Kommt die Pharmakogenomik

 
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Kommt die Pharmakogenomik
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           Foto:
           van den Heuvel

                                                               Pharmakogenomik

                   Kommt die
            maßgeschneiderte Pille?
                                         Margret R. Hoehe
                                            Sascha Sauer

                                                            Viele Medikamente wirken von Mensch zu Mensch unter-
                                                            schiedlich. Schuld daran ist das unterschiedliche geneti-
                                                            sche Make-up von Individuen. Zum einen können Gene,
                                                            die die unmittelbaren Zielmoleküle für Pharmaka kodie-
                                                            ren, individuell verändert sein, zum anderen Gene, die
                                                            die Verstoffwechselung der Pharmaka im Körper steuern.
                                                            Eine genaue Kenntnis der betroffenen Gensequenzen
                                                            würde zusammen mit Gentests eine individuelle Vorher-
                                                            sage der Wirkung sowie Dosierung des Medikamentes
                                                            ermöglichen.

                                                                                                                 39
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           Kommt die                                  ☺☺☺☺                                                 ☺☺☺☺
           maßgeschnei-                                ☺☺☺                                                  ☺☺☺
           derte Pille?                                 ☺☺                                                   ☺☺
                      ährend sich manche
                                                         ☺Patienten-DNA
                                                                                                              ☺
         W
                                                                                                               Kontroll-DNA
                     nach einem Glas Wein
                    deutlich angeheitert füh-
           len, verspüren andere kaum eine
           Wirkung. Ähnlich unterschiedlich
           kann auch der Effekt von Medika-             Untersuchung von Polymorphismen in Kandidatengenen: Die Allele verschie-
                                                        dener Polymorphismen werden in Patienten- und Kontroll-Genomen unter-
           menten sein. Die individuelle Arz-
                                                        sucht und miteinander verglichen. Allele von Polymorphismen, die lediglich bei
           neimitteltherapie wird daher in
                                                        Patienten-DNAs auftauchen, können mit einer von der Norm abweichenden
           der modernen Genomforschung,                 Reaktion auf bestimmte Medikation assoziiert sein.
           molekularen Medizin und indus-               Grafik: Hoehe/Sauer
           triellen pharmazeutischen For-
           schung ein immer wichtigeres
           Gebiet werden.                                 Die Tatsache, dass Arzneimittel       Die Erfassung von DNA-Sequenz-
                                                      bei verschiedenen Menschen ver-           unterschieden durch den Ver-
                                                      schieden wirken können, ist lange         gleich von Individuen, Populatio-
           Arzneistoffwirkung auf molekularer         bekannt. Das Spektrum der Beob-           nen und Arten wird vorrangiges
           Basis: Ein Pharmakon (Bildmitte) bin-      achtungen reicht von ungewöhn-            Ziel der nun beginnenden Phase
           det an einen Rezeptor, hier ein Protein.   lich starken Reaktionen auf Medi-         der „vergleichenden Genomik“
           Die Konzentration der Rezeptormole-        kamente über die mangelnde                sein. Die Frage ist: Was unter-
           küle kann von Mensch zu Mensch             Effizienz einer therapeutischen           scheidet uns Menschen voneinan-
           unterschiedlich sein und zu starken        Wirkung bis hin zu schweren und           der, nicht nur in Bezug auf äußere
           Schwankungen in der Wirkung von            im Extremfall sogar tödlichen             Eigenschaften, sondern auch auf
           Arzneimitteln führen.                      Nebenwirkungen. Diese indivi-             das vererbte Risiko, eine bestimm-
           Grafik: Aventis Pharma                     duell unterschiedliche Reaktion           te Krankheit zu entwickeln, oder
                                                      auf Arzneimittel wurde bereits            auf Arzneimittel mit unerwünsch-
                                                      in den 20er- und 50er- Jahren des         ten oder gefährlichen Nebenwir-
                                                      20. Jahrhunderts mit der genetisch        kungen zu reagieren – und wie
                                                      bedingten biochemischen Einzig-           stellt man eine Beziehung her zwi-
                                                      artigkeit des Menschen in Zusam-          schen diesen Eigenschaften und
                                                      menhang gebracht.                         der interindividuellen Variabilität
                                                          Ziel der Pharmakogenomik ist          von Gensequenzen? Erschwert
                                                      es, die genetischen Ursachen zu           wird diese Aufgabe, da sich die
                                                      erforschen, die der individuell           genetische Variabilität auf unter-
                                                      unterschiedlichen Ansprechbarkeit         schiedliche Weise auf die Wech-
                                                      auf Therapeutika zugrunde liegen.         selwirkungen zwischen Medika-
                                                      Langfristig soll dadurch die Arz-         ment und Organismus auswirken
                                                      neimitteltherapie verbessert und          kann, so dass die individuelle Arz-
                                                      individuell optimiert werden. Da-         neiwirkung auf unterschiedlichen
                                                      mit geht die Identifizierung von          Ursachen beruht.
                                                      Genen und ihren Allelen einher,
                                                      die für die Entstehung und den
                                                      Verlauf von Krankheiten verant-           Verschiedene Gen-
                                                      wortlich sind.                            varianten – dieselben
                                                          Das humane Genomprojekt hat           Symptome
                                                      durch die Veröffentlichung der
                                                      nahezu vollständigen Sequenz des
                                                      menschlichen Genoms im Jahr               Manchmal ist dasselbe Krank-
                                                      2001 die Voraussetzung dafür              heitsbild durch unterschiedliche
                                                      geschaffen, die Grundlagen der            genetische Ursachen bedingt
                                                      genetischen Variabilität des Men-         (man spricht auch von „geneti-
                                                      schen systematisch auf der DNA-           scher Heterogenität“). Dann eig-
                                                      Sequenzebene zu erforschen.               net sich das verabreichte Medika-

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        ment möglicherweise aufgrund           unterschiedlicher Genvarianten in     bel, was sich in vielfältigen Funk-
        seines Wirkmechanismus nicht,          der Bevölkerung vor. Eine Arbeits-    tionsveränderungen ihrer Genpro-
        die beim betreffenden Individu-        gruppe am Max-Planck-Institut für     dukte äußert. Große Variabilität ist
        um tatsächlich gegebene moleku-        Molekulare Genetik fand insge-        bei diesen Genen eher die Regel
        lare Pathologie zu beeinflussen.       samt 15 verschiedene DNA-Se-          als die Ausnahme, und viele Arz-
        Ein klassisches Beispiel dafür ist     quenzunterschiede innerhalb von       neimittel zeigen für verschiedene
        der Bluthochdruck, der durch eine      circa 3100 Basenpaaren, die in        Patienten große Unterschiede in
        Vielzahl unterschiedlicher Mecha-      einer großen Anzahl unterschied-      Wirksamkeit und Toxizität. Zum
        nismen verursacht werden kann,         licher Kombinationen dieser Ein-      Beispiel Chemotherapeutika: Sie
        angefangen von Variabilität in         zelvarianten, sogenannte Haplo-       können für manche Patienten auf-
        Genen, die die Salzsensitivität        typen, resultierten. Eine amerika-    grund einer genetischer Variabi-
        des Menschen kontrollieren, bis        nische Studie konnte zeigen, dass     lität in Genen, die den Transport
        hin zu seltenen monogenen En-          bestimmte Haplotypen dieses           des Therapeutikums in das Zielor-
        zymdefekten. Mittlerweile gibt es      Gens, die die Expression des Re-      gan kontrollieren, wirkungslos
        ein Spektrum an Medikamenten,          zeptors verändern, für Medika-        sein. Besondere Bedeutung
        die vollkommen unterschiedliche        mente wie  -2-Antagonisten           kommt den Variationen in Genen
        molekulare Mechanismen beein-          unterschiedlich sensitiv sind. Dies   zu, die die Pharmaka- und Fremd-
        flussen. Ist der individuell vorlie-   führt dazu, dass  -2-Antagonisten    stoff-abbauenden Enzyme kodie-
        gende Mechanismus bekannt,             bei der Behandlung von Asthmati-      ren. Dazu gehören beispielsweise
        könnte somit ein speziell auf ihn      kern unterschiedlich wirksam sind.    Cytochrom-P450-Enzyme. So wur-
        abgestimmtes Medikament ver-           Weitere Beispiele sind das Apoli-     den bei Patienten mit dem soge-
        abreicht werden. Ein weiteres          po-Protein E, welches mit einer       nannten Debrisoquin-Spartein-
        Beispiel ist das klinische Erschei-    bestimmten Form der Alzheimer-        Polymorphismus bei oder nach
        nungsbild der spät ausbrechen-         schen Erkrankung korreliert ist       der Gabe des Bluthochdruck-Me-
        den Form der Alzheimerschen            und unterschiedlich gut auf einen     dikaments Debrisoquin langdau-
        Erkrankung, das immer gleich ist,      Cholinesterase-Inhibitor anspricht    ernde, gefährliche Blutdruckab-
        unabhängig davon, ob Mutatio-          je nachdem, welche Genvariante        fälle beobachtet. Andererseits
        nen im sogenannten „Amyloid-           vorliegt.                             kann es nach der Gabe des Medi-
        Precursor-Protein“-Gen oder in
        den Genen für die sogenannten
        Preseniline 1 und 2 vorkommen.
        Dies ist aber wichtig zu wissen,
        um gezielt ein Alzheimer-Medika-
        ment zu entwickeln und effizient
        einzusetzen.

        Genvarianten reagieren
        auf Medikamente unter-
        schiedlich sensitiv

        Das durch das Medikament un-
        mittelbar beeinflusste Zielmolekül
        (zum Beispiel ein Rezeptor oder
        ein Enzym) liegt bei der Bevölke-
        rung in individuell unterschied-
        lichen Genvarianten vor, die
        gegenüber dem Medikament
        unterschiedlich sensitiv sind. Ein
        optimaler therapeutischer Effekt
        ist in diesem Fall nur bei einem
        Teil der behandelten Patienten
        möglich.
            Ein Beispiel dafür ist das  -2-
        adrenerge Rezeptor-Gen, dessen         Mutationen stören                     In der klassischen Pharmazie galten
        Genprodukt Zielmolekül für be-         Stoffwechselwege                      Alter und Gewicht als Hauptfaktoren
        sonders häufig verschriebene Arz-                                            für die Dosierung von Arzneistoffen.
        neimittel ist, wie beispielsweise      Die Gene, die den Transport und       Die Pharmakogenomik erweitert die
        für Betablocker gegen Bluthoch-        die Verstoffwechslung von phar-       Palette um die genetische Ausstat-
        druck. Dieses Gen ist sehr variabel    mazeutischen Wirksubstanzen           tung eines Menschen.
        und liegt in Form vieler individuell   steuern, sind teilweise sehr varia-   Foto: Bezjak/Aventis Pharma

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                                                  CAGCTGGGGCAGTGGTGGGGGGCCTTGGCG                                  DIELIEBE
           Kommt die                              C A G C T G G G G C A G T G GA G G G G G G C C T T G G C G      D I EH I E B E

           maßgeschnei-                             Q L G QWWG A L A
           derte Pille?                             Q L G QW R G A L A
                                                 Ein SNP ist ein Basenaustausch innerhalb der DNA-Sequenz. Der Buchstabencode
           kaments Spartein an Patienten mit     der DNA ist wie folgt: G bedeutet Guanin, A Adenin, C Cytosin und T Thymin. Drei
           Herzrhythmusstörungen zu Thera-       DNA-Basen kodieren eine bestimmte Aminosäure. Die dickgedruckten Buchstaben
           pieversagen kommen. Diese Aus-        entsprechen Aminosäuren, den Bausteinen der Proteine. W ist die Abkürzung für
           wirkung von Genvarianten ist be-      die Aminosäure Tryptophan und R steht für Arginin. Wie analog zur deutschen
           sonders bedeutsam, da auch zahl-      Sprache gezeigt ist, kann ein SNP an entsprechender Stelle in der Gensequenz zu
           reiche andere Pharmaka mit Hilfe      einem Aminosäure-Austausch und gegebenenfalls zu gravierenden Veränderungen
           von P450-Enzymen abgebaut wer-        in Struktur, Funktion oder Expression des Gen-Produktes, des Proteins, führen.
           den müssen, zum Beispiel tricyc-      Grafik: Hoehe/Sauer
           lische Antidepressiva oder Beta-
           blocker – mit entsprechenden
           Nebenwirkungen.                       dramatische quantitative Unter-          kodieren. Ein individuelles gene-
               Unerwartete Medikamenten-         schiede im Stoffwechsel (Konzen-         tisches Profil wichtiger Wirkstoff-
           wirkungen können auch durch           trationsunterschiede) und in der         Ziele könnte dem behandelnden
           Wechselwirkungen auftreten, die       Wirkung von Arzneimitteln sind           Arzt eine wichtige Entscheidungs-
           durch die gleichzeitige Einnahme      eher die Regel als die Ausnahme.         hilfe bei der Verschreibung des
           mehrerer Medikamente verursacht       Im Gegensatz dazu sind unge-             bestmöglichen Medikaments für
           werden, oder durch eine Wechsel-      wöhnlich verstärkte Wirkungen            den einzelnen Patienten geben.
           wirkung mehrerer individuell vari-    und Nebenwirkungen von Arznei-           Um die Reaktion des Patienten auf
           abler Gene im Zuge der Verstoff-      mitteln, wie sie oben beschrieben        Medikamente vorherzusagen und
           wechslung entstehen.                  wurden, nicht allzu häufig und fol-      gegebenenfalls zu optimieren, be-
                                                 gen den Mendelschen Gesetzen             ziehungsweise schädliche Neben-
                                                 der Vererbung.                           wirkungen zu verhindern, sind zu-
           Medikamente setzen                                                             sätzlich Informationen über die in-
           komplexes Räderwerk in                                                         dividuelle genetische Variabilität
           Gang                                  Das Übel                                 der Gene für die verstoffwechseln-
                                                 an der Wurzel packen                     den Enzyme und Transportprotei-
                                                                                          ne notwendig.
           Schließlich ist es wichtig zu be-     Die Aufklärung von Krankheits-
           rücksichtigen, dass viele Krank-      mechanismen verspricht zugleich
           heiten, besonders die wichtigen       die Identifizierung neuer Zielmo-        Das Signal vom
           Volkskrankheiten Krebs, Bluthoch-     leküle für Therapeutika. Diese sol-      Rauschen trennen
           druck, Diabetes, Fettsucht, Depres-   len es dann ermöglichen, optima-
           sion, Schizophrenie etc., sowie die   le, das heißt spezifisch auf die         Die weitaus häufigsten Varianten
           weitaus meisten pharmakogene-         individuelle Krankheitsursache           im menschlichen Genom sind die
           tisch relevanten Krankheitssymp-      zugeschnittene Medikamente zu            sogenannten Einzelnukleotid-Poly-
           tome multifaktoriell bedingt sind.    entwickeln und somit „das Übel           morphismen (SNPs), bei denen
           Sie sind das Ergebnis von Gen-        direkt an seiner Wurzel zu pa-           eine DNA-Base mit einer anderen
           Gen-Umwelt-Interaktionen, bei         cken“. In Verbindung mit der Ent-        ausgetauscht worden ist. Für die
           denen mehrere Gene eine Rolle         wicklung einer verbesserten und          Pharmakogenomik sind besonders
           spielen. Jedes Gen ist in seiner      differenzierten Diagnostik könnte        solche SNPs von großer Bedeu-
           Funktion notwendig, jedoch nicht      so im Idealfall die genetische Dis-      tung, die potentiell einen signifi-
           hinreichend. Der von einem Medi-      position bereits vor dem Eintritt        kanten Einfluss auf die Struktur,
           kament ausgelöste Effekt basiert      der Erkrankung festgestellt und          Funktion und Regulation der Ex-
           in der Regel auf einer ganzen Ket-    die Entwicklung der Erkrankung           pression von Proteinen haben.
           tenreaktion zwischen Molekülen,       durch frühzeitige pharmazeu-             Nach den ersten systematischen
           an deren Ende schließlich eine zel-   tische Intervention verhindert           Genanalysen zeigt sich, dass Gene
           luläre Reaktion steht. Außerdem       werden.                                  und das menschliche Genom sehr
           können Umweltfaktoren wie Er-             Alle Aspekte einer modernen          viel variabler sein können als ur-
           nährung, Tabakkonsum, Alkohol-        Pharmakogenomik erfordern im-            sprünglich angenommen. Was das
           genuss etc. die Wirkung von Me-       mer die Kenntnis der Variabilität        Ausmaß der interindividuellen
           dikamenten beeinflussen. Mehr         von Genen, die für Zielmoleküle          DNA-Sequenzvariabilität anbe-
           oder weniger ausgeprägte, wenig       pharmakologischer Substanzen             trifft, so unterscheiden sich zwei

             42   mensch+umwelt spezial 16. Ausgabe 2003
Kommt die Pharmakogenomik
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         SNP                   1   2   3           senpaare). Die große Herausforde-       zu identifizieren, die mit den Phä-
                                                   rung besteht nun darin, die wich-       notypen assoziiert sind. Solche
         Genotyp              C/G T/A C/G
                                                   tigen von den unwichtigen Varian-       „Assoziationsanalysen“ werden
         Haplotyp 1            C   T   C           ten zu trennen, das „Signal“ aus        gegenwärtig als Strategie der
         Haplotyp 2            G   T   C           dem „Rauschen“ einer hohen              Zukunft in der Erforschung gene-
              :                                    gegebenen natürlichen Variabilität      tisch komplexer Erkrankungen
                                                   zu filtern.                             bzw. Merkmalsbereiche angese-
         Haplotyp 8           G     A      G
                                                       Der erste Schritt im Gesamt-        hen. Die „ultimative“ Strategie
                                                   prozess der Analyse von Genotyp-        könnte darin bestehen, alle Gene
        Aus n SNPs ergeben sich 2n Haplo-          Phänotyp-Beziehungen besteht in         des Genoms simultan in Gesun-
        typen. Bei 3 SNPs würde dies 8 ver-        der Identifizierung von sogenann-       den und Kranken zu untersuchen.
        schiedene Haplotypen mit 36 ver-           ten „Kandidatengenen“, d. h. von
        schiedenen Genotypen ergeben. In           Genen, die aufgrund ihrer Funk-
        der Regel entdeckt man nur einen           tion und/oder aufgrund ihrer chro-      Die Zukunft muss
        Bruchteil der theoretisch möglichen        mosomalen Lokalisation eine Rol-        erarbeitet werden
        Anzahl an Haplotypen im mensch-            le bei der Krankheitsentstehung
        lichen Genom.                              spielen oder Zielmolekül für Phar-      Das Genom und seine kodierten
        Grafik: Hoehe/Sauer                        maka sein könnten. Diese Gene           Proteine sind Funktionseinheiten,
                                                   sind als Kandidaten für eine syste-     die den Phänotyp beeinflussen
                                                   matische Variationsanalyse be-          und letztlich auch erste Schlussfol-
        nichtverwandte Menschen in ihrer           sonders interessant. Der Schlüs-        gerungen auf die zugrundeliegen-
        Genomsequenz insgesamt in 0,1              selschritt für die Identifikation von   de Pathologie zulassen. Daher ist
        Prozent der Sequenz, d. h. in ca.          Krankheitsgenen schlechthin ist         es zwingend, die gesamten Se-
        3 Millionen der insgesamt 3 Milli-         der systematische Vergleich von         quenzen (und nicht Bruchstücke)
        arden Basen. Je nach Art der Se-           Kandidatengen-Sequenzen in gro-         der individuellen Gene einschließ-
        quenz können SNPs alle 300 bis             ßen Gruppen von Gesunden und            lich ihrer regulierenden, exoni-
        3000 Basen auftreten, wenn man             Kranken oder Individuen, die sich       schen und wichtigen intronischen
        zwei haploide Genome vergleicht.           hinsichtlich ihrer Reaktion auf         Regionen zu analysieren. Darüber
        Betrachtet man systematisch                Pharmaka unterscheiden, um die          hinaus ist es essentiell, in den di-
        Gene und ihre regulatorischen Se-          jeweiligen spezifischen Varianten       ploiden Organismen, zu denen der
        quenzen in einigen hundert Indivi-
        duen, so tritt ca. alle 200 bis 300         a
        Basenpaare ein SNP in kodieren-                             Polymorphes Spektrum
        den Genregionen auf. Eine größe-                           für den µ Opiat-Rezeptor
        re Dichte von SNPs zeigt sich in
        den regulatorischen Sequenzen
        (ein SNP ca. alle 100 bis 200 Ba-

        Darstellung der wesentlichen Schrit-
        te/Ergebnisse einer umfangreichen
        Kandidatengen-Studie: Es wurde das          b
        Gen für den menschlichen µ Opiatre-              Das menschliche Gen für den µ Opiat
        zeptor in 250 Individuen (Suchterkran-
        kungen und Kontrollen) vergleichend
                                                               Rezeptor: Haplotypen
        sequenziert. Insgesamt wurden 43
        unterschiedliche Genvarianten in ca.
        6700 Basenpaaren regulierender, exoni-
        scher und intronischer Sequenzen iden-
        tifiziert (a). Bezieht man diejenigen 25
        Varianten in die weiteren Analysen mit
        ein, die mit einer Frequenz von min-
        destens 1% vorkamen, so konnten in
        einer Untergruppe von 172 gesunden
        und kranken Individuen 81 verschiede-
        ne Genotypen (die Summe aller ,Geno-
        typen’ an den 25 polymorphen Stellen)
        beobachtet werden, deren zugrundelie-
        gende Haplotypenpaare mittels eines
        entsprechenden Haplotyp-Programmes
        durch 52 verschiedene Haplotypen er-
        klärt werden konnten (b).

                                                                                                                          43
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           Kommt die                                                Einteilung von Haplotypen
           maßgeschnei-
           derte Pille?

           Mensch gehört, die jeweils spezi-
           fischen Kombinationen der Genva-
           rianten der väterlichen und mütter-
           lichen Chromosomen des Genes
           (die sogenannten Haplotypen) zu
           bestimmen. Nur eine solche exak-
           te Bestimmung macht es möglich,
           diejenigen Varianten eines Genes
           herauszufiltern, die den potentiell       d
           veränderten Funktionen eines Pro-                    Das menschliche Gen für den
           teins zugrunde liegen. Die Identifi-                      µ Opiat Rezeptor
           zierung dieser Varianten stellt eine
           besondere Herausforderung dar,
           wenn die Anzahl der gegebenen
           Varianten und die Anzahl der hete-
           rozygoten Positionen in einem
           Gen sehr hoch sind. Die große
           Zahl erfordert auch die Entwick-
           lung neuer Bioinformatik-Algorith-
           men, um unter Berücksichtigung
           der gesamten gegebenen natür-
           lichen Variabilität Assoziations-
           analysen durchführen zu können.
               Die entscheidenden Vorausset-
           zungen für eine individualisierte
           Arzneimitteltherapie, nämlich die
           Analyse und Etablierung von Ge-         Auf der Basis einer Klassifizierung der Haplotypen mittels hierarchischer Cluster-
           notyp-Phänotyp-Beziehungen vor         analyse (c) konnte schließlich eine Gruppe von Haplotypen ermittelt werden, die
           dem Hintergrund einer hohen            signifikant höher bei Suchtpatienten beobachtet wurden, und denen eine spezifi-
           natürlichen genomischen Variabi-       sche Konstellation von 5 Varianten gemeinsam war (d). Diese Variantenkombina-
           lität, können erst durch nachhal-      tion könnte potentiell ein Risikoprofil für Suchterkrankungen darstellen.
           tige Fortschritte auf dem Gebiet
           der Pharmakogenomik realisiert
           werden. Diese betreffen die Ent-       beitet werden. Vieles liegt ferner,           Hoehe, M.R., Köpke, K., Wendel, B., Flach-
                                                                                                   meier, C., Kidd, K.K., Berrettini, W.H.,
           wicklung entsprechend effizienter      als heute im Zuge der Genom-                     Church, G.M.: (2000) Sequence variability
           und kostengünstiger Hoch-Durch-        Begeisterung suggeriert wird,                    and candidate gene analysis in
                                                                                                   complex disease: Association of µ Opioid
           satz-Technologien, die Entwicklung     manches wird nicht lösbar oder                   Receptor Gene Variation with Substance
           entsprechender Bioinformatik-          umsetzbar sein. Auf der anderen                  Dependence. Hum. Mol. Genet. 19:
                                                                                                   2895–2908
           Algorithmen und -Kapazitäten           Seite jedoch liegen auf dem Gebiet            Hoehe, M.R., Timmermann, B., Lehrach, H.:
           ebenso wie die Bereitstellung her-     der Pharmakogenomik bereits                      (2002) Haplotypen und die systematische
                                                                                                   Analyse genetischer Variation: Krank-
           vorragend charakterisierter Patien-    wichtige und wertvolle Ergebnisse                heitsgene, „Drug Targets“ und Pharma-
           tenkohorten in hinreichender An-       vor, deren unmittelbare Umset-                   kogenomik. Biospektrum Sonderausgabe
                                                                                                   2002, 8. Jahrgang, 478-485
           zahl und die Generierung der not-      zung bereits eine deutliche Verbes-           Licinio, J., Wong, M.-L.: (2002, Hrsg.) Phar-
           wendigen Datenmengen. Am Ende          serung der Qualität der derzeitigen              macogenomics. The Search for Individu-
                                                                                                   alized Therapies. Wiley-VCH, Weinheim
           steht schließlich die Notwendigkeit    Arzneimitteltherapien zur Folge
           der Validierung von Ergebnissen        hätte – zum Wohle der Patienten.              Internettipps:
           durch funktionelle Analysen und
                                                                                                Übersichtsartikel über Pharmakogenomik
           die Frage der Umsetzbarkeit durch      Literaturhinweise:                              im Web:
           pharmazeutisch-industrielle Pro-                                                       – http://www.nature.com/nsu/981015/
                                                  McCarthy, J.J., Hilfiker, R.: (2000) Nature       981015-4.html
           gramme. Mit anderen Worten, die          Biotechnology, 18, 505-508                    – http://www.jpharmacogenetics.com
                                                  Gut, I.G.: (2001) Pharmakogenetik und Mas-      – http://www.lifescience.de/ratgeber/mit-
           Zukunft der individualisierten Arz-      senspektrometrie, Medizinische Genetik,         te/index2.html
           neimitteltherapie muss erst erar-        13, 281-284

             44    mensch+umwelt spezial 16. Ausgabe 2003
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