Der Schutz privater Rechte im Polizei- und Ordnungsrecht
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DOI 10.1515/jura-2013-0063 Juristische Ausbildung 2013(5): 468–477 Grundstudium ÖR Prof. Dr. Friedrich Schoch Der Schutz privater Rechte im Polizei- und Ordnungsrecht Friedrich Schoch: Der Autor ist Direktor des Instituts für Öffentliches me. K wandte sich an zwei zufällig vorbeikommende Polizei- Recht – Abt. 4 (Verwaltungsrecht) an der Rechtswissenschaftlichen beamte, die B um die Angabe seiner Personalien baten; als Fakultät der Universität Freiburg und Mitherausgeber der Zeitschrift. dieser die Auskunft verweigerte, wurde er gegen seinen Willen zur Wache gebracht. B fragt, ob sich die Polizeibeamten in die Privatangelegenheit, die er mit K habe, einmischen durf- ten2. Nach dem Polizei- und Ordnungsrecht (Gefahrenabwehr- recht) ist es Aufgabe der Polizei bzw. der Ordnungsbehör- den, von dem Einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die 1. Individuelle Rechte und Rechtsgüter öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird, sowie bereits eingetretene Störungen zu beseitigen. Auf der ande- als Schutzelement der »öffentlichen ren Seite obliegt – soweit es um den »Einzelnen« geht – der Sicherheit« Schutz privater Rechte an sich der Zivilgerichtsbarkeit. Die in diesem Spannungsfeld auftretenden Rechtsfragen werden Den Gefahrenabwehrbehörden (Polizei, Ordnungs- nachfolgend unter Heranziehung einschlägiger Rechtspre- bzw. – je nach Landesrecht – Sicherheitsbehörden) ob- chung erörtert. liegt der Schutz der öffentlichen Sicherheit3. Diese umfasst die Unversehrtheit der Rechtsordnung, der sub- jektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie des Bestandes, der Einrichtungen und Veranstaltungen des I. Normative Erfassung privater Staates sowie sonstiger Träger von Hoheitsgewalt4. Ge- Rechte und Rechtsgüter schützt sind danach neben Gemeinschaftsrechtsgütern auch individuelle Rechte und Rechtsgüter. Soweit das Fall 1: In der Innenstadt von S befindet sich eine nach dem Landesrecht eine Legaldefinition zum Begriff »öffent- Schwangerschaftskonfliktgesetz anerkannte Schwangerschafts- liche Sicherheit« enthält,5 ist die Unverletzlichkeit der konfliktberatungsstelle. Mitglieder des gemeinnützigen Vereins subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen als V-e.V. sprechen unmittelbar vor der Beratungsstelle Personen auf eine Schwangerschaftskonfliktsituation an und bieten die- Schutzelement ausdrücklich benannt. Zur Gewährleis- sen Personen unaufgefordert Broschüren und Bilder zu diesem tung der öffentlichen Sicherheit kann die zuständige Thema an (»Gehsteigberatung«). Die zuständige Polizei-/Ord- Behörde nach allgemeinem Polizei- und Ordnungsrecht nungsbehörde untersagt die »Gehsteigberatung« (nach ord- entweder eine Standardmaßnahme6 ergreifen7 oder – nungsgemäß durchgeführtem Verwaltungsverfahren) unter Hin- weis auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Frauen. V meint, die »Gehsteigberatung« beziehe sich nur auf private Kontaktaufnahmen und gehe daher die öffentliche Ver- 2 Fall nach OLG Düsseldorf NJW 1990, 998 (im Rahmen eines Amts- waltung nichts an1. haftungsprozesses). Fall 2: B ist Verkäufer in einer Buchhandlung. K hat dort ein 3 § 1 I PolG BW; Art. 2 I BayPAG, Art. 6 BayLStVG; § 1 I 1 ASOG Bln; Buch gekauft und bar bezahlt. Bei der Rückgabe von Wechsel- § 1 I 1 BbgPolG, § 1 I BbgOBG; § 1 I 1 BremPolG; § 3 HbgSOG; § 1 I 1 geld fiel K eine 2-Euro-Münze in eine Ritze an der Ladentheke. HessSOG; §§ 1 I, 2 I SOG MV; § 1 I 1 NdsSOG; § 1 I 1 PolG NW, § 1 I OBG Auf die Frage von K, wie sie an die Münze gelangen könne, NW; § 1 I 1 POG RP; § 1 II PolG SL; § 1 I SächsPolG; § 1 I 1 SOG LSA; erklärte B, dies sei unmöglich; er könne auch nicht noch- § 162 I LVwG SH; § 2 I 1 ThürPAG, § 2 I ThürOBG. – Für die Bundes- mals 2 Euro aushändigen, da dann die Kasse nicht mehr stim- polizei § 1 II, V BPolG. 4 Schoch in: ders. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl. 2013, 2. Kap. Rdn. 108 (m. w. Nachw.). 5 § 2 Nr. 2 BremPolG; § 3 Nr. 1 SOG LSA; § 54 Nr. 1 ThürOBG. 6 Näher dazu Möstl JURA 2011, 840 ff. 1 Fall nach VGH BW NJW 2011, 2532 = VBlBW 2011, 468 → Ehlers JK 1/ 7 Dazu am Beispiel der Sicherstellung bzw. Beschlagnahme unten 12, GG Art. 2 I/57. IV. Bereitgestellt von | Hogan Lovells Hamburg Angemeldet | mail@juraexamen.info Heruntergeladen am | 20.06.14 17:31
Grundstudium ÖR – Friedrich Schoch: Der Schutz privater Rechte im Polizei- und Ordnungsrecht 469 als Auffangtatbestand – nach der Generalklausel8 vorge- In Fall 1 wurde dem behördlichen Einschreiten ein öffentliches hen9. Interesse attestiert, weil die mit der »Gehsteigberatung« einher- Vom Schutzgut »öffentliche Sicherheit« umfasste in- gehenden Beeinträchtigungen des allgemeinen Persönlichkeits- rechts einer unbestimmten Vielzahl schwangerer Frauen »öffent- dividuelle Rechte und Rechtsgüter sind insbesondere lich-rechtlich relevant« seien. Die Grundrechte (hier: allgemeines Eigentum (§ 903 BGB) und Besitz (§§ 854 ff. BGB) sowie Persönlichkeitsrecht, Art. 2 I i. V. m. 1 I GG) kämen als Ausdruck vergleichbare Rechte (i. S. d. § 823 I BGB), ferner das Na- einer objektiven Wertordnung und in Gestalt einer objektiv-recht- mensrecht (§ 12 BGB) und das allgemeine Persönlichkeits- lichen Pflicht zum Schutz grundrechtlich gesicherter Individual- recht (Art. 2 I i. V. m. 1 I GG), Leben und Gesundheit (Art. 2 güter jedenfalls dann zum Tragen, wenn die Individualgüter einer unbestimmten Vielzahl von Grundrechtsträgerinnen be- II 1 GG) sowie Freiheit (Art. 2 II 2 GG)10. Einem Privatrechts- droht würden. subjekt zugeordnete »private Rechte« sind auch solche, die – zusätzlich zur Privatrechtsordnung – dem Grund- rechtsschutz unterliegen (z. B. Eigentum, Art. 14 I 1 GG)11. Überzeugend ist diese Auffassung – wie schon die vage Tritt ferner der Schutz des Verwaltungsrechts oder des juristische Argumentation verrät – kaum. Wenn eine Ge- Strafrechts hinzu, hat dies Konsequenzen für die (Nicht-) fahr für die »öffentliche« Sicherheit, die individuelle Rech- Anwendbarkeit der Subsidiaritätsklausel12. te und Rechtsgüter umfasst, abzuwehren ist, ist (bei Vor- Der polizeiliche/behördliche Schutz individueller liegen der Eingriffsvoraussetzungen) das »öffentliche Rechte und Rechtsgüter setzt nach verbreiteter Auffassung Interesse« grundsätzlich gegeben;16 etwas anderes gilt nur ein öffentliches Interesse an der Gefahrenabwehr vo- unter den Voraussetzungen der Subsidiaritätsklausel17. raus,13 weil es ansonsten an dem notwendigen Öffentlich- »Öffentliches Interesse« und »Subsidiaritätsklausel« be- keitsbezug fehle14. Das vom privaten Interesse am Rechts- schreiben zwei Seiten derselben Medaille18. güterschutz abzugrenzende öffentliche Interesse soll aber schon dann vorliegen, wenn die Individualrechte bzw. -güter einer unbestimmten Vielzahl von Personen bedroht 2. Subsidiaritätsklausel im Polizei- werden; dann sei der Einzelne gleichsam als Repräsentant und Ordnungsrecht der Allgemeinheit in seinen Rechten bzw. Rechtsgütern gefährdet15. Der staatliche Schutz privater Rechte des Einzelnen ge- genüber Gefährdung, Verletzung oder Vereitelung seiner Rechte obliegt an sich den Zivilgerichten (sowie ggf. den 8 § 3 i. V. m. § 1 I PolG BW; Art. 11 I BayPAG, Art. 7 II i. V. m. Art. 6 Zwangsvollstreckungsorganen). Dem trägt das Polizei- BayLStVG; § 17 I ASOG Bln; § 10 I BbgPolG, § 13 I BbgOBG; § 10 I 1 und Ordnungsrecht durch die Subsidiaritätsklausel BremPolG; § 3 I HbgSOG; § 11 HessSOG; § 13 SOG MV; § 11 i. V. m. § 2 Rechnung. Danach gehört der Schutz privater Rech- Nr. 1 lit. a NdsSOG; § 8 I PolG NW, § 14 I OBG NW; § 9 I 1 POG RP; § 8 I te dann zur Gefahrenabwehr, wenn (zivil)gerichtlicher PolG SL; § 3 I SächsPolG; § 13 i. V. m. § 3 Nr. 3 lit. a SOG LSA; § 174 LVwG SH; § 12 I, II ThürPAG, § 5 I ThürOBG. – Für die Bundespolizei Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und ohne polizei- § 14 I, II 1 BPolG. liche/behördliche Hilfe die Gefahr besteht, dass die Ver- 9 Näher dazu Schoch JURA 2003, 177 ff. wirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich er- 10 Götz Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 15. Aufl. 2013, § 4 schwert wird19. Mitunter wird zusätzlich ein Antrag des Rdn. 18; Gusy Polizei- und Ordnungsrecht, 8. Aufl. 2011, Rdn. 84, 90; Möller/Warg Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 6. Aufl. 2012, Rdn. 80, 81. 11 Pieroth/Schlink/Kniesel Polizei- und Ordnungsrecht, 7. Aufl. 2012, 16 Götz POR (Fn. 10) § 4 Rdn. 19; Pieroth/Schlink/Kniesel POR (Fn. 11) § 5 Rdn. 43. § 5 Rdn. 15; Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizei- 12 Vgl. unten I. 2., Text zu Fn. 24. – Im Rahmen der »öffentlichen rechts, 5. Aufl. 2012, D Rdn. 30. Sicherheit« erfolgt der Schutz über die »Unversehrtheit der Rechts- 17 Vgl. Nachw. unten Fn. 19. ordnung«, Schoch in: BesVwR (Fn. 4) 2. Kap. Rdn. 114. 18 In der Entscheidung zu Fall 1 bemerkt der VGH BW denn auch, 13 Ausdrücklich normiert in § 1 I 1 PolG BW und § 1 I 1 SächsPolG. die Subsidiaritätsklausel (§ 2 II PolG BW) greife nicht ein – zur Be- 14 Aus der Praxis VGH BW NVwZ-RR 2008, 700 (701) = AfP 2008, 539 gründung vgl. unten Text zu Fn. 27 –, das »öffentliche Interesse« (542) → Schoch JK 3/09, PolG BW § 33/1; VGH BW NJW 2011, 2532 liege vor; VGH BW NJW 2011, 2532 (2534) = VBlBW 2011, 468 (470) (2533) = VBlBW 2011, 468 (469) → Ehlers JK 1/12, GG Art. 2 I/57. → Ehlers JK 1/12, GG Art. 2 I/57. 15 Beljin/Micker JuS 2003, 556 (558); Möller/Warg POR (Fn. 10) 19 § 2 II PolG BW; Art. 2 II BayPAG; § 1 IV ASOG Bln; § 1 II BbgPolG; Rdn. 82; Schenke Polizei- und Ordnungsrecht, 7. Aufl. 2011, Rdn. 56; § 1 II BremPolG; § 3 III HbgSOG; § 1 III HessSOG; § 1 III SOG MV; § 1 III wohl auch Gusy POR (Fn. 10) Rdn. 81. – Das »öffentliche Interesse« NdsSOG; § 1 II PolG NW; § 1 III POG RP; § 1 III PolG SL; § 2 II Sächs- als »Missbrauchsabwehr« bzgl. der Inanspruchnahme der Polizei PolG; § 1 II SOG LSA; § 162 II LVwG SH; § 2 II ThürPAG, § 2 II Thür- interpretierend Kugelmann Polizei- und Ordnungsrecht, 2. Aufl. 2012, OBG. – Für die Bundespolizei § 1 IV BPolG. – Soweit Ordnungs- 5/70. behörden nicht explizit erfasst sind, sind die polizeigesetzlichen Bereitgestellt von | Hogan Lovells Hamburg Angemeldet | mail@juraexamen.info Heruntergeladen am | 20.06.14 17:31
470 Grundstudium ÖR – Friedrich Schoch: Der Schutz privater Rechte im Polizei- und Ordnungsrecht Berechtigten bei der Polizei verlangt20. Die Subsidiaritäts- engen Voraussetzungen der Subsidiaritätsklausel stellen klausel stellt den Vorrang der Zivilgerichtsbarkeit beim in derartigen Konstellationen sicher, dass die Gefahren- Schutz privater Rechte sicher, weist der Polizei und den abwehrbehörde (Exekutive) die Zuständigkeit der Zivil- sonstigen Gefahrenabwehrbehörden jedoch für »Notfälle« gerichtsbarkeit (Judikative) wahrt und nur im »Notfall« eine Art Reservekompetenz zu. zum Schutz privater Rechte tätig wird. Die Subsidiaritäts- Die Abgrenzung zwischen dem Zivilgericht und der klausel dient demnach der Gewaltenteilung (Funktionen- Gefahrenabwehrbehörde hängt entscheidend von der An- trennung). wendbarkeit der Subsidiaritätsklausel ab. Deren Restrik- tionen (unten II.) kommen von vornherein nicht zum Tra- In Fall 2 geht es um die Sicherung eines zivilrechtlichen (Heraus- gabe-)Anspruchs, also allein um den Schutz eines privaten gen, wenn (zivil)gerichtlicher Rechtsschutz nicht erlangt Rechts; die Subsidiaritätsklausel ist anwendbar, d. h. ihre engen werden kann; Beispiele sind die Bedrohung individueller Voraussetzungen sind zu beachten. – In der Entscheidung zu Rechtsgüter durch Naturereignisse oder im Falle der Straf- Fall 1 meinte der VGH BW, da ein öffentliches Interesse am tatenverhütung die fehlende Kenntnis potentieller (Ver- behördlichen Einschreiten bestehe, gehe es nicht ausschließlich brechens-)Opfer21. Besonderheiten gelten in den Fällen der um den Schutz privater Rechte; die Subsidiaritätsklausel sei Selbstgefährdung (s. u. III.). In normativer Hinsicht ist ge- nicht anwendbar, das Einschreiten der Verwaltung also dem Grunde nach nicht zu beanstanden27. klärt, dass die Subsidiaritätsklausel ein polizeiliches/be- hördliches Tätigwerden nur dann hindert, wenn es aus- schließlich um den Schutz privater Rechte geht22. Werden 3. Einschreiten von Gefahren- private Rechte und Rechtsgüter auch durch das Öffentliche Recht (Strafrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht, Verwal- abwehrbehörden zu Gunsten tungsrecht) geschützt,23 ist bei einem drohenden Normver- Privater (Praxisbeispiele) stoß die öffentliche Sicherheit schon aus diesem Grund gefährdet und die Polizei bzw. Ordnungsbehörde zur Ge- In der behördlichen und gerichtlichen Praxis stellen sich fahrenabwehr befugt24. Fragen zur Zulässigkeit des Einschreitens von Polizei bzw. Danach sind »private Rechte« i. S. d. Subsidiaritäts- Ordnungsbehörden zu Gunsten Privater auf unterschied- klausel solche Rechte, die keine subjektiven öffentlichen lichen Gebieten. Da die Subsidiaritätsklausel gesetzessys- Rechte darstellen, sondern im Zivilrecht begründet sind25. tematisch im Rahmen der allgemeinen Vorschriften des Es geht vornehmlich um privatrechtliche Ansprüche (For- jeweiligen Polizei- bzw. Ordnungsbehördengesetzes nor- derungen), die ein Privatrechtssubjekt (ggf. ein Hoheits- miert ist, fordert sie Beachtung bei Maßnahmen sowohl träger) gegen ein anderes Privatrechtssubjekt hat26. Die nach der Generalklausel als auch nach den Standard- befugnissen28. Ein praktisch bedeutsames Anwendungs- feld wird seit jeher durch die Sicherstellung bzw. Beschlag- Bestimmungen analog anzuwenden, Pieroth/Schlink/Kniesel POR nahme von Sachen markiert29. Skizzenhaft seien einige (Fn. 11) § 5 Rdn. 42; aus der Praxis VG Minden NJW 2006, 1450 (1451). weitere Bereiche genannt: 20 § 2 II PolG BW; § 2 II SächsPolG. – Im Übrigen kann im Antrag – Die Wohnungsverweisung (mit Rückkehrverbot) in eine ungeschriebene Voraussetzung polizeilichen bzw. verwaltungs- den Fällen häuslicher Gewalt30 ist – bevor ggf. Gerich- behördlichen Handelns gesehen werden, da der Schutz privater Rech- te angerufen werden können – eine typische Erschei- te auch beim Zivilgericht nur auf Antrag erfolgt; Gusy POR (Fn. 10) Rdn. 94; Pieroth/Schlink/Kniesel POR (Fn. 11) § 5 Rdn. 47. nungsform des polizeilichen Rechtsgüterschutzes zu 21 Schoch in: BesVwR (Fn. 4) 2. Kap. Rdn. 115 (m. w. Nachw.). Gunsten Privater31. 22 VGH BW NJW 2011, 2532 (2534) = VBlBW 2011, 468 (470) → Ehlers JK 1/12, GG Art. 2 I/57; Kugelmann POR (Fn. 15) 5/70. 23 Beispiele: privates Hausrecht § 123 StGB; Unterhaltspflicht § 170 StGB; Eigentum § 242 StGB; freie Willensentschließung § 240 StGB. 27 Das ist nicht zweifelsfrei; der VGH sagt nicht, welche Normen des 24 Götz POR (Fn. 10) § 4 Rdn. 22; Schenke POR (Fn. 15) Rdn. 55; Den- VwR oder des StrafR (vgl. dazu Beispiele Fn. 23) eingreifen. Der Hin- ninger in: HdbPolR (Fn. 16) D Rdn. 29. weis auf die staatliche Schutzpflicht reicht hier nicht (vgl. Fn. 25). 25 Gusy POR (Fn. 10) Rdn. 91. – Die Zuordnung privater Rechte zu Letztlich dürfte die Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Zivil- den Grundrechten schadet nicht, da diese in der Abwehrfunktion rechtsweg (dazu unten Text zu und nach Fn. 47) ausschlaggebend gegen den Staat gerichtet sind (vgl. Art. 1 III GG) und die Durchset- gewesen sein. zung von Schutzpflichten im Privatrechtsverkehr auf das Zivilrecht 28 VGH BW NVwZ-RR 1995, 527 (528); NVwZ 2001, 1292 (1294). angewiesen ist; Pieroth/Schlink/Kniesel POR (Fn. 11) § 5 Rdn. 43; vgl. 29 Näher dazu unten IV. ferner zu der Problematik Möller/Warg POR (Fn. 10) Rdn. 80. 30 Ausf. dazu Schoch in: BesVwR (Fn. 4) 2. Kap. Rdn. 288 ff. 26 Götz POR (Fn. 10) § 4 Rdn. 24; Gusy POR (Fn. 10) Rdn. 93; Pieroth/ 31 Kugelmann POR (Fn. 15) 5/72; Denninger in: HdbPolR (Fn. 16) Schlink/Kniesel POR (Fn. 11) § 5 Rdn. 46. Rdn. D 31. – Auch §§ 223 ff. StGB können zum Tragen kommen. Bereitgestellt von | Hogan Lovells Hamburg Angemeldet | mail@juraexamen.info Heruntergeladen am | 20.06.14 17:31
Grundstudium ÖR – Friedrich Schoch: Der Schutz privater Rechte im Polizei- und Ordnungsrecht 471 – Auch die Obdachlosenunterbringung (bei unfreiwil- hierdurch zugeparkt war. Um 4 Uhr wollte R wegfahren; sie bat liger Obdachlosigkeit) seitens der Verwaltung dient zwei auf einer Streifenfahrt vorbeikommende Polizeibeamte um dem Schutz der Rechtsgüter (v. a. körperliche Unver- Hilfe. Die Beamten veranlassten nach einer Halteranfrage das Wegfahren des Pkw der T, nachdem diese trotz mehrfachen sehrtheit) von Privatpersonen32. Klingelns an der Wohnungstür und mehrerer Telefonanrufe – Die Identitätsfeststellung kann auf die Abwehr ver- nicht reagiert hatte. T ist mit dem polizeilichen Einschreiten schiedener Gefahren gerichtet sein,33 u. a. auch zum nicht einverstanden37. Schutz privater Rechte vorgenommen werden34. – Ähnliches gilt für die Ingewahrsamnahme, falls die- Nach der Subsidiaritätsklausel des Polizei- und Ordnungs- se Maßnahme im Interesse einer bestimmten Person rechts38 darf die Polizei/Ordnungsbehörde zum Schutz pri- erfolgt35. vater Rechte unter drei Voraussetzungen tätig werden: (1) Das private Recht muss bestehen, (2) gerichtlicher Schutz Diese Beispiele sind nicht abschließend. Sie beschreiben ist nicht rechtzeitig zu erlangen, (3) ohne administrative exemplarisch Konstellationen, in denen eine Gefahren- Hilfe droht eine Rechtsvereitelung bzw. erschwerte Rechts- abwehrmaßnahme zum Schutz der Rechte bzw. Rechts- durchsetzung; in formeller Hinsicht wird ein Antrag des güter Privater ergeht. In derartigen Fallgestaltungen ist zu Berechtigten gefordert39. prüfen, ob die Subsidiaritätsklausel anwendbar ist, weil ausschließlich private Rechte/Rechtsgüter behördlich ge- schützt werden (s. o. I. 2.); ggf. müssen im konkreten Fall 1. Bestehen des privaten Rechts die drei Voraussetzungen (s. u. II.) vorliegen, damit die Polizei bzw. Ordnungsbehörde – an Stelle des zuständigen Ein privates Recht oder Rechtsgut, das vom Polizei- und Gerichts – rechtmäßig agiert. Ordnungsrecht geschützt werden soll (s. o. I. 1. u. 2.), muss im konkreten Fall bestehen bzw. vorhanden sein, damit die Polizei bzw. die Ordnungsbehörde einschreiten darf. Rechtsdogmatisch handelt es sich um die Prüfung der II. Allgemeine Voraussetzungen des Frage, ob die »öffentliche Sicherheit«, deren Schutzele- behördlichen Einschreitens zum mente auch individuelle Rechte und Rechtsgüter sind, tangiert ist. Schutz privater Rechte Beim Rechtsgüterschutz (z. B. körperliche Unver- sehrtheit, Freiheit) ist die Beurteilung zumeist zu leisten. Fall 3: O hatte vom örtlichen Schützenverein das Schützenhaus für einen »rechten Liederabend« gemietet; etwa 200 Personen Ob ein »privates Recht«, v. a. ein Anspruch zwischen der rechtsextremen Szene waren gekommen. N, Vorsitzender des zwei Privatpersonen, besteht, ist jedoch nicht immer ein- Vereins, meinte, das Schützenhaus für einen »Junggesellenab- fach zu beantworten. Soweit es um das allgemeine Per- schied« vermietet zu haben. Als die »Stimmung stieg«, rief N die sönlichkeitsrecht geht, gelingt die administrative Ein- Polizei herbei, die die Veranstaltung beendete. O fragt nach der schätzung der Rechtslage häufig40. Bei schuldrechtlichen Rechtmäßigkeit der Polizeimaßnahme36. Forderungen wird es hingegen für die Polizei/Ordnungs- Fall 4: Auf der Rückseite eines Grundstücks mit einem Mehr- familienhaus befindet sich ein aus mehreren markierten Stell- behörde schwierig. Es ist nicht Aufgabe der Verwaltung, plätzen bestehender Parkplatz; nutzungsberechtigt sind, worauf umstrittene zivilrechtliche Fragen zu klären; wegen des mit Schildern hingewiesen wird, ausschließlich die Hausbewoh- Zeitdrucks administrativen Handelns und häufig fehlender ner. In der Nacht vom vergangenen Samstag auf Sonntag be- Fachkompetenz der (Polizei-)Beamten ist dies oftmals suchte R einen Hausbewohner und stellte ihren Pkw auf den auch gar nicht möglich41. Ist das geltend gemachte private letzten freien Stellplatz, der T zugeordnet ist, ab. Als T um 23 Uhr nach einem Kinobesuch auf dem Parkplatz ankam, war ihr Stell- Recht nicht unstreitig oder offenkundig (vgl. Fall 2), ist – platz belegt. T stellte ihr Fahrzeug hinter dem Pkw der R ab, der in Parallele zum vorläufigen Rechtsschutz bei den Zivilge- 32 Götz POR (Fn. 10) § 4 Rdn. 23. 37 Fall nach OVG RP NJW 1988, 929 = DÖV 1988, 80; dazu Bespr. 33 Zu den »klassischen« vier Fallgruppen Schoch in: BesVwR (Fn. 4) Weides JuS 1989, 479. 2. Kap. Rdn. 264. 38 Nachw. der gesetzlichen Bestimmungen o. Fn. 19. 34 Am Beispiel von Fall 2 OLG Düsseldorf NJW 1990, 998 (999); 39 Näher dazu o. Fn. 20. ferner Gusy POR (Fn. 10) Rdn. 95. 40 Vgl. z. B. VGH BW NVwZ-RR 1995, 527 = VBlBW 1995, 282: Licht- 35 Gesprochen wird von »Schutzgewahrsam«, Schoch in: BesVwR bildaufnahmen von Beamten ohne deren Einwilligung; vgl. zum (Fn. 4) 2. Kap. Rdn. 295; vgl. auch unten Text zu Fn. 62. Schutz des allg PersR ferner Fall 1 und Fall 8. 36 Fall nach NdsOVG NdsVBl 2009, 23. 41 Gusy POR (Fn. 10) Rdn. 95. – Gegenbeispiel ist Fall 2. Bereitgestellt von | Hogan Lovells Hamburg Angemeldet | mail@juraexamen.info Heruntergeladen am | 20.06.14 17:31
472 Grundstudium ÖR – Friedrich Schoch: Der Schutz privater Rechte im Polizei- und Ordnungsrecht richten (vgl. §§ 920 II, 936 i. V. m. § 294 ZPO) – zumindest steht die Gefahr einer unkontrollierten Vervielfältigung die Glaubhaftmachung des Rechts (der Anspruchs- der Fotografie45. voraussetzungen) gefordert42. Zu Fall 4 erkannte das OVG RP, dass vorläufiger Rechtsschutz In der Entscheidung zu Fall 3 hat das NdsOVG betont, ein zu durch die Zivilgerichte an einem Sonntagmorgen um 4 Uhr nicht sicherndes Recht auf Herausgabe des Schützenhauses als Miet- zu erlangen war. R konnte ohne polizeiliche Hilfe mit ihrem Pkw sache setze voraus, dass der zwischen N und O geschlossene nicht wegfahren, wozu sie – trotz der Nutzung des Stellplatzes Mietvertrag unwirksam sei. Eine anfängliche Unwirksamkeit lag der T – berechtigt war. Denn T konnte sich nicht auf §§ 859, 229, nicht vor. Eine Anfechtung nach § 123 BGB (mit der Wirkung 227 BGB berufen, sie hätte sich vielmehr an die Polizei wenden gem. § 142 I BGB) war seitens des Schützenvereins nicht erfolgt. müssen. R wurde von T unberechtigt an der ungestörten Nutzung Die Hilfe der Polizei zum Schutze privater Rechte komme indes ihres Pkw (§ 903 BGB) gehindert; die Polizei durfte zu Gunsten nur in Betracht, wenn der um Hilfe Nachsuchende glaubhaft der R einschreiten46. mache, Inhaber des zu schützenden Rechts zu sein; vor dem Einschreiten müsse die Polizei eine überschlägige zivilrechtliche Der Unmöglichkeit rechtzeitigen gerichtlichen Schutzes Prüfung durchführen (können)43. Daran fehle es im konkreten Fall. Das polizeiliche Einschreiten war rechtswidrig. gleichgestellt wird neuerdings die Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung beim Zivilgericht47. Dieser Judikatur extra legem muss mit Zurückhaltung begegnet werden; die 2. Unmöglichkeit rechtzeitigen gerichtlichen postulierte Gleichbehandlung der Fallkonstellationen Schutzes kann allenfalls in Ausnahmefällen bei einem besonderen Schutzbedürfnis der Berechtigten (wie z. B. in Fall 1) in Der Schutz und die Verwirklichung privater Recht(san- Betracht gezogen werden. sprüch)e ist Aufgabe der Zivilgerichtsbarkeit (vgl. § 13 GVG). In Fällen besonderer Eilbedürftigkeit kommt der zivilprozessuale vorläufige Rechtsschutz (§§ 920 ff. ZPO: 3. Drohender Rechtsverlust Arrest; §§ 935 ff. ZPO: einstweilige Verfügung) zum Tragen. In manchen Fallkonstellationen vermag jedoch selbst das Auch wenn zum Schutz privater Rechte gerichtliche Hilfe gerichtliche Eilverfahren keinen wirksamen Rechtsschutz nicht rechtzeitig erlangt werden kann, darf die Polizei/ zu vermitteln, weil es zu spät käme. Das gilt insbesondere Ordnungsbehörde nicht ohne weiteres tätig werden. Viel- bei Gefahren für individuelle Rechte und Rechtsgüter wäh- mehr muss hinzukommen, dass ohne administratives rend der Nacht, an Wochenenden und an Feiertagen. Einschreiten die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder Nach der Subsidiaritätsklausel ist die Polizei/Ord- wesentlich erschwert wird. Mit dieser – weiteren – Ein- nungsbehörde handlungsbefugt, »wenn gerichtlicher schränkung dokumentiert die Subsidiaritätsklausel, dass Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist«. Das kann außer der »Übergriff« der Exekutive in den Aufgabenbereich der den vorstehend erwähnten Zeiträumen auch zu anderen Zivilgerichtsbarkeit ultima ratio ist. Zeiten der Fall sein, wenn zum Schutz privater Rechte Als typischer Anwendungsfall eines drohenden seitens des Staates ad hoc gehandelt werden muss. Ein Rechtsverlusts gilt die dem »Opfer« unbekannte Identität bekanntes, regelmäßig wiederkehrendes Beispiel insoweit des »Störers«48. Ohne Kenntnis der Person und der An- ist die Sicherstellung (Beschlagnahme) eines Lichtbild- schrift des Pflichtigen kann eine Klage beim Zivilgericht films nach der (rechtswidrigen) Herstellung eines Licht- nicht vollständig abgefasst (vgl. § 253 II Nr. 1 ZPO) und bilds (ohne Einwilligung des Betroffenen); geschützt wird nicht zugestellt (§§ 253 I, 271 ZPO) werden. Auch der Zeit- das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Gestalt des Rechts faktor kann, wie die Fälle zum Fotografieren einer Person am eigenen Bild44. Die besondere Dringlichkeit ergibt ohne deren Einwilligung zeigen, die Verwirklichung des sich aus der unbefugten Verfügungsmöglichkeit des Ver- antwortlichen; ohne sofortigen polizeilichen Zugriff be- 45 VGH BW NVwZ-RR 2008, 700 (701) = AfP 2008, 539 (542) → Schoch JK 3/09, PolG BW § 33/1. 42 Pieroth/Schlink/Kniesel POR (Fn. 11) § 5 Rdn. 47; Schenke POR 46 OVG RP NJW 1988, 929 (930) = DÖV 1988, 80 (81); dazu auch Götz (Fn. 15) Rdn. 54. POR (Fn. 10) § 4 Rdn. 26; Kugelmann POR (Fn. 15) 5/75. 43 NdsOVG NdsVBl 2009, 23 (24, 25). 47 VGH BW NJW 2011, 2532 (2534) [zu Fall 1]: Schwangere, die die 44 VGH BW NVwZ-RR 1995, 527 (528) = VBlBW 1995, 282 (283) Beratungsstelle aufsuchen wollten, müssten bei zivilprozessualem → Erichsen JK 96, PolG BW § 34/1; VGH BW NVwZ 2001, 1292 (1293, Vorgehen (entgegen § 6 II SchKG) ihre Anonymität aufgeben. 1294) = VBlBW 2001, 102 (103, 104); vgl. ferner unten III. 2., insbes. 48 Gusy POR (Fn. 10) Rdn. 94; Pieroth/Schlink/Kniesel POR (Fn. 11) Fall 8. § 5 Rdn. 47. Bereitgestellt von | Hogan Lovells Hamburg Angemeldet | mail@juraexamen.info Heruntergeladen am | 20.06.14 17:31
Grundstudium ÖR – Friedrich Schoch: Der Schutz privater Rechte im Polizei- und Ordnungsrecht 473 Rechts (am eigenen Bilde) vereiteln oder wesentlich er- Gefährdung eigener Rechte und Rechtsgüter53. Das be- schweren. zieht sich auf die Gesundheit (Art. 2 II 1 GG) ebenso wie z. B. auf vermögenswerte Rechte und Rechtsgüter (Art. 14 In der Entscheidung zu Fall 2 hat das OLG das polizeiliche Ein- I 1 GG). Wer sich etwa durch das Betreiben gefährlicher schreiten durch die notwendige Sicherung zivilrechtlicher An- Sportarten, als (Zirkus-)Artist oder als Abenteuertourist sprüche der K als gerechtfertigt erachtet. Die Beamten hätten annehmen dürfen, dass B entweder die Münze herausgeben oder selbst in Gefahr bringt, geht sozialadäquate Risiken ein, als Zeuge zur Verfügung stehen müsse. Ohne die Personenfest- die eine nach Art. 2 I GG erlaubte Freiheitsausübung stellung wäre eine Verwirklichung des Rückgabeanspruchs der darstellen; dasselbe gilt für ungesunde Ernährungs- K erschwert, möglicherweise verhindert bzw. nur mit unzumut- gewohnheiten und den leichtfertigen Umgang mit dem barem oder unverhältnismäßigem Aufwand möglich gewesen49. eigenen Vermögen. Die freiwillige Obdachlosigkeit ist ebenfalls zu respektieren. Das BVerfG hat unlängst be- tont, auch ein Verhalten, das Risiken für die eigene Ge- III. Polizeilicher Schutz bei sundheit oder gar deren Beschädigung in Kauf nehme, sei durch die allgemeine Handlungsfreiheit gewährleistet; Selbstgefährdung der staatliche Schutz vor selbstschädigendem Verhalten sei nur in besonders gelagerten Fällen (in Abwägung mit Fall 5: Nach mehreren Tauchunfällen im Bodensee im Bereich »T-Felsen«, eine Felsformation im See mit etwa 85 m Tiefe und dem Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit) ge- gefährlichen Strukturen, erlässt die zuständige Polizei(verwal- rechtfertigt54. tungs)behörde mit Allgemeinverfügung ein Tauchverbot im Be- Die Grenzen des Rechts auf Selbstgefährdung sind reich des T-Felsens. Etliche Sporttaucher sind empört und wollen subjektiver und objektiver Natur: Der Handelnde muss die dagegen vorgehen. Sie meinen, nach dem individuellen Selbst- Tragweite seines Verhaltens absehen können (oftmals bestimmungsrecht entscheide der Einzelne, welchen Gefahren er zweifelhaft bei Kindern), was bei Erwachsenen einen Zu- sich aussetzen wolle; eine Häufung von Unfällen rechtfertige keine Einschränkung dieses Rechts. Die Behörde verweist auf die stand freier Willensbestimmung voraussetzt; außerdem staatliche Schutzpflicht50. muss es sich um eine ausschließliche Selbstgefährdung Fall 6: Nach wiederholten handgreiflichen Auseinandersetzun- handeln, d. h. Dritte dürfen nicht mitgefährdet werden55. gen mit ihrem Lebensgefährten A eröffnet L diesem, ihn ver- Vor diesem Hintergrund sind spezialgesetzliche Beschrän- lassen zu wollen. Als es A nicht gelingt, L zum Bleiben zu über- kungen des Rechts auf Selbstgefährdung wegen entgegen- reden, äußert er Suizidabsichten, verlässt die Wohnung mit einem Stück Wäscheleine und sagt: »Mich findet keiner.« L ver- stehender Gemeinschaftsbelange gerechtfertigt56. ständigt die Polizei, die A zur Verhinderung einer Selbsttötung in Gewahrsam nimmt. A protestiert gegen die »unerbetene Ein- In der Entscheidung zu Fall 5 hat der VGH BW zwar das Recht mischung«51. auf Selbstgefährdung betont und die freie Willensbestimmung der Sporttaucher anerkannt, dann jedoch dargelegt, dass es nicht um eine ausschließliche Selbstgefährdung gehe. Nach dem von Sporttauchern nahezu ausnahmslos beachteten 1. Recht auf Selbstgefährdung Der (polizeiliche) Schutz privater Rechte und Rechtsgüter 53 Gampp/Hebeler BayVBl 2004, 257 (259 f.); Götz POR (Fn. 10) § 4 Rdn. 28; Kugelmann POR (Fn. 15) 5/62; Möller/Warg POR (Fn. 10) kann mit dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen Rdn. 83; Schenke POR (Fn. 15) Rdn. 57. – Nach Pieroth/Schlink/Knie- in Konflikt geraten, wenn das administrative Einschreiten sel POR (Fn. 11) § 8 Rdn. 27 ergibt sich das Recht auf Selbstgefähr- gegen dessen Willen erfolgt52. Die allgemeine Handlungs- dung aus Art. 2 II 1 GG; diese Herleitung trägt nicht, wenn es z. B. um freiheit (Art. 2 I GG) umfasst das Recht der bewussten die Gefährdung des eigenen Vermögens geht. 54 BVerfG-K NJW 2012, 1062 = GewArch 2012, 115 Tz. 17 und Tz. 33 → Schoch JK 8/12, GG Art. 2 I/57. 55 Gampp/Hebeler BayVBl 2004, 257 (261 f., 262 f.); Götz POR (Fn. 10) 49 OLG Düsseldorf NJW 1990, 998 (999); krit. dazu Götz POR (Fn. 10) § 4 Rdn. 31; Pieroth/Schlink/Kniesel POR (Fn. 11) § 8 Rdn. 29 f. § 8 Rdn. 17: Das OLG habe die zivilrechtliche Rechtslage unzurei- 56 BVerfGE 59, 275 (279): Schutzhelmpflicht von Kraftradfahrern chend analysiert. (weitreichende Folgen für die Allgemeinheit bei Unfällen z. B. durch 50 Fall nach VGH BW NJW 1998, 2235 = VBlBW 1998, 25 → Kunig JK Rettungsdiensteinsatz, ärztliche Versorgung, Reha-Maßnahmen, Ver- 98, WG BW § 26/1. sorgung von Invaliden); ähnlich BVerfG-K NJW 1987, 180: Gurtanle- 51 Fall nach BayObLG NJW 1989, 1815 = DÖV 1989, 273. gepflicht; BVerfGE 90, 145 (184) → Kunig JK 94, GG Art. 2 I/26: Canna- 52 Ausnahmen, die hier jedoch außer Betracht bleiben können, biskonsum (Schutz der Jugend vor den von Drogen ausgehenden betreffen die staatliche Unterbringung z. B. in Heil-, Pflege- oder Gesundheitsgefahren, Schutz vor psychischer Abhängigkeit von Dro- Strafanstalten; Götz POR (Fn. 10) § 4 Rdn. 29; Kugelmann POR (Fn. 15) gen, Eindämmung krimineller Organisationen auf dem Drogen- 5/61. markt). Bereitgestellt von | Hogan Lovells Hamburg Angemeldet | mail@juraexamen.info Heruntergeladen am | 20.06.14 17:31
474 Grundstudium ÖR – Friedrich Schoch: Der Schutz privater Rechte im Polizei- und Ordnungsrecht Grundsatz »Tauche nie allein« bestehe die wechselseitige Auf- nach geltendem Polizeirecht zu ihrem eigenen Schutz in gabe der Hilfeleistung, falls einer der Taucher in Not gerate; ein Gewahrsam genommen werden können62. zu riskanten Unternehmungen neigender Sporttaucher gefährde Nach der Gegenauffassung ist die Selbsttötung immer auch seinen Partner. Außerdem könne ein in Not gerate- grundrechtlich geschützt, wenn sie in freier Willens- ner Sporttaucher unbeteiligte Dritte zu gefährlichen Rettungs- aktionen veranlassen; der Rettungsversuch eines Dritten könne bestimmung und ohne Gefährdung Dritter begangen für diesen ein besonderes Risiko bedeuten57. Danach durfte die wird63. Das Selbstbestimmungsrecht des Menschen (Art. 2 I Allgemeinverfügung zum Schutz privater Rechtsgüter erlassen GG) umfasse auch das Verfügungsrecht über das Leben; werden. folglich habe die Polizei die im Selbstmord zum Ausdruck kommende Grenzentscheidung eines Menschen zu respek- tieren, der bei klarem Bewusstsein unbedingt entschlos- 2. Staatliche Schutzpflicht bei sen sei, sich das Leben zu nehmen64. Danach ist die Ver- Selbsttötungsabsicht hinderung eines Selbstmords nicht nur keine staatliche (Schutz-)Pflicht, sondern sogar ein rechtfertigungsbedürf- Ob die Grundsätze zum Recht auf Selbstgefährdung (III. 1.) tiger Grundrechtseingriff. Neuerdings beruft sich diese Auf- auf Fallgestaltungen der Selbsttötung – Selbstmord(ver- fassung auch auf § 1901 a BGB: Indem der vom Gesetzgeber such) – übertragen werden können, ist umstritten. Immer- für maßgeblich erklärte Patientenwille allein beachtlich hin ist geklärt, dass aus Art. 2 EMRK kein Recht abgeleitet sei, müsse – verallgemeinernd – dem freiverantwortlich in werden kann, mit Hilfe anderer zu sterben (Sterbehilfe)58. Gang gesetzten Suizidversuch sein Lauf gelassen werden65. Im Gegenteil, nach der Rechtsprechung des EGMR ver- Beide Auffassungen stimmen darin überein, dass die pflichtet Art. 2 I 1 EMRK die Konventionsstaaten dazu, staatliche Schutzpflicht greift, wenn Zweifel daran be- rechtlich und verwaltungsmäßig alle notwendigen Maß- stehen, dass der Suizidgefährdete auf Grund freier Wil- nahmen zum Schutz des Lebens von Personen unter ihrer lensbetätigung agiert oder wirklich zum Selbstmord ent- Hoheitsgewalt zu treffen59. Nach h. M. stellt eine drohende schlossen ist (z. B. bei einem auf Entdeckung angelegten Selbsttötung eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar, Selbstmordversuch)66. Diese Einschätzung ist von der Ein- so dass die Polizei berechtigt und auf Grund der staatli- sicht getragen, dass, wer zum Suizid entschlossen ist, letzt- chen Schutzpflicht gemäß Art. 2 II 1 GG sowie wegen des lich von niemandem daran gehindert werden kann67. durch § 323 c StGB sanktionierten Gebots der Hilfeleistung zur Unterbindung des Selbstmord(versuch)s verpflichtet In der Entscheidung zu Fall 6 hat das BayObLG die polizeiliche Ingewahrsamnahme des A für rechtmäßig erklärt. Zwar sei der ist60. Verwiesen wird auf eine Grundentscheidung der Selbstmord(versuch) als solcher nicht strafbar, es gehöre jedoch Rechtsordnung, nach der das Leben eines Menschen in zu den Aufgaben der Polizei, wegen des verfassungsrechtlich der Werteordnung des Grundgesetzes – ohne eine zulässi- gebotenen Schutzes des Lebens (Art. 2 II 1 GG) zu dessen Be- ge Relativierung – an oberster Stelle der zu schützenden wahrung »auch gegenüber einem selbstgefährlichen Menschen Rechtsgüter steht; die Rechtsordnung werte eine Selbst- einzuschreiten«; die Befugnisnorm68 rechtfertige »einen Gewahr- tötung deshalb – von äußersten Ausnahmefällen abge- sam auch zur Verhinderung eines Selbstmords, da es sich inso- weit um einen Fall der Gefahr für das Leben handelt«69. sehen – als rechtswidrig und stelle die Selbsttötung sowie die Teilnahme hieran lediglich straflos61. Ergänzend kann die h. M. darauf hinweisen, dass potentielle Selbstmörder 62 § 28 I Nr. 2 lit. c PolG BW; Art. 17 I Nr. 1 BayPAG; § 30 I Nr. 1 ASOG Bln; § 17 I Nr. 1 BbgPolG; § 15 I Nr. 1 BremPolG; § 13 I Nr. 1 HbgSOG; § 32 I Nr. 1 HessSOG; § 55 I Nr. 1 SOG MV; § 18 I Nr. 1 NdsSOG; § 35 I Nr. 1 PolG NW; § 14 I Nr. 1 POG RP; § 13 I Nr. 1 PolG SL; § 22 I Nr. 2 lit. 57 VGH BW NJW 1998, 2235 (2236) = VBlBW 1998, 25 (26) → Kunig JK b SächsPolG; § 37 I Nr. 1 SOG LSA; § 204 I Nr. 1 LVwG SH; § 19 I 98, WG BW § 26/1. Nr. 1 ThürPAG. – Für die Bundespolizei § 39 I Nr. 1 BPolG. 58 EGMR NJW 2002, 2851 Tz. 40 (m. Bespr. Heymann JuS 2002, 63 Deger NVwZ 2001, 1229 (1230); Gampp/Hebeler BayVBl 2004, 257 957); Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, (260); Kutzer ZRP 2012, 135 (136); Pieroth/Schlink/Kniesel POR (Fn. 11) 5. Aufl. 2012, § 20 Rdn. 4; Schübel-Pfister in: Karpenstein/Mayer, § 8 Rdn. 31, 33. EMRK, 2012, Art. 2 Rdn. 13. 64 VG Hamburg MedR 2009, 550 (555). 59 EGMR NVwZ 2011, 1441 Tz. 208, 209; NVwZ 2012, 1017 Tz. 73. 65 Kutzer ZRP 2012, 135 (137); Lamprecht ZRP 2012, 218 (219). 60 BayObLG NJW 1989, 1815 (1816) = DÖV 1989, 273; VG Karlsruhe 66 Götz POR (Fn. 10) § 4 Rdn. 32; Kugelmann POR (Fn. 15) 5/65; NJW 1988, 1536 = JZ 1988, 208 (209); Götz POR (Fn. 10) § 4 Rdn. 32; Pieroth/Schlink/Kniesel POR (Fn. 11) § 8 Rdn. 31; aus der Praxis Maag Kugelmann POR (Fn. 15) 5/64; Möller/Warg POR (Fn. 10) Rdn. 83; ZRP 2012, 219. Schenke POR (Fn. 15) Rdn. 57; Denninger in: HdbPolR (Fn. 16) D 67 VG Hamburg MedR 2009, 500 (555); Götz POR (Fn. 10) § 4 Rdn. 32. Rdn. 32. 68 Art. 17 I Nr. 1 BayPAG; zum sonstigen Landesrecht Nachw. Fn. 62. 61 BGHSt 46, 279 (285) = NJW 2001, 1802 (1803). 69 BayObLG NJW 1989, 1815 (1816) = DÖV 1989, 273. Bereitgestellt von | Hogan Lovells Hamburg Angemeldet | mail@juraexamen.info Heruntergeladen am | 20.06.14 17:31
Grundstudium ÖR – Friedrich Schoch: Der Schutz privater Rechte im Polizei- und Ordnungsrecht 475 IV. Sicherstellung und recht von Baden-Württemberg und Sachsen kennt da- neben die Beschlagnahme einer Sache74; diese Maß- Beschlagnahme im Interesse nahme erfolgt i. d. R. gegen den Willen des Berechtigten Privater und ergeht zum Schutz Dritter oder der Allgemeinheit, während die Sicherstellung dem Schutz des Eigentümers Der Schutz privater Rechte durch die Polizei/Ordnungs- einer Sache (oder des rechtmäßigen Inhabers der tatsäch- behörde hat seit jeher bei der Sicherstellung bzw. Be- lichen Gewalt) vor Verlust oder Beschädigung der Sache schlagnahme von Sachen eine besondere Bedeutung. An- dient. Die auf diese Differenzierung verzichtenden Geset- schauliche Fallgestaltungen dazu bieten der Schutz des zesbestimmungen normieren einen weiten Begriff der »Si- Sacheigentums, des allgemeinen Persönlichkeitsrechts cherstellung«, der beide Konstellationen umfasst75. Hier und des Vermögens. geht es um Maßnahmen zum Schutz privater Rechte. In der Praxis kommt der Sicherstellung eines Kfz Fall 7: E ist Eigentümer und Halter eines Pkw. Bevor E in den (hauptsächlich eines mit offener Seitenscheibe geparkten Urlaub fliegt, stellt er seinen Pkw im Flughafenparkhaus ab, Pkw) zum Schutz des Eigentums und des Besitzes seit je- verschließt das Fahrzeug und schaltet die elektronische Weg- her eine große Bedeutung zu. Im Konfliktfall wird zumeist fahrsperre ein, lässt aber das Fenster an der Fahrerseite offen. Später kommt der Polizeibeamte P vorbei; da er E weder über gegen die Heranziehung zur Erstattung der Sicherstel- dessen (im Pkw aufgefundene) Telefonnummer noch durch Aus- lungskosten geklagt; im Wege der inzidenten Prüfung ist ruf im Flughafen erreichen kann, lässt P den Pkw zwecks Abwen- die Rechtmäßigkeit der Sicherstellung zu kontrollieren. Im dung eines möglichen Schadens zur Polizeiverwahrstelle ab- Ausgangspunkt ist unbestritten, dass die Sicherstellung schleppen. Nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub widerspricht des Kfz dem Schutz privater Rechte dient76. Nach den maß- E, der die Abschlepp- und Verwahrungskosten nicht tragen will, geblichen Vorschriften ist eine behördliche Prognose zum der polizeilichen Maßnahme, da der Pkw durch die Wegfahr- sperre gesichert gewesen sei70. wahrscheinlichen Eintritt eines Schadens gefordert; dieser Fall 8: F fotografierte in der öffentlich zugänglichen städtischen wird regelmäßig in der Beschädigung des Kfz, mitunter im Bibliothek die lesende C ohne deren Einwilligung, weil diese Verlust des Fahrzeugs und bisweilen in der Wegnahme ihm – angeblich – seinen Sitzplatz streitig gemacht habe. Als F von Sachen, die in dem Kfz lagern, gesehen77. Auf dieser sich weigerte, der C den Film herauszugeben, verbrachten her- Grundlage darf angenommen werden, dass die Schutz- beigerufene Polizeibeamte den F zum Revier, wo der Lichtbildfilm auf Grund einer entsprechenden Anordnung beschlagnahmt (si- maßnahme dem mutmaßlichen Willen des Eigentümers chergestellt) und in amtliche Verwahrung genommen wurde; dies oder rechtmäßigen Inhabers der tatsächlichen Gewalt ent- sei – bis zu einer evtl. Gerichtsentscheidung in der Angelegen- spricht78. Ausnahmsweise steht das Übermaßverbot der heit – zum Schutz des Persönlichkeitsrechts der C notwendig71. Sicherstellung entgegen, z. B. wenn die Sache wertlos oder Fall 9: Ausländer A reiste mit 40.000 DM in das Bundesgebiet so geringwertig ist, dass der Berechtigte bei objektiver ein. Den Geldbetrag versuchte er bei Banken mehrfach vergeb- Betrachtungsweise kein Interesse an der Sicherstellung lich in Euro umzutauschen; die Frage nach der Herkunft des Geldes beantwortete A in unterschiedlichen Versionen. Die von haben kann79. Nicht erforderlich ist die Sicherstellung, den Banken informierte Polizei ordnete die Sicherstellung der wenn der Berechtigte ohne Aufwand benachrichtigt wer- Banknoten an, weil die Geldscheine dem wahren Eigentümer den kann. höchstwahrscheinlich abhandengekommen seien, so dass des- sen Schutz nun veranlasst sei72. § 43 PolG NW; § 22 POG RP; § 21 PolG SL; § 26 SächsPolG; § 45 SOG 1. Schutz des Sacheigentums LSA; § 210 LVwG SH; § 27 ThürPAG, § 22 ThürOBG. – Für die Bundes- polizei § 47 BPolG. Die Polizei- und Ordnungsgesetze sehen als Standardmaß- 74 § 33 PolG BW; § 27 SächsPolG. 75 Näher dazu Schoch in: BesVwR (Fn. 4) 2. Kap. Rdn. 318. nahme die Sicherstellung einer Sache vor73. Das Landes- 76 BayVGH NJW 2001, 1960 = BayVBl 2001, 310; NJW 2009, 3384; SächsOVG SächsVBl 2002, 268 (269). 77 BayVGH s. o. Fn. 76; OVG Hamburg NVwZ-RR 2009, 995; OVG RP 70 Fall nach SächsOVG LKV 2011, 564 → Schoch JK 6/12, SächsPolG NVwZ-RR 1989, 300 = DVBl 1989, 1011 = DÖV 1989, 173; SächsOVG § 29/1. SächsVBl 2002, 268 (269); SächsVBl 2012, 71 (m. Anm. Petersen-Thrö), 71 Fall nach VGH BW NVwZ-RR 2008, 700 = AfP 2008, 539 → Schoch ferner Fn. 46; VG Berlin LKV 2002, 293. JK 3/09 PolG BW § 33/1. 78 Zum Element der «GoA” bei der Sicherstellung Schoch in: BesVwR 72 Fall nach BayVGH NVwZ-RR 2012, 686 = BayVBl 2012, 429. (Fn. 4) 2. Kap. Rdn. 318. 73 § 32 PolG BW; Art. 25 BayPAG; § 38 ASOG Bln; § 25 BbgPolG; § 23 79 Aus der Praxis HessVGH NJW 1999, 3793 (3795) = DÖV 1999, 916 BremPolG; § 14 HbgSOG; § 40 HessSOG; § 61 SOG MV; § 26 NdsSOG; (917) → Ehlers JK 00, HSOG § 40/1. Bereitgestellt von | Hogan Lovells Hamburg Angemeldet | mail@juraexamen.info Heruntergeladen am | 20.06.14 17:31
476 Grundstudium ÖR – Friedrich Schoch: Der Schutz privater Rechte im Polizei- und Ordnungsrecht In der Entscheidung zu Fall 7 hat das OVG zutreffend erkannt, Im Hinblick auf die zivilrechtlichen und strafrecht- dass E nicht benachrichtigt werden konnte; der Pkw war auch lichen Sanktionen einer unrechtmäßigen Veröffent- nicht von geringem Wert. Die Wegfahrsperre stand der Sicher- lichung von Fotos ist grundsätzlich von der Rechtstreue stellung nicht entgegen; sie vermittelte allenfalls einen Schutz der Pressefotografen auszugehen; danach ist das Fotogra- vor Diebstahl, konnte aber Beschädigungen des Wageninnern nicht verhindern80. fieren (und Filmen) polizeilicher Einsätze – sofern deren Funktion nicht beeinträchtigt wird – unter dem Schutz Dem Schutz des Sacheigentums dient auch die polizeiliche des Art. 5 I 2 GG in der Regel zulässig87. Ausnahmsweise Sicherstellung gestohlener Waren (»Hehlerware«). Die wird eine konkrete (gegenwärtige bzw. unmittelbar bevor- Subsidiaritätsklausel kommt nicht zur Anwendung, weil stehende) Gefahr für die öffentliche Sicherheit – unter es nicht ausschließlich um den Schutz privater Rechte dem Aspekt des Schutzes privater Rechte der an dem Ein- geht, sondern § 242 StGB zugleich dem öffentlichen Inte- satz beteiligten Polizeibeamten – bejaht, wenn konkrete resse Ausdruck verleiht. In der Sache muss – was anhand Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Lichtbilder entgegen belastbarer Indizien gelingt – die Eigentumsvermutung §§ 22 ff. KUG unter Missachtung des Rechts der Polizei- des § 1006 BGB zu Gunsten des Eigenbesitzers widerlegt beamten am eigenen Bilde veröffentlicht werden88. Das werden81. BVerwG hat diese Differenzierung anhand der Vorgaben der Pressefreiheit (Art. 5 I 2 GG) bestätigt: Die Anfertigung von Bildaufnahmen eines Polizeieinsatzes sei grundsätz- 2. Schutz des allgemeinen lich zulässig, andernfalls drohe dem Fotoreporter ein irre- Persönlichkeitsrechts versibler Eingriff in die Pressefreiheit; ein behördliches Einschreiten sei nur erlaubt, wenn aus der ex ante-Sicht Zum Schutz privater Rechter erfolgt in der Praxis immer mit einer Missachtung der rechtlichen Beschränkungen wieder die behördliche Sicherstellung/Beschlagnahme bzgl. der Veröffentlichung angefertigter Bildaufnahmen eines Lichtbildfilms im Zusammenhang mit der Anfer- zu rechnen sei, wobei die Sicherstellung des Bildmaterials tigung von Fotos einer Polizeiaktion82. Geschützt werden gegenüber dem Verbot von Bildaufnahmen die mildere soll dabei nicht nur die Funktionsfähigkeit der Polizei Maßnahme darstelle89. bzgl. ihrer Einsatzfähigkeit, sondern auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht der an der Aktion beteiligten Polizei- Fall 8 betrifft nicht einen Polizeieinsatz, sondern das Fotografie- ren einer Person (ohne deren Einwilligung) in einem öffentlich beamten83. Für das Recht am eigenen Bilde sind die §§ 22 ff. zugänglichen Raum. Der VGH hat erkannt, dass – unabhängig KUG84 im Verhältnis zum allgemeinen Persönlichkeits- von Verletzungshandlungen i. S. d. §§ 22, 33 KUG oder § 201 a recht leges speciales85. Thematisch erfassen §§ 22 ff. KUG StGB – schon das bloße Herstellen der Bildaufnahme einer Per- nur das Veröffentlichen und Verbreiten von Bildnissen; son in der Öffentlichkeit einen Verstoß gegen das allgemeine allerdings kann auch bereits das Fotografieren einer Per- Persönlichkeitsrecht darstellen könne. Hier sei das Erschei- son ohne deren Einwilligung einen Eingriff in das all- nungsbild der C in einer bestimmten Situation von ihrer Per- son abgelöst, datenmäßig fixiert und ihrer Kontrolle und Ver- gemeine Persönlichkeitsrecht darstellen,86 es ist allerdings fügungsmacht entzogen worden, woraus ein Schutzbedürfnis keine strafbare Handlung (vgl. § 33 KUG). erwachse. Bei einer Güterabwägung der schutzwürdigen Rechts- positionen von C und F sei nichts dafür ersichtlich, dass C die Anfertigung der Fotos durch F hätte dulden müssen. Denn ein 80 SächsOVG LKV 2011, 564 (565) → Schoch JK 6/12, SächsPolG § 29/ anerkennenswertes Interesse, C zu fotografieren, habe F nicht 1. – A. A. unter Hinweis auf eine Wegfahrsperre VG Stuttgart NVwZ- darlegen können. Angesichts der besonderen Dringlichkeit habe RR 2000, 591 (592). die Subsidiaritätsklausel (§ 2 II PolG BW) dem polizeilichen Ein- 81 Hierzu aus der Praxis VG Hannover NVwZ-RR 2008, 616; VG Köln schreiten nicht entgegengestanden90. NVwZ-RR 2010, 352. 82 Überblick dazu bei Schoch in: BesVwR (Fn. 4) 2. Kap. Rdn. 322. 83 Instruktiv aus der Praxis VGH BW DVBl 2010, 1569 = VBlBW 2011, 23 → Schoch JK 3/11, Pol.- u. OrdR Pol. Generalklausel/11; bestätigt VBlBW 2011, 23 (26) → Schoch JK 3/11, Pol.- u. OrdR Pol. Generalklau- durch BVerwG NJW 2012, 2676 = AfP 2012, 411 → Schoch JK 12/12, Pol.- sel/11. – Näher dazu am Beispiel von Fall 8 unten Text zu Fn. 90. u. OrdR Pol. Generalklausel/14: unzulässiges Fotografierverbot nach 87 VGH BW, wie Fn. 86; OVG SL AfP 2002, 545 (548). der polizeilichen Generalklausel; dazu auch Text zu Fn. 54. 88 VGH BW NVwZ 2001, 1292 (1294) = VBlBW 2001, 102 (104) m. 84 Schönfelder Nr. 67. Bespr. Eckstein VBlBW 2001, 97; OVG RP NVwZ-RR 1998, 237 (238 f.) = 85 Steffen in: Löffler, Presserecht, 5. Aufl. 2006, § 6 LPG Rdn. 119; DVBl 1998, 101 (103) = DÖV 1997, 1011 (1012). T. Dreier in: Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl. 2008, Vor §§ 22 ff. KUG 89 BVerwG NJW 2012, 2676 = AfP 2012, 411 Tz. 34, 35 → Schoch JK 12/ Rdn. 3. 12, Pol.- u. OrdR Pol. Generalklausel/14. 86 VGH BW NVwZ-RR 1995, 527 (528) = VBlBW 1995, 282 (283) 90 VGH BW NVwZ-RR 2008, 700 (701) = AfP 2008, 539 (541) → Schoch → Erichsen JK 96, PolG BW § 34/1; VGH BW DVBl 2010, 1569 (1572) = JK 3/09, PolG BW § 33/1. 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Grundstudium ÖR – Friedrich Schoch: Der Schutz privater Rechte im Polizei- und Ordnungsrecht 477 3. Schutz des Vermögens V. Rechtsfolge: Schutzmaßnahmen Die »präventive Gewinnabschöpfung« ist ein weiteres Bei- zu Gunsten privater Rechte spiel zum Schutz privater Rechte durch die Polizei. Dabei geht es häufig um die Sicherstellung von Bargeld, das Ist die Subsidiaritätsklausel anwendbar, weil es aus- offensichtlich deliktischer Herkunft ist (z. B. aus dem Dro- schließlich um den Schutz privater Rechte geht (I. 2.), und genhandel stammt) oder um die Sicherstellung der Schei- liegen ihre Voraussetzungen (II.) vor, kann die Polizei/ ne und Münzen zum Schutz eines unbekannten Eigentü- Ordnungsbehörde nach Maßgabe einer Befugnisnorm (Ge- mers91. Das polizeiliche Vorgehen zum Schutz privater neralklausel oder Standardbefugnis) zum Schutz privater Rechte im Wege der Sicherstellung ist schon dem Grunde Rechte einschreiten. Damit ist das »Ob« geklärt; zum nach nicht unumstritten92. Inhaltlich muss die Eigentums- »Wie« treffen die Bestimmungen zur Subsidiaritätsklau- vermutung des § 1006 BGB zu Gunsten des Eigenbesitzers sel96 keine präzise Regelung. Die Maßnahme muss dem überwunden werden. Die Anforderungen dazu sind strit- »Schutz« privater Rechte dienen. Nach h. M. darf es sich tig: dabei nur um vorläufige Maßnahmen handeln, die das private Recht(sgut) sichern, aber nicht endgültig zuspre- In der Entscheidung zu Fall 9 hat der BayVGH für die Widerle- chen, verwirklichen oder durchsetzen97. Begründen lässt gung der gesetzlichen Vermutung (§ 1006 I 1 BGB) den Beweis sich diese Restriktion am besten mit der Gewaltenteilung des Gegenteils gefordert. Um Geld rechtmäßig sicherstellen zu können, müsse zur vollen richterlichen Überzeugung festste- (Funktionentrennung): Die Unmöglichkeit rechtzeitigen hen, dass der Betroffene weder Eigentümer noch rechtmäßiger gerichtlichen Schutzes soll lediglich – einstweilen – kom- Besitzer des Geldes, sondern dessen wahrer Eigentümer ein pensiert werden;98 eine endgültige Ersetzung des gericht- Dritter ist. Dass die Herkunft des Geldes nicht abschließend lichen Schutzes erlaubt das Polizei- und Ordnungsrecht geklärt sei, reiche für die Sicherstellung von Geldnoten nicht nicht. aus93. Die Festlegung auf vorläufige behördliche Maßnah- men kann indes nur als Grundsatz anerkannt werden. Diese Rechtsprechung überdehnt § 1006 I 1 BGB. Wird ein Deshalb ist es z. B. rechtlich zutreffend, wenn im Zusam- nahe liegender oder vom Besitzer vorgetragener Erwerbs- menhang mit der Sicherstellung bzw. Beschlagnahme ei- grund ausgeräumt, ist die zivilrechtliche Eigentumsver- nes Lichtbildfilms zum Schutz des allgemeinen Persön- mutung bereits widerlegt; das Bargeld kann vorläufig si- lichkeitsrechts (IV. 2.) betont wird, eine polizeiliche chergestellt werden94. Eine andere Frage ist die dauerhafte Einziehung und Vernichtung des Lichtbildfilms komme Übernahme der Geldnoten und Münzen durch den Staat, nicht in Betracht, weil die Polizei nicht zu einer endgülti- falls der Eigentümer nicht ermittelt werden kann; vor dem gen Rechtsverwirklichung ermächtigt sei99. Als Ausnah- Hintergrund des Art. 14 GG ist insoweit eine gesetzliche me muss eine endgültige behördliche Maßnahme jedoch Regelung zur Einziehung gefordert95. als rechtlich zulässig anerkannt werden, wenn die zu schützende Privatperson andernfalls nicht oder nicht in zumutbarer Weise (Zeit) zu ihrem Recht kommt100. Das polizeiliche bzw. ordnungsbehördliche Einschreiten zum Schutz privater Rechte ist zwar gegenüber dem gericht- lichen Schutz subsidiär, darf aber nicht zu Lasten eines wirksamen Rechts(güter)schutzes gehen. 96 Vgl. Nachw. oben Fn. 19. 91 Einzelheiten bei Rohde/Schäfer/Röwekamp NdsVBl 2012, 145 ff. 97 Poscher/Rusteberg JuS 2011, 984 (985); Götz POR (Fn. 10) § 4 92 Rachor in: HdbPolR (Fn. 16) E Rdn. 692 verlangt eine gesetzliche Rdn. 21; Gusy POR (Fn. 10) Rdn. 95; Kugelmann POR (Fn. 15) 5/68; Vorschrift zur Einziehung sichergestellter Sachen; offen gelassen von Möller/Warg POR (Fn. 10) Rdn. 81; Pieroth/Schlink/Kniesel POR BVerfG-K NVwZ 2012, 239, 240. (Fn. 11) § 5 Rdn. 48; Denninger in: HdbPolR (Fn. 16) D Rdn. 28. 93 BayVGH NVwZ-RR 2012, 686 (687 f.) = BayVBl 2012, 429 Tz. 27 ff. 98 Pieroth/Schlink/Kniesel POR (Fn. 11) § 5 Rdn. 48. 94 Söllner DVBl 2012, 655 ff. – Lebensnah NdsOVG NVwZ-RR 2009, 99 VGH BW NVwZ-RR 1995, 527 (528 f.) = VBlBW 1995, 282 (284). 954 zur Sicherstellung beim Verdacht auf Geldwäsche. 100 Ein Beispiel hierfür ist die Entscheidung zu Fall 4, vgl. Nachw. 95 Schoch in: BesVwR (Fn. 4) 2. Kap. Rdn. 326, 328 (m. w. Nachw.). Fn. 46; zustimmend Schenke POR (Fn. 15) Rdn. 54. Bereitgestellt von | Hogan Lovells Hamburg Angemeldet | mail@juraexamen.info Heruntergeladen am | 20.06.14 17:31
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