoff 25 bis 30 Mrd. €, unter anderem im Bereich Energie- fördert und gleichzeitig für Verbraucher und infrastruktur. Unternehmen erschwinglich bleibt; Unterstützung des Einsatzes dekarbonisierter Gase; Trotzdem könnte die erforderliche tiefgreifende Reduzierung energiebezogener Methanemissionen; Transformation des europäischen Energiesystems auf Integration und Digitalisierung des europäischen starken Widerstand stoßen, der die Strategie ernsthaft Energiemarktes. untergraben kann. Insbesondere EU-Mitgliedstaaten, die für ihre Stromerzeugung und die Ein besonderes Augenmerk liegt bei Bereitstellung tausender Arbeitsplätze der Umsetzung des European Green Zunehmend wird immer noch stark auf fossile Energie- Deal auf der sozialen Gerechtigkeit des deutlich, dass die EU träger angewiesen sind, zeigen deut Übergangs hin zu einer dekarbonisier- seine Klimaziele kaum liche Bedenken hinsichtlich einer voll- ten Wirtschaft, welcher durch einen bis aus ausschließlich ständigen Dekarbonisierung. So 2025 mit 40 Mrd. € ausgestatteten eigener Kraft erreichen lehnten beispielsweise im Jahr 2019 Fonds für Maßnahmen zur Diversifizie- können wird Polen, Tschechien, Estland und Ungarn rung, Innovation und Umschulung flan- die Annahme eines Klimaneutralitäts- kiert wird. Eine im Rahmen von ziels der EU für 2050 auf mehreren InvestEU zu diesem Zweck zur Verfügung gestellte In Europäischen Ratssitzungen zunächst ab. Es ist daher vestitionshilfe in Höhe von 1,8 Mrd. € fördert zusätz- nicht auszuschließen, dass bis 2050 weitreichende Schaubild 2: Senkung der Emissionen – ein Kraftakt Treibhausgasemissionen der EU (in Mio. Tonnen CO2 -Equivalenten) 6.000 5.000 EU 2020 Ziel (-20%) 4.000 EU 2030 Ziel (-40%) 3.000 EU 2030 Ziel (-55%) 2.000 1.000 EU 2050 Ziel (ca.) 0 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 EU-27: Historische Treibhausgasemissionen EU-27: Prognosen mit existierenden Maßnahmen EU-27: Prognosen mit zusätzlichen Maßnahmen Quelle: Europäische Umweltagentur (EEA)
Der European Green Deal und Russland 13 Schaubild 3: Wirtschaft und Emissionen wachsen weltweit – Europas Anteil sinkt Anteil der EU am globalen Ausstoß von Treibhausgasemissionen 10,3 46,7 46,5 28,3 23,4 1990 2015 15,5 19,6 9,9 China USA EU Rest der Welt Quelle: Institut der Deutschen Wirtschaft Köln (IW)/Internationale Energieagentur (IEA) CO2-Kompensationsmaßnahmen nötig sein werden, zwar nur leicht steigende Treibhausgasemissionen auf um das Ziel von Netto-Null-Emissionen zu erreichen. (vergleiche Schaubild 4), hadert aber dennoch mit der Implementierung eigener Klimainitiativen: Das starke klimapolitische Engagement der EU spie- gelt sich trotzdem bereits in einer deutlichen Reduk- Ein Vorschlag vom Januar 2019 für ein nationales tion europäischer Treibhausgasemissionen über die Emissionshandelssystem wird aufgrund von Beden- letzten Jahrzehnte wider (vergleiche Schaubild 2 bis ken aus der Wirtschaft zunächst nicht weiterverfolgt. 2020). Zunehmend wird aber auch deutlich, dass die Ein im März 2020 vorgelegter Entwurf für eine lang- EU – auch bei Einführung zusätzlicher energie- und fristige Entwicklungsstrategie für die Reduktion von klimapolitischer Maßnahmen – seine Emissionsreduk- Treibhausgasemissionen sowie ein Präsidialdekret tionsziele kaum aus ausschließlich eigener Kraft errei- von November 2020 zielen lediglich auf die Umsetzung chen können wird (vergleiche Projektionen in Schau- der Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaschutzab- bild 2). kommen und eine Begrenzung der Treibhausgasemis sionen bis 2030 auf 70 % des Niveaus von 1990 ab. Auch der Anteil der EU am globalen Ausstoß von Ersteres würde jedoch im Falle Russlands immer noch Treibhausgasemissionen hat sich von 19,6% in 1990, eine deutliche Erhöhung im Vergleich zum jetzigen allerdings maßgeblich bedingt durch das globale Emissionsniveau erlauben (vergleiche Schaubild 4), Wachstum der Emissionen und weniger durch die wobei durch Maßnahmen zur Steigerung der Energie- Klimaschutzbemühungen der EU, auf 9,9% in 2015 effizienz sowie den Einsatz von erneuerbaren Ener- um die Hälfte reduziert (vergleiche Schaubild 3). Dies gien enormes Potential für weitere Reduktionen der ist ein weiteres deutliches Signal dafür, dass umfas- Emissionen besteht. Der russische Energieminister sender Klimaschutz nur im Rahmen internationaler Alexander Novak äußerte sich 2020 wie folgt: Zusammenarbeit gelingen kann. „Russland arbeitet aktiv an der Nutzung neuer Ener- Die meisten Partner- und Nachbarländer der EU sind giequellen, insbesondere an der Entwicklung von jedoch noch weit vom Ambitionsniveau des European erneuerbaren Energiequellen und der Wasserstoff- Green Deal entfernt. Russland z.B. weist nach der Energie, auch in Zusammenarbeit mit ausländischen schlagartigen Deindustrialisierung der Neunzigerjahre Partnern.“
14 Der European Green Deal und Russland Schaubild 4: Russlands Emissionen – stabil unter dem Referenzniveau CO2-Emissionen Russlands (in Mio. Tonnen) 4.000 3.500 3.000 2.500 2.000 1.500 1.000 500 0 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 Zwei Drittel des Emissionsniveaus von 1990 Quelle: Weltbank Präsident Putin wurde in seiner Rede zur Lage der Klimazielen zu ermutigen und zu unterstützen, aber Nation im April 2021 noch konkreter und formulierte auch als Zulieferer emissionsarmer Energie zu das ehrgeizige Ziel, dass in den nächsten 30 Jahren gewinnen. die kumulierten Emissionen in Russland kleiner sein müssten als in der EU. Der European Green Deal muss sich also nicht nur innerhalb der EU verfestigen, sondern sollte parallel Es ist daher von besonderer Bedeutung, dass der auch nach außen getragen werden, um insbesondere European Green Deal die globale Dimension des Klima die Partnerschaften mit jenen Staaten vorsorglich wandels reflektiert und entsprechend die Koopera- umzugestalten, die bereits heute zu den wichtigsten tion mit anderen Ländern anstrebt. Ohne eine Vorrei- Energieversorgern Europas gehören und diese Rolle terfunktion der EU würden voraussichtlich nicht nur perspektivisch auch in einer emissionsarmen Zukunft signifikante globale Auswirkungen der fortführen können. europäischen Klimabemühungen aus- bleiben – auch die europäische Wirt- Klimaschutz kann nur im Dies gilt allen voran für Russland, das schaft könnte aufgrund ungleich Rahmen internationaler bereits jetzt einen wesentlichen Anteil höhere Energiekosten und dem Weg- Zusammenarbeit europäischer fossiler Energieimporte fall von Arbeitsplätzen einen starken gelingen, Partnerländer liefert (vergleiche Schaubild 5), aber Schaden erleiden. müssen durch Finanzie- darüber hinaus auch enorme Potentiale rung und Fachwissen für die Produktion und den Export Die Zusammenarbeit mit G20-Staaten – unterstützt werden emissionsfreier Gase und erneuerbarer unter diesen auch Russland – bei Stra- Energien birgt. tegien zum Klimaschutz soll daher aus- gebaut und durch gemeinsame internationale Der European Green Deal dürfte den Bedarf an Im- Initiativen ergänzt werden. Im Rahmen sogenannter porten fossiler Energieträger aus Russland verringern Klimadiplomatie sollen sowohl Fachwissen als auch und die bestehende gegenseitige Interdependenz – finanzielle Ressourcen eingebracht werden, um Part- Europa als Abnehmer und Russland als Zulieferer – ner- und Nachbarländer zur Festlegung und Errei- neu ausrichten. Dieser Umstand birgt das Risiko wirt- chung von
Der European Green Deal und Russland 15 schaftlicher Schäden für Russland aufgrund sinkender Exporte fossiler Energien, andererseits aber auch Es gilt, im Rahmen des Potential für Kooperation beim Handel mit emissions- European Green Deal freien Gasen und erneuerbaren Energien. Russland ein Angebot zur Fortführung der Es gilt daher, die Kooperation fortzuführen und im Energiepartnerschaft zu Rahmen des European Green Deal ein Angebot zu unterbreiten unterbreiten, das Russland als Chance wahrnehmen kann, die Transformation und Dekarbonisierung sei- ner eigenen Wirtschaft im Sinne einer emissionsar- men Energie- und Ressourcenpartnerschaft mit Europa voranzutreiben. Schaubild 5: Russland – zentraler Lieferant von EU-Energieimporten EU-Importe von Erdgas, Erdöl und Kohle im Jahr 2018 nach Herkunftsland Erdgas Erdöl Kohle 0% 20 % 40 % 60 % 80 % 100 % Russland Andere Quelle: Eurostat
3. ERNEUERBARE ENERGIEN – ENORMES POTENZIAL IN RUSSLAND
Der European Green Deal und Russland 17 Die ambitionierten Emissionsreduktionsziele des European Green Deal werden die europäische Nachfrage nach Strom aus erneuerbaren Quellen drastisch erhöhen. Innerhalb der EU allein wird die hierfür notwendige Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Stromproduktion wegen technischer und politischer Herausforderun- gen, aber auch Knappheit notwendiger Rohstoffe auf dem europäischen Markt kaum möglich sein. Auch deswe- gen unterstützen die europäischen Rahmenbedingungen für erneuerbare Energien explizit die Kooperation mit Drittstaaten in diesem Bereich. Aufgrund seiner natürlichen geografischen Bedingungen und riesigen Fläche hat Russland enorme, noch nicht erschlossene Potentiale für Wind- und Solarenergie sowie Biomasse und ist somit ein idealer Partner. Einzelne, im Rahmen einer Kooperation noch existierende Hindernisse können durch gemeinsame europäisch-russische Projekte – beispielsweise zur Verbesserung der Interkonnektivität elektrischer Übertragungsnetze oder zur Effizienzsteigerung von Anlagen – überbrückt werden. Eine enge europäisch-russische Zusammenarbeit bei erneuerbaren Energien würde nicht nur die europäische Klimapolitik und Energiesicherheit voranbringen, sondern auch zur Diversifizierung der russischen Energiewirt- schaft beitragen, den erneuerbaren Sektor des Landes ankurbeln und die beidseitig vorteilhaften Interdepen- denzen auch in Zeiten abnehmender europäischer Nachfrage nach fossilen Energieträgern zementieren. Auch das enorme Potential Russlands zur CO2-Abscheidung durch Aufforstung ist eine signifikante Ressource, die als Teil europäisch-russischer Kooperation durch Einbindung in das Emissionshandelssystem der EU entschei- dend zur Erreichung von Netto-Emissionsfreiheit der EU bis 2050 beitragen kann und zum beidseitigen Nutzen erschlossen werden sollte. 3.1 Rahmenbedingungen Europäische Union erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch der Bereits im Vorfeld des European Green Deal hat die EU von 32% bis zum Jahr 2030 fest. EU im Rahmen des „Saubere Energie für alle Europä- er”-Pakets zwischen 2018 und 2019 insgesamt acht Darüber hinaus werden Kooperationsmechanismen Rechtsakte erlassen, um den Übergang weg von fossi- eingeführt, wodurch die EU und ihre Mitgliedstaaten len Brennstoffen hin zu emissionsärmerer Energie zu Forschung, Entwicklung, Investitionen und Förderme- erleichtern und die Verpflichtungen der chanismen zugunsten der Produktion EU aus dem Pariser Klimaabkommen von erneuerbaren Energien in Partner- zur Reduzierung der Treibhausgasemis- Erneuerbare Energien ländern fördern und auf diese Weise sionen zu erfüllen. in Partnerländern sollen zur Stärkung der wirtschaftlichen Trag- gefördert werden, fähigkeit und der Ausfuhrkapazitäten Der Ausbau erneuerbarer Energien in der Strom kann in die dieser Länder in diesem Bereich beitra- der EU wird von der 2018 verabschie- EU importiert und gen können. Weiterhin soll laut der deten “Richtlinie zur Förderung der angerechnet werden Richtlinie die Möglichkeit bestehen, Nutzung von Energien aus erneuerba- aus erneuerbaren Energiequellen ren Quellen” geregelt, welche von den außerhalb der Union produzierte und Mitgliedstaaten bis Ende Juni 2021 in nationales importierte Elektrizität auf den Anteil erneuerbarer Recht umgesetzt werden muss. Die Richtlinie legt Energien der Mitgliedstaaten anzurechnen. unter anderem ein verbindliches Ziel für den Anteil
18 Der European Green Deal und Russland Möglich ist die Anrechnung von Importen aus Dritt- Weiterhin rechnet die EU dem Waldbestand hohe staaten jedoch nur, wenn der Strom aus erneuerba- Bedeutung zu. Bereits 2019 hat die Europäische Kom- ren Anlagen stammt, die nach 2008 gebaut oder mission Pläne für die Intensivierung globaler Maß- erweitert wurden. Dadurch soll vermie- nahmen zum Schutz und zur Wieder- den werden, dass durch Einfuhr von herstellung der Wälder vorgelegt. In Energie aus erneuerbaren Quellen in Die EU-Asien- zwei Ratsschlussfolgerung betonen die Union der Anteil solcher Energie- Konnektivitätsstrategie die EU-Mitgliedstaaten auch explizit quellen am Gesamtenergieverbrauch in soll auch den die Bedeutung von Partnerländern für dem Drittland sinkt. Für die produzierte Netzausbau zwischen die Bemühungen um den Schutz und und exportierte Elektrizitätsmenge darf den Regionen fördern Aufforstung von Wäldern und heben ein Drittland außer Investitionsbei die eigenen internationalen Verpflich- hilfen für die Anlage keine anderen tungen zur Vergrößerung der Waldflä- Förderungen gewähren. Im Zuge des im European chen weltweit hervor, unter anderem durch Auffor- Green Deal angepassten und im April 2021 politisch stung und Wiederaufforstung. beschlossenen Ziels einer Reduzierung der Treibhaus- gas-Emissionen um mindestens 55% bis 2030 im Vergleich zu 1990 soll die Richtlinie zu erneuerbaren Russland Energien durch einen im zweiten Quartal 2021 erwar- Auch Russland verfolgt grundsätzlich die ökologische teten Entwurf novelliert werden. (lag zu Redaktions- Modernisierung seiner Energiewirtschaft. Im Jahr schluss der Studie noch nicht vor). 2009 wurde die „Energiestrategie der Russischen Föderation bis 2030“ vorgestellt, welche durch jährli- Ebenfalls 2018 hat die Europäische Kommission in che Ausschreibungen zum Bau von Solar-, Wind- und einer Kommunikation zur „Förderung der Konnektivi- Thermalenergieanlagen die stufenweise Erhöhung tät zwischen Europa und Asien“ Elemente zu einer des Anteils erneuerbarer Energien an der Elektrizitäts- EU-Strategie in diesem Bereich veröffentlicht. Ziel ist erzeugung auf 4,5% (exklusive Wasserkraft) bis 2020 es, einen Beitrag zum Aufbau effizien- verfolgen sollte. Im Jahr 2019 lag dieser ter Verbindungen und Netze zwischen Anteil jedoch noch bei unter 1% (ver- Europa und Asien – einschließlich des Die EU hat sich zum gleiche Schaubild 6). Energiebereichs – im Dienste der jewei- weltweiten Schutz und ligen Volkswirtschaften zu leisten. zur Aufforstung von Im russischen „Jahr der Ökologie” 2017 Unter anderem wird die (finanzielle) Wäldern verpflichtet wurde zusätzlich ein Programm zur Förderung von Projekten mit erhebli- Modernisierung der Energiewirtschaft chem Investitionsbedarf in Aussicht eingeführt, welches den Ausbau erneu- gestellt, welche die Modernisierung des Energiesys- erbarer Energien zwischen 2025 und 2035 mit ca. 5,7 tems, die Einführung nachhaltiger Lösungen, die Stei- Mrd. € unterstützen soll. Davon sollen 37% auf Pho- gerung der Energieeffizienz und die Konnektivität im tovoltaik und 55% auf Windkraft entfallen. Energiebereich zwischen und mit Partnern in Asien unterstützen.
Der European Green Deal und Russland 19 Schaubild 6: Viel Luft nach oben bei Russlands Erneuerbaren Russischer Strommix (2019) 0,1 % 15 % 17 % 1% Kohle Erdöl 18 % Erdgas Nuklear 49 % Wasserkraft Andere Erneuerbare Quelle: IEA: World Energy Outlook 2020 Die im April 2020 erlassene vierte „Energiestrategie rale Rolle spielen. Diese Diskrepanz in den energiepo- der Russischen Föderation bis 2035” spricht nichtkon- litischen Zielsetzungen Russlands und der EU sollte ventionellen Energiequellen jedoch weiterhin wenig durch das Aufzeigen der wirtschaftlichen Perspekti- Bedeutung zu. Die drei fossilen Energie- ven von Kooperation auf dem Gebiet träger Kohle, Erdgas und Erdöl der erneuerbaren Energien aufgefangen sollen zwischen 2018 und 2035 weiter- Russlands Energie- werden. hin für einen Anteil von über 92% der strategie spricht Primärenergie eingesetzt werden. Zum erneuerbaren Energien Ähnlich zu den erneuerbaren Energien, Vergleich: In der EU lag der Anteil der noch sehr wenig ist die Russische Föderation im Bereich fossilen Energien am Primärenergiever- Bedeutung zu ... Aufforstung aktuell wenig ambitioniert. brauch im Jahr 2019 trotz jahrzehnte Im Rahmen des nationalen Projekts langer Anstrengungen immer noch bei „Ökologie“ hat die Regierung 2019 über 70%; im für seinen Ausbau der erneuerbaren Energien das Unterprogramm „Erhaltung der Wälder” 32 Mio. viel gelobten China lag der Anteil sogar bei 88%. € zur Verfügung gestellt, die Wiederaufforstungen lediglich auf das Niveau des Holzein- Wenngleich die Rolle von erneuerba- schlags heben sollten. Zudem wer- ren Energien auch in der russischen ... und sollte durch das den bis 2024 etwa 300 Mio. € für Politik über das letzte Jahrzehnt Aufzeigen wirtschaft‑ verschiedene Maßnahmen zur etwas an Bedeutung gewonnen hat, licher Perspektiven von Bekämpfung von Waldbränden werden fossile Energieträger kurz- Kooperationen mit der bereitgestellt. und mittelfristig weiterhin die zent- EU auf diesem Gebiet aufgefangen werden
20 Der European Green Deal und Russland 3.2 Produktion und Bedarf Europäische Union müsste die jährliche Wachstumsrate um 15% höher Das Ziel des European Green Deal, die CO2-Emissio- liegen als der Durchschnitt der Jahre 2014 bis 2018 – nen der EU bis 2050 komplett zu eliminieren, wird ins- für den ambitionierten Ausbaupfad wären es sogar besondere im Falle einer weitreichenden Elektrifizie- 200% mehr. Sowohl technisch als auch finanziell rung von Transport, Wärme und dürfte eine solche Beschleunigung Kühlung sowie der Versorgung energi- enorme Herausforderungen mit sich eintensiver Industrien und der Umset- Die installierte erneuer- bringen. zung der Wasserstoffstrategie trotz bare Leistung der EU absehbarer Effizienzsteigerungen einen müsste sich im Zuge des Auch weitere Faktoren schränken die enormen Zubau von erneuerbarer European Green Deal Möglichkeiten zum Ausbau erneuerbarer Stromerzeugungskapazität (wie auch mindestens verdrei Energien innerhalb Europas ein: Geeig- zusätzlichen Netzen und Speichern) fachen, vielleicht sogar nete Standorte für Anlagen werden erfordern. versechsfachen zunehmend rar, Vogelschutz und Not- in-my-backyard-Bewegungen blockie- Laut Schätzungen der Europäischen ren oder verzögern effektiv den Bau Kommission müsste die installierte Leistung erneuer- neuer Windparks und der nötigen Übertragungs- barer Energien in der EU, abhängig von dem zugrunde netze, sogar manche Politiker plädieren gegen eine gelegten Szenario von derzeit 424 GW bis 2050 auf „Verspargelung der Landschaft“ durch Windräder. ca. 1.200 bis 2.800 GW ausgebaut werden (vergleiche Weiterhin stellt die Knappheit erforderlicher Roh- Schaubild 7). stoffe bei der innereuropäischen Produktion ein Hin- dernis für den Ausbau erneuerbarer Energien dar, Um den im konservativen Szenario nötigen Ausbau Russland dagegen bietet diesbezüglich enorme erneuerbarer installierter Leistung zu erreichen, Potentiale zur Kooperation (siehe Kapitel 8). Schaubild 7: Ausbau erneuerbarer Energien – eine Mammutaufgabe Installierte erneuerbare Leistung in der EU und Ausbauszenarien (in GW) 3.000 2.500 2.000 1.500 1.000 500 0 2014 2016 2018 2020 2022 2024 2026 2028 2030 2032 2034 2036 2038 2040 2042 2044 2046 2048 2050 Installierte Leistung Ambitionierter Ausbau Konservativer Ausbau Ausbau bei jetziger Wachstumsrate Quelle: Europäische Kommission
Der European Green Deal und Russland 21 Russland Geografisch ist das Potential von Windkraft recht Die natürlichen Bedingungen in Russland bieten laut gleichmäßig über Russland verteilt, wobei die un- einer Studie der Internationalen Organisation für mittelbar an Europa angrenzenden Regionen der erneuerbare Energien (IRENA) enormes Entwicklungs- Kola-Halbinsel an der Grenze zu Finnland und des potenzial für erneuerbare Energien, welches jedoch Nord-Kaukasus besonders hohe Windgeschwindigkei- wegen der reichen Vorkommen und damit einherge- ten aufweisen. Das Potential für Windkraft in Russ- henden dominanten Nutzung fossiler Energieträger land ist demnach gewaltig und sollte durch verstärk- bisher wenig gefördert wurde. Faktoren wie isolierte ten Netzausbau, bessere Netzanbindung und den geografische und demografische Lage Einsatz modernerer Technologie ausge- müssten ebenfalls überwunden wer- schöpft werden. Beispielsweise würde den, um die Erschließbarkeit und Nut- Russland verfügt allein die Aufwertung bestehender zung vieler Standorte zu sichern. über das größte Anlagen die Produktion deutlich stei- Windpotenzial der Welt, gern: so hat die durchschnittliche in Russland verfügt über das größte technologiebedingt ist Russland installierte Windturbine eine Windpotenzial der Welt, mit einer jedoch nur ein sehr Leistung von 0,34 MW, in Deutschland geschätzten maximalen technischen kleiner Teil davon sind es 1,85 MW. Leistung von insgesamt mehr als wirtschaftlich nutzbar 50.000 TWh pro Jahr. Fehlender Netz- Darüber hinaus bieten fast die gesam- ausbau, geringe Vergütung und einge- ten Meeresküsten und der Ferne Osten setzte Technologie beschränken jedoch den derzeit Russlands die besten theoretischen Standorte für wirtschaftlich tragfähigen Anteil dieses technischen Windkraftanlagen – diese befinden sich jedoch größ- Potentials auf lediglich 260 TWh pro Jahr, was aber tenteils in wenig erschlossenen und dünn besiedelten immerhin ca. 30% der Stromerzeugung aller Kraft- Regionen des Landes. Hier gilt allerdings zu beachten, werke des Landes entspricht. Der in Russland aber dass das Potential für Windenergie besonders im tatsächlich produzierte Windstrom deckte 2019 mit Norden und Osten des Landes aufgrund der teils ext- 32 TWh nur 0,03% des gesamten Stromverbrauchs ab remen Niedrigtemperaturen und damit verbundenen (vergleiche Schaubild 8). technischen Einschränkungen der Windanlagen nicht ganzjährlich nutzbar ist. Schaubild 8: Russland nutzt nur einen Bruchteil seines Windkraftpotenzials Technisches und wirtschaftliches Potential sowie tatsächliche Produktion von Windkraft in Russland (in TWh) 60.000 Technisches Potential 50.000 50.000 Wirtschaftliches Potential 40.000 Tatsächliche Stromproduktion 30.000 20.000 10.000 260 32 0 Quelle: Review of the Russian Wind Energy Market and Russian Regions Ranking 2019 (RAWI)
22 Der European Green Deal und Russland Russland hat ebenfalls weite Gebiete, die für den Bau wirtschaftlichen Nutzung von Biomasse in Russland von Photovoltaikanlagen geeignet sind. Die jährliche liegt bei 802 TWh jährlich. horizontale Sonneneinstrahlung liegt für die enormen Fläche des Landes insgesamt zwischen ca. 900 und Geothermie, Wasserkraft und Wellenkraft sind weitere 1.500 kWh und ist somit vergleichbar mit Zentraleu- erneuerbare Energiequellen, deren Potentiale in Russ- ropa, wobei besonders in den südlichen Regionen ähn- land wahrscheinlich sehr hoch sind und im Falle von lich hohe Werte wie in Italien und Spa- Wasserkraft bereits stark genutzt wer- nien registriert werden können. den, jedoch nicht ausreichend für eine Entsprechend könnte Russland bei einer Bei einer ähnlich hohen abschließende Einschätzung untersucht ähnlich hohen Dichte an Photovoltaik- Dichte von Anlagen wie wurden. anlagen wie Deutschland ca. 2.250 TWh Deutschland könnte jährlich generieren – dies allein würde Russland allein durch Schließlich können zur forstwirtschaft ausreichen, um den im Zuge des Euro- Solarstrom den lichen Nutzung geeignete Freiflächen pean Green Deal geschätzten zusätzli- Mehrverbrauch im Zuge ebenfalls zur ökologischen Modernisie- chen Mehrbedarfs an Strom der EU bis des European Green rung Russlands beitragen. So erkannte 2050 zu decken. Aber auch hier wirken Deal decken Präsident Putin schon auf seiner Rede sich die mangelnde Abdeckung von bei der COP21 in Paris 2015: Übertragungsnetzen (weniger als 40% der Fläche des Landes) sowie die klimatischen Bedin- „Das neue Abkommen soll den Wäldern als Hauptab- gungen in Teilen des Landes negativ auf das wirtschaft- sorber von Kohlendioxid eine wichtige Rolle zuweisen. lich nutzbare Solarpotential aus. Dies ist besonders wichtig für Russland, das über enorme Waldressourcen verfügt und hart daran Russland verfügt auch über reichhaltige Ressourcen arbeitet, seine Wälder zu erhalten.“ für die Energiegewinnung aus Biomasse – entweder als Rohstoff für Biomethan oder durch Verbrennung – Laut einer Studie der Eidgenössischen Technischen aus forstwirtschaftlichen Abfällen, landwirtschaftli- Hochschule (ETH) Zürich verfügt Russland mit 151 Mio. chen Rückständen und verschiedenen Formen von Hektar – einer Fläche drei Mal so groß wie Deutsch- organischen Reststoffen, die kumuliert ein technisches land – global über das mit Abstand größte Potenzial für Potential von ca. 1.500 TWh pro Jahr erreichen (ver- Aufforstung (vergleiche Schaubild 10). gleiche Schaubild 9). Das geschätzte Potential für die Schaubild 9: Nachhaltige Energie aus Biomasse – in Russland viel Potenzial Technisches Potential für Energiegewinnung aus Biomasse in Russland (in TWh pro Jahr) 1.800 1.600 139 1.400 1.200 1.000 942 800 600 Biomüll 400 Landwirtschaft 558 200 Forstwirtschaft 0 Quelle: Internationale Agentur für Erneuerbare Energie (IRENA)
Der European Green Deal und Russland 23 Schaubild 10: Russland – Globaler Spitzenreiter beim Potenzial für Aufforstung Für Wiederaufforstung verfügbare Freiflächen nach Land (in Mio. Hektar) 160 140 120 100 80 60 40 20 0 Russland USA Kanada Australien Brasilien China Quelle: ETH Zürich 3.3 Kooperationspotentiale Der im Zuge des European Green Deal deutlich stei- Mit Blick auf einen stetig steigenden Bedarf an Impor- gende Bedarf an erneuerbarer Energie innerhalb Euro- ten erneuerbarer Energien und einer perspektivischen pas schafft zusammen mit der explizit angestrebten Intensivierung der Kooperation mit Russland in diesem Zusammenarbeit mit Drittstaaten zur Bereich sollte die Interkonnektivität des Deckung dieser Nachfrage ein breites europäischen und russischen Stromnet- mögliches Kooperationsfeld zwischen Erneuerbare bieten ein zes jedoch nicht verringert, sondern der EU und Russland. Ziel sollte es sein, breites mögliches erhöht werden. die Potentiale Russlands im Bereich der Kooperationsfeld für die erneuerbaren Energien zum Nutzen bei- EU und Russland Mittel- bis langfristig sollte durch Mach- der Partner zu entwickeln. barkeitsstudien auch die vollständige Synchronisierung der zwei Stromnetze Erhöhung der elektrischen Interkonnektivität als wirtschaftliches, aber auch politisches Leuchtturm- Die Stromnetze der EU und Russlands sind weitgehend projekt geprüft werden. Falls realisierbar, würde eine nicht verbunden (nicht synchronisiert). Nur punktuell solche Integration der Stromerzeugung und -übertra- stellen insgesamt 12 Interkonnektoren zu Estland, Lett- gung auch wesentlich zur europäischen Energiesicher- land, Litauen und Finnland unter anderem die Strom- heit beitragen, da trotz volatiler erneuerbarer Strom- versorgung zur russischen Exklave Kaliningrad und die produktion über ein solch weitreichendes Gebiet eine Verbindung zu den (noch) an das russische System gleichzeitige Dunkelflaute kaum vorstellbar ist. Die angeschlossenen baltischen Staaten sicher. Die balti- Erhöhung der Interkonnektivität zwischen der EU und sche Synchronisierung soll bis 2025 jedoch auf das Russland entspricht im Grundsatz auch der Vision der Stromnetz der EU umgestellt werden. Europäischen Kommission zur Verbesserung der Kon- nektivität mit Asien und sollte entsprechend gefördert werden können.
24 Der European Green Deal und Russland Erhöhung des wirtschaftlich nutzbaren den erneuerbaren Sektor ankurbeln, zur Diversifizie- Potentials erneuerbaren Energien rung der Wirtschaft beitragen und eine beidseitig vor- Die Zusammenarbeit mit der EU im Bereich erneuerba- teilhafte Interdependenz auch in Zeiten abnehmender rer Energien kann auch dazu führen, dass ein größerer europäischer Nachfrage nach fossilen Energieträgern Anteil des immensen natürlichen Potentials Russlands zementieren. wirtschaftlich nutzbar gemacht werden kann. Aufforstung Technologiepartnerschaften in Form von Beratungs- Da Aufforstung zu sogenannten Negativemissionen leistungen und Joint Ventures mit europäischen Unter- durch natürliche CO2-Abscheidung führen kann, eig- nehmen können dazu beitragen, dass beispielsweise net sie sich als Kompensationsmaßnahme für tech- durch Erhöhung der Effizienz in der nisch oder finanziell unvermeidbaren Erzeugung durch Verwendung größerer europäischen CO2-Ausstoß (beispiels- Windturbinen aus europäischer Produk- Die Interkonnektivität weise aus der Landwirtschaft). Auch in tion (Siemens-Turbinen, beispielsweise, des europäischen und Russland findet diese Herangehens- erreichen inzwischen eine fünfzehn Mal russischen Stromnetzes weise zunehmend Beachtung und ist höhere Leistung als die durchschnittli- sollte nicht verringert, beispielsweise bereits Teil der mittel- che russische Turbine), Verringerung der sondern noch erhöht fristigen Emissionsreduktionsstrategie Verluste in der Übertragung oder Ein- werden des russischen Erdölunternehmens führung moderner Speicherlösungen Rosneft. Das Unternehmen kündigte oder von Elektrolysekapazität für die an, durch Aufforstung bis 2035 bis zu Wasserstoffproduktion zunehmend auch geografisch 80 Mio. Tonnen CO2 kompensieren und bis 2050 Net- abgelegene, aber technisch attraktive Standorte zur to-Null- Emissionen erreichen zu können. Erzeugung von erneuerbarem Strom erschlossen wer- den können. Auch hier könnte der Ausbau der nationa- Ausgehend von einer Kapazität zur Abscheidung von len russischen Übertragungsnetze unter die Zielset- CO2, die laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsor- zung der EU-Asien-Konnektivitätsstrategie fallen und ganisation der Vereinten Nationen (FAO) für Neube- somit gefördert werden. pflanzung von in Russland heimischem borealem Nadelwald zwischen 0,8 und 2,4 Ton- Auslagerung europäischer nen pro Hektar pro Jahr liegt, könnte erneuerbarer Stromerzeugung Russland verfügt mit Russland theoretisch durch Auffors- Schließlich sollte das von der EU-Richt- 151 Mio. Hektar über tung der verfügbaren 151 Mio. Hektar linie zu erneuerbaren Energien einge- das mit Abstand größte jährlich bis zu 8% der gesamten derzei- führte Konzept der Auslagerung der Potenzial für tigen Treibhausgasemissionen der EU Erzeugung von Strom in Nachbarländer Aufforstung weltweit in Höhe von insgesamt ca. 4.400 Mio. durch Pilotprojekte in Russland ange- Tonnen binden. stoßen und sein Potential für die Erfül- lung des European Green Deal unter Beweis gestellt Dieses Potential zur CO2-Abscheidung könnte von werden. EU-Mitgliedstaaten sowie Unternehmen optimal genutzt werden, indem es in Kooperation mit Russ- Dabei können europäische Partner nicht nur das tech land in das bestehende Emissionshandelssystem der nologische Knowhow und finanzielle Anreize, sondern EU eingebettet und die Ordnungsmäßigkeit der Auf- auch jahrzehntelange Erfahrung beim Management forstung durch eine internationale Prüfgesellschaft großer erneuerbarer Energieprojekte einbringen. In zertifiziert wird. Russland könnten dadurch entstehende Skaleneffekte
4. ENERGIEEFFIZIENZ NACHHOLBEDARF IN RUSSLAND
26 Der European Green Deal und Russland Energieeffizienz als Querschnittsaufgabe spielt sowohl in der Energiepolitik der EU im Rahmen des European Green Deal als auch in Russland eine große Rolle. Kooperationspotentiale bieten sich hier über gemeinsame Projekte zur Energieeinsparung in allen Wirtschaftssektoren an. Diese sollten durch Dialog und Zusammenarbeit auf Arbeitsebene gestützt und geleitet werden. 4.1 Rahmenbedingungen Gesetzlicher Rahmen EU versorgung zu erreichen, Treibhausgasemissionen zu Rechtsgrundlage für das Handeln der Union im Bereich reduzieren, die Versorgungssicherheit zu verbessern Energieeffizienz ist Artikel 194 des Vertrags über die und die Importkosten für Energie zu senken. Ver- Arbeitsweise der Union. Die Reduzierung des Energie- stärkt rückt auch die Verbesserung der Wettbewerbs- verbrauchs und der Energieverschwendung haben in fähigkeit der EU in den Fokus. Nicht zuletzt deshalb der EU stetig an Bedeutung gewonnen. An einen wird die Energieeffizienz als eine von fünf Dimensio- Beschluss des Europäischen Rates nen im Fahrplan für die Energieunion anknüpfend, legte die Europäische Kom- 2015 besonders berücksichtigt und mission 2006 den “Aktionsplan für Ener- 2018 hat die EU eine eine Überprüfung der einschlägigen gieeffizienz: Das Potenzial ausschöpfen” Reduzierung des Richtlinien angekündigt. Die EU setzt vor, der als Ziel festlegte, den jährlichen Energieverbrauchs auf den Grundsatz "Energieeffizienz Energieverbrauch der Union bis 2020 um mindestens 32,5% zuerst". Der künftige strategische Rah- um 20% zu senken. 2011 erfolgte eine bis 2030 festgelegt men für die Zeit nach 2030 wird auf Überarbeitung mit einem neuen Ener- europäischer Ebene derzeit zwischen gieeffizienzplan, der den Zielen Vorrang den Organen diskutiert. Im Juni 2021 in der “Strategie Europa 2020 für intelligentes, nach- will die Kommission einen Vorschlag für die Überar- haltiges und integratives Wachstum” einräumte. Die beitung der Energieeffizienz-Richtlinie vorlegen. im Dezember 2012 in Kraft getretene Richtlinie zur Energieeffizienz sah dann vor, dass die Mitgliedstaaten Schlüsselbereiche der EU-Energieeffizienz-Politik sind nationale Energieeffizienzziele festlegen, um das Errei- die Kraft-Wärme-Kopplung (gleichzeitige Erzeugung chen des Gesamtziels der EU der Senkung des Energie- von Strom und Wärme) und die Energieeffizienz von verbrauchs bis 2020 um 20 % sicherzustellen. Eine Gebäuden sowie von Produkten. Dazu wurden in den Reihe weiterer Richtlinien legten Normen für die Ener- letzten Jahren Maßnahmen im Rahmen der Energi- gieeffizienz von Produkten und Gebäuden fest. eunion sowie eine Reihe von Richtlinien und Verord- nungen beschlossen, darunter die EU-Strategie für 2018 hat das sogenannte “Saubere Energie für alle die Wärme- und Kälteerzeugung, die Richtlinie über Europäer”-Paket als ambitionierteres Ziel die Reduzie- die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden und die rung des Energieverbrauchs um mindestens 32,5% bis Verordnung über die Energieeffizienzkennzeichnung 2030 festgelegt. (etwa einheitlicher Etiketten und Produktinformatio- nen). Auch in der EU-Asien-Konnektivitätsstrategie Zunehmend werden Maßnahmen zur Verbesserung (siehe Kapitel 3) wird die Energieeffizienz berück- der Energieeffizienz nicht mehr nur unter dem sichtigt. Gesichtspunkt betrachtet, eine nachhaltige Energie-
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