Andererseits - Glauben wir - MAGAZIN DES HESSISCHEN STAATSTHEATERS WIESBADEN - Hessisches Staatstheater Wiesbaden

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Andererseits - Glauben wir - MAGAZIN DES HESSISCHEN STAATSTHEATERS WIESBADEN - Hessisches Staatstheater Wiesbaden
Andererseits
N° 08
        MAGAZIN DES HESSISCHEN STAATSTHEATERS WIESBADEN

                Glauben wir
Andererseits - Glauben wir - MAGAZIN DES HESSISCHEN STAATSTHEATERS WIESBADEN - Hessisches Staatstheater Wiesbaden
L Einerseits

                                                                                                                             Maximilian Pulst ist Schauspieler am
                                                                                                                       Hessischen Staatstheater. Bei den Bad Hersfelder
                                                                                                                             Festspielen spielte er Martin Luther.
                                                                                                                                Hier erzählt er, was er glaubt.

                                                                                                                                                                                                                     MAGAZIN #08 — HESSISCHES STAATSTHEATER WIESBADEN
                                                                                         Kann zwar kein Meer teilen,
                                                                                         wandelt aber dennoch oft an
                                                                                         Gottes Gestaden.

                                                                                                                                                 Meine erste Erinnerung an Religion und ihre Institutionalisierung

                                                                                                                        AUTOR MAXIMILIAN PULST
                                                                                                                       FOTO FRANK WARTENBERG
                                                                                                                                                 und die damit häufig verbundene große Absurdität ist folgende:

                                                                                                                               Als ich ungefähr 5 Jahre alt war, besuchte ich mit meinen Eltern
                                                                                                                                zum wiederholten Male den Gottesdienst. Ich bin evangelisch-

    O B ER L EI T N ER –
                                                                                                                                reformiert aufgewachsen. Wie üblich wurde das »Vaterunser« ge­-
                                                                                                                                sprochen, und als dies beendet war, schlug ich das Kreuz über

                                                                                         GLAUBE AN DEN
                                                                                                                                mich und erntete damit strafende Blick von vielen Gemeindemit-

    IHR J U W EL I ER FÜ R EINZIGARTIG EN                                                                                gliedern. Ich schämte mich. Rückblickend ein Absurdum. Wenn es
                                                                                                                         denn einen Gott geben sollte, warum können wir Menschen nicht unseren

                                                                                            DISKURS
    SCH M U CK UND EDL E U H R EN .                                                                                      individuellen Glauben leben, sondern müssen uns zusammen finden
                                                                                                                         und einer scheinbar richtigen Wahrheit folgen? Warum wird ein Kind merk-
                                                                                                                         würdig beäugt, wenn es den Gestus einer anderen Konfession ausübt?

                                                                                                                         In diesem Sommer hatte ich die Möglichkeit, bei den Bad Hersfelder Fest-
                                                                                                                         spielen den Martin Luther zu spielen. Eine Frage Luthers über Gott hat
                                                                                                                         sich mir dabei stark eingeprägt: »Ist es denn nie genug in seinen Augen?«
                                                                                                                         Eine Frage, die auch wir sekündlich stellen könnten und müssen.
    JUWELIER OBERLEITNER                                                                                                 Wann schreitet der Schöpfer ein? Will er denn einschreiten, kann er
    W I L H E L M S T R A S S E 5 6 | 6 5 1 8 3 W I E S B A D E N | 0 6 11 5 9 8 5 5 1
                                                                                                                         es überhaupt? Welchen Plan verfolgt er mit uns Menschen? Sind wir viel-
    W W W. S - O B E R L E I T N E R . D E
                                                                                                                         leicht auch allein gelassen mit unserem Drang nach Allwissenheit?

                                                                                                                         Religion und Glaube gehören zum Menschsein, und darum ist es auch für
                                                                                                                         uns als Theater ein riesiger Bestandteil, sich diesen Fragen zu stellen. Tun
                                                                                                                         wir dies. Mutig und ohne Befindlichkeiten. Nur so kommt man in einen
                                                                                                                         Diskurs!
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Andererseits - Glauben wir - MAGAZIN DES HESSISCHEN STAATSTHEATERS WIESBADEN - Hessisches Staatstheater Wiesbaden
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                                                                                                                                                                                                                                                            Bei den Gewerken von

    Inhalt
                                                                                       01                                                                                                     20                                22                    »Biedermann und die Brandstifter«
                                                              REFORM                                                                                GEIST UND MATERIE                                            Komik hinterm Abgrund
                                                                                                                                                                                                                                                                      48
                                                         UND INFORMATION                                                                                                 L Tom Stoppard über                        Bernd Mottl über »Manon«
                                                                   L Pulst über Luther                                                                                    »The Hard Problem«                                                               Glaubensfragen
                                                                                                                                                                                                                                24                     JUST zeigt »Saturday Night Fever«,
                                                                                       06                                                                                                                           Eine Winterreise               »Die Zauberflöte für Kinder« und »Faust I«

                                                              FLUCHTPUNKT                                                                                                                                              Der neue Ballettabend
                                                                                                                                                                                                                                                                      52
                                                                THEATER                                                                                                                                                    in Wiesbaden
                                                                                                                                                                                                                                                         Laufenbergs Beste
                                        L Uraufführungen in Schauspiel und Oper
                                                                                                                                                                                                                                26                       CD-Hörtipps des Intendanten

                                                                                                                                                                                                                                                                                                MAGAZIN #08 — HESSISCHES STAATSTHEATER WIESBADEN
                                                                                                                                                                                                                   Die Welt in Zahlen
                                                                                                                                                                                                                                                                      53
                                                                                                                                                                                              30                      Jesus Christ Superstar
                                                                                                                                                                                                                                                            … andererseits
                                                                                                                                                                        REVOLUTION                                              28                                 Kolumne
                                                                                                                                                                         UND MIMIK                                      Tannhäuser
                                                                                                                                                             L Das Schauspielensemble                                                                                 54
                                                                                                                                                                                                                   Tenor Lance Ryan im Interview
                                                                                                                                                                setzt sich in Szene
                                                                                                                                                                                                                                                             Quergeschaut
                                                                                       14
                                                                                                                                                                                                                                36                                Lesefutter
                                                         DER ORCHESTER­                                                                                                                                                 Tanzfestival
                                                           FLÜSTERER                                                                                                                                                                                                  56
                                                                                                                                                                                                                        Rhein-Main
                                                           L GMD Patrick Lange über                                                                                                                                    Ballett aus der Region
                                                                                                                                                                                                                                                                En Detail
                                                          seinen Auftakt in Wiesbaden                                                                                                                                                                           Gewinnquiz:
                                                                                                                                                                                                                                41                     Auf Spurensuche im Theaterhaus
                                                                                       18                                                                                                     38
                                                                                                                                                                                                                       Lampenfieber
                                                            SEHEN ALS                                                                                     GLAUBENSKRIEG                                                Die Theaterpädagogik
                                                         KOMPLIZENSCHAFT                                                                                              L Michel Houellebecqs
                                             L Rabih Mroué über »Sand in the Eyes«                                                                                       »Unterwerfung«                                         42
                                                                                                                                                                                                                   Wiederaufnahmen
                                                                                                                                                                                                                         Von »La Bohème«
                                                                                                                                                                                                                           bis »Terror«
                                                                                                                                                          Köllen Druck + Verlag GmbH
        Hessisches Staatstheater

                                                                                                                                                                                       ursula.maria.schneider@
                                                         GESCHÄFTSFÜHRENDER

                                                                                                                                                                                       Ursula Maria Schneider
                                   Uwe Eric Laufenberg

                                                                                                                                                                                       Tel. 0160.93 71 86 14
                                                                              SPIELZEIT 2017.2018

                                                                                                                                     formdusche, Berlin
                                                                                                                  Caroline Lazarou

                                                                                                                                     ART DIREKTION
        HERAUSGEBER
        IMPRESSUM

                                                                                                                  Till Schröder
                                                                                                    TITELTHEMA
                                                                                                    Glauben wir
                                                         Bernd Fülle

                                                                                                                  REDAKTION
                                   INTENDANT

                                                                              Magazin 08

                                                                                                                                                                                       t-online.de
        Wiesbaden

                                                         DIREKTOR

                                                                                                                                                                                       ANZEIGEN
                                                                                                                                                          DRUCK

                                                                                                                                                                                                                                                                                                3
2
Andererseits - Glauben wir - MAGAZIN DES HESSISCHEN STAATSTHEATERS WIESBADEN - Hessisches Staatstheater Wiesbaden
4
    CYDONNA / PHOTOCASE.COM

                              — Michel de Montaigne
                                                       bekannt ist.
                                                       wie das, was
                                                      fest geglaubt,

                                                      am wenigsten
                                                      Nichts wird so

    5                                                    MAGAZIN #02 — HESSISCHES STAATSTHEATER WIESBADEN

5                                                                                               MAGAZIN #08 — HESSISCHES STAATSTHEATER WIESBADEN
Andererseits - Glauben wir - MAGAZIN DES HESSISCHEN STAATSTHEATERS WIESBADEN - Hessisches Staatstheater Wiesbaden
L Thema: Glauben wir

    Fluchtpunkt
      Theater
                                                                                                                              Mit den Uraufführungen »Schöner­
                                                                                                                              land« und »Wir werden unter
                                                                                                                              Regen warten« hinterfragt das
                                                                                                                              Hessische Staatstheater gleich
                                                                                                                              zweimal die Rolle der Bühne in

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                MAGAZIN #08 — HESSISCHES STAATSTHEATER WIESBADEN
                                                                                                                              Bezug auf das Thema Flucht.

                                                                                                                              I

                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Szenen aus den Proben zu »Wir werden
                                                                                                                                   rgendwann in Konstantin Richters vor wenigen
                                                                                                     TEXT WOLFGANG BEHRENS
                                                                                                           FOTOS RUDAW ARTS

                                                                                                                                   Monaten erschienenem und wirklich ziemlich
                                                                                                                                   witzigen Roman »Die Kanzlerin. Eine Fiktion«,

                                                                                                                                                                                                                                                                                                    unter Regen warten« in Istanbul.
                                                                                                                              in dem es (natürlich völlig fiktiv) um eine Kanzlerin
                                                                                                                              namens Angela Merkel geht, die sich zu einem histo-
                                                                                                                              rischen Satz durchringt, zu dem Satz: »Wir schaffen
                                                                                                                              das!« – irgendwann in diesem Roman beschließt die
                                                                                                                              Kanzlerin, einen Vorzeigeflüchtling suchen zu lassen.
                                                                                                                              Einen, den das Kanzleramt fördern kann. Die Leitfrage
                                                                                                                              der Kanzlerin ist: »Wie macht sich so ein Flüchtling,                                                                                                                                                                                                                    URAUFFÜHRUNGEN IN SCHAUSPIEL UND OPER
                                                                                                                              dem dank einer Hilfeleistung viele Möglichkeiten offen-                                                                                                                                                                                                                  ZUM SPIELZEITAUFTAKT 2017.2018
                                                                                                                              stehen?« Sie schickt einen Mitarbeiter des Kanzler­                                                                                                                                                                                                                      »Wir werden unter Regen warten« ab 13. September
                                                                                                                              amts los, jemand Geeigneten aufzutreiben, und tatsäch-                                                                                                                                                                                                                   2017 in der Wartburg, »Schönerland« ab 16. Septem­ber
                                                                                                                              lich landet der Mitarbeiter in einem Heim, in dem er                                                                                                                                                                                                                     im Großen Haus. Der kurdische Theatermacher Ihsan
                                                                                                                              sich mit den Worten einführt: »Ich mache ein Theater-                                                                                                                                                                                                                    Othmann, der in Wiesbaden bereits »Die Satanischen
                                                                                                                              projekt, und ich brauche einen Flüchtling.«                                                                                                                                                                                                                              Verse« inszenierte, führt bei der Urauf­führung seines
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       Theaterstücks selbst Regie. Der Komponist Søren Nils
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       Eichberg, 1973 in Deutschland geboren und mit däni-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       schen Wurzeln, hat nach der Kammeroper ­»GLARE«
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Die ganze Passage ist auf durchaus zynische Weise           mit »Schönerland« seine erste große Choroper
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           erfunden, doch sie trifft etwas – nicht zuletzt etwas im    geschrieben.
                                                                                                                                                                                                                                      Weitere Termine 29. Sep., 03., 08., 14., 19. Okt., 25. Nov.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Verhältnis vieler Theater zu den Geflüchteten. Das
                                                                                                                                                                                Chor und Statisterie des Hessischen Staats­theaters

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Thema von Flucht und Vertreibung ist groß und wichtig
                                                                                                                                3 Männer / 3 Schlepper Keith Stonum, Frederic
                                                                                                                                Aliyah (die Erhabene, Frieden) Romina Boscolo

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       WIR WERDEN UNTER REGEN WARTEN
                                                                                                                                Dariush (das Gute festhalten) Aaron Cawley

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           (übrigens nicht erst seit heute, sondern schon seit
                                                                                                                                3 Frauen Radoslava Vorgic, Jessica Poppe,

                                                                                                                                                                                                                                      Premiere 16. Sep., 19.30 Uhr, Großes Haus

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       von Ihsan Othmann
                                                                                                                                                                                Hessisches Staatsorchester Wiesbaden

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           der Antike), weswegen es mehr als legitim ist, dass die
                                            Hessischen Staatstheaters Wiesbaden

                                                                                                                                Stückeschreiberin Britta Stallmeister
                                                                                                                                Omid (die Hoffnung) Florian Küppers
                                                                                                                                Saida (die Glückliche) Eleni Calenos

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       Regie Ihsan Othmann Bühne und Kostüme Susanne
                                                                                  Musikalische Leitung Albert Horne

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Theater darauf reagieren. Eine Falle, in die man dabei
                                            Uraufführung / Auftragswerk des

                                                                                                                                Kader (Schicksal) Andrea Baker

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           indes tappen kann, ist die, sich gewissermaßen mit Vor-     Füller Dramaturgie Wolfgang Behrens
                                                                                  Inszenierung Johanna Wehner
             Oper von Søren Nils Eichberg

                                                                                                                                Intendant Thomas de Vries
                                                                                  Dramaturgie Katja Leclerc
             Libretto: Therese Schmidt

                                                                                  Bühne Volker Hintermeier

                                                                                  Licht Klaus Krauspenhaar

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           zeigeflüchtlingen zu begnügen. Diese werden dann            Uraufführung 13. Sep. 2017, 19.30 Uhr, Wartburg
                                                                                  Kostüme Miriam Draxl

                                                                                                                                Komponist Erik Biegel

                                                                                                                                Der Syrer Feras Zarka

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           für dokumentarische Projekte ans Theater geholt, um
                                                                                                                                Mörth, Philipp Mayer
                                                                                  Chor Albert Horne

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           dort genau eine Funktion zu erfüllen: »Flüchtlinge«
             SCHÖNERLAND

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           zu sein. Überspitzt formuliert, interessieren sich solche
                                                                                                                                Hyemi Jung

                                                                                                                                                                                Wiesbaden

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Projekte oft gar nicht für die Menschen hinter den
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Geflüchteten, sondern eher für das eigene gute Gefühl.
6

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                7
Andererseits - Glauben wir - MAGAZIN DES HESSISCHEN STAATSTHEATERS WIESBADEN - Hessisches Staatstheater Wiesbaden
W
                 enn das Hessische Staatstheater Wiesbaden       Es ändert nichts.« Eichberg und Schmidt treiben das                                                                             L Thema: Glauben wir
                 die neue Spielzeit mit zwei großen Projek-      Spiel zuletzt auf die Spitze, indem sich die Ebenen

                                                                                                                                                                                     Heimatchor
                 ten zum Thema Flucht beginnt, versucht          mischen: Der Intendant, der sich eigentlich nur an der
    es, einen eigenen Weg zu gehen. Nicht das Dokumen-           neuen Oper berauschen möchte, wird schließlich von
    tarische, bei dem die Geflüchteten im schlimmsten            den Schleppern im Stück als Flüchtling traktiert und
    Fall eine Art Illustrationsstaffage bilden würden, steht     wehrt sich entrüstet: »Wir spielen nicht mit!« Eine
    dabei im Mittelpunkt. Stattdessen kommen in zwei             Option, die reale Geflüchtete nicht haben …
    Sparten, in Oper und Schauspiel, Stücke zur Urauffüh-
                                                                 Die Schauspielsparte präsentiert am Anfang der Spiel-
                                                                                                                                                                                          Sänger auf Spurensuche
    rung, die sich dem Gegenstand mit genuin künstleri-
                                                                 zeit ebenfalls eine Uraufführung: »Wir werden unter
    schen Mitteln nähern.                                                                                                                                Eine neue Oper entsteht Ton
                                                                 Regen warten« des kurdischen Theatermachers Ihsan
                                                                                                                                                         für Ton. Stimme für Stimme,
    Da ist zum einen »Schönerland« (Assoziationen an ein         Othmann, der sein Stück in der Wartburg auch gleich
                                                                                                                                                         Szene für Szene werden zu-
    bekanntes Volkslied sind strengstens erlaubt!), eine         selbst inszeniert. Wie in »Schönerland« sind auch die
    eigens im Auftrag des Hessischen Staatstheaters ent­         hier erzählten Fluchtschicksale fiktiv – und sind es
                                                                                                                                                         sammengesetzt: Die ersten          Wir wollten von
    standene Oper des deutsch-dänischen Komponisten              auf der anderen Seite nicht. Othmann ist selbst 1991 aus
                                                                                                                                                         Klänge der Uraufführung des
                                                                                                                                                                                            ihnen wissen:
                                                                                                                                                         dänisch-deutschen Komponis-
    Søren Nils Eichberg. In dem Stück – komponiert auf           dem Irak nach Istanbul geflohen, um dort Schlepper
                                                                                                                                                         ten Søren Nils Eichberg sind
    ein Libretto der Autorin Therese Schmidt – werden            zu kontaktieren, die ihn mit falschem Pass nach Europa                                                                     A L Woher kommst Du?
                                                                                                                                                         auf den musikalischen Proben                                        A L Ich bin in Massachusetts
    fiktive Fluchtgeschichten erzählt: Solist*innen und          geschleust haben. Eigentlich wollte er noch weiter                                                                         B L Woher kommt Deine

                                                                                                                                                                                                                                                              MAGAZIN #08 — HESSISCHES STAATSTHEATER WIESBADEN
                                                                                                                                                         zu hören, die szenischen Pro-                                       aufgewachsen und über San
    Chor stellen Geflüchtete und Schlepper dar, und auf          nach Kanada, doch er blieb in Deutschland. Im Laufe                                                                        Figur im Stück?
                                                                                                                                                         ben für die Auftragskomposi-                                        Francisco nach Deutschland
    diese Weise ist »Schönerland« in ganz klassischem            der Jahre hat Othmann Hunderte von ähnlich gear-                                                                           C L Welches ›Schönerland‹
                                                                                                                                                         tion »Schönerland« laufen erst                                      gekommen. Jetzt lebe ich in
    Sinne eine große emotionale Oper, das oft beschwo-           teten Geschichten gehört, und in »Wir werden unter                                                                         erhofft Deine Figur in der
                                                                                                                                                         seit wenigen Tagen. Wir haben                                       Schottland.
    rene »Kraftwerk der Gefühle«. Dem üblen Zerrbild des         Regen warten« hat er aus diesen realen Vorbildern                                                                          Oper zu finden?
                                                                                                                                                         das Ensemble der Urauffüh-
    Flüchtlingsstroms, der nach Europa drängt, um die            exemplarische Schicksale destilliert. Mögen diese                                                                                                           B L Meine Figur Kader kommt
                                                                                                                                                         rung nach ihrer Reise zu die-
    Hand aufzuhalten, werden hier individuelle Menschen          Geschichten auch zum Teil erfunden sein, sie sind                                                                                                           von einem Ort, an dem die
                                                                                                                                                         sem noch nie gespielten Werk
    entgegengesetzt, die eine Heimat verlassen müssen,           dadurch nicht weniger wahr.                                                                                                                                 Menschen durch religiöse
                                                                                                                                                         befragt. In der Oper geht es
    an der sie hängen und die sie so nicht wiederfinden                                                                                                                                                                      und politische Konflikte
                                                                 Was Othmanns Projekt darüber hinaus so besonders                                        um den Verlust von Heimat
    werden: »Da wird nichts sein, was riecht und schmeckt                                                                                                                                                                    immer und immer wieder
                                                                 macht, ist der Humor, mit dem er sich seinen Figuren                                    und die Suche nach gegen-
    und sich anfühlt wie Heimat.«                                                                                                                                                                                            erschüttert wurden. Sie flieht
                                                                 nähert. So unendlich hart ihre einzelnen Schicksale                                     seitigem Verständnis, sowohl
                                                                                                                                                                                                                             nicht das erste Mal.
                                                                 sein mögen: Othmanns Charaktere sind nicht einfach                                      der Fliehenden wie auch der
                                                                 Opfer, sondern Menschen mit Selbstbewusstsein                                           Bewohner. Wie im Hessischen                                         CL
                                                                 und Witz. Da zieht dann schon einmal ein staatenloser                                   Staatstheater Wiesbaden, das
                                                                 Kurde vor den Kadi, um Wilhelm II. und den Sultan                                       Mitarbeiter aus 44 Nationen
                                                                                                                                                                                                                              Ihr ›Schönerland‹
                                                                 Abdul Hamid zu verklagen, weil die ihm im Grunde vor                                    beschäftigt, sind auch für                                          wird immer nur in
                                                                 mehr als hundert Jahren seine Staatenlosigkeit ein-                                     »Schönerland« Menschen ver-        A L Ich komme aus Hamm in        ihrer Imagination
                                                                 gebrockt haben. Blöd nur, dass die beiden Beklagten                                     schiedener Herkunft zusam-         Westfalen.                          sein, denn ihr
                                                                 schon ein paar Jahrzehnte tot sind …                                                    mengekommen.
                                                                                                                                                                                            B L Die Stückeschreiberin        wirkliches Zuhause
                                                                 In Ihsan Othmanns Inszenierung spielen neben Dar-
                                                                 stellern aus dem Wiesbadener Ensemble auch israe­
                                                                                                                                                                                            ist wie ›Jedermann‹. Sie sitzt     wurde zerstört.
                                                                                                                                                                                            in der Oper zwischen allen
                                                                 lische, kurdische und türkische Schauspieler*innen                                                                         Stühlen, der Theater- und der    — Andrea Baker
    Doch Eichberg und Schmidt bleiben auf dieser Ebene           – alle in ihren jeweiligen Muttersprachen. Die Proben                                                                      Geflüchtetenwelt, und ver-       Kader (das Schicksal)
    nicht stehen: Mit viel Witz schreiben sie sich selbst        haben in Istanbul (im koproduzierenden Moda Sahnesi                                                                        sucht, damit professionell um-
    und den ganzen Theaterbetrieb mit in ihre Oper hin-­         Theater) begonnen, wo das Ensemble auch Geflüchtete                                                                        zugehen.
    ein – und können so auch direkt in ihrem eigenen             aus Syrien getroffen und befragt hat. Recherche und
                                                                 das Gespräch mit den Betroffenen bilden also auch in                                                                       CL
    Medium über den Sinn von Theaterprojekten »mit
    Flüchtlingen« reflektieren. Eine satirische Note ist         dieser Arbeit ein wichtiges Element. Doch in einem                                                                         Ihr ›Schönerland‹
                                                                 vertraut Othmann – anders als so viele Dokumentarpro-
    da kaum zu überhören, wenn etwa ein Intendant auf-
                                                                 jekte – ganz auf die Kraft des Theaters: auf die Fähigkeit
                                                                                                                                                                                              wäre, wenn sie
    tritt, der verkündet: »Ich will ein Opernhaus, das
                                                                                                                                                                                            jetzt eine Antwort
                                                                                                                              PROTOKOLLE KATJA LECLERC

    die Welt verändert. ( … ) Ich will ein Intendant sein, der   der Schauspieler, sich in die Geflüchteten hineinzuver-
    Kreise quadrieren kann.« Die Stückeschreiberin im            setzen. Auf den Satz »Ich mache ein Theater­projekt,                                                                         auf diese Frage
                                                                 und ich brauche einen Flüchtling« musste er jedenfalls
    Stück wiederum zweifelt an der Kraft der Kunst zur
                                                                 nicht zurückgreifen.
                                                                                                                                                                                                   hätte.
    Weltveränderung, sie ist von der Begegnung mit der
    Realität der Geflüchteten regelrecht paralysiert: »Ist                                                                                                                                  — Britta Stallmeister
    es genug: zu sehen, zu erzählen und sich zu schämen?                                                                                                                                    Stückeschreiberin
8

                                                                                                                                                                                                                                                              9
Andererseits - Glauben wir - MAGAZIN DES HESSISCHEN STAATSTHEATERS WIESBADEN - Hessisches Staatstheater Wiesbaden
A L Ich komme aus Serbien                                           A L Ich komme aus Mainz.          A L Ich bin in Mainz aufge-                                         A L Ich komme von der West-
     und bin zum Studium nach                                                                              wachsen, studierte Geige in                                         küste Irlands.
                                                                         B L Ich kann keinen geogra-
     Deutschland gezogen.                                                                                  London und Dresden, Dirigie-
                                                                         fischen Ort für die Herkunft                                                                          B L Meine Figur scheint von
                                                                                                           ren und Gesang in Frankfurt
     B L Vielleicht kommt meine                                          meiner Figur Omid festlegen.                                                                          keinem real existierenden
                                                                                                           am Main.
     Figur aus Syrien? Sie könnte                                        Er scheint aus der Vergangen-                                                                         Ort zu kommen. Ich stelle mir
     auch aus Serbien kommen,                                            heit zu kommen und ist ein        B L Meine Figur ist ein junger                                      Dariush manchmal wie die
     aus jedem Land.                                                     älterer Mann.                     Flüchtling, um die 20 Jahre                                         andere Hälfte von Saida vor,
                                                                                                           alt, der verloren ist und nicht                                     mit der er in der Oper die Liebe
     C L ›Schönerland‹ ist kein
                                        A L Ich komme aus Aleppo in
                                                                           Wann ist man zu                 weiß, wo er hinsoll.                                                findet.
     konkreter Ort, sondern irgend-
     wo, wo man sich wohl fühlt,        Syrien, verbrachte zweiein-       alt zum Flüchten?                C L Er hat ein traditionelles                                       C L Er sucht ein Paradies,
                                        halb Jahre meiner Flucht in

                                                                                                                                                                                                                  MAGAZIN #08 — HESSISCHES STAATSTHEATER WIESBADEN
     wo es Menschen gibt, die man                                                                          Rollenbild: Papa arbeitet in                                        etwas Unerreichbares: Utopia.
     wirklich liebt.                    der Türkei. Nun bin ich in       C L Omids Ziel ist es, seinem     einer festen Anstellung, Mama                                       So wie wir im Leben immer
                                                                                                                                               A L Ich komme ursprünglich
                                        Deutschland.                     Sohn zu ermöglichen, eine         bleibt bei den Kindern, ein                                         nur nach Glück streben kön-
                                                                                                                                               aus Texas, aber ich bin auch
     ›Schönerland‹ trägt                B L Auch im Stück komme ich      Vergangenheit wie er selbst       normales Mittelschichtleben.        ein stolzer Bochumer!           nen, es aber nicht erreichen.
                                                                         haben zu können. Er trauert
      man womöglich in                  aus Syrien.
                                                                         seinem Garten hinterher.
                                                                                                           — Frederic Mörth                    B L Ich bin Teil eines Ensem-   — Aaron Cawley
                                                                                                           einer der 3 Männer                                                  Dariush (das Gute festhalten)
         sich selbst.                   C L ›Schönerland‹ könnte         Nun sucht er einen Ort, an dem                                        bles aus sechs Sängern, die
                                        Deutschland sein. Für mich       man schöne Erinnerungen ent-                                          im Stück verschiedene Rollen
     — Radoslava Vorgic                 ist es das. Ich fühle mich       wickeln kann. Doch er selbst                                          übernehmen.
     eine der 3 Frauen                  wohl in einem Land, in dem       kommt dort nicht mehr an.                                             C L Genau das ist die Frage:
                                        die Religion nicht alles be-
                                                                         — Florian Küppers                                                     Welches ›Schönerland‹?
                                        stimmt – insofern weiß ich,
                                                                         Omid (die Hoffnung)
                                        dass ich anders bin als andere
                                        Syrer, nicht für andere Syrer                                                                               Ein reales
                                        sprechen kann. Ich hoffe,                                                                              ›Schönerland‹ oder
                                        Deutschland kann meine
                                                                                                                                                ein Land, das ein
                                        Heimat werden. Manchmal
                                        wünschte ich, Syrien wäre                                                                                noch schöneres
                                                                                                            A L Ich komme aus Wehr bei                                         A L Ich bin in Thessaloniki
                                        etwas mehr wie Deutschland.                                         Bad Säckingen im Dreiländer­          Land werden                  in Griechenland geboren und
                                                                                                            eck und studiere in Frankfurt            sollte?                   lebe in New York.
     A L Ich komme aus Südkorea         Aber für wen und                                                    am Main.
                                                                                                                                                                               B L Saida, meine Figur, flieht
     und bin 2014 nach Deutsch-          nach wessen Vor-                                                   B L Ich könnte mir vorstellen,
                                                                                                                                               — Keith Stonum
                                                                                                                                               einer der 3 Männer              von einem Ort der Unsicher-
     land gezogen.
                                        stellungen schafft                                                  meine Figur kommt aus Syrien.                                      heit. In welchem Land dieser
                                                                         A L Ich bin Österreicher, habe     Sie singt orientalisch geprägte
     B L Meine Figur ist zwischen       man ein ›Schöner­                                                                                                                      liegt, wird nicht gesagt.
     Solisten und Chor einzuord-                                         in Berlin studiert und bin         Musik voller Ornamente, erin-
     nen. Sie könnte ein Flüchtling
                                          land‹? Für die                 für diese Uraufführung nach        nert sich an ein Gericht na-                                       CL
     sein, der Freiheit und Frieden     Mehrheit? Und was                Wiesbaden gekommen.                mens »Mamounieh« und an                                              ›Schönerland‹
     sucht.                             wird dann aus der                B L Meine Figur ist aus einem
                                                                                                            Jasmin.
                                                                                                                                                                                bedeutet für sie,
     C L ›Schönerland‹ ist wie ein         Minderheit?                   politisch und gesellschaftlich     C L Sie erhofft sich eine Zu-                                       Stabilität, Zuge­
     Ideal, ein Paradies, das Ziel                                       komplexen Land geflüchtet.         kunft. Sie will studieren, einen
                                                                                                            Platz in der Gesellschaft fin-                                      hörigkeit, Liebe
     einer Suche. Vielleicht liegt es   — Feraz Zarka                    C L ›Schönerland‹ ist für meine
     im Herzen.                         der Syrer
                                                                         Figur – Deutschland natürlich!
                                                                                                            den durch Bildung.                                                 und Akzeptanz zu
     — Hyemi Jung                                                        Das Klischee!                      — Jessica Poppe                                                         finden.
     eine der 3 Frauen                                                                                      eine der 3 Frauen
                                                                         — Philipp Mayer                                                                                       — Eleni Calenos
                                                                         einer der 3 Männer                                                                                    Saida (die Glückliche)
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                                                                                                                                                                                                                  11
Andererseits - Glauben wir - MAGAZIN DES HESSISCHEN STAATSTHEATERS WIESBADEN - Hessisches Staatstheater Wiesbaden
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                                                           FOTO: HENNING HAMS

                                                                                                                                                                  Begeistern
                    SØREN NILS EICHBERG ZUM HÖREN
                    Wer schon vor der Uraufführung die Musik des jungen dänisch-deutschen
                    Komponisten entdecken will, wird bei CD-Einspielungen seiner Werke
                    fündig. Eichberg war der erste Hauskomponist in der Geschichte des
                    Dänischen Rundfunk-Sinfonie-Orchesters, das unter dem Titel »Before                                         A L Ich komme aus Italien,
                    Heaven, Before Earth« seine 1. und 2. Sinfonie mit Christoph Poppen auf                                     mein Vater war Venezianer,
                    CD eingespielt hat. Die Ausnahmegeigerin Hilary Hahn hat sein kammer-                                       einer meiner Urgroßväter
                                                                                                                                Grieche, der nach dem Zwei-

                                                                                                                                                                  ist einfach.
                    musikalisches Stück »Levitation« bei der Deutschen Grammophon veröf-
                    fentlicht. Von 2012 ist die Aufnahme des Concerto grosso »Endorphin« mit                                    ten Weltkrieg nach Italien
                    dem Mahler Chamber Orchestra und Kolja Blacher. Søren Nils Eichbergs                                        emigrierte. Nach Deutschland

                                                                                                                                                                                                                                        MAGAZIN #08 — HESSISCHES STAATSTHEATER WIESBADEN
                    Kammeroper »GLARE« war nach der Uraufführung am Londoner Royal                                              bin ich wegen der Arbeit ge-
                    Opera House auch im Frühjahr dieses Jahres in Koblenz auf der Bühne zu                                      zogen, vor einem Jahr nach
                    erleben. Ebenfalls 2017 war der Komponist für den Deutschen Musik­                                          Wiesbaden.
                    autorenpreis nominiert.                                                                                     B L Ich spiele Aliyah. Ihr Name
                                                                                                                                kommt aus dem Arabischen
                                                                                                                                und bedeutet »die Hohe,
                                                                                                                                Erhabene, Ausgezeichnete«.
                                                                                                                                Aliyah verkörpert die Gefühle

       Tanzfestival
                                                                                            ANZEIGE
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                                                                                                                                einer Verlorengegangenen.

                                                                                                                                C L Aliyah ist auf einer Reise,

       Rhein-MainDarmstadt                                                                                                      sucht einen Weg, menschli-
                                                                                                                                ches Leid hinter sich zu las-
                                                                                                                                sen. Ihr ›Schönerland‹ ist
                                                                                  Frankfurt                                     eine Heimat der Seele, dort,
                                                                                                                                wo alle Menschen Frieden
                                                                                  Wiesbaden                                     finden.

                                                                                                                                — Romina Boscolo
                                                                                                                                Aliyah (die Erhabene, Frieden)
                                                                                                                                                                                   Wenn man das tun kann,
                                                                                                                                                                                   was einem am Herzen liegt.
                                                                                                                                                                                   Die Naspa fördert die Kunst und Kultur in ganz
                                                                                                                                                                                   verschiedenen Bereichen, damit die Kulturszene
                                                                                                                                                                                   in unserer Region lebendig und vielfältig bleibt.
                                                                                16.10 –
                                                                                  31.10.2017
                   21.10.2017

                                                     Emmanuel Gat Dance: Sunny | © Dajana Lothert

Die Tanzplattform Rhein-Main, ein Projekt von Künstlerhaus Mousonturm und Hessischem Staatsballett, wird ermöglicht durch                                           naspa.de/csr

                                                                                                                                                                                                                                       13
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den Kulturfonds Frankfurt RheinMain und ist gefördert vom Kulturamt der Stadt Frankfurt am Main, dem Hessischen Ministerium
für Wissenschaft und Kunst und der Stiftungsallianz [Aventis Foundation, BHF-BANK-Stiftung, Crespo Foundation, Dr. Marschner-
Stiftung, Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main].
Andererseits - Glauben wir - MAGAZIN DES HESSISCHEN STAATSTHEATERS WIESBADEN - Hessisches Staatstheater Wiesbaden
L Orchester

                                                                                     90                        Als ehemaliger Regensburger Domspatz sind Sie früh
                                                                                                                                                                          Sie sprachen im Vorfeld von den außergewöhnlichen
                                                                                                                                                                          Fähigkeiten des Wiesbadener Orchesters. Welche
                                                                                                                                                                          sind dies?

                                                                                                                                                                          Es ist vor allem die Dualität eines Orchesters, das so-

                                                                                     INTERVIEW TILL SCHRÖDER
                                                                                                               zur Musik als Profession gekommen. Wann war Ihnen          ­wohl Konzert als auch Oper spielen kann – und auf

                                  Der Orchester­
                                                                                                               klar, dass Dirigieren Ihre Berufung ist?                    eine reiche Wagnertradition zurückblickt. Dazu gesellt
                                                                                                                                                                           sich eine sehr große stilistische Vielfalt. In den großen

                                                                                       INSTRU
                                                                                                               Schon mit zwölf Jahren. Bei den Domspatzen habe ich
                                                                                                                                                                           Häusern wird sehr oft mit Spezialensembles gearbeitet,
                                                                                                               früh sehen können, was es mit Orchester- und Chor-

                                    flüsterer
                                                                                                                                                                           gerade was die Barockmusik betrifft. In W     ­ iesbaden
                                                                                                               leitung so auf sich hat. Mich hat immer fasziniert, vor
                                                                                                                                                                           eben nicht. Das Orchester spielt die Barockmusik selbst,
                                                                                                               großen Gruppen zu stehen. Diese Freude, Menschen
                                                                                                                                                                           historisch informiert, mit Spezialisten am Dirigenten-
                                                                                                               zum gemeinsamen Musizieren zusammenzubringen,
                                                                                                                                                                           pult. Aber auch romantische oder zeitgenössische Mu-
                                                                                                               hat mich früh gepackt.
                                                                                                                                                                           sik. Als Dirigent schöpft man so aus einem riesigen
                                                                                                               Sie hätten ein Gotthilf Fischer der Klassik werden          Wissensschatz, den das Orchester durch seine Arbeit
                            Ab dieser Spielzeit hat Wiesbaden einen neuen General-
                                                                                                               können.                                                     an so vielen Epochen kollektiv besitzt. Zum anderen
                             musikdirektor: Patrick Lange. Der junge Dirigent, der                                                                                         ist es ein Orchester, das sehr interessiert daran ist, das
                                                                                                               In Gottes Namen ja (lacht). Aber ich fand die Orchester­
                             bereits an Opernhäusern von Wien bis Paris gastiert,                                                                                          Stück auch wirklich zu durchdringen. Das ist nicht

                                                                                                                                                                                                                                        MAGAZIN #08 — HESSISCHES STAATSTHEATER WIESBADEN
                                                                                                               farben viel spannender. Ich habe zwar selbst sehr
                             schätzt die Wandlungsfähigkeit des Hessischen Staats­                             gerne im Chor gesungen, freue mich aber, dass ich in-
                                                                                                                                                                           selbstverständlich. Es gibt Orchester, die einfach ihren
                                                                                                                                                                           Dienst leisten. Das Hessische Staatsorchester ist wirk­

                                                                                     MENTE
                              orchesters. Ein Gespräch über Wagner, Mozart und                                 ­zwischen mehr tun kann. Die Farbpalette, die so ein
                                                                                                                                                                           lich etwas Besonderes, mit einem sehr guten Ruf über
                                                                                                                Orchester bietet, ist um vieles reichhaltiger.
                                           das Atmen des Orchesters.                                                                                                       die Grenzen Hessens hinaus. Das ist den Wiesbadenern
                                                                                                               Claudio Abbado war Ihr Mentor, Sie lange sein Assis-        vielleicht gar nicht so bewusst. Um zu unterstreichen,
                                                                                                               tent. Taktstock-Diktator oder Orchesterflüsterer: Was       dass wir uns als ein Teil der Stadt und des Landes sehen,
                                                                                                               ist Ihr Ansatz?                                             und um den Geist des Orchesters zu beschreiben, haben
                                                                                                                                                                           wir die Spielzeit 2017.2018 auch mit einem großen »WIR«
                                                                                                               Wenn man es so trennen will, dann auf jeden Fall der
                                                                                                                                                                          überschrieben.
     FOTOS ACHIM REISSNER

                                                                                                               Flüsterer. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass
                                                                                                               man nichts gegen ein Orchester erreichen kann. Als         Was sind Ihre persönlichen Highlights der kommen-
                                                                                                               Dirigent will man immer, dass das Orchester über           den Saison?
                                                                                                               sich hinauswächst. Das kann man nicht durch Diktat
                                                                                                                                                                          Auch wenn es platt klingt: Ich freue mich wirklich auf
                                                                                                               erzwingen. Ich bin da ganz auf Abbados Linie, der

                                                                                             &
                                                                                                                                                                          alles. Meine drei großen Premieren »Tannhäuser«,
                                                                                                               immer mit Motivation arbeitete. Es gibt Dirigenten, die
                                                                                                                                                                          ­»Arabella« und »Maskenball«, alles sehr singuläre, in-
                                                                                                               nur mit technischen Anweisungen hantieren. Ich will
                                                                                                                                                                           tensive Opern. Aber auch die Sinfoniekonzerte werden
                                                                                                               aber, dass die Musiker verstehen, was ich meine, worum
                                                                                                                                                                           toll. Ich muss wieder auf dieses Wort zurückkommen:
                                                                                                               es mir in dem Moment geht. Ich versuche zu über-
                                                                                                                                                                           Vielfalt.
                                                                                                               zeugen, damit alle an einem Strang ziehen. Ich glaube,
                                                                                                               das Ergebnis wird dadurch einfach besser.                  Was ist denn Ihr Ziel für das Haus?

                                                                                                               Gibt es Kompositionen, die verschiedene Dirigenten-     Das Staatstheater wird bereits über die Grenzen Hessens
                                                                                                               rollen verlangen?                                       hinaus wahrgenommen. Zum » Ring« in der letzten
                                                                                                                                                                       Spielzeit kamen Gäste aus der ganzen Welt extra nach
                                                                                                               Es gibt Stücke, die kann man einem Orchester alleine
                                                                                                                                                                       Wiesbaden. Das ist für uns Motivation, genau in diese
                                                                                                               überlassen. Und ich bin auch jemand, der gerne ver-
                                                                                                                                                                       Richtung weiter zu arbeiten – anspruchsvolle Premie-

                                                                                           WIR
                                                                                                               traut. Ich sehe meine Arbeit eher im Impulsgeben. Ich
                                                                                                                                                                       ren, die Pflege eines eigenen Klanges und ein Repertoire
                                                                                                               probe sehr detailliert, lasse aber dann in der Auffüh-
                                                                                                                                                                       mit nachhaltiger Strahlkraft. Wir wollen das Beste sein,
                                                                                                               rung gerne los. Ich animiere dazu, gemeinsam zu musi-­
                                                                                                                                                                       was Hessen zu bieten hat.
                                                                                                               zieren und eben nicht nur etwas Einstudiertes abzu-
                                                                                                               spulen. Dieser Freiraum, dieses Atmen ist ganz wichtig.
                                                                                                               Dagegen gibt es natürlich auch Stücke, gerade die
                                                                                                               rhythmisch prononcierten wie von Strawinsky, Janá­ček,
                                                                                                               Richard Strauss oder viele Franzosen, die muss man
                                                                                                               strukturieren und handwerklich fein mit guter Schlag-
                                                                                                               technik sehr klar dirigieren.
14

                                                                                                                                                                                                                                        15
Andererseits - Glauben wir - MAGAZIN DES HESSISCHEN STAATSTHEATERS WIESBADEN - Hessisches Staatstheater Wiesbaden
1.141
      Und welche Kompositionen wünschen Sie sich für die
      nächsten drei Jahre?

      Ich habe mir ja schon meine Lieblingsstücke zusam­
      men­gestellt für diese Spielzeit. Mit großer und guter
      Literatur wie »Tannhäuser« jetzt als Beginn. Die
      nächsten drei Jahre geht das so weiter. Ich darf nur
      noch nicht so viel verraten.

          SITZ
      Ist dieser Einstand mit einer Wagner-Oper das Gegen-
      stück zur leichtfüßigen »Zauberflöte für Kinder«, die
      Sie selbst leiten?

      Wir haben das große Glück, mit Konrad Junghänel
      einen großartigen Partner zu haben, der historisch
      informiert den gesamten Mozart betreut. Mozart wäre
      eigentlich klassisches Chefrepertoire. In diesem Fall
      aber trete ich da mit großer Freude in den Hintergrund.
      Weil das Haus so sehr von dieser Arbeit profi­tiert.

                                                                                                                                          MAGAZIN #08 — HESSISCHES STAATSTHEATER WIESBADEN
      Für Kinder wollte ich aber schon immer etwas machen.
      Ich finde, ein Generalmusikdirektor sollte Brücken

     PLÄTZE
      bauen. Ich wünsche mir, dass Kinder die Scheu vor
      großer Bühne, vor dem Orchestergraben, vor diesem

                                                                                           FOTO: NEDA NAVAEE
      Mysterium Oper verlieren. Damit sie und ihre Eltern
      Lust auf Oper bekommen. »Die Zauberflöte« ist dafür
      perfekt, weil sie zum einen schon recht bekannt ist
      und zum anderen im Übermaß Theaterzauber be­sitzt,
      den ich den Kindern vermitteln will: Musiktheater
      entführt in andere Welten.                                PATRICK LANGE
      Sie suchen den Kontakt zum Publikum. Neben Einfüh-        Patrick Lange wurde in der Nähe von Nürnberg geboren. Er begann seine
      rungen setzen Sie auf ein neues Format: die »Nachlese«,   musikalische Laufbahn im Knabenchor der Regensburger Domspatzen,
      ein Gespräch nach der Aufführung. Was reizt Sie am        studierte in Würzburg und Zürich und wurde Assistent von Claudio Abbado

             &
      Austausch mit Ihren Zuhörern?                             beim Gustav Mahler Jugendorchester. Als Operndirigent arbeitete er
                                                                in Zürich und Luzern, bevor er Kapellmeister und Chefdirigent an der
      Wir sitzen als Orchester zusammen und überlegen uns
                                                                Komischen Oper Berlin wurde. Er ist inzwischen u. a. an den Opern­
      eine Programmatik, stellen aus verschiedensten Grün-
                                                                häusern von London, Paris, Wien, München, Dresden und Hamburg zu
      den Stücke zusammen. Ich möchte mehr Feedback
                                                                Gast. Seine ersten Opernpremieren als Generalmusikdirektor in Wies-
      erhalten, nicht nur über den Applaus. Ich will hören,
                                                                baden sind »Tannhäuser«, »Arabella« und »Ein Maskenball«. Er steht
      was die Zuhörer denken. Und ich finde es wichtig, dass
                                                                am Pult des Hessischen Staatsorchesters in den Sinfoniekonzerten
      die Menschen uns auch kennenlernen. Als normale
                                                                WIR 2, WIR 4 und WIR 8 sowie beim Neujahrskonzert WIR FEIERN.
      Menschen. Nicht als die Theaterschaffenden in ihrem
      Elfenbeinturm. Ich möchte mich über künstlerische
      Themen auch mit Nichtkünstlern unterhalten. Ich bin
      sehr auf die Resonanz gespannt.

           WIR
      Woher beziehen Sie Ihre Inspirationen jenseits der
      klassischen Musik?

      Am stärksten aus meiner Familie. Ich habe einen klei-
      nen Sohn, der das beste Gegenmittel gegen das Ein­
      igeln im Mikrokosmos Theater ist. Er erinnert mich
      daran, dass es ein Leben außerhalb der Kunst gibt.
      Dann ist mir die Natur wichtig, auch wenn es banal
      klingt. Ich bin viel draußen, nicht nur weil es mich
      entspannt, sondern auch, weil ich davon überzeugt
      bin, dass Naturrauschen die Ohren reinigt – und
      dann hört man auch die Musik immer wieder neu.
16

                                                                                                                                          17
Der libanesische Künstler Rabih Mroué, bildender            Sicher. Aber die Medien können nicht den Effekt

                                                                                      INTERVIEW MARIA MAGDALENA LUDEWIG
                                                                                               ÜBERSETZUNG TILL SCHRÖDER
                                                                                                                           Künstler, Autor und Regisseur, ist seit mehreren Jahren     reproduzieren, was mit einem passiert, während man
                                                                                                                           regelmäßig zu Gast in Wiesbaden. 2015 begeisterte er        diese extremen Gewalttaten sieht. Ich habe die Videos
                                                                                                                           mit seiner berührenden Arbeit »Riding on a cloud«, 2016     gesehen. Wenn man sie betrachtet, schaut man jeman-
                                                                                                                           entwickelte er für die Wiesbaden Biennale die Urauf-        dem in die Augen. Das kann man nicht so leicht ab-
                                                                                                                           führung »So little time«, mit der er seitdem weltweit auf   schütteln. Man sieht die Wut, den Schmerz, die Rache.
                                                                                                                           Tour ist. Seine neue Arbeit »Sand in the Eyes« basiert      Ich hatte das Gefühl, dass es unausweichlich ist, das
                                                                                                                           auf einer Recherche, die er 2016 in Wiesbaden begann.       selbst zu sehen. Nur dann bekommt man eine Ahnung
                                                                                                                           Vom Hessischen Verfassungsschutz erhielt er einen           von der Wut, die uns meint.
                                                                                                                           USB-Stick mit einer Sammlung von zum Teil sehr brutalen
                                                                                                                                                                                       Der IS imitiert in den Videos Hollywood-Filme, die wir
                                                                                                                           Rekrutierungsvideos der Terrororganisation IS. Obwohl
                                                                                                                                                                                       alle kennen. Es sind die große Melodramen, die wir
                                                                                                                           es viel Mühe gekostet hatte, sie zu bekommen, beschloss
                                                                                                                                                                                       gelernt haben zu lieben: Wir wollen, dass unser Held es
                                                                                                                           Rabih Mroué, anders als Maria Magdalena Ludewig,
                                                                                                                                                                                       nach vielen Hürden am Ende schafft. Wir fiebern mit
                                                                                                                           die Videos nicht anzusehen, und genau das zum Ausgangs-
                                                                                                                                                                                       ihm. Und wenn er die Mitglieder der Gang, die seine
                                                                                                                           punkt seiner Auseinandersetzung zu machen.
                                                                                                                                                                                       Tochter getötet hat, einen nach dem anderen nieder-
                                                                                                                           Rabih, Deine Arbeiten spielen oft mit unserer Wahrneh-      mäht, dann genießen wir seine Rache. Es ist fast wie ein
                                                                                                                           mung von Bildern, was werden wir dieses Mal sehen?          archaischer Instinkt. Trotz aller Gesetze, Gerichte
                                                                                                                                                                                       und zivilisatorischer Errungenschaften, das steckt tief
                                                                                                                           Meine Arbeiten laden zum Sehen ein, oft vielleicht auch
                                                                                                                                                                                       in uns. Der IS bedient sich derselben Logik. Und au-
                                                                                                                           zu einer Hinterfragung dessen, was wir zu sehen
                                                                                                                                                                                       ßerdem: Es geht politischen Großmächten nicht darum,
                        L Thema: Glauben wir                                                                               glauben. Diesmal ist es genau andersherum – es wird
                                                                                                                                                                                       wie man Krieg und Töten stoppen kann, sondern um
                                                                                                                           eine Einladung zum Nicht-Sehen. Wir sind dauernd
                                                                                                                                                                                       Töten, ohne sich die Hände schmutzig zu machen:

                                                                                                                                                                                                                                                                MAGAZIN #08 — HESSISCHES STAATSTHEATER WIESBADEN
                                                                                                                           einer Flut von Bildern ausgesetzt, die uns blind machen.

           Sehen als
                                                                                                                                                                                       Eine vermeintlich zivilisierte Art des Tötens. Wenn man
                                                                                                                           Sie halten uns ab davon, wirklich zu erkennen, was
                                                                                                                                                                                       beispielsweise per Drohne tötet, gibt es keinen direk-
                                                                                                                           wir sehen.
                                                                                                                                                                                       ten menschlichen Kontakt. Man benutzt einen Joystick
                                                                                                                           Erklärt das den Titel »Sand in the Eyes«?                   wie im Videospiel, Menschen sehen aus wie Ameisen.

        Komplizenschaft
                                                                                                                                                                                       Dabei können auch aus Versehen leicht viele Menschen
                                                                                                                           Wenn man verhindern will, dass jemand sieht, wirft
                                                                                                                                                                                       sterben. Aber das Ergebnis bleibt gleich, egal ob mit
                                                                                                                           man ihm Sand in die Augen. Um ihn zu verletzen. Man
                                                                                                                                                                                       Drohne oder mit dem Messer getötet wird. Diese Videos
                                                                                                                           ist zwar nicht blind, aber für kurze Zeit ist die Seh-
                                                                                                                                                                                       versuchen den realen Akt des Tötens bewusst zu
                                                                                                                           kraft beeinträchtigt. Es dauert eine Weile, den Sand
                                                                                                                                                                                       machen. Das ist sehr unangenehm.
     Der libanesische Künstler Rabih Mroué beschäftigt sich                                                                wieder zu entfernen. Ich versuche herauszufinden,
                                                                                                                           wie wir uns schützen können vor diesen blind machen-        Genau. Deshalb denke ich ja, dass wir diese Videos
      für das Hessische Staatstheater Wiesbaden mit den                                                                    den Bildern, die das Erkennen verhindern.                   sehen sollten. Ihre Betrachtung konfrontiert uns mit
     Rekrutierungsvideos des IS. Maria Magdalena Ludewig                                                                                                                               dem Leid. Sie zwingen uns, den Krieg nicht einfach
                                                                                                                           Das liegt wahrscheinlich auch an dem Material, mit
           spricht mit ihm über Sehen und Nichtsehen,                                                                      dem Du Dich dieses Mal beschäftigst, oder?
                                                                                                                                                                                       zu ignorieren, als wären wir unbeteiligt. Wenn wir jeden
                                                                                                                                                                                       Tötungsakt eines Krieges so miterleben müssten, wie
          Propaganda, Hollywood und Verantwortung.                                                                         Es geht um die Videos, die der IS als Propaganda unter      er wirklich passiert, würden wir dann weiterhin unse-
                                                                                                                           anderem zu Rekrutierungszwecken produziert. Ich             ren Parlamentariern erlauben, Truppen zu entsenden
                                                                                                                           versuche herauszufinden, welche unterschwelligen            oder Waffenlieferungen zuzustimmen?
                                                                                                                           Botschaften sich darin verbergen und wie das, was
                                                                                                                                                                                       Ich bin mir noch nicht ganz sicher, aber ich würde vor-
                                                                                                                           wir sehen sollen und was darunter liegt, zusammen-
                                                                                                                                                                                       schlagen, die Videos nicht anzusehen. Sie zeigen die
                                                                                                                           hängt. Denn obwohl wir, als das potenzielle Theater-
                                                                                                                                                                                       Verbrechen, ohne preiszugeben, wo sie geschehen. Aber
                                                                                                                           Publikum, uns dem IS wohl nie anschließen werden,
                                                                                                                                                                                       durch die Videos findet der Akt des Tötens jetzt im
                                                                                                                           sind diese Videos dennoch an uns gerichtet. Sie sollen
                                                                                                                                                                                       Internet statt. Jedes Mal wenn wir die Videos abspielen,
                                                                                                                           von uns angeschaut werden.
                                                                                                                                                                                       reproduzieren wir das Verbrechen. Wir sichern die
                                                                                                                           Aber sie sind im Internet gar nicht so leicht zugäng-       andauernde Fortsetzung der Barbarei. Deshalb sollten
                                                                                                                           lich. Man kann sie nur finden, wenn man bestimmten          wir sie nicht ansehen. Denn wir werden Teil des Ver-
                                                                                                                           Menschen oder Foren im Netz folgt.                          brechens, indem wir zuschauen. Wenn wir uns dem
                                                                                                                                                                                       verweigern, können wir die Logik des IS brechen.
                                                                                                                           Das stimmt, aber dennoch sind sie sehr effektiv. Wir
                                                                                                                           alle kennen diese Videos, obwohl wir sie nie selbst
                                                                                                                           gesehen haben. Ein Journalist einer großen Zeitung,
                                                                                                                                                                                           SAND IN THE EYES
                                                                                                                           der sie beschreibt, genügt, damit wir alle sie kennen.
                                                              FOTOS FOTOLIA UB-FOTO

                                                                                                                           Selbst wenn wir uns weigern, die Videos anzuschauen,            Eine Produktion vom Haus der Kulturen der Welt, Berlin, im Rahmen
                                                                                                                           die Maschinerie der Medien verbreitet sie unweiger-             des Projekts »100 Jahre Gegenwart«, gefördert von der Beauftragten
                                                                                                                           lich. Man kann ihnen nicht ausweichen. Und das ist die          der Bundesregierung für Kultur und Medien, in Koproduktion mit dem
                                                                                                                           Strategie. Die Komplizenschaft der Medien spielt                Hessischen Staatstheater Wiesbaden.
                                                                                                                           dem IS in die Hände.                                            Premiere 01. Nov. 2017, 19.30 Uhr, Wartburg
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                                                                                                                                                                                                                                                                19
Für knapp acht Jahre war es recht still um Sie geworden

                                                                 INTERVIEW LAURA WEBER
                                                                         FOTO ALAMY.COM
                                                                                          – zumindest erschienen keine neuen Theaterstücke.
                                                                                          Gab es einen bestimmten Grund für diese Pause? Und
                                                                                          was war der Anlass, dann wieder für das Theater zu
                                                                                          schreiben, noch dazu über das Bewusstsein, die Gehirn-
                                                                                          forschung und die Bankenkrise?

                                                                                          Ich hatte nicht vorgehabt, das Schreiben für die Bühne    Was könnte die Wissenschaft zukünftig noch zu diesem
                                                                                          so lange ruhen zu lassen und hätte gerne schon eher       Feld beitragen? Oder drastisch ausgedrückt: Inwieweit
                                                                                          wieder ein Stück geschrieben. Dennoch war ich stets gut   wird der Fortschritt ein Rückschritt sein und sich viel-
                                                                                          beschäftigt und eingespannt in dieser Zeit. Beispiels     mehr ein neuer Glaube entwickeln?
                                                                                          weise arbeitete ich an dem Drehbuch zu »Anna Kare-
                                                                                                                                                    Aktuell ist ja das brisante Thema, ob Technologie (also
                                                                                          nina« für den Regisseur Joe Wright, an einem Hörspiel
                                                                                                                                                    Künstliche Intelligenz, Stammzellenmedizin, Gen-
                                                                                          namens »Darkside« (in das das Pink Floyd Album »Dark
                                                                                                                                                    Manipulation) den Homo sapiens umgestalten wird.
                                                                                          Side of the Moon« eingearbeitet ist) und an einer fünf-
                                                                                                                                                    Vielleicht werden unsere Kinder die letzte Genration
                                                                                          stündigen Fernsehadaption »Paradise End« von Ford
                                                                                                                                                    Homo sapiens sein. Ein Fortschritt in Fähigkeiten und
                                                                                          Madox Ford. In letztere war ich mit Produktion und
                                                                                                                                                    ein Rückgang von Menschlichkeit. Noch kann man
                                                                                          Postproduktion über drei Jahre hinweg involviert. Und

                                                                                                                                                                                                                                  MAGAZIN #08 — HESSISCHES STAATSTHEATER WIESBADEN
                                                                                                                                                    nicht viel sagen!
                                                                                          daneben stapelte sich meine Lektüre über das Bewusst­
                                                                                          sein und die Bankenkrise. Ich hatte einst geplant, über
                                                                                          beide Themen je ein separates Stück zu schreiben.
                                                                                                                                                        THE HARD PROBLEM. ODER: IST BEWUSSTSEIN MATERIE?
                                                                                          Hatten Sie das Gefühl, dass diese Themen in der Öffent-       Von Tom Stoppard
                                                                                          lichkeit zu wenig präsent waren, oder haben Sie sogar         In der Übersetzung von Wolf Christian Schröder
                                                                                          eine erkenntnistheoretische Dimension auf der Bühne           Was macht unser Gehirn, dass der Mensch seinen eigenen Sinnkreis
                                                                                          vermisst?                                                     erschaffen kann? Seit Plato und bis heute beschäftigen sich Armaden
                                                                                          Ganz im Gegenteil – die beiden Themen wurden schon            von Wissenschaftlern mit dieser Frage. Ob Neurobiologe, Philosoph,
                                                                                          bis zum Abwinken besprochen, sodass ich eher be-              oder Psychologe – sie alle versuchen, uns zu entschlüsseln. Dem »hard
                                                                                          fürchtete, man sei ihrer überdrüssig. Als mir auffiel,        problem«, sprich der Frage, ob Bewusstsein Materie ist oder eben
                          U Thema: Glauben wir                                                                                                          nicht, widmen sich immer mehr Forscher. Doch viele Wissenschaftler pro-
                                                                                          dass das irrationale Verhalten in der Marktwirtschaft
                                                                                                                                                        pagieren den Materialismus: Der Mensch als Computer, als schlicht

          Das nicht
                                                                                          eventuell beweist, dass das Gehirn auf einem nicht kal-
                                                                                          kulierbaren Level arbeitet, fing ich an, die beiden           ausführende Hülle seines klar definierten Programms. Hilary, die Prota-
                                                                                          Themen zusammenzuführen.                                      ­gonistin von »The Hard Problem«, ist jedoch überzeugt, es gebe mehr
                                                                                                                                                         als nur Materie, sie glaubt an einen Geist, der dem Menschen inne-

      kalkulierbare Level
                                                                                          Was ist ihre persönliche Antwort auf das »hard prob-           wohnt; mehr noch, sie glaubt an Gott. Trotzdessen bewirbt sich Hilary
                                                                                          lem« – auf die Frage, ob Bewusstsein Materie sei – und         an einer der renommiertesten Forschungseinrichtungen für Hirn-
                                                                                          woran glauben Sie?                                             forschung, um zu beweisen: Der Mensch ist nicht nur Null und Eins, der
                                                                                                                                                         Mensch ist gut.

          des Hirns
                                                                                          Wenn ich eine Antwort hätte, wäre ich wahrscheinlich
                                                                                          der Einzige auf der Welt. Aber ich glaube, dass man           Inszenierung Uwe Eric Laufenberg Bühne Matthias Schaller Kostüme
                                                                                          das »Gute« nicht auf unseren biologischen Ursprung            Anne Buffetrille Dramaturgie Laura Weber
                                                                                          reduzieren kann.
                                                                                                                                                        Deutschsprachige Erstaufführung 15. Sep. 2017, 19.30 Uhr, Kleines Haus
                                                                                          Und auch wenn wir das »hard problem« des Bewusst-
     Der britische Dramatiker Sir Tom Stoppard, den DIE ZEIT                              seins wahrscheinlich nie knacken werden, gibt es so
     mal als »den Dichter des Denkens« beschrieb, meldete sich                            etwas wie eine Botschaft, die sich vermitteln oder die
                                                                                          verstanden werden sollte?
      2015 mit dem neuen Stück »The Hard Problem« in der
      Theaterwelt zurück. Wiesbaden zeigt nun die deutsch-                                Im Stück habe ich alles geschrieben; ich glaube also
                                                                                          nicht an versteckte Botschaften. »The Hard Problem«
     sprachige Erstaufführung. Stoppard gab uns vorab einen                               ist eine Geschichte. Ich denke, Theater ist die Kunst
                  kurzen Einblick in sein Denken.                                         des Geschichtenerzählens.
20

                                                                                                                                                                                                                                  21
Libretto: Henri Meilhac und Philippe Emile François
                                                                                                                                                                                 Gille nach der »Histoire du Chevalier Des Grieux et

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               Chor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Premiere 28. Okt. 2017, 19.30 Uhr, Großes Haus
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               Weitere Termine 05., 09., 11., 15., 17., 26. Nov.,
                                                                                                                                                                                 de Manon Lescaut« (1731) von Abbé Prévost

                                                                                                                                                                                                                                                                            Ein Gastwirt / Ein Sergeant Wolfgang Vater
                                                                                                                                                                                                                                                                            Monsieur de Brétigny Benjamin Russell /
                                                                          U Oper

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               Hessisches Staatsorchester Wiesbaden
                                                                                                                                          Oper in fünf Akten und sechs Bildern

                                                                                                                                                                                                                                                                            Nathaniel Webster (09., 15., 17. Nov.)
                                                                                                                                                                                                                                       Musikalische Leitung Jochen Rieder

                                                                                                                                                                                                                                                                            Graf des Grieux Florian Kontschak
                                           Komik hinterm

                                                                                                                                                                                                                                       Bühne, Kostüme Friedrich Eggert

                                                                                                                                                                                                                                                                            Chevalier des Grieux Ioan Hotea

                                                                                                                                                                                                                                                                            Guillot-Morfontaine Erik Biegel
                                                                                                                                          Jules Massenet (1842 – 1912)

                                                                                                                                                                                                                                                                            Lescaut Christopher Bolduc
                                                                                                                                                                                                                                       Dramaturgie Regine Palmai

                                                                                                                                                                                                                                                                            Poussette Shira Patchornik
                                                                                                                                                                                                                                       Inszenierung Bernd Mottl

                                                                                                                                                                                                                                                                            Manon Cristina Pasaroiu

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Kostprobe 18. Okt. 2017
                                                                                                                                                                                                                                                                            Rosette Silvia Hauer

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               10. & 15. Dez. 2017
                                             Abgrund

                                                                                                                                                                                                                                       Chor Albert Horne

                                                                                                                                                                                                                                                                            Javotte Stella An
                                                                                                                                                                                                                                       Licht Ralf Baars
                                                                                                                                          MANON
                               Bernd Mottl ist ein Grenzgänger der Genres: Oper, Musical,
                                Operette, Komödien, Tragödien und moderne Dramatik
                               hat er schon inszeniert. In Wiesbaden zeigt der vielseitige
                                Regisseur als zweite Opernpremiere der Saison Massenets                                                      Gibt es eine Oper, die Ihnen am Herzen liegt, die
                               »Manon«. Ein Gespräch über theaterwirksame Musik und                                                          dringend wieder mal auf den Spielplan gehört?
                                                                                                                                             Wenn ja, warum?
                                       die Sinnlosigkeit menschlichen Strampelns.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        MAGAZIN #08 — HESSISCHES STAATSTHEATER WIESBADEN
                                                                                                                                             Da fallen mir Humperdincks »Königskinder« ein, weil
                                                                                                                                             das so ein herrlich schwarzes und wahres Märchen
                                                                                                                                             ist. Paul Dukas’ »Ariane et Barbe-Bleue« hat irre flir­-
                                                                                                                                             rende Musik und wickelt den Blaubart-Stoff nochmal
                                                                                                                                             sehr eigen auf. Eine andere unbekannte Perle ist »Fenni-

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              Cristina Pasaroiu
                                                                                                                                             more und Gerda« von Frederick Delius. Diese spät­
                                                                                                                                             romantische Sinfonie um ein realistisch erzähltes

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  FOTO: PATRIK HÄNGGI
                      Herr Mottl, Sie inszenieren nun zum vierten Mal in        meinen Job immer wieder neu und abwechslungs-
     TILL SCHRÖDER
          INTERVIEW

                      Wiesbaden. Das Auf und Ab der Gefühle scheint Sie         reich. Zumal ich eh für jedes Stück eine eigene szeni-       Dreiecksverhältnis würde ich gern mal ins Bild setzen.
                      anzuziehen: Erst Bernsteins Musical »Candide«, dann       sche Sprache suche. Meine Neugier bleibt erhalten,           Und woran arbeiten Sie nach »Manon«? Sie müssten ja
                      das ernste Schauspiel »Geächtet«, gefolgt von wieder      und der Überraschungseffekt für den Zuschauer wird           eigentlich wieder der Tragik entfliehen …
                      Satire mit Taboris »Mein Kampf«. Und nun tragische        entsprechend größer.
                                                                                                                                             Sie haben richtig gerechnet: Jetzt käme wieder »lustig«.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Bernd Mottl
                      Oper mit Massenets »Manon«. Was interessiert Sie an
                                                                                Was darf Wiesbaden von Ihrer »Manon« erwarten? Das           Und so ist es auch: Rossinis »Viaggio a Reims« mache ich
                      solch unterschiedlichen Stücken?
                                                                                Hinundhergerissene der Charaktere zwischen wahrer            in Graz.
                      Diesen Unterschied empfinde ich als gar nicht so groß.    Liebe und Lustprinzip eröffnet dankbaren Interpreta-
                      Komik entsteht für mich immer nur mit einem Ab-           tionsspielraum.
                      grund dahinter, und ein tragisches Schicksal erfasst                                                                                   MANON
                                                                                Bei »Manon« interessiert mich, wie durch spontane,
                      mich umso mehr, wenn die Figur auch mal kurz die
                                                                                intuitiv getroffene Entscheidungen Schicksale besiegelt                      Ins Kloster sollte Lescaut seine hübsche Cousine Manon begleiten. Doch
                      Lächerlichkeit der Situation erkennt. Ob wir über etwas
                                                                                werden und Lebenswege in die Irre führen können.                             das Schicksal greift ein: Der junge Chevalier des Grieux verliebt sich                                                                             Bei »Manon« interessiert mich,
                      lachen müssen oder davon zu Boden gestreckt wer-
                      den, hängt ja nur mit einer geringen Verschiebung des
                                                                                Manon hat lange Zeit die freie Wahl und lernt leider zu                      in das Mädchen. Die beiden fliehen nach Paris, aber die Liebes­idylle ist                                                                           wie durch spontane, intuitiv
                                                                                spät, was für Folgen ein Leben, das vor allem dem                            nicht von Dauer. Schnell lernt Manon ihre Wirkung auf Männer einzu-                                                                                  getroffene Entscheidungen
                      Blickwinkels zusammen. Letztlich mit Distanz. Einen
                                                                                schnellen Kick folgt, auch für die Mitmenschen haben                         setzen, Reichtum und Abenteuer locken. Luxus und Liebe, Kirche und
                      Schritt zurücktreten hilft ja schon, die Sinn­losigkeit
                                                                                kann. Ihr Reifungsprozess von ungebremstem Kon-                              Casino stehen im Wettstreit, und der endet für Manon tödlich. In einer                                                                            Schicksale besiegelt werden und
                      unseres Strampelns zu erkennen.
                                                                                sum zu verantwortlichem Handeln wird sicher auch in                          raffinierten Mixtur aus Romantik und moderner Psychologie schrieb                                                                                  Lebenswege in die Irre führen
                      Erklärt das auch Ihre Lust an den verschiedensten         unserer Gegenwart niemandem fremd sein.                                      Jules Massenet seine Oper. Sujet und Musik trafen den Nerv der Zeit                                                                                           können.
                      Genres? Sie inszenieren »Frau Luna« gleichermaßen                                                                                      und brachten ihm den Ruf des erfolgreichsten französischen Komponis-
                                                                                Und was macht Massenet anders als Puccini, der seine
                      wie » Egmont«, » Ein Käfig voller Narren« wie                                                                                          ten seiner Zeit ein. Neun Jahre später vertonte auch Puccini den Stoff
                                                                                Oper »Manon Lescaut« neun Jahre später schrieb?                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               Bernd Mottl
                      »­Penthesilea«.                                                                                                                        und schuf ebenfalls einen – diesmal italienischen – Welterfolg.
                                                                                Gibt es so etwas wie die bessere Variante des Stoffes?
                      Abwechselnd mit Sängern und Schauspielern zu arbei­                                                                                    Die Titelpartie übernimmt die rumänische Sopranistin Cristina Pasaroiu,
                                                                                Massenet ist dichter an der Romanvorlage und geht
                      ten ist für mich immer wieder ein erfrischender                                                                                        die innerhalb der Saison 2016.2017 ihr Debüt in Wien, München, Berlin
                                                                                für mich tiefer. Seit ich in Hannover seinen »Werther«
                      Kontrast. Quasi wie die Benutzung der einen oder der                                                                                   und Bregenz gab und in Wiesbaden zuletzt als Violetta (»La Traviata«)
                                                                                inszeniert habe, weiß ich, wie theaterwirksam, sinnlich
                      anderen Hirnhälfte. Mal steht die inhaltliche, mal die                                                                                 zu erleben war. Chevalier des Grieux singt Operalia-Gewinner Ioan Hotea,
                                                                                und beim Publikum trotzdem unterschätzt seine Musik
                      handwerkliche Erfassung einer Stückvorlage im Vor-                                                                                     Bernd Mottl (»Candide«, »Mein Kampf«) inszeniert, und am Pult stellt
                                                                                ist. Schon deshalb hat er meine ganze Empathie.
                      dergrund. Und das Genre zu wechseln macht für mich                                                                                     sich Jochen Rieder als Dirigent der Neuproduktion vor.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        23
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                                                                                                                                                                                                                               SPECIAL EDITION 2017
                                                                                                                                                                                                                               HÄSTENS TRIBUTE
                                                                                                                                                                                                                               Exklusiv bis zum 31. Dezember 2017.

                                                                                                                                                         »Eine Winterreise« könnte man als Episodenballett
                                                                                                                                                         be­zeichnen. Es erinnert in der Blickführung an die
                                                                                                                                                         filmische Technik des Heranzoomens. Die Geschichte
                                                                                                                                                         besteht aus vielen aneinandergereihten kleineren
                                                                                                                                                         Szenen. Das Ballett macht Station bei einzelnen Figuren,
                                                                                                                                                         ihren Emotionen und Assoziationen. Manchen begeg-
                                                                                                                                                         net der Reisende mehrmals, manchen nur einmal. Hier
                                                                                                                                                         werden die eigenen Spuren gesucht, die Wahrhaftigkeit
                                                                                                                                                         der eigenen Existenz in ihnen überprüft.

                                                                                                                                                         Der Ort für dieses Stück, diese Reise, bleibt immer der-
                                                                                                                                                         selbe. Es ist ein Ort, an dem Sehnsucht, Einsamkeit und
                                                                                                                                                         Begegnungen miteinander verschmelzen. Sebastian
                                                                                                                                                         Hannak, der erneut für das Hessische Staatsballett das
                                                                                                                                                         Bühnenbild entwirft, hat hierfür mit dem Choroegra­
                                                                                                                                                         fen Tim Plegge und der Dramaturgin Esther Dreesen-­
                                                                                                                                                         Schaback die Eingangshalle eines etwas in die Jahre
                                                                                                                                                         gekommenen Hotels gewählt. Hier kreuzen sich Wege,
                                                                                                                                                         versteckte Zimmer eröffnen neue Räume für einzelne

                                                                                                                     FOTO: OLIVER ROSSI
                                                                                                                                                         Episoden. Es ist ein Durchgangsort. Die Kostüme für
                                                                                                                                                         diese Neukreation entwirft Judith Adam.

                                                                                                                                                         Franz Schuberts Liederzyklus »Winterreise« war für
                                                                                                                                                         intimere Aufführungssituationen gedacht und für Klavier
                                                                                                                                                         und Singstimme komponiert. Dieses Werk, von dem                       180 x 200 cm, inkl. BJ Topper, € 7.490
                                                                                       U Ballett                                                         Schubert selber sehr ergriffen war, wurde zu einer der                zzgl. Kopfteil und Bettwäsche

                                                                                                                                                         bekanntesten Liedkompositionen der Romantik.

                                                          Die Reise                                                                                      Der Wiesbadener Dirigent und Komponist Hans Zender,
                                                                                                                                                         der für die Entwicklung der klassischen, neuen Musik
                                                                                                                                                         als einer der bedeutendendsten Komponisten seiner
                                                                                                                                                                                                                               MIT „HÄSTENS TRIBUTE“ FEIERN WIR UNSERE
                                                                                                                                                                                                                               1 65 -JÄH RIG E TR ADITION IN DER B E T TEN FERTIGU NG

                                                      als Metapher für
                                                                                                                                                                                                                               – D I E G E LU N G E N E KO M B I N AT I O N A U S
                                                                                                                                                         Generation gilt, hat 1993 Schuberts Liederzyklus wei­ter-
                                                                                                                                                                                                                               H A N D W E R K S K U N S T, Q UA L I TÄT U N D Ä S T H E T I K .
                                                                                                                                                         ­entwickelt. Seine Komposition trägt den Titel:                       M I T S E I N E M F R I S C H E N , M O D E R N E N TA U P E C H E C K
                                                                                                                                                          »Schuberts Winterreise – Eine komponierte Interpreta­                VERLEIHT „HÄSTENS TRIBUTE“ JEDEM SCHLAF-

                                                          das Leben
                                                                                                                                                          tion für Tenor und kleines Orchester«. Hans Zender                   Z I M M E R Z E I T LO S E E L E G A N Z .
                                                                                                                                                          hat die ursprüngliche Klavierstimme orchestriert. Den
                                                                                                                                                          Schubert-Liedern sind eigene Kompositionen hinzu­
                                                                                                                                                                                                                               HÄSTENS STORE WIESBADEN
                                                                                                                                                          gefügt und -modelliert.                                              SCHWEDENBETT WIESBADEN GMBH
                                                                                                                                                                                                                               TAUNUSSTRASSE 7, 65183 WIESBADEN

                                               Tim Plegge kreiert sein neues Ballett »Eine Winterreise«                                                                                                                        TELEFON 0611-20 59 06 30, WIESBADEN@HASTENSSTORES.COM

                                                                                                                                                             EINE WINTERREISE
                                                 für Wiesbaden. Die Musik, gespielt vom Hessischen                                                                                                                             HÄSTENS STORE FRANKFURT EASTSIDE
                                                                                                                                                             Musik Hans Zender nach Franz Schubert                             SCHWEDENBETT FRANKFURT GMBH
                                              Staatsorchester unter der Leitung von Benjamin Schneider,                                                                                                                        HANAUER LANDSTRASSE 135-137, 60314 FRANKFURT AM MAIN
                                                                                                                                                             Musikalische Leitung Benjamin Schneider Choreografie Tim Plegge
                                                   stammt von Hans Zender nach Franz Schubert.
                                                                                                                                                                                                                               TELEFON 069-94 41 17 70, FRANKFURT.EASTSIDE@HASTENSSTORES.COM
                                                                                                                                                             Bühne Sebastian Hannak Kostüme Judith Adam Dramaturgie Esther     KUNDENPARKPLÄTZE IM INNENHOF!

                                                                                                                                                             Dreesen-Schaback Video Deda-Productions
                                                                                                                                                                                                                               HÄSTENS STORE FRANKFURT CITY
                                                                                                                                                                                                                               SCHWEDENBETT FRANKFURT GMBH
                                                                                                                                                             Gesang Simon Bode / David Zimmer                                  KIRCHNERSTRASSE 3-5, 60311 FRANKFURT AM MAIN
                                    Die Winterreise beginnt mit einem Aufbruch. Ausgelöst     Diese Reise ist eine innere Reise, ein Gedankenstrom.          Es tanzt das Hessische Staatsballett
     TEXT ESTHER DREESEN-SCHABACK

                                                                                                                                                                                                                               TELEFON 069-21 99 73 76, FRANKFURT@HASTENSSTORES.COM
                                    durch eine enttäuschte Liebe, begibt sich der Prota-      Der Winter steht für einen Zustand seelischer Kälte            Es spielt das Hessische Staatsorchester Wiesbaden
                                    gonist auf Wanderschaft. Doch vieles bleibt undurch-      und Erstarrung. Die Choreografie und die Inszenierung
                                    sichtig. Der äußere Grund für den Aufbruch ist nur        von Tim Plegge ist dieser in Bilder verwandelte                Uraufführung Hessisches Staatstheater Wiesbaden 7. Okt. 2017      FULFILLING DREAMS SINCE 1852
                                    ansatzweise verständlich. Der Weg hat kein Ziel und die   Gedan­kenstrom. So ist sein Ballett beinahe als Geister-       Premiere Staatstheater Darmstadt 11. Nov. 2017                    HAS T E N S . COM

                                    Zeit verstreicht zum großen Teil beim Verweilen und       geschichte zu begreifen, denn letztlich sind die ein-
                                    Erinnern. Das Voranschreiten vollzieht sich vor allem     zelnen Szenen, die sich zeigen, Spiegel des Reisenden
                                    auf gedanklicher und emotionaler Ebene. Erinnerungen      selbst.
                                    verschwimmen mit der Wirklichkeit.
24
*                                                                                                                                                                                               *

                                            * Ian Gillan, Frontmann von Deep Purple und

                                             »Jesus Christ Superstar« aus dem Jahr 1970
                                               Jesus-Sänger der Orginalaufnahmen für
                                                                                                                   1                                                                                                                                                                               913

                                                                                                                                                                                                                                                         * Reiner Schöne aus der deutschen
                                                                                                                                                                                                                                                            Erstaufführung im Jahr 1972
                                                                                               Heavy-Metal-Version auf spanisch existiert.                                                                                                                                                         mal kommt der
                                                                                               Sie wird seit Jahren von Jesucristometalstar                                                                                                                                                     Kreuzigungsbuchstabe
                                                                                                            in Chile aufgeführt.                                                                                                                                                                  T im Libretto vor.

                                                                                                                                                                                                                                                         
                                            

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       *

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            »Jesus Christ Superstar« aus dem Jahr 2000
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             * Glenn Carter aus der zweiten Verfilmung
                                                                        L Titel: Glauben wir

                                                                                                                                                                                             10.000.000
                         Welt in Haaren

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         MAGAZIN #08 — HESSISCHES STAATSTHEATER WIESBADEN
                                                                                                                                                                                     Male hat sich das Originalalbum
                                                                                                                                                                               von 1971 mit Deep-Purple-Sänger Ian Gillian
                                                                                                                                                                                            als Jesus verkauft.
                    Der Heiland war schon immer gutes Material für
                      Unterhaltung. Einer der Kracher, die revolu-
                    tionäre Rock-Oper »Jesus Christ Superstar« aus
                      dem Jahr 1971 von Andrew Lloyd Webber und

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            
                     Tim Rice, wurde zum Mythos. Einem bis heute
                    unzählige Male gespielten, ab September auch in                                                                                                                                                                   *

                                                                                                                                                                                                                                             * Alexander Klaws in der erfolgreichen

                                                                                                                                                                                                                                                 » Jesus Christ Superstar« 2015
                    Wiesbaden. Aber ein paar Zahlen und Haarspal-

                                                                                                                                                                                                                                                                                                 300

                                                                                                                                                                                                                                                    deutschen Inzenierung von
                            tereien sind dann doch greifbar.

                                                                                                                                                                                                                                                                                              Lizenzierungen erfährt die
                                                                                                                                                                                                                                                                                             Rock-Oper pro Jahr weltweit.

                                                                                                                           *
                                                                                                                                  Verfilmung »Jesus Christ Superstar«,
                                                                                                                                    * Ted Neeley, Jesus aus der ersten

                                                                                                                                                                                                                                             
                      1999                                                                                                                                                                                                                                                                                           *
                                                                                                                                           in den Kinos ab 1973

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  * Evan Tyron Martin, der erste Jesus
     war das Jahr, in dem der Vatikan das Musical

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      mit Dreadlocks, im Jahr 2017
       endlich offiziell guthieß. Allerdings sen-
      dete Radio Vatikan schon einige Lieder ab
      den 1970ern. Und der Regisseur der 1973er
     Verfilmung zeigte einem begeisterten Papst                                                                                                                          JESUS CHRIST SUPERSTAR
               Paul VI. den Film vorab.                                                                                                                                  Rock-Oper von Andrew Lloyd Webber Gesangstexte von Tim Rice
                                                                                                                                                                         Deutsche Übersetzung Anja Hauptmann Inszenierung und
                                                                                                                                  

                                                                                                                                                                         Choreografie Iris Limbarth Musikalische Leitung Christoph Stiller

                                                                                                                                                                         Premiere 3. Sep. 2017, 19.30, Großes Haus

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  
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                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         27
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