Der Herbst des Lebens - 3 | 2020 - Seelsorgebereich an Bröl und Wiehl
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fünfkant // Ausgabe September 2020 3 | 2020 Magazin der katholischen Gemeinden »An Bröl und Wiehl« Der Herbst des Lebens DAS BIBLISCHE ALTER SENIOREN-INTERVIEWS SENIORENARBEIT IM SB
3 | 2020 Magazin der katholischen Gemeinden An Bröl und Wiehl 02 Auf ein Wort: Das Alter – eine lebenslange Aufgabe 04 Biblisches Alter und Alter in der Bibel 06 Alter – Zeit der Ernte 08 Christlicher Glaube angesichts der sich neigenden Lebenskurve 11 Alt werden in einer klösterlichen Gemeinschaft Eine Ordensfrau berichtet 12 Sehnsucht hört niemals auf Seelsorge in Altenpflegeeinrichtungen 14 »Es ist, was es ist, sagt die Liebe« Interview mit Roswitha Wieczorek (81) 16 Im Land der Alten 18 »Der Dieter ist der beste alte Mann...« Interview mit Dr. D. Fuchs (87) 20 Weisheiten zum Alter 22 Meditation Herbst des Lebens ist … 23 Johannes XXIII. – Ich bin Josef, euer Bruder (Gen 45,4) 24 »Benachteiligen wir uns nicht selbst, indem wir uns nicht beteiligen.« 26 Wie ist das mit den Alten? Was die Enkel so meinen oder Wir alle lieben Espresso 27 Helene Weber – Ein Leben für die Politik 28 Kurtzweyl im Dialog Ein »Selbstversuch-Interview« 29 Konrad Adenauer – erster Bundeskanzler 30 Schon gesehen? Filme über das Altern 31 Tipps zu weiterführenden Radio- und TV-Sendungen 32 Herbst des Lebens – Gebet eines älter werdenden Menschen 33 Personalien 34 Gottesdienste und Termine 36 Zu guter Letzt 37 Impressum und Quellennachweis
Der Herbst des Lebens Liebe Leserinnen und Leser! Viele Menschen verbinden mit dem lassen und in der Glaubensgemeinschaft positive Einstellung zum Leben behal- Alterungsprozess nur Negatives: Demenz, über Lebens- und Sinnkrisen hinweg- ten sowie motiviert und körperlich wie Einsamkeit, Pflegeheim, körperliche kommen. geistig fit bleiben. Gebrechen und Verlust. Uns wird im Durchschnitt immer Wer zeitlebens seinen Beitrag zum Dabei bringt der Herbst des Lebens mehr Lebenszeit geschenkt und wir Gelingen der Gesellschaft geleistet hat, bei allen Herausforderungen zahlreiche werden dabei vor ganz neue Realitäten darf erwarten, dass er seine letzte Zeit in positive Aspekte mit sich: Sei es das gestellt, die wir akzeptieren müssen. Wir Pflegeeinrichtungen verbringen kann, aufgeschobene Lieblingshobby oder die sind aufgerufen, auch diese Zeit lebens die ihm ein angenehmes Umfeld, eine nun endlich vorhandene Zeit für die ge- bejahend zu gestalten. Humor, ein gute Allgemeinpflege und hochwertige liebten Mitmenschen. Senioren können dankbarer Rückblick und ein Fokus auf Nahrung bieten. durch weniger Verpflichtungen morgens das, was ich im Hier und Jetzt imstande Unsere Texte werden Ihnen dabei ausschlafen, ihr Leben entschleunigen bin zu leisten, sind dabei ganz wichtig. helfen, einen besonderen Lebensab- und sind auf diese Weise gelassener und Wie glücklich sind z. B. berufstätige schnitt mit ganz anderen Augen zu zufriedener. Das letzte Lebensdrittel gibt Eltern, wenn Oma oder Opa mal die sehen. Die Redaktion wünscht Ihnen viel ihnen die Freiheit, ganz neue Wege zu ge- Kinder betreuen!? Später wird diese Zeit Freude mit unserem neuen Heft. hen, ein soziales Engagement anzuneh- mit den Großeltern oft als etwas ganz men oder sich der Spiritualität zu öffnen. Besonderes empfunden. Mit einem positiven Gottesbild können Die Gesellschaft der Jüngeren sollte sich viele auf den Prozess des A lterns ein- dazu beitragen, dass die Älteren eine Lothar-Pierre Adorján
02 Auf ein Wort: Das Alter - eine lebenslange Aufgabe Liebe Leserinnen und Leser! gen neue Möglichkeiten hinzufügt. hat, in eine ungewisse Zukunft aufzu- Darum ist es wichtig und notwendig, brechen oder an Elisabeth, die noch im Ich möchte zu Beginn meines Beitrags sich auf das Altern, Altwerden und hohen Alter ein Kind empfängt. Mose von einem kleinen Erlebnis erzählen, das Altsein einzustellen. Das fällt aber vielen ist ebenfalls schon ein betagter Mann, ich vor einiger Zeit in der Pfarrgemeinde Menschen schwer. »Keiner will alt sein, als Gott ihm den Auftrag erteilt, das St. Michael in Waldbröl hatte und das doch jeder will alt werden«, so hört man auserwählte Volk aus Ägypten heraus- mich bis heute immer wieder zum spöttische Zungen oft sagen. zuführen. Auch im Neuen Testament Schmunzeln veranlasst. Ich besuchte die Warum steht das Altwerden in unse- spielen ältere Menschen eine wichtige Kinder unserer Kindertagesstätte. Als rer Gesellschaft in keinem besonders gu- ich den Kindergarten betrat, hörte ich, ten Ansehen? Nun, das mag u. a. damit »Auch heute brauchen wie ein Kind zu den anderen rief: »Da zusammenhängen, dass wir in einer Zeit kommt der Opa von der Kirche!« Spätes- leben, in der der jugendliche Elan, die wir eine neue tens seit diesem Augenblick wusste ich: Schönheit des jungen Menschen, seine Wertschätzung des alten »Du gehörst auch zur Generation der Vitalität und Kraft besonders hochge- Menschen.« alten Menschen«. Denn der Mensch ist schätzt werden. Demgegenüber ist das offensichtlich nicht nur »so alt, wie er sich Alter im Bewusstsein der Menschen fühlt«, sondern auch so alt, wie er von häufig von physischen, psychischen und Rolle. So weisen Simeon und Hanna, die seiner Umwelt, von seiner Umgebung geistigen Einschränkungen geprägt. beiden hochbetagten Menschen, darauf wahrgenommen wird. Wenn wir in die Geschichte der hin, dass Jesus der Heiland und das Licht In dieser Ausgabe unseres fünfkant- Menschheit schauen, war dies einmal der Welt ist. Magazins wollen wir uns mit dem Alter anders. So achteten z. B. in der Antike Auch heute brauchen wir eine neue und Älterwerden auseinandersetzen. die Spartaner den älteren Menschen so Wertschätzung des alten Menschen. Denn zum einen leben wir in einer immer hoch, dass nur die über 60-jährigen in Das bedeutet: Die Jüngeren müssen den politischen Ältestenrat aufgenom- den Älteren wieder sagen, wie wichtig men wurden. Und auch der griechische und kostbar sie für sie sind. Jeder alte »›Keiner will alt sein, Philosoph Platon konnte dem Alter Mensch trägt die Wurzeln des jüngeren doch jeder will alt durchaus Positives abgewinnen: Wenn Menschen in sich. Ältere und alte Men- jemand mit dem Alter Probleme habe schen sind unsere lebendige Geschichte. werden.‹« – so Platon – dann liege das nicht am Ohne sie, ohne unsere Wurzeln, können Alter, sondern am Charakter des Men- wir nicht leben. Sie sind die gelebte älter werdenden Gesellschaft, zum ande- schen. Geschichte unserer Vergangenheit, aber ren ist das Alter heute nicht mehr Restzeit Auch in der Hl. Schrift finden wir auch für unsere Gegenwart unentbehr- nach Jugend- und Erwachsenenjahren, Beispiele für eine große Wertschätzung lich. sondern eine eigene, bedeutsame, oft des alten Menschen. Denken wir an Als vor einigen Jahren ein Bischof in jahrzehntelange Lebensphase, die den Abraham, der noch im hohen Alter von den Ruhestand trat, schrieb ihm jemand: bisherigen Lebenszielen und -erfahrun- Gott einen Auftrag erhält und den Mut »Sie, verehrter Herr Bischof, werden jetzt
fünfkant – September 2020 – Auf ein Wort: Das Alter als Lebensaufgabe 03 »Altbischof« oder »Bischof i. R.« sein. alles, dann bin ich alles!« Der Großvater was mir nicht mehr wichtig ist. Ich kann Vergessen Sie aber bitte nicht, dass das dachte lange über die Antwort seines Ja sagen zu jedem Tag, der mir von Gott nicht nur »Bischof im Ruhestand« heißt, Enkels nach. Dann wusste er, dass sein geschenkt wird. Und schließlich bin ich sondern auch »Bischof in Rufweite«! Enkel recht hatte. Wenn ich alt bin, so auch alles, sagte sich der Großvater. Ich Die älteren und alten Menschen sind bin »Ich selbst« geworden durch mein Menschen in »Rufweite«. Sie sind da, Leben. Ich bin dankbar in der Rückschau wenn die Jüngeren einen Rat brauchen. »Alt werden wir von der auf das Empfangene. Und ich bin sicher Sie sind da, wenn sie einander helfend ersten Sekunde unseres in der Gewissheit auf das Kommende. und hilfreich zur Seite stehen. Sie sind Diese Haltung wünsche ich uns da, wenn sie mit uns und für uns beten. Lebens an.« allen, die wir von der ersten Sekunde Ich möchte meine Gedanken ab- unseres Lebens an alt werden. schließen mit einer Wertschätzung des sagte er sich, dann weiß ich alles, was alten Menschen, die ich einmal irgend- mir Gott in meinem Leben geschenkt Ihr Pfarrer wo gelesen habe. Ein Großvater fragte hat. Dann weiß ich auch um meine End- Klaus-Peter Jansen seinen Enkel: »Hör mal, was willst du lichkeit und Begrenztheit. Wenn ich alt denn einmal werden?« Der Enkel ant- bin, dann kann ich auch alles. Ich kann wortete: »Ich möchte alt werden, Groß- annehmen, was auf mich zukommt. vater.« »Alt, warum denn das?«, fragte Ich kann verzichten auf das, was ich der Großvater. Und der Enkel antworte- nicht mehr haben und erfahren kann te: »Dann weiß ich alles, dann kann ich in dieser Welt. Ich kann auch loslassen,
04 Biblisches Alter und Alter in der Bibel Wenn ein Mensch heutzutage deut- Sein Auge war noch nicht getrübt, seine Greises ehren und deinen Gott fürchten.« lich den Altersdurchschnitt übersteigt, Frische war noch nicht geschwunden.« (Lev 19,32) Und: »Stelle dich in die Schar 100 Jahre oder noch älter wird, spricht (Dtn 34,7) In Psalm 90 sind wir dann in der Ältesten, wer weise ist, dem schließe man gerne von einem »biblischen Alter«. etwa da angekommen, wie wir es heute dich an!« (Sir 6,34) Die Alten haben also Das kommt daher, dass am Beginn der auch kennen: »Die Zeit unseres Lebens die Funktion von Lehrern, Ratgebern, ja Bibel Menschen mit einer geradezu währt siebzig Jahre, wenn es hoch- sogar Führern. Darum setzten sich auch fantastischen Zahl an Jahren vorgestellt kommt, achtzig.« Dass aber auch ein die wichtigen regionalen Gremien aus werden. Der bekannteste dürfte wohl solches Alter nicht jedem vergönnt war, alten oder älteren Männern zusammen, Methusalem sein, dessen Alter mit 969 wissen wir aus Grabfunden. Das übliche die bekannten »Ältestenräte«. Das waren Jahren angegeben wird und der schein- nicht Greise in unserem Sinne, sondern bar recht lange rüstig unterwegs war, wir würden heutzutage sagen, Männer zeugte er doch noch im jugendlichen »Jesus war mit 33 Jahren mittleren Alters. Aber wir erinnern uns, Alter von 187 Jahren einen Sohn, der für die damalige Zeit dass die Lebenserwartung auch viel es ihm dann gleichtat. Das geht über nicht mehr jung.« geringer war. die ganze Liste der Urväter bis hinauf Die Bibel sieht ein langes oder sehr zu Noah (vgl. Gen 5). Die Urväter von langes Leben als besonderen Segen und Adam an wurden nach Aussage der Bibel Alter lag wohl irgendwo zwischen 35 auch als Lohn für ein gottesfürchtiges alle sehr alt; das unterscheidet sie von und 50 Jahren. Insofern war auch Jesus Leben an: »Ehre deinen Vater und deine Rockstars. mit seinen 33 Jahren für die damalige Mutter, damit du lange lebst in dem Nach Noah ist damit Schluss. Gott Zeit nicht mehr so jung, wie wir das Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt!« begrenzt die Lebenserwartung seiner heute empfinden. (Ex 20,12) Hier verknüpft sich die Verhei- Schöpfung: »Mein Geist soll nicht für im- Das Thema Alter und alte Menschen ßung Gottes mit dem Gebot, die Eltern, mer im Menschen bleiben, weil er eben ist in der Bibel grundsätzlich positiv die ja auch Ältere sind, zu ehren. Alt Fleisch ist; daher soll seine Lebenszeit besetzt. Hervorgehoben werden nicht werden zu dürfen hat also etwas damit hundertzwanzig Jahre betragen.« (Gen etwa die Molesten und Beschwerlich- 6,3) Wie die biblischen Altersangaben keiten des Alters, sondern seine Bedeu- der Urväter zu verstehen sind, darüber tung auch für die Gesamtbevölkerung »›Stelle dich in die Schar – etwas, was wir Heutigen uns auch der Ältesten, wer weise ist, wieder mehr zu eigen machen dürften; »Ein hohes Alter ist ein da ist doch vieles verrutscht. Alte Men- dem schließe dich an!‹« besonderer Ausweis schen sind gemäß der Bibel zu respek- tieren, denn ihnen kommt wegen ihrer zu tun, wie man sich zum Alter anderer, göttlichen Segens.« Lebenserfahrung ein Führungsanspruch besonders der Eltern und den Geboten zu: »Wie gut steht den Grauhaarigen Gottes, verhält. Aber es geht nicht nur streiten sich die Gelehrten. Jedenfalls ein Urteil an und den Ältesten, Rat zu um ein langes, sondern auch um ein betrachtet die Bibel ein hohes Alter als wissen. Wie gut steht den Alten Weisheit erfülltes Leben: Man stirbt dann »betagt einen besonderen Ausweis göttlichen an und den Gerühmten Überlegung und und satt an Tagen.« (Gen 35,29) Der Segens. Danach werden die Angaben Rat.« (Sir 25, 4-5) Die Jüngeren sollen sich Idealzustand wäre das neue Paradies, jedenfalls realistischer: »Mose war dem unterordnen: »Du sollst vor grauem wie der Prophet Jesaja es vorstellt: »Es hundertzwanzig Jahre alt, als er starb. Haar aufstehen, das Ansehen eines wird dort keinen Säugling mehr geben,
fünfkant – September 2020 – Biblisches Alter und Alter in der Bibel 05 Immer mehr Menschen werden heutzutage 100 Jahre alt. der nur wenige Tage lebt, und keinen Vater verspottet und die alte Mutter die anderen die Erfahrung. Beides Greis, der seine Tage nicht erfüllt; wer verachtet, das hacken die Raben am zusammen bringt eine Gesellschaft als Hundertjähriger stirbt, gilt als junger Bach aus, die jungen Geier fressen es voran. Es gibt nicht nur Jugendwahn Mann.« (Jes 65,20) auf.« (Spr 30,17) und Altersschwäche, sondern ganz viel Die Bibel weiß aber auch um die rea- Die Heilige Schrift stellt in Bezug dazwischen. Das ist und war nicht jedem len Beschwernisse des Alters. So spricht auf das Alter Ideale vor, sie weiß aber immer klar, sonst gäbe es auch die Barsillai zu König David: »Ich bin jetzt biblischen Gebote dazu nicht. Aber es ist achtzig Jahre alt. Kann ich denn noch eigentlich ganz einfach. Jesus selbst sagt Gutes und Böses unterscheiden? Kann »Die Heilige Schrift es: »Der eine trage des anderen Last. So dein Knecht noch Geschmack finden weiß um die Realitäten erfüllt ihr Christi Gebot.« an dem, was er isst und trinkt? Höre ich So schließe ich mit dem alten Gruß: denn noch die Stimme der Sänger und des Lebens.« Ad multos annos! Auf viele Jahre! Und Sängerinnen? Warum soll denn dein mögen Sie unter Gottes Segen stehen! Knecht noch meinem Herrn, dem König, auch um die Realitäten des Lebens, zur Last fallen?« (2 Sam 19,36) Sich um wie lange es auch dauern mag. Wenn Michael Weiler alte und hilflos gewordene Menschen, man es genau bedenkt, hat sich seit Pfarrvikar, ehem. Kaplan im SB insbesondere die eigenen Eltern zu biblischen Zeiten, jedenfalls was dieses kümmern, ist (religiöse) Pflicht. Wehe Thema betrifft, nicht allzu viel geän- dem, der sich dem entzieht: »Wer den dert. Die Generationen müssen in einer Vater misshandelt und die Mutter weg- Gesellschaft miteinander auskommen jagt, ist ein verkommener, schändlicher und sollen sich gegenseitig von Nutzen Sohn.« (Spr 19,26) »Ein Auge, das den sein. Die einen haben die Arbeitskraft,
06 Alter – Zeit der Ernte Wenn ich an meine Großväter denke, spüren: Nicht, was wir unseren Kindern Versöhnung dann sehe ich alte Männer. Damals war vererben, ist wichtig, sondern was aus Beim Nachdenken über die Vergan- man in meinen Augen mit 70 alt, mit 80 uns geworden ist. genheit wird uns bewusst, dass vieles sehr alt. Auch im Herbst tragen wir noch vorgegeben ist: Elternhaus, Familienge- Heute ist das anders. Gerade die Frühling und Sommer in uns, und es schichte, die Zeit, in der wir leben, das Älteren machen noch Kreuzfahrten, gibt Möglichkeiten, die uns nur im äußere Erscheinungsbild, ja auch die buchen Yoga-Kurse, haben Konzert- Alter offenstehen. seelische Konstitution. Wir lernen dann, Abos, schreiben E-Mails und fangen uns auszusöhnen mit unserem Lebens- evtl. noch ein Studium an. In diesem Erinnerungen rahmen. Alter fragt man: Gehören wir zum »Alten Je älter wir werden, umso mehr Auch die beschwerlichen Seiten des Eisen« oder sind wir wertvolle »Antiqui- Erinnerungen sammeln sich an. Sie Alters wollen wir nicht verschweigen: täten«? können uns nicht genommen werden. Die Leistungsfähigkeit lässt nach, auch Wenn wir im Kirchenjahr das Ernte- In dieser »Schatzkiste« ruht vieles, was die Mobilität, Krankheiten und Vergess- dankfest feiern, denken wir zuerst an glänzt, manches ist aber auch ver- lichkeit stellen sich ein; vielleicht haben die Früchte des Feldes. Wir dürfen den staubt. Zu Erinnerungen gehören auch wir Angst vor Vereinsamung, Depressio- Begriff »Ernte« aber viel weiter fassen. die Menschen, die uns vorausgegan- nen, Demenz, vor dem Sterben. Früchte, das sind auch: lebenslange gen sind. So wie es »Trauerarbeit« gibt, Das Annehmen des Lebensweges Freundschaften, überwundene Krank- so gibt es auch »Erinnerungsarbeit«. kann befreien – befreiend auch, wenn heit, gelungene Versöhnung, ausge- Es ist gut, sich von Zeit zu Zeit wir uns mit Menschen aussöhnen, die räumtes Missverständnis, neu gewonne- einen Lebensrückblick zu gönnen. nicht mehr leben. Wir dürfen eigene ne Erkenntnis. Das ist etwas Schöpferisches! Das hilft Schuldgefühle abgeben und mit ihnen uns, ein »Ja« zu uns selbst zu finden, Frieden schließen, da wo wir etwas Herbst des Lebens Liebe zu uns selbst zuzulassen, mit uns eingesehen haben und z urücknehmen Es ist die wichtigste Zeit des Lebens. selbst befreundet zu sein. möchten. Wir können ihnen aber auch Vieles haben wir auf diese Lebensphase Erinnerungen sind nichts Ob- vergeben, wo sie an uns schuldig verschoben – wenn ..., dann ... Wir fragen jektives. Sie verändern sich ständig. wurden und so mit ihnen ins Reine uns: Was kommt noch? Es ist die Zeit der Unbewusst »arbeiten« wir an ihnen. kommen. Damit ändert sich die eigene Rückschau, des Innehaltens, einer Le- Wir legen sie uns so lange zurecht, bis Zukunft; denn wir lösen damit eine bensbilanz. Dieses innere Aufräumen hat sie in unser Selbstbild passen. Wir sind negative Gebundenheit. Voraussetzung nichts mit runden Geburtstagen zu tun! bemüht, unsere innere Ordnung auf- hierfür ist innere Wahrhaftigkeit. Die Die wirklichen Lebensabschnitte folgen rechtzuerhalten. Wir möchten unsere Wunden müssen verheilt sein; sonst anderen, eigenen Gesetzen. In Zeiten eingefahrenen Denkmuster beibe- kann Verzeihen Züge von Hochmut des Übergangs gibt es vielleicht Augen- halten, weil es bequem ist. Vorurteile bekommen. Wenn uns das gelingt, wer- blicke, wo wir uns fremd sind, wenn wir aufzugeben, eine neue Brille aufzuset- den wir mehr Verständnis für Menschen in den Spiegel schauen. zen, ist anstrengend. Warum haben bekommen, die uns enttäuscht oder Im Lebensherbst denken wir zurück: Geschwister z. B. oft ganz unterschied- verletzt haben. Wenn wir so zu denken an Gelungenes, aber auch an Versäum- liche Erinnerungen an ihre Eltern? gelernt haben, dann werden wir sicher tes; an Lebenspläne, die ausgeführten Wir sollten den roten Faden in un- auch sensibler und offener bei neu- und die unfertig gebliebenen; an Auf- serem Leben entdecken mit seinen en Begegnungen sein – auch bei der erlegtes, das wir verarbeiten mussten; Knoten und Verwicklungen. Uns wird Wiederbegegnung mit alten Freunden. an Schuld und Versagen; aber auch dann bewusst, wo wir geirrt haben, wo Warum sollten wir nicht im Alter noch an Glücksmomente und gute Zeiten, unsere Stärken und Schwächen liegen. Kontakt suchen zu Menschen, die früher in denen wir aufatmen konnten. Wir einmal wichtig waren?
fünfkant – September 2020 – Alter – Zeit der Ernte 07 Loslassen man noch ein neues Hierin drückt sich eine innere Haltung Hobby anfangen, wieder aus. Loslassen heißt: Einwilligen, Ab- mal ein Märchenbuch schiednehmen – auch von Tätigkeiten lesen, flache Steine im und Erwartungen. Immer wieder gilt Wasser hüpfen lassen. es, Abschied zu nehmen von Plänen Warum eigentlich nicht? und Lebensphasen, die vorbei sind. Das ist inneres Jungsein. Auch wer sich von liebgewordenen Dingen trennen muss, lernt das Loslas- Heiterkeit des Alters sen. Das alles klingt nach Verzichten, Die Fröhlichkeit der Ju- Entsagen, sich fügen, Resignieren. Wir gend gleicht oft einem denken dann an Verpasstes, an uner- Feuerwerk, das kurz auf- füllte Wünsche. flammt. Das Feuer des Das Loslassen kann uns aber auch Alters dagegen ist eher bereichern. Es hält etwas Beglü- eine stille Glut, an der ckendes bereit, wenn wir Ballast der man sich wärmen kann. Vergangenheit abwerfen. Es ist gut, Das Alter erlaubt eine in Neues hineinzuwachsen, neugierig gewisse Leichtigkeit. Ein zu sein auf das, was noch kommt, mit bisschen Leichtsinn darf Überraschungen zu rechnen. Das wirk- auch dabei sein. Ja, ein lich Wichtige im Leben, das Bleibende, schwebender »leichter wird uns dann bewusster. Manchmal Sinn« hat etwas Göttli- braucht es Mut, um neue Schritte zu ches. Im Bilde gespro- wagen. Wir sollten auch den Zweifeln chen: Wir brauchen nicht nicht aus dem Wege gehen. in die Schlaglöcher des Lebens zu schauen, son- Freiheit dern auf den Regenbo- Das ist ein Urbedürfnis des Menschen. gen darüber. Gerade im Alter dürfen wir uns neue Wenn wir dankbar Freiheiten herausnehmen. Wir dürfen sind für unser Leben, frei werden vom Urteil der Umwelt, fällt uns vielleicht die Heiterkeit des Alters Nicht in die Schlaglöcher des von falscher Anpassung, von der zu. Im Lächeln des heiteren Alten liegt Lebens schauen, sondern auf Vorstellung, es allen recht machen zu keine Ironie, keine Häme, keine Bitterkeit. den Regenbogen darüber. müssen. Seien wir mutig zum Selber- Glücklich, denen schon ein heiteres Na- denken, zum Hinterfragen, zum Blick turell angeboren ist. Viele müssen es sich über den Zaun. erst erwerben. Auch das kann Lebensern- te sein. Werden wie die Kinder Wir können unser Lebensgebäude Wenn wir uns fragen: Wann war ich vergleichen mit einem Schloss. Es hat besonders glücklich? Welches Erlebnis viele Räume: bestimmt einen Festsaal, wünsche ich mir noch einmal zurück? eine Küche, vielleicht eine Kapelle, Vielleicht waren es Zeiten, in denen wir sicher auch Rumpelkammern; Fenster, träumten, statt zu grübeln? Wo wir die man öffnen, bei denen man aber spielten, statt zu arbeiten? Wo wir Zeit auch die Vorhänge zuziehen kann; ein vertrödelten und die Uhr vergaßen? Tor, wo Menschen aus- und eingehen. In Wo wir absichtslos waren, statt zu welchem Raum des Schlosses befinden Wolfgang Schmidt fragen: wir uns selbst? Im dunklen Keller? Oder Freie ev. Gemeinde Waldbröl Wie wirke ich? Was leiste ich? auf dem Dachboden, wo wir ein Fenster Tief in uns steckt die Sehnsucht offenhalten, um uns die Sterne vom Him- nach solchen unmittelbaren Erlebnis- mel herunterzuholen? sen, die Sehnsucht, noch einmal Kind zu sein. Zu schnell denken wir: »Na, in meinem Alter!« Auch im Alter kann
08 Vor der letzten Reise: Angst und Vertrauen im Widerstreit Christlicher Glaube angesichts der sich neigenden Lebenskurve Eine persönliche Besinnung als Anregung Mein christlicher Glaube ist von der Denn ich kriege das Gottvertrauen nicht losigkeit oder andere schwer erträgliche Sehnsucht und dem Willen erfüllt, Gott so hin, wie ich meine, es aufbringen Nöte quälen. zu vertrauen. Er sagt mir aber auch: »Du zu müssen und wie ich es aufbringen Frage eins: Woher kommt die Idee, Gott musst ihm vertrauen; alles andere wäre möchte. vertrauen zu können und zu müssen? Sie Verweigerung, Gott als Gott anzuerken- Die Gebrochenheit meines Ver- kommt aus der Hl. Schrift. Die Hl. Schrift nen.« Von Gott zu sprechen geht also trauens bezieht sich vor allem auf den verkündet Gott als den, der liebt, aus Not gar nicht anders als zu sagen: »Da ist Sterbeweg und die Zeit davor, nicht befreit und nie jemanden verlässt. Sie jemand, dem ich vertrauen kann und auf den Zustand ab dem Tod. Im Blick verkündigt ihn aber auch als den, der uns der mein Vertrauen beanspruchen kann. auf die letzte Wegstrecke ringen in mir in – so möchte ich formulieren – heiliger Mein Vertrauen steht ihm einfach zu.« Angst und Vertrauen. Beide schießen Souveränität begegnet. Für mich hat diese Dabei bleibt Gott – so bin ich überzeugt – sozusagen abwechselnd ein Tor, haben Souveränität einfordernden Rang. Mir ist gegenüber denen, die dieses Vertrauen abwechselnd die Nase vorn. Die Angst darin gesagt: »Du darfst und sollst IHM nicht oder zu wenig aufbringen, sehr besteht darin, dass mich eines Tages vertrauen – in allem.« geduldig. Dafür bin ich sehr dankbar. starke Schmerzen, Verlassenheit, Hilf- Jesus setzt diese Verkündigung fort
fünfkant – September 2020 – Christlicher Glaube angesichts der sich neigenden L ebenskurve 09 und lässt sie in seinem Leben und Ster- gehen?«, denke ich dann. Zum Glück ist Himmels jenseits unserer Welt und des ben in einer mich packenden Weise auf- der Verlauf nicht bei allen Menschen so Todes für sie nicht mehr zu denken war. Ihr leuchten. Sein Sterben ist in all seiner Not schlimm. Von daher bleibt auch mir ein Wirklichkeitsverständnis (Physik und ande- zugleich ein Akt radikalen Vertrauens zu Törchen zur Hoffnung, dass es nicht so re Wissenschaften lassen grüßen) schließt Gott hin. In diesem Sterben als radikalem schlimm wird. Und der andere Impuls das einfach aus. Vertrauensakt wird Jesus – unter Einbe- klopft auch immer noch an: »Gott geht Auch ich kann übrigens einen Him- zug seines gesamten Lebens – von seinen mit – wie bei Jesus – und wird mich mel jenseits unserer Welt nicht denken durch alles, auch wenn‘s ganz schwer und komme dennoch nicht davon los. wird, hindurchtragen.« Ich weiß nicht, ob ich diese Vorstellung, »Mein christlicher Glaube Frage drei: Woher kommt die nach dem Tod in Gottes Liebe leben zu ist von der Sehnsucht und Zuversicht im Blick auf den Zustand ab dürfen, empfinde oder fühle oder ob sie dem Tod? Ich gebe zu: Wissen über den mich erobert bzw. durchdrungen hat, was dem Willen erfüllt, Gott Zustand ab dem Todeszeitpunkt habe dann letztlich für mich hieße: von Gott zu vertrauen.« ich nicht im Geringsten. Die Aussicht geschenkt. Ich kann nur sagen, wenn ich auf EIN ZIEL war mir aber immer mit in mich hineinhorche, über mich medi- der wichtigste Grund Christ zu sein. Ich tierend nachdenke, komme ich zur nicht Schülerinnen und Schülern als Sohn Got- habe mein Christsein das ganze Leben abzustreifenden Gewissheit, dass meine tes erkannt. Sein Leben und Sterben wird hindurch mit der Erwartung verbunden, Person, mein Ich, meine innerste Identität, als göttliches Leben und Sterben erkannt, einmal ganz zum Himmel zu gehören, vielleicht als Seele zu bezeichnen, dass ich, das sich aber in unserer menschlichen endgültig bei Gott zu sein, ewige Selig- auch als Ergebnis meiner ganzen irdischen Wirklichkeit abspielt und in Gott hinein keit bzw. ewiges Leben zu erlangen und mündet. Jesu Auferstehung ist dadurch dass dies im Tod volle Wirklichkeit wird. allen Menschen angeboten. Sie können Ich hoffe, mit unendlich vielen Men- »Auch im Tod ist für sich in dieses göttliche Leben und Ster- schen heimgeholt zu werden in einen den Menschen Zukunft ben vertrauensvoll hineinnehmen lassen, Zustand überbordender Lebendigkeit damit daraus für sie Auferstehung wird. und Freude bei völliger Freiheit von vorgesehen.« Um diesen Vertrauensschritt ringe ich. Angst, Beunruhigung, Schmerz und Not. Mal meine ich, ganz nah dran zu sein und So u. a. verstehe ich jedenfalls die Worte das Vertrauen so gut wie gewonnen zu Jesu: »Ich gehe, um einen Platz für euch Geschichte mit allen leib- und seelischen haben. Mal erlebe ich mich von meinen vorzubereiten …« (Joh 14,3), wenn ich Erfahrungen, unauslöschlich bin. Biblische Ängsten eingeholt und durchgeschüttelt. sie mit vielen anderen biblischen Texten Botschaft trifft so fast perfekt auf mein Frage zwei: Wo kommt die Angst vor zusammenbringe. Der christliche Glau- Bewusstsein von mir selbst. Und ich kann der letzten Wegstrecke und vor dem be ist mir nie ohne dieses ZIEL sinnvoll nicht anders, als diese Qualität jedem Sterbeweg her? Bei mir ist sie aus einer erschienen. Ein Glaube, der einschließen Menschen zuzusprechen. Alle und mich harten persönlichen Erfahrung erwach- würde, mit dem Tod sei alles aus, hätte selbst halte ich für eine einmalig kostbare sen. Diese hat das langjährige Urver- mich wahrscheinlich innerlich nicht Besonderheit. Unmöglich für mich, dass trauen, wie es seit der Kindheit zu Gott erreicht. auch nur ein einziger dieser Menschen Ich weiß allerdings von Christen und einem radikalen Erlöschen, Vergessenwer- bestaune sie mit Respekt, denen die Lie- den oder Ausradiertwerden anheimfällt. »Jesu Sterben ist in all be Gottes in diesem Leben genügt und Auch im Tod ist für den Menschen Zukunft seiner Not zugleich ein Akt die darin den Himmel verwirklicht oder vorgesehen. Er hat etwas an sich, das ich fast erreicht sehen. Ein ZIEL jenseits nur als Unsterblichkeit bezeichnen kann. radikalen Vertrauens zu des Todes ist ihnen nicht wichtig. Sie Als böse eingeschätzte Menschen kann Gott hin.« möchten aus der Kraft und Liebe Jesu und will ich dabei nicht ausnehmen. diese Welt jetzt gestalten in Richtung Frage vier: Wie aber nehme ich meine des Reiches Gottes. Sie helfen, respek- gesamte sonstige Lebensbilanz mit in die hin gewachsen war, wankend werden tieren, hören zu, bewahren Schöpfung, letzten Runden des Lebenslaufes, vor allem lassen. Dazu kommt die Beobachtung, bringen in jede Begegnung Herzlichkeit Schuld, Streit, Enttäuschungen, von Men- dass es reichlich Menschen gibt, denen ein und lassen dabei erkennen: »Du da schen zugefügte seelische Verletzungen, es zum Ende hin und oft auch schon mir gegenüber bist mir jetzt wichtig«. Benachteiligungen? länger davor unglaublich schlecht geht. Manche sind zu dieser Einstellung Erste Antwort auf Frage vier: Die größte »Warum soll es mir aufs Ende zu besser gelangt, nachdem die Vorstellung eines Infragestellung meines ewigen Heiles
10 Christlicher Glaube angesichts der sich neigenden Lebenskurve – September 2020 – fünfkant Jesu Auferstehung ist allen Menschen angeboten. und damit eine große Beunruhigung Versöhnung zu finden, entfalten. Hilf- einiges an Frieden und Versöhnung zu- auf der letzten Wegstrecke kommt für reich sind dabei die Erfahrungen derer, gewachsen, ohne dass ich zu behaupten mich aus den Momenten, in denen ich die große Freude gefunden haben, als wage, die alten Dämonen wären völlig Menschen Liebe vorenthalten habe. sie liebend mit Menschen umgegangen verschwunden. Diese Versäumnisse – so verstehe ich sind. Zum Schluss kann ich nur sagen: Mit die Bibel – machen es Gott schwer, Zweite Antwort auf Frage vier: Gott im Gespräch zu bleiben, gibt den mich anzunehmen. Vorenthaltene Liebe Versöhnung mit meiner vergangenen größten Frieden für die letzte/n Phase/n erwächst meiner Erfahrung nach be- Geschichte ist noch in anderer Hinsicht meines Lebens. Dabei erfahre ich: Ich sonders aus Bequemlichkeit und Angst wichtig. Manchmal melden sich die in darf Ich sein; ich darf der sein, der ich vor irgendwelchen Nachteilen, Angst Frage vier angedeuteten Dämonen von bin; ich darf mich weiter mühen in alle z. B., dass ich Genuss versäume oder Groll und Wut und Enttäuschung und mir möglichen Richtungen hin zu Liebe mich überanstrenge oder mich in Gefahr Bitterkeit. Zwei weitere Sätze des VATER- und Verantwortung; ich darf mich aber UNSER werden dann zur guten Hilfe. auch freuen in alle mir möglichen Rich- 1. »Wie auch wir vergeben unseren tungen. Und ich darf in mein Gespräch »Mit Gott im Gespräch zu Schuldigern«. Das heißt für mich: Was mit Gott so viele mitnehmen wie ich nur bleiben, gibt den größten Gott für mich an Verzeihung aufbringt, kann. Denn alle brauchen Vergebung, ist so überwältigend, dass meine Be- Beistand, Hoffnung, Vertrauen und Frieden.« ziehungen zu den Menschen, die mich Frieden. verletzt haben, auf den Weg der Heilung Norbert Kipp einschwenken können! Pfarrer i. R, bringe. Dass das Liebesgebot auch das 2. »Erlöse uns von dem Bösen!«. Das ehemaliger Seelsorger im SB »wie dich selbst« enthält, ist dabei ein übersetze ich so: Die Rätsel und Fragen eigenes Thema. Am dringendsten an- um meine vermeintlich oder wirklich un- gesichts mangelnder Liebe bleibt dann gerecht ausgestattete oder behandelte das ehrliche: »Vergib uns unsere (mir irdische Existenz werden sich lösen oder meine) Schuld!« und das nie endende keine Rolle mehr spielen. Ich kann da Bemühen, ein Liebender zu werden. Nur ganz dem himmlischen Vater vertrauen. so kann sich die Hoffnung, zu innerlicher Mit solchen Gedanken ist mir schon
Alt werden in einer klösterlichen Gemeinschaft 11 Eine Ordensfrau berichtet In verschiedenen Beiträgen berichten ältere Menschen über den »Herbst des Lebens« aus ihrer jeweils ganz persönlichen Sicht. Wir wollten wissen: Wie verbringen die Frauen und Männer in den Ordensgemeinschaften diesen Lebensabschnitt? Wir haben daher Sr. Maria Goretti, den älteren Waldbrölern noch aus ihrer Tätigkeit im »Klösterchen« der Olper Franziskanerinnen bekannt, darum gebeten, einen Einblick in ihre ganz persönlichen Erfahrungen nehmen zu dürfen. Nach ihrer Waldbröler Zeit war sie fast 50 Jahre in Brasilien tätig. Dabei hat sie u. a. an der Konzeption und Einrichtung des Mädchenhauses »Traum der Aline« mitgearbeitet, das von zahlreichen Waldbrölern und der Kirchengemeinde unterstützt wird. Wegen »Corona« konnten wir kein Interview führen. Daher hat uns Sr. Maria Goretti ihre Gedanken in Briefform zukommen lassen. Lieber Herr Clees! du mir bitte dieses oder jenes?«, »Kannst du mir mal die Haare schneiden?«, und so weiter. All dies tue ich gerne, weil ich ja Nach einigem Zögern habe ich mich nun doch entschlos- – Gott sei es gedankt – noch fitter bin als manche meiner Mit- sen, meine Erfahrungen zum Thema »Herbst des Lebens« schwestern. Aber oft ist der Tag noch mehr gefüllt als vorher. den »fünfkant«-Lesern zu schenken. Sie wissen schon, Dann freue ich mich abends auf mein eigenes Zimmer. dass ich viel, viel lieber meinen Lebensabend in Brasilien unter meinen dort geliebten Menschen verbracht hätte. Vor der Corona-Krise gab es natürlich an manchen Nach- Er wäre mit Sicherheit umfassender, lebendiger und krea- mittagen in der Cafeteria zusammen mit den Senioren des tiver gelebt worden. Konstantina-Hauses Kulturprogramme: Bingo, Singen, Lesun- gen, Modevorführungen und anderes. An einigen Tagen gab Nun lebe ich seit Juli 2012 in Oberpleis in der Altenge- es auch gemeinsamen Morgenkaffee oder Abendessen. Sonst meinschaft des Theresia-Bonzel-Hauses. Heute sind wir nehmen wir Schwestern die Mahlzeiten in unserem Refekto- nur noch 16 Schwestern zwischen 75 und 97 Lebensjah- rium (Speisesaal) ein. Dort werden auch die kirchlichen Feste ren. In den acht Jahren meines Hierseins sind schon 20 sowie unsere Namens- und Geburtstage gefeiert. So erleben Schwestern gestorben; drei waren fast 100-jährig. wir auch gemeinsam manche Freude. Wir haben auch einige Originale unter uns, die eine Witzschatulle in sich bergen. Wenn Das Ordensleben ist von der Gründung her ein Leben in die loslegen, nimmt das Gelächter kein Ende! Gemeinschaft ohne Altersunterschied, mit einem festen Gebets- und Regelprogramm. Erst in der Neuzeit gibt Der Heimgang zu Gott ist ein Abschiednehmen, das bis zum es die klösterlichen Altengemeinschaften. Solange eine letzten Atemzug begleitet wird. Ich vergesse nie das Sterben Schwester noch beweglich ist, wird sie in die vielfältigen der ersten Schwester seit meiner Zeit in dieser Gemeinschaft. Aufgaben dieser Gemeinschaft eingeordnet. Bevor der Sarg vom Begräbnisinstitut abgeholt wurde, saßen wir alle im Sterbezimmer um den offenen Sarg. Unsere Oberin Ich kam mit 82 Jahren nach Oberpleis und habe von 2013 leitete das Gebet. Sie dankte der Schwester für all ihr Gutsein bis 2018 als Sakristanin in unserer Kapelle Dienst getan. unter uns (sie war fast 100 geworden) und bat sie um Verzei- Am Morgen meines 87. Geburtstages sagte ich zu meiner hung, wenn wir ihr Leid zugefügt oder sie nicht verstanden Oberin: »Heute ist mein letzter Arbeitstag!« Sie sagte: »Ich hätten. – Das hat mir damals sehr geholfen, hier verstehe deine Entscheidung!« Mehrere alte Schwestern in Oberpleis Fuß zu fassen und zur Gemein- waren froh, dass ich vom Kapellendienst befreit war. Nun schaft dieser Schwestern zu gehören. konnten sie Wünsche an mich haben. »Schwester, gehst du mal für mich etwas einkaufen?«, »Machst du mir meine In Herzlichkeit grüßt Sie und Ihre Frau Habit-Ärmel auf der Nähmaschine etwas kürzer?«, »Flickst Ihre Sr. Maria Goretti
12 Sehnsucht hört niemals auf Seelsorge in Altenpflegeeinrichtungen Was ist, wenn es aus Altersgründen zu Hause alleine nicht mehr geht und auch Verwandte bzw. ambulante Dienste nicht mehr helfen können? Da bieten unsere Altenpflegeeinrichtungen ein neues Zuhause. Sie wollen schon lange keine »Verwahranstalten« mehr sein, sondern mit Herzenswärme Menschen in der dritten Lebensphase stärken und begleiten. Verschiedene neue Konzepte tragen Mensch wird älter. Zunehmend treffe ders wenn ich die Hinfälligkeit von dazu bei. Auch die Seelsorge gehört ich auch jüngere Bewohner*innen, die Körper und Geist hautnah erlebe. dazu. Sie ist ein wichtiges Qualitäts- dauerhaft körperlich eingeschränkt sind. Der ev. Pastor und Theologe Fried- merkmal für viele Häuser, denn Men- Ihnen allen ist ein Merkmal gemeinsam: rich von Bodelschwingh, Begründer schen brauchen Menschen. Christliche Trotz der vielen Grenzerfahrungen hört der heutigen Bodelschwinghschen Hoffnung und Nähe werden so persön- ihre Sehnsucht niemals auf. Stiftungen Bethel, schrieb, dass er bei lich erfahrbar und konkret. der Begegnung mit einem älteren und Auch wir Christen in den Gemeinden Wie darauf antworten? kranken Menschen nicht nur dessen sind gefragt, wenn es gilt, Christus im »Ein Mensch ist manchmal wie ver- Hinfälligkeit sieht, sondern zugleich Altenheim in diesem Sinn berührbar zu wandelt, sobald man menschlich ihn ihn vorausblickend anschaut in der machen. Monatliche Gottesdienste, Ge- behandelt!« Dieser Vers des Humoristen zukünftigen kraftvollen Gestalt, die spräche und Geburtstagsbesuche sind Eugen Roth gibt die Richtung vor. Es ihm Gott durch Anteilgabe an der Auf- ein Angebot, auf das sich die Menschen geht bei der ökumenisch ausgerichteten erstehung Jesu schenken will. Dieser wirklich lange freuen und in Corona-Zei- Altenheimseelsorge nicht um katholisch Blick mit den Augen Gottes hilft auch ten besonders schmerzlich vermissen. oder evangelisch, sondern wesentlich mir. Mein Gegenüber spürt ebenfalls Als Altenheimseelsorger in sechs Häu- um Nähe, Beziehung und Begegnung – auch ohne Worte – diese positive sern habe ich in 20 Jahren Menschen in untereinander und zu Jesus Christus. »Es Glaubenshaltung. Das ist wahr, denn den verschiedensten Lebenssituationen gibt nur einen Gott!«, höre ich immer auch die Sehnsucht Gottes nach uns erlebt. Ich denke z. B. an eine liebe wieder gerade von älteren Menschen. Menschen hört niemals auf. Zugleich Bewohnerin, die wegen ihrer Sehbehin- Und auch: »Ihr Wort hat mir jetzt gut- ist es für viele ein guter Weg, im Alltag derung schon vierzig Jahre froh und zu- getan – Danke.« Beides macht auch mir die Begrenzungen des Älterwerdens frieden im Ernst-Christoffel-Haus Nüm- Mut; ich bin Übermittler und zugleich anzunehmen. brecht wohnt. Solche Menschen gibt es Beschenkter. Was ich erlebt habe, können – wie auch in anderen Häusern genauso wie eingangs erwähnt – so oder ähnlich jene, die nur ein paar Wochen im Alten- Worum geht es also? auch viele Ehrenamtliche aus unse- heim verweilen und dann versterben. In Durch meinen Dienst im Altenheim will ren Gemeinden berichten. Wir haben unseren Altenheimen leben Menschen ich zu Christus hinführen, der Mensch zurzeit drei Gottesdienstleiter*innen aus allen Bevölkerungsgruppen. Die geworden ist. Denn er ist das Leben, in unseren Altenheimen, ebenso einen waren aktive Mitglieder in ihren nach dem sich Menschen sehnen. verschiedene Besuchsdienste und Kirchengemeinden, andere haben mit Dennoch ist das auch für mich als Freizeitinitiativen sowie ökumenische Kirche »nichts am Hut«. Denn jeder Glaubenden nicht immer leicht, beson- Gottesdienste.
September 2020 – Sehnsucht hört niemals auf 13 Unser erstes Projekt war, Ehrenamtliche zu werben. Im ökumenisch ausgerichteten »Fo- rum Altenheimseelsorge Oberberg-Süd« treffen sich seitdem zweimal jährlich haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter von neun Altenpflegeeinrichtungen, um seelsorgliche Fragen und die Situation älterer Menschen in den Blick zu nehmen, voneinander zu lernen und Projekte für ältere Menschen zu starten. Gottesdienste für demenziell Erkrank- te und deren Angehörige waren die aktuellen Aktionen. Die Verbindung zu den Kirchengemeinden auf dem Gebiet des künftigen Sendungsraums ist er- wünscht. Evangelische und katholische Seelsorger begleiten als Mitglieder oder Gäste das Forum. Gäste und Koope- rationspartner sind willkommen: Der ambulante Johanniter-Hospiz-Dienst Waldbröl, das Hospiz Wiehl und Fachre- ferenten des Erzbistums Köln haben uns bis jetzt besucht. Nach der Versetzung von Herrn Trapp im Jahr 2011 habe ich die Leitung übernommen. Was sind Wünsche? Altenheime werden oft vergessen – Das Alter hält auch ein Lachen bereit. wie auch die Corona-Krise zeigte. Ich wünsche mir nicht nur mehr engagierte Christen mit Ideen, sondern vom Erzbis- tum wieder einen Regionalreferenten Wie geht Seelsorge miteinander? Altenheimseelsorge in Oberberg-Süd für Altenheimseelsorge im Oberbergi- Bei der Vielzahl unserer Altenheime vor 15 Jahren angeregte, das »Forum schen, damit die Kirche zu den Men- werden das ehrenamtliche Engagement Altenheimseelsorge Oberberg-Süd« schen kommen und unser Forum weiter wie die Vernetzung untereinander immer zu gründen. Die Sozialen Dienstlei- bestehen kann. nötiger. Mit bis jetzt zehn und künftig terinnen aus dem CBT-Haus und der zwölf Altenpflegeeinrichtungen im neu- AWO in Waldbröl, aus dem Engelsstift en Sendungsraum sind wir mit Blick auf und dem Ernst-Christoffel-Haus in Michael Grüder die Zahl der Altenheime ein »Hot-Spot«. Nümbrecht und unserem SB An Bröl Pastoralreferent Beziehungen der Häuser und Aktiven und Wiehl gehörten zu den Grün- untereinander sind in der Situation wich- dungsmitgliedern. In den Jahren sind tig, weil Beziehungen generell größere immer mehr Häuser dazu gekommen Räume strukturieren helfen. – aus Bielstein, Denklingen und Wiehl. Das wusste auch Pastoralreferent »Menschen brauchen Menschen« – so Elmar Trapp, der als Regionalreferent für war unser erster Flyer überschrieben.
14 »Es ist, was es ist, sagt die Liebe« (Erich Fried) Interview mit Roswitha Wieczorek (81) fünfkant: Was war im Rückblick laut und störend empfunden. Nun viele neue Aufgaben auf mich zu. besonders gelungen in Ihrem Leben? konnten die Kinder draußen rund ums Plötzlich musste ich alles im Haus Roswitha Wieczorek: Wir waren sehr Haus und im nahen Wald spielen und selbst organisieren und koordinieren. froh, dass mein Mann Georg und ich toben, und mein Mann konnte einen Die Kinder, die zu dieser Zeit bereits uns 1978 in Waldbröl ein eigenes Haus großen Gemüsegarten anlegen und aus dem Haus waren, haben mich bauen konnten, in dem für unsere drei bewirtschaften. dabei sehr unterstützt und im Rah- Kinder und uns genügend Platz war. Bis men des Möglichen entlastet. Zudem dahin war es in den Mietwohnungen oft Was hat Sie herausgefordert und Sie haben sie immer wieder für schöne eng, man konnte sich nicht frei bewe- wachsen lassen? Überraschungen gesorgt. So standen gen, und in manchen Häusern wurden Als mein Mann im Alter schwer erkrank- an Hl. Abend des ersten Jahres der Kinder von vereinzelten Nachbarn als te und pflegebedürftig wurde, kamen Erkrankung meines Mannes unsere
fünfkant – September 2020 – »Es ist, was es ist, sagt die Liebe« Interview mit Roswitha Wieczorek (81) 15 Tochter mit Schwiegersohn und den En- Kinder. Sie machen ihre eigenen Alter einsetzen. Aber das erweckt bei keln vor der Türe. Zuvor hatten sie schon Erfahrungen und lernen daraus. Bei den Jüngeren den Eindruck, als würden einen kleinen geschmückten Weihnachts- konkreten Fragen gebe ich natürlich sie nicht gebraucht. Vielleicht fänden die baum aufgestellt. All dies hat mir damals eine Antwort. Gottesdienste bei Kindern und Jugend- und bis heute immer wieder gezeigt, dass lichen, aber auch bei Erwachsenen, ich nicht alleine und vergessen bin. Was stimmt Sie heiter, wenn Sie an mehr Akzeptanz, wenn Lieder und Texte Ihr Alter denken? in zeitgemäßer Sprache ausgewählt Gibt es besondere Gaben, die Sie ent- Nach dem Tod meines Mannes habe würden. So manche Wörter gehören wickeln konnten und warum konnten ich das Haus, das für mich alleine ja nicht mehr zum Alltagswortschatz und Sie das? viel zu groß war, verkauft und bin ins bedürften der Erklärung. Mein Mann verlor im Verlauf seiner CBT-Wohnheim gezogen. Das hat mich Krankheit immer mehr an Kräften. Dies sehr entlastet. Viel Freude machen mir Wie gehen Sie mit dem Nachlassen hat mich immer mehr gefordert. Es gab auch die Pilates-Kurse und die Treffen Ihrer Kräfte um? Wovon müssen Sie zwar die vielfältigen Hilfen des ambulan- der kfd-Gruppe 50Plus. sich da verabschieden? Was fällt be- ten Pflegedienstes, doch in vielem war sonders schwer? Was fällt eher leicht, ich trotz der großen Unterstützung durch Haben Sie noch Pläne? ist eventuell sogar entlastend? die Kinder auf mich allein gestellt. Sehr Derzeit habe ich dank »Corona« Ich bedauere sehr, dass ich nicht mehr froh war ich, dass stets eines der Kinder und angesichts meines derzeitigen an den Caritas-Fahrten teilnehmen am Samstagabend ins Haus kam und ich Gesundheitszustandes keine Pläne. kann. Zudem fallen mir viele Arbeiten so Zeit fand, zur Abendmesse zu gehen. Ich hoffe aber, bald wieder in die Stadt im Haushalt schwer. Doch da erfahre ich Dies hat mir stets neue Kraft gegeben. gehen und selbst (ohne Mundschutz) viel Hilfe durch die Kinder und Enkel. einkaufen zu können. Stets heißt es »Mutter lass das! Das Was konnten Sie nicht entwickeln? machen wir!« Im Alter sorgen nun an- Was stand dem im Wege? Was möchten Sie noch erreichen? dere für mich, so, wie ich früher für die Gerne wäre ich öfters mit der Familie Ich würde mich freuen, wenn ich nach Familie gesorgt habe. Das ist eine sehr verreist, um auch andere Landesteile den Corona-bedingten Einschrän- schöne und entlastende Erfahrung! kennenzulernen. Doch zum einen war kungen wieder ins CBT-Haus gehen mein Mann lieber in den eigenen vier und dort meinen Küsterdienst wieder Sie mussten von einem geliebten Wänden und im Garten, und zum ande- aufnehmen darf. Menschen Abschied nehmen. Was ren war das ja auch eine Kostenfrage. erleichtert den Abschied? Ich habe nach dem Tod meines Mannes Was soll von Ihnen in Erinnerung Die Ärzte hatten uns darauf vorberei- mehrfach an den von der Caritas organi- bleiben? tet, dass mein Mann angesichts seiner sierten Senioren-Reisen teilgenommen. Ich würde mich freuen, wenn ich als Erkrankung plötzlich ersticken könnte. Das waren stets Gruppen von etwa 20 Mutter und Oma sowie als Nachbarin Gott sei Dank, dass ihm dies erspart Teilnehmerinnen, und oft traf man auf und Küsterin im CBT-Haus in guter geblieben ist. Er durfte sanft beim den Reisen die gleichen Mitreisenden Erinnerung bliebe. nächtlichen Schlaf ohne Qualen und wieder. Leider kann ich aus gesundheit- Schmerzen versterben. Dies hat uns den lichen Gründen nun auch nicht mehr an Welche Erkenntnis haben Sie ge- Abschied erleichtert. diesen Reisen teilnehmen; ich wäre eine wonnen, die in Erinnerung bleiben zu große Belastung für die Mitreisenden sollte? Haben Sie Angst vor dem Tod? und die Betreuer. Es sollten viel mehr Jugendliche in Nein – im Gegenteil. Ich weiß nicht, Ämter und für Aufgaben berufen was auf mich zukommen wird. Aber ich Gibt es einen Gedanken, einen Rat, werden. Man sollte ihnen Verantwor- bin schon neugierig auf das, was dann den Sie aus Ihren Erfahrungen an- tung übertragen und ihnen Vertrauen kommen wird. deren, jüngeren Menschen geben schenken, selbst dann, wenn nicht würden? alles sofort »100-prozentig« perfekt Mit Ratschlägen an andere halte ich mich und »richtig« gemacht wird. Es ist lieber zurück. Die Kinder haben inzwi- schön, dass sich die Lektor*innen und Das Gespräch führte schen ihre eigenen Familien und eigene Kommunionhelfer*innen bis ins hohe Wolfgang Clees
16 Im Land der Alten Deutschlands Einwohner turstärke einer Stadt oder eines Kreises geschäfte, Banken, Bäcker, Fleischer oder werdenimmer älter und selbst die zusammen: wie stark die Wirtschaft dort Ärzte verschwinden ganz oder können Zuwanderung von jungen Migranten ist und ob es Kultur-, Event- und Freizeit- ihre Dienste nur noch sehr eingeschränkt verlangsamt diesen Trend nur wenig. angebote, Kitas, Schulen oder Studien- anbieten. Gaststätten schließen und mit- Besonders betroffen ist Ostdeutsch- plätze gibt. Strukturstarke Regionen sind telständische Unternehmen finden keine land. Das Durchschnittsalter der gerade für junge Menschen attraktiv. Sie Auszubildenden mehr. Bevölkerung von Heidelberg (40) in verlassen ihre schwache, oft ländliche Ein Teufelskreis, denn ist ein Ort erst Baden-Württemberg und Suhl (50) in mal geschrumpft und seine Wirtschaft Thüringen differiert um rund 10 Jahre. am Boden, ist es fast unmöglich, diese Nur in 5 von 402 kreisfreien Städten und »Einwanderung kann die Entwicklung wieder umzukehren. Denn Landkreisen ist das Durchschnittsalter demografische Alterung um eine solche Region für junge Leute seit 1995 leicht gesunken, während wieder attraktiv zu machen, muss viel Geld das Alter überall sonst ansteigt. Zahlen, abmildern, aber nicht in die Hand genommen werden, das aber die von Vergreisung, wirtschaftlichem aufhalten.« gerade in überalterten, strukturschwachen Niedergang und der Wanderung junger Regionen aufgrund geringer Steuerein- Leute in die prosperierenden großen nahmen fehlt. So ist die Infrastruktur kaum Städte zeugen. Diese Entwicklung Heimat und ziehen dorthin, wo sie sich ausbaufähig. stagniert durch eine hohe Außen- und eine bessere Zukunft erhoffen. Diese Langfristig lässt sich der deutsche Alte- Binnenwanderung vorübergehend nur Wanderungsbewegung bestimmt stark, rungsprozess wohl nicht aufhalten. Zwar in den Großstädten. Jedoch schrumpft wie sich die Altersstruktur in einem kann Einwanderung die demografische und altert der ländliche Raum hierdurch Kreis entwickelt. Trotz einer bundesweit Alterung abmildern, sie kann den Prozess noch schneller. niedrigen Geburtenrate wird der Trend aber nicht aufhalten. Dafür wären unrealis- Ein Trend, der sich schon seit Jahren zu einer immer älteren Bevölkerung in tisch hohe Zuwanderungszahlen notwen- überall zeigt: Deutschland wird ein Land strukturstarken Regionen auf diese Wei- der Alten. Niedrige Geburtenzahlen se abgemildert. In Städten und Kreisen, sowie eine steigende Lebenserwartung die von Abwanderung betroffen sind, »Letztlich kommen immer schrauben das Durchschnittsalter der steigt das Durchschnittsalter dagegen mehr Rentner auf immer Deutschen weiter nach oben. Nach den schon seit rund zwei Jahrzehnten stark Bevölkerungsdaten der Statistischen an. Vor allem in den 90er-Jahren sind weniger Beitragszahler.« viele junge Menschen wegen besserer Jobchancen von Ost- nach Westdeutsch- »Strukturstarke Regionen land gezogen. Die Ost-Bevölkerung, die dig. Aktuelle Bevölkerungsvorausberech- sind gerade für junge vor der Wende jünger war als im Westen, nungen des Statistischen Bundesamts wurde immer älter, besonders in den prognostizieren, dass das Durchschnitts- Menschen attraktiv.« ländlichen Regionen. alter in Deutschland bis 2060 auf 47,6 bis Die Vergreisung der Bevölkerung 50,6 Jahre steigen wird. Dies ist abhängig geht oft mit einer generellen wirtschaft- von der Entwicklung der Zuwanderung Landesämter ist Sachsen-Anhalt mit 47,4 lichen Schrumpfung einher. Erst stehen und der Geburtenrate. Zum Vergleich: Jahren das älteste Bundesland, Ham- einzelne Wohnungen und Häuser leer, 1990 lag das Durchschnittsalter noch bei burg mit 42,3 Jahren am jüngsten. dann werden es mehr, bis irgendwann 39,3 Jahren, 1970 nur bei 36,2 Jahren. Dar- Wie sind die regionalen Unterschie- der Immobilienmarkt einbricht. Die aus folgen große gesellschaftliche Verän- de zu erklären? Kaufkraft sinkt, weil ältere Menschen im derungen: Der Anteil der Demenzkranken Das Durchschnittsalter in den Regi- Durchschnitt weniger Geld zur Verfü- und der über 85-Jährigen wird sich bis onen hängt wesentlich mit der Struk- gung haben als junge. Einzelhandels- 2050 von derzeit rund 1,6 auf rund 2,7 Mio.
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