Delir bei Covid-19 - Risikofaktoren und Behandlung
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CORONA-PANDEMIE Delir bei Covid-19 – Risikofaktoren und Behandlung L. C. Hofbauer1,2,3, M. D. Brandt1,4,5,6, R. Haußmann1,5,7, enten mit kognitiven Störungen und Infektionszahlen und bundesweit ältes M. Donix1,5,6,7 Demenzerkrankungen besteht in der ten Bevölkerung vor einer besonderen Coronavirus-Pandemie das Dilemma, Herausforderung. Hintergrund sich einerseits vor einer Infektion best- In der Bewältigung der Coronavirus- möglich zu schützen, andererseits aber Auch jüngere, bislang gesunde Patien- Pandemie dominieren naturgemäß akut- aufgrund der dafür erforderlichen Maß- ten zeigen nach überstandener COVID- und intensivmedizinische Aspekte so nahmen (soziale Distanzierung, Be 19-Infektion Konzentrations- und Ge wie die hohe Mortalität in der vulnera- suchsverbotsregelungen und Schlie- dächtnisstörungen [1]. In den vergan- belsten Gruppe der über 80-Jährigen ßung kultureller Einrichtungen) ihre genen acht Monaten beobachten wir in mit Herz- und Lungenvorerkrankungen unterstützende Struktur und Routine der klinischen Arbeit an einem interdis- oder Diabetes mellitus [1, 2]. In der kli- zu verlieren. In diesem Zusammenhang ziplinären universitären Alterszentrum nischen Versorgungsrealität rücken steht das Gesundheitssystem insbe- zunehmend bei älteren Patienten bei zunehmend die langwierige Therapie sondere in Sachsen wegen der ungüns- schwerer Covid-19-Infektion protra- und der komplikationsträchtige Verlauf tigen Kombination aus den höchsten hierte Delirverläufe. Hier analysieren nach COVID-19-Infektion in den Fokus [1, 2]. Wie die hohe Mortalität nach Infektionen in Alters- und Pflegehei- KLINISCHE VIGNETTE men belegen, sind ältere Menschen aufgrund eingeschränkter Reserven Ein 83-jähriger Mann mit kontrolliertem Diabetes mellitus Typ 2 und besonders vulnerabel für einen schwe- arterieller Hypertonie stellte sich zehn Tage nach dem Besuch seiner ren COVID-19-Verlauf, aber auch für Enkeltochter (Krankenschwester) aufgrund eines fieberhaften Infektes ausgeprägte neuropsychiatrische Symp mit Reizhusten und zunehmender Schwäche in der Notaufnahme vor. tome [3]. Insbesondere für ältere Pati- Der PCR-Test für SARS-CoV-2 war positiv und der Patient wurde zwölf Stunden später bei respiratorischer Insuffizienz und zunehmender Erschöpfung nicht-invasiv beatmet. In der Fremdanamnese ergab 1 UniversitätsCentrum für Gesundes sich eine milde kognitive Einschränkung mit leichter Vergesslichkeit Altern, Universitätsklinikum Carl Gustav über die letzten zwei Jahre. Während der insgesamt zwölftägigen Carus, Technische Universität Dresden Therapie auf der Intensivstation (für insgesamt zehn Tage erhielt er 2 Zentrum für Altersmedizin, Fachkliniken Dexamethason [6 mg/d]) wirkte er unruhig, desorientiert, fluktuierend für Geriatrie Radeburg vigilanzgestört und zog sich mehrmals die intravenösen Zugänge. 3 Medizinische Klinik und Poliklinik III, Durch Reizabschirmung, eine konsequente Physiotherapie (die bereits Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, auf der Intensivstation begonnen wurde), regelmäßigen Kontakt mit Technische Universität Dresden seiner Ehefrau über ein Videotelefonat und weitere reorientierende 4 Klinik und Poliklinik für Neurologie, Maßnahmen (Familienfotos, Uhr, Datum) besserte sich das Delir. Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Diese Therapien und Maßnahmen wurden für weitere 14 Tage auf Technische Universität Dresden einer Post-COVID-Station (bei negativem PCR-Befund) im Rahmen 5 Universitäts DemenzCentrum, einer geriatrischen Komplexbehandlung durch intensive Ergo- und Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Physiotherapie ergänzt. Auch wenn die Physiotherapie in persönlicher Technische Universität Dresden Schutzkleidung eine Herausforderung war, konnten die Therapeuten 6 Deutsches Zentrum für Neurodegenera- frühzeitig Techniken zur Unterstützung der Atmung und Mobilisierung tive Erkrankungen, DZNE einsetzen. Ergotherapie kam später im Verlauf der Behandlung zur 7 Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Anwendung, um kognitive Fähigkeiten und Handlungskompetenzen Psychotherapie, Universitätsklinikum zu stärken. Der Patient wurde nach insgesamt 26 Krankenhaustagen Carl Gustav Carus, Technische nach Hause entlassen. Universität Dresden 10 Ärzteblatt Sachsen 3|2021
CORONA-PANDEMIE Phänomen der stummen Hypoxämie erscheint zunächst ungewöhnlich, ist aber pathophysiologisch plausibel [4]. Zunehmende Hypoxämie erfordert bei schweren Verläufen die Gabe von Sauerstoff über High Flow oder eine nicht-invasive Beatmung, welche von den Patienten als bedrohlich empfun- den wird. Bei fortschreitender Ein- schränkung der Lungenfunktion erfolgt © shutterstock/bonsales die invasive Beatmung und Intensiv- therapie auf einer Intensivstation. Die Dynamik erfordert oft rasche Orts- wechsel mit Verlegungen innerhalb und Oft fällt es schwer, a priori Symptome eines Delirs von denen einer Demenz oder Depression abzugrenzen. zwischen den Kliniken mit der Folge einer sich schnell ändernden Umge- wir die zugrundeliegenden Risikofakto- matischere 4AT-Test (http://www. bung in reizintensiver Atmosphäre. Bei ren und bieten interdisziplinäre Lösungs the4at.com/) mit Bewertung der Kate- schweren Verläufen werden verschie- ansätze an. Neben Aspekten pharma- gorien Wachheit, Orientierung, Aufmerk dene delirogene Medikamente einge- kologischer und nicht-pharmakologi- samkeit und Fluktuation. setzt, insbesondere hochdosiertes scher Behandlung diskutieren wir struk Dexamethason, welches bei fast allen turell-räumliche Rahmenbedingungen Verschiedene akute Infektionen, die unserer Patienten mit Delir nach und die Bedeutung altersmedizinischer eine Akut- und Intensivtherapie erfor- COVID-19 gegeben worden war. Kompetenz in allen beteiligten Berufs- dern, können bei vulnerablen älteren Bei über 80-jährigen Menschen mit gruppen. Menschen häufig ein Delir verursachen. typischer geriatrischer Komorbidität ist Beispielsweise liegt bei bakterieller die Entwicklung eines Delirs im Zusam- Definition und mögliche Auslöser Pneumonie mit Beatmungspflicht für menhang mit COVID-19 häufig, insbe- für ein Delir bei COVID-19 Menschen über 65 Jahren das Risiko für sondere bei kognitiver Einschränkung Das Delir ist definiert als akute orga- ein Delir bei 30 bis 50 Prozent. Bei und Demenz. Gerade in dieser Popula- nisch bedingte Psychose mit Bewusst- COVID-19 kommt es jedoch zu einer tion ist die Ansteckungsgefahr durch seinsstörungen, Störungen der Aufmerk ungünstigen Akkumulation auslösen- fehlende Einsicht in die Hygieneregeln samkeit, Orientierung und Wahrneh- der Faktoren. Hierbei unterscheiden wir hoch und die Compliance mit den the- mung sowie affektiven und vegetati- infektions- von patientenseitigen Risi rapeutischen Maßnahmen gering. Die ven Symptomen. Es ist durch fluktuie- kofaktoren (Tab. 1). oben beschriebenen Umstände (Verle- rende Symptome von mehr als 24 Schwere COVID-19-Verläufe sind oft gungen, Intensivstation, eingeschränk Stunden und weniger als zwei Wochen durch einen Zytokinsturm mit hohem, te Kommunikation durch Mund-Nasen- gekennzeichnet und kann sich als undulierendem Fieber und Acute Res- Masken, Besuchsverbot) wirken gerade hyperaktive, hypoaktive oder gemisch piratory Distress Syndrome (ARDS) bei dementen Patienten delirogen. Hin te Form manifestieren. Als diagnosti- gekennzeichnet. Eine Hypoxämie ist zu kommt eine längere Immobilität, be scher Goldstandard wird die Confusion delirogen, wobei sie bei Patienten mit dingt durch den Lockdown, während der Assessment Method (CAM) eingesetzt, COVID-19 auch in Abwesenheit von Infektion und auch danach durch eine auf der Intensivstation auch der prag- Dyspnoe vorkommen kann. Dieses ausgeprägte Myopathie und Fatigue. Tab. 1: Risikofaktoren für ein Delir bei COVID-19 Epidemiologie des Delirs COVID-19-Infektion Patient bei COVID-19 Zytokinsturm/hohes Fieber Alter > 80 Neben den Leitsymptomen Fieber, Husten, Halsschmerzen und Hyposmie Beatmung/Hypoxämie geriatrische Komorbiditäten treten bei älteren Patienten gehäuft Intensivtherapie kognitive/sensorische Defizite neurologische Symptome wie Aufmerk Glukokortikoide Immobilität samkeitsstörung, Desorientiertheit, Ärzteblatt Sachsen 3|2021 11
CORONA-PANDEMIE Sturzneigung und Vigilanzstörungen dass ein Delir im Rahmen von COVID-19 Insbesondere der Hypothalamus, der auf. Einzelne Fallserien beschreiben eher den Schweregrad der Erkrankung Hippocampus, das Mittelhirn und der sogar atypische COVID-19-Verläufe bei widerspiegelt und nicht als unabhängi- Hirnstamm gelten hinsichtlich der direk älteren Patienten, bei denen sich ein ger Mortalitätsprädiktor fungiert. ten ZNS-Invasion als vulnerabelste Delir als einziges oder erstes Symptom Hirnregionen [10, 11]. Die ZNS-Invasion vor dem Auftreten von Fieber oder res- Neurotropismus von SARS-CoV-2 durch Corona-Viren über die Blut-Hirn- piratorischer Beschwerden präsentiert Neben den typischen oben beschriebe- Schranke gilt allgemein als selten und [5, 6]. nen delirogenen Faktoren während der tritt meist erst spät im Erkrankungs- Behandlung von COVID-19 sind auch verlauf auf [11], wobei die direkte intra- Erste Kohorten-Studien zeigen, dass die neuroinvasiven Eigenschaften von nasale Infektion mit früher Anosmie etwa 25 bis 28 Prozent der über SARS-CoV-2 ein wesentlicher Grund für eine Besonderheit von SARS-CoV-2 65-jährigen hospitalisierten COVID-19- das hohe Delirrisiko von COVID-19-Pa- darzustellen scheint [11]. Weitere klini- Patienten Symptome eines Delirs auf- tienten [10]. Bereits während früherer sche Manifestationen eines ZNS- weisen [7, 8]. Bei 16 Prozent der Patien- SARS- und MERS-Epidemien traten Befalls mit SARS-CoV-2 können Kopf- ten trat das Delir als erstes Symptom Delirien gehäuft auf, was das neuro schmerzen (acht Prozent) und eine von COVID-19 auf, und immerhin 37 invasive Potenzial der Vertreter der zentral vermittelte Übelkeit (ein Pro- Prozent entwickelten weder respirato- Corona-Viren veranschaulicht [11]. SARS- zent) sein [11]. rische Symptome noch Fieber [7]. Letz- CoV-2 nutzt den ACE-2-Rezeptor als tere Beobachtung unterstreicht den Eintrittspforte, der neben dem Respira- Prävention und Behandlung Stellenwert des Delirs als wichtigen tionstrakt auch im Bereich des oberen Vor dem Hintergrund neurologischer klinischen Marker einer COVID-19-Ösophagus, auf Enterozyten des Darms Manifestationen bei COVID-19 [12] sind Infektion bei älteren Patienten. Im und im Hirngewebe exprimiert wird [11]. dyskognitive Symptome ein Alarmsig- Rahmen schwerer Krankheitsverläufe Die Invasion des zentralen Nervensys- nal für die Behandler. In einer Untersu- mit Notwendigkeit einer intensivmedi- tems durch SARS-CoV-2 erfolgt in drei chung an über 40.000 Patienten mit zinischen Behandlung steigt die Delir- Phasen: COVID-19 wurden bei über 22 Prozent Prävalenz auf bis zu 80 Prozent [9]. Ne- (I) Zunächst kommt es zur direkten der Patienten neuropsychiatrische Symp -ben einem schweren COVID-19-Verlauf Invasion durch retrograden tome identifiziert [13]. Durch sie steigt waren in den genannten Studien ein axonalen Transport über olfaktori- die Wahrscheinlichkeit für ein Delir in höheres Lebensalter, vorbestehende sche Nerven oder transvasal über einer ohnehin schon vulnerablen Pati- Pflegebedürftigkeit und neuropsychia- die Blut-Hirn-Schranke. entengruppe mit oft vorbestehenden trische Vorerkrankungen (Demenz, M. (II) Nachfolgend infiziert das Virus kognitiven Einbußen. Parkinson, zerebrovaskuläre Erkran- Astrozyten und Mikroglia über den kungen) die wichtigsten Prädiktoren für ACE-2-Rezeptor, leitet die Replika- Erkennen und Bewerten die Entwicklung eines Delirs. Zudem ist tion ein und führt zum Zelltod. Ein Delir sollte rasch erkannt und ein Delir im Rahmen von COVID-19 mit (III) Im letzten Schritt mündet die adäquat behandelt werden. Nicht nur einer erhöhten Mortalität assoziiert. Immunantwort gegen SARS-CoV-2 prolongierte Delirien sind nach ihrer Allerdings bestand diese Assoziation in in den bereits beschriebenen Remission mit einem Risiko für dauer- den bisherigen Studien nicht unabhän- Zytokinsturm, der als wesentliche hafte kognitive Schäden verbunden, gig von Alter, Multimorbidität und Ursache für die gestörte ZNS- bereits bei einem über zehn Tage Schweregrad der respiratorischen Funktion bei COVID-19 angesehen anhaltenden Delir ist dies möglich [14]. Symptome. Es ist daher anzunehmen, wird [10]. Zunächst ist es wichtig, dass dem gesamten Behandlungsteam das Delir in seinen verschiedenen klinischen Tab. 2: Abgrenzung Delir vs. Demenz Ausprägungen (hyperaktiv, hypoaktiv, Delir Demenz gemischt) als häufige Komplikation Beginn plötzlich schleichend bekannt ist. Berufsgruppenübergrei- Dauer Stunden bis Tage Monate bis Jahre fende Teambesprechungen und Visiten erlauben es, Symptome gemeinsam zu Aufmerksamkeit reduziert normal würdigen und einzuordnen. Die ein- Bewusstsein/Vigilanz wechselnd intakt gangs erwähnten Assessments wie die 12 Ärzteblatt Sachsen 3|2021
CORONA-PANDEMIE CAM können sinnvolle Hilfsmittel sein, um die Diagnostik zu unterstützen, müssen aber im klinischen Gesamt- kontext interpretiert werden. Oft fällt es schwer, a priori Symptome eines Delirs von denen einer Demenz oder Depression abzugrenzen, und letztlich können verschiedene Erkran- kungen und Syndrome parallel vorlie- gen (Tab. 2). Entscheidend ist in diesem Fall die Erhebung einer Fremdanam- nese von Angehörigen, Heimpersonal oder Hausarzt und eine interdiszipli- näre Zusammenarbeit. Die Demenz von einem Delir abzugrenzen oder das gemeinsame Vorliegen zu erkennen, ist ohne Fremdanamnese nicht möglich. Sie gibt Auskunft darüber, ob und wel- che kognitiven Defizite bereits vor COVID-19 bestanden. Eine psychiatri- sche Expertise kann hilfreich sein, ge drückte Stimmung, Apathie und An triebs defizit zu differenzieren, oder verständliche Sorgen von pathologi- schen affektiven Veränderungen zu unterscheiden. Kontaktbeschränkungen und Besuchsverbote machen es in der COVID-19-Pandemie erforderlich, Ange hörige aktiv und regelmäßig zu kontak- © Universitätsklinikum Dresden/Marc Eisele tieren, um dyskognitive Phänomene in Art und Ausprägung als vorbestehend oder neu aufgetreten zu bewerten. Zusätzlich kann während des stationä- ren Aufenthaltes die mehrfache An wendung kognitiver Kurztestverfahren in der Differenzialdiagnostik hilfreich sein. Selbst bei anamnestisch vorbe- Eine interdisziplinäre altersmedizinische Station bietet das ideale Setting für eine hochwertige kannter Demenz kann eine Verbesse- Patientenversorgung nach COVID-19. rung im Mini-Mental Status Test (MMST) oder Montreal Cognitive Assessment bildgebenden Diagnostik sind wichtig Stellenwert: Reorientierung durch gut (MoCA) Indiz dafür sein, dass von der zu würdigen, da weitere Auslöser in sichtbare Uhren und Kalender, Sicher- Demenz unabhängige dyskognitiv wirk Kombination mit COVID-19 ätiologisch stellung des Gebrauchs von Hilfsmit- same Mechanismen, wie beispiels- bedeutsam sein könnten. teln wie Brille und Hörgerät, beruhi- weise metabolische Entgleisungen oder gende Atmosphäre, Einbeziehen von ein Delir, die Gesamtheit der kognitiven Nichtpharmakologische Prävention Angehörigen, Vermeidung von statio- Einbußen zur Aufnahme mitbedingt und Therapie nären Verlegungen, Mobilisierung, aus- haben. Die Vielzahl delirauslösender In der nichtpharmakologischen Präven- reichende Flüssigkeits- und Nahrungs- Faktoren, und die entsprechenden tions- und Behandlungsstrategie haben zufuhr, Behandlung von Schmerzen und Möglichkeiten der laborchemischen und folgende Maßnahmen einen hohen Minimierung delirogener Medikation Ärzteblatt Sachsen 3|2021 13
CORONA-PANDEMIE [15]. Auch in der COVID-19-Pandemie ierten Delir gibt es erste Erfahrungen limitiert eine mögliche Atemdepression gilt, dass nichtmedikamentöse Inter- zu pharmakologischen Therapiestrate- noch zusätzlich [16]. ventionen den höchsten Evidenzgrad in gien, wobei auf den individuellen Heil- der Primärprävention eines Delirs be versuch hingewiesen werden muss. Ausblick sitzen [15]. Maßnahmen der Isolation, Weiterhin ist es wichtig, dass poten- Unklar bleibt, ob die mögliche Hetero- medizinisches Personal in Schutzklei- zielle Nebenwirkungen einer neurolep- genität bei COVID-19-assoziierten Deli- dung, Alarme und Veränderungen im tischen Behandlung (extrapyramidale rien – ausgelöst über den Zytokinsturm Tag-Nacht-Rhythmus können ängsti- und zerebrovaskuläre Effekte, Kardio- oder eine direkte virale Beteiligung des gen und bedrohlich wirken. Bei einge- toxizität) bei der hier betrachteten oft ZNS – unterschiedliche Behandlungs- schränkter nonverbaler Kommunika- hochbetagten Patientengruppe berück- strategien nach sich ziehen sollte. Das tion sind klare und verbindliche Gesprä- sichtigt werden. Delir trägt jedoch wesentlich zu einer che wichtig und für den Patienten eine prolongierten Hospitalisierung mit Möglichkeit zur Orientierung und Rück- Melatonin und Melatoninrezeptor-akutmedizinischem Behandlungsbe- versicherung. Die Sprache sollte klar, Agonisten werden aufgrund ihrer darf bei, auch nach nicht mehr beste- laut und langsam sein und Informatio- schlafregulierenden, immunmodulato- hender Infektiosität. Präventive und nen sollten wiederholt vermittelt wer- rischen und neuroprotektiven Wirkun- therapeutische Ansätze müssen daher den. Kreative Lösungen, wie das Tragen gen als interessante Substanzen in der kontinuierlich gewährleistet sein. Hier- von großen Namensschildern oder Por- frühen medikamentösen Delirbehand- für ist spezifische internistische, neu- trätfotos können eine gute Ergänzung lung gesehen [17, 21]. Alpha-2-Agonis- rologische, psychiatrische und pharma- sein [16]. Patienten sollten Zugang zu ten könnten in einem weiteren Schritt kologische Expertise erforderlich. Die Telefonen und Tablets haben, wenn sie vor den Neuroleptika eingesetzt wer- Behandlung kann in einem interdiszip- mit dieser Technologie vertraut sind, den, beispielsweise Dexmedetomidin linären Team wesentlich besser gelin- um mit Angehörigen in Kontakt zu blei- oder Clonidin. In der neuroleptischen gen als über konsiliarische Hilfen. Eine ben [17]. Pflegerische Maßnahmen sind Behandlung bei Delir und COVID-19 er interdisziplinäre altersmedizinische möglichst am Tag und nicht nachts scheint Olanzapin aufgrund des im Ver- Station im Behandlungspfad bietet das durchzuführen (daytime care cluste- gleich zu Haloperidol oder Risperidon ideale Setting für eine hochwertige ring) [18]. günstigeren kardiovaskulären Risiko- Patientenversorgung nach COVID-19. profils geeignet, potenzielle Interaktio- Neuropsychiatrische Phänomene wer- Pharmakologische Therapie nen mit Remdesivir sind weniger gra- den nicht „zusätzlich“ behandelt, sie Eine pharmakologische Delirprävention vierend als bei anderen Neuroleptika sind Teil von COVID-19. Die Bewertung wird leitliniengerecht nicht empfohlen, [17]. Haloperidol bleibt aber auch insbe- von medikamentösen Interaktionen es existieren jedoch einzelne Hinweise sondere aufgrund der verschiedenen und Vermeidung von Polypharmazie zum Nutzen von Melatoninagonisten Darreichungsformen eine nützliche wird nicht allein durch Mitarbeiter der oder Neuroleptika [15]. Wenn nicht Option [17]. Die Notwendigkeit zur Über Klinikapotheke möglich, sie gelingt im medikamentöse Behandlungsoptionen wachung kardialer Funktionen, zum Austausch mit dem gesamten Behand- nicht oder unzureichend wirksam sind, Beispiel der QTc-Zeit, ist bedeutsam, lungsteam, welches neben dem ärztli- kann eine pharmakologische Therapie auch wenn kardiale oder auch extrapy- chen und pflegerischen Dienst auch Phy- des Delirs zusätzlich erfolgen. Häufige ramidale Nebenwirkungen unter nied- sio-, Logo- und Ergotherapie sowie den Indikationen sind schwere Agitation, riger Dosierung der Neuroleptika selten Sozialdienst einschließt. Incompliance für lebensnotwendige auftreten. Selbstverständlich gilt auch Behandlungen oder anderweitig dro- gerade bei den Patienten mit COVID- Literatur unter www.slaek.de ➝ hende Selbstschädigung [19]. Am häu- 19-assoziiertem Delir eine geringe Presse/ÖA ➝ Ärzteblatt figsten findet in der pharmakologi- Startdosis und langsame Dosistitration Korrespondierender Autor schen Delirbehandlung Haloperidol An als allgemeine Richtlinie [17]. Benzodi- Prof. Dr. med. Lorenz Hofbauer wendung, auch wenn atypische Neuro- azepine sollten generell in der Behand- UniversitätsCentrum für Gesundes Altern Bereich Endokrinologie/Diabetes/ leptika wie Risperidon oder Olanzapin lung des nicht-entzugsbedingten Delirs Knochenerkrankungen, in dieser Indikation äquipotent erschei- vermieden werden. Ihre Wirksamkeit Medizinische Klinik III, Universitätsklinikum Dresden & Center for Regenerative Therapies nen und ein günstigeres Nebenwirkungs ist nicht belegt und sie erhöhen das Dresden (CRTD) Technische Universität Dresden profil aufweisen [19, 20]. Im Zusam- Risiko für Stürze und Übersedierung Fetscherstraße 74, 01307 Dresden menhang mit einem COVID-19-assozi- [22], im Zusammenhang mit COVID-19 E-Mail: lorenz.hofbauer@uniklinikum-dresden.de 14 Ärzteblatt Sachsen 3|2021
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