DER EUROPEAN GREEN DEAL UND RUSSLAND - CHANCEN FÜR EINEN NEUANFANG DURCH GEMEINSAME KLIMA- UND ENERGIEPOLITIK - Dialog ...

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DER EUROPEAN GREEN DEAL UND RUSSLAND - CHANCEN FÜR EINEN NEUANFANG DURCH GEMEINSAME KLIMA- UND ENERGIEPOLITIK - Dialog ...
DER EUROPEAN GREEN DEAL
UND RUSSLAND
CHANCEN FÜR EINEN NEUANFANG
DURCH GEMEINSAME
KLIMA- UND ENERGIEPOLITIK
Der European Green Deal und Russland                                                                                                 3

Inhalt

Vorwort: Dr. Wolfgang Schüssel   .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 4

Executive Summary  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 5

1. Die EU und Russland – Eindämmung und Zusammenarbeit  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 8

2. European Green Deal und russische Klimapolitik – Chancen für Alle . . . . . 10

3. Erneuerbare Energien – Enormes Potenzial in Russland  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  16

4. Energieeffizienz – Nachholbedarf in Russland  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 25

5. Wasserstoff – Nur mit Russland kann die EU ihren Bedarf decken  .  .  .  .  .  .  29

6. Erdgas – Als „Brücke“ zwingend notwendig  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 37

7. Kernkraft – Gemeinsame Forschung zur nuklearen Entsorgung  .  .  .  .  .  .  .  . 46

8. Rohstoffe – Diversifizierungs-Partnerschaft  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 54

9. Neun Forderungen an die europäische Politik   .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  59

Nachwort: Prof. Dr. Friedbert Pflüger  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  62

Abkürzungsverzeichnis   .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  63
Schaubildverzeichnis  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 64
Auswahlbibliographie  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  65
Impressum  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  68
4			                                                                          Der European Green Deal und Russland

Vorwort

Mitten im Kalten Krieg, 1968, schloss Österreich als     ren und wäre andererseits mit seinem gewaltigen,
erstes westliches Land einen langfristigen Lieferver-    teilweise noch nicht erschlossenen Potential von
trag für russisches Gas ab. Wenige glaubten damals       Wind-, Solar- und Biomasse-Energie ein idealer
daran, dass sich daraus eine mehr als ein halbes Jahr-   Partner. Beide, Russland und die Union, wollen bei
hundert überdauernde produktive Lieferverbindung         der Erzeugung von Wasserstoff ganz vorne dabei sein;
ergeben würde. Erst drei Jahre später folgten            mit geeinten Kräften wäre dies auch zu schaffen.
Deutschland und Italien mit ähnlichen Kooperationen.     Sowohl eine drohende Energieversorgungslücke in
Heute wie damals sehen Europa und Russland eine          Europa als auch ein Zurückfallen Russlands könnte
geopolitische Situation mit wachsenden Spannungen        dadurch abgewendet werden. Übrigens kann gerade
und Konfrontationen, aber zugleich auch große glo-       dabei die vielfach kritisierte Nord Stream 2 Pipeline
bale Herausforderungen, die nur mit intensiver           einen entscheidenden Beitrag leisten und künftig
Kooperation bewältigt werden können. Die Klima­          auch große Mengen dringend benötigten Wasser-
frage und die Transformation unserer Wirtschaft und      stoffs in die EU bringen. Kompensationsmaßnahmen
Gesellschaft sind solche Probleme. Das Pariser Klima-    wie Aufforstungen, Abscheidung, Verwendung und
abkommen verpflichtet Russland wie auch die EU-          Speicherung von CO2 (CCU & CCS), Verbreiterung der
Mitglieder dazu, die Erderwärmung unter 2 Grad           Lieferketten und Abhängigkeiten von Seltenen Erden
Celsius zu halten. Dazu hat die Europäische Kommis-      und Rohstoffen sind weitere Kooperationsthemen in
sion mit dem European Green Deal das Ziel formuliert,    einem solchen „Wider European Green Deal“.
bis 2050 den ersten klimaneutralen Kontinent zu
schaffen. Präsident Putin beauftragte im Vorjahr die     An dieser Stelle Dank und Anerkennung den Autoren
Regierung, in zehn Jahren die Treibhausgasemissionen     der Studie im Auftrag vom Dialog-Europa-Russland
auf 70% (zu 1990) zu senken. Das sind höchst ambiti-     und von United-Europe e.V. Zu hoffen ist, dass die
onierte Ziele, die aber auch nachhaltige politische      hochinteressanten Anregungen Gehör finden und zu
Entscheidungen verlangen. Europa und Russland            konkreten Kooperationen führen. Hugo Portisch, füh-
könnten und sollten in einer substantiellen Partner-     render österreichischer Journalist und Schriftsteller,
schaft ihre Kräfte bündeln. Die Union geht mit dem       hat in seinem Buch „Russland und wir“, das kurz vor
Ausbau erneuerbarer Energiequellen, der Steigerung       seinem Tod im April 2021 erschienen ist, festgestellt,
der Energieeffizienz, der e-Mobilität und der CO2-       dass „Europa und Russland auf­einander angewiesen
Bepreisung systematisch voran. Russland könnte           sind und es zunehmend sein werden.“ Dem schließe
einerseits von dem gewonnenen Know-How profitie-         ich mich vollinhaltlich an.

                                                         Dr. Wolfgang Schüssel
                                                         Bundeskanzler Österreichs 2000-2007
Der European Green Deal und Russland                                                                         5

Executive Summary

Die EU verfolgt mit dem European Green Deal das            Gase und erneuerbarer Energien. Es kann somit
übergeordnete Ziel, Europa bis 2050 in den ersten          der EU auch helfen, ihre ehrgeizigen Klimaziele
klimaneutralen Kontinent zu verwandeln. Zu den             leichter zu erreichen.
weitreichenden geplanten Maßnahmen gehören die
Erhöhung des Anteils von Energie aus erneuerbaren         Schon einmal – vor einem halben Jahrhundert –
                                                        	
Quellen, der Aufbau eines europäischen Marktes für        war es die Energiepolitik, die in Zeiten des Kalten
emissionsfreien Wasserstoff und die Steigerung der        Krieges den Weg zu einer Entspannung ebnete.
Energieeffizienz auf allen Ebenen. Ausgangspunkt die-     Das Erdgas-Röhrengeschäft, das die Regierung
ser gewaltigen Anstrengung ist das Pariser Klimaab-       Brandt gemeinsam mit der deutschen Wirtschaft
kommen mit dem Ziel, die Erderwärmung auf deut-           einfädelte, ebnete den Weg zu friedlicher Koexis-
lich unter 2 Grad Celsius gegenüber vorindustriellen      tenz und Friedenssicherung. Auch jetzt könnte die
Werten zu begrenzen.                                      Energie- und vor allem die Klimapolitik den Weg
                                                          für einen Neustart der Beziehungen ebnen.
Wie die Mitgliedsstaaten der EU hat auch Russland
das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet und             Die EU sollte aus diesen Gründen Russland ein Ange-
bekennt sich zur Reduktion von Treibhausgasen: Am       bot im Rahmen des European Green Deal unterbrei-
4. November 2020 hat der russische Präsident Putin      ten, die Transformation und Dekarbonisierung seiner
per Präsidialdekret die Regierung angewiesen, bis       eigenen Wirtschaft im Sinne einer emissionsarmen
2030 den Ausstoß von Treibhausgasemissionen auf         Klima-, Energie- und Ressourcenpartnerschaft mit der
70% im Vergleich zu 1990 zu senken. Diese ambitio-      EU und ihren Mitgliedsstaaten voranzutreiben. Dafür
nierte Zielsetzung ist grundsätzlich sinnvoll, muss     bieten sich folgende Bereiche an:
aber zur Erreichung auch von entsprechenden Maß-
nahmen begleitet werden.                                Erneuerbare Energien
                                                        Die ambitionierten Emissions-Einsparziele des Euro-
Es gibt drei Gründe, weshalb Russland in den Euro-      pean Green Deal werden die europäische Nachfrage
pean Green Deal eingebunden werden sollte:              nach Strom aus erneuerbaren Quellen drastisch erhö-
                                                        hen. Innerhalb der EU allein wird die hierfür notwen-
  Wie die meisten Nachbarländer der EU und die
	                                                     dige Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer
  meisten Staaten auf der Erde, ist das Land weit       Stromproduktion wegen technischer wie politischer
  vom europäischen klimapolitischen                                  Herausforderungen kaum möglich sein.
  Ambitions­niveau entfernt. Eine
  enge klimapolitische Kooperation          Energie- und Klima-       Auch deswegen unterstützen die euro-
  mit der EU wird es Russland erleich-      politik können eine       päischen Rahmenbedingungen für
  tern, die Pariser Klimaziele im eige-   entscheidende Rolle bei     erneuerbare Energien explizit die
  nen Land umzusetzen. Das wäre            einem Neubeginn des        Kooperation mit Drittstaaten in diesem
  ein entscheidender Schritt für die       Dialogs mit Russland       Bereich. Aufgrund seiner natürlichen
  globale Klimapolitik.                            spielen            geografischen Bedingungen und riesi-
                                                                      gen Fläche hat Russland enorme, noch
  Russland sichert bereits heute einen
	                                                                   nicht erschlossene Potenziale für Wind-
  wesentlichen Anteil europäischer Energieimporte,      und Solarenergie sowie Biomasse und ist somit ein
  birgt aber darüber hinaus auch enorme Potentiale      idealer Partner.
  für die Produktion und den Export emissionsfreier
6			                                                                          Der European Green Deal und Russland

Einzelne, im Rahmen einer Kooperation noch existie-        Wasserstoff
rende Hindernisse können durch gemeinsame euro-            Sowohl Russland als auch die EU möchten sich als
päisch-russische Projekte – beispielsweise zur Ver-        Vorreiter bei Wasserstofftechnologien etablieren.
besserung der Interkonnektivität                                         Ganz im Sinne des European Green
elektrischer Übertragungsnetze oder                                      Deal sieht die europäische Wasserstoff-
zur Effizienzsteigerung von Anlagen –        Russland  verfügt  über     strategie den zügigen Ausbau der Pro-
überbrückt werden.                          das größte Windpoten- duktion auf Grundlage erneuerbarer
                                            zial der Welt, technolo- Energien vor, lässt aber (zumindest
Auch das riesige Potential Russlands zur     giebedingt ist jedoch       übergangsweise) auch andere Formen
CO2-Abscheidung durch Aufforstung ist       nur  ein sehr kleiner Teil   von emissionsfreiem Wasserstoff – bei-
eine signifikante Ressource, die als Teil     davon wirtschaftlich       spielsweise produziert durch Methan-
europäisch-russischer Zusammenarbeit                 nutzbar             pyrolyse oder mit Atomstrom – auf
durch Einbindung in das Emissionshan-                                  dem europäischen Markt zu.
delssystem der EU entscheidend zur
Erreichung von Netto-Emissionsfreiheit der EU bis       Insbesondere auf Grundlage dieser Technologien
2050 beitragen kann und zum beiderseitigen Nutzen       hegt Russland mit seinen Unternehmen nachvollzieh-
erschlossen werden sollte.                              bare Ambitionen und könnte im Rahmen einer Part-
                                                        nerschaft dazu beitragen, die enorme projizierte
Eine enge europäisch-russische Zusam-                                europäische Versorgungslücke mit
menarbeit bei erneuerbaren Energien                                  Exporten sowie in Europa lokalisierter
würde nicht nur die europäische Kli-          Durch Aufforstung      Produktion zu füllen. Umgekehrt
mapolitik und Energiesicherheit voran-      könnte Russland allein   könnte Russland insbesondere bei Elek-
bringen, sondern auch zur Diversifizie-    8 Prozent der jährlichen trolysetechnologien vom europäischen
rung der russischen Energiewirtschaft      europäischen Treibhaus- Knowhow profitieren.
beitragen, den erneuerbaren Sektor          gasemissionen binden
des Landes ankurbeln und die beidsei-                                  Erdgas
tig vorteilhaften Interdependenzen                                    Kurz- und mittelfristig werden Erdgas­
auch in Zeiten abnehmender europäischer Nachfrage        importe, vor allem aus Russland, wegen deutlich
nach fossilen Energieträgern zementieren.                sinkender einheimischer Gas-Produktion und der
                                                         Abwendung vom Energieträger Kohle einen entschei-
Energieeffizienz                                         denden Baustein der europäischen Energiewende
Energieeffizienz als Querschnittsauf-                                 darstellen. Auch mit Blick auf den Euro-
gabe spielt sowohl in der Energiepolitik                              pean Green Deal und den daraus
der EU im Rahmen des European Green           Bis 2050 soll der       erwachsenden Bedarf an Wasserstoff
Deal als auch in Russland eine große        EU-Wasserstoffsektor      und emissionsfreien Gasen ist die Fort-
Rolle. Kooperationspotentiale bieten        mit bis zu 470 Mrd. €     führung der Energiepartnerschaft mit
sich hier über gemeinsame Projekte zur     gefördert werden, auch Russland entscheidend.
Energieeinsparung in allen Wirtschafts-      120 GW zusätzliche
sektoren an. Diese sollten durch Dialog     erneuerbare Leistung      Kooperationsmöglichkeiten ergeben
und Zusammenarbeit auf Arbeitsebene           sollen entstehen        sich vor allem im Bereich der Infrastruk-
gestützt und geleitet werden.                                         tur durch die Vollendung der Gaspipe-
                                                                      line Nord Stream 2, die zukünftig auch
                                                         große Mengen Wasserstoff nach Europa bringen
                                                         könnte. Potential für technische Zusammenarbeit
Der European Green Deal und Russland                                                                         7

bietet sich bei der Reduzierung von umweltschädli-       Eine enge europäisch-russische nukleare Zusammen-
chen Methanemissionen sowie im Bereich von CCU & arbeit kann die nötige Forschungsarbeit im Bereich
CCS-Technologien bei Erdgas sowie blauem Wasser-         Endlager und Behandlung von gebrauchtem nukle­
stoff an, wofür es bereits konkrete                                   arem Brennstoff (etwa durch die Parti­
Anknüpfungspunkte in Form von                                         tioning and Transmutation-Technologie)
                                          Rund 300.000 Tonnen
Pilotprojekten und Bestrebungen der                                   befördern und die Kernkraft als CO2-arme
                                             hochradioaktiver
Privatwirtschaft für beidseitige                                      Technologie im Sinne der Nachhaltig-
                                             Abfälle liegen in
Kooperation gibt.                                                     keitsziele des European Green Deal
                                           Zwischenlagern, die
                                                                      etablieren.
                                                Suche nach
Kernkraft
                                            Lösungskonzepten
Die künftige Rolle der Kernkraft in der                               Rohstoffe
                                          dauert seit Beginn des
EU ist heute umstritten. Trotz nahezu                                 Der europäische Bedarf an kritischen
                                         Atomzeitalters vor über
emissionsfreier Stromproduktion ver-                                  Rohstoffen wird durch die technologi-
                                               80 Jahren an
suchen einige Länder, die Nukleare-                                   schen Anforderungen des European
nergie unter der Taxonomie des Euro-                                  Green Deal weiter zunehmen. Sowohl
pean Green Deal wegen des noch                                        die EU als auch Russland verfolgen darü-
ungelösten Problems des Atommülls als nicht nach-        ber hinaus das Ziel, insbesondere im Bereich der Sel-
haltig einzustufen.                                      tenen Erden eigene Produktionen auszubauen, inter-
                                                         nationale Lieferketten zu diversifizieren und die
Dabei wird bereits heute an neuen Verfahren der          Abhängigkeit der EU von China bei Seltenen Erden
Wiederaufbereitung geforscht, die künftig einen          und kritischen Rohstoffen zu reduzieren. Deshalb
geschlossenen Kreislauf für hochradioaktive Rest-        erscheint eine strategische Rohstoffpartnerschaft
stoffe schaffen und das Endlagerproblem entschei-        zwischen der EU und Russland sinnvoll.
dend entschärfen könnten. Russlands Kernforschung
ist auf diesem Gebiet weltweit führend.
1.	DIE EU UND RUSSLAND –
	EINDÄMMUNG
  UND
  ZUSAMMENARBEIT
Der European Green Deal und Russland                                                                            9

Die enge Einbindung Russlands bei der Umsetzung            strich auch Bundeskanzler Helmut Schmidt gegenüber
von klimapolitischen Kernanliegen der EU ist nicht         US-Präsident Jimmy Carter: „Wer Handel miteinander
zuletzt vor dem Hintergrund historischer und sicher-       treibt, schießt nicht aufeinander.“ Die meisten Regie-
heitspolitischer Erwägungen eine                                           rungen der EU-Mitgliedsstaaten sowie
Chance. Die Beziehungen von EU und                                         die Europäische Kommission sind die-
NATO zu Moskau sind nach der völker-         Der Schrecken zweier          ser Grundmaxime im Wesentlichen bis
rechtswidrigen Annexion der Krim,           Weltkriege darf sich nie heute gefolgt. Sie hat zu einer inzwi-
dem hybriden Krieg Russlands in der               wiederholen              schen 75-jährigen Friedensperiode
Ostukraine, Cyberattacken zur Beein-                                       entscheidend beigetragen.
flussung der politischen Situation in
westlichen Staaten und den (sehr wahrscheinlichen)         Neben dem Handel mit Erdöl, Kohle und Rohstoffen
Vergiftungen des ehemaligen Doppelagenten Sergej           war vor allem das deutsch-sowjetische Erdgas-Röhren-­
Skripal sowie des Oppositionellen Alexej Nawalny           Geschäft vom Februar 1970 von zentraler Bedeutung
(und dessen folgender Verurteilung) angespannt.            für ganz Europa, weil durch gegenseitige Abhängig-
                                                           keiten und Verflechtungen (Russland verpflichtet sich
Ob und inwieweit der Westen an diesen Entwicklun-          mindestens 52 Mrd. Kubikmeter Erdgas zu liefern,
gen eine Mitschuld trägt, kann hier im Einzelnen nicht Deutschland 1,2 Mio. Tonnen Pipelinesegmente –
untersucht werden. Aber: 2001 gab es nach der – in         Europa braucht Gas, Russland Devisen) Vertrauen
deutscher Sprache gehaltenen – Putin-Rede im Deut-         zwischen Moskau und den westeuropäischen Staaten
schen Bundestag fast so etwas wie                                          aufgebaut wurde. Diese Zusammenar-
eine Aufbruchsstimmung, sechs Jahre                                        beit erwies sich auch in den schwierig­
später die offenkundige Enttäuschung       Europas Energiepartner- sten Phasen des Kalten Krieges als
und Abwendung des russischen Präsi-         schaft mit Russland hat        verlässlich.
denten bei seiner Rede auf der Münch-         sich seit den 1970er
ner Sicherheitskonferenz. Vieles deutet      Jahren als erfolgreich        Genauso wie damals könnte die Ener-
darauf hin: Beide Seiten haben Fehler      und nachhaltig erwiesen gie- und mit ihr heute die Klimapolitik
gemacht.                                                                   eine entscheidende Rolle bei einem
                                                                           Neubeginn des Dialogs mit Russland
Wie immer man dies im Einzelnen beurteilen mag:            spielen. Nach diesem ersten Schritt kommt es darauf
Allein die Grauen der beiden Weltkriege zeigen uns,        an, weitere Felder einer europäisch-russischen Ener-
dass es keine Alternative zum Frieden gibt – dies gilt     gie- und Klima­kooperation zu identifizieren und kon-
zumal vor dem Hintergrund nuklearer Waffenarsen-           krete gemeinsame Initiativen zu ergreifen. Die Ziele
ale. Deshalb gilt die Botschaft des Harmel-Berichts        des European Green Deal bieten hierfür den idealen
der NATO aus dem Jahr 1967 auch                                            Rahmen.
heute: Neben der Fähigkeit zu Selbst-
behauptung und Verteidigung muss              Energie- und Klima-          Im Folgenden werden die Zielsetzungen
immer auch die Bereitschaft zu Ent-           politik können eine          des European Green Deal eingeführt.
spannung, Zusammenarbeit und Rüs-           entscheidende Rolle bei In der anschließenden Analyse der
tungskontrolle treten.                       einem Neubeginn des           Bereiche erneuerbaren Energien,
                                             Dialogs mit Russland          Energie­effizienz, Wasserstoff, sowie
Eine besondere Bedeutung kommt                        spielen              darüber hinaus einer Zusammenarbeit
dabei der wirtschaftlichen Einbindung                                      im Nuklear­bereich und bei Rohstoffen
Russlands zu. „Wandel durch Handel“                                        werden Kooperationspotentiale her-
war schon die Devise von Bundeskanzler Willy               ausgearbeitet, auf denen eine zukünftige engere Part-
Brandt. Dieser Geist fand Eingang in die KSZE-Schluß-      nerschaft der EU mit Russland basieren kann. Im
akte von Helsinki aus dem Jahr 1975, mit der trotz         Schlussteil werden auf dieser Grundlage neun Forde-
aller Systemgegensätze eine Art europäische Haus-          rungen an die europäische Politik für den Neubeginn
ordnung geschaffen wurde. In diesem Sinne unter-           des Dialogs mit Russland gerichtet.
2.	EUROPEAN GREEN DEAL
    UND RUSSISCHE
    KLIMAPOLITIK –
 CHANCEN FÜR ALLE
Der European Green Deal und Russland                                                                             11

Bereits im November 2018 hat die Europäische Kom-          Darüber hinaus wird die Umgestaltung der Wirtschaft
mission ihre strategische Vision für eine nachhaltige,     für eine nachhaltige Zukunft bei gleichzeitiger Stärkung
wettbewerbsfähige und klimaneutrale Wirtschaft bis         der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und Erhö-
2050 vorgestellt. Diese Vision wurde Ende 2019 von         hung der Resilienz gegen die Folgen des Klimawandels
der damals neuen Kommissionspräsi-                                        durch den Aufbau eines soliden Rah-
dentin Ursula von der Leyen mit dem                                       mens für Innovationen und Investitio-
European Green Deal aufgegriffen –          Ziel des European Green nen verfolgt (vergleiche auch Schaubild
die Maßnahmen zur Reduktion von                Deal ist die nahezu        1). Der European Green Deal soll suk-
Treibhausgasemissionen um 60% bis                 vollständige            zessive durch Gesetzesvorhaben, Initia-
2050 im Vergleich zu 1990 wurde aus-           Dekarbonisierung           tiven, Strategien und Allianzen konkre-
gebaut. Ziel ist nun die nahezu vollstän-             der EU              tisiert werden.
dige Dekarbonisierung (Net-
to-Null-Emissionen) der EU bis zur                                        Für die Erreichung des Ziels einer kli-
Mitte des Jahrhunderts mit einem besonders ehrgei-         maneutralen Wirtschaft ist die Dekarbonisierung des
zigen Zwischenschritt einer Reduktion von mindes-          Energiesystems von entscheidender Bedeutung.
tens 55% bis zum Jahr 2030 (bis 2020 war gerade eine 75% der Treibhausgasemissionen entstehen durch
Verminderung von 24% erreicht), der im Rahmen der          die Erzeugung und den Verbrauch von Energie in
Trilog-Verhandlungen zwischen den EU-Institutionen         allen Wirtschaftszweigen der EU.
im April 2021 beschlossen wurde.

Schaubild 1: Umfassende Umgestaltung der Wirtschaft - der European Green Deal
Übersicht zum European Green Deal

Quelle: Europäische Kommission
12			                                                                                        Der European Green Deal und Russland

Hierfür gelten im Rahmen des European Green Deal             lich auch Investitionen in Infrastruktur – einschließlich
folgende Leitprinzipien:                                     für Gas. Vor allem aber fördert die EU über die euro-
                                                             päischen Projects of Common Interest Vorhaben im
	Priorisierung von Maßnahmen zur Erhöhung der              Energiebereich mit ca. 5,2 Mrd. € im Zeitraum von
   Energieeffizienz;                                         2021 bis 2027. Darüber hinaus ermöglicht die Europä-
 Entwicklung eines Energiesystems, das sich weit-          ische Investitionsbank im selben Zeitraum durch die
   gehend auf erneuerbare Energiequellen stützt,             Vergabe von Darlehen öffentliche Investitionen von
	Elektrifizierung und Nutzung von Wasserstoff               25 bis 30 Mrd. €, unter anderem im Bereich Energie-
   fördert und gleichzeitig für Verbraucher und              ­infrastruktur.
   Unternehmen erschwinglich bleibt;
 Unterstützung des Einsatzes dekarbonisierter Gase;     Trotzdem könnte die erforderliche tiefgreifende
 Reduzierung energiebezogener Methan­emissionen;         Transformation des europäischen Energiesystems auf
 Integration und Digitalisierung des europäischen       starken Widerstand stoßen, der die Strategie ernsthaft
   Energiemarktes.                                        untergraben kann. Insbesondere EU-Mitgliedstaaten,
                                                                        die für ihre Stromerzeugung und die
Ein besonderes Augenmerk liegt bei                                      Bereitstellung tausender Arbeitsplätze
der Umsetzung des European Green                Zunehmend wird          immer noch stark auf fossile Energie-
Deal auf der sozialen Gerechtigkeit des       deutlich, dass die EU     träger angewiesen sind, zeigen deut­
Übergangs hin zu einer dekarbonisier-        seine Klimaziele kaum      liche Bedenken hinsichtlich einer voll-
ten Wirtschaft, welcher durch einen bis        aus ausschließlich       ständigen Dekarbonisierung. So
2025 mit 40 Mrd. € ausgestatteten           eigener Kraft erreichen     lehnten beispielsweise im Jahr 2019
Fonds für Maßnahmen zur Diversifizie-             können  wird          Polen, Tschechien, Estland und Ungarn
rung, Innovation und Umschulung flan-                                   die Annahme eines Klimaneutralitäts-
kiert wird. Eine im Rahmen von                                          ziels der EU für 2050 auf mehreren
InvestEU zu diesem Zweck zur Verfügung gestellte In­      Europäischen Ratssitzungen zunächst ab. Es ist daher
vestitionshilfe in Höhe von 1,8 Mrd. € fördert zusätz-    nicht auszuschließen, dass bis 2050 weitreichende

Schaubild 2: Senkung der Emissionen – ein Kraftakt
Treibhausgasemissionen der EU (in Mio. Tonnen CO2 -Equivalenten)
6.000

5.000
                                                                    EU 2020 Ziel (-20%)

4.000

                                                               EU 2030 Ziel (-40%)
3.000
                                                                EU 2030 Ziel (-55%)

2.000

1.000

                                                                                                                   EU 2050 Ziel (ca.)
   0
        1990   1995     2000     2005     2010     2015      2020        2025         2030        2035      2040        2045        2050

               EU-27: Historische Treibhausgasemissionen                     EU-27: Prognosen mit existierenden Maßnahmen
               EU-27: Prognosen mit zusätzlichen Maßnahmen                                   Quelle: Europäische Umweltagentur (EEA)
Der European Green Deal und Russland                                                                                      13

Schaubild 3: Wirtschaft und Emissionen wachsen weltweit – Europas Anteil sinkt
Anteil der EU am globalen Ausstoß von Treibhausgasemissionen

                            10,3
         46,7                                                                46,5                 28,3

                                           23,4
                     1990                                                                 2015

                                                                                                         15,5

                             19,6                                                           9,9

      China              USA               EU              Rest der Welt

Quelle: Institut der Deutschen Wirtschaft Köln (IW)/Internationale Energieagentur (IEA)

CO2-Kompensationsmaßnahmen nötig sein werden,                          zwar nur leicht steigende Treibhausgasemissionen auf
um das Ziel von Netto-Null-Emissionen zu erreichen.                    (vergleiche Schaubild 4), hadert aber dennoch mit der
                                                                       Implementierung eigener Klimainitiativen:
Das starke klimapolitische Engagement der EU spie-
gelt sich trotzdem bereits in einer deutlichen Reduk-                  Ein Vorschlag vom Januar 2019 für ein nationales
tion europäischer Treibhausgasemissionen über die                      Emissionshandelssystem wird aufgrund von Beden-
letzten Jahrzehnte wider (vergleiche Schaubild 2 bis                   ken aus der Wirtschaft zunächst nicht weiterverfolgt.
2020). Zunehmend wird aber auch deutlich, dass die                     Ein im März 2020 vorgelegter Entwurf für eine lang-
EU – auch bei Einführung zusätzlicher energie- und                     fristige Entwicklungsstrategie für die Reduktion von
klimapolitischer Maßnahmen – seine Emissionsreduk-                     Treibhausgasemissionen sowie ein Präsidialdekret
tionsziele kaum aus ausschließlich eigener Kraft errei-                von November 2020 zielen lediglich auf die Umsetzung
chen können wird (vergleiche Projektionen in Schau-                    der Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaschutzab-
bild 2).                                                               kommen und eine Begrenzung der Treibhaus­gas­emis­
                                                                       sionen bis 2030 auf 70 % des Niveaus von 1990 ab.
Auch der Anteil der EU am globalen Ausstoß von                         Ersteres würde jedoch im Falle Russlands immer noch
Treibhausgasemissionen hat sich von 19,6% in 1990,                     eine deutliche Erhöhung im Vergleich zum jetzigen
allerdings maßgeblich bedingt durch das globale                        Emissionsniveau erlauben (vergleiche Schaubild 4),
Wachstum der Emissionen und weniger durch die                          wobei durch Maßnahmen zur Steigerung der Energie-
Klimaschutzbemühungen der EU, auf 9,9% in 2015                         effizienz sowie den Einsatz von erneuerbaren Ener-
um die Hälfte reduziert (vergleiche Schaubild 3). Dies                 gien enormes Potential für weitere Reduktionen der
ist ein weiteres deutliches Signal dafür, dass umfas-                  Emissionen besteht. Der russische Energieminister
sender Klimaschutz nur im Rahmen internationaler                       Alexander Novak äußerte sich 2020 wie folgt:
Zusammenarbeit gelingen kann.
                                                                       „Russland arbeitet aktiv an der Nutzung neuer Ener-
Die meisten Partner- und Nachbarländer der EU sind                     giequellen, insbesondere an der Entwicklung von
jedoch noch weit vom Ambitionsniveau des European                      erneuerbaren Energiequellen und der Wasserstoff-
Green Deal entfernt. Russland z.B. weist nach der                      Energie, auch in Zusammenarbeit mit ausländischen
schlagartigen Deindustrialisierung der Neunzigerjahre                  Partnern.“
14			                                                                                         Der European Green Deal und Russland

Schaubild 4: Russlands Emissionen – stabil unter dem Referenzniveau
CO2-Emissionen Russlands (in Mio. Tonnen)

4.000

3.500

3.000

2.500

2.000

1.500

1.000

 500

   0
        1990   1992       1994      1996      1998          2000   2002      2004    2006    2008    2010     2012       2014     2016

               Zwei Drittel des Emissionsniveaus von 1990                                                            Quelle: Weltbank

Präsident Putin wurde in seiner Rede zur Lage der                         Klimazielen zu ermutigen und zu unterstützen, aber
Nation im April 2021 noch konkreter und formulierte                       auch als Zulieferer emissionsarmer Energie zu
das ehrgeizige Ziel, dass in den nächsten 30 Jahren                       gewinnen.
die kumulierten Emissionen in Russland kleiner sein
müssten als in der EU.                                                    Der European Green Deal muss sich also nicht nur
                                                                          innerhalb der EU verfestigen, sondern sollte parallel
Es ist daher von besonderer Bedeutung, dass der                           auch nach außen getragen werden, um insbesondere
European Green Deal die globale Dimension des Klima­                      die Partnerschaften mit jenen Staaten vorsorglich
wandels reflektiert und entsprechend die Koopera-                         umzugestalten, die bereits heute zu den wichtigsten
tion mit anderen Ländern anstrebt. Ohne eine Vorrei-                      Energieversorgern Europas gehören und diese Rolle
terfunktion der EU würden voraussichtlich nicht nur                       perspektivisch auch in einer emissionsarmen Zukunft
signifikante globale Auswirkungen der                                                   fortführen können.
europäischen Klimabemühungen aus-
bleiben – auch die europäische Wirt-      Klimaschutz kann nur im Dies gilt allen voran für Russland, das
schaft könnte aufgrund ungleich           Rahmen internationaler bereits jetzt einen wesentlichen Anteil
höhere Energiekosten und dem Weg-             Zusammenarbeit           europäischer fossiler Energieimporte
fall von Arbeitsplätzen einen starken     gelingen, Partnerländer liefert (vergleiche Schaubild 5), aber
Schaden erleiden.                          müssen durch Finanzie-      darüber hinaus auch enorme Potentiale
                                            rung und Fachwissen        für die Produktion und den Export
Die Zusammenarbeit mit G20-Staaten –         unterstützt werden        emissionsfreier Gase und erneuerbarer
unter diesen auch Russland – bei Stra-                                 Energien birgt.
tegien zum Klimaschutz soll daher aus-
gebaut und durch gemeinsame internationale              Der European Green Deal dürfte den Bedarf an Im­-
Initiativen ergänzt werden. Im Rahmen sogenannter       porten fossiler Energieträger aus Russland verringern
Klimadiplomatie sollen sowohl Fachwissen als auch       und die bestehende gegenseitige Interdependenz –
finanzielle Ressourcen eingebracht werden, um Part-     Europa als Abnehmer und Russland als Zulieferer –
ner- und Nachbarländer zur Festlegung und Errei-        neu ausrichten. Dieser Umstand birgt das Risiko wirt-
chung von
Der European Green Deal und Russland                                                   15

schaftlicher Schäden für Russland aufgrund sinkender
Exporte fossiler Energien, andererseits aber auch           Es gilt, im Rahmen des
Potential für Kooperation beim Handel mit emissions-         European Green Deal
freien Gasen und erneuerbaren Energien.                     Russland ein Angebot
                                                              zur Fortführung der
Es gilt daher, die Kooperation fortzuführen und im         Energiepartnerschaft zu
Rahmen des European Green Deal ein Angebot zu                     unterbreiten
unterbreiten, das Russland als Chance wahrnehmen
kann, die Transformation und Dekarbonisierung sei-
ner eigenen Wirtschaft im Sinne einer emissionsar-
men Energie- und Ressourcenpartnerschaft mit
Europa voranzutreiben.

Schaubild 5: Russland – zentraler Lieferant von EU-Energieimporten
EU-Importe von Erdgas, Erdöl und Kohle im Jahr 2018 nach Herkunftsland

Erdgas

 Erdöl

Kohle

         0%                 20 %                40 %        60 %               80 %   100 %

               Russland                Andere

         Quelle: Eurostat
3.	ERNEUERBARE
    ENERGIEN –
	
 ENORMES POTENZIAL
 IN RUSSLAND
Der European Green Deal und Russland                                                                               17

Die ambitionierten Emissionsreduktionsziele des European Green Deal werden die europäische Nachfrage nach
Strom aus erneuerbaren Quellen drastisch erhöhen. Innerhalb der EU allein wird die hierfür notwendige
Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Stromproduktion wegen technischer und politischer Herausforderun-
gen, aber auch Knappheit notwendiger Rohstoffe auf dem europäischen Markt kaum möglich sein. Auch deswe-
gen unterstützen die europäischen Rahmenbedingungen für erneuerbare Energien explizit die Kooperation mit
Drittstaaten in diesem Bereich.

Aufgrund seiner natürlichen geografischen Bedingungen und riesigen Fläche hat Russland enorme, noch nicht
erschlossene Potentiale für Wind- und Solarenergie sowie Biomasse und ist somit ein idealer Partner. Einzelne,
im Rahmen einer Kooperation noch existierende Hindernisse können durch gemeinsame europäisch-russische
Projekte – beispielsweise zur Verbesserung der Interkonnektivität elektrischer Übertragungsnetze oder zur
Effizienzsteigerung von Anlagen – überbrückt werden.

Eine enge europäisch-russische Zusammenarbeit bei erneuerbaren Energien würde nicht nur die europäische
Klima­politik und Energiesicherheit voranbringen, sondern auch zur Diversifizierung der russischen Energiewirt-
schaft beitragen, den erneuerbaren Sektor des Landes ankurbeln und die beidseitig vorteilhaften Interdepen-
denzen auch in Zeiten abnehmender europäischer Nachfrage nach fossilen Energieträgern zementieren.

Auch das enorme Potential Russlands zur CO2-Abschei­dung durch Aufforstung ist eine signifikante Ressour­ce, die
als Teil europäisch-russischer Kooperation durch Einbindung in das Emissionshandelssystem der EU entschei-
dend zur Erreichung von Netto-Emissionsfreiheit der EU bis 2050 beitragen kann und zum beid­seitigen Nutzen
erschlossen werden sollte.

3.1 Rahmenbedingungen

Europäische Union                                       erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch der
Bereits im Vorfeld des European Green Deal hat die      EU von 32% bis zum Jahr 2030 fest.
EU im Rahmen des „Saubere Energie für alle Europä-
er”-Pakets zwischen 2018 und 2019 insgesamt acht        Darüber hinaus werden Kooperationsmechanismen
Rechtsakte erlassen, um den Übergang weg von fossi-     eingeführt, wodurch die EU und ihre Mitgliedstaaten
len Brennstoffen hin zu emissionsärmerer Energie zu     Forschung, Entwicklung, Investitionen und Förderme-
erleichtern und die Verpflichtungen der                               chanismen zugunsten der Produktion
EU aus dem Pariser Klimaabkommen                                      von erneuerbaren Energien in Partner-
zur Reduzierung der Treibhausgasemis-       Erneuerbare Energien      ländern fördern und auf diese Weise
sionen zu erfüllen.                       in Partnerländern  sollen   zur Stärkung der wirtschaftlichen Trag-
                                              gefördert werden,       fähigkeit und der Ausfuhrkapazitäten
Der Ausbau erneuerbarer Energien in         der Strom kann  in die    dieser Länder in diesem Bereich beitra-
der EU wird von der 2018 verabschie-          EU importiert und       gen können. Weiterhin soll laut der
deten “Richtlinie zur Förderung der         angerechnet  werden       Richtlinie die Möglichkeit bestehen,
Nutzung von Energien aus erneuerba-                                     aus erneuerbaren Energiequellen
ren Quellen” geregelt, welche von den                                   außerhalb der Union produzierte und
Mitgliedstaaten bis Ende Juni 2021 in nationales          importierte Elektrizität auf den Anteil erneuerbarer
Recht umgesetzt werden muss. Die Richtlinie legt          Energien der Mitgliedstaaten anzurechnen.
unter anderem ein verbindliches Ziel für den Anteil
18			                                                                           Der European Green Deal und Russland

Möglich ist die Anrechnung von Importen aus Dritt-         Weiterhin rechnet die EU dem Waldbestand hohe
staaten jedoch nur, wenn der Strom aus erneuerba-          Bedeutung zu. Bereits 2019 hat die Europäische Kom-
ren Anlagen stammt, die nach 2008 gebaut oder              mission Pläne für die Intensivierung globaler Maß-
erweitert wurden. Dadurch soll vermie-                                    nahmen zum Schutz und zur Wieder-
den werden, dass durch Einfuhr von                                        herstellung der Wälder vorgelegt. In
Energie aus erneuerbaren Quellen in               Die EU-Asien-           zwei Ratsschlussfolgerung be­tonen
die Union der Anteil solcher Energie-        Konnektivitätsstrategie      die EU-Mitgliedstaaten auch explizit
quellen am Gesamtenergieverbrauch in               soll auch den          die Bedeutung von Partnerländern für
dem Drittland sinkt. Für die produzierte      Netzausbau zwischen         die Bemühungen um den Schutz und
und exportierte Elektrizitätsmenge darf       den Regionen fördern        Aufforstung von Wäldern und heben
ein Drittland außer Investitionsbei­                                      die eigenen internationalen Verpflich-
hilfen für die Anlage keine anderen                                       tungen zur Vergrößerung der Waldflä-
Förderungen gewähren. Im Zuge des im European              chen weltweit hervor, unter anderem durch Auffor-
Green Deal angepassten und im April 2021 politisch         stung und Wieder­auf­forstung.
beschlossenen Ziels einer Reduzierung der Treibhaus-
gas-Emissionen um mindestens 55% bis 2030 im
Vergleich zu 1990 soll die Richtlinie zu erneuerbaren      Russland
Energien durch einen im zweiten Quartal 2021 erwar- Auch Russland verfolgt grundsätzlich die ökologische
teten Entwurf novelliert werden. (lag zu Redaktions­-      Modernisierung seiner Energiewirtschaft. Im Jahr
schluss der Studie noch nicht vor).                        2009 wurde die „Energiestrategie der Russischen
                                                           Föderation bis 2030“ vorgestellt, welche durch jährli-
Ebenfalls 2018 hat die Europäische Kommission in           che Ausschreibungen zum Bau von Solar-, Wind- und
einer Kommunikation zur „Förderung der Konnektivi-         Thermal­energieanlagen die stufenweise Erhöhung
tät zwischen Europa und Asien“ Elemente zu einer           des Anteils erneuerbarer Energien an der Elektrizitäts-
EU-Strategie in diesem Bereich veröffentlicht. Ziel ist    erzeugung auf 4,5% (exklusive Wasserkraft) bis 2020
es, einen Beitrag zum Aufbau effizien-                                    verfolgen sollte. Im Jahr 2019 lag dieser
ter Verbindungen und Netze zwischen                                       Anteil jedoch noch bei unter 1% (ver-
Europa und Asien – einschließlich des          Die EU hat sich zum        gleiche Schaubild 6).
Energiebereichs – im Dienste der jewei-       weltweiten Schutz und
ligen Volkswirtschaften zu leisten.            zur Aufforstung von        Im russischen „Jahr der Ökologie” 2017
Unter anderem wird die (finanzielle)           Wäldern verpflichtet       wurde zusätzlich ein Programm zur
Förderung von Projekten mit erhebli-                                      Modernisierung der Energiewirtschaft
chem Investitionsbedarf in Aussicht                                       eingeführt, welches den Ausbau erneu-
gestellt, welche die Modernisierung des Energiesys-        erbarer Energien zwischen 2025 und 2035 mit ca. 5,7
tems, die Einführung nachhaltiger Lösungen, die Stei- Mrd. € unterstützen soll. Davon sollen 37% auf Pho-
gerung der Energie­effizienz und die Konnektivität im      tovoltaik und 55% auf Windkraft entfallen.
Energiebereich zwischen und mit Partnern in Asien
unterstützen.
Der European Green Deal und Russland                                                                              19

Schaubild 6: Viel Luft nach oben bei Russlands Erneuerbaren
Russischer Strommix (2019)

                                              0,1 %
                           15 %
        17 %
                                              1%

                                                      Kohle                 Erdöl
18 %
                                                      Erdgas                Nuklear

                              49 %                    Wasserkraft           Andere Erneuerbare

                                              Quelle: IEA: World Energy Outlook 2020

Die im April 2020 erlassene vierte „Energiestrategie         rale Rolle spielen. Diese Diskrepanz in den energiepo-
der Russischen Föderation bis 2035” spricht nichtkon- litischen Zielsetzungen Russlands und der EU sollte
ventionellen Energiequellen jedoch weiterhin wenig           durch das Aufzeigen der wirtschaftlichen Perspekti-
Bedeutung zu. Die drei fossilen Energie-                                   ven von Kooperation auf dem Gebiet
träger Kohle, Erdgas und Erdöl                                             der erneuerbaren Energien aufgefangen
sollen zwischen 2018 und 2035 weiter-            Russlands Energie-        werden.
hin für einen Anteil von über 92% der              strategie spricht
Primärenergie eingesetzt werden. Zum         erneuerbaren Energien Ähnlich zu den erneuerbaren Energien,
Vergleich: In der EU lag der Anteil der            noch sehr wenig         ist die Russische Föderation im Bereich
fossilen Energien am Primärenergiever-             Bedeutung zu ...        Aufforstung aktuell wenig ambitioniert.
brauch im Jahr 2019 trotz jahrzehnte­                                      Im Rahmen des nationalen Projekts
langer Anstrengungen immer noch bei                                        „Ökologie“ hat die Regierung 2019 über
70%; im für seinen Ausbau der erneuerbaren Energien das Unterprogramm „Erhaltung der Wälder” 32 Mio.
viel gelobten China lag der Anteil sogar bei 88%.            € zur Verfügung gestellt, die Wiederaufforstungen
                                                                               lediglich auf das Niveau des Holzein-
Wenngleich die Rolle von erneuerba-                                            schlags heben sollten. Zudem wer-
ren Energien auch in der russischen           ... und sollte durch das         den bis 2024 etwa 300 Mio. € für
Politik über das letzte Jahrzehnt              Aufzeigen wirtschaft‑           verschiedene Maßnahmen zur
etwas an Bedeutung ge­wonnen hat,            licher Perspektiven von           Bekämpfung von Waldbränden
werden fossile Energieträger kurz-            Kooperationen mit der            bereitgestellt.
und mittelfristig weiterhin die zent-          EU auf diesem Gebiet
                                              aufgefangen werden
20			                                                                                          Der European Green Deal und Russland

3.2 Produktion und Bedarf

Europäische Union                                         müsste die jährliche Wachstumsrate um 15% höher
Das Ziel des European Green Deal, die CO2-Emissio-        liegen als der Durchschnitt der Jahre 2014 bis 2018 –
nen der EU bis 2050 komplett zu eliminieren, wird ins- für den ambitionierten Ausbaupfad wären es sogar
besondere im Falle einer weitreichenden Elektrifizie-     200% mehr. Sowohl technisch als auch finanziell
rung von Transport, Wärme und                                            dürfte eine solche Beschleunigung
Kühlung sowie der Versorgung energi-                                     enorme Herausforderungen mit sich
eintensiver Industrien und der Umset-     Die  installierte  erneuer-    bringen.
zung der Wasserstoffstrategie trotz         bare Leistung der EU
absehbarer Effizienzsteigerungen einen    müsste sich im Zuge des Auch weitere Faktoren schränken die
enormen Zubau von erneuerbarer              European Green Deal          Möglichkeiten zum Ausbau erneuerbarer
Stromerzeugungskapazität (wie auch           mindestens    verdrei­      Energien innerhalb Europas ein: Geeig-
zusätzlichen Netzen und Speichern)         fachen, vielleicht sogar      nete Standorte für Anlagen werden
erfordern.                                      versechsfachen           zunehmend rar, Vogelschutz und Not-
                                                                                       in-my-backyard-Bewegungen blockie-
Laut Schätzungen der Europäischen                                                      ren oder verzögern effektiv den Bau
Kommission müsste die installierte Leistung erneuer-                   neuer Windparks und der nötigen Übertragungs-
barer Energien in der EU, abhängig von dem zugrunde                    netze, sogar manche Politiker plädieren gegen eine
gelegten Szenario von derzeit 424 GW bis 2050 auf                      „Verspargelung der Landschaft“ durch Windräder.
ca. 1.200 bis 2.800 GW ausgebaut werden (vergleiche                    Weiterhin stellt die Knappheit erforderlicher Roh-
Schaubild 7).                                                          stoffe bei der innereuropäischen Produktion ein Hin-
                                                                       dernis für den Ausbau erneuerbarer Energien dar,
Um den im konservativen Szenario nötigen Ausbau                        Russland dagegen bietet diesbezüglich enorme
erneuerbarer installierter Leistung zu erreichen,                      Potentiale zur Kooperation (siehe Kapitel 8).

Schaubild 7: Ausbau erneuerbarer Energien – eine Mammutaufgabe
Installierte erneuerbare Leistung in der EU und Ausbauszenarien (in GW)
3.000

2.500

2.000

1.500

1.000

 500

   0
        2014   2016   2018   2020   2022   2024   2026   2028   2030   2032   2034   2036   2038   2040   2042   2044   2046   2048   2050

                  Installierte Leistung                    Ambitionierter Ausbau
                  Konservativer Ausbau                     Ausbau bei jetziger Wachstumsrate
Quelle: Europäische Kommission
Der European Green Deal und Russland                                                                            21

Russland                                                    Geografisch ist das Potential von Windkraft recht
Die natürlichen Bedingungen in Russland bieten laut         gleichmäßig über Russland verteilt, wobei die un­-
einer Studie der Internationalen Organisation für           mittel­bar an Europa angrenzenden Regionen der
erneuerbare Energien (IRENA) enormes Entwicklungs- Kola-Halbinsel an der Grenze zu Finnland und des
potenzial für erneuerbare Energien, welches jedoch          Nord-Kaukasus besonders hohe Windgeschwindigkei-
wegen der reichen Vorkommen und damit einherge-             ten aufweisen. Das Potential für Windkraft in Russ-
henden dominanten Nutzung fossiler Energieträger            land ist demnach gewaltig und sollte durch verstärk-
bisher wenig gefördert wurde. Faktoren wie isolierte        ten Netzausbau, bessere Netzanbindung und den
geografische und demografische Lage                                        Einsatz modernerer Technologie ausge-
müssten ebenfalls überwunden wer-                                          schöpft werden. Beispielsweise würde
den, um die Erschließbarkeit und Nut-            Russland verfügt          allein die Aufwertung bestehender
zung vieler Standorte zu sichern.                 über das größte          Anlagen die Produktion deutlich stei-
                                             Windpotenzial der Welt, gern: so hat die durchschnittliche in
Russland verfügt über das größte              technologiebedingt ist       Russland installierte Windturbine eine
Windpotenzial der Welt, mit einer               jedoch nur ein sehr        Leistung von 0,34 MW, in Deutschland
geschätzten maximalen technischen                kleiner Teil davon        sind es 1,85 MW.
Leistung von insgesamt mehr als               wirtschaftlich nutzbar
50.000 TWh pro Jahr. Fehlender Netz-                                       Darüber hinaus bieten fast die gesam-
ausbau, geringe Vergütung und einge-                                       ten Meeresküsten und der Ferne Osten
setzte Technologie beschränken jedoch den derzeit           Russlands die besten theoretischen Standorte für
wirtschaftlich trag­fähigen Anteil dieses technischen       Windkraftanlagen – diese befinden sich jedoch größ-
Potentials auf lediglich 260 TWh pro Jahr, was aber         tenteils in wenig erschlossenen und dünn besiedelten
immerhin ca. 30% der Stromerzeugung aller Kraft-            Regionen des Landes. Hier gilt allerdings zu beachten,
werke des Landes entspricht. Der in Russland aber           dass das Potential für Windenergie besonders im
tatsächlich produzierte Windstrom deckte 2019 mit           Norden und Osten des Landes aufgrund der teils ext-
32 TWh nur 0,03% des gesamten Stromverbrauchs ab            remen Niedrigtemperaturen und damit verbundenen
(vergleiche Schaubild 8).                                   technischen Einschränkungen der Windanlagen nicht
                                                            ganzjährlich nutzbar ist.

Schaubild 8: Russland nutzt nur einen Bruchteil seines Windkraftpotenzials
Technisches und wirtschaftliches Potential sowie tatsächliche Produktion von Windkraft in Russland (in TWh)

60.000
                                                                           Technisches Potential
           50.000
50.000
                                                                           Wirtschaftliches Potential

40.000
                                                                           Tatsächliche Stromproduktion

30.000

20.000

10.000

                                    260                  32
     0

Quelle: Review of the Russian Wind Energy Market and Russian Regions Ranking 2019 (RAWI)
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Russland hat ebenfalls weite Gebiete, die für den Bau     wirtschaftlichen Nutzung von Biomasse in Russland
von Photovoltaikanlagen geeignet sind. Die jährliche      liegt bei 802 TWh jährlich.
horizontale Sonneneinstrahlung liegt für die enormen
Fläche des Landes insgesamt zwischen ca. 900 und          Geothermie, Wasserkraft und Wellenkraft sind weitere
1.500 kWh und ist somit vergleichbar mit Zentraleu-       erneuerbare Energiequellen, deren Potentiale in Russ-
ropa, wobei besonders in den südlichen Regionen ähn- land wahrscheinlich sehr hoch sind und im Falle von
lich hohe Werte wie in Italien und Spa-                                  Wasserkraft bereits stark genutzt wer-
nien registriert werden können.                                          den, jedoch nicht ausreichend für eine
Entsprechend könnte Russland bei einer       Bei einer ähnlich hohen     abschließende Einschätzung untersucht
ähnlich hohen Dichte an Photovoltaik-        Dichte von Anlagen wie      wurden.
anlagen wie Deutschland ca. 2.250 TWh          Deutschland könnte
jährlich generieren – dies allein würde       Russland allein durch      Schließlich können zur forstwirtschaft­
ausreichen, um den im Zuge des Euro-             Solarstrom den          lichen Nutzung geeignete Freiflächen
pean Green Deal geschätzten zusätzli-        Mehrverbrauch im Zuge ebenfalls zur ökologischen Modernisie-
chen Mehrbedarfs an Strom der EU bis           des European Green        rung Russlands beitragen. So erkannte
2050 zu decken. Aber auch hier wirken              Deal decken           Präsident Putin schon auf seiner Rede
sich die mangelnde Abdeckung von                                               bei der COP21 in Paris 2015:
Übertragungsnetzen (weniger als 40%
der Fläche des Landes) sowie die klimatischen Bedin-             „Das neue Abkommen soll den Wäldern als Hauptab-
gungen in Teilen des Landes negativ auf das wirtschaft-          sorber von Kohlendioxid eine wichtige Rolle zuweisen.
lich nutzbare Solarpotential aus.                                Dies ist besonders wichtig für Russland, das über
                                                                 enorme Waldressourcen verfügt und hart daran
Russland verfügt auch über reichhaltige Ressourcen               arbeitet, seine Wälder zu erhalten.“
für die Energiegewinnung aus Biomasse – entweder
als Rohstoff für Biomethan oder durch Verbrennung –              Laut einer Studie der Eidgenössischen Technischen
aus forstwirtschaftlichen Abfällen, landwirtschaftli-            Hochschule (ETH) Zürich verfügt Russland mit 151 Mio.
chen Rückständen und verschiedenen Formen von                    Hektar – einer Fläche drei Mal so groß wie Deutsch-
organischen Reststoffen, die kumuliert ein technisches           land – global über das mit Abstand größte Potenzial für
Potential von ca. 1.500 TWh pro Jahr erreichen (ver-             Aufforstung (vergleiche Schaubild 10).
gleiche Schaubild 9). Das geschätzte Potential für die

Schaubild 9: Nachhaltige Energie aus Biomasse – in Russland viel Potenzial
Technisches Potential für Energiegewinnung aus Biomasse in Russland (in TWh pro Jahr)

1.800

1.600
                                   139
1.400

1.200

1.000                             942

 800

 600                                                                      Biomüll

 400
                                                                          Landwirtschaft
                                  558
 200
                                                                          Forstwirtschaft
    0
Quelle: Internationale Agentur für Erneuerbare Energie (IRENA)
Der European Green Deal und Russland                                                                              23

Schaubild 10: Russland – Globaler Spitzenreiter beim Potenzial für Aufforstung
Für Wiederaufforstung verfügbare Freiflächen nach Land (in Mio. Hektar)

160

140

120

100

80

60

40

 20

  0
               Russland          USA             Kanada           Australien         Brasilien          China

Quelle: ETH Zürich

3.3 Kooperationspotentiale

Der im Zuge des European Green Deal deutlich stei-        Mit Blick auf einen stetig steigenden Bedarf an Impor-
gende Bedarf an erneuerbarer Energie innerhalb Euro- ten erneuerbarer Energien und einer perspektivischen
pas schafft zusammen mit der explizit angestrebten        Intensivierung der Kooperation mit Russland in diesem
Zusammenarbeit mit Drittstaaten zur                                       Bereich sollte die Interkonnektivität des
Deckung dieser Nachfrage ein breites                                      europäischen und russischen Stromnet-
mögliches Kooperationsfeld zwischen          Erneuerbare bieten ein       zes jedoch nicht verringert, sondern
der EU und Russland. Ziel sollte es sein,       breites mögliches         erhöht werden.
die Potentiale Russlands im Bereich der     Kooperationsfeld für die
erneuerbaren Energien zum Nutzen bei-           EU und Russland           Mittel- bis langfristig sollte durch Mach-
der Partner zu entwickeln.                                                barkeitsstudien auch die vollständige
                                                                          Synchronisierung der zwei Stromnetze
Erhöhung der elektrischen Interkonnektivität              als wirtschaftliches, aber auch politisches Leuchtturm-
Die Stromnetze der EU und Russlands sind weitgehend projekt geprüft werden. Falls realisierbar, würde eine
nicht verbunden (nicht synchronisiert). Nur punktuell     solche Integration der Stromerzeugung und -übertra-
stellen insgesamt 12 Interkonnektoren zu Estland, Lett- gung auch wesentlich zur europäischen Energiesicher-
land, Litauen und Finnland unter anderem die Strom-       heit beitragen, da trotz volatiler erneuerbarer Strom-
versorgung zur russischen Exklave Kaliningrad und die     produktion über ein solch weitreichendes Gebiet eine
Verbindung zu den (noch) an das russische System          gleichzeitige Dunkelflaute kaum vorstellbar ist. Die
angeschlossenen baltischen Staaten sicher. Die balti-     Erhöhung der Interkonnektivität zwischen der EU und
sche Synchronisierung soll bis 2025 jedoch auf das        Russland entspricht im Grundsatz auch der Vision der
Stromnetz der EU umgestellt werden.                       Europäischen Kommission zur Verbesserung der Kon-
                                                          nektivität mit Asien und sollte entsprechend gefördert
                                                          werden können.
24			                                                                           Der European Green Deal und Russland

Erhöhung des wirtschaftlich nutzbaren                      den erneuerbaren Sektor ankurbeln, zur Diversifizie-
Potentials erneuerbaren Energien                           rung der Wirtschaft beitragen und eine beidseitig vor-
Die Zusammenarbeit mit der EU im Bereich erneuerba-        teilhafte Interdependenz auch in Zeiten abnehmender
rer Energien kann auch dazu führen, dass ein größerer      europäischer Nachfrage nach fossilen Energieträgern
Anteil des immensen natürlichen Potentials Russlands       zementieren.
wirtschaftlich nutzbar gemacht werden kann.
                                                           Aufforstung
Technologiepartnerschaften in Form von Beratungs-          Da Aufforstung zu sogenannten Negativemissionen
leistungen und Joint Ventures mit europäischen Unter- durch natürliche CO2-Abscheidung führen kann, eig-
nehmen können dazu beitragen, dass beispielsweise          net sie sich als Kompensationsmaßnahme für tech-
durch Erhöhung der Effizienz in der                                        nisch oder finanziell unvermeidbaren
Erzeugung durch Verwendung größerer                                        europäischen CO2-Ausstoß (beispiels-
Windturbinen aus europäischer Produk-        Die Interkonnektivität        weise  aus der Landwirtschaft). Auch in
tion (Siemens-Turbinen, beispielsweise,      des europäischen und          Russland findet diese Herangehens-
erreichen inzwischen eine fünfzehn Mal      russischen Stromnetzes         weise zunehmend Beachtung und ist
höhere Leistung als die durchschnittli-      sollte nicht verringert,      beispielsweise bereits Teil der mittel-
che russische Turbine), Verringerung der      sondern noch erhöht          fristigen Emissionsreduktionsstrategie
Verluste in der Übertragung oder Ein-                werden                des russischen Erdölunternehmens
führung moderner Speicherlösungen                                          Rosneft. Das Unternehmen kündigte
oder von Elektrolysekapazität für die                                      an, durch Aufforstung bis 2035 bis zu
Wasserstoffproduktion zunehmend auch geografisch           80 Mio. Tonnen CO2 kompensieren und bis 2050 Net-
abgelegene, aber technisch attraktive Standorte zur        to-Null- Emissionen erreichen zu können.
Erzeugung von erneuerbarem Strom erschlossen wer-
den können. Auch hier könnte der Ausbau der nationa- Ausgehend von einer Kapazität zur Abscheidung von
len russischen Übertragungsnetze unter die Zielset-        CO2, die laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsor-
zung der EU-Asien-Konnektivitätsstrategie fallen und       ganisation der Vereinten Nationen (FAO) für Neube-
somit gefördert werden.                                    pflanzung von in Russland heimischem borealem
                                                                           Nadelwald zwischen 0,8 und 2,4 Ton-
Auslagerung europäischer                                                   nen pro Hektar pro Jahr liegt, könnte
erneuerbarer Stromerzeugung                   Russland verfügt mit         Russland theoretisch durch Auffors-
Schließlich sollte das von der EU-Richt-     151 Mio. Hektar über          tung der verfügbaren 151 Mio. Hektar
linie zu erneuerbaren Energien einge-       das mit Abstand größte         jährlich bis zu 8% der gesamten derzei-
führte Konzept der Auslagerung der                Potenzial für            tigen Treibhausgasemissionen der EU
Erzeugung von Strom in Nachbarländer         Aufforstung weltweit          in Höhe von insgesamt ca. 4.400 Mio.
durch Pilotprojekte in Russland ange-                                      Tonnen binden.
stoßen und sein Potential für die Erfül-
lung des European Green Deal unter Beweis gestellt         Dieses Potential zur CO2-Abscheidung könnte von
werden.                                                    EU-Mitgliedstaaten sowie Unternehmen optimal
                                                           genutzt werden, indem es in Kooperation mit Russ-
Dabei können europäische Partner nicht nur das tech­ land in das bestehende Emissionshandelssystem der
nologische Knowhow und finanzielle Anreize, sondern EU eingebettet und die Ordnungsmäßigkeit der Auf-
auch jahrzehntelange Erfahrung beim Management             forstung durch eine internationale Prüfgesellschaft
großer erneuerbarer Energieprojekte einbringen. In         zertifiziert wird.
Russland könnten dadurch entstehende Skaleneffekte
4.	ENERGIEEFFIZIENZ
	
 NACHHOLBEDARF
 IN RUSSLAND
26			                                                                          Der European Green Deal und Russland

Energieeffizienz als Querschnittsaufgabe spielt sowohl in der Energiepolitik der EU im Rahmen des European
Green Deal als auch in Russland eine große Rolle. Kooperationspotentiale bieten sich hier über gemeinsame
Projekte zur Energieeinsparung in allen Wirtschaftssektoren an. Diese sollten durch Dialog und Zusammenarbeit
auf Arbeitsebene gestützt und geleitet werden.

4.1 Rahmenbedingungen

Gesetzlicher Rahmen EU                                      versorgung zu erreichen, Treibhausgasemissionen zu
Rechtsgrundlage für das Handeln der Union im Bereich reduzieren, die Versorgungssicherheit zu verbessern
Energieeffizienz ist Artikel 194 des Vertrags über die      und die Importkosten für Energie zu senken. Ver-
Arbeitsweise der Union. Die Reduzierung des Energie-        stärkt rückt auch die Verbesserung der Wettbewerbs-
verbrauchs und der Energieverschwendung haben in            fähigkeit der EU in den Fokus. Nicht zuletzt deshalb
der EU stetig an Bedeutung gewonnen. An einen               wird die Energieeffizienz als eine von fünf Dimensio-
Beschluss des Europäischen Rates                                           nen im Fahrplan für die Energieunion
anknüpfend, legte die Europäische Kom-                                     2015 besonders berücksichtigt und
mission 2006 den “Aktionsplan für Ener-         2018 hat die EU eine       eine Überprüfung der einschlägigen
gieeffizienz: Das Potenzial ausschöpfen”          Reduzierung des          Richtlinien angekündigt. Die EU setzt
vor, der als Ziel festlegte, den jährlichen      Energieverbrauchs         auf den Grundsatz "Energieeffizienz
Energieverbrauch der Union bis 2020            um mindestens 32,5%         zuerst". Der künftige strategische Rah-
um 20% zu senken. 2011 erfolgte eine             bis 2030 festgelegt       men für die Zeit nach 2030 wird auf
Überarbeitung mit einem neuen Ener-                                        europäischer Ebene derzeit zwischen
gieeffizienzplan, der den Zielen Vorrang                                   den Organen diskutiert. Im Juni 2021
in der “Strategie Europa 2020 für intelligentes, nach-      will die Kommission einen Vorschlag für die Überar-
haltiges und integratives Wachstum” einräumte. Die          beitung der Energieeffizienz-Richtlinie vorlegen.
im Dezember 2012 in Kraft getretene Richtlinie zur
Energieeffizienz sah dann vor, dass die Mitgliedstaaten Schlüsselbereiche der EU-Energieeffizienz-Politik sind
nationale Energieeffizienzziele festlegen, um das Errei-    die Kraft-Wärme-Kopplung (gleichzeitige Erzeugung
chen des Gesamtziels der EU der Senkung des Energie- von Strom und Wärme) und die Energieeffizienz von
verbrauchs bis 2020 um 20 % sicherzustellen. Eine           Gebäuden sowie von Produkten. Dazu wurden in den
Reihe weiterer Richtlinien legten Normen für die Ener-      letzten Jahren Maßnahmen im Rahmen der Energi-
gieeffizienz von Produkten und Gebäuden fest.               eunion sowie eine Reihe von Richtlinien und Verord-
                                                            nungen beschlossen, darunter die EU-Strategie für
2018 hat das sogenannte “Saubere Energie für alle           die Wärme- und Kälte­erzeugung, die Richtlinie über
Europäer”-Paket als ambitionierteres Ziel die Reduzie-      die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden und die
rung des Energieverbrauchs um mindestens 32,5% bis          Verordnung über die Energieeffizienzkennzeichnung
2030 festgelegt.                                            (etwa einheitlicher Etiketten und Produktinformatio-
                                                            nen). Auch in der EU-Asien-Konnektivitätsstrategie
Zunehmend werden Maßnahmen zur Verbesserung                 (siehe Kapitel 3) wird die Energieeffizienz berück­-
der Energieeffizienz nicht mehr nur unter dem               sichtigt.
Gesichtspunkt betrachtet, eine nachhaltige Energie-
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