Der Polier - Unia, die Gewerkschaft

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Der Polier - Unia, die Gewerkschaft
Der Polier
Herausgegeben von der Gewerkschaft Unia
                                                                    Das Fachmagazin
                                                                    für Baupoliere
                                                                    und Vorarbeiter.
                                                                    März 2022

                                          Herausforderung
                                          Grossbaustelle: KVA-
                                          Neubau in Zuchwil
                                          Seiten 6 – 9

                                      LMV-Verhandlungen – Probleme lösen statt verschlimmern

                                      Schutz bei Schlechtwetter – meine Rechte

                                      Campus Sursee – Besuch im neuen BIM-Labor
Der Polier - Unia, die Gewerkschaft
Inhaltsverzeichnis                        Editorial
LMV-Verhandlungen
Eine Chance, die Probleme                 Wo Rauch ist, ist auch
                                          Feuer
anzupacken
Seite 3

Arbeit bei Schlechtwetter
Welchen Schutz bietet der LMV?                                    Im letzten November hat sich etwas Historisches ereignet.
Seite 5                                                           Nach einer bewegten Kampagne der Pflegeangestellten
                                                                  hat die Stimmbevölkerung die Pflege-Initiative der
Reportage                                                         Gewerkschaften wuchtig angenommen. Zwei Drittel der
Neubau der KVA Kebag in Zuchwil                                   Stimmenden machten klar, dass die Pflegenden bessere
Seite 6                                                           Arbeitsbedingungen verdienen. Denn sie leisten eine
                                                                  wichtige Arbeit für die Gesellschaft, stehen aber unter
HIghtech-Labor Campus Sursee                                      immer grösserem Druck, und immer mehr verlassen die
BIM als Herausforderung für                                       Branche.
den Bau
Seite 10                                  Gleichzeitig haben die Stimmenden mit dem Ja zur Initiative dem Gegenvor-
                                          schlag des Parlaments eine Absage erteilt. Dieser konzentrierte sich einzig auf die
Polier-Porträt Andreas Giger              Ausbildung neuer Pflegefachpersonen, änderte aber nichts an den Arbeitsbedin-
Junge Leute für die Branche               gungen. Die Stimmbevölkerung hat so klar zum Ausdruck gebracht: Ausbildung
gewinnen                                  allein reicht nicht, um den Fachkräftemangel in einer Branche zu bodigen. Man
Seite 12                                  muss auch die Arbeitsbedingungen verbessern, hier und jetzt!

                                          Kommt dir die Diskussion bekannt vor? Vermutlich schon. Denn, wie die Pflege
                                          kennt auch der Bau einen immensen Zeitdruck und auch hier wandern viele
                                          Fachleute in andere Branchen ab. Statt die Probleme an der Wurzel zu packen und
                                          den Polier-Aderlass wirksam zu bekämpfen, scheint der Baumeisterverband
                                          ebenfalls einzig auf die Ausbildung zu setzen. Seit Jahren weigert er sich über
                                          konkrete Verbesserungen für die Bauleute zu sprechen. Im Gegenteil: aktuell
                                          fordert er gar eine drastische Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Gemäss
                                          SBV müsse man den Fachkräftemangel so oder so auf Ebene der Weiterbildung
                                          lösen. So aber wird er nur noch weiter zunehmen. Es ist, als würde man ein Loch
                                          im Eimer flicken wollen, indem man immer mehr Wasser hineingiesst.

                                          Doch wo Rauch ist, ist auch Feuer. Es gibt handfeste Gründe, warum jeder zweite
                                          Maurer die Branche verlässt. Die Termine werden immer knapper, es wird immer
Impressum                                 mehr mit immer weniger Leuten gebaut. Der Zeitdruck hat massiv zugenommen,
                                          darunter leiden Gesundheit und Arbeitssicherheit. Familienväter haben kaum
Redaktion: Pepo Hofstetter (ph),          mehr Zeit für ihre Kinder, weil sie immer auf der Baustelle sein müssen. Dabei ist
Chris Kelley (ck)                         die Arbeit an sich wichtig und auch befriedigend. Die allermeisten machen den
Redaktionelle Mitarbeit: Michael          Job mit Herzblut – solange sie es schaffen.
Stötzel (ms)
Fotos: Manu Friederich, Unia-Archiv       Wir können diese unglückliche Situation ändern! Derzeit laufen die Verhandlun-
Titelbild: Manu Friederich                gen für den neuen Landesmantelvertrag und Verhandlungen für den Baukader-
Gestaltung und Druck: Printoset           vertrag sind angesetzt. Damit haben wir die Chance, bessere und zeitgerechte
Zürich, www.printoset.ch                  Arbeitsbedingungen zu vereinbaren. Wir können wirksame Schutzbarrieren gegen
Herausgeberin: Unia Zentralsekretariat,   den Termindruck etablieren und Leitplanken setzen, um die Freude und den Stolz
Sektor Bau, Weltpoststrasse 20,           der Baubranche wieder herzustellen.
CH-3000 Bern 16
Redaktionsschluss: 28. Februar 2022       Wir hoffen und zählen auf den Baumeisterverband, dass er zu diesen Werten
Auflage: 5200 Exemplare                   steht. Dass er seine Verantwortung wahrnimmt und bereit ist, gemeinsam den
                                          Eimer zu flicken. Und nicht nur nachzugiessen, bis irgendwann kein Wasser
                                          mehr da ist.

                                          Mit freundlichen Grüssen

                                          Chris Kelley
                                          Co-Leiter Sektor Bau der Unia

2   Der Polier | März 2022
Der Polier - Unia, die Gewerkschaft
Der LMV wird neu verhandelt

«Eine Chance, die Probleme auf
dem Bau anzupacken»
Dieses Jahr wird der Landesmantelvertrag (LMV) neu verhandelt. Die                     mand. Die Gewerkschaften machen seit
Gewerkschaften schlagen Verbesserungen vor, um den Termindruck und                     Jahren auf die gefährlichen Konsequen-
den akuten Fachkräftemangel anzugehen. Der Baumeisterverband hingegen                  zen aufmerksam. 2019 haben über
fordert radikale Verschlechterungen und droht gar mit dem Ausstieg aus                 12 000 Bauarbeiter in einer Unia-Um-
dem Vertrag. Der Branche steht ein zukunftsweisendes Jahr bevor.                       frage betont, der Termindruck stelle
                                                                                       eine Gefahr für Gesundheit, Arbeitssi-
(red) «Als ich angefangen habe, war das   stellen einfach satt». Er spricht damit      cherheit und Qualität dar.
noch anders. Heute zählen nur noch        vielen Bauleuten aus dem Herzen.
der Preis und der Termin. Da muss man                                                  «Im Bau ist es fünf vor zwölf»
sich nicht wundern, wenn niemand          Tiefgreifende Veränderungen                  Bestätigt wird dies neu auch von unge-
mehr diesen Job machen will.» André,      Wie in anderen Branchen hat sich in          wohnter Seite. Eine Umfrage des
Polier einer mittelgrossen Baustelle im   den letzten Jahrzehnten auch im Bau-         Schweizerischen Baumeisterverbands
                                          gewerbe vieles verändert. Neue Techno-       (SBV) vom letzten Herbst bei rund 600
«Heute verlässt                           logien und Maschinen sind im Einsatz,        Polieren ergab folgende Resultate:
                                          die Digitalisierung greift um sich, in der   • Die grosse Mehrheit – 92 Prozent –
jeder zweite gelernte                     Aus- und Weiterbildung wurden grosse            der Poliere beklagt einen hohen Zeit-
Maurer die Branche,                       Schritte gemacht. Doch eine der spür-           druck.
                                          barsten Veränderungen ist die von            • Die tiefen Preise führten zu Baupro-
gleichzeitig fehlt der                    André erwähnte Zunahme des Preis-               jekten mit engen Terminen und we-
Nachwuchs.»                               und Termindrucks.                               nig Personalressourcen.
                                                                                       • 4 von 5 Polieren sagen, dass sie ihre
                                          Es wird immer mehr gebaut, in immer             Arbeitszeit gerne flexibler gestalten
Mittelland, ist weder nostalgisch noch    kürzerer Zeit und mit immer weniger             würden, doch 3 von 5 Poliere geben
zynisch. Vielmehr habe er «die bedenk-    Personal. Dass dies zu mehr Druck und           an, dass dies in ihrem Unternehmen
lichen Zustände auf immer mehr Bau-       Stress führt, bestreitet kaum mehr je-          schwierig sei.

Termin, Stress, Fachkräftemangel: Mit besseren Rahmenbedingungen die Probleme auf dem Bau bekämpfen. (Symbolbild Willy Jost)

                                                                                                  Der Polier | März 2022       3
Der Polier - Unia, die Gewerkschaft
Eine Folge dieser Missstände ist ein          dem Termin- und Preisdruck der Bau-         den Tisch, signalisierte aber deutlich,
wachsender Fachkräftemangel. Heute            herren. Ein neuer LMV mit verbesserten      dass er sich einen radikalen Abbau vor-
verlässt jeder zweite gelernte Maurer die     Rahmenbedingungen wäre eine Chan-           stellt:
Branche, gleichzeitig fehlt der Nach-         ce, die Probleme im Sinne aller Beteilig-   • Jahresarbeitszeiten ohne Grenzen:
wuchs: Die Zahl der Lernenden hat sich        ten anzupacken.»                               die 50-Stundenwoche und Arbeit auf
halbiert. Für Chris Kelley, Co-Sektor-                                                       Abruf sollen normal werden.
leiter Bau der Unia, ist die Lage drama-      Bauarbeiter legen Forderungen fest          • mehr Überstunden und gleichzeitig
tisch: «Wir sprechen hier nicht über          Die Anliegen, welche die Gewerkschaf-          weniger Zuschläge.
mögliche Zukunftsszenarien. Wir spre-         ten in die Verhandlungen einbringen,        • Lohnkürzungen.
chen über die Realität der Bauarbeiter        haben die Bauleute selber festgelegt.
im Hier und Jetzt. Es geht um die Leute,      Auf vielen Baustellen in allen Teilen der   Um ihre Forderungen durchzusetzen,
denen die Schweiz ihre Wohnungen,             Schweiz befragte die Unia über 15 000       droht der SBV gar mit einem Ausstieg
Spitäler und Strassen verdankt. Jetzt ist     Bauarbeiter und Poliere. Sie wollen         aus dem LMV: Just vor der SBV-Dele-
es fünf vor zwölf.»                           mehr Gesundheitsschutz, faire Arbeits-      giertenversammlung im letzten No-
                                              zeiten und ein Ende des Stundenklaus        vember veröffentlichten die Verbands-
Neuer LMV als Chance                          bei Reisezeiten und Schlechtwetter:         funktionäre    eine    wissenschaftlich
Die Ursachen für diese Probleme sind          • klare Kriterien für die Einstellung der   fragwürdige Studie, die einen vertrags-
vielfältig. Verschiedene Akteure – Bau-          Arbeit bei gefährlichem Schlechtwet-     losen Zustand auf dem Bau zu verharm-
herren, Baumeister, öffentliche Hand –           ter, eine Verschiebung des Endter-       losen versuchte. Die unmissverständli-
tragen ihren Teil der Verantwortung.             mins und eine sinnvolle Lösung für       che Botschaft dabei: Wenn die Ge-
Doch wie kann man die Probleme lö-               den Umgang mit Ausfallstunden,           werkschaften unsere radikalen Abbau-
sen?                                          • weniger lange Arbeitstage,                pläne nicht schlucken, gibt es keinen
                                              • einen besseren Kündigungsschutz           LMV mehr. Dass dies die Probleme der
Ein gutes Instrument dazu ist der Lan-           für ältere Bauarbeiter,
desmantelvertrag (LMV). Als allgemein-        • volle Bezahlung der Reisezeit,
verbindlicher Gesamtarbeitsvertrag legt       • eine Woche mehr Ferien als Aus-           «Im Baumeister-
er die Spielregeln für alle Firmen fest,
inländische wie ausländische. Alle ha-
                                                 gleich für den steigenden Druck,
                                              • eine zusätzliche bezahlte Pause.
                                                                                          verband haben der-
ben sich an ihn zu halten, und so wirkt                                                   zeit die Hardliner
er indirekt auch auf die Bauherren.           Da auch der Polier-GAV (Baukaderver-
                                              trag) neu verhandelt wird, hat die Unia     das Sagen.»
Wäre beispielsweise die Samstagsarbeit        speziell auch die Poliere zu ihren Haupt-
bewilligungspflichtig, wäre es schwieri-      forderungen befragt. Ihre Prioritäten       Branche nicht löst, haben auch aussen-
ger, sie bereits in der Ausschreibung fest    sind:                                       stehende Beobachter verstanden. «Die
zu verankern. Wäre die Reisezeit teurer,      • Abschaffung der unbezahlten Vorbe-        Baumeister haben aus ihren Fehlern
würde dies tendenziell zu kürzeren Rei-          reitungszeit von 10 Stunden im Mo-       nichts gelernt», kommentierte der «Ta-
sezeiten für die Bauarbeiter führen.             nat, die im GAV verankert ist,           ges Anzeiger» lapidar.
Aber auch zu einer Reduktion der ausu-        • Erhöhung der Mindestlöhne, die
fernden überregionalen Konkurrenz,               heute realitätsfremd sind,               Geschenke gibt es keine
was im Sinne der Bauarbeiter wie der          • die Allgemeinverbindlichkeit des          Die LMV-Verhandlungen stehen erst
Firmen wäre.                                     Baukadervertrags, damit er für alle      am Anfang, es sind noch sechs weitere
                                                 gilt, nicht nur für SBV-Firmen und       Runden geplant. Die derzeitigen Positi-
Ende 2022 läuft der aktuelle LMV aus,            Gewerkschaftsmitglieder.                 onen des Baumeisterverbands lassen
er muss deshalb neu verhandelt wer-                                                       vermuten, dass es diese auch brauchen
den. Nico Lutz, Bauverantwortlicher           SBV-Hardliner: mehr Arbeit für              wird. Angesichts der Tatsache, dass im-
und GL-Mitglied der Unia, sieht darin         weniger Geld                                mer mehr qualifizierte Berufsleute die
eine Chance: «Seit Jahren boomt der           Als Bau-Leitvertrag wird zuerst der LMV     Branche verlassen, käme zwar nur ein
Bau und die Bauwirtschaft hat Rekord-         ausgehandelt. Die erste Runde fand am       Irrer auf die Idee, die Arbeitsbedingun-
werte erreicht», sagt er. «Doch für die       28. Februar statt. Dort zeigte sich, dass   gen und Löhne noch stärker unter
Bauarbeiter und Poliere bedeutet das          im SBV aktuell die Hardliner das Sagen      Druck zu setzen. Doch ein Blick in die
auch Stress und Druck bei der Arbeit.         haben. Der Baumeisterverband legte          Vergangenheit zeigt: Den Bauarbeitern
Gleichzeitig leiden viele Firmen unter        dabei seine Forderungen nicht klar auf      wird selten etwas geschenkt.

                                                                                          Ob bei der Durchsetzung der Frührente
    Grosse Bau-Kundgebung am 25. Juni                                                     (2002) oder der Abwehr von Verschlech-
                                                                                          terungen bei den letzten LMV-Verhand-
    Um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen und ein Zeichen gegen die radikalen         lungen (2018) – die Baumeister haben
    Forderungen der Baumeister zu setzen, treffen sich Bauarbeiter und Poliere aus der    sich am Verhandlungstisch erst dann
    ganzen Schweiz zu einer Kundgebung. Diese findet am Samstag, 25. Juni in Zürich       bewegt, wenn sie gesehen haben, dass
    statt. Wie immer gilt: Je mehr wir sind, desto mehr erreichen wir. Es braucht auch    sich die Bauarbeiter auf den Baustellen
    dich!                                                                                 bewegen. Auch dieses Jahr werden die
                                                                                          Bau-Büezer ihr Schicksal in die eigenen
    Infos zu Gratis-Zügen und zur Anreise aus deiner Region ab Anfang April unter         Hände nehmen und zeigen müssen,
    www.unia.ch/lmv2022                                                                   dass sie bereit sind, sich für ihre Rechte
                                                                                          einzusetzen.

4      Der Polier | März 2022
Der Polier - Unia, die Gewerkschaft
Arbeiten bei schlechtem Wetter

Welchen Schutz bietet der LMV?
Es ist bekannt: Arbeit auf Baustellen ist bei schlechtem Wetter oder Kälte                 der Arbeitnehmenden. Diese Möglich-
nicht nur anstrengend, sondern kann auch gefährlich sein. Rutschige Böden                  keit kann er also nur im Vorfeld einer
oder vereiste Gerüste erhöhen das Unfallrisiko. Wenn auch nicht ausreichend,               Kälte- oder Hitzewelle nutzen. Die nicht
sieht der Landesmantelvertrag einen gewissen Schutz vor.                                   geleisteten Stunden können dann bis
                                                                                           zum 31. Dezember desselben Jahres
Artikel 28 des Landesmantelvertrags           chen Monat nachholen lässt. Beides           nachgeholt werden, sofern die Wo-
(LMV) ist eindeutig: «Bei Witterungsbe-       darf er aber nicht tun, wenn die Arbei-      chenarbeitszeit 48 Stunden nicht über-
dingungen, welche die Gesundheit der          ter auf der Baustelle geblieben sind oder    schreitet. Bis dann nicht nachgeholte
Arbeitnehmenden gefährden und/oder            anderen Arbeiten nachgegangen sind.          Stunden verfallen zulasten des Arbeit-
einen effizienten Arbeitsablauf verun-        Er darf die Ausfallstunden auch nicht        gebers.
möglichen (wie bei Regen, Schnee,             mit dem Ferienguthaben verrechnen.
Blitzschlag, grosser Kälte), sind Bauar-                                                   Schlechtwetterentschädigung
beiten im Freien zu unterbrechen». Die        Jahresarbeitszeitkalender                    Der Arbeitgeber hat zudem die Mög-
Einstellung der Arbeit wird vom Arbeit-       Es steht dem Arbeitgeber frei, die verlo-    lichkeit, bei einer Arbeitsunterbrechung
geber oder seinem Vertreter auf der Bau-      rene Zeit mit einer Anpassung des Jah-       von mindestens einem halben Tag
stelle angeordnet. Dabei müssen gemäss        resarbeitszeitkalenders  nachzuholen.        Schlechtwettergeld bei der Arbeitslo-
LMV die betroffenen Arbeitnehmenden           Auch hier besteht ein Mitspracherecht        senversicherung (ALV) zu beantragen.
angehört werden. Der Polier kann dabei
eine entscheidende Rolle spielen.

Arbeitsunterbruch
Bei einer Arbeitsunterbrechung müssen
die Arbeitnehmenden, so der LMV wei-
ter, dem Arbeitgeber zur Verfügung ste-
hen. Er kann ihnen dabei andere «zu-
mutbare» Arbeiten geben. Oder er kann
es ihnen erlauben, frei über die Zeit zu
verfügen.

Was aber geschieht mit den ausgefalle-
nen Arbeitsstunden? Der Arbeitgeber
hat mehrere Möglichkeiten. Er kann die
Fehlzeiten mit bestehenden Überstun-
den kompensieren. Er darf auch kurze
Unterbrechungen so ausgleichen, in-           Erhöhte Unfallgefahr: Arbeiten bei schlechten Wetterbedingungen kann gefährlich sein.
dem er die verpassten Stunden im glei-        Foto: Archiv Unia

                                                                                           Diese bezahlt für die ausgefallenen
 Für präzise Kriterien                                                                     Stunden 80 Prozent des Lohns. Bei den
                                                                                           Überstunden gibt es hier eine Besonder-
 jb. Die Kriterien, wann wegen Schlechtwetter die Arbeit eingestellt werden muss, sind     heit: Ist der Überstundensaldo der letz-
 im geltenden LMV unklar formuliert. Für die Verhandlungen für den neuen LMV hat die       ten sechs Monate positiv, muss der Ar-
 Unia 15’000 Bauarbeiter zu ihren Hauptforderungen befragt – neben der Reisezeit           beitgeber zuerst diesen auf 20 Stunden
 und dem Schutz älterer Arbeitnehmenden ist Schlechtwetter ganz oben auf der Priori-       reduzieren. Er darf die Überstunden, je-
 tätenliste (siehe Seite 3).                                                               doch nicht die beiden von der ALV vor-
                                                                                           gegebenen Karenztage kompensieren,
 Die Unia orientiert sich bei ihrem Vorschlag am Beispiel des Kantons Waadt. Dort          die er selbst finanzieren muss. Die
 haben die Sozialpartner 2016 einen Fonds für Gesundheitsschutz und Sicherheitsprä-        Schlechtwetterentschädigung gilt zu-
 vention geschaffen. Nebst der Entschädigung der Unternehmen bei Schlechtwetter-           dem nicht für temporär Beschäftigte,
 ausfällen enthält der Waadtländer Ansatz präzise Kriterien, wann die Arbeit eingestellt   ihre Ausfallstunden müssen von der
 werden soll. Sie basieren auf Wetterwarnungen von MeteoSchweiz. Sie sollen im LMV         Temporärfirma bezahlt werden.
 auch bei Hitzetagen gelten. Zudem schlägt die Unia ein System vor, bei dem anhand
 eines angepassten Überstundensystems der volle Lohn bei Arbeitsausfällen garan-           Schliesslich sei daran erinnert, dass der
 tiert werden kann.                                                                        LMV einen beheizten Raum zum Auf-
                                                                                           wärmen, die Möglichkeit zum Trock-
 Hinzu kommt ein weiteres Problem: «Wegen unrealistischen Fristen gibt es einen enor-      nen der Kleider sowie die Zubereitung
 men Druck auf Unternehmen und Poliere, die Arbeiten nicht zu unterbrechen. Deshalb        von Mahlzeiten und warmen Geträn-
 fordern wir: Wenn eine Baustelle geschlossen wird, müssen die Fristen angepasst           ken gewährleistet.
 werden", erklärt Chris Kelley, Co-Leiter Bau bei der Unia.
                                                                                           Jérôme Béguin

                                                                                                      Der Polier | März 2022      5
Der Polier - Unia, die Gewerkschaft
Neubau der KVA Kebag Enova

«Eine Traumbaustelle mit vielen
Herausforderungen»
Im solothurnischen Zuchwil bauen rund sechzig Arbeiter eine neue Kehrichtver-            und Mauern verschalt, wird betoniert.
wertungsanlage. Bald werden mehrere Hundert auf der grössten Baustelle des               «Pro Monat verbauen wir 300 bis 400
Kantons Solothurn tätig sein. Es sei eine «Traumbaustelle», schwärmt Polier              Tonnen Bewehrungsstahl und 2000 Ku-
Paolo Silvestro.                                                                         bikmeter Beton», sagt Oberbauleiter
                                                                                         Vescovi. Insgesamt sind es 53 000 Ku-
Es herrscht dicker Nebel, als wir die        In Zuchwil, unweit von Solothurn,           bikmeter Beton und 6800 Tonnen Be-
Baustelle der neuen Kehrichtverwer-          beim Zusammenfluss von Aare und             wehrungsstahl. «Ich bin jedes Mal be-
tungsanlage Kebag Enova besuchen.            Emme, entsteht auf einer Fläche von         eindruckt, wie rasch die Anlage wächst»,
Die Spitzen der vier bis zu 100 Meter        8000 Quadratmetern die zweitgrösste         sagt er. «Dabei ist es, mal abgesehen
                                             Kehrichtverbrennungs- bzw. Kehricht-        von den Kränen, vor allem Handar-
«Der Aushub                                  verwertungsanlage (KVA), wie es neu
                                             heisst, der Schweiz. Nur die KVA Hagen-
                                                                                         beit!»

bereitete viel Kopf-                         holz in Zürich ist grösser. Hochbau-Po-     Matthias Vescovi und Paolo Silvestro
zerbrechen, eine                             lier Paolo Silvestro von der Firma Stra-
                                             bag managt unter der Leitung von
                                                                                         führen uns mitten auf den Bauplatz.
                                                                                         «Hier entsteht das sogenannte Prozess-
mehrmonatige                                 Oberbauleiter Matthias Vescovi (TB-         gebäude, darin sind die Öfen, die Küh-

Verzögerung und                              F+Partner) und zusammen mit zwei
                                             Bauführern und drei weiteren Polieren
                                                                                         lung und die Rauchgasreinigung unter-
                                                                                         gebracht», erklären sie. «Seitlich davon
Millionen an Mehr-                           die Baustelle. Die neue KVA soll die alte   kommt später der 80 Meter hohe, be-
                                             Anlage ersetzen, die unmittelbar dane-      gehbare Kamin ‘Bellevue’ zu stehen».
kosten.»                                     bensteht und technisch veraltet ist.        Das 130 Meter lange und 115 Meter
                                             Budgetiert sind Kosten von rund einer       breite Prozessgebäude wird bis zu 50
hohen Kräne sind kaum sichtbar. «In          halben Milliarde Franken.                   Meter hoch. Doch davon ist im Novem-
dieser Gegend ist das leider oft so», sagt                                               ber noch nicht viel zu sehen, erst drei
Paolo Silvestro. Auf seinem Handy zeigt      Viel Handarbeit                             Untergeschosse und das Fundament
er uns ein Foto: Die Kranspitze glänzt in    Bei unserem Augenschein Mitte No-           sind betoniert. Am tiefsten Punkt, 14
der Sonne, die Baustelle steckt im dich-     vember wird emsig gebaut, werden Ar-        Meter unter der Oberfläche, liegt die so-
ten Grau.                                    mierungseisen verlegt, Fundamente           genannte Abdampfgrube (U03). Ihr

Arbeiten am Abfallbunker: Pro Monat wachsen die Mauern um gut fünf Meter.

6   Der Polier | März 2022
Der Polier - Unia, die Gewerkschaft
schriften einzuhalten, aber das klappte
                                                                                       alles gut», sagt Polier Silvestro. Und
                                                                                       dank frühzeitigen Bestellungen habe es
                                                                                       auch beim Materialnachschub bisher
                                                                                       keine Probleme gegeben.

                                                                                       Tablets statt Papierpläne
                                                                                       Auf einem grün markierten Weg gelan-
                                                                                       gen wir zu jenem Teil der Baustelle, wo
                                                                                       einige Mauern schon hoch in den Him-
                                                                                       mel ragen. Unmittelbar davor, in einem
                                                                                       leeren, fertig erstellten Zwischenraum,
                                                                                       bleibt der Oberbauleiter stehen. Auf sei-
                                                                                       nem Tablet zeigt er uns, wie es hier ein-
                                                                                       mal aussehen wird. Mit Hilfe von Aug-
                                                                                       mented Reality, einer computer-

                                                                                       «Fast alle Pläne
                                                                                       existieren nur noch
                                                                                       elektronisch, so sind
                                                                                       wir immer auf dem
                                                                                       aktuellsten Stand.»
                                                                                       gestützten Visualisierung, sieht man all
                                                                                       die Rohre, Kanäle und anderen Leitun-
                                                                                       gen, die den Gang dereinst zieren wer-
                                                                                       den.

                                                                                       Digitalisierung wird beim Kebag-Neu-
                                                                                       bau generell grossgeschrieben, immer
                                                                                       wieder begegnen wir jemandem mit
Wie beim Brückenbau: Für die Erstellung der rund 12 Meter auskragenden Bauteile wer-   dem Tablet in der Hand. «Fast alle Pläne
den massive Lehrgerüste eingesetzt.                                                    existieren hier nur noch elektronisch»,
                                                                                       sagt Silvestro. «Nur die Pläne für den
Aushub hat den Verantwortlichen viel       rem feinen Sandes konnte keine ver-         Schalungsbau gibt es noch auf Papier».
Kopfzerbrechen, eine mehrmonatige          nünftige Filterwirkung erzielt werden.      Den Polier freuts: «Es ist ökologischer,
Verzögerung und Mehrkosten von             Entweder kam zu viel Sand oder zu we-       und vor allem sind wir immer auf dem
mehreren Millionen Franken verur-          nig Wasser», erzählt Vescovi. Schliess-     aktuellsten Stand, was bei Papierversio-
sacht.                                     lich brauchte es 142 zusätzliche Bohr-      nen ja nicht der Fall ist».
                                           pfähle aus Flüssigboden und Beton, die
Die Tücken des Grundwassers                sich seitlich überlappen. Innerhalb die-
Die Baustelle liegt im Schwemmgebiet       ses Dichtblocks konnte dann der Aus-
von Aare und Emme. Der Untergrund          hub beginnen – mit rund sechs Mona-
besteht aus feinstem Sand und Kies und     ten Verspätung.
ist sehr unstabil. «Um die Gebäudelast
auf den Baugrund zu übertragen, muss-      Hat dies die Zeitplanung über den Hau-
ten wir 204 Bohrpfähle in den Boden        fen geworfen? «Nein» sagen unsere Be-
treiben, je 25 Meter lang und über ei-     gleiter, sie würden im «normalen
nen Meter dick», erklärt Oberbauleiter     Rhythmus» weiterarbeiten. «Wir haben
Vescovi. «Die Pfähle tragen etwa 80 Pro-   die Abläufe teilweise umgestellt und
zent der Gebäudelast der neuen Anlage,     manchmal auch mehr Leute eingesetzt,
also rund 220 000 Tonnen!»                 um die Verzögerung aufzufangen,» er-
                                           klärt Matthias Vescovi. So wurde etwa
Während bei den Aushubarbeiten für         der Bau der Kaminanlage verschoben,
die Baugrube die oberen, kiesigen          um die Grossbaustelle dennoch termin-
Schichten mit Filterbrunnen gut ent-       gerecht freigeben zu können.
wässert werden konnten, zeigten sich
in den unteren, sandigen Schichten vie-    Auch die Covid-Pandemie habe zu kei-
le Probleme. Es gelang den Fachleuten      nen weiteren Verzögerungen geführt.
nicht auf Anhieb, das Grundwasser ge-      «Klar mussten wir Massnahmen ergrei-        «Alles andere als eine 08:15-Baustelle»:
nügend abzusenken. «Wegen des ext-         fen, um die Hygiene- und anderen Vor-       Polier Paolo Silvestro.

                                                                                                  Der Polier | März 2022          7
Der Polier - Unia, die Gewerkschaft
Dies sei umso wichtiger, als die Planung    man nicht einfach Stockwerk um Stock-
rollend erfolge und immer wieder ange-      werk. «Hier gibt es fast keine Wiederho-
passt werden müsse. «Denn das hier ist      lungen. Kaum eine Wand, kaum ein
alles andere als eine 08:15-Baustelle»,     Raum ist gleich wie der andere, und
betont Silvestro, und man spürt einen       auch die Niveaus sind immer wieder
gewissen Stolz. «Eigentlich ist es eine     verschieden. Es gibt Ausbuchtungen
Traumbaustelle, aber mit vielen Heraus-     und Auskragungen, alles ist spezifisch
forderungen.» Den Bau eines Mehrfa-         der künftigen Nutzung angepasst.» Spe-
                                            ziell seien auch die vielen Werkleitun-
                                            gen, die im Beton verlegt werden, sowie
«Kaum eine Wand,                            Erdungen. Generell müssten sie extrem
kaum ein Raum ist                           präzise arbeiten: Bei den Sockeln für
                                            den Stahlbau beispielswiese hätten sie
gleich wie der an-                          eine Marge von einem Zentimeter ge-
                                            habt.
dere, und auch die
Niveaus sind immer                          Silvestro zeigt auf einige Leitungsein-
                                            gänge in der Wand. «Diese hier sind für
wieder verschieden.»                        Hochspannungsleitungen ausgespart»,
                                            erklärt er, «denn die KVA ist ja auch ein   «Bald arbeiten hier bis zu 500 Leute»:
                                            Kraftwerk» (siehe Kasten). «Beim Beto-      Oberbauleiter Matthias Vescovi.
milienhauses oder eines Spitals – Silves-   nieren dieser Wand mussten wir zur Be-
tro arbeitete vorher beim Neubau des        wehrung teilweise Glasfasern statt Eisen    fert und gelagert wird, beim sogenann-
Berner Inselspitals mit – habe man          verlegen, damit sich keine Strahlungen      ten Bunker. Er wird bis zu 45 Meter
mehr oder weniger im Griff, wenn die        verbreiten». Er habe gar nicht gewusst,     hoch, einige Mauern sind bei unserem
Grundstruktur stehe. Dann gebe es vie-      dass man auch dieses Material verwen-       Besuch bis zur Hälfte hochgezogen. Der
le Wiederholungen.                          den könne . . .                             Bunker besteht aus fünf Abteilen mit ei-
                                                                                        nem Gesamtvolumen von 70 000 Ku-
Nicht so hier, das sei ein sehr komple-     System «Gelbe Wanne»                        bikmetern: ein Anlieferungskomparti-
xer Bau. Natürlich gebe es auch hier        Auf einem Gerüst steigen wir dort hoch,     ment, in welches die LKWs und
eine Grundstruktur, aber nachher baue       wo in ein paar Jahren der Müll angelie-     Bahnwagen den Müll hineinschütten

Pro Monat werden 2000 Kubikmeter Beton und 400 Tonnen Stahl verbaut.

8   Der Polier | März 2022
Der Polier - Unia, die Gewerkschaft
sowie vier Abfallkompartimente. Zwei
Kräne werden den Müll von hier zu den
beiden Ofenlinien verfrachten, wo er
rund um die Uhr bei konstant 1000
Grad Celsius verbrannt wird.

«Der Bunker muss absolut dicht sein»,
erklärt Silvestro. Die Wände sind 60 bis
80 Zentimeter dick, die Bodenplatte
misst einen Meter, zusätzlich wurde
eine Abdichtungsfolie verlegt – das Sys-
tem heisst «Gelbe Wanne», wie Ober-
bauleiter Vescovi erklärt. «Vor der Über-
gabe müssen wir dann die Dichte
testen», sagt er. «Wie wir das machen,
ist noch offen. Wir könnten den Bunker
mit Wasser füllen und ihn als Swim-
mingpool nutzen», fügt er lachend hin-
zu.

Kletterschalung und Naturstein-
verzierung
Wir steigen auf dem Gerüst 22 Meter
hoch, der Ausblick auf die emsige Bau-
stelle ist beeindruckend. Für die Sicht-
betonwände werden Kletterschalungen         Nur für Schwindelfreie: Die Arbeitsbühnen klettern mit den Mauern in die Höhe.
mit Arbeitsbühnen verwendet, die an
einbetonierten Schrauben hängen und         «Mehr wäre zu viel», sagt er. Es sei bes-    dernste der Schweiz den ordentlichen
mit der Mauer nach oben «klettern».         ser, gewisse Arbeiten im Innenausbau         Betrieb aufnehmen. Wie die alte KVA
«Aus ästhetischen Gründen werden je-        mit dem gleichen Personal über die ge-       wird sie bis zu 265 000 Tonnen Abfall
weils 8 Meter breite und 5,40 Meter         samte Bauzeit zu verteilen, als sie in       aus rund 184 solothurnischen und ber-
hohe Abschnitte betoniert; der Beton        möglichst kurzer Zeit mit möglichst vie-     nischen Gemeinden verarbeiten und
muss 36 Stunden lang trocknen», sagt        len Leuten zu erledigen. «Die Baustelle      diese mit Strom und Fernwärme versor-
Silvestro. «Wir betonieren deshalb je-      ist extrem komplex, man braucht eine         gen (siehe Kasten). Die alte Anlage wird
weils am Freitag». Alle sechs Wochen        gewisse Zeit, bis man sich hier aus-         in den Jahren 2026/27 zurückgebaut –
schafften sie so eine Höhe von 5 Meter      kennt».                                      just zu ihrem 50. Geburtstag.

                                            Ende 2025, nach einer zwölfwöchigen          Text: Pepo Hofstetter
«Um die Abdichtung                          Testphase, soll die neue KVA als mo-         Fotos: Manu Friederich

zu testen, könnten
wir den Bunker mit                           Die KVA als Solarkraftwerk
Wasser füllen und
als Swimmingpool                             ph. Bei der Verbrennung von Kehricht wird viel Energie freigesetzt. Sie wird für Fern-
                                             wärme und die Produktion von Strom genutzt.
nutzen.»
                                             Kehricht wird bei rund 1000 Grad verbrannt – rund um die Uhr und ohne Hilfsbrenn-
40. Darüber bauen die Arbeiter jeweils       stoffe wie Öl oder Kohle. Dabei entsteht heisses Rauchgas, das in einen Dampfkessel
einen Streifen Jurakalkstein ein, um die     strömt und dort Wasser erhitzt. Der Wasserdampf gelangt über Rohrleitungen zu einer
Aussenfassade zu strukturieren – insge-      Dampfturbine, die einen Generator antreibt, welcher Strom erzeugt. Der Strom wird ins
samt sind diese Einlagen 3,6 Kilometer       lokale Netz eingespeist und deckt auch den KVA-Eigenbedarf.
lang. Im September 2023 soll der Bun-
ker mit 23 Deckenelementen zu je 120         Mit dem Dampf wird zudem Wasser auf 120 Grad erhitzt und durch ein Leitungssys-
Tonnen zugedeckt werden. «Dazu brau-         tem zu den Fernwärmekundinnen transportiert. Dort wird die Wärme auf das hausei-
chen wir einen 800 Tonnen schweren           gene Heizsystem übertragen. Das abgekühlte Wasser fliesst zurück zur KVA, wo es
Raupenkran», so der Polier.                  wieder aufgeheizt und erneut in den Kreislauf eingespiesen wird. Die Kebag versorgt
                                             rund 12 000 Gebäude mit Fernwärme. Dank der neuen Anlage kann aus der gleichen
Arbeitsintensiver Innenausbau                Abfallmenge 15 Prozent mehr Energie gewonnen werden.
Im Herbst dieses Jahres soll der Rohbau
des Prozessgebäudes soweit fertig sein,      Die KVA Kebag Enova nutzt aber nicht nur den Abfall zur Energiegewinnung. Das Dach
dass der Anlagebau beginnen kann.            des Bunkers und die Fassade werden mit 6000 Quadratmetern Solarpanels bestückt.
Oberbauleiter Vescovi schätzt, dass sich     In Zuchwil entsteht so nicht nur die zweitgrösste KVA der Schweiz, sondern auch die
dann bis zu vier-, fünfhundert Arbeiter      derzeit grösste Fassaden-Photovoltaik-Anlage.
auf der Baustelle tummeln werden.

                                                                                                      Der Polier | März 2022          9
Der Polier - Unia, die Gewerkschaft
Hightech-Labor im Campus Sursee

«BIM wird im Bau zu einem Kultur-
wandel führen»
Anfang März wurde im Campus Sursee ein BIM-Labor eröffnet. Es ist das erste             BIM verändert somit die Prozess-
der Schweiz und gemäss Eigenwerbung das weltweit am besten ausgerüstete.                abläufe radikal.
Thomas Stocker, Geschäftsführer des Bildungszentrums Bau, erzählt im                    Ja, und das spiegelt sich in der Bauwirt-
Gespräch, wie es dazu kam, was das Labor bietet und warum BIM in der                    schaft, wo die Firmen komplett unter-
Schweiz noch immer in den Kinderschuhen steckt.                                         schiedlich unterwegs sind. BIM wird
                                                                                        vor allem dort angewandt, wo Planen-
Herr Stocker, was verstehen Sie unter       werden. Hier haben wir noch ein Vaku-       de, Ausführende und allenfalls auch Be-
Building Information Modelling (BIM)?       um.                                         wirtschaftende im gleichen Haus arbei-
BIM beschreibt die Arbeitsmethode für                                                   ten. Also bei grossen Konzernen wie
die digital vernetzte Planung, den Bau      Warum klemmt es hier?                       Implenia oder Marti, und bei einigen
und die Bewirtschaftung von Gebäuden        Es ist im Ablauf wie noch nicht vorgese-    kleineren. Dort, wo das Bauteam aus
und anderen Bauwerken. Alle an der          hen. Traditionell beauftragt der Bauherr    verschiedenen Firmen zusammenge-
Planung und am Bau Beteiligten erstel-      einen Architekten und erst später eine      setzt ist, sind bisher erst Versuchskanin-
len gemeinsam ein digitales Zwillings-      Firma, die das Projekt umsetzt. Für ein     chen unterwegs.
modell, das den Ausführenden dann           BIM-Projekt braucht es jedoch von An-
zur Verfügung steht. Es macht Arbeits-      fang an die Kompetenz Bau, und die          BIM eignet sich primär für grosse
abläufe einfacher und weniger fehleran-     hat ein Architekt nicht. Also muss der      Firmen?
fällig.                                     Bauherr einen Unternehmer finden, der       Nein. Auch kleine Firmen können es
                                            diese Kompetenz zu einem Zeitpunkt in       sinnvoll nutzen. Beispiel Laserscan-
Warum?                                      die Planung einbringt, in dem der Auf-      ning: Bei einem geplanten Umbau kön-
Mit BIM baut man gewissermassen             trag oft noch gar nicht vergeben ist.       nen Sie mit einem 3D-Scanner durch
zweimal. Zuerst ein digitales Modell,                                                   das Gebäude gehen und mit Punktwol-
bei dem man die Bauabläufe durchspie-                                                   ken eine Bestandesaufnahme machen.
len und optimieren kann. Erst dann er-      «Auch kleine Firmen                         Zwei Stunden später haben sie im Büro
folgt die reale Ausführung. Das spart
Zeit und Ressourcen!
                                            können BIM sinnvoll                         einen fixfertigen digitalen Plan des al-
                                                                                        ten Gebäudes und können darauf auf-
                                            nutzen.»                                    bauend den Umbau planen.
BIM setzt eine enge Zusammenarbeit
zwischen den verschiedenen, an                                                          Weshalb dennoch diese Zurückhal-
einem Bauwerk beteiligten Parteien          Deshalb sind Baumeister vorsichtig. Sie     tung, einmal abgesehen von den ver-
voraus.                                     haben Respekt, ihre Kompetenzen kos-        traglichen Unsicherheiten?
Genau, und dies wird neue Formen der        tenlos zur Verfügung zu stellen. Sie wol-   Für viele Unternehmen ist es schwierig,
Zusammenarbeit hervorbringen und ei-        len sich nicht zu früh einbringen und       einen Einstieg zu finden. Will man
nen Kulturwandel bewirken. Statt dass       das Risiko eingehen, am Schluss den         gleich den ganzen Nutzen eines digita-
wie heute jeder für sich unterwegs ist,     Auftrag nicht zu erhalten, weil ein an-     len Modells abholen, ist das relativ
müssen sich alle am Projekt Beteiligten     derer billiger ist. Es fehlen bisher Ver-   komplex. Wir empfehlen deshalb ein
von Beginn an vernetzen und gemein-         tragsmodelle, die mehr Sicherheit bie-      schrittweises Vorgehen. Man kann ein
sam Projektziele und Standards definie-     ten. Aber auch der Architekt hat            digitales Modell beispielsweise relativ
ren. Traditionell zeichnet heute der Ar-    vielleicht kein grosses Interesse. Wenn     einfach bei der Absteckung einsetzen:
chitekt oder die Architektin einen          er ein Objekt plant, hat er nicht primär    Statt mit dem Messband herumzusprin-
Entwurf, der Haustechniker integriert       die Ausführung im Auge, sondern das         gen, lasert man mit einem entsprechen-
die Haustechnik, der Ingenieur seine        Design oder die Statik. Doch wenn der       den Gerät die zu markierenden Punkte
statischen Pläne. Der Baumeister soll       Bauunternehmer früh in der Projekt-         aus dem digitalen Modell direkt auf die
das dann umsetzen. Mit BIM muss die         entwicklung eingreifen kann, stehen         Baustelle. Mengenberechnungen oder
bauende Firma viel früher einbezogen        plötzlich Bauprozesse im Fokus.             Kalkulationen ab einem BIM-Modell zu
                                                                                        machen, ist anspruchsvoller, da muss
                                                                                        man hineinwachsen.
 In den Kinderschuhen
                                                                                        Wie verändert BIM die Arbeit von
 ph. Seit einigen Jahren heisst das Schlagwort BIM (Building Information Modelling),    Polieren?
 wenn es um die Zukunft des Bauens geht. Doch in der Praxis wird BIM noch relativ       Was sich vor allem verändert, ist die
 wenig eingesetzt. Laut einer im letzten Dezember veröffentlichten Analyse von Plan-    Schnittstelle zwischen Polier und Bau-
 Radar nutzt nur jede fünfte Firma der Schweizer Baubranche BIM, hauptsächlich sind     führer. Der Polier wird auch in Zukunft
 es Architekt:innen, Designer:innen und Grossfirmen. Auch eine Umfrage von pom+-        verantwortlich sein für die Arbeitsab-
 Consulting und Bauen digital Schweiz hielt 2021 fest: «Die Bau- und Immobilienwirt-    läufe auf der Baustelle. Dazu erhält er
 schaft hinkt in Bezug auf die Digitalisierung noch immer hinterher.»                   digitale Hilfsmittel, die ihm die Arbeits-
                                                                                        vorbereitung und die Kontrolle erleich-

10   Der Polier | März 2022
tern und Fehler vermeiden helfen. Da-      ziert beziehungsweise speziell erforder-    Poliere, Bauführer und Baumeister inte-
durch wird der Beruf attraktiver. Was      lich ist. Bei einem digitalen Modell        griert. Mit dem Labor machen wir einen
wegfallen wird, ist die Mengenermitt-      kann ein Polier überall dort einen          grossen Schritt vorwärts und bieten die
lung, die mit BIM automatisiert werden     Schnitt machen, wo er will.                 Möglichkeit, die verschiedenen Anwen-
kann.                                                                                  dungen eins zu eins kennenzulernen.
                                           Was bietet das BIM-Labor im Campus          Wir bieten auch Einzelausbildungen an
Kürzlich sagte mir ein Polier auf einer    Sursee?                                     wie das Kalkulieren ab einem digitalen
Grossbaustelle, er arbeite gerne mit       Wir haben das Labor zusammen mit der        Modell, das Abstecken oder das Arbei-
BIM, die Pläne seien immer aktuell,        US-Firma Trimble erstellt, dem weltweit     ten mit einem GPS-gesteuerten Bagger,
was bei Papierplänen nicht immer der       führenden Anbieter von Hard- und            bei dem der Baggerführer auf dem Bild-
Fall sei.                                  Software für den gesamten Bauprozess.       schirm sieht, wo und wie tief ein Aus-
Ja, das ist für einen Polier sicher ein    Trimble ist der einzige Anbieter, der den   hub sein muss. Unser Anliegen ist es,
wichtiger Aspekt. Er muss nicht mit 16     ganzen Prozess von der Planung über         die ganze Branche zu sensibilisieren
verschiedenen Varianten operieren und      die Ausführung bis zum Unterhalt ab-        und dem Berufsnachwuchs zu zeigen,
ist immer auf dem aktuellen Stand. Und     deckt. Weltweit betreibt der Konzern        was möglich ist und wie man es anwen-
                                           zirka 25 solche Labors, davon fünf oder     den kann.
                                           sechs in Europa. Bei aller Bescheiden-
«Ein Polier muss                           heit kann ich sagen, dass wir über das      Das Interesse an den neuen Technolo-
nicht mit 16 ver-                          derzeit bestausgerüstete Labor der Welt
                                           verfügen. Bei uns kann man die mo-
                                                                                       gien dürfte gross sein.
                                                                                       Wir haben unterschiedliche Erfahrun-
schiedenen Varian-                         dernsten BIM-Technologien, Hard- und        gen gemacht. Ein Teil unserer Klientel
                                           Software, kennenlernen und anwen-           ist noch nicht sehr affin für digitale
ten operieren und ist                      den: für die Planung und Arbeitsvorbe-      Techniken. Oft sind es Leute, die einen
immer auf dem                              reitung, die digitale Vermessung, aber      Bauberuf gewählt haben, eben weil sie
                                           auch Baggersteuerungen, Scanning-Sta-       nicht am Computer arbeiten wollen.
aktuellen Stand.»                          tionen und vieles mehr.                     Aber das verändert sich. Gerade Jüngere
                                                                                       kommen an diesen Tools nicht mehr
                                           Campus Sursee hat schon bisher              vorbei, bei ihnen ist ein natürliches In-
er kann anders damit umgehen: Bei ei-      BIM-Schulungen durchgeführt. Was            teresse vorhanden, da gibt es keine Be-
nem konventionell geplanten Gebäude        bieten Sie Neues?                           rührungsängste.
macht man einen Grundriss und dort         Wir haben BIM schon bisher in unsere
Querschnitte, wo es nicht sehr kompli-     Standardausbildungen für Vorarbeiter,       Interview: Pepo Hofstetter

Will den Baufachleuten zeigen, was mit BIM möglich ist und wie man es anwenden kann: Thomas Stocker, Geschäftsführer
Bildungszentrum Bau im Campus Sursee. Foto: Unia

                                                                                                   Der Polier | März 2022    11
Polierporträt Andreas Giger                                                             masse sind ihm noch genau präsent:
                                                                                        107 Meter lang, 27 Meter breit, die Be-

Junge Leute für unsere                                                                  tonwände gut 80 Meter an einem Stück,
                                                                                        4,73 Meter hoch. Ihm und acht Kolle-

Branche gewinnen
                                                                                        gen kam dabei entgegen, dass viele Fir-
                                                                                        men heute mehr in den Maschinenpark
                                                                                        investieren.

(ms) Der zweistöckige Neubau ent-           land zu beheben. «Viele der Leute, die      Flachere Hierarchie
steht in der Sonnenhalde an einem           aus dem Ausland kommen, zum Bei-            Zugleich sei diese Halle ein Beispiel da-
Hang von Mörigen bei Biel. Den künf-        spiel aus Portugal, haben als Folge der     für, dass die Anforderungen an den Po-
tigen Bewohnerinnen und Bewohnern           Pandemie ihre Jobs im Gastgewerbe           lier, aber auch seine Verantwortung ex-
wird sich einmal ein weiter Blick auf       oder Tourismus verloren und versuchen       trem gewachsen seien. «Der Polier
den Bielersee öffnen.                       jetzt, die Zeit zu überbrücken, bis die     übernimmt mittlerweile Aufgaben, die
                                            Touristen zurückkehren und die Hotels       früher vom Bauführer erledigt wurden.
Polier Andreas Giger von der Solothur-      wieder öffnen.» Es brauche auch des-        Die Hierarchien sind eben flacher ge-
ner Baufirma Galli Hoch- und Tiefbau        halb eine Attraktivierung des Berufs        worden und du kannst vieles selber or-
AG hebt dreierlei hervor: Der Bau ent-      überhaupt, um hier junge Leute für den      ganisieren, zum Beispiel Beton oder an-
steht auf einem alten Objekt, das bis auf   Bau zu begeistern.                          deres Material bestellen.»
den Keller und den darunter liegenden
Luftschutzbunker abgebrochen wurde.         Jungfraujoch
«Ich hätte gern auch das Kellergeschoss     Doch der 55-Jährige Giger hat immer
weggeräumt», sagt er. «Dann bist du frei    wieder Herausforderungen in seinem          «Eigentlich haben
für den Neubau. Aber natürlich ist das
auch eine Kostenfrage.» Das Interessan-
                                            Beruf erlebt. Seit mehr als dreissig Jah-
                                            ren arbeitet er auf dem Bau, davon gut
                                                                                        wir in der Branche
te an dem Projekt sei das geplante          zwanzig Jahre als Polier. 1991 absolvier-   das ganze Jahr über
Steildach aus Sichtbeton, das spricht       te er die Vorarbeiterschule in Sursee
Giger mehrfach an. Und schliesslich         und hatte das grosse Glück, in den da-      zu wenig Leute.»
hofft er, nach sechs Monaten, bis zum       maligen extremen Krisenjahren, in der
kommenden März den Rohbau hochge-           die Hälfte der Bauleute in der Schweiz
zogen zu haben – «wenn das Wetter           ihren Job verlor, weiterarbeiten zu kön-    Sein jetziger Bau an der Sonnenhalde
mitmacht».                                  nen. In die Zeit fiel auch der wohl spek-   sei sicher ein kleineres Projekt. Doch für
                                            takulärste Einsatz seines Berufslebens:     ihn als Polier sei es praktisch genauso
Und wenn die Firma ihm noch zwei,           Drei Monate arbeitete er als Maurer an      aufwändig wie eine Grossbaustelle. Sei-
drei gute Leute schicken kann. Zurzeit,     der Aussichtsplattform auf dem Jung-        ne langjährigen Berufserfahrungen
Mitte Dezember, schafft er nur mit ei-      fraujoch.                                   sorgten immerhin dafür, dass er nach
nem Kollegen, den Kran fährt er selbst.                                                 Feierabend nicht noch die eine oder an-
                                            Aus den letzten Jahren als Polier er-       dere Stunde in seinem Baubüro dran-
Doch das Fehlen der Fachkräfte betreffe     wähnt er das Schulhaus in Subingen          hängen und die kommenden Arbeitsta-
den Bau insgesamt: «Eigentlich haben        (SO), seinem Wohnort. Und offenbar          ge vorbereiten muss. «Früher passierte
wir in der Branche das ganze Jahr über      besonders gern erinnert er sich an die      mir das schon sehr oft, heute geht’s
zu wenig Leute», meint er. Der Fach-        Riesenhalle eines Arbeits- und Sport-       schneller.»
kräftemangel sei auch nicht mit gut         bekleidungsunternehmens in Wiedlis-
qualifizierten Maurern aus dem Aus-         bach, nahe Niederbipp (BE). Deren Aus-      Druck reduzieren
                                                                                        Aber fühlt er sich in seinem Alter kör-
                                                                                        perlich nicht mehr beansprucht? Giger
                                                                                        widerspricht: Dank der mittlerweile
                                                                                        eingesetzten Maschinen sei die Bauar-
                                                                                        beit in einigen Aspekten leichter gewor-
                                                                                        den. Problematisch sei eher die nervli-
                                                                                        che Überforderung. «Das spürt die
                                                                                        Altenpflegerin oder der Lehrer heute
                                                                                        genauso wie der Bauarbeiter. Man sollte
                                                                                        deshalb versuchen, den Druck auf die
                                                                                        Leute zu reduzieren.» Auf dem Bau
                                                                                        müsse einerseits alles immer schneller
                                                                                        gehen und das mit immer weniger Leu-
                                                                                        ten. Andererseits gebe es laufend neue
                                                                                        Bauverordnungen und Sicherheitsaufla-
                                                                                        gen. «Und das geht nicht auf.»

                                                                                        Gleichzeitig ist Giger zuversichtlich:
                                                                                        «Unsere Branche meistert immer wie-
Andreas Giger (55): «Unsere Branche meistert immer wieder Herausforderungen. Wir        der Herausforderungen. Wir müssen sie
müssen sie nur anpacken!» Foto: Manu Friederich                                         nur anpacken!»

12    Der Polier | März 2022
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