Der Polier - Unia, die Gewerkschaft
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Der Polier Herausgegeben von der Gewerkschaft Unia Das Fachmagazin für Baupoliere und Vorarbeiter. März 2022 Herausforderung Grossbaustelle: KVA- Neubau in Zuchwil Seiten 6 – 9 LMV-Verhandlungen – Probleme lösen statt verschlimmern Schutz bei Schlechtwetter – meine Rechte Campus Sursee – Besuch im neuen BIM-Labor
Inhaltsverzeichnis Editorial LMV-Verhandlungen Eine Chance, die Probleme Wo Rauch ist, ist auch Feuer anzupacken Seite 3 Arbeit bei Schlechtwetter Welchen Schutz bietet der LMV? Im letzten November hat sich etwas Historisches ereignet. Seite 5 Nach einer bewegten Kampagne der Pflegeangestellten hat die Stimmbevölkerung die Pflege-Initiative der Reportage Gewerkschaften wuchtig angenommen. Zwei Drittel der Neubau der KVA Kebag in Zuchwil Stimmenden machten klar, dass die Pflegenden bessere Seite 6 Arbeitsbedingungen verdienen. Denn sie leisten eine wichtige Arbeit für die Gesellschaft, stehen aber unter HIghtech-Labor Campus Sursee immer grösserem Druck, und immer mehr verlassen die BIM als Herausforderung für Branche. den Bau Seite 10 Gleichzeitig haben die Stimmenden mit dem Ja zur Initiative dem Gegenvor- schlag des Parlaments eine Absage erteilt. Dieser konzentrierte sich einzig auf die Polier-Porträt Andreas Giger Ausbildung neuer Pflegefachpersonen, änderte aber nichts an den Arbeitsbedin- Junge Leute für die Branche gungen. Die Stimmbevölkerung hat so klar zum Ausdruck gebracht: Ausbildung gewinnen allein reicht nicht, um den Fachkräftemangel in einer Branche zu bodigen. Man Seite 12 muss auch die Arbeitsbedingungen verbessern, hier und jetzt! Kommt dir die Diskussion bekannt vor? Vermutlich schon. Denn, wie die Pflege kennt auch der Bau einen immensen Zeitdruck und auch hier wandern viele Fachleute in andere Branchen ab. Statt die Probleme an der Wurzel zu packen und den Polier-Aderlass wirksam zu bekämpfen, scheint der Baumeisterverband ebenfalls einzig auf die Ausbildung zu setzen. Seit Jahren weigert er sich über konkrete Verbesserungen für die Bauleute zu sprechen. Im Gegenteil: aktuell fordert er gar eine drastische Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Gemäss SBV müsse man den Fachkräftemangel so oder so auf Ebene der Weiterbildung lösen. So aber wird er nur noch weiter zunehmen. Es ist, als würde man ein Loch im Eimer flicken wollen, indem man immer mehr Wasser hineingiesst. Doch wo Rauch ist, ist auch Feuer. Es gibt handfeste Gründe, warum jeder zweite Maurer die Branche verlässt. Die Termine werden immer knapper, es wird immer Impressum mehr mit immer weniger Leuten gebaut. Der Zeitdruck hat massiv zugenommen, darunter leiden Gesundheit und Arbeitssicherheit. Familienväter haben kaum Redaktion: Pepo Hofstetter (ph), mehr Zeit für ihre Kinder, weil sie immer auf der Baustelle sein müssen. Dabei ist Chris Kelley (ck) die Arbeit an sich wichtig und auch befriedigend. Die allermeisten machen den Redaktionelle Mitarbeit: Michael Job mit Herzblut – solange sie es schaffen. Stötzel (ms) Fotos: Manu Friederich, Unia-Archiv Wir können diese unglückliche Situation ändern! Derzeit laufen die Verhandlun- Titelbild: Manu Friederich gen für den neuen Landesmantelvertrag und Verhandlungen für den Baukader- Gestaltung und Druck: Printoset vertrag sind angesetzt. Damit haben wir die Chance, bessere und zeitgerechte Zürich, www.printoset.ch Arbeitsbedingungen zu vereinbaren. Wir können wirksame Schutzbarrieren gegen Herausgeberin: Unia Zentralsekretariat, den Termindruck etablieren und Leitplanken setzen, um die Freude und den Stolz Sektor Bau, Weltpoststrasse 20, der Baubranche wieder herzustellen. CH-3000 Bern 16 Redaktionsschluss: 28. Februar 2022 Wir hoffen und zählen auf den Baumeisterverband, dass er zu diesen Werten Auflage: 5200 Exemplare steht. Dass er seine Verantwortung wahrnimmt und bereit ist, gemeinsam den Eimer zu flicken. Und nicht nur nachzugiessen, bis irgendwann kein Wasser mehr da ist. Mit freundlichen Grüssen Chris Kelley Co-Leiter Sektor Bau der Unia 2 Der Polier | März 2022
Der LMV wird neu verhandelt «Eine Chance, die Probleme auf dem Bau anzupacken» Dieses Jahr wird der Landesmantelvertrag (LMV) neu verhandelt. Die mand. Die Gewerkschaften machen seit Gewerkschaften schlagen Verbesserungen vor, um den Termindruck und Jahren auf die gefährlichen Konsequen- den akuten Fachkräftemangel anzugehen. Der Baumeisterverband hingegen zen aufmerksam. 2019 haben über fordert radikale Verschlechterungen und droht gar mit dem Ausstieg aus 12 000 Bauarbeiter in einer Unia-Um- dem Vertrag. Der Branche steht ein zukunftsweisendes Jahr bevor. frage betont, der Termindruck stelle eine Gefahr für Gesundheit, Arbeitssi- (red) «Als ich angefangen habe, war das stellen einfach satt». Er spricht damit cherheit und Qualität dar. noch anders. Heute zählen nur noch vielen Bauleuten aus dem Herzen. der Preis und der Termin. Da muss man «Im Bau ist es fünf vor zwölf» sich nicht wundern, wenn niemand Tiefgreifende Veränderungen Bestätigt wird dies neu auch von unge- mehr diesen Job machen will.» André, Wie in anderen Branchen hat sich in wohnter Seite. Eine Umfrage des Polier einer mittelgrossen Baustelle im den letzten Jahrzehnten auch im Bau- Schweizerischen Baumeisterverbands gewerbe vieles verändert. Neue Techno- (SBV) vom letzten Herbst bei rund 600 «Heute verlässt logien und Maschinen sind im Einsatz, Polieren ergab folgende Resultate: die Digitalisierung greift um sich, in der • Die grosse Mehrheit – 92 Prozent – jeder zweite gelernte Aus- und Weiterbildung wurden grosse der Poliere beklagt einen hohen Zeit- Maurer die Branche, Schritte gemacht. Doch eine der spür- druck. barsten Veränderungen ist die von • Die tiefen Preise führten zu Baupro- gleichzeitig fehlt der André erwähnte Zunahme des Preis- jekten mit engen Terminen und we- Nachwuchs.» und Termindrucks. nig Personalressourcen. • 4 von 5 Polieren sagen, dass sie ihre Es wird immer mehr gebaut, in immer Arbeitszeit gerne flexibler gestalten Mittelland, ist weder nostalgisch noch kürzerer Zeit und mit immer weniger würden, doch 3 von 5 Poliere geben zynisch. Vielmehr habe er «die bedenk- Personal. Dass dies zu mehr Druck und an, dass dies in ihrem Unternehmen lichen Zustände auf immer mehr Bau- Stress führt, bestreitet kaum mehr je- schwierig sei. Termin, Stress, Fachkräftemangel: Mit besseren Rahmenbedingungen die Probleme auf dem Bau bekämpfen. (Symbolbild Willy Jost) Der Polier | März 2022 3
Eine Folge dieser Missstände ist ein dem Termin- und Preisdruck der Bau- den Tisch, signalisierte aber deutlich, wachsender Fachkräftemangel. Heute herren. Ein neuer LMV mit verbesserten dass er sich einen radikalen Abbau vor- verlässt jeder zweite gelernte Maurer die Rahmenbedingungen wäre eine Chan- stellt: Branche, gleichzeitig fehlt der Nach- ce, die Probleme im Sinne aller Beteilig- • Jahresarbeitszeiten ohne Grenzen: wuchs: Die Zahl der Lernenden hat sich ten anzupacken.» die 50-Stundenwoche und Arbeit auf halbiert. Für Chris Kelley, Co-Sektor- Abruf sollen normal werden. leiter Bau der Unia, ist die Lage drama- Bauarbeiter legen Forderungen fest • mehr Überstunden und gleichzeitig tisch: «Wir sprechen hier nicht über Die Anliegen, welche die Gewerkschaf- weniger Zuschläge. mögliche Zukunftsszenarien. Wir spre- ten in die Verhandlungen einbringen, • Lohnkürzungen. chen über die Realität der Bauarbeiter haben die Bauleute selber festgelegt. im Hier und Jetzt. Es geht um die Leute, Auf vielen Baustellen in allen Teilen der Um ihre Forderungen durchzusetzen, denen die Schweiz ihre Wohnungen, Schweiz befragte die Unia über 15 000 droht der SBV gar mit einem Ausstieg Spitäler und Strassen verdankt. Jetzt ist Bauarbeiter und Poliere. Sie wollen aus dem LMV: Just vor der SBV-Dele- es fünf vor zwölf.» mehr Gesundheitsschutz, faire Arbeits- giertenversammlung im letzten No- zeiten und ein Ende des Stundenklaus vember veröffentlichten die Verbands- Neuer LMV als Chance bei Reisezeiten und Schlechtwetter: funktionäre eine wissenschaftlich Die Ursachen für diese Probleme sind • klare Kriterien für die Einstellung der fragwürdige Studie, die einen vertrags- vielfältig. Verschiedene Akteure – Bau- Arbeit bei gefährlichem Schlechtwet- losen Zustand auf dem Bau zu verharm- herren, Baumeister, öffentliche Hand – ter, eine Verschiebung des Endter- losen versuchte. Die unmissverständli- tragen ihren Teil der Verantwortung. mins und eine sinnvolle Lösung für che Botschaft dabei: Wenn die Ge- Doch wie kann man die Probleme lö- den Umgang mit Ausfallstunden, werkschaften unsere radikalen Abbau- sen? • weniger lange Arbeitstage, pläne nicht schlucken, gibt es keinen • einen besseren Kündigungsschutz LMV mehr. Dass dies die Probleme der Ein gutes Instrument dazu ist der Lan- für ältere Bauarbeiter, desmantelvertrag (LMV). Als allgemein- • volle Bezahlung der Reisezeit, verbindlicher Gesamtarbeitsvertrag legt • eine Woche mehr Ferien als Aus- «Im Baumeister- er die Spielregeln für alle Firmen fest, inländische wie ausländische. Alle ha- gleich für den steigenden Druck, • eine zusätzliche bezahlte Pause. verband haben der- ben sich an ihn zu halten, und so wirkt zeit die Hardliner er indirekt auch auf die Bauherren. Da auch der Polier-GAV (Baukaderver- trag) neu verhandelt wird, hat die Unia das Sagen.» Wäre beispielsweise die Samstagsarbeit speziell auch die Poliere zu ihren Haupt- bewilligungspflichtig, wäre es schwieri- forderungen befragt. Ihre Prioritäten Branche nicht löst, haben auch aussen- ger, sie bereits in der Ausschreibung fest sind: stehende Beobachter verstanden. «Die zu verankern. Wäre die Reisezeit teurer, • Abschaffung der unbezahlten Vorbe- Baumeister haben aus ihren Fehlern würde dies tendenziell zu kürzeren Rei- reitungszeit von 10 Stunden im Mo- nichts gelernt», kommentierte der «Ta- sezeiten für die Bauarbeiter führen. nat, die im GAV verankert ist, ges Anzeiger» lapidar. Aber auch zu einer Reduktion der ausu- • Erhöhung der Mindestlöhne, die fernden überregionalen Konkurrenz, heute realitätsfremd sind, Geschenke gibt es keine was im Sinne der Bauarbeiter wie der • die Allgemeinverbindlichkeit des Die LMV-Verhandlungen stehen erst Firmen wäre. Baukadervertrags, damit er für alle am Anfang, es sind noch sechs weitere gilt, nicht nur für SBV-Firmen und Runden geplant. Die derzeitigen Positi- Ende 2022 läuft der aktuelle LMV aus, Gewerkschaftsmitglieder. onen des Baumeisterverbands lassen er muss deshalb neu verhandelt wer- vermuten, dass es diese auch brauchen den. Nico Lutz, Bauverantwortlicher SBV-Hardliner: mehr Arbeit für wird. Angesichts der Tatsache, dass im- und GL-Mitglied der Unia, sieht darin weniger Geld mer mehr qualifizierte Berufsleute die eine Chance: «Seit Jahren boomt der Als Bau-Leitvertrag wird zuerst der LMV Branche verlassen, käme zwar nur ein Bau und die Bauwirtschaft hat Rekord- ausgehandelt. Die erste Runde fand am Irrer auf die Idee, die Arbeitsbedingun- werte erreicht», sagt er. «Doch für die 28. Februar statt. Dort zeigte sich, dass gen und Löhne noch stärker unter Bauarbeiter und Poliere bedeutet das im SBV aktuell die Hardliner das Sagen Druck zu setzen. Doch ein Blick in die auch Stress und Druck bei der Arbeit. haben. Der Baumeisterverband legte Vergangenheit zeigt: Den Bauarbeitern Gleichzeitig leiden viele Firmen unter dabei seine Forderungen nicht klar auf wird selten etwas geschenkt. Ob bei der Durchsetzung der Frührente Grosse Bau-Kundgebung am 25. Juni (2002) oder der Abwehr von Verschlech- terungen bei den letzten LMV-Verhand- Um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen und ein Zeichen gegen die radikalen lungen (2018) – die Baumeister haben Forderungen der Baumeister zu setzen, treffen sich Bauarbeiter und Poliere aus der sich am Verhandlungstisch erst dann ganzen Schweiz zu einer Kundgebung. Diese findet am Samstag, 25. Juni in Zürich bewegt, wenn sie gesehen haben, dass statt. Wie immer gilt: Je mehr wir sind, desto mehr erreichen wir. Es braucht auch sich die Bauarbeiter auf den Baustellen dich! bewegen. Auch dieses Jahr werden die Bau-Büezer ihr Schicksal in die eigenen Infos zu Gratis-Zügen und zur Anreise aus deiner Region ab Anfang April unter Hände nehmen und zeigen müssen, www.unia.ch/lmv2022 dass sie bereit sind, sich für ihre Rechte einzusetzen. 4 Der Polier | März 2022
Arbeiten bei schlechtem Wetter Welchen Schutz bietet der LMV? Es ist bekannt: Arbeit auf Baustellen ist bei schlechtem Wetter oder Kälte der Arbeitnehmenden. Diese Möglich- nicht nur anstrengend, sondern kann auch gefährlich sein. Rutschige Böden keit kann er also nur im Vorfeld einer oder vereiste Gerüste erhöhen das Unfallrisiko. Wenn auch nicht ausreichend, Kälte- oder Hitzewelle nutzen. Die nicht sieht der Landesmantelvertrag einen gewissen Schutz vor. geleisteten Stunden können dann bis zum 31. Dezember desselben Jahres Artikel 28 des Landesmantelvertrags chen Monat nachholen lässt. Beides nachgeholt werden, sofern die Wo- (LMV) ist eindeutig: «Bei Witterungsbe- darf er aber nicht tun, wenn die Arbei- chenarbeitszeit 48 Stunden nicht über- dingungen, welche die Gesundheit der ter auf der Baustelle geblieben sind oder schreitet. Bis dann nicht nachgeholte Arbeitnehmenden gefährden und/oder anderen Arbeiten nachgegangen sind. Stunden verfallen zulasten des Arbeit- einen effizienten Arbeitsablauf verun- Er darf die Ausfallstunden auch nicht gebers. möglichen (wie bei Regen, Schnee, mit dem Ferienguthaben verrechnen. Blitzschlag, grosser Kälte), sind Bauar- Schlechtwetterentschädigung beiten im Freien zu unterbrechen». Die Jahresarbeitszeitkalender Der Arbeitgeber hat zudem die Mög- Einstellung der Arbeit wird vom Arbeit- Es steht dem Arbeitgeber frei, die verlo- lichkeit, bei einer Arbeitsunterbrechung geber oder seinem Vertreter auf der Bau- rene Zeit mit einer Anpassung des Jah- von mindestens einem halben Tag stelle angeordnet. Dabei müssen gemäss resarbeitszeitkalenders nachzuholen. Schlechtwettergeld bei der Arbeitslo- LMV die betroffenen Arbeitnehmenden Auch hier besteht ein Mitspracherecht senversicherung (ALV) zu beantragen. angehört werden. Der Polier kann dabei eine entscheidende Rolle spielen. Arbeitsunterbruch Bei einer Arbeitsunterbrechung müssen die Arbeitnehmenden, so der LMV wei- ter, dem Arbeitgeber zur Verfügung ste- hen. Er kann ihnen dabei andere «zu- mutbare» Arbeiten geben. Oder er kann es ihnen erlauben, frei über die Zeit zu verfügen. Was aber geschieht mit den ausgefalle- nen Arbeitsstunden? Der Arbeitgeber hat mehrere Möglichkeiten. Er kann die Fehlzeiten mit bestehenden Überstun- den kompensieren. Er darf auch kurze Unterbrechungen so ausgleichen, in- Erhöhte Unfallgefahr: Arbeiten bei schlechten Wetterbedingungen kann gefährlich sein. dem er die verpassten Stunden im glei- Foto: Archiv Unia Diese bezahlt für die ausgefallenen Für präzise Kriterien Stunden 80 Prozent des Lohns. Bei den Überstunden gibt es hier eine Besonder- jb. Die Kriterien, wann wegen Schlechtwetter die Arbeit eingestellt werden muss, sind heit: Ist der Überstundensaldo der letz- im geltenden LMV unklar formuliert. Für die Verhandlungen für den neuen LMV hat die ten sechs Monate positiv, muss der Ar- Unia 15’000 Bauarbeiter zu ihren Hauptforderungen befragt – neben der Reisezeit beitgeber zuerst diesen auf 20 Stunden und dem Schutz älterer Arbeitnehmenden ist Schlechtwetter ganz oben auf der Priori- reduzieren. Er darf die Überstunden, je- tätenliste (siehe Seite 3). doch nicht die beiden von der ALV vor- gegebenen Karenztage kompensieren, Die Unia orientiert sich bei ihrem Vorschlag am Beispiel des Kantons Waadt. Dort die er selbst finanzieren muss. Die haben die Sozialpartner 2016 einen Fonds für Gesundheitsschutz und Sicherheitsprä- Schlechtwetterentschädigung gilt zu- vention geschaffen. Nebst der Entschädigung der Unternehmen bei Schlechtwetter- dem nicht für temporär Beschäftigte, ausfällen enthält der Waadtländer Ansatz präzise Kriterien, wann die Arbeit eingestellt ihre Ausfallstunden müssen von der werden soll. Sie basieren auf Wetterwarnungen von MeteoSchweiz. Sie sollen im LMV Temporärfirma bezahlt werden. auch bei Hitzetagen gelten. Zudem schlägt die Unia ein System vor, bei dem anhand eines angepassten Überstundensystems der volle Lohn bei Arbeitsausfällen garan- Schliesslich sei daran erinnert, dass der tiert werden kann. LMV einen beheizten Raum zum Auf- wärmen, die Möglichkeit zum Trock- Hinzu kommt ein weiteres Problem: «Wegen unrealistischen Fristen gibt es einen enor- nen der Kleider sowie die Zubereitung men Druck auf Unternehmen und Poliere, die Arbeiten nicht zu unterbrechen. Deshalb von Mahlzeiten und warmen Geträn- fordern wir: Wenn eine Baustelle geschlossen wird, müssen die Fristen angepasst ken gewährleistet. werden", erklärt Chris Kelley, Co-Leiter Bau bei der Unia. Jérôme Béguin Der Polier | März 2022 5
Neubau der KVA Kebag Enova «Eine Traumbaustelle mit vielen Herausforderungen» Im solothurnischen Zuchwil bauen rund sechzig Arbeiter eine neue Kehrichtver- und Mauern verschalt, wird betoniert. wertungsanlage. Bald werden mehrere Hundert auf der grössten Baustelle des «Pro Monat verbauen wir 300 bis 400 Kantons Solothurn tätig sein. Es sei eine «Traumbaustelle», schwärmt Polier Tonnen Bewehrungsstahl und 2000 Ku- Paolo Silvestro. bikmeter Beton», sagt Oberbauleiter Vescovi. Insgesamt sind es 53 000 Ku- Es herrscht dicker Nebel, als wir die In Zuchwil, unweit von Solothurn, bikmeter Beton und 6800 Tonnen Be- Baustelle der neuen Kehrichtverwer- beim Zusammenfluss von Aare und wehrungsstahl. «Ich bin jedes Mal be- tungsanlage Kebag Enova besuchen. Emme, entsteht auf einer Fläche von eindruckt, wie rasch die Anlage wächst», Die Spitzen der vier bis zu 100 Meter 8000 Quadratmetern die zweitgrösste sagt er. «Dabei ist es, mal abgesehen Kehrichtverbrennungs- bzw. Kehricht- von den Kränen, vor allem Handar- «Der Aushub verwertungsanlage (KVA), wie es neu heisst, der Schweiz. Nur die KVA Hagen- beit!» bereitete viel Kopf- holz in Zürich ist grösser. Hochbau-Po- Matthias Vescovi und Paolo Silvestro zerbrechen, eine lier Paolo Silvestro von der Firma Stra- bag managt unter der Leitung von führen uns mitten auf den Bauplatz. «Hier entsteht das sogenannte Prozess- mehrmonatige Oberbauleiter Matthias Vescovi (TB- gebäude, darin sind die Öfen, die Küh- Verzögerung und F+Partner) und zusammen mit zwei Bauführern und drei weiteren Polieren lung und die Rauchgasreinigung unter- gebracht», erklären sie. «Seitlich davon Millionen an Mehr- die Baustelle. Die neue KVA soll die alte kommt später der 80 Meter hohe, be- Anlage ersetzen, die unmittelbar dane- gehbare Kamin ‘Bellevue’ zu stehen». kosten.» bensteht und technisch veraltet ist. Das 130 Meter lange und 115 Meter Budgetiert sind Kosten von rund einer breite Prozessgebäude wird bis zu 50 hohen Kräne sind kaum sichtbar. «In halben Milliarde Franken. Meter hoch. Doch davon ist im Novem- dieser Gegend ist das leider oft so», sagt ber noch nicht viel zu sehen, erst drei Paolo Silvestro. Auf seinem Handy zeigt Viel Handarbeit Untergeschosse und das Fundament er uns ein Foto: Die Kranspitze glänzt in Bei unserem Augenschein Mitte No- sind betoniert. Am tiefsten Punkt, 14 der Sonne, die Baustelle steckt im dich- vember wird emsig gebaut, werden Ar- Meter unter der Oberfläche, liegt die so- ten Grau. mierungseisen verlegt, Fundamente genannte Abdampfgrube (U03). Ihr Arbeiten am Abfallbunker: Pro Monat wachsen die Mauern um gut fünf Meter. 6 Der Polier | März 2022
schriften einzuhalten, aber das klappte alles gut», sagt Polier Silvestro. Und dank frühzeitigen Bestellungen habe es auch beim Materialnachschub bisher keine Probleme gegeben. Tablets statt Papierpläne Auf einem grün markierten Weg gelan- gen wir zu jenem Teil der Baustelle, wo einige Mauern schon hoch in den Him- mel ragen. Unmittelbar davor, in einem leeren, fertig erstellten Zwischenraum, bleibt der Oberbauleiter stehen. Auf sei- nem Tablet zeigt er uns, wie es hier ein- mal aussehen wird. Mit Hilfe von Aug- mented Reality, einer computer- «Fast alle Pläne existieren nur noch elektronisch, so sind wir immer auf dem aktuellsten Stand.» gestützten Visualisierung, sieht man all die Rohre, Kanäle und anderen Leitun- gen, die den Gang dereinst zieren wer- den. Digitalisierung wird beim Kebag-Neu- bau generell grossgeschrieben, immer wieder begegnen wir jemandem mit Wie beim Brückenbau: Für die Erstellung der rund 12 Meter auskragenden Bauteile wer- dem Tablet in der Hand. «Fast alle Pläne den massive Lehrgerüste eingesetzt. existieren hier nur noch elektronisch», sagt Silvestro. «Nur die Pläne für den Aushub hat den Verantwortlichen viel rem feinen Sandes konnte keine ver- Schalungsbau gibt es noch auf Papier». Kopfzerbrechen, eine mehrmonatige nünftige Filterwirkung erzielt werden. Den Polier freuts: «Es ist ökologischer, Verzögerung und Mehrkosten von Entweder kam zu viel Sand oder zu we- und vor allem sind wir immer auf dem mehreren Millionen Franken verur- nig Wasser», erzählt Vescovi. Schliess- aktuellsten Stand, was bei Papierversio- sacht. lich brauchte es 142 zusätzliche Bohr- nen ja nicht der Fall ist». pfähle aus Flüssigboden und Beton, die Die Tücken des Grundwassers sich seitlich überlappen. Innerhalb die- Die Baustelle liegt im Schwemmgebiet ses Dichtblocks konnte dann der Aus- von Aare und Emme. Der Untergrund hub beginnen – mit rund sechs Mona- besteht aus feinstem Sand und Kies und ten Verspätung. ist sehr unstabil. «Um die Gebäudelast auf den Baugrund zu übertragen, muss- Hat dies die Zeitplanung über den Hau- ten wir 204 Bohrpfähle in den Boden fen geworfen? «Nein» sagen unsere Be- treiben, je 25 Meter lang und über ei- gleiter, sie würden im «normalen nen Meter dick», erklärt Oberbauleiter Rhythmus» weiterarbeiten. «Wir haben Vescovi. «Die Pfähle tragen etwa 80 Pro- die Abläufe teilweise umgestellt und zent der Gebäudelast der neuen Anlage, manchmal auch mehr Leute eingesetzt, also rund 220 000 Tonnen!» um die Verzögerung aufzufangen,» er- klärt Matthias Vescovi. So wurde etwa Während bei den Aushubarbeiten für der Bau der Kaminanlage verschoben, die Baugrube die oberen, kiesigen um die Grossbaustelle dennoch termin- Schichten mit Filterbrunnen gut ent- gerecht freigeben zu können. wässert werden konnten, zeigten sich in den unteren, sandigen Schichten vie- Auch die Covid-Pandemie habe zu kei- le Probleme. Es gelang den Fachleuten nen weiteren Verzögerungen geführt. nicht auf Anhieb, das Grundwasser ge- «Klar mussten wir Massnahmen ergrei- «Alles andere als eine 08:15-Baustelle»: nügend abzusenken. «Wegen des ext- fen, um die Hygiene- und anderen Vor- Polier Paolo Silvestro. Der Polier | März 2022 7
Dies sei umso wichtiger, als die Planung man nicht einfach Stockwerk um Stock- rollend erfolge und immer wieder ange- werk. «Hier gibt es fast keine Wiederho- passt werden müsse. «Denn das hier ist lungen. Kaum eine Wand, kaum ein alles andere als eine 08:15-Baustelle», Raum ist gleich wie der andere, und betont Silvestro, und man spürt einen auch die Niveaus sind immer wieder gewissen Stolz. «Eigentlich ist es eine verschieden. Es gibt Ausbuchtungen Traumbaustelle, aber mit vielen Heraus- und Auskragungen, alles ist spezifisch forderungen.» Den Bau eines Mehrfa- der künftigen Nutzung angepasst.» Spe- ziell seien auch die vielen Werkleitun- gen, die im Beton verlegt werden, sowie «Kaum eine Wand, Erdungen. Generell müssten sie extrem kaum ein Raum ist präzise arbeiten: Bei den Sockeln für den Stahlbau beispielswiese hätten sie gleich wie der an- eine Marge von einem Zentimeter ge- habt. dere, und auch die Niveaus sind immer Silvestro zeigt auf einige Leitungsein- gänge in der Wand. «Diese hier sind für wieder verschieden.» Hochspannungsleitungen ausgespart», erklärt er, «denn die KVA ist ja auch ein «Bald arbeiten hier bis zu 500 Leute»: Kraftwerk» (siehe Kasten). «Beim Beto- Oberbauleiter Matthias Vescovi. milienhauses oder eines Spitals – Silves- nieren dieser Wand mussten wir zur Be- tro arbeitete vorher beim Neubau des wehrung teilweise Glasfasern statt Eisen fert und gelagert wird, beim sogenann- Berner Inselspitals mit – habe man verlegen, damit sich keine Strahlungen ten Bunker. Er wird bis zu 45 Meter mehr oder weniger im Griff, wenn die verbreiten». Er habe gar nicht gewusst, hoch, einige Mauern sind bei unserem Grundstruktur stehe. Dann gebe es vie- dass man auch dieses Material verwen- Besuch bis zur Hälfte hochgezogen. Der le Wiederholungen. den könne . . . Bunker besteht aus fünf Abteilen mit ei- nem Gesamtvolumen von 70 000 Ku- Nicht so hier, das sei ein sehr komple- System «Gelbe Wanne» bikmetern: ein Anlieferungskomparti- xer Bau. Natürlich gebe es auch hier Auf einem Gerüst steigen wir dort hoch, ment, in welches die LKWs und eine Grundstruktur, aber nachher baue wo in ein paar Jahren der Müll angelie- Bahnwagen den Müll hineinschütten Pro Monat werden 2000 Kubikmeter Beton und 400 Tonnen Stahl verbaut. 8 Der Polier | März 2022
sowie vier Abfallkompartimente. Zwei Kräne werden den Müll von hier zu den beiden Ofenlinien verfrachten, wo er rund um die Uhr bei konstant 1000 Grad Celsius verbrannt wird. «Der Bunker muss absolut dicht sein», erklärt Silvestro. Die Wände sind 60 bis 80 Zentimeter dick, die Bodenplatte misst einen Meter, zusätzlich wurde eine Abdichtungsfolie verlegt – das Sys- tem heisst «Gelbe Wanne», wie Ober- bauleiter Vescovi erklärt. «Vor der Über- gabe müssen wir dann die Dichte testen», sagt er. «Wie wir das machen, ist noch offen. Wir könnten den Bunker mit Wasser füllen und ihn als Swim- mingpool nutzen», fügt er lachend hin- zu. Kletterschalung und Naturstein- verzierung Wir steigen auf dem Gerüst 22 Meter hoch, der Ausblick auf die emsige Bau- stelle ist beeindruckend. Für die Sicht- betonwände werden Kletterschalungen Nur für Schwindelfreie: Die Arbeitsbühnen klettern mit den Mauern in die Höhe. mit Arbeitsbühnen verwendet, die an einbetonierten Schrauben hängen und «Mehr wäre zu viel», sagt er. Es sei bes- dernste der Schweiz den ordentlichen mit der Mauer nach oben «klettern». ser, gewisse Arbeiten im Innenausbau Betrieb aufnehmen. Wie die alte KVA «Aus ästhetischen Gründen werden je- mit dem gleichen Personal über die ge- wird sie bis zu 265 000 Tonnen Abfall weils 8 Meter breite und 5,40 Meter samte Bauzeit zu verteilen, als sie in aus rund 184 solothurnischen und ber- hohe Abschnitte betoniert; der Beton möglichst kurzer Zeit mit möglichst vie- nischen Gemeinden verarbeiten und muss 36 Stunden lang trocknen», sagt len Leuten zu erledigen. «Die Baustelle diese mit Strom und Fernwärme versor- Silvestro. «Wir betonieren deshalb je- ist extrem komplex, man braucht eine gen (siehe Kasten). Die alte Anlage wird weils am Freitag». Alle sechs Wochen gewisse Zeit, bis man sich hier aus- in den Jahren 2026/27 zurückgebaut – schafften sie so eine Höhe von 5 Meter kennt». just zu ihrem 50. Geburtstag. Ende 2025, nach einer zwölfwöchigen Text: Pepo Hofstetter «Um die Abdichtung Testphase, soll die neue KVA als mo- Fotos: Manu Friederich zu testen, könnten wir den Bunker mit Die KVA als Solarkraftwerk Wasser füllen und als Swimmingpool ph. Bei der Verbrennung von Kehricht wird viel Energie freigesetzt. Sie wird für Fern- wärme und die Produktion von Strom genutzt. nutzen.» Kehricht wird bei rund 1000 Grad verbrannt – rund um die Uhr und ohne Hilfsbrenn- 40. Darüber bauen die Arbeiter jeweils stoffe wie Öl oder Kohle. Dabei entsteht heisses Rauchgas, das in einen Dampfkessel einen Streifen Jurakalkstein ein, um die strömt und dort Wasser erhitzt. Der Wasserdampf gelangt über Rohrleitungen zu einer Aussenfassade zu strukturieren – insge- Dampfturbine, die einen Generator antreibt, welcher Strom erzeugt. Der Strom wird ins samt sind diese Einlagen 3,6 Kilometer lokale Netz eingespeist und deckt auch den KVA-Eigenbedarf. lang. Im September 2023 soll der Bun- ker mit 23 Deckenelementen zu je 120 Mit dem Dampf wird zudem Wasser auf 120 Grad erhitzt und durch ein Leitungssys- Tonnen zugedeckt werden. «Dazu brau- tem zu den Fernwärmekundinnen transportiert. Dort wird die Wärme auf das hausei- chen wir einen 800 Tonnen schweren gene Heizsystem übertragen. Das abgekühlte Wasser fliesst zurück zur KVA, wo es Raupenkran», so der Polier. wieder aufgeheizt und erneut in den Kreislauf eingespiesen wird. Die Kebag versorgt rund 12 000 Gebäude mit Fernwärme. Dank der neuen Anlage kann aus der gleichen Arbeitsintensiver Innenausbau Abfallmenge 15 Prozent mehr Energie gewonnen werden. Im Herbst dieses Jahres soll der Rohbau des Prozessgebäudes soweit fertig sein, Die KVA Kebag Enova nutzt aber nicht nur den Abfall zur Energiegewinnung. Das Dach dass der Anlagebau beginnen kann. des Bunkers und die Fassade werden mit 6000 Quadratmetern Solarpanels bestückt. Oberbauleiter Vescovi schätzt, dass sich In Zuchwil entsteht so nicht nur die zweitgrösste KVA der Schweiz, sondern auch die dann bis zu vier-, fünfhundert Arbeiter derzeit grösste Fassaden-Photovoltaik-Anlage. auf der Baustelle tummeln werden. Der Polier | März 2022 9
Hightech-Labor im Campus Sursee «BIM wird im Bau zu einem Kultur- wandel führen» Anfang März wurde im Campus Sursee ein BIM-Labor eröffnet. Es ist das erste BIM verändert somit die Prozess- der Schweiz und gemäss Eigenwerbung das weltweit am besten ausgerüstete. abläufe radikal. Thomas Stocker, Geschäftsführer des Bildungszentrums Bau, erzählt im Ja, und das spiegelt sich in der Bauwirt- Gespräch, wie es dazu kam, was das Labor bietet und warum BIM in der schaft, wo die Firmen komplett unter- Schweiz noch immer in den Kinderschuhen steckt. schiedlich unterwegs sind. BIM wird vor allem dort angewandt, wo Planen- Herr Stocker, was verstehen Sie unter werden. Hier haben wir noch ein Vaku- de, Ausführende und allenfalls auch Be- Building Information Modelling (BIM)? um. wirtschaftende im gleichen Haus arbei- BIM beschreibt die Arbeitsmethode für ten. Also bei grossen Konzernen wie die digital vernetzte Planung, den Bau Warum klemmt es hier? Implenia oder Marti, und bei einigen und die Bewirtschaftung von Gebäuden Es ist im Ablauf wie noch nicht vorgese- kleineren. Dort, wo das Bauteam aus und anderen Bauwerken. Alle an der hen. Traditionell beauftragt der Bauherr verschiedenen Firmen zusammenge- Planung und am Bau Beteiligten erstel- einen Architekten und erst später eine setzt ist, sind bisher erst Versuchskanin- len gemeinsam ein digitales Zwillings- Firma, die das Projekt umsetzt. Für ein chen unterwegs. modell, das den Ausführenden dann BIM-Projekt braucht es jedoch von An- zur Verfügung steht. Es macht Arbeits- fang an die Kompetenz Bau, und die BIM eignet sich primär für grosse abläufe einfacher und weniger fehleran- hat ein Architekt nicht. Also muss der Firmen? fällig. Bauherr einen Unternehmer finden, der Nein. Auch kleine Firmen können es diese Kompetenz zu einem Zeitpunkt in sinnvoll nutzen. Beispiel Laserscan- Warum? die Planung einbringt, in dem der Auf- ning: Bei einem geplanten Umbau kön- Mit BIM baut man gewissermassen trag oft noch gar nicht vergeben ist. nen Sie mit einem 3D-Scanner durch zweimal. Zuerst ein digitales Modell, das Gebäude gehen und mit Punktwol- bei dem man die Bauabläufe durchspie- ken eine Bestandesaufnahme machen. len und optimieren kann. Erst dann er- «Auch kleine Firmen Zwei Stunden später haben sie im Büro folgt die reale Ausführung. Das spart Zeit und Ressourcen! können BIM sinnvoll einen fixfertigen digitalen Plan des al- ten Gebäudes und können darauf auf- nutzen.» bauend den Umbau planen. BIM setzt eine enge Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen, an Weshalb dennoch diese Zurückhal- einem Bauwerk beteiligten Parteien Deshalb sind Baumeister vorsichtig. Sie tung, einmal abgesehen von den ver- voraus. haben Respekt, ihre Kompetenzen kos- traglichen Unsicherheiten? Genau, und dies wird neue Formen der tenlos zur Verfügung zu stellen. Sie wol- Für viele Unternehmen ist es schwierig, Zusammenarbeit hervorbringen und ei- len sich nicht zu früh einbringen und einen Einstieg zu finden. Will man nen Kulturwandel bewirken. Statt dass das Risiko eingehen, am Schluss den gleich den ganzen Nutzen eines digita- wie heute jeder für sich unterwegs ist, Auftrag nicht zu erhalten, weil ein an- len Modells abholen, ist das relativ müssen sich alle am Projekt Beteiligten derer billiger ist. Es fehlen bisher Ver- komplex. Wir empfehlen deshalb ein von Beginn an vernetzen und gemein- tragsmodelle, die mehr Sicherheit bie- schrittweises Vorgehen. Man kann ein sam Projektziele und Standards definie- ten. Aber auch der Architekt hat digitales Modell beispielsweise relativ ren. Traditionell zeichnet heute der Ar- vielleicht kein grosses Interesse. Wenn einfach bei der Absteckung einsetzen: chitekt oder die Architektin einen er ein Objekt plant, hat er nicht primär Statt mit dem Messband herumzusprin- Entwurf, der Haustechniker integriert die Ausführung im Auge, sondern das gen, lasert man mit einem entsprechen- die Haustechnik, der Ingenieur seine Design oder die Statik. Doch wenn der den Gerät die zu markierenden Punkte statischen Pläne. Der Baumeister soll Bauunternehmer früh in der Projekt- aus dem digitalen Modell direkt auf die das dann umsetzen. Mit BIM muss die entwicklung eingreifen kann, stehen Baustelle. Mengenberechnungen oder bauende Firma viel früher einbezogen plötzlich Bauprozesse im Fokus. Kalkulationen ab einem BIM-Modell zu machen, ist anspruchsvoller, da muss man hineinwachsen. In den Kinderschuhen Wie verändert BIM die Arbeit von ph. Seit einigen Jahren heisst das Schlagwort BIM (Building Information Modelling), Polieren? wenn es um die Zukunft des Bauens geht. Doch in der Praxis wird BIM noch relativ Was sich vor allem verändert, ist die wenig eingesetzt. Laut einer im letzten Dezember veröffentlichten Analyse von Plan- Schnittstelle zwischen Polier und Bau- Radar nutzt nur jede fünfte Firma der Schweizer Baubranche BIM, hauptsächlich sind führer. Der Polier wird auch in Zukunft es Architekt:innen, Designer:innen und Grossfirmen. Auch eine Umfrage von pom+- verantwortlich sein für die Arbeitsab- Consulting und Bauen digital Schweiz hielt 2021 fest: «Die Bau- und Immobilienwirt- läufe auf der Baustelle. Dazu erhält er schaft hinkt in Bezug auf die Digitalisierung noch immer hinterher.» digitale Hilfsmittel, die ihm die Arbeits- vorbereitung und die Kontrolle erleich- 10 Der Polier | März 2022
tern und Fehler vermeiden helfen. Da- ziert beziehungsweise speziell erforder- Poliere, Bauführer und Baumeister inte- durch wird der Beruf attraktiver. Was lich ist. Bei einem digitalen Modell griert. Mit dem Labor machen wir einen wegfallen wird, ist die Mengenermitt- kann ein Polier überall dort einen grossen Schritt vorwärts und bieten die lung, die mit BIM automatisiert werden Schnitt machen, wo er will. Möglichkeit, die verschiedenen Anwen- kann. dungen eins zu eins kennenzulernen. Was bietet das BIM-Labor im Campus Wir bieten auch Einzelausbildungen an Kürzlich sagte mir ein Polier auf einer Sursee? wie das Kalkulieren ab einem digitalen Grossbaustelle, er arbeite gerne mit Wir haben das Labor zusammen mit der Modell, das Abstecken oder das Arbei- BIM, die Pläne seien immer aktuell, US-Firma Trimble erstellt, dem weltweit ten mit einem GPS-gesteuerten Bagger, was bei Papierplänen nicht immer der führenden Anbieter von Hard- und bei dem der Baggerführer auf dem Bild- Fall sei. Software für den gesamten Bauprozess. schirm sieht, wo und wie tief ein Aus- Ja, das ist für einen Polier sicher ein Trimble ist der einzige Anbieter, der den hub sein muss. Unser Anliegen ist es, wichtiger Aspekt. Er muss nicht mit 16 ganzen Prozess von der Planung über die ganze Branche zu sensibilisieren verschiedenen Varianten operieren und die Ausführung bis zum Unterhalt ab- und dem Berufsnachwuchs zu zeigen, ist immer auf dem aktuellen Stand. Und deckt. Weltweit betreibt der Konzern was möglich ist und wie man es anwen- zirka 25 solche Labors, davon fünf oder den kann. sechs in Europa. Bei aller Bescheiden- «Ein Polier muss heit kann ich sagen, dass wir über das Das Interesse an den neuen Technolo- nicht mit 16 ver- derzeit bestausgerüstete Labor der Welt verfügen. Bei uns kann man die mo- gien dürfte gross sein. Wir haben unterschiedliche Erfahrun- schiedenen Varian- dernsten BIM-Technologien, Hard- und gen gemacht. Ein Teil unserer Klientel Software, kennenlernen und anwen- ist noch nicht sehr affin für digitale ten operieren und ist den: für die Planung und Arbeitsvorbe- Techniken. Oft sind es Leute, die einen immer auf dem reitung, die digitale Vermessung, aber Bauberuf gewählt haben, eben weil sie auch Baggersteuerungen, Scanning-Sta- nicht am Computer arbeiten wollen. aktuellen Stand.» tionen und vieles mehr. Aber das verändert sich. Gerade Jüngere kommen an diesen Tools nicht mehr Campus Sursee hat schon bisher vorbei, bei ihnen ist ein natürliches In- er kann anders damit umgehen: Bei ei- BIM-Schulungen durchgeführt. Was teresse vorhanden, da gibt es keine Be- nem konventionell geplanten Gebäude bieten Sie Neues? rührungsängste. macht man einen Grundriss und dort Wir haben BIM schon bisher in unsere Querschnitte, wo es nicht sehr kompli- Standardausbildungen für Vorarbeiter, Interview: Pepo Hofstetter Will den Baufachleuten zeigen, was mit BIM möglich ist und wie man es anwenden kann: Thomas Stocker, Geschäftsführer Bildungszentrum Bau im Campus Sursee. Foto: Unia Der Polier | März 2022 11
Polierporträt Andreas Giger masse sind ihm noch genau präsent: 107 Meter lang, 27 Meter breit, die Be- Junge Leute für unsere tonwände gut 80 Meter an einem Stück, 4,73 Meter hoch. Ihm und acht Kolle- Branche gewinnen gen kam dabei entgegen, dass viele Fir- men heute mehr in den Maschinenpark investieren. (ms) Der zweistöckige Neubau ent- land zu beheben. «Viele der Leute, die Flachere Hierarchie steht in der Sonnenhalde an einem aus dem Ausland kommen, zum Bei- Zugleich sei diese Halle ein Beispiel da- Hang von Mörigen bei Biel. Den künf- spiel aus Portugal, haben als Folge der für, dass die Anforderungen an den Po- tigen Bewohnerinnen und Bewohnern Pandemie ihre Jobs im Gastgewerbe lier, aber auch seine Verantwortung ex- wird sich einmal ein weiter Blick auf oder Tourismus verloren und versuchen trem gewachsen seien. «Der Polier den Bielersee öffnen. jetzt, die Zeit zu überbrücken, bis die übernimmt mittlerweile Aufgaben, die Touristen zurückkehren und die Hotels früher vom Bauführer erledigt wurden. Polier Andreas Giger von der Solothur- wieder öffnen.» Es brauche auch des- Die Hierarchien sind eben flacher ge- ner Baufirma Galli Hoch- und Tiefbau halb eine Attraktivierung des Berufs worden und du kannst vieles selber or- AG hebt dreierlei hervor: Der Bau ent- überhaupt, um hier junge Leute für den ganisieren, zum Beispiel Beton oder an- steht auf einem alten Objekt, das bis auf Bau zu begeistern. deres Material bestellen.» den Keller und den darunter liegenden Luftschutzbunker abgebrochen wurde. Jungfraujoch «Ich hätte gern auch das Kellergeschoss Doch der 55-Jährige Giger hat immer weggeräumt», sagt er. «Dann bist du frei wieder Herausforderungen in seinem «Eigentlich haben für den Neubau. Aber natürlich ist das auch eine Kostenfrage.» Das Interessan- Beruf erlebt. Seit mehr als dreissig Jah- ren arbeitet er auf dem Bau, davon gut wir in der Branche te an dem Projekt sei das geplante zwanzig Jahre als Polier. 1991 absolvier- das ganze Jahr über Steildach aus Sichtbeton, das spricht te er die Vorarbeiterschule in Sursee Giger mehrfach an. Und schliesslich und hatte das grosse Glück, in den da- zu wenig Leute.» hofft er, nach sechs Monaten, bis zum maligen extremen Krisenjahren, in der kommenden März den Rohbau hochge- die Hälfte der Bauleute in der Schweiz zogen zu haben – «wenn das Wetter ihren Job verlor, weiterarbeiten zu kön- Sein jetziger Bau an der Sonnenhalde mitmacht». nen. In die Zeit fiel auch der wohl spek- sei sicher ein kleineres Projekt. Doch für takulärste Einsatz seines Berufslebens: ihn als Polier sei es praktisch genauso Und wenn die Firma ihm noch zwei, Drei Monate arbeitete er als Maurer an aufwändig wie eine Grossbaustelle. Sei- drei gute Leute schicken kann. Zurzeit, der Aussichtsplattform auf dem Jung- ne langjährigen Berufserfahrungen Mitte Dezember, schafft er nur mit ei- fraujoch. sorgten immerhin dafür, dass er nach nem Kollegen, den Kran fährt er selbst. Feierabend nicht noch die eine oder an- Aus den letzten Jahren als Polier er- dere Stunde in seinem Baubüro dran- Doch das Fehlen der Fachkräfte betreffe wähnt er das Schulhaus in Subingen hängen und die kommenden Arbeitsta- den Bau insgesamt: «Eigentlich haben (SO), seinem Wohnort. Und offenbar ge vorbereiten muss. «Früher passierte wir in der Branche das ganze Jahr über besonders gern erinnert er sich an die mir das schon sehr oft, heute geht’s zu wenig Leute», meint er. Der Fach- Riesenhalle eines Arbeits- und Sport- schneller.» kräftemangel sei auch nicht mit gut bekleidungsunternehmens in Wiedlis- qualifizierten Maurern aus dem Aus- bach, nahe Niederbipp (BE). Deren Aus- Druck reduzieren Aber fühlt er sich in seinem Alter kör- perlich nicht mehr beansprucht? Giger widerspricht: Dank der mittlerweile eingesetzten Maschinen sei die Bauar- beit in einigen Aspekten leichter gewor- den. Problematisch sei eher die nervli- che Überforderung. «Das spürt die Altenpflegerin oder der Lehrer heute genauso wie der Bauarbeiter. Man sollte deshalb versuchen, den Druck auf die Leute zu reduzieren.» Auf dem Bau müsse einerseits alles immer schneller gehen und das mit immer weniger Leu- ten. Andererseits gebe es laufend neue Bauverordnungen und Sicherheitsaufla- gen. «Und das geht nicht auf.» Gleichzeitig ist Giger zuversichtlich: «Unsere Branche meistert immer wie- Andreas Giger (55): «Unsere Branche meistert immer wieder Herausforderungen. Wir der Herausforderungen. Wir müssen sie müssen sie nur anpacken!» Foto: Manu Friederich nur anpacken!» 12 Der Polier | März 2022
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