Der nichtinvasive Pränataltest. Versuch einer ethischen Kartografie

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Der nichtinvasive Pränataltest. Versuch einer ethischen Kartografie
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 Der nichtinvasive Pränataltest.
 Versuch einer ethischen Kartografie
     U. Liedke                              rapeutische Möglichkeiten gegenüber-                      borenen, das neben Art. 2 auch Art. 1,
                                            stehen. Angesichts fehlender kurativer                    Abs. 1 GG zur Grundlage hat. Das Bun-
 Am 19. September 2019 hat der Ge­­         Optionen führen positive pränataldiag-                    desverfassungsgericht hat in einer
 meinsame Bundesausschuss (G-BA)            nostische Befunde Schwangere bezie-                       Entscheidung aus dem Jahr 1993 aus-
 die konditionierte Aufnahme des nicht­     hungsweise Paare oft in einen Schwan-                     drücklich betont, dass die Rechtsord-
 invasiven Pränataltests (NIPT) zur Risi-   gerschaftskonflikt. Er stellt in ethischer                nung die Entfaltung der Menschen-
 kobestimmung autosomaler Trisomien         Perspektive ein unlösbares Dilemma                        würde „im Sinne eines eigenen Lebens-
 13, 18 und 21 in den Leistungskatalog      dar, weil in ihm zwei Grundrechte kolli-                  rechts des Ungeborenen gewährleisten“
 der Gesetzlichen Krankenversicherung       dieren. Das Persönlichkeitsrecht der                      muss. „Dieses Lebensrecht wird nicht
 (GKV) beschlossen. Gemeinsam mit           Frau und ihr Anspruch auf reproduktive                    erst durch die Annahme seitens der
 einer noch zu erarbeitenden Versicher-     Selbstbestimmung, die in Art. 2, Abs. 2                   Mutter begründet“ [2]. Der Gesetzgeber
 teninformation soll die veränderte Fas-    Grundgesetz (GG) begründet sind, kolli-                   hat auf die Unlösbarkeit dieses ethi-
 sung der Mutterschaftsrichtlinien (Mu-     dieren mit dem Lebensrecht des Unge-                      schen Konfliktes so reagiert, dass er
 RL) 2021 in Kraft treten. Die Beschluss-                                                             den Schwangerschaftsabbruch bis zur
 fassung des G-BA ist ein sinnvoller                                                                  Vollendung der zwölften Schwanger-
 Anlass, um auf die über längere Zeit                                                                 schaftswoche als rechtswidrig bezeich-
 zum NIPT geführte Fachdiskussion aus                                                                 net und zugleich, sofern zuvor eine
 einer ethischen Perspektive zu blicken.                                                              Beratung in Anspruch genommen wur­
                                                                                                      de, auf eine Strafverfolgung verzichtet.
     Chancen und Dilemmata                                                                            Nach der 12. SSW ist eine Abtreibung
     invasiver Pränataldiagnostik                                                                     nur zulässig (und dann auch nicht
 Seit der Einführung der Amniozentese                                                                 rechtswidrig), „um eine Gefahr für das
 und der Chorionzottenbiopsie in den                                                                  Leben oder die Gefahr einer schwer-
 1970er Jahren stehen insbesondere die                                                                wiegenden Beeinträchtigung des kör-
 invasiven pränataldiagnostischen Me­­                                                                perlichen oder seelischen Gesundheits-
 thoden im Zentrum einer intensiven                                                                   zustandes der Schwangeren abzuwen-
 ethischen Diskussion. Gemäß den Mut-                                                                 den“ (§ 218a, Abs. 2 StGB).
 terschaftsrichtlinien sollen mit der                                                                 Neben dem möglichen Schwanger-
 ärztlichen Begleitung der Schwanger-                                                                 schaftskonflikt sind mit der Praxis der
 schaft, „mögliche Gefahren für Leben                                                                 Pränataldiagnostik eine Reihe weiterer
 und Gesundheit von Mutter oder Kind                                                                  ethischer Herausforderungen verbun-
 abgewendet sowie Gesundheitsstörun-                                                                  den, in denen sich teilweise die spezifi-
 gen rechtzeitig erkannt und der Be­­                                                                 sche Betroffenheit einzelner Personen-
 handlung zugeführt werden“ [1]. So                                                                   gruppen niederschlägt. Zunächst ist
 können beispielsweise pränatale Be­­                                                                 mit Blick auf die Schwangere und den
 handlungen eingeleitet oder postnatale                                                               Fötus auf das Fehlgeburtsrisiko inva­
 Therapien vorbereitet werden. Schwan-                                                                siver Untersuchungsmethoden hinzu-
 gere können in ihrer Sorge beruhigt                                                                  weisen. Es wird bei der Amniozentese
 oder auf die Geburt eines kranken                                                                    mit 0,5 bis 1 Prozent, bei der Chorion­
 beziehungsweise behinderten Kindes                                                                   zottenbiospie mit 0,5 bis zwei Prozent
 vorbereitet werden. Seit Anbeginn aber                                                               angegeben [3]. Bei 8.538 beziehungs-
                                                                                           © Archiv

 besteht die besondere Herausforde-                                                                   weise 4.261 im Jahr 2018 durchgeführ-
 rung der Pränataldiagnostik (PND)          Der G-BA hat die Aufnahme des nichtinvasiven              ten Untersuchungen [3a] wäre dem-
                                            Pränataltests zur Risikobestimmung autosomaler
 darin, dass der Vielzahl diagnostizier-    Trisomien in den Leistungskatalog der Gesetzlichen
                                                                                                      nach von circa 64 bis 170 Fehlgeburten
 barer Erkrankungen nur begrenzte the-      Krankenversicherung (GKV) beschlossen.                    auszugehen. Da die Untersuchungser-

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Der nichtinvasive Pränataltest. Versuch einer ethischen Kartografie
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 gebnisse bei invasiven Untersuchungs-      invasiven Verfahren lediglich eine                  wärtig von 129 bis circa 500 Euro rei-
 methoden erst in einem fortgeschritte-     Blutabnahme bei der Schwangeren                     chen. Die Zahl der durchgeführten
 nen Schwan­gerschaftsverlauf vorliegen,    voraussetzen. Mittels der genetischen               Tests ist in den zurückliegenden Jahren
 sind Entscheidungen gegen die Fort-        Analyse sogenannter zellfreier fetaler              kontinuierlich auf mittlerweile mehr als
 setzung der Schwangerschaft mit            DNA im mütterlichen Blut lassen sich                100.000 Anwendungen gestiegen. Pa­­
 einem Spätabbruch verbunden, bei           Chromosomenanomalien des Fötus                      rallel dazu ist die Zahl invasiver Unter-
 dem eine künst­liche Geburt eingeleitet    nachweisen. Gegenwärtig wird der NIPT               suchungen auf etwa 13.000 zurückge-
 werden muss. Im Jahr 2018 sind 2.818       zur Risikoeinschätzung der drei autoso-             gangen [10].
 Abbrüche nach der 12. SSW vorgenom-        malen Trisomien 13 (Pätau-Syndrom),
 men worden, davon 655 ab der 22. SSW       18 (Edwards-Syndrom) und 21 (Down-                  Die faktische Risikolosigkeit des Blut-
 [4]. Vielfach sind solche Spätabbrüche     Syndrom) eingesetzt. Seine Sensitivität             testes ist eines der wichtigsten Argu-
 mit erheblichen psychischen Belastun-      und Spezifität gelten für das Down-                 mente, die für seine Aufnahme in den
 gen verbunden. Darüber hinaus emp-         Syndrom als hoch. Sie liegen gemäß                  Leistungskatalog der GKV vorgebracht
 finden Frauen vielfach einen „Druck,       dem Abschlussbericht des Instituts für              werden: invasive Testverfahren könn-
 diese Tests durchführen zu lassen“ [5].    Qualität und Wirtschaftlichkeit im                  ten deutlich reduziert und damit Fehl-
 Das hängt möglicherweise mit verän-        Gesundheitswesen (IQWiG) bei 99,13                  geburten als deren Nebenfolge vermie-
 derten Wahrnehmungsformen und              beziehungsweise 99,95 Prozent [7]. Für              den werden. Da der Test bereits ab der
 Einstellungen in der Gesellschaft zu­­     die Trisomien 13 und 18 geht das IQWiG              10. SSW eingesetzt werden kann [11]
 sammen, durch die eine Schwanger-          von einer Spezifität von 99,97 bezie-               und Testergebnisse schon nach weni-
 schaft stärker in den Bereich persönli-    hungsweise 99,94 Prozent aus [8],                   gen Tagen vorliegen, könnten darüber
 cher Verantwortung und Selbstbestim-       schätzt die Sensitivität hier aber „als             hinaus Spätabbrüche und die mit ihnen
 mung einrückt. Menschen mit Behin-         nicht robust“ ein [9]. Der NIPT muss                verbundenen Belastungen verringert
 derung und ihre Interessenverbände         gegenwärtig von den Müttern bezie-                  werden. Diesen Chancen stehen auf der
 sehen darüber hinaus in der gegenwär-      hungsweise Paaren als sogenannte                    anderen Seite unverkennbare Risiken
 tigen Praxis der Pränataldiagnostik        individuelle Gesundheitsleistung (IGeL)             gegenüber. Für keine der Trisomien 13,
 eine Form sozialer Diskriminierung und     selbst finanziert werden. Die Anbieter              18 und 21 stehen kurative Therapie-
„routinisierter Frühselektion“ [6]. Nicht   halten deshalb unterschiedlich um­­                 möglichkeiten zur Verfügung. Die Nied-
 zuletzt müssen aber auch die Konflikte     fangreiche Testoptionen vor, die gegen-             rigschwelligkeit des Tests könnte über-
 genannt werden, die für Ärzte mit der
 invasiven Pränataldiagnostik verbun-
 den ist. Ihre Aufgabe, „die Gesundheit
 zu schützen und wiederherzustellen“
 (BO § 1, Abs. 2) wird insbesondere
 angesichts von Spätschwangerschafts­
 abbrüchen in Frage gestellt. Dazu
 kommt, dass sie das Haftungsrisiko für
 den Fall einer falschen beziehungs-
 weise unvollständigen Beratung ten-
 denziell unfreier macht.
 Die genannten ethischen Herausforde-
 rungen der invasiven Diagnosemetho-
 den sind bekannt. Durch den NIPT wer-
 den sie allerdings teilweise erheblich
                                            © Depositphotos/gpointstudio

 verändert. Deshalb macht das neue
 Verfahren auch eine neue ethische Jus-
 tierung erforderlich.

Der nichtinvasive Pränataltest (NIPT)
Seit 2012 sind in Deutschland Testver-      Wenn positive Testergebnisse unweigerlich mit der Entscheidung für oder gegen die Fortsetzung der
fahren zugelassen, die anstelle der         Schwangerschaft verbunden sind, sollte hinreichend Raum für eigene Abwägungsprozesse bestehen.

Ärzteblatt Sachsen 12|2019                                                                                                                      35
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     dies zu einer quantitativen AusweitungRoutinen überspielt werden. Ihre ange- eine regelmäßige oder eine konditio-
     seiner Anwendung führen. Kritiker be­­messene Bearbeitung erfordert viel- nierte Leistung der GKV werden.
     fürchten in diesem Zusammenhang       mehr individuelle Gewissensentschei-
     einen Dammbruch und damit einherge-   dungen und damit einen Raum zur Verzicht auf den NIPT
     hend einen Anstieg von Schwanger-     Reflexion und persönlichen Urteilsbil- als Leistung der GKV
     schaftsabbrüchen. Sie befürchten da­­ dung. Was für individuelle Gewissens- Die Forderung, auf den NIPT als Kas-
     rüber hinaus eine Zunahme des sozia-  konflikte allgemein gilt, ist auch für den senleitung zu verzichten, ist insbeson-
     len Erwartungsdrucks zur Testdurch-   NIPT uneingeschränkt gültig. Wenn dere von der Deutschen Bischofskonfe-
     führung. Würde der Test als zuneh-    positive Testergebnisse unweigerlich renz, der Caritas und verschiedenen
     mend selbstverständlich betrachtet,   mit der Entscheidung für oder gegen Verbänden von beziehungsweise für
     wüchsen auch die eugenischen Ten-     die Fortsetzung der Schwangerschaft Menschen mit Behinderung (unter
     denzen in der Gesellschaft an.        verbunden sind, sollte hinreichend anderem Lebenshilfe e. V.) vertreten
                                           Raum für eigene Abwägungsprozesse worden. Sie haben regelmäßig auf das
 Die ethische Herausforderung              bestehen. Eine Anwendung des NIPT Lebensrecht des Fötus, die Diskriminie-
 des NIPT                                  ohne die Verknüpfung mit der Förde- rung von Menschen mit Behinderung
 In der Diskussion über die Aufnahme rung individueller Entscheidungskom- und den sozialen Druck zur Inanspruch-
 des NIPT in den Leistungskatalog der petenz erscheint aus ethischer Sicht nahme des Tests aufmerksam ge­­
 GKV sind in den zurückliegenden Jah- problematisch.                                     macht.
 ren Argumente zur Sprache gekommen,
 die von strikter Ablehnung bis klarer Die Zulassung des NIPT im                         Pflichtenethisch werden hierbei das
 Zustimmung reichen. Ihre Einordnung Pro und Contra der Argumente                        Lebensrecht des Ungeborenen und das
 innerhalb einer ethischen Kartografie Die in den zurückliegenden Jahren zur Anerkennungspostulat in Bezug auf
 ist nicht voraussetzungslos, sondern Sprache gebrachten Positionierungen Menschen mit Behinderung gegenüber
 setzt ihrerseits eine Reflexion der ethi- lassen sich drei grundsätzlichen Hand- allen anderen Argumenten priorisiert.
 schen Herausforderungen voraus, die lungsempfehlungen zuordnen. Nach Tugendethisch verbindet sich damit
 zugleich auf der Grundlage der gelten- ihnen sollte der NIPT entweder keine, eine – zumindest implizite – Entschei-
 den Rechtslage erfolgen muss. Dieser
 Horizont soll zunächst abgeschritten
 werden. Gegenüber den bisherigen             Eine in der Ethik verbreitete Einteilung unterscheidet zwischen
 invasiven Untersuchungsverfahren ra­­        tugend-, pflichten- und folgenethischen Begründungsformen für
 dikalisiert sich mit dem NIPT das            ethische Urteile.
 Ungleichgewicht von Diagnose- und
 Therapiemöglichkeiten: für die Triso-        In der Tugendethik stehen die Haltung und die ethische Überzeu-
 mien 13, 18 und 21 existieren keine          gung der handelnden Person im Mittelpunkt. Für die Beurteilung
 kurativen Handlungsoptionen. Deshalb         von ­Handlungsmöglichkeiten wird darauf geachtet, dass sie mit
 erlangt eine andere Handlungsalterna-        dem eigenen Gewissen beziehungsweise der persönlichen Haltung
 tive eine ungleich höhere Bedeutung:         ­übereinstimmen.
 die Entscheidung für oder gegen die           In der Pflichtenethik stehen die ethischen Normen und Prinzipien
 Fortsetzung der Schwangerschaft. Wird            im Mittelpunkt. Für die Beurteilung von Handlungsmöglichkeiten
 diese Frage zu einem Entscheidungs-           wird darauf geachtet, dass die maßgeblichen Normen und Gebote
 konflikt, so stellt dieser ein unauflös­      ­umgesetzt werden.
 liches ethisches Dilemma dar, weil in
                                                In der Folgenethik stehen die Konsequenzen einer Handlung im
 ihm – wie oben dargestellt – zwei Men-
                                                ­Mittelpunkt. Für die Beurteilung von Handlungsmöglichkeiten wird
 schenrechte kollidieren. Für alle unlös-
                                                 insbesondere auf die mit ihnen verbundenen Folgen geachtet.
 baren Dilemmata gilt, dass sie sich
 nicht nach einer Seite hin auflösen las-        In der ethischen Urteilsbildung erweist sich die Verabsolutierung einer
 sen, ohne zugleich die ethischen Argu-          der drei Begründungsformen problematisch. Vielmehr ist es sinn­
 mente der anderen Seite zu vernach-             voll, tugend-, pflichten- und folgenethische Argumente ausgewogen
 lässigen. Ethische Dilemmata können             ­miteinander zu verbinden.
 nicht stillgestellt, entschärft oder in

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dungserwartung, nämlich den Test                ten hat, breitere Aufmerksamkeit er­­ Gendiagnostikgesetzes (GenDG) und
nicht in Anspruch zu nehmen. Für die            langt. Sie setzt sich dafür ein, „dassdes Schwangerschaftskonfliktgesetzes
eingangs genannten Akteure ist die              die Untersuchung keiner Schwangeren   (SchKG) beraten und aufgeklärt werden
Verzichtsforderung meist auch Teil             ­vorenthalten werden kann, also allen  [15]. In einer inhaltlich vergleichbaren
einer grundsätzlichen Kritik an der Pra-       Schwangeren verfügbar gemacht wer-     Weise haben sich zuvor auch die meis-
xis pränataler Diagnostik. Sie fordern,         den sollte“ [13]. Es bräuchte damit nicht
                                                                                      ten medizinischen Fachgesellschaften,
den von ihnen vorgebrachten Argu-               erst die Feststellung eines Schwanger-die Evangelische Kirche in Deutschland
menten mehr Raum einzuräumen und                schaftsrisikos, um den NIPT durchfüh- (EKD) und namhafte Verbände (unter
die Zahl der vorgeburtlichen Untersu-           ren zu können. Diese Position geht    anderem pro familia) geäußert. Diese
chungen insgesamt zu reduzieren. Da             pflichtenethisch von der klaren Priori-
                                                                                      dritte Position konditioniert den NIPT
die Entscheidung des G-BA allerdings            tät des Selbstbestimmungsrechtes der  in doppelter Weise: medizinisch wird
innerhalb des bestehenden Rechtsrah-            Frau aus. Tugendethisch wird damit    die Testdurchführung auf Schwanger-
mens erfolgen musste und dessen                 das Dilemma ebenso wie die damit ver- schaften mit einem erhöhten Überwa-
Änderung gegenwärtig nicht auf der              bundene Gewissensentscheidung ent-    chungsbedarf beschränkt, der für den
politischen Agenda steht, bedeutet die          schärft, sodass sich tendenziell ein  konkreten Einzelfall zu beurteilen ist.
Verzichtsforderung folgenethisch, dass        „Abwägungsfortfall“ (Christian Lenk)    Psychosozial wird die Anwendung an
die oben genannten Probleme und Fol-            konstatieren lässt. Folgenethisch kanndas Ergebnis einer Beratung zurückge-
gen der invasiven Testverfahren unver-          diese Position auf die quantitative   bunden. Tugendethisch zielt der Vor-
ändert blieben. Zugleich bliebe der NIPT       Reduktion invasiver Untersuchungen     schlag damit ausdrücklich auf die Stär-
ein frei erhältliches Produkt auf einem         und des damit einhergehenden Fehlge-  kung der Gewissensentscheidung, für
nichtregulierten Gesundheitsmarkt, zu           burtsrisikos verweisen. Auch die Zahl die ein expliziter Gesprächs- und Ab­­
dem einkommensschwache Paare                    der Spätabbrüche und der mit ihnen    wägungsraum vorgehalten wird. Pflich­
einen erschwerten Zugang haben. Des-           verbundenen psychischen Belastungen    tenethisch wird die Dilemmasituation
halb ist die Verzichtsforderung zwar            dürfte abnehmen. Allerdings würde     berücksichtigt und wachgehalten. Fol-
eine Stimme, die auf gravierende ethi-         andererseits die Zahl von Abtreibungen genethisch lässt sich erwarten, dass
sche Probleme der Pränataldiagnostik           aufgrund falsch-positiver Testergeb-   die Zahl invasiver Untersuchungen
hinweist. Sie löst aber tendenziell das         nisse erkennbar zunehmen. Der NIPT    sinkt und damit auch die Zahl der durch
ethische Dilemma nach einer Seite auf           würde überdies in stärkerem Maße zu   die Untersuchung ausgelösten Fehlge-
und gibt daher den Erleichterungen, die         einer Routineuntersuchung. Es wäre zu burten. Ebenso ist erwartbar, dass die
mit dem NIPT verbunden sind, ein                befürchten, dass die soziale ErwartungZahl der Spätabbrüche reduziert wird.
geringeres Gewicht. Die individuelle           zur Inanspruchnahme des Tests damit    Aufgrund der Beschränkung auf
Gewissensentscheidung wird bei dieser          anwachsen würde. Zugleich würden       Schwangerschaften mit einem beson-
Position durch eine implizierte Verhal-         eugenische Tendenzen in der Gesell-   deren Überwachungsbedarf bezie-
tenserwartung entschärft.                       schaft tendenziell verstärkt.         hungsweise Risiko würde zugleich die
                                                                                      Zahl der falsch-positiven Testergeb-
Der NIPT als Regelangebot                     Der NIPT als GKV-Leistung               nisse begrenzt. Nichtsdestotrotz blei-
für alle Schwangere                           bei Schwangerschaften mit               ben die Bedenken, die eine Zunahme
Der eben dargestellten Verzichtsfor­          besonderem Überwachungsbedarf           der Zahl von Testdurchführungen und
derung steht auf der anderen Seite            im Einzelfall                           eine allmähliche Routinisierung des
die Handlungsoption gegenüber, den            Der G-BA hat sich in seinem Beschluss Angebots befürchten, bestehen. Wie
NIPT zu einem Regelangebot für alle           vom 19. September 2019 für eine kon- der Deutsche Ethikrat befürchtet,
Schwangeren zu machen. Der Möglich-           ditionierte Anwendung des NIPT ent- könnte „sich der von den Frauen emp-
keit, ihn als Erstlinienstrategie [12], das   schieden. Der Test soll nur bei „beson- fundene Druck, diese Tests durchzu-
heißt im Sinne eines Screenings einzu-        deren Risiken oder zur Abklärung von führen“ [16] auch bei diesem Vorschlag
setzen, standen von Anbeginn schwere          Auffälligkeiten […] im Einzelfall“ [14] vergrößern.
Bedenken gegenüber, sodass diese              angewandt werden. Ein Screening wird
Option nur am Rande eine Rolle ge­­           ausdrücklich ausgeschlossen. Darüber Offene Fragen
spielt hat. Dagegen hat eine Position,        hinaus soll die schwangere Frau vor Der Beschluss des G-BA vom 19. Sep-
wie sie beispielsweise die Deutsche           und nach der Durchführung des NIPT tember 2019 korrespondiert mit den
Gesellschaft für Humangenetik vertre-         durch den Arzt nach den Vorgaben des Stellungnahmen der meisten fachli-

Ärzteblatt Sachsen 12|2019                                                                                                       37
originalie

     chen Gremien und zivilgesellschaftli-      tikgesetz eine genetische Untersu-          Gefahr hätte hier für mehr Klarheit
     chen Akteure. Auch in ethischer Pers-      chung nur mit Blick auf Eigenschaften       gesorgt und die Indikationsgrundlage
     pektive sprechen viele Argumente für       des Embryos beziehungsweise Fötus           mit der Risikobeurteilung für das Kind
     ihn. Die doppelte Konditionierung durch    durchgeführt werden, die „seine Ge­­sund­   und die Schwangere verknüpft.
     einzelfallbezogene Risikodiagnose und      heit während der Schwangerschaft
     Beratungspflicht kann dazu beitragen,      oder nach der Geburt beeinträchtigen“       3. Der Beschluss des G-BA ist erkenn-
     dass latente Automatismen zu einer         (§ 15, Abs. 1 GenDG). Es erscheint zwei-    bar von dem Interesse geleitet, einen
     routinemäßigen Anwendung des NIPT          felhaft, ob das Down-Syndrom in einer       Raum für individuelle Gewissensent-
     durchbrochen und zugleich Reflexions-      generellen Weise unter diese Bedin-         scheidungen zu eröffnen und eine rou-
     räume eröffnet werden. Gleichwohl          gung fällt. Legt man die „Richtlinien zur   tinemäßige Anwendung des NIPT
     gehört es zur ehrlichen Diskussion von     pränatalen Diagnostik“ der Bundesärz-       abzuwehren. Zu fragen bleibt dennoch,
     Dilemmata, dass auch offene Fragen         tekammer zugrunde, fehlt die Indikati-      ob sich diese Intention angesichts der
     und bleibende Risiken bedacht werden.      onsgrundlage für alle drei Trisomien:       beträchtlichen Nachfrage nach dem
                                               „Eine pränatale Diagnostik“, heißt es        NIPT und seiner – auch weiterhin –
 1. Im Beschluss des G-BA ebenso wie            hier, „ist […] geboten, wenn dadurch        freien Verfügbarkeit auf dem Gesund-
 im überwiegenden Teil der medizini-            eine Erkrankung oder Behinderung des        heitsmarkt durchsetzen kann. In der
 schen Diskussion werden die drei Triso-        Kindes intrauterin behandelt oder für       Diskussion war es unverkennbar, dass
 mien 13, 18 und 21 gemeinsam behan-            eine rechtzeitige postnatale Therapie       der Zusammenhang des NIPT mit dem
 delt. Allerdings bestehen zwischen             gesorgt werden kann. / Für das Kind         gesellschaftlich brisanten Thema des
 ihnen auch wichtige Unterschiede, ins-         fehlt es dann an einer Indikation für die   Schwangerschaftsabbruchs eher aus-
 besondere zwischen den Trisomien 13            pränatale Diagnostik, wenn […] sich         geblendet wurde. Je mehr aber der NIPT
 und 18 auf der einen Seite und der Tri-        keine Therapiemöglichkeiten abzeich-        als ein primär medizinisches Thema
 somie 21 auf der anderen Seite. Sowohl         nen“ [19]. Angesichts der fehlenden         wahrgenommen wird, umso weniger
 beim Pätau- wie auch beim Edwards-            Therapiemöglichkeiten greift eine allein     erscheint seine Rückbindung an indi­
 Syndrom versterben eine überdurch-             auf den Gesundheitszustand des Kin-         viduelle und gesellschaftliche Abwä-
 schnittlich hohe Zahl der Kinder vor           des bezogene Indikation offenbar zu         gungsprozesse erforderlich zu sein.
 oder unmittelbar nach der Geburt.              kurz. Vielmehr ist auch die physische       Darüber hinaus könnte sich auch die
 Beim Down-Syndrom besteht demge-               und psychische Gesundheit der               bestehende Rechtslage zur Arzthaf-
 genüber eine sehr viel bessere Prog-           Schwangeren in die Indikation einzube-      tung und Unterhaltspflicht bei falscher
 nose für die Betroffenen. Zwar treten          ziehen. Danach wäre die Anwendung           oder unvollständiger Beratung als Be­­
 auch hier bestimmte Komplikationen             eines NIPT nur dann angezeigt, wenn         schleuniger in Richtung auf eine ver-
 gehäuft auf – von einer stark erhöhten         neben dem Risiko für eine Trisomie          mehrte Testdurchführung auswirken.
 Letalität im Säuglings- oder Kindesal-         zugleich auch die Gefahr „einer schwer-     Aus all diesen Gründen bleibt das
 ter kann aber keineswegs ausgegan-             wiegenden Beeinträchtigung des kör-         Thema des NIPT nicht nur ein medizini-
 gen werden. Vielmehr liegt die durch-          perlichen oder seelischen Gesundheits-      sches, sondern stets auch ein gesell-
 schnittliche Lebenserwartung der Be­­          zustandes der Schwangeren“ (§ 218a          schaftliches Thema, dessen Chancen,
 troffenen mittlerweile bei 56 Jahren           Abs. 2 StGB) besteht. In diese Richtung     Gefahren und Entwicklungstendenzen
 [17]. Angesichts dieser Differenzen ist        scheint auch die vom G-BA beschlos-         konstant wahrgenommen und kritisch
 es widersprüchlich, „dass ausgerechnet         sene Ergänzung der Mutterschafts-           diskutiert werden sollten. 
 das Down-Syndrom die Leitbehinde-              richtlinien zu gehen, die den NIPT für
 rung der Pränataldiagnostik ist, obwohl        Einzelfälle vorsieht, „um der Schwange-
                                                                                                                       Literatur beim Autor
 Menschen mit Down-Syndrom in unse-             ren eine Auseinandersetzung mit ihrer
 rer Gesellschaft ein glückliches und           individuellen Situation hinsichtlich des                   Prof. Dr. theol. habil. Ulf Liedke
                                                                                                   Evangelische Hochschule Dresden (ehs)
 erfülltes Leben führen können – häufig         Vorliegens einer Trisomie im Rahmen
                                                                                                           Dürerstraße 25, 01307 Dresden
 weitgehend selbständig“ [18].                  der ärztlichen Begleitung zu ermögli-                  E-Mail: ulf.liedke@ehs-dresden.de
                                                chen“ [20]. Allerdings geht diese For-
 2. Die dargestellten Unterschiede ge­­         mulierung inhaltlich nicht über die Ziel-
 ben weiterhin dazu Anlass, über die            bestimmung von § 10 Abs. 3 GenDG
 Frage der Indikation nachzudenken.             hinaus. Eine deutlichere Rückbindung
 Immerhin darf nach dem Gendiagnos-             an die im § 218a Abs. 2 genannte

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