Weniger Non-COVID-19-Notfälle - Deutsches Ärzteblatt

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Weniger Non-COVID-19-Notfälle - Deutsches Ärzteblatt
THEMEN DER ZEIT

                                                                                                                                                    Foto: vm/iStock
                              Notaufnahme während der Coronapandemie

                              Weniger Non-COVID-19-Notfälle
                              Eine Analyse der Daten zweier Notaufnahmen und des Rettungsdienstes in Leipzig zeigt:
                              Die Zahl der Non-COVID-19-Notfallpatienten hat sich in diesem Frühjahr teils deutlich reduziert.
                              Vor allem traumatologische Fälle gingen zurück. Intensivstationäre Aufnahmen stiegen jedoch an.

                              Alexandra Ramshorn-Zimmer, Johannes Fakler, Ralph Schröder, Robert Stöhr,
                              Elisabeth Kohls, André Gries

                              E
                                     rstmalig im Dezember 2019 in       Entgegen Beobachtungen im           der COVID-19-Pandemie systema-
Zentrale Notaufnahme/                der Millionenstadt Wuhan der    Ausland, zum Beispiel in Italien       tisch zu erfassen und zu analysieren.
  Beobachtungsstation                chinesischen Provinz Hubei      und den USA (11), wurden aus den       Auf regionaler Ebene wurden da-
   Universitätsklinikum
      Leipzig: Dr. med.       aufgetreten, kam es innerhalb weni-    Notaufnahmen deutscher Kliniken        für Patientendaten der Zentralen
   Ramshorn-Zimmer,           ger Wochen zu einer weltweiten Aus-    allerdings rückläufige Patienten-      Notaufnahme des Universitätsklini-
   Prof. Dr. med. Gries
                              breitung des SARS-CoV-2-Virus          zahlen berichtet (12, 13) und medi-    kums Leipzig (ZNA UKL), der Zen-
Klinik und Poliklinik für
 Orthopädie, Unfallchi-       (1–3). Mit dem Ausbruch in Italien     zinische Fachgesellschaften warn-      tralen Notaufnahme des Evange-
 rurgie und Plastische        (4, 5) war die Coronaepidemie in der   ten vor möglichen Verzögerungen        lisches Diakonissenkrankenhauses
Chirurgie, Universitäts-      zweiten Februarhälfte in Europa und    notwendiger Behandlungen (14,          Leipzig (ZNA DIAKO), einem
klinikum Leipzig: Priv.-
  Doz. Dr. med. Fakler        damit auch in Deutschland angekom-     15). Gleichzeitig blieb der erwarte-   Krankenhaus der Grund- und Regel-
Branddirektion Leipzig:       men, wo wenige Tage später ein         te Zustrom von COVID-19-Patien-        versorgung, sowie Einsatzdaten des
    Dr. med. Schröder         sprunghafter Anstieg der Fallzahlen    ten in der befürchteten Größenord-     städtischen Rettungsdienstes Leip-
 Evangelisches Diako-         (6, 7) zu verzeichnen war. In den      nung aus und weitestgehend auf         zig (16) retrospektiv, anonymisiert
   nissenkrankenhaus
Leipzig: Dr. med. Stöhr       deutschen Krankenhäusern wurden        einzelne Regionen beschränkt.          und aggregiert untersucht. Im Zeit-
  Klinik und Poliklinik für   umfangreiche Vorbereitungen und           Ziel der vorliegenden Studie ist    raum des Auftretens erster SARS-
Psychiatrie und Psycho-       Maßnahmen für ein hohes Aufkom-        es, in einem städtischen Bereich die   CoV-2-Fälle und des im Rah-
  therapie, Medizinische
     Fakultät Universität     men an auch schwerkranken Patien-      Inanspruchnahme prä- und innerkli-     men der Allgemeinverfügung vom
 Leipzig: Dr. med. Kohls      ten mit COVID-19 ergriffen (8–10).     nischer Notfallstrukturen während      22. März 2020 (17) erlassenen um-

Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 24 | 12. Juni 2020                                                                                  A 1201
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fassenden Kontaktverbots wurden                Die Datenerhebung erfolgte nach    tientenzahlen kam es in der ZNA
vom 15. Februar bis zum 19. April           Zustimmung durch den Leiter der       DIAKO mit Eintreten der Allge-
2020 die Daten konsekutiv erfasst           Stabstelle Datenschutz des Univer-    meinverfügung zu einer geringer
und mit denen des entsprechenden            sitätsklinikums Leipzig. Durch die    ausgeprägten Fallzahlreduktion mit
Vorjahreszeitraums verglichen. Die-         Branddirektion Stadt Leipzig wur-     einem Maximum in der KW 16
ser Zeitraum entspricht den Kalen-          den für den Untersuchungszeitraum     (374 versus 436, –14,2 %) (siehe
derwochen (KW) 7 bis 16.                    die Einsatzzahlen der Gebietskör-     Grafik 1).
   Bei der Erhebung der Daten aus           perschaft Leipzig der Notfallret-        In der ZNA UKL konnte insbe-
den Zentralen Notaufnahmen wur-             tung sowie des Krankentransports      sondere ein Rückgang traumatolo-
den neben den Gesamtpatienten-              anonymisiert und ohne Patienten-      gischer Patienten beobachtet wer-
zahlen die Patientencharakteristika         oder Mitarbeiterbezug zur Verfü-      den (2 374 versus 3 006, –21,0 %;
(Geschlecht, Alter), die Einwei-            gung gestellt. Darüber hinaus er-     p = 0,017) mit einem maximalen
sungsart (Notarzt, Rettungsdienst,          folgte die Analyse der Einsatz- und   Rückgang in der KW 13 (148 ver-
Selbsteinweiser, Facharztzuweisung),        Alarmierungsgründe über den Ge-       sus 313, –52,7 %), das heißt in un-
die Fachrichtung (traumatologisch,          samtzeitraum.                         mittelbarem zeitlichen Zusammen-
nicht traumatologisch), die Fallart                                               hang mit der zuvor erlassenen All-
(ambulant, stationär, intensivstatio-       Reduktion der Patientenzahlen         gemeinverfügung. Auch bei den
när) sowie die Behandlungsdring-            Bei initial vergleichbarem Patien-    nicht traumatologischen Patienten
lichkeit nach dem Leipziger Triage-         tenaufkommen kam es im Untersu-       war ein Rückgang der Patientenzah-
system (LeiTs) erfasst. Zudem un-           chungszeitraum 2020 mit dem Auf-      len zu verzeichnen (2 943 versus
tersuchten wir die zur Einweisung           treten der ersten SARS-CoV-2-In-      3 382, –13,0 %; p = 0,013), jedoch
führenden Leitsymptome (18). Die            fektionen im Leipziger Stadtgebiet    in geringerem Ausmaß und in seiner
Daten wurden aus dem jeweili-               (KW 10) gegenüber 2019 zu einer       maximalen Ausprägung verzögert
gen Krankenhausinformationssys-             deutlichen Reduktion der Patien-      auftretend. So stellten sich im Be-
tem sowie aus dem Informations-             tenzahlen in der ZNA UKL mit ei-      obachtungszeitraum deutlich weni-
system der Integrierten Leitstelle          nem maximalen Rückgang in der         ger Patienten mit neurologischen
Leipzig anonymisiert extrahiert, auf        KW 14 (445 versus 654, –31,9 %).      Leitsymptomen vor (864 versus
die einzelnen Kalenderwochen ag-            Über den gesamten Untersuchungs-      1 078, –19,9 %). Insgesamt zeigte
gregiert und mittels asymptoti-             zeitraum konnte in der ZNA UKL        sich bei den Akut- und Notfallpa-
schem Wilcoxon-Test und χ2-Test             ein Rückgang der Patientenzah-        tienten während des Untersu-
auf statistische Signifikanz über-          len (5 846 versus 6 526, –10,4 %;     chungszeitraums eine relative Zu-
prüft. Abweichungen zum Vorjah-             p = 0,017) beobachtet werden. Es      nahme des Anteils nicht traumatolo-
reszeitraum wurden für die Gesamt-          fanden sich keine signifikanten Un-   gischer Patienten (p < 0,05). In
zahlen sowie einzelne Parameter als         terschiede beim Alter der Patienten   der ZNA DIAKO ließen sich kei-
prozentuale Differenz dargestellt.          (53 ± 12 versus 52 ± 13 Jahre) so-    ne fachrichtungsspezifischen Unter-
Eine Fehlerwahrscheinlichkeit von           wie bei der Geschlechterverteilung    schiede beobachten. Nach Anstieg
p < 0,05 wurde als statistisch signi-       (53 % weiblich versus 54 % männ-      der Patientenzahlen zu Beginn kam
fikant angenommen.                          lich). Nach zunächst höheren Pa-      es zum Ende des Untersuchungs-
                                                                                  zeitraums in der KW 16 ebenfalls
                                                                                  zu einer deutlichen Abnahme der
  GRAFIK 1                                                                        Häufigkeit traumatologischer Pa-
  Vergleich der Entwicklung der Patientenzahlen als prozentuale Häufigkeit        tienten (–35,3 %).
  im Vergleich 2019 versus 2020 ZNA Universitätsklinikum versus ZNA Diako-           Zwar war die Zahl der stationä-
  nissenkrankenhaus (absolute Zahlen im Text)                                     ren Aufnahmen aus der ZNA UKL
             30                                                                   im Untersuchungszeitraum mit
                                                                                  –5,6 % weitgehend konstant, aller-
             20                                                                   dings zeigte sich bei den traumato-
             10                                                                   logischen Patienten ein Rückgang
                                                                                  (825 versus 910, –9,3 %; p = 0,043),
              0
  Prozent

                                                                                  der mit –27,3 % in der KW 13 am
            –10                                                                   höchsten war. Deutlich stärker noch
                                                                                  nahm der Anteil der ambulant ver-
            –20                                                                   bliebenen traumatologischen Pa-
            –30                                                                   tienten ab (1 594 versus 2 096,
                                                                                  –26,1 %, p = 0,013), wobei es eben-
            –40                                                                   falls ein Maximum in der KW 13
                  7   8   9   10        1     12    13    14   15    16           gab (–64,5 %) (siehe Grafik 2).
                                   Kalenderwoche                                     Bei den stationären Aufnahmen
                              ZNA UKL         ZNA DIAKO
                                                                                  nicht traumatologischer Patienten
                                                                                  zeigten sich Schwankungen mit bis

A 1202                                                                                           Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 24 | 12. Juni 2020
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                          zu –20,3 % in der KW 12 und                                        Patienten (–9,7 %) ebenfalls rück-                     von Kreislaufbeschwerden (1 507
                          +20,9 % in der KW 16. Über                                         läufig (siehe Tabelle). Bei den nicht                  versus 1 729, –12,8 %) sowie von
                          den gesamten Untersuchungszeit-                                    durch den Rettungsdienst zugewie-                      neurologischen (438 versus 519,
                          raum betrachtet blieben die Aufnah-                                senen Patienten erfolgte die Tria-                     –15,6 %) und traumatologischen
                          mezahlen allerdings unverändert                                    gierung nach dem LeiTs. In unmit-                      Einsatzindikationen (2 006 versus
                          (1 477 versus 1 528, –3,3 %; nicht                                 telbarer zeitlicher Folge zum Erlass                   2 286, –12,3 %).
                          signifikant). Auch die Zahl der über                               der Kontaktbeschränkungen konn-
                          die ZNA UKL auf die Intensivsta-                                   ten deutlich niedrigere Patienten-                     Signifikanter Rückgang
                          tionen aufgenommenen Patienten                                     zahlen der Triagekategorie grün,                       In der vorliegenden Studie erfolgte
                          erwies sich als rückläufig (623 ver-                               das heißt der Patienten mit unterge-                   nach Kenntnisstand der Autoren
                          sus 706, –11,8 %; p = 0,021). In die-                              ordneter zeitlicher Priorität, beob-                   erstmalig die Analyse von Patien-
                          sem Zusammenhang hervorzuhe-                                       achtet werden. So zeigte in der KW                     tenzahlen der Zentralen Notaufnah-
                          ben ist, dass in der Periode mit dem                               14 die Zahl der Patienten mit der                      men zweier Kliniken unterschiedli-
                          geringsten      Patientenaufkommen                                 Triagekategorie grün eine Redukti-                     cher Versorgungsstufen sowie Da-
                          der Anteil intensivstationärer Auf-                                on von –55,4 % (62 versus 139).                        ten des Rettungsdienstes in Zusam-
                          nahmen deutlich erhöht war (KW                                        Bei der Analyse der Einsatzdaten                    menhang mit der aktuellen SARS-
                          13: +35,4 %; KW 14: +38,6 %).                                      des Rettungsdienstes zeigten sich                      CoV-2-Pandemie in einem regiona-
                          Die Zahl der stationären Aufnah-                                   signifikant rückläufige Einsatzzah-                    len Kontext. Limitationen deuten
                          men in der ZNA DIAKO zeigte sich                                   len (12 466 versus 14 534, –14,2 %;                    sich dabei durch die teilweise nur
                          demgegenüber konstant (977 ver-                                    p = 0,012). Dabei konnte der stärks-                   kurzzeitig zu beobachtenden Effek-
                          sus 961; nicht signifikant).                                       te Rückgang bei den Einsätzen                          te sowie durch fehlende Daten aus
                                                                                             der Rettungswagen beobachtet wer-                      dem ambulanten Bereich an. Im Er-
                          Weniger Notarzteinweisungen                                        den (8 528 versus 10 391, –17,9 %;                     gebnis ließ sich ein signifikanter
                          Die Zahl der Einweisungen durch                                    p = 0,036). Bei der Analyse der Ein-                   Rückgang der Patientenzahlen ins-
                          den Notarzt nahm im Untersu-                                       satzindikation zeigte sich bei Zu-                     besondere der ZNA des Maximal-
                          chungszeitraum signifikant ab (583                                 nahme der Zahl von Notarztnachfor-                     versorgers im zeitlichen Zusam-
                          versus 832, –29,9 %; p = 0,007),                                   derungen (670 versus 593, +13,0 %)                     menhang mit dem Auftreten erster
                          wohingegen die Zahl der ohne Not-                                  ein höherer Anteil vor Ort verbliebe-                  lokaler SARS-CoV-2-Infektionen
                          arzt rettungsdienstlich zugewiese-                                 ner Patienten (2 734 versus 2 398,                     sowie dem Erlass der Allgemein-
                          nen Patienten weitgehend stabil                                    +14,0 %). Im Rahmen der präklini-                      verfügung nachweisen. Ähnliche
                          blieb. Ohne statistische Signifikanz                               schen Notfallversorgung zeigte sich                    Entwicklungen konnten bereits im
                          zu erreichen, zeigte sich die Zahl                                 bei einem Anstieg der Alarmierun-                      Rahmen des SARS-Ausbruchs
                          der Selbsteinweiser (–14,3 %) so-                                  gen aufgrund von Atemnot (1 113                        2006 in Taiwan beobachtet wer-
                          wie der fachärztlich zugewiesenen                                  versus 971, +14,7 %) ein Rückgang                      den (19).
                                                                                                                                                       In der aktuellen Studie zeigte
                                                                                                                                                    sich zudem ein deutlicher Rück-
  GRAFIK 2                                                                                                                                          gang der als Selbsteinweiser vor-
  Entwicklung der Patientenzahlen in der Zentralen Notaufnahme des Universitätsklinikums Leipzig                                                    stellig werdenden Patienten. Insbe-
  nach Fachrichtung und Fallart im Zeitraum 15.2. bis 19.04.2020 (Kalenderwochen 7 bis 16) im                                                       sondere die eindringlichen Appelle
  Vergleich zum Vorjahreszeitraum                                                                                                                   seitens der Politik, auf soziale
                      ■ konservativ ambulant ■ konservativ stationär ■ operativ ambulant ■ operativ stationär                                       Kontakte zu verzichten, aber auch
                                                                                                                                                    Berichte in den Medien über Aus-
                                                    tigte
                                                          r                  a-
                                                                         ron            ng           n-                                             bruchgeschehen in einzelnen deut-
                                               estä                 t Co nz          eßu         mei
                                           . b
                                          1 in              S t a r
                                                                       la       Schli len  A llge gung
  Patientenzahl [n]                        Fall zig                  bu              u           ü                                                  schen Kliniken könnten hier zu ei-
                                                             Am                  Sch Kitas verf
                                             Leip                                 und                                                               ner Veränderung der öffentlichen
  800
                                                                                                                                                    Wahrnehmung und einer zuneh-
  700                                                                                                                                               menden Skepsis geführt haben,
  600                                                                                                                                               sich selbst bei akuten gesundheitli-
  500                                                                                                                                               chen Beschwerden in den ZNA
                                                                                                                                                    vorzustellen beziehungsweise den
  400
                                                                                                                                                    Rettungsdienst zu rufen (20). Gän-
  300                                                                                                                                               gige Motive gerade von fußläufi-
  200                                                                                                                                               gen, weniger vital bedrohten Pa-
  100                                                                                                                                               tienten, sich direkt in den ZNA vor-
                                                                                                                                                    zustellen – wie Zeitautonomie, die
    0
                                                                                                                                                    Substitution schwer verfügbarer
         7/2019

                      8/2019

                                 9/2019

                                            10/2019

                                                          11/2019

                                                                         12/2019

                                                                                             13/2019

                                                                                                       14/2019

                                                                                                                 15/2019

                                                                                                                           16/2019
         7/2020

                      8/2020

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                                            10/2020

                                                          11/2020

                                                                                   12/2020

                                                                                             13/2020

                                                                                                       14/2020

                                                                                                                 15/2020

                                                                                                                                     16/2020

                                                                                                                                                    Facharzttermine sowie die Mög-
                                                                                                                                                    lichkeit multidisziplinärer Abklä-
                                                         Kalenderwoche/Jahr                                                                         rungen und verkürzter Diagnostik-
                                                                                                                                                    zeiten – wurden von Ängsten vor

A 1204                                                                                                                                         Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 24 | 12. Juni 2020
THEMEN DER ZEIT

   TABELLE                                                                                    on nicht traumatologischer Akut-
                                                                                              und Notfälle in unserer Untersu-
   Analyse der Einweisungsarten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum als                        chung erklären (27). Dabei könnte
   Absolut- und prozentualer Wert
                                                                                              auch die fehlende Wahrnehmung
     Einweisungsarten                             Jahr                 Jahr                   typischer Notfallsymptome durch
                                                  2019                 2020                   Dritte eine Rolle spielen. Insbeson-
     Notarzt, n (%)                                832 (12,8)          583 (9,9)              dere bei der Versorgung zeitkriti-
     Facharzt, n (%)                               516 (7,9)           466 (8,0)              scher Krankheitsbilder, wie dem
                                                                                              akuten Koronarsyndrom oder dem
     Selbsteinweiser, n (%)                       2 919 (44,7)         2 503 (42,8)           ischämischen Schlaganfall, deuten
     Rettungsdienst, n (%)                        2 259 (34,6)         2 294 (39,2)           einzelne Fallberichte auf erhebliche
     Gesamt, n                                    6 526                5 846                  Kollateralschäden im Rahmen der
                                                                                              verzögerten Notfallversorgung hin
                                                                                              (28, 29). Ebenfalls in Erwägung zu
                                                                                              ziehen ist hierbei, dass einerseits
Ansteckung sowie von Befürchtun-                      klärung im ambulanten Bereich zu        bei kardiovaskulären Ereignissen
gen, auf unzureichende Behand-                        erklären ist. Wie bereits im Rahmen     auslösende Faktoren wie beispiels-
lungskapazitäten zu treffen, über-                    vergangener Epidemien gefordert,        weise Anstrengung und Stress redu-
wogen (21–23). In diesem Zusam-                       ist hier ein optimierter Datenaus-      ziert waren (30), andererseits durch
menhang scheint auch der ausge-                       tausch zwischen den ambulanten          die Kontaktbeschränkungen auch
prägte Rückgang von Patienten mit                     und klinischen Versorgungsstruktu-      das Risiko der Ansteckung mit an-
niedriger Behandlungsdringlich-                       ren notwendig (25).                     deren Nicht-SARS-CoV-2-Infekti-
keit plausibel. Zudem könnten die                        Das im Rahmen der umfassen-          onserregern sank. Die Verkürzung
im Rahmen der Etablierung ge-                         den Kontaktbeschränkungen verän-        der Influenzasaison 2019/2020 könn-
trennter Versorgungsstrukturen ge-                    derte Sozial-, Arbeits- und Freizeit-   te hierauf hinweisen (31).
schaffenen zusätzlichen Einrich-                      verhalten erscheint durch einen            Die in der Periode der gerings-
tungen (COVID-/Fieberambulan-                         Rückgang von Unfällen und Verlet-       ten Patientenzahlen angestiegenen
zen) sowie der Ausbau telemedizi-                     zungen ursächlich für den Rück-         intensivstationären Aufnahmeraten
nischer Versorgungskonzepte be-                       gang insbesondere traumatologi-         legen die Vermutung nahe, dass
ziehungsweise telefonischer Infor-                    scher Krankheitsbilder. Dies wird       notfallmedizinisch relevante Krank-
mationsstellen (Corona-Hotline)                       ebenso durch die prä- und innerkli-     heitsbilder die notwendigen Versor-
einen Beitrag zur Reduktion der                       nische Patientenzahlreduktion un-       gungsstrukturen dennoch erreich-
Fallzahlen geleistet haben (18, 24).                  terstrichen wie durch aktuelle Da-      ten. Ob es eine faktische Unterver-
Auch die zwischenzeitlich mögli-                      ten des Statistischen Bundesam-         sorgung bei einzelnen Krankheits-
che „telefonische Krankschrei-                        tes, wonach sich die Zahl der in        bildern gab, bleibt abzuwarten
bung“ ohne Arztvorstellung könnte                     den vergangenen Wochen im Rah-          und bedarf weiterer Untersuchun-
diese Vermutung stützen.                              men von Verkehrsunfällen verletz-       gen beziehungsweise der Beobach-
   In Anbetracht der vergleichsweise                  ten Personen um 27 % im Vergleich       tung von Morbiditäts- und Mortali-
stabilen Patientenzahlen des Grund-                   zum Vorjahresmonat reduzierte.          tätsstatistiken. Zudem sind weite-
und Regelversorgers scheint auch ei-                  Damit wurde ein historisch niedri-      re prospektive und multizentrische
ne Verschiebung und Inanspruch-                       ges Niveau erreicht (26). Kongru-       Analysen unter Einbeziehung der
nahme alternativer Notaufnahme-                       ent zu den innerklinischen Daten        Daten ambulanter Versorgungs-
strukturen möglich. Da diese Klinik                   zeigten sich auch in der präklini-      strukturen, überregionaler Daten so-
im Gegensatz zum Universitätsklini-                   schen Notfallversorgung rückläufi-      wie die Betrachtung längerer Zeitin-
kum nicht als COVID-Behandlungs-                      ge Einsatzzahlen. Der signifikante      tervalle erforderlich, um Langzeit-
zentrum ausgewiesen wurde, waren                      Rückgang der Notarzteinweisungen        effekte einschätzen und wenn not-
hier möglicherweise die Ängste,                       begründet sich dabei möglicherwei-      wendig in Zukunft gegenwirken zu
sich innerhalb der dortigen Klinik-                   se in einer deutlich höheren Rate       können.
strukturen zu infizieren, geringer                    des Vor-Ort-Verbleibs.
                                                                                              █   Zitierweise dieses Beitrags:
ausgeprägt.                                                                                       Dtsch Arztebl 2020; 117 (24): A 1201–5
   Darüber hinaus kann nicht beur-                    Mögliche Kollateralschäden
teilt werden, in welchem Umfang                       Das von anderen Autoren beschrie-       Anschrift für die Verfasser
sich die Fallzahlen im Bereich der                    bene Corona Collateral Damage           Prof. Dr. med. André Gries
                                                                                              Zentrale Notaufnahme/Beobachtungsstation
ambulanten Versorgung entwickelt                      Syndrome, also das Fehlen von           Universitätsklinikum Leipzig
haben. So kann bei dem deutlichen                     akut- beziehungsweise notfallme-        Liebigstraße 20
Rückgang der durch Vertragsärzte                      dizinischer Versorgung von Non-         04103 Leipzig
                                                                                              andre.gries@medizin.uni-leipzig.de
zugewiesenen Patienten nur gemut-                     COVID-19-Notfällen durch die
maßt werden, ob dies vor dem Hin-                     Aufforderung, während der CO-           Literatur im Internet:
tergrund geschlossener Praxisbe-                      VID-19-Pandemie zu Hause zu             www.aerzteblatt.de/lit2420
triebe oder durch die häufigere Ab-                   bleiben, könnte die Fallzahlredukti-    oder über QR-Code.

Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 24 | 12. Juni 2020                                                                                      A 1205
THEMEN DER ZEIT

Zusatzmaterial Heft 24/2020, zu

Notaufnahme in der Coronapandemie

Weniger Non-COVID-19-Patienten
Eine Analyse der Daten zweier Notaufnahmen und des Rettungsdienstes im Leipziger Stadtgebiet
zeigt: Die Zahl der Non-COVID-19-Patienten hat sich in diesem Frühjahr teils deutlich reduziert.
Vor allem traumatologische Fälle gingen zurück. Intensivstationäre Aufnahmen stiegen jedoch an.

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10. Wennmann DO, Dlugos C P, Hofschröer A,
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    Umgang mit COVID-19 in der Notaufnah-                  Erdmann B: Standardisierte Erhebung von
    me: Erfahrungsbericht der interdisziplinären           Vorstellungsgründen in der Notaufnahme.
    Notaufnahme des Universitätsklinikums                  Med Klin Intensivmed Notfallmed 2017:
    Münster. Med Klin Intensivmed Notallfmed               1–9.
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11. Mareiniss, D. P.: The impending storm: CO-             Zick A: Erste Ergebnisse einer Online-Um-
    VID-19, pandemics and our overwhelmed                  frage zur gesellschaftlichen Wahrnehmung
    emergency departments. The American                    des Umgangs mit der Corona-Pandemie in
    Journal of Emergency Medicine 2020.                    Deutschland 2020.
12. Truscheit K: „Kommen sie weiterhin in die        24.   Backhaus L, Bierke S, Karpinski K: Häner
    Notaufnahme“, FAZ vom 06.04.2020                       M, Petersen W: SARS-CoV-2-Pandemie
                                                           und ihre Auswirkungen auf Orthopädie und
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A5                                                                                                                               Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 24 | 12. Juni 2020
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