Keine IV-Rente: Wie verhält sich das Sozialamt?
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Keine IV-Rente: Wie verhält sich das Sozialamt? Der behandelnde Arzt bescheinigt dem Klienten eine Erwerbsunfähigkeit. Die IV sieht es aber anders und lehnt eine Rente ab. Der Sozialdienst tut gut daran, in dieser Situation eine Vertrauensärztin oder einen Vertrauensarzt beizuziehen. Auf der Basis dieser Abklärung wird beurteilt, ob die Sozialhilfe zum Tragen kommt. Frage Grundlagen Antwort Der 50-jährige Herr A. bezieht seit August Grundsätzlich gilt es, zwischen Arbeits- Das Sozialamt muss die aktuelle finanziel- 2007 Sozialhilfe. Er reichte im Frühling und Erwerbsunfähigkeit sowie Invalidität le und persönliche Situation des Klienten desselben Jahres einen Antrag für eine In- zu unterscheiden. Während mit Arbeits- aus fachlicher Sicht beurteilen. Es kann validenrente ein. Das Gesuch wurde im unfähigkeit die (vorübergehende) ge- sich dabei nicht ausschliesslich auf die Herbst 2009 mit Verfügung der Invali- sundheitsbedingte Leistungseinbusse im Sichtweise der IV stützen, da es die ganze denversicherung (IV) abgelehnt. Herr A. bisherigen Tätigkeitsbereich bezeichnet Problematik von Herrn A. berücksichti- hat gegen diesen Entscheid beim kantona- wird, liegt eine Erwerbsunfähigkeit erst gen und entsprechend reale Möglichkei- len Sozialversicherungsgericht Beschwer- dann vor, wenn nach zumutbaren Be- ten prüfen muss. Folgendes Vorgehen ist de erhoben. Das kantonale Versicherungs- handlungs- und Eingliederungsmassnah- angezeigt: gericht kommt jedoch zum gleichen Ur- men ein gesundheitsbedingter Verlust der – Das Sozialamt tritt – in Absprache mit teil wie die IV. Der Entscheid ist nun Erwerbsmöglichkeiten in einem (ande- dem Klienten und dessen Einwilligung rechtskräftig. Herr A. und sein behandeln- ren) Beruf oder Aufgabenbereich vorliegt – mit dem behandelnden Arzt in Kon- der Arzt sind jedoch der Meinung, dass (vgl. Art. 6 ATSG). Bei der Beurteilung der takt, um das weitere Vorgehen zu bera- die Aufnahme einer Erwerbsarbeit aus ge- Erwerbsfähigkeit sind ausschliesslich die ten. sundheitlichen Gründen nicht möglich Folgen der gesundheitlichen Beeinträchti- – Bringt ein solches Gespräch keine Klar- ist. gungen zu berücksichtigen, die aus objek- heit, ist dem Klienten die Weisung zu Es stellt sich die Frage, was der zu- tiver Sicht nicht überwindbar sind (Art. 7 erteilen, dass er sich vom Vertrauens- ständige Sozialdienst nun tun muss: Soll Abs. 2 ATSG). Wenn die ganze oder teil- arzt des Sozialamtes begutachten lässt. er sich auf das Urteil abstützen und den weise Erwerbsunfähigkeit voraussichtlich – Stellt der Vertrauensarzt eine (teil- Klienten anhalten eine Arbeit zu suchen? bleibend ist oder längere Zeit andauert, weise) Erwerbsfähigkeit fest, ist ein wird von Invalidität gesprochen (Art. 8 Einstieg in die Berufswelt über ein In- Abs. 1 ATSG). tegrationsprogramm (evtl. mit Bewer- Die IV entrichtet Leistungen, wenn die bungscoaching) zu empfehlen. Erwerbsunfähigkeit gesundheitsbedingt – Wird vom Vertrauensarzt eine Erwerbs- ist. Die Sozialhilfe hingegen orientiert fähigkeit attestiert, ist der Klient in sich am Bedarfsdeckungs- und Subsidia- Form einer Auflage (SKOS-Richtlinien ritätsprinzip und wird demnach nur dann A.8.1) aufzufordern, sich in einem gewährt, wenn sich die bedürftige Person noch zu bezeichnenden Berufsfeld Ar- nicht selbst helfen kann oder wenn Hilfe beit zu suchen. von dritter Seite nicht oder nicht recht- – Diagnostiziert der Vertrauensarzt eine zeitig erfolgt. Der Klient ist verpflichtet, Erwerbsunfähigkeit, kommt die Sozial- alles Zumutbare zu unternehmen, um die hilfe zum Tragen. Notlage aus eigenen Kräften abzuwenden oder möglichst rasch zu beenden. Doch Kurt Felder PRAXIS was ist im Fall von Herrn A. zumutbar? Mitglied Arbeitsgruppe RiP Die Ausrichtung wirtschaftlicher Hilfe (Richtlinienkommission der SKOS) Die Rubrik « Praxis » beantwortet Fragen der kann mit einer Auflage verbunden wer- Sozialhilfepraxis. SKOS-Mitglieder haben die den (SKOS-Richtlinien A.8.1). Der Klient Möglichkeit, konkrete Fragen an die SKOS-Line kann somit verpflichtet werden, sich zur zu richten (www.skos.ch, einloggen ins Intranet, Klärung seiner gesundheitlichen Situa- Rubrik «SKOS-Line» wählen). Ihre Fragen werden tion einer vertrauensärztlichen Untersu- von Fachpersonen beantwortet, und ausgewählte chung zu unterziehen. Beispiele werden in der ZESO publiziert. 8 ZeSo 4/11 PRAXIS
«Die Kantone sollen eine echte und gute Sozialpolitik machen» Peter Gomm ist neuer Präsident der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und -direktoren. Im Interview spricht der Solothurner Regierungsrat über seine Vorstellungen einer professionellen Sozialhilfe. Und er erklärt, mit welchem Mittel die Akzeptanz der SKOS-Richtlinien in den Kantonen erhöht werden könnte. Herr Gomm, Sie sind Innenminister Welche Schwerpunkte setzen Sie in Sie pflegen gute Kontakte zum Bun- des Kantons Solothurn und in dieser diesem Amt? desrat? Funktion auch Sozialdirektor. Welche Meine primäre Aufgabe ist es, den Zu- Bundesrat Burkhalter ist einer, der zu- Bedeutung hat das Wort «sozial» in sammenhalt der Kantone zu stärken und hören kann. Er versucht, die Anliegen der Ihrem beruflichen Alltag? ihre Interessen gegenüber dem Bund zu Kantone aufzunehmen, und wir nehmen Das Wort «sozial» ist im Grunde ge- vertreten. Mit dem Fokus auf die Sozialpo- die Gelegenheit wahr, unsere Themen nommen eine Selbstverständlichkeit für litik gilt es sicherzustellen, dass die Kan- beim Bund zu präsentieren. eine Gesellschaft, die auf den Ausgleich tone auch eine echte und gute Sozialpolitik bedacht ist. So gesehen gehört der Begriff machen. Sie erwähnten die FamEL. Gerade bei «sozial» auch in jede Politik. diesem Thema zeigt der Bund wenig Was heisst das? Initiative. Die SODK hingegen hat Hat es Vorteile, wenn ein Sozialdirek- Es gibt verschiedene Themen, die man Empfehlungen für deren Einführung tor gleichzeitig Sozialdemokrat ist? angehen muss. Beispielsweise arbeiten wir in den Kantonen erarbeitet. Ist das Man merkt es sicher, wenn ein Sozial- an Inhalten, die im Rahmen der Armuts- Ziel der SODK, dass die Kantone diese direktor Sozialdemokrat ist. Er bringt seine konferenz, die der Bund 2010 zusammen Leistungen einführen? Werthaltungen mit, das ist klar. Das heisst, mit den Kantonen initiiert hat, aufgegrif- Es gibt erst wenige Kantone, welche die man richtet sein Augenmerk besonders auf fen wurden. Hohe Priorität hat etwa die FamEL eingeführt haben – und dies in die Entwicklung des sozialen Gefüges in Schaffung von Ergänzungsleistungen für unterschiedlicher Form. Das sind das Tes- der Schweiz und versucht, die Politik ent- einkommensschwache Familien (FamEL). sin, Solothurn, Genf und die Waadt. Und sprechend aktiv zu gestalten. Wir sind zurzeit im Dialog mit dem Bund bereits gibt es Bestrebungen in den Kan- und versuchen ein Modell auf die Beine tonen Freiburg und Wallis. Die SODK fin- Sie setzen sich in Ihrem Amt für sozia- zu stellen, das wieder in den politischen det, die Kantone sollen sich aufgrund der len Ausgleich ein. In der Öffentlichkeit Prozess einfliessen kann, nachdem im laufenden Diskussion mit dem Bund nicht ist seit einigen Jahren die Rede von eidgenössischen Parlament zwei Vorstösse davon abhalten lassen, diese Leistung ein- einer Schere zwischen Arm und Reich. begraben wurden. Im Bereich der Armuts- zuführen. Es ist aber unbestritten, dass die- Gibt es diese Schere? bekämpfung versuchen wir generell stär- se Frage auch auf Bundesebene ernsthaft Statistisch gesehen gibt es Hinweise, ker mit dem Bund zusammenzuarbeiten. thematisiert werden muss. Wir haben nun dass diese Schere aufgegangen ist. Immer Mit Bundesrat Burkhalter haben wir einen eine Arbeitsgruppe mit Verantwortlichen mehr Leute haben kein Vermögen und Gesprächspartner mit einem offenen Ohr. des Bundes und der SODK eingesetzt, die wenige Leute haben ein grosses Vermö- Modellvorschläge erarbeitet. gen. Die Wirtschaft hat sich in den letzten Jahren eigentlich sehr gut entwickelt, das Gibt es weitere Schwerpunkte auf bildet sich aber in den Löhnen ungenü- der Traktandenliste des SODK-Präsi- gend ab. Es gibt also eine Gruppe von Per- denten? sonen, die mit tiefen Löhnen zu kämpfen Ein Dauerbrenner bleibt das Thema hat und somit nicht vom wirtschaftlichen «Bundesrat Burk- Bundesrahmengesetz zur Existenzsi- Aufschwung profitieren kann. Diese Un- terschiede bei den Erwerbseinkommen halter ist einer, der cherung. Da haben Bund und Kantone unterschiedliche Positionen. Der Bund führen letztendlich dazu, dass diese Schere zuhören kann. findet aufgrund der Aufgabenteilung, die aufgeht. Er versucht, die An- Existenzsicherung sei auch Aufgabe der Kantone. Selbstverständlich ist es im föde- Sie sind seit Juni 2011 Präsident der Konferenz der kantonalen Sozialdi- liegen der Kantone ralistischen System der Schweiz Aufgabe jedes Kantons, diese Leistungen sicherzu- rektorinnen und –direktoren (SODK). aufzunehmen.» stellen. Es gibt aber Handlungsbedarf im 12 ZeSo 4/11 Interview
«Man merkt sicher, wenn ein Sozialdirektor Sozialdemokrat ist. Er bringt seine Werthaltung in die Politik ein.» Bilder: Daniel Desborough Sinne einer Koordination und einer Har- Punkten können die SODK und die gibt aber von unserer Seite eine gewisse monisierung, die man vornehmen muss. SKOS ihre Zusammenarbeit intensi- Erwartungshaltung. Wir möchten, dass Existenzsicherung besteht nicht nur aus vieren? der politische Kontext stärker berücksich- Sozialhilfe. Es braucht den Blick auf das Auf organisatorischer Ebene besteht tigt und eingebunden wird, nachdem die Gesamtsystem. So stellen sich zum Beispiel zwischen der SODK und der SKOS eine Sozialhilfe in den letzten zehn, fünfzehn auch im Bereich der Gesundheit existenzsi- sehr gute Zusammenarbeit. Die SKOS ist Jahren in der Öffentlichkeit häufig zu chernde Fragen. vor allem fachlich stark und hat ein grosses Diskussionen geführt hat. Der Prozess Know-how. In diesem Bereich sind ihre bei Revisionen und Anpassungen der Sie denken also eher an ein Koordina- Inputs höchst willkommen. Punktuell SKOS-Richtlinien sollte weiter verbessert tionsgesetz und nicht an ein Rahmen- könnte eine gewisse Intensivierung statt- werden, damit die Akzeptanz auf poli- gesetz zur Existenzsicherung? finden. Wenn politische Komponenten tischer Ebene auch zukünftig vorhanden Es geht einerseits um die Koordination, gefragt sind und es um die Haltung der ist. aber natürlich auch um die Festlegung der Kantone gegenüber dem Bund geht, wird Eckwerte, wie wir das beispielsweise bei es aber auch zukünftig so sein, dass die Das ist ein Appell an die SKOS? den Ergänzungsleistungen zu AHV und IV Kantone für sich eine eigenständige Posi- Ja, ich glaube die SKOS müsste die kennen, die ja letztlich vom Bund festgelegt tion beanspruchen. Kantone in dieser Frage früher einbezie- werden. Diese Praxis der Harmonisierung hen. Es kann zu Missstimmung führen, muss auch in anderen Bereichen einge- Was verstehen Sie unter punktueller wenn die Kantone quasi vor vollendete führt werden, etwa bei der Alimentenbevor- Intensivierung? Tatsachen gestellt werden. schussung, wo die Anwendung zurzeit von Die SKOS hat ein grosses Know-how im Kanton zu Kanton unterschiedlich ist. Hier Bereich der Sozialhilfeleistungen und sie In welche Richtung soll sich die muss man ein gerechteres System finden. ist Herausgeberin der SKOS-Richtlinien. Sozialhilfe Ihrer Ansicht nach entwi- Seites der SODK wird es ausdrücklich ge- ckeln? Für die SKOS hat die Armutsbekämp- wünscht, dass diese fachliche Seite in die Man muss in dieser Frage zwischen fung höchste Priorität. In welchen Erarbeitung der Richtlinien einfliesst. Es Organisation und Inhalt unterschei- interview 4/11 ZeSo 13
den. Inhaltlich, also fachlich gesehen, ist einem soliden fachlichen Hintergrund die Sozialhilfe auf einem guten Weg. Kli- funktionieren kann. So sehe ich die Rollen- entinnen und Klienten werden in einen verteilung. aktiven Prozess geführt, mit dem Ziel, zurück in die Arbeitswelt zu finden. Die- Soll sich die SKOS politisch weniger se Integration hat hohe Priorität. Heute einmischen? sucht man auch nach Lösungen für Leute, Selbstverständlich wird auch der SKOS die in schwierigen Situationen sind. Vor gelegentlich eine politische Frage unter- 20 Jahren hat man vor allem ihr Dossier breitet. Das sehen wir regelmässig, wenn verwaltet. Die Sozialhilfe kommt so aus ei- es um Themen von öffentlichem Interesse ner subsidiären Stellung hinaus und greift geht, beispielsweise letzthin im Zusam- auch Aufgaben auf, die sich andere Insti- menhang mit der Frage der Gewalt gegen- tutionen wie die IV oder die Unfallversi- über Sozialbehörden. Dort hat die SKOS cherung schon länger zu eigen gemacht klar den Auftrag, sich zu positionieren und haben. ihre Meinungen und Werthaltungen be- kannt zu geben. Wie sieht es auf der organisatorischen Ebene aus? Die SODK pflegt im Rahmen des Nati- In diesem Bereich haben einige Kan- onalen Dialogs Sozialpolitik Schweiz˃ tone ihre Strukturen verändert. Man ver- einen Austausch mit dem Eidgenös- sucht, die Sozialhilfe zu professionalisieren sischen Departement des Innern. Was peter gomm und zu regionalisieren oder sogar zu kanto- bewirkt dieser? nalisieren. Auch diese Prozesse sind zu un- Peter Gomm (SP) ist seit Juni 2011 Präsident Diesen Dialog gibt es erst seit Kurzem. terstützen, weil die inhaltlichen Entwick- der Konferenz der kantonalen Sozialdirekto- Er soll primär dazu führen, dass man lungen – also das stärkere Engagement der rinnen und –direktoren (SODK). Der promovierte Grundlagen erarbeiten kann, um poli- Sozialhilfe – eben auch institutionell abge- Jurist führt als Regierungsrat des Kantons So- tische Probleme zu lösen. Ich sehe den stützt und finanziert sein muss. lothurn seit 2005 das Departement des Innern, eigentlichen Sinn vor allem im Vorgehen: dem die Verwaltungszweige Soziale Sicherheit, Die Kantone hacken nicht zuerst einmal Treibt die SODK die Regionalisierung Gesundheit, Polizei, Strafvollzug und Migration auf dem Bund herum und der Bund hackt und Professionalisierung voran? angehören. Peter Gomm ist 52 Jahre alt. Er nicht auf den Kantonen herum, sondern Ich glaube nicht, dass dies eine primä- wohnt mit seiner Familie in Olten. man sitzt gemeinsam an einen Tisch und re Aufgabe der SODK ist. Die Frage der schaut, wie und wo man eine gemein- Strukturen betrifft die Organisationen. same Handlungsebene bestimmen kann. Das sind ureigene Bereiche der Kantone Aus Erfahrung weiss ich, dass diese Art oder der Gemeinden. Die SODK wird in zielführender ist, als wenn man in einem diesem Sinne keine politischen Vorgaben öffentlichen Schlagabtausch versucht, die machen. Wir machen aber Hinweise auf Probleme zu lösen. erfolgreiche Modelle und leisten Support, wenn ein Kanton die Sozialhilfe professio- nalisiert. «Der Prozess bei Wie steht es um den Dialog zwischen Bund und Kantonen, wenn es um Wenn man sich die drei Akteure Revisionen der SKOS- die Revisionen der Sozialversiche- rungen geht? Viele Kantone sind mit SODK, Bund und SKOS in einem Drei- Richtlinien sollte der Politik des Bundes unzufrieden. eck vorstellt, wie muss die Verbindung idealerweise funktionieren? weiter verbessert Überspitzt gesagt lautet das Fazit: Der Bund revisioniert – die Kantone baden Es gibt eine politische Ebene, dort ist die Verbindung zwischen Bund und Kan- werden.» aus. Die Gefahr besteht tatsächlich. Sie ist tonen und auch zwischen dem Städtever- aber weniger auf die Art und Weise zu- band und dem Gemeindeverband ange- rückzuführen, wie der Bund und die Kan- siedelt. Dann gibt es eine Fachebene. Die tone miteinander verkehren, sondern ein SODK und die SKOS sind vor allem auf Ergebnis der aktuellen politischen Kultur dieser fachlichen Ebene miteinander ver- in der Schweiz. Typisch dafür war die De- bunden. Die SKOS kümmert sich ihrem batte um die Scheininvaliden. Im nati- Auftrag entsprechend um die öffentliche onalen Parlament wird die Anspruchs- Fürsorge. Dieser Auftrag gibt eine gute berechtigung von bestimmten Gruppen Grundlage und schafft letztendlich auch in Frage gestellt. Ich erinnere hier an die die Voraussetzungen, dass die Politik auf psychisch Kranken, die jetzt mit der 5. und 14 ZeSo 4/11 interview
der 6.IV-Revision nicht mehr in allen Be- Wir wissen aber, dass es ein bis zwei Jah- praktisch alleine betrieben haben. Präven- reichen den gleichen Anspruch auf Versi- re dauert, bis ein Gesuch beantwortet ist. tion kann sich im politischen Umfeld nur cherungsleistungen haben wie körperlich Hier zu behaupten, dass die neue Praxis schwer durchsetzen, weil die Ergebnisse geschädigte Menschen. nicht zu einer Verschärfung führen wird, nicht direkt messbar sind. Man kann nicht halte ich beinahe für zynisch. mit einer Statistik dahinter, sondern muss Was tut die SODK? Überzeugungsarbeit leisten, damit Verän- Unsere zentrale Aufgabe ist es, aufzuzei- Die OECD hat letzthin einen Bericht derungsprozesse in Gang kommen. Bei gen, dass dies falsche Schritte sind. Diese zum Schweizer Gesundheitswesen den Kantonen ist übrigens in Bezug auf die Politik wird auf uns zurückkommen, denn vorgelegt, welcher der Schweiz sehr Präventionsgesetzgebung, die der Bund die gesellschaftliche Solidarität wird stark gute Noten attestiert. Jedoch kommt dem Parlament präsentiert hat, eine posi- leiden, davon bin ich überzeugt. Die Zah- er zum Schluss, dass die Prävention tive Stimmung auszumachen. Sie ist sogar len aus 2009, die vom Bundesamt für So- unterentwickelt ist. Ist das generell so positiver als in den parlamentarischen Gre- zialversicherung präsentiert worden sind, in der Schweizer Sozialpolitik? mien. sind für mich nicht plausibel. Bisher sind Prävention ist ein politisches Thema, aufgrund der 5. IV-Revision noch nicht so das noch relativ jung ist. Ursprünglich Wenn man erfolgreich Politik und vor viele Leute in die Sozialhilfe gekommen. waren es Aufgaben, welche die Kantone allem auch Sozialpolitik betreiben will, muss man die Bevölkerung hinter sich haben. Wie pflegen Sie als Regie- rungsrat den Kontakt zu den Bürge- rinnen und Bürgern? In der medialisierten Gesellschaft von heute besteht die Möglichkeit, dass man sich regelmässig via Medien an die Bevöl- kerung wendet. Das muss nicht immer auf Regierungsebene sein. Man kann auch auf der Abteilungsebene einzelne Projekte vorstellen. Zudem bin ich relativ viel unter- wegs. Ich nutze Ansprachen oder Gruss- botschaften, um mein politisches Credo anzubringen. Die Menschen wollen sehen, dass ich die Inhalte mit Engagement und Überzeugung vertrete. Etwas vom Wich- tigsten ist es auch, dass man den Dialog mit Entscheidungsträgerinnen und Ent- scheidungsträgern in der Politik über alle Stufen hinweg pflegt. Häufig ist es näm- lich nicht so, dass man die Bevölkerung von einem Anliegen überzeugen muss, sondern jene Leute, die entscheidende Po- sitionen und Ämter innehaben. Gibt es ein anders Land auf der Welt, wo Sie gerne Sozialdirektor oder In- nenminister wären? Ich bin ganz zufrieden, das Amt eines Regierungsrates im Kanton Solothurn aus- üben zu können. Die Bevölkerung bringt einem grosses Vertrauen entgegen. Man ist ja vom Volk gewählt, im Gegensatz zu an- deren Ländern, wo man – gerade auf kan- tonaler Stufe – oft von einem Parlament gewählt und von einer Landesregierung abhängig ist, wie zum Beispiel in Frank- reich. Das Gespräch führte Monika Bachmann interview 4/11 ZeSo 15
Dringend gesucht: Stellenleiter/in Sozialhilfe Sozialämter in ländlichen Gebieten bekunden am meisten Mühe damit, Führungspositionen neu zu besetzen. Von den Kandidaten und Kandidatinnen werden nebst einer sozialarbeiterischen Ausbil- dung auch betriebswirtschaftliche Kenntnisse verlangt – und an denen scheint es zu hapern, wie eine nicht-repräsentative Umfrage zeigt. Auf die Frage, wie einfach es für sie sei, Führungspersonen für frei gewordene oder neu geschaffene Kaderstellen zu finden, geben «Viele Sozialarbeiter Leiter und Leiterinnen von Sozialämtern ganz unterschiedliche und Sozialarbeiterinnen Antworten. So hat das Sozialamt der Stadt Luzern keine Mühe da- mit, gute Leute zu finden. Der Leiter Peter Erdösi führt als Beispiel bilden sich zwar intensiv die jüngste Stellenausschreibung in seinem Dienst an, welche den Posten des Bereichsleiters Job-Center betraf und bei der über 70 weiter, doch meist auf Dossiers auf seinem Schreibtisch eintrafen. Dieser quantitativ und Fachebene und nicht im qualitativ gute Rücklauf sei kein Einzelfall, sagt Erdösi: «Unser So- zialamt geniesst in der Bevölkerung der Stadt Luzern ein gutes Management.» Image.» Gründe dafür gibt es gleich mehrere: Einerseits ist sich Felix Wolffers, Leiter Sozialamt der Stadt Bern das Sozialamt des Rückhalts durch die Politik sicher, andererseits betreiben sowohl Erdösi als auch sein Vorgesetzter, Sozialdirektor Ruedi Meier, eine aktive Medienpolitik. Nicht zuletzt trägt auch die Nähe zur Hochschule Luzern – Soziale Arbeit zum guten Ruf des städtischen Sozialamts bei, das jährlich mehrere Praktikanten und Praktikantinnen des Bachelor- und Masterstudiengangs be- schäftigt, die als Multiplikatoren wirken. Auch die Rekrutierungen in der Stadt Aarau und im Kanton Schaffhausen sind in den letzten Jahren reibungslos verlaufen. In werden. Für Eugsters Nachfolge aufgrund seiner bevorstehenden Aarau wurden in den letzten Jahren vier Führungspositionen neu Pensionierung trafen mit sieben zwar mehr Bewerbungen ein, besetzt, wobei es nur in einem Fall etwas länger dauerte, bis eine aber keine passenden. Die Stelle musste in leicht abgeänderter geeignete Person gefunden werden konnte. Warum dies so einfach Form ein zweites Mal ausgeschrieben werden: Statt einem sozial- ging, will die Vorsteherin soziale Dienste der Stadt Aarau, Jean- oder rechtswissenschaftlichen Studienabschluss wurden nun auch nine Meier, nicht pauschal beurteilen: «Bei einem Dienst mit acht vergleichbare Ausbildungen zugelassen. Unter den zehn neuen Führungspositionen und so wenigen Wechseln lassen sich keine Dossiers befanden sich zwei gute Bewerbungen, so dass es auch verbindlichen Aussagen machen.» Ähnlich klingt es aus Schaff- hier möglich sein sollte, bald eine für diese Position geeignete Per- hausen, wo das kantonale Sozialamt mit fünf Kaderstellen dotiert son zu finden. ist, von denen in den letzten acht Jahren eine zweimal neu besetzt werden musste. In Absprache mit der Geschäftsleitung warb der Alte Vorurteile Dienststellenleiter Christoph Roost im einen Fall jemanden ab, im Wolffers und Dürr führen die Schwierigkeiten bei der Kaderrekru- anderen Fall beförderte er einen internen Quereinsteiger. tierung in erster Linie auf Defizite in der Aus- und Weiterbildung von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern zurück. Je weiter ent- Magerer Rücklauf fernt das Aufgabengebiet von der Fallführung liege, desto mehr Dass sich die Rekrutierungssituation auch ganz anders präsentie- seien Managementkompetenzen wie Kosten- und Prozessoptimie- ren kann, zeigen die folgenden Beispiele: Felix Wolffers, Leiter So- rung sowie Personalführung gefragt, sagen beide übereinstim- zialamt der Stadt Bern, Walter Dürr, Sozialvorstand der Zürcher mend. Fähigkeiten, die oft fehlten, meint Wolffers: «Viele Sozialar- Gemeinde Affoltern am Albis, und Norbert Eugster, Leiter Soziale beiter und Sozialarbeiterinnen bilden sich zwar intensiv weiter, Dienste des Kantons Appenzell Innerrhoden, berichten überein- doch meist auf Fachebene und nicht im Management.» Wer aber stimmend, dass die Besetzung von Kaderstellen für sie schwierig aufsteigen wolle, müsse sich mit Fragen der Fallsteuerung und sei. Auf die letzte Ausschreibung der Stelle der Geschäftsführerin wirtschaftlichen Effizienz auseinandersetzen. «Diese Themen gal- des Sozialdienstes etwa haben sich in Affoltern nur gerade drei Per- ten lange als Tabu-Bereiche», sagt Wolffers, der auch von Fach- sonen gemeldet, und nur, weil eine von ihnen alle geforderten hochschulen fordert, vermehrt betriebswirtschaftliche Kompeten- Qualifikationen mitbrachte, konnte die Position bereits besetzt zen zu vermitteln, insbesondere auf Masterstufe. Ein Anliegen, das 22 ZeSo 4/11 SCHWERPUNKT
«Es tut uns leid, aber Sie bringen die geforderten Qualifikationen nicht mit»: Kaderstellen werden nicht selten mehrmals ausgeschrieben. Bild: Keystone Dürr voll und ganz unterstützt: Auch er erwartet von den Ausbil- Punkt sind sich die angefragten Personen einig. Die Arbeitgeber dungsstätten ein Umdenken, damit Führungspersonen den Anfor- tun auch einiges dafür: Die Zusammenarbeit im Team sei gut, derungen ihrer Position besser gewachsen seien: «Viele Kadermit- heisst es von Bern bis Appenzell, und grosszügige Aus- und Weiter- arbeitende führen zu offen und fokussieren zu einseitig auf die Be- bildungsmöglichkeiten mit einer substanziellen Kosten- und Zeit- dürfnisse der Klientinnen und Klienten, anstatt mit dem zur Ver- übernahme sind ebenso gang und gäbe wie die Möglichkeiten von fügung stehenden Geld wirtschaftlich umzugehen», lautet seine Supervision und, falls gewünscht, Coaching. Punkto Arbeitszeitre- Einschätzung. Der Gemeinderat weiss, wovon er spricht: Affoltern gelung sind Aarau und Bern besonders fortschrittlich: Meier und sah sich mit vielen Strafanzeigen wegen Missbrauch konfrontiert, ihre Mitarbeitenden kommen in den Genuss von Jahresarbeitszeit, was zu einer Reorganisation des Sozialdienstes und zu einer stärke- und bei Wolffers können alle Angestellten bis hin zum Kader in ei- ren Gewichtung betriebswirtschaftlicher Fähigkeiten führte. nem Teilzeitpensum arbeiten, falls sie dies wünschen. Der Sozial- Anders ist die Lage in Appenzell Innerrhoden. Dort sind laut dienst unterstützt mit seinen Teilzeitangeboten und diversen Ar- Eugster nicht fehlende Managementkompetenzen der Grund für beitszeitmodellen aktiv Weiterbildungen und die Wahrnehmung die harzigen Besetzungen der Kaderstellen, sondern breite Anfor- von Familienpflichten. Tief gehalten wird die Fluktuation zumin- derungsprofile: «In einem kleinen Sozialdienst wie dem unseren dest punktuell auch dadurch, dass viele Führungspersonen ihre sind Führungspersonen auch operativ tätig und müssen etwa im Kaderstelle in nicht mehr ganz jungem Alter antreten oder in der Wald Beschäftigungsprogramme leiten, für die handwerkliches Gegend, in der sie arbeiten, verankert sind. So kommt es, dass Ka- Geschick erforderlich ist.» Solche Allrounder-Qualitäten seien derpersonen trotz hohem Arbeitsvolumen, teils belastender Tätig- jedoch Mangelware. Hinzu kommt, dass ländliche Regionen wie keit und guten Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt ihr Können oft Appenzell im Vergleich zu den urbanen Zentren über eine gerin- viele Jahre für denselben Arbeitgeber unter Beweis stellen. gere Standortattraktivität verfügen. Karin Meier Unterstützung im Team Die gute Nachricht: Sind die Kadermitarbeitenden erst einmal ge- funden, bleiben sie einem Sozialdienst in der Regel lange erhalten, falls nicht gerade ein Führungswechsel stattfindet – in diesem SCHWERPUNKT 4/11 ZeSo
Als pflegende Angehörige wird man erfinderisch: Beatrice Gerber mit Ehemann Peter. Bild: Ursula Markus «Unser Leben gleicht einem kleinen Unternehmen» Beatrice Gerber (55) ist Beraterin in einem Fachgeschäft für Elektrowerkzeuge. Ihr Mann ist seit acht Jahren fast vollständig gelähmt. Dank ihrem 70-Prozent-Pensum und einigen kreativen Lösungen bewältigen sie und ihre Familie den Alltag zuhause. «Zehn Prozent Komplikationsrisiko sagte Vor acht Jahren noch arbeitete Beatrice neu zu regeln. «Das war das Beste, was er man uns vor acht Jahren für die Rücken- Gerber Vollzeit. Während der neunmona- tun konnte», sagt sie. Ihr Mann und der operation meines Mannes voraus. Seither tigen Rehabilitation am Paraplegikerzen- Sohn wollten im Einfamilienhaus bleiben. ist er fast vollständig gelähmt», sagt Beatri- trum fuhr sie täglich nach Nottwil, um mit Die Familie plante mit einem befreunde- ce Gerber, Ehefrau von Peter Gerber. Tetra- ihrem Mann die Abende zu verbringen. ten Architekten den behindertengerechten plegie hiess die Diagnose. Zum Glück ge- Am Wochenende wohnte sie im Zelt auf Umbau. Der Umbau gelang ohne einen lingt es dem 65-Jährigen heute, den linken dem Campingplatz, um keine Zeit mit Franken Fehlinvestition. Arm zu heben und drei Finger der rechten Reisen zu verlieren. «Ich arbeitete und Hand zu bewegen. So kann er etwas Klei- funktionierte einfach, wollte nichts davon Um einen Alltag kämpfen nes essen, mit einem Spezialgriff auch wissen, das Haus zu verkaufen oder einen Vor der Arbeit, um 5.45 Uhr, bereitet Beat- selbstständig trinken. Er kann den elektri- Treppenlift einzubauen.» rice Gerber ihren Mann für die Morgenpfle- schen Rollstuhl bedienen, Zigaretten rau- Nach einiger Zeit griff Beatrice Gerbers ge vor, kocht Tee und stellt die Medikamen- chen, im Quartierladen einkaufen und Vorgesetzter ein. Er verordnete ihr eine te bereit. Von Montag bis Freitag kommt die Filme am PC schneiden. Woche Ferien mit dem Auftrag, ihr Leben Spitex um 7 Uhr und führt die Pflege wei- 30 ZeSo 4/11 Reportage
Wie unbezahlte Care-Arbeit besser abgesichert werden kann Das Büro BASS (arbeits- und sozialpoliti- die Sozialpolitik skizziert. Der Umgang Ausgleichskassen sche Studien) und die SKOS haben im mit unbezahlter Care-Arbeit im Sozialstaat Auftrag des Eidgenössischen Büros für die wird vor dem Hintergrund zweier dyna- leisten kompensation Gleichstellung von Frau und Mann (EGB) mischer Entwicklungen untersucht: Ei- Wenn jemand das Arbeitspensum zugunsten ein Grundlagenpapier verfasst, das sich nerseits sind dies die aktuellen sozialstaat- der Pflege von Angehörigen reduziert, und mit der Frage auseinandersetzt, wie der lichen Reformbestrebungen, andererseits die pflegebedürftige Person ergänzungsleis- Sozialstaat in Zukunft unbezahlte Care-Ar- der Wandel der geschlechtsspezifischen tungsberechtigt ist, so ist bei der kantonalen beit absichern kann. Unter unbezahlter Arbeitsteilung im Sinne einer verstärkten Ausgleichskasse ein Antrag auf «Krankheits- Care-Arbeit werden Betreuungs-, Sorge- Erwerbsintegration der Mütter. und Behinderungskosten» möglich. Darin und Pflegeaufgaben für Kinder sowie für Das Papier schlägt vor, die Rahmen- wird die Kompensation jenes Verdienstes pflege- und betreuungsbedürftige Er- bedingungen für eine gute Lebensgestal- beantragt, welche die angehörige Person wachsene verstanden. Diese Arbeit ist ge- tung zwischen Wahlmöglichkeiten und aufgrund des reduzierten Pensums einbüsst. sellschaftlich notwendig und trägt viel Verpflichtungen im Sinne einer aktiven Seit Januar 2011 müssen alle Kantone eine zum Wohlstand bei, ist aber gleichzeitig Lebenslaufpolitik zu gestalten. Diese setzt entsprechende Verordnung haben, die die mit beträchtlichen Benachteiligungen ver- auf einen präventiven Ansatz in der Sozi- frühere Bundesregelung (ELKV) ersetzt. bunden. Sie stellt in der Schweiz heute ein alpolitik und garantiert die Vereinbarkeit Armutsrisiko dar, denn die soziale Absi- von Erwerb und Care-Verpflichtungen cherung greift in diesem Bereich oft nicht. gegenüber Kindern und weiteren pflege- Dies kann sich auch als strukturelle Hürde und betreuungsbedürftigen Menschen Care-Arbeit: Modelle für eine gleichstellungsorientierte Arbeits- aus dem privaten sozialen Umfeld im Lau- teilung von Paaren auswirken. fe des Lebens. für Arbeitgeber Das Grundlagenpapier bietet eine Careum F+E, das Forschungsinstitut der Auslegeordnung, die bestehende, care- Caroline Knupfer Kalaidos Fachhochschule Departement Ge- bedingte Armutsrisiken und Gerechtig- Fachbereichsleiterin Grundlagen der SKOS sundheit, hat verschiedene Instrumente für keitsprobleme aufzeigt, Handlungsfelder Arbeitgeber und Arbeitnehmende entwickelt. identifiziert sowie Stossrichtungen für Das Papier kann ab 2012 beim Eidg. Büro für die Diese können helfen, die Vereinbarkeit von Veränderungen im System der sozialen Gleichstellung von Frau und Mann bestellt werden: Beruf und Pflege zu meistern. Sicherung als Diskussionsgrundlage für ebg@ebg.admin.ch Weitere Infos: www.workandcare.ch ter, transferiert ihn in den Rollstuhl und be- beiten würde – schon aus wirtschaftlichen ist. Rat kann sie jerderzeit bei ParaHelp, reitet das Frühstück zu. Von Freitagabend Gründen. Die Arbeit als Fachberaterin für der Spitex und dem Care Manager der bis Montag und während den Ferien ist Be- Elektrowerkzeuge bedeutet Beatrice Ger- Krankenkasse einholen. atrice Gerber alleine zuständig. Alles wird ber viel. Sie hat strukturierte Arbeitszeiten Kreative Lösungen sind auch bei der Fi- dokumentiert, damit die Spitex jederzeit an sieben Halbtagen. Wenn sie oder ihr nanzierung der vielen Leistungen gefragt, über den Stand der Dinge Bescheid weiss. Mann krank werden, zeigen sich der Ar- damit die Kosten tragbar sind. «Unser Le- «Wenn ich ausfalle, arbeiten 14 Personen beitgeber und die Arbeitskolleginnen und ben gleicht einem kleinen Unternehmen. nach vorgegebenem Plan», sagt sie. Zum -kollegen flexibel. Als pflegende Angehörige wird man erfin- Glück ist Peter Gerber unkompliziert und derisch», sagt Beatrice Gerber. Inzwischen akzeptiert die vielen Leute. Intelligente Lösungen sind gefragt ist sie von der Privatspitex ihres Mannes Seit kurzem ist er pensioniert. Früher Die grösste Belastung ist die Nacht. Ein- für einige Stunden angestellt. Die Kosten fuhr ihn das Behinderten-Auto jeweils um 9 bis fünfmal muss Beatrice Gerber aufste- bezahlt die Krankenkasse. So ist sie sozial- Uhr zur Arbeit. Er hatte sie bei seinem lang- hen, um ihren Mann umzulagern, Einla- versichert und erhält im Krankheitsfall ein jährigen Arbeitgeber behalten können. Die gen zu wechseln, ihm zu trinken zu geben. Taggeld. Präsenzzeit am Arbeitsort betrug 50 Pro- Wenn sie durch die Privatspitex für den zent, die Arbeitsleistung 20 Prozent – dies Abenddienst abgelöst wird, geht sie jeweils gilt bei einer 100-prozentigen IV-Rente als früh zu Bett, damit sie etwas schlafen kann, Iren Bischofberger Beschäftigung. Das Gehalt reichte gerade bevor ihr Mann das erste Mal läutet und ei- Fachbereichsleitung Forschung, Careum F+E für die Fahrkosten. Doch die Arbeit war nen Wunsch äussert. Seit kurzem hat Peter wichtig, sie bot Peter Gerber Ablenkung. Gerber insulinpflichtigen Diabetes. Seine Marianne Schärli Für Familie Gerber war es immer klar, Frau konnte erreichen, dass das Spritzsche- Berufsschullehrerin dass die Mutter und Ehefrau weiterhin ar- ma mit ihren Arbeitszeiten kompatibel Schule für Gesundheit und Soziales Kt. Aargau reportage 4/11 ZeSo 31
Das Geschäft mit der Fremdplatzierung Bei der Platzierung von Kindern und Jugendlichen orientieren sich gewisse Organisationen am Profit statt am Kindeswohl. Integras, der Fachverband für Sozial- und Sonderpädagogik, fordert deshalb eine gesetzliche Regelung auf Bundesebene. Als Referenz kann das Label FPO dienen. In den letzten zehn Jahren ist in der Diese meist in den letzten Jahren ge- ze können im Bereich der Fremdplatzie- Deutschschweizer Sozialbranche ein neuer gründeten Organisationen verfügen bereits rung zu erheblichen Missständen führen, Markt entstanden: Dienstleistungen im über einen bestehenden Pool an Pflegefa- wie ein TV-Bericht der «Rundschau» am 6. Bereich Familienplatzierungen. Platzie- milien und können dem Auftraggeber oft April 2011 zeigte. rende Stellen in der Kinder- und Jugend- rasch einen freien Pflegeplatz vermitteln. Integras legt Wert auf die Feststellung, hilfe (Amtsvormundschaften, Jugendan- Häufig übernehmen sie gegen eine ent- dass es unter den rund 70 in der Schweiz waltschaften, Jugend- und Familienbera- sprechende Tagespauschale verschiedene tätigen FPO (genaue quantitative Angaben tungsstellen) stehen oft unter einem gross- Dienstleistungen, wie beispielsweise Ab- fehlen) durchaus solche gibt, die qualita- en Zeit- und Arbeitsdruck, so dass sie die klärung, Weiterbildung von Pflegeeltern tiv gute Arbeit leisten und ihre Dienstleis- aufwändige Suche nach einer geeigneten und Begleitung des Pflegeverhältnisses. tungen am Kindswohl und an den Kin- Pflegefamilie für ein Kind oder einen Ju- derrechten ausrichten. Dies ist ihnen hoch gendlichen gerne an eine externe Stelle de- Der Markt setzt falsche Anreize anzurechnen, denn ökonomisch gesehen legieren. Hier kommen die Familienplat- Problematisch an der aktuellen Situation profitieren sie davon nicht: Eine FPO, die zierungs-Organisationen (FPO) ins Spiel. ist in den meisten Kantonen, dass Quali- fachlich gute, das heisst aufwändige Arbeit tätsnormen und -standards auf gesetzlicher leistet, erzielt weniger Gewinn. Ausgerech- oder freiwilliger Ebene fehlen. Familien- net in diesem sensiblen Bereich des Kin- platzierungs-Organisationen sind teils als des- und Jugendschutzes setzt also ein frei- Vereine, teils als profitorientierte Firmen er Markt ohne flankierende Massnahmen organisiert. Sie sind auf Einnahmen, also falsche Anreize. Betroffen sind Kinder und auf Leistungen der Auftraggeber, angewie- Jugendliche, die durch ihre schwierige Le- sen. Es ist im Sozialbereich durchaus üb- benssituation besonders schutzbedürftig lich, dass die Auftraggeber nicht identisch sind. Pflegekinder haben häufig nicht El- sind mit den Leistungsempfängern. Es hat tern, die sich für ihre Rechte und Bedürf- deshalb eine gewisse wirtschaftliche Logik, nisse einsetzen, sie werden ja auch genau dass viele FPO ihre Dienstleistungen nicht aus diesem Grund fremdplatziert. primär am Wohl der Pflegekinder ausrich- ten, sondern an den Bedürfnissen der Auf- Das Gesetz hat Lücken traggeber. Wirtschaftlich erfolgreich ist ei- Fremdplatzierte Kinder haben gemäss Art. ne FPO dann, wenn sie den Auftraggebern 20 der UN-Kinderrechtskonvention An- möglichst rasch und unkompliziert einen spruch auf besonderen Schutz und Bei- Pflegeplatz vermitteln kann. Mit einer stand des Staates. Trotzdem gibt es bis an- schnellen Platzierung ist aber den betroffe- hin keine gesetzliche Regelung auf Bun- nen Kindern und Jugendlichen nicht un- desebene, die vorschreibt, dass FPO ihre bedingt gedient – im Gegenteil: Aus der Leistungen am Kindswohl und an den Kin- Forschung ist bekannt, dass eine sorgfälti- derrechten orientieren. Für die platzieren- ge Planung sowie die Angewöhnungs- und den Organisationen besteht in den meisten Übergangszeit für ein Pflegeverhältnis zen- Kantonen weder eine Bewilligungs- noch tral sind. Zudem müsste eine FPO aus eine Aufsichtspflicht. Bewilligung und Auf- PLATTFORM fachlichen Überlegungen einen Auftrag sicht von FPO hätten eigentlich in der revi- ablehnen, wenn für ein Kind oder einen Ju- dierten Fassung der Pflegekinder-Verord- Die ZESO bietet ihren Partnerorganisationen gendlichen kein geeigneter Familienplatz nung (PAVO) geregelt werden sollen. Doch diese Doppelseite als Plattform an: in dieser zur Verfügung steht. Dies widerspricht die Revision ist auch mit dem zweiten Ausgabe Integras, dem Fachverband für Sozial- aber den wirtschaftlichen Interessen der Entwurf gescheitert und ihre Zukunft ist und Sonderpädagogik. FPO. Diese falschen ökonomischen Anrei- völlig offen. 32 ZeSo 4/11 plattform
Integras ist der Fachverband für Sozial- und Sonderpädagogik. Er setzt sich für Fachlichkeit und Professionalität in der aus- serfamiliären Betreuung von Kindern und Jugendlichen ein. Dem Verband gehören rund 230 Institutionen an, die insgesamt 11 000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene professionell fördern, betreuen oder schulen. Integras ist in der ganzen Schweiz aktiv. Weitere Infos: www.integras.ch Qualität ihrer Arbeit gegenüber einer exter- nen Stelle nachweisen. Damit diese Qualifi- zierung vorgenommen werden kann, hat Integras vor zwei Jahren das Label FPO entwickelt. An diesem Prozess waren Fach- leute aus den Bereichen Kinder- und Ju- gendschutz, Pflegekinderhilfe und Heim- wesen beteiligt. Mit dem Label FPO kön- nen Familienplatzierungs-Organisationen ihre fachliche Qualität standardisiert nach- Pflegekinder sind schutzlos – und deshalb besonders schutzbedürftig. Bild: ex-press weisen. Bisher ist die Nachfrage jedoch ge- ring. Den FPO fehlt der Anreiz, das Zertifi- zierungsverfahren auf sich zu nehmen, da Integras bedauert dies, denn eine Be- Standort ohne Probleme in einen anderen sie auch ohne Label Aufträge erhalten. Dies willigungspflicht für FPO auf Bundesebe- Kanton verlagern können. dürfte sich erst ändern, wenn die platzie- ne, die klare Kriterien enthält, würde die renden und finanzierenden Stellen ihre Zu- Gesetzeslücke schliessen und zum Schutz Ein Label schafft Qualität sammenarbeit mit FPO davon abhängig der betroffenen Kinder und Jugendlichen Bis sich Bund oder Kantone zu einer gesetz- machen, ob diese über einen standardisier- beitragen. lichen Regelung durchringen, tragen die ten und von externer Stelle überprüften Voraussichtlich wird es noch Jahre dau- zuständigen Platzierungs- und Sozialbe- Qualitätsnachweis verfügen. ern, bis ein entsprechendes Gesetz in Kraft hörden die Verantwortung. Sie entschei- tritt. Deshalb braucht es dringend Über- den, mit welchen FPO sie zusammenarbei- Andrea Keller gangslösungen. Einzelne Kantone haben ten. Zwar ist in der Regel die Soziahilfebe- Fachmitarbeiterin Integras in Verordnungen Vorschriften für den Be- hörde an einen Platzierungsentscheid der trieb von FPO definiert, was zu begrüssen Vormundschaftsbehörde gebunden, sie Benjamin Shuler ist. Allerdings birgt diese Entwicklung die kann aber im Rahmen des rechtlichen Ge- Kommunikation und Projekte, Integras Gefahr, dass im Bereich der Fremdplatzie- hörs die Forderung stellen, dass für einen rung ein weiterer föderaler Flickenteppich Platzierungsauftrag ausschliesslich Organi- S. auch S. 35: Veranstaltungen entsteht. Hinzu kommt, dass FPO ihren sationen berücksichtigt werden, welche die «Fremdplatzierung: Ultima Ratio?» plattform 4/11 ZeSo 33
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