Der russische Krieg in der Ukraine: Chinas Kalkül - Research ...
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ETH Library Der russische Krieg in der Ukraine: Chinas Kalkül Other Publication Author(s): Carlson, Brian G. Publication date: 2022-05 Permanent link: https://doi.org/10.3929/ethz-b-000545002 Rights / license: In Copyright - Non-Commercial Use Permitted Originally published in: CSS Analysen zur Sicherheitspolitik This page was generated automatically upon download from the ETH Zurich Research Collection. For more information, please consult the Terms of use.
CSS Analysen zur Sicherheitspolitik Nr. 303, Mai 2022 Der russische Krieg in der Ukraine: Chinas Kalkül China steht vor schwierigen Entscheidungen, wie es auf die russische Invasion in der Ukraine reagieren soll. Obwohl der Krieg für China diverse Risiken birgt, betrachtet das Land Russland weiterhin als wich- tigen Partner. Zwar scheut China eine Unterstützung Russlands, die mit hohen Kosten verbunden wäre, wie etwa Hilfe bei der Umgehung von Sanktionen. An seinem rhetorischen Beistand wird es jedoch vermutlich festhalten und die Aufforderungen, Russland in die Schranken zu weisen, ignorieren. Von Brian G. Carlson Russlands Krieg in der Ukraine stellt die chinesisch-russische Partnerschaft auf eine harte Probe. In den vergangenen Jahren hatte der gemeinsame Wunsch, die gegen- wärtige Weltordnung zu revidieren und die Macht der USA zu beschneiden, die bei- den Länder zusammengeschweisst. Russ- land hat seine Besorgnisse hinsichtlich ei- ner möglichen Bedrohung durch China fallen lassen – in der Annahme, der Auf- stieg Chinas lenke die USA von Europa ab, wodurch Russland mehr Handlungsspiel- raum bliebe. China wiederum profitiert von Russlands Feindseligkeit gegenüber dem Westen, denn sie verhindert, dass die USA sich zu sehr auf Chinas wachsenden Einfluss und seine Ambitionen in Asien und darüber hinaus konzentrieren. Obwohl der russische Konfrontationskurs Der russische Präsident Wladimir Putin und der chinesische Präsident Xi Jinping an einem Gipfeltreffen gegenüber Europa und dem Westen für in Peking am 4. Februar 2022. Sputnik Photo Agency / Reuters China gewisse potenzielle Vorteile hat, ist das Land durch den Ukraine-Krieg in eine schwierige Lage geraten. Russlands unver- hohlene Aggression gegen die Ukraine, mit mehrheitlich verurteilt wird, gefährdet sogar in China selbst. Sie verlangen die Di- der China seit Langem freundschaftliche Chinas Reputation und könnte umfassen- stanzierung von einem immer unberechen- Beziehungen pflegt, steht in offensichtli- dere internationale Anfeindungen nach barer werdenden Partner. chem Widerspruch zu den bisherigen sich ziehen. Sekundärsanktionen für China Prinzipien der chinesischen Aussenpolitik, wegen der Wirtschaftsbeziehungen zu Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass einschliesslich der Unverletzlichkeit der Russland sind nicht auszuschliessen. Die Präsident Xi Jinping und die oberste chi- staatlichen Souveränität und der territoria- Risiken im Zusammenhang mit einer fort- nesische Führung sich von Russland ab- len Integrität. Der Schulterschluss mit ei- gesetzten Unterstützung Russlands haben wenden werden. Für China wäre das Worst- nem Land, dessen Vorgehen nun weltweit kritische Stimmen auf den Plan gerufen, Case-Szenario eine vollständige Niederlage © 2022 Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich 1
CSS Analysen zur Sicherheitspolitik Nr. 303, Mai 2022 Russlands in der Ukraine und der Sturz des traf die Regierung in Peking Massnahmen habe China um Waffen und wirtschaftliche Regimes von Wladimir Putin. Dann könn- zur Evakuierung chinesischer Staatsange- Hilfe gebeten. Beide Staaten dementierten te eine neue russische Regierung an die höriger aus Kiew und anderen ukraini- diese Berichte. Die USA drohten China mit Macht gelangen, die sich China womög- schen Städten erst nachdem der Krieg aus- harten Sanktionen für jegliche Unterstüt- lich weniger zugetan zeigte. gebrochen war. Mit der gemeinsamen zung Russlands. Während eines Telefonats Erklärung hatte China allerdings zum mit US-Präsident Joe Biden am 18. März Aus der Freundschaft mit Russland zieht Ausdruck gebracht, dass es den russischen weigerte Xi sich, Druck auf Russland aus- China diverse Vorteile, unter anderem eine Standpunkt zur europäischen Sicherheit zuüben, und machte die USA für die Krise sichere Nordflanke, Beistand von einem teilt und jede weitere NATO-Expansion verantwortlich, indem er ein chinesisches gleichgesinnten Partner sowie Zugang zu ablehnt. Presseberichten zufolge, in denen Sprichwort zitierte: «Wer dem Tiger die russischen Waffen und Energieressourcen. US-amerikanische Nachrichtendienste zi- Glocke umbindet, muss sie auch wieder los- China bereitet sich darauf vor, den strategi- tiert werden, soll China Russland gebeten machen.» Bei einem virtuellen EU-China- schen Wettbewerb mit den USA in den haben, einen Militäreinsatz gegen die Uk- Gipfel am 1. April sagte Xi, sein Land wer- kommenden Jahren zu verschärfen. Ange- raine auf die Zeit nach den Olympischen de sich weiterhin für Frieden einsetzen, aber sichts dessen hält die chinesische Führung Spielen zu verschieben. auf seine Weise. Die europäischen Staats- es kaum für ratsam, den USA zur Seite zu oberhäupter machten sich nach dem Tref- springen, wenn sie Chinas einzigen engen Unmittelbar vor und nach Kriegsausbruch fen keine grosse Hoffnung, dass China Verbündeten in die Schranken weisen wol- sprach China sich dafür aus, die Krise auf Russland zur Umkehr bewegen wird. len. Vermutlich wird China aber sorgfältig diplomatischem Wege zu überwinden. Auf darauf achten, dass sein internationales der Münchner Sicherheitskonferenz for- Hinsichtlich materieller Unterstützung Image und seine wirtschaftli- blieb China allerdings ebenfalls verhalten. chen Interessen keinen unnöti- Die russische Invasion wurde Die von Putin und Xi Anfang Februar ge- gen Schaden nehmen, und es troffenen Vereinbarungen laufen weiter deswegen vermeiden, Russland von China weder befürwortet wie geplant. Beispielsweise planen die bei- Waffen zu liefern oder bei der noch verurteilt. den Staaten den Bau einer neuen Gaspipe- Umgehung von Sanktionen be- line, die vom äussersten Osten Russlands hilflich zu sein. Gleichwohl dürfte die chi- derte der chinesische Aussenminister bis in den Nordosten Chinas führen soll. nesische Führung grossen Wert auf den Wang Yi, der per Video zugeschaltet war, Ausserdem will China Weizen aus ganz Erhalt einer ihrer Ansicht nach wertvollen am 19. Februar eine diplomatische Lösung Russland importieren. Kurz nach der Inva- Partnerschaft legen. gemäss den Minsker Vereinbarungen. sion berichteten russische Quellen jedoch, Wang bekräftigte erneut, dass China die man erhalte von China keine Ersatzteile Der Tiger und die Glocke Souveränität und territoriale Integrität al- für Zivilflugzeuge. Im Technologiesektor Chinas Verhalten vor und seit der russi- ler Staaten respektiere, und fügte hinzu: dürfte die Abhängigkeit Chinas vom Wes- schen Invasion der Ukraine signalisiert, «Die Ukraine ist da keine Ausnahme.» Am ten dessen Bereitschaft, Russland zu unter- dass es Russland zwar gerne diplomatisch Tag nach der Invasion forderte Xi in einem stützen, gebremst haben. Allerdings sollen unterstützen möchte, aber vor Massnah- Telefonat mit Putin ein schnelles Kriegs- drei in chinesischem Staatsbesitz stehende men zurückschreckt, die China schaden ende und eine diplomatische Lösung. Energieunternehmen darüber verhandelt könnten. Das Resultat ist ein schwieriger haben, die Anteile von Shell Oil am Flüs- Balanceakt. In der Zeit vor dem russischen Abgesehen von diesen Aussagen unter- siggasprojekt Sachalin 2 aufzukaufen. Einmarsch am 24. Februar sollen US-ame- nahm China keine sichtbaren Schritte, um rikanische Nachrichtendienste ihre chine- Russland zu einer Beendigung der Kriegs- Russlands Krieg in der Ukraine konfron- sischen Pendants über den bevorstehenden handlungen zu drängen – auch dann nicht, tiert China mit wichtigen Entscheidungen Angriff informiert und darauf gedrängt als internationale Kritik laut wurde und die über die zukünftige strategische Ausrich- haben, Russland davon abzuhalten. China Ukraine China um Hilfe anrief. Die russi- tung. Wahrscheinlich ist, dass China Russ- soll diesen Hinweise jedoch ignoriert ha- sche Invasion wurde von China weder be- land zwar weiterhin diplomatische und ben. fürwortet noch verurteilt. China weigert rhetorische Unterstützung leisten, sich mit sich sogar, den Angriff als «Invasion» zu kostspieligen Materiallieferungen jedoch Anfang Februar reiste Präsident Putin zur bezeichnen. Bei den gegen den russischen zurückhalten wird. Ein solcher Ansatz Eröffnungsfeier der Olympischen Winter- Einmarsch gerichteten Abstimmungen birgt allerdings gewisse Risiken. spiele nach Peking, um sich mit seinem über mögliche Resolutionen in Sicher- Amtskollegen Xi zu treffen. Am 4. Februar heitsrat und Generalversammlung der Ver- Risiken für China beteuerten die beiden in einer gemeinsa- einten Nationen enthielt sich China. Zu- Während China seine Beziehungen zu men Erklärung die «grenzenlose» Freund- dem kritisierte es die Verhängung Russland in jüngster Zeit ausbaute, be- schaft ihrer Länder und eine Zusammen- weitreichender Sanktionen gegen Russ- stand stets die potenzielle Gefahr, dass die arbeit ohne «verbotene Bereiche». Sie land. Am 7. März versicherte Aussenmi- russische Neigung zu Risiken, wenn nicht bekundeten ihre Solidarität in einer Reihe nister Wang auf der Tagung des chinesi- teilweise sogar zu Leichtsinn, Probleme von Punkten, darunter sowohl europäische schen Volkskongresses, die Freundschaft verursachen könnte. Dass Russland den als auch asiatische Sicherheitsaspekte. Die zwischen China und Russland sei nach wie Westen und die bestehende Weltordnung Ukraine wurde in dem Dokument nicht vor «felsenfest». herausfordert, könnte den chinesischen In- explizit erwähnt. Es gibt Hinweise darauf, teressen zwar dienen, allerdings nur in ei- dass Xi und anderen chinesischen Amts- Wenige Tage später berichteten westliche nem gewissen Rahmen. Hätte Russland in trägerInnen nicht klar war, dass Russland Medien, die sich auf Verlautbarungen aus der Ukraine einen raschen Sieg erzielen eine gross angelegte Invasion plante. So US-Regierungskreisen beriefen, Russland können, so wäre das Unterfangen für Chi- © 2022 Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich 2
CSS Analysen zur Sicherheitspolitik Nr. 303, Mai 2022 na tolerierbar gewesen. Als sich jedoch he- hung einstufen. In diesem Fall würde Russ- potenzielle Bedrohung für Europas Sicher- rausstellte, dass Russland seine ursprüng- land vielleicht versuchen, als Gegenpol zur heit die Aufmerksamkeit und die Militär- lich geplanten Ziele nicht erreichen und chinesischen Dominanz seine Beziehungen ressourcen der USA beanspruchen und von der Krieg sich in die Länge ziehen würde, zum Westen zu verbessern. Dadurch verlö- China ablenken. Die Gefahr eines Zwei- zeichneten sich die Risiken für China im- re China seine sichere strategische Rücken- Fronten-Kriegs in Europa und in Asien, mer deutlicher ab. deckung und wäre womöglich von Ländern die von der Macht der russischen Streit- umgeben, die ihm alle mehr oder weniger kräfte abhängt, bringt die USA in ein stra- Eines dieser Risiken besteht darin, dass feindlich gesinnt sind. tegisches Dilemma, von dem China beson- Russland mit seinem Verhalten auf inter- ders profitieren würde. Die militärische nationale Ablehnung stösst, die letzten Auch andere Szenarien im Zusammenhang Leistung der russischen Truppen in der Endes auch China treffen könnte. Der mit dem Ukraine-Krieg könnten sich für Ukraine legt nahe, dass man vor dem Krieg Krieg hat das Potenzial, die transatlanti- China als risikobehaftet erweisen. Sollte ihre Stärke überschätzt hatte. Sollte es schen Beziehungen und die globale Füh- Putin Chemie- oder sogar Atomwaffen Russland jedoch gelingen, in der Ukraine rungsrolle der USA wiederzubeleben. Dar- einsetzen, wäre eine diplomatische Unter- Boden gutzumachen und wenigstens eini- über hinaus könnte er dem Widerstand der stützung durch China nicht mehr haltbar. ge seiner Ziele zu erreichen, bliebe die rus- Demokratien der Welt gegen Autokratien Bei einer Ausweitung des Krieges über die sische Armee eine ernste Gefahr für das neue Impulse verleihen. Derartige Ent- Grenzen der Ukraine hinaus und einem Baltikum und andere Länder entlang der wicklungen könnten den Grundstein dafür möglichen russischen Atomangriff auf NA- NATO-Ostflanke. legen, nicht nur gegen Russland, sondern TO-Staaten könnte China sich schwerlich auch gegen den wachsenden Einfluss und aus allem heraushalten. Diese Schreckens- Selbst wenn Russland nur wenige seiner die Ambitionen Chinas vorzugehen. Die szenarien wären eine Katastrophe nicht nur Ziele in der Ukraine erreicht, ohne eine to- russische Invasion hat in Europa scharfe für die ganze Menschheit sondern auch für tale Niederlage zu erleiden, käme dies Chi- Reaktionen ausgelöst: Deutschland und China. Unter Berücksichtigung dieser dra- na zugute. Je länger der Krieg andauert und andere Länder stocken ihre Verteidigungs- matischen Erwägungen haben bereits eini- je grösser der Schaden für die russische ausgaben auf, Finnland und Schweden er- ge chinesische Pressestimmen gefordert, Wirtschaft und das russische Militär ist, wägen einen NATO-Beitritt. Sowohl der dass die Volksrepublik Russland nicht län- desto mehr wird es von China abhängig Westen als auch mehrere einflussreiche ger unterstützen soll. In einem Mitte März sein. Durch ein solches Ergebnis gewänne Länder in Asien und anderen Teilen der veröffentlichten Beitrag, der im Internet China im gegenseitigen Verhältnis die Welt haben umfassende Sanktionen gegen kursierte, bevor er der Zensur zum Opfer Oberhand, könnte Russland noch stärker Russland verhängt. fiel, riet der Shanghaier Universitätsprofes- zum Juniorpartner degradieren und erhiel- sor Hu Wei, sich von Russland zu distan- te zu günstigen Bedingungen Zugang zu Zwar herrscht keine weltweite Geschlos- zieren, bevor es zu spät sei, um gravierende russischen Bodenschätzen und Waffen. senheit gegen Russland – Indien und ande- Schäden für China abzuwenden. China könnte zur dominierenden Kraft in re Länder halten sich mit Kritik zurück ganz Eurasien aufsteigen und so den Weg und verzichten auf Sanktionen –, doch das Chancen für China für die Belt and Road Initiative (BRI) eb- internationale Echo war so stark, dass es Trotz dieser Risiken hat China Gründe, an nen. Eine derart massive Schwächung China als Warnung dienen dürfte. China der Unterstützung für Russland festzuhal- Russlands, dass das Land für Europa keine ist sich der Gefahr durchaus bewusst. Nach ten. Nach dem Scheitern der ursprüngli- Bedrohung mehr darstellte, läge hingegen dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie chen Kriegsziele, Kiew einzunehmen und nicht im Interesse Chinas. vor zwei Jahren berichtete eine Denkfabrik die ukrainische Regierung zu stürzen, än- der chinesischen Regierung, dass China in- derte Russland Mitte April seine Strategie Neben diesen strategischen Überlegungen ternational so viel Feindseligkeit entgegen- und greift nun verstärkt die Donbass-Regi- veranlasst auch die innenpolitische Lage gebracht wird wie seit den Ereignissen on an. Der Ausgang des Krieges ist noch Präsident Xi dazu, am Beistand für Russ- 1989 auf dem Tiananmen-Platz nicht ungewiss, aber wie es scheint, hat Russland land festzuhalten. Ende des Jahres steht mehr. Schlüge sich China im Ukraine- eine Chance, zumindest einen Krieg voll und ganz auf die russische Seite, Teil seiner Ziele zu erreichen. Trotz gewisser Risiken hat könnte das internationale Ansehen des Eventuell kann es die Ukraine Landes weiteren Schaden nehmen. dazu bringen, einen neutralen China gute Gründe, an der Status anzunehmen, auf einen Unterstützung für Russland Hinzu kommt, dass Russlands Krieg auch NATO-Beitritt zu verzichten für China ungünstig ausgehen könnte. Ein und die Annexion der Krim so- festzuhalten. Szenario wäre, wie oben beschrieben, dass wie einen autonomen Status der Russland vernichtend geschlagen und das Gebiete Donezk und Luhansk im Donbass der 20. Nationale Kongress der Kommu- Putin-Regime destabilisiert oder sogar ent- zu akzeptieren. Durch einen dauerhaft un- nistischen Partei an, auf dem Xi sich Un- machtet wird. Putin und Xi scheint auch gelösten Konflikt könnte Russland sein terstützung für seine dritte Amtszeit als persönlich ein sehr freundschaftliches Ver- Hauptziel durchsetzen, nämlich eine Auf- Generalsekretär sichern will. Nach der bis- hältnis zu verbinden. Sie haben ähnliche nahme der Ukraine in westliche Organisa- lang geltenden Regel hätte Xi nach zwei Ansichten über Regierungsführung und die tionen zu verhindern. fünfjährigen Mandaten sein Amt eigent- Weltordnung. Dies sind grundlegende Fak- lich in diesem Jahr ablegen müssen. Diese toren für die enge Partnerschaft, die sie auf- Falls Russland ein aus seiner Sicht annä- Beschränkung hat Xi aber schon 2018 ab- gebaut haben. Eine neue russische Regie- hernd günstiges Ergebnis erzielt, könnte es schaffen lassen, damit er theoretisch rung könnte unter Umständen den seinen langfristigen Wert für China unter Staatschef auf Lebenszeit bleiben kann. wachsenden Einfluss Chinas als Bedro- Beweis stellen. Dann würde Russland als Würde Xi im Vorfeld des Kongresses ein- © 2022 Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich 3
CSS Analysen zur Sicherheitspolitik Nr. 303, Mai 2022 lenken und Russland fallen lassen, käme dem Landweg in die Ukraine eindringen Auswirkungen für die eigene Zukunft hat. das gleich, einen Irrtum zuzugeben. In ei- konnten, müsste China in einem amphibi- Einige westliche StrategInnen, darunter nem System, in dem er nun praktisch als schen Angriff die Taiwanstrasse überwin- angeblich auch Mitglieder der Biden-Re- Alleinherrscher agiert, wäre dieses Einge- den, die an ihrer schmalsten Stelle 160 Ki- gierung, betrachten den Ukraine-Krieg als ständnis für Xis innenpolitische Macht po- lometer misst. Der erbitterte Widerstand Chance, Russland auszubluten und China tenziell verhängnisvoll. der ukrainischen Bevölkerung gegen die die Entschlossenheit des Westens zu signa- russischen Truppen und der erfolgreiche lisieren. Sie denken, dass westliche Länder Folgen für China Einsatz der vom Westen bereitgestellten durch ausreichende Waffenlieferungen an Russlands Krieg in der Ukraine stellt nicht Waffen gegen die russische Armee lassen die Ukraine Russland militärisch so erheb- nur die chinesisch-russischen Beziehungen erahnen, mit welchen Schwierigkeiten ein lich schwächen können, dass das Land der infrage, sondern auch Chinas strategische Angriff auf Taiwan potenziell verbunden NATO-Ostflanke nicht mehr gefährlich Ausrichtung in den nächsten Jahren. Eine wäre. Die chinesische Volksbefreiungsar- werden kann. Durch die Demonstration, entscheidende Frage betrifft die Auswir- mee ist noch immer stark von russischen wie teuer es ein Land zu stehen kommen kungen auf Chinas Taiwan-Politik. Vor Waffensystemen abhängig. Anders als kann, sich mit einem Freund des Westens dem Hintergrund des potenziellen Zwei- beim Überfall auf die Ukraine würden zu- anzulegen, soll auch China im Zaum gehal- Fronten-Dilemmas der USA könnte die dem die USA in Taiwan möglicherweise ten werden. Zudem könnte ein Debakel der russische Aggression in Europa China auch militärisch intervenieren. russischen Streitkräfte dazu führen, dass die dazu verleiten, die Gelegenheit für einen Partnerschaft für China an Bedeutung ver- Angriff auf Taiwan zu nutzen. Die NATO Die weitreichenden internationalen Sank- liert. Westliche PolitikerInnen müssen diese hat zwar ein militärisches Eingreifen in der tionen gegen Russland geben China weite- Hoffnungen sorgfältig gegen die Risiken ren Anlass zur Sorge. Es müsste einer Eskalation abwägen, insbesondere ei- Auch die innenpolitische bei einem Überfall auf Taiwan nes möglichen Einsatzes von Atomwaffen oder anderen Angriffshandlun- seitens Putin. Vor diesem Hintergrund Lage veranlasst Präsident Xi gen mit ähnlichen Massnah- könnte China ein Interesse haben, dass dazu, am Beistand für men rechnen. Vielleicht geht Russland in der Ukraine ein gesichtswah- China aber davon aus, dass der- rendes Ergebnis erzielt, anstatt in die Ecke Russland festzuhalten. art umfassende Sanktionen auf- gedrängt zu werden oder sogar eine demü- grund seiner Wirtschaftskraft tigende Niederlage zu erleiden. Ukraine ausgeschlossen, da das Land kein sowie der Abhängigkeit westlicher Länder Mitglied des Bündnisses ist. Sollte es den- von den chinesischen Märkten und Liefer- noch zu einem Krieg zwischen der NATO ketten weniger wahrscheinlich sind als im und Russland kommen, würde das Zwei- Falle Russlands. Selbst hier hat sich ge- Fronten-Dilemma akut werden. Unter die- zeigt, dass Europa angesichts seiner Ab- sen Umständen könnte es für die chinesi- hängigkeit von russischen Energiequellen sche Führung verlockend sein, Taiwan mit in diesem wichtigen Sektor die Hände ge- Gewalt einzunehmen. bunden zu sein scheinen. Sich von der chi- nesischen Wirtschaft abzukoppeln, könnte Vorerst aber dürften Russlands militärische für die westlichen Länder kostspielig wer- Für mehr zu Perspektiven Euro-Atlantischer Misserfolge China von einer Intervention den und daher bei der Bevölkerung auf Sicherheit, siehe CSS Themenseite. in Taiwan abschrecken. Russlands Proble- Widerstand stossen. me in der Ukraine lassen erahnen, dass auch eine chinesische Invasion in Taiwan China wird die Entwicklungen in der Uk- Brian G. Carlson leitet das Team «Global Security» sich schwierig gestalten würde. Im Gegen- raine aufmerksam beobachten, in dem Wis- am Center for Security Studies (CSS) der ETH satz zu den russischen Streitkräften, die auf sen, dass der Kriegsausgang bedeutende Zürich. Die CSS Analysen zur Sicherheitspolitik werden herausgegeben vom Zuletzt erschienene CSS-Analysen: Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich. Das CSS ist ein Kompetenz- Frankreich: Europas Vorreiter in der Tech-Geopolitik Nr. 302 zentrum für schweizerische und internationale Sicherheitspolitik. Jeden Der Krieg in der Ukraine – erste Lehren Nr. 301 Monat erscheinen zwei Analysen auf Deutsch, Französisch und Englisch. AUKUS: Unter der Oberfläche Nr. 300 Der Zustand des Islamischen Staats Nr. 299 Herausgeber: Fabien Merz Das Prinzip der fähigkeitsbasierten Planung Nr. 298 Lektorat: Julian Kamasa Nationale Ansätze zum Schutz vor Ransomware Nr. 297 Layout und Grafiken: Miriam Dahinden-Ganzoni Feedback und Kommentare: analysen@sipo.gess.ethz.ch © 2022 Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich Weitere Ausgaben und Abonnement: www.css.ethz.ch/cssanalysen ISSN: 2296-0236; DOI: 10.3929/ethz-b-000545002 4
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