Delir bei Covid-19 - Risikofaktoren und Behandlung

 
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Delir bei Covid-19 - Risikofaktoren und Behandlung
CORONA-PANDEMIE

 Delir bei Covid-19 –
 Risikofaktoren und Behandlung
     L. C. Hofbauer1,2,3, M. D. Brandt1,4,5,6, R. Haußmann1,5,7,   enten mit kognitiven Störungen und           Infektionszahlen und bundesweit ältes­
     M. Donix1,5,6,7                                               Demenzerkrankungen besteht in der            ten Bevölkerung vor einer besonderen
                                                                   Coronavirus-Pandemie das Dilemma,            Herausforderung.
     Hintergrund                                                   sich einerseits vor einer Infektion best-
 In der Bewältigung der Coronavirus-                               möglich zu schützen, andererseits aber      Auch jüngere, bislang gesunde Patien-
 Pandemie dominieren naturgemäß akut-                              aufgrund der dafür erforderlichen Maß-      ten zeigen nach überstandener COVID-
 und intensivmedizinische Aspekte so­­                             nahmen (soziale Distanzierung, Be­­         19-Infektion Konzentrations- und Ge­­
 wie die hohe Mortalität in der vulnera-                           suchsverbotsregelungen und Schlie-          dächtnisstörungen [1]. In den vergan-
 belsten Gruppe der über 80-Jährigen                               ßung kultureller Einrichtungen) ihre        genen acht Monaten beobachten wir in
 mit Herz- und Lungenvorerkrankungen                               unterstützende Struktur und Routine         der klinischen Arbeit an einem interdis-
 oder Diabetes mellitus [1, 2]. In der kli-                        zu verlieren. In diesem Zusammenhang        ziplinären universitären Alterszentrum
 nischen Versorgungsrealität rücken                                steht das Gesundheitssystem insbe-          zunehmend bei älteren Patienten bei
 zunehmend die langwierige Therapie                                sondere in Sachsen wegen der ungüns-        schwerer Covid-19-Infektion protra-
 und der komplikationsträchtige Verlauf                            tigen Kombination aus den höchsten          hierte Delirverläufe. Hier analysieren
 nach COVID-19-Infektion in den Fokus
 [1, 2]. Wie die hohe Mortalität nach
 Infektionen in Alters- und Pflegehei-                                                                         KLINISCHE VIGNETTE
 men belegen, sind ältere Menschen
 aufgrund eingeschränkter Reserven                                    Ein 83-jähriger Mann mit kontrolliertem Diabetes mellitus Typ 2 und
 besonders vulnerabel für einen schwe-                                arterieller Hypertonie stellte sich zehn Tage nach dem Besuch seiner
 ren COVID-19-Verlauf, aber auch für                                  Enkeltochter (Krankenschwester) aufgrund eines fieberhaften Infektes
 ausgeprägte neuropsychiatrische Symp­                                mit Reizhusten und zunehmender Schwäche in der Notaufnahme vor.
 tome [3]. Insbesondere für ältere Pati-                              Der PCR-Test für SARS-CoV-2 war positiv und der Patient wurde zwölf
                                                                      Stunden später bei respiratorischer Insuffizienz und zunehmender
                                                                      Erschöpfung nicht-invasiv beatmet. In der Fremdanamnese ergab
 1
         UniversitätsCentrum für Gesundes                             sich eine milde kognitive Einschränkung mit leichter Vergesslichkeit
         Altern, Universitätsklinikum Carl Gustav                     über die letzten zwei Jahre. Während der insgesamt zwölftägigen
          Carus, Technische Universität Dresden                       Therapie auf der Intensivstation (für insgesamt zehn Tage erhielt er
     2
         Zentrum für Altersmedizin, Fachkliniken                      Dexamethason [6 mg/d]) wirkte er unruhig, desorientiert, fluktuierend
          für Geriatrie Radeburg                                      vigilanzgestört und zog sich mehrmals die intravenösen Zugänge.
     3
         Medizinische Klinik und Poliklinik III,                      Durch Reizabschirmung, eine konsequente Physiotherapie (die bereits
          Universitätsklinikum Carl Gustav Carus,                     auf der Intensivstation begonnen wurde), regelmäßigen Kontakt mit
         Technische Universität Dresden                               seiner Ehefrau über ein Videotelefonat und weitere reorientierende
     4
         Klinik und Poliklinik für Neurologie,                        Maßnahmen (Familienfotos, Uhr, Datum) besserte sich das Delir.
          Universitätsklinikum Carl Gustav Carus,                     Diese Therapien und Maßnahmen wurden für weitere 14 Tage auf
         Technische Universität Dresden                               einer Post-COVID-Station (bei negativem PCR-Befund) im Rahmen
     5
         Universitäts DemenzCentrum,                                  einer geriatrischen Komplexbehandlung durch intensive Ergo- und
         ­Universitätsklinikum Carl Gustav Carus,                     Physiotherapie ergänzt. Auch wenn die Physiotherapie in persönlicher
         Technische Universität Dresden                               Schutzkleidung eine Herausforderung war, konnten die Therapeuten
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         Deutsches Zentrum für Neurodegenera-                         frühzeitig Techniken zur Unterstützung der Atmung und Mobilisierung
         tive Erkrankungen, DZNE                                      einsetzen. Ergotherapie kam später im Verlauf der Behandlung zur
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         Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und                    Anwendung, um kognitive Fähigkeiten und Handlungskompetenzen
         Psychotherapie, Universitätsklinikum                         zu stärken. Der Patient wurde nach insgesamt 26 Krankenhaustagen
          Carl Gustav Carus, Technische                               nach Hause entlassen.
         Universität Dresden

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Delir bei Covid-19 - Risikofaktoren und Behandlung
CORONA-PANDEMIE

                                                                                                                              Phänomen der stummen Hypoxämie
                                                                                                                               erscheint zunächst ungewöhnlich, ist
                                                                                                                              aber pathophysiologisch plausibel [4].
                                                                                                                              Zunehmende Hypoxämie erfordert bei
                                                                                                                              schweren Verläufen die Gabe von
                                                                                                                              Sauer­stoff über High Flow oder eine
                                                                                                                              nicht-invasive Beatmung, welche von
                                                                                                                               den Patienten als bedrohlich empfun-
                                                                                                                               den wird. Bei fortschreitender Ein-
                                                                                                                              schränkung der Lungenfunktion erfolgt

                                                                                                    © shutterstock/bonsales
                                                                                                                               die invasive Beatmung und Intensiv-
                                                                                                                              therapie auf einer Intensivstation. Die
                                                                                                                              Dynamik erfordert oft rasche Orts-
                                                                                                                              wechsel mit Verlegungen innerhalb und
Oft fällt es schwer, a priori Symptome eines Delirs von denen einer Demenz oder Depression abzugrenzen.                       zwischen den Kliniken mit der Folge
                                                                                                                               einer sich schnell ändernden Umge-
 wir die zugrundeliegenden Risikofakto-              matischere 4AT-Test (http://www.                                         bung in reizintensiver Atmosphäre. Bei
 ren und bieten interdisziplinäre Lösungs­           the4at.com/) mit Bewertung der Kate-                                     schweren Verläufen werden verschie-
­ansätze an. Neben Aspekten pharma-                  gorien Wachheit, Orientierung, Aufmerk­                                   dene delirogene Medikamente einge-
 kologischer und nicht-pharmakologi-                 samkeit und Fluktuation.                                                 setzt, insbesondere hochdosiertes
 scher Behandlung diskutieren wir struk­                                                                                      Dexamethason, welches bei fast allen
 turell-räumliche Rahmenbedingungen                  Verschiedene akute Infektionen, die                                       unserer Patienten mit Delir nach
 und die Bedeutung altersmedizinischer               eine Akut- und Intensivtherapie erfor-                                    COVID-19 gegeben worden war.
 Kompetenz in allen beteiligten Berufs-              dern, können bei vulnerablen älteren                                     Bei über 80-jährigen Menschen mit
 gruppen.                                            Menschen häufig ein Delir verursachen.                                   typischer geriatrischer Komorbidität ist
                                                     Beispielsweise liegt bei bakterieller                                     die Entwicklung eines Delirs im Zusam-
Definition und mögliche Auslöser                     Pneumonie mit Beatmungspflicht für                                       menhang mit COVID-19 häufig, insbe-
für ein Delir bei COVID-19                           Menschen über 65 Jahren das Risiko für                                   sondere bei kognitiver Einschränkung
Das Delir ist definiert als akute orga-              ein Delir bei 30 bis 50 Prozent. Bei                                      und Demenz. Gerade in dieser Popula-
nisch bedingte Psychose mit Bewusst-                 COVID-19 kommt es jedoch zu einer                                        tion ist die Ansteckungsgefahr durch
seinsstörungen, Störungen der Aufmerk­               ungünstigen Akkumulation auslösen-                                        fehlende Einsicht in die Hygieneregeln
samkeit, Orientierung und Wahrneh-                   der Faktoren. Hierbei unterscheiden wir                                  hoch und die Compliance mit den the-
mung sowie affektiven und vegetati-                  infektions- von patientenseitigen Risi­­                                 rapeutischen Maßnahmen gering. Die
ven Symptomen. Es ist durch fluktuie-                kofaktoren (Tab. 1).                                                      oben beschriebenen Umstände (Verle-
rende Symptome von mehr als 24                       Schwere COVID-19-Verläufe sind oft                                        gungen, Intensivstation, eingeschränk­
Stunden und weniger als zwei Wochen                  durch einen Zytokinsturm mit hohem,                                      ­te Kommunikation durch Mund-Nasen-
 gekennzeichnet und kann sich als                    undulierendem Fieber und Acute Res-                                      Masken, Besuchsverbot) wirken gerade
hyperaktive, hypoaktive oder ge­­misch­              piratory Distress Syndrome (ARDS)                                        bei dementen Patienten delirogen. Hin­
­te Form manifestieren. Als diagnosti-               gekennzeichnet. Eine Hypoxämie ist                                       zu kommt eine längere Immobilität, be­­
scher Goldstandard wird die Confusion                delirogen, wobei sie bei Patienten mit                                    dingt durch den Lockdown, während der
Assessment Method (CAM) eingesetzt,                  COVID-19 auch in Abwesenheit von                                          Infektion und auch danach durch eine
auf der Intensivstation auch der prag-               Dyspnoe vorkommen kann. Dieses                                           ausgeprägte Myopathie und Fatigue.

Tab. 1: Risikofaktoren für ein Delir bei COVID-19                                                                             Epidemiologie des Delirs
   COVID-19-Infektion                                    Patient                                                              bei COVID-19
   Zytokinsturm/hohes Fieber                             Alter > 80                                                           Neben den Leitsymptomen Fieber,
                                                                                                                              Hus­ten, Halsschmerzen und Hyposmie
   Beatmung/Hypoxämie                                    geriatrische Komorbiditäten
                                                                                                                              treten bei älteren Patienten gehäuft
   Intensivtherapie                                      kognitive/sensorische Defizite
                                                                                                                              neurologische Symptome wie Aufmerk­
   Glukokortikoide                                       Immobilität                                                          samkeitsstörung,    Desorientiertheit,

Ärzteblatt Sachsen 3|2021                                                                                                                                                11
CORONA-PANDEMIE

     Sturzneigung und Vigilanzstörungen            dass ein Delir im Rahmen von COVID-19     Insbesondere der Hypothalamus, der
     auf. Einzelne Fallserien beschreiben          eher den Schweregrad der Erkrankung       Hippocampus, das Mittelhirn und der
     sogar atypische COVID-19-Verläufe bei         wider­spiegelt und nicht als unabhängi-   Hirnstamm gelten hinsichtlich der di­­rek­
     älteren Patienten, bei denen sich ein         ger Mortalitätsprädiktor fungiert.        ten ZNS-Invasion als vulnerabelste
     Delir als einziges oder erstes Symptom                                                  Hirnregionen [10, 11]. Die ZNS-Invasion
     vor dem Auftreten von Fieber oder res-        Neurotropismus von SARS-CoV-2             durch Corona-Viren über die Blut-Hirn-
     piratorischer Beschwerden präsentiert   Neben den typischen oben beschriebe-            Schranke gilt allgemein als selten und
     [5, 6].                                 nen delirogenen Faktoren während der            tritt meist erst spät im Erkrankungs-
                                             Behandlung von COVID-19 sind auch               verlauf auf [11], wobei die direkte intra-
  Erste Kohorten-Studien zeigen, dass die neuroinvasiven Eigenschaften von                   nasale Infektion mit früher Anosmie
  etwa 25 bis 28 Prozent der über SARS-CoV-2 ein wesentlicher Grund für                      eine Besonderheit von SARS-CoV-2
  65-jährigen hospitalisierten COVID-19-­ das hohe Delirrisiko von COVID-19-Pa-              darzustellen scheint [11]. Weitere klini-
  Patienten Symptome eines Delirs auf- tienten [10]. Bereits während früherer                sche Manifestationen eines ZNS-­
  weisen [7, 8]. Bei 16 Prozent der Patien- SARS- und MERS-Epidemien traten                  Be­­falls mit SARS-CoV-2 können Kopf-
  ten trat das Delir als erstes Symptom Delirien gehäuft auf, was das neuro­                 schmerzen (acht Prozent) und eine
  von COVID-19 auf, und immerhin 37 invasive Potenzial der Vertreter der                     zentral vermittelte Übelkeit (ein Pro-
  Prozent entwickelten weder respirato- Corona-Viren veranschaulicht [11]. SARS-­            zent) sein [11].
  rische Symptome noch Fieber [7]. Letz- CoV-2 nutzt den ACE-2-Rezeptor als
  tere Beobachtung unterstreicht den Eintrittspforte, der neben dem Respira-                 Prävention und Behandlung
  Stellenwert des Delirs als wichtigen tionstrakt auch im Bereich des oberen                 Vor dem Hintergrund neurologischer
  klinischen Marker einer COVID-19-­Ösophagus, auf Enterozyten des Darms                     Manifestationen bei COVID-19 [12] sind
  Infektion bei älteren Patienten. Im und im Hirngewebe exprimiert wird [11].                dyskognitive Symptome ein Alarmsig-
  Rahmen schwerer Krankheitsverläufe Die Invasion des zentralen Nervensys-                   nal für die Behandler. In einer Untersu-
  mit Notwendigkeit einer intensivmedi- tems durch SARS-CoV-2 erfolgt in drei                chung an über 40.000 Patienten mit
  zinischen Behandlung steigt die Delir- Phasen:                                             COVID-19 wurden bei über 22 Prozent
  Prävalenz auf bis zu 80 Prozent [9]. Ne­­- (I) Zunächst kommt es zur direkten              der Patienten neuropsychiatrische Symp­
 -ben einem schweren COVID-19-Verlauf            Invasion durch retrograden                  tome identifiziert [13]. Durch sie steigt
  waren in den genannten Studien ein             axonalen Transport über olfaktori-          die Wahrscheinlichkeit für ein Delir in
  höheres Lebensalter, vorbestehende             sche Nerven oder transvasal über            einer ohnehin schon vulnerablen Pati-
  Pflegebedürftigkeit und neuropsychia-          die Blut-Hirn-Schranke.                     entengruppe mit oft vorbestehenden
  trische Vorerkrankungen (Demenz, M. (II) Nachfolgend infiziert das Virus                   kognitiven Einbußen.
  Parkinson, zerebrovaskuläre Erkran-            Astrozyten und Mikroglia über den
  kungen) die wichtigsten Prädiktoren für        ACE-2-Rezeptor, leitet die Replika-         Erkennen und Bewerten
  die Entwicklung eines Delirs. Zudem ist        tion ein und führt zum Zelltod.             Ein Delir sollte rasch erkannt und
  ein Delir im Rahmen von COVID-19 mit (III) Im letzten Schritt mündet die                   adäquat behandelt werden. Nicht nur
  einer erhöhten Mortalität assoziiert.          Immunantwort gegen SARS-CoV-2               prolongierte Delirien sind nach ihrer
  Allerdings bestand diese Assoziation in        in den bereits beschriebenen                Remission mit einem Risiko für dauer-
  den bisherigen Studien nicht unabhän-          Zytokinsturm, der als wesentliche           hafte kognitive Schäden verbunden,
  gig von Alter, Multimorbidität und             Ursache für die gestörte ZNS-               bereits bei einem über zehn Tage
  Schweregrad der respiratorischen               Funktion bei COVID-19 angesehen             anhaltenden Delir ist dies möglich [14].
  Symp­tome. Es ist daher anzunehmen,            wird [10].                                  Zunächst ist es wichtig, dass dem
                                                                                             gesamten Behandlungsteam das Delir
                                                                                             in seinen verschiedenen klinischen
     Tab. 2: Abgrenzung Delir vs. Demenz
                                                                                             Ausprägungen (hyperaktiv, hypoaktiv,
                                           Delir                    Demenz                   gemischt) als häufige Komplikation
        Beginn                             plötzlich                schleichend              bekannt ist. Berufsgruppenübergrei-
        Dauer                              Stunden bis Tage         Monate bis Jahre         fende Teambesprechungen und Visiten
                                                                                             erlauben es, Symptome gemeinsam zu
        Aufmerksamkeit                     reduziert                normal
                                                                                             würdigen und einzuordnen. Die ein-
        Bewusstsein/Vigilanz               wechselnd                intakt                   gangs erwähnten Assessments wie die

12                                                                                                                Ärzteblatt Sachsen 3|2021
CORONA-PANDEMIE

CAM können sinnvolle Hilfsmittel sein,
um die Diagnostik zu unterstützen,
müssen aber im klinischen Gesamt-
kontext interpretiert werden.

 Oft fällt es schwer, a priori Symptome
 eines Delirs von denen einer Demenz
 oder Depression abzugrenzen, und
 letztlich können verschiedene Erkran-
kungen und Syndrome parallel vorlie-
 gen (Tab. 2). Entscheidend ist in diesem
Fall die Erhebung einer Fremdanam-
nese von Angehörigen, Heimpersonal
 oder Hausarzt und eine interdiszipli-
näre Zusammenarbeit. Die Demenz
von einem Delir abzugrenzen oder das
 gemeinsame Vorliegen zu erkennen, ist
 ohne Fremdanamnese nicht möglich.
Sie gibt Auskunft darüber, ob und wel-
 che kognitiven Defizite bereits vor
 COVID-19 bestanden. Eine psychiatri-
sche Expertise kann hilfreich sein, ge­­
 drückte Stimmung, Apathie und An­­
 triebs­­
        defizit zu differenzieren, oder
verständliche Sorgen von pathologi-
schen affektiven Veränderungen zu
 unterscheiden. Kontaktbeschränkungen
 und Besuchsverbote machen es in der
 COVID-19-Pandemie erforderlich, Ange­
­hörige aktiv und regelmäßig zu kontak-

                                                                                                                                               © Universitätsklinikum Dresden/Marc Eisele
 tieren, um dyskognitive Phänomene in
Art und Ausprägung als vorbestehend
 oder neu aufgetreten zu bewerten.
Zusätzlich kann während des stationä-
 ren Aufenthaltes die mehrfache An­­
 wendung kognitiver Kurztestverfahren
 in der Differenzialdiagnostik hilfreich
sein. Selbst bei anamnestisch vorbe-        Eine interdisziplinäre altersmedizinische Station bietet das ideale Setting für eine hochwertige
kannter Demenz kann eine Verbesse-          Patientenversorgung nach COVID-19.
rung im Mini-Mental Status Test (MMST)
 oder Montreal Cognitive Assessment         bildgebenden Diagnostik sind wichtig  Stellenwert: Reorientierung durch gut
 (MoCA) Indiz dafür sein, dass von der      zu würdigen, da weitere Auslöser in   sichtbare Uhren und Kalender, Sicher-
Demenz unabhängige dyskognitiv wirk­        Kombination mit COVID-19 ätiologisch  stellung des Gebrauchs von Hilfsmit-
same Mechanismen, wie beispiels-            bedeutsam sein könnten.               teln wie Brille und Hörgerät, beruhi-
 weise metabolische Entgleisungen oder                                            gende Atmosphäre, Einbeziehen von
 ein Delir, die Gesamtheit der kognitiven   Nichtpharmakologische Prävention Angehörigen, Vermeidung von statio-
Einbußen zur Aufnahme mitbedingt            und Therapie                          nären Verlegungen, Mobilisierung, aus-
haben. Die Vielzahl delirauslösender        In der nichtpharmakologischen Präven- reichende Flüssigkeits- und Nahrungs-
Faktoren, und die entsprechenden            tions- und Behandlungsstrategie haben zufuhr, Behandlung von Schmerzen und
Möglichkeiten der laborchemischen und       folgende Maßnahmen einen hohen Minimierung delirogener Medikation

Ärzteblatt Sachsen 3|2021                                                                                                                                                                   13
CORONA-PANDEMIE

 [15]. Auch in der COVID-19-Pandemie        ierten Delir gibt es erste Erfahrungen         limitiert eine mögliche Atemdepression
 gilt, dass nichtmedikamentöse Inter-       zu pharmakologischen Therapiestrate-           noch zusätzlich [16].
 ventionen den höchsten Evidenzgrad in      gien, wobei auf den individuellen Heil-
 der Primärprävention eines Delirs be­­     versuch hingewiesen werden muss.               Ausblick
 sitzen [15]. Maßnahmen der Isolation,      Weiterhin ist es wichtig, dass poten-     Unklar bleibt, ob die mögliche Hetero-
 medizinisches Personal in Schutzklei-      zielle Nebenwirkungen einer neurolep-     genität bei COVID-19-assoziierten Deli-
 dung, Alarme und Veränderungen im          tischen Be­­handlung (extrapyramidale     rien – ausgelöst über den Zytokinsturm
 Tag-Nacht-Rhythmus können ängsti-          und zerebrovaskuläre Effekte, Kardio-     oder eine direkte virale Beteiligung des
 gen und bedrohlich wirken. Bei einge-      toxizität) bei der hier betrachteten oft  ZNS – unterschiedliche Behandlungs-
 schränkter nonverbaler Kommunika-          hochbetagten Patientengruppe berück-      strategien nach sich ziehen sollte. Das
 tion sind klare und verbindliche Gesprä-   sichtigt werden.                          Delir trägt jedoch wesentlich zu einer
 che wichtig und für den Patienten eine                                               prolongierten Hospitalisierung mit
 Möglichkeit zur Orientierung und Rück-     Melatonin und Melatoninrezeptor-­akutmedizinischem Behandlungsbe-
 versicherung. Die Sprache sollte klar,     Agonisten werden aufgrund ihrer darf bei, auch nach nicht mehr beste-
 laut und langsam sein und Informatio-      schlafregulierenden, immunmodulato- hender Infektiosität. Präventive und
 nen sollten wiederholt vermittelt wer-     rischen und neuroprotektiven Wirkun- therapeutische Ansätze müssen daher
 den. Kreative Lösungen, wie das Tragen     gen als interessante Substanzen in der kontinuierlich gewährleistet sein. Hier-
 von großen Namensschildern oder Por-       frühen medikamentösen Delirbehand- für ist spezifische internistische, neu-
 trätfotos können eine gute Ergänzung       lung ge­­sehen [17, 21]. Alpha-2-Agonis- rologische, psychiatrische und pharma-
 sein [16]. Patienten sollten Zugang zu     ten könn­­ten in einem weiteren Schritt kologische Expertise erforderlich. Die
 Telefonen und Tablets haben, wenn sie      vor den Neuroleptika eingesetzt wer- Behandlung kann in einem interdiszip-
 mit dieser Technologie vertraut sind,      den, beispielsweise Dexmedetomidin linären Team wesentlich besser gelin-
 um mit Angehörigen in Kontakt zu blei-     oder Clonidin. In der neuroleptischen gen als über konsiliarische Hilfen. Eine
 ben [17]. Pflegerische Maßnahmen sind      Be­­hand­lung bei Delir und COVID-19 er­­ interdisziplinäre        altersmedizinische
 möglichst am Tag und nicht nachts          scheint Olanzapin aufgrund des im Ver- Station im Behandlungspfad bietet das
 durchzuführen (daytime care cluste-        gleich zu Haloperidol oder Risperidon ideale Setting für eine hochwertige
 ring) [18].                                günstigeren kardiovaskulären Risiko- Patientenversorgung nach COVID-19.
                                            profils geeignet, potenzielle Interaktio- Neuropsychiatrische Phänomene wer-
     Pharmakologische Therapie              nen mit Remdesivir sind weniger gra- den nicht „zusätzlich“ behandelt, sie
 Eine pharmakologische Delirprävention      vierend als bei anderen Neuroleptika sind Teil von COVID-19. Die Bewertung
 wird leitliniengerecht nicht empfohlen,    [17]. Haloperidol bleibt aber auch insbe- von medikamentösen Interaktionen
 es existieren jedoch einzelne Hinweise     sondere aufgrund der verschiedenen und Vermeidung von Polypharmazie
 zum Nutzen von Melatoninagonisten          Darreichungsformen eine nützliche wird nicht allein durch Mitarbeiter der
 oder Neuroleptika [15]. Wenn nicht­        Option [17]. Die Notwendigkeit zur Über­ Klinikapotheke möglich, sie gelingt im
 medikamentöse Behandlungsoptionen          wachung kardialer Funktionen, zum Austausch mit dem gesamten Behand-
 nicht oder unzureichend wirksam sind,      Beispiel der QTc-Zeit, ist bedeutsam, lungsteam, welches neben dem ärztli-
 kann eine pharmakologische Therapie        auch wenn kardiale oder auch extrapy- chen und pflegerischen Dienst auch Phy-
 des Delirs zusätzlich erfolgen. Häufige    ramidale Nebenwirkungen unter nied- sio-, Logo- und Ergotherapie sowie den
 Indikationen sind schwere Agitation,       riger Dosierung der Neuroleptika selten Sozialdienst einschließt. 
 Incompliance für lebensnotwendige          auftreten. Selbstverständlich gilt auch
 Behandlungen oder anderweitig dro-         gerade bei den Patienten mit COVID-                       Literatur unter www.slaek.de ➝
 hende Selbstschädigung [19]. Am häu-       19-assoziiertem Delir eine geringe                                Presse/ÖA ➝ Ärzteblatt

 figsten findet in der pharmakologi-        Startdosis und langsame Dosistitration                          Korrespondierender Autor
 schen Delirbehandlung Haloperidol An­­     als allgemeine Richtlinie [17]. Benzodi-                   Prof. Dr. med. Lorenz Hofbauer
 wendung, auch wenn atypische Neuro-        azepine sollten generell in der Behand-         UniversitätsCentrum für Gesundes Altern
                                                                                                    Bereich Endokrinologie/Diabetes/
 leptika wie Risperidon oder Olanzapin      lung des nicht-entzugsbedingten Delirs                              Knochenerkrankungen,
 in dieser Indikation äquipotent erschei-   vermieden werden. Ihre Wirksamkeit             Medizinische Klinik III, Universitätsklinikum
                                                                                         Dresden & Center for Regenerative Therapies
 nen und ein günstigeres Nebenwirkungs­     ist nicht belegt und sie erhöhen das
                                                                                       Dresden (CRTD) Technische Universität Dresden
 profil aufweisen [19, 20]. Im Zusam-       Risiko für Stürze und Übersedierung                    Fetscherstraße 74, 01307 Dresden
 menhang mit einem COVID-19-assozi-         [22], im Zusammenhang mit COVID-19 E-Mail: lorenz.hofbauer@uniklinikum-dresden.de

14                                                                                                                Ärzteblatt Sachsen 3|2021
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