DER STERN AUF DEM DACH - VORTRAG RECHTSANWALT DR. PETER GAUWEILER, MDB
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1 Vortrag Rechtsanwalt Dr. Peter Gauweiler, MdB anlässlich einer Einladung des Vereins Münchner Juristische Gesellschaft e.V. am Dienstag, 15. März 2005, 17:00 Uhr s.t. im Mercedes-Benz Center der DaimlerChrysler AG, Niederlassung München, Arnulfstrasse 61 zum Thema: Der Stern auf dem Dach 1
2 Inhaltsverzeichnis A. Vorwort _______________________________________________________________ 3 B. Chronologie im Überblick ________________________________________________ 3 I. Vorgeschichte________________________________________________________ 3 1. Planungsrechtliche Ausgangssituation ___________________________________ 4 2. Entwicklung des Bebauungsplanes Nr. 1815a _____________________________ 4 3. Städtebauliche Untersuchungen zur Verträglichkeit des Bauvorhabens im Stadtbild4 4. Die Erarbeitung des Bebauungsplans Nr. 1815a____________________________ 5 5. Baugenehmigungsverfahren ___________________________________________ 6 6. Genehmigungsverfahren für den Stern ___________________________________ 6 II. Der Rechtsstreit ____________________________________________________ 7 C. Das rechtswidrige Verhalten der städtischen Baubehörde_______________________ 9 I. Kein Entgegenstehen von § 5 Abs. 1 Bebauungsplan Nr. 1815a_______________ 9 1. Der Mercedes-Stern kein Dachaufbau i.S.d. § 5 Abs. 1 Bebauungsplan Nr. 1815a 11 2. Überschreitung der Kompetenzgrenzen durch die Stadt_____________________ 14 3. Widersprüchliche Regelungen in drei nebeneinander liegenden Bebauungsplänen 15 4. Kein Verstoß gegen das Verunstaltungsgebot des Art. 11 BayBO_____________ 16 II. Kein Entgegenstehen der nachträglich erlassenen Veränderungssperre ____ 18 D. Die Zulässigkeit einer Ersatzvornahme durch die Widerspruchsbehörde__________ 19 I. Normverwerfungskompetenz der Widerspruchsbehörde___________________ 20 II. Zulässigkeit einer Ersatzvornahme durch die Widerspruchsbehörde_______ 23 E. Abwehr des einstweiligen Rechtsschutzes der Stadt ___________________________ 23 I. Keine Aufschiebende Wirkung einer Klage ______________________________ 23 II. Vorläufiger Rechtschutz gem. § 80 a Abs. 3 S. 1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 VwGO _ 24 2
3 A. Vorwort „Der Mercedes-Stern leuchtet weiter“ war am 6. Mai vergangenen Jahres die dominierende Schlagzeile in der Münchner Presse. Nach jahrelangem Streit über die baurechtliche Zulässigkeit des Mercedessterns auf dem Dach dieses Firmengebäudes hatte das Verwaltungsgericht München am 5. Mai 2004 entschieden, dass der bereits im Dezember 2003 errichtete Stern bleiben darf. Diese, den einstweiligen Rechtsschutz der Stadt ablehnende Entscheidung war Anstoß, den Streit endgültig zu begraben und sich mit der Stadt auf eine gemeinsame Lösung – die dauerhafte Duldung des Sterns – zu einigen. Über den „Sternenkrieg“ wurde in der Öffentlichkeit viel berichtet. Viel Verständnis fand das Streiten der Stadt für den „Erhalt des Stadtbildes“ und die „von Kuppeln und Kirchtürmen und jahrhundertealter Baukultur geprägte Stadtsilhouette“ in diesem Fall allerdings nicht. Die Widersprüchlichkeit dieses Ansinnens zu der bis dato gelebten Baurechtspraxis war zu offensichtlich. Auch die Richter am Bayerischen Verwaltungsgericht fragten sich, welche Stadtsilhouette die städtische Baubehörde in der Umgebung an der Donnersberger Brücke schützen wolle, wenn sich gleich jenseits der Bahngleise der Munich City Tower mit einer 28 Meter hohen Antenne befindet. Die Auseinandersetzung mit der Stadt München bot jedoch einen facettenreichen Baurechtsfall, dessen Ablauf und Inhalt Gegenstand des heutigen Vortrags sein soll. B. Chronologie im Überblick I. Vorgeschichte Die Vorgeschichte der gerichtlichen Auseinandersetzung mit der Stadt München war grob umrissen folgende: 3
4 1. Planungsrechtliche Ausgangssituation Die Bauabsichten der DaimlerChrysler AG für dieses Bauwerk konkretisierten sich etwa ab 1997. Es wurden intensive Verhandlungen mit der Landeshauptstadt München aufgenommen, die zunächst sehr positiv und im gegenseitigen Einvernehmen verliefen. Um die angestrebten Nutzungen zu ermöglichen, wies die Stadt unter Änderung des geltenden Flächennutzungsplanes das Baugrundstück als „Kerngebiet“ aus. 2. Entwicklung des Bebauungsplanes Nr. 1815a In der Folge wurde die Aufstellung eines neuen Bebauungsplanes beschlossen, in welchem die mit dem Bauvorhaben zu verwirklichenden stadtplanerischen Vorstellungen festgeschrieben werden sollten. Hierbei handelt es sich um den Bebauungsplan Nr. 1815a, der die Grundlage für die planungsrechtliche Beurteilung des zu verwirklichenden Bauvorhabens bilden sollte. 3. Städtebauliche Untersuchungen zur Verträglichkeit des Bauvorhabens im Stadtbild Um zu gewährleisten, dass sich das von der Daimler Chrysler AG beabsichtigte Bauvorhaben in das Stadtbild Münchens einfügt, veranlasste die Landeshauptstadt München zusammen mit der Bauherrin im Jahr 1998 eine Stadtbildverträglichkeitsstudie. Untersucht werden sollte die Stadtbildverträglichkeit des Gebäudes im engeren und weiteren Stadtraum mit seiner Nah- und Fernwirkung. Grundlage für die Studie war ein Entwurf des Architekturbüros Lanz, aus welchem unzweifelhaft hervorging, dass über der Traufhöhe des Büroturms der Mercedes-Stern, als gestalterischer Abschluss – angebracht werden sollte. Dem Ergebnis dieser Studie war auszugsweise folgendes zu entnehmen: 4
5 „Die Beurteilung der neuen Gebäudehöhe am Standort und im Stadtraum von München führt zu keinen Problemen hinsichtlich der Maßstäblichkeit. Grundsätzlich kann die Stadtbildverträglichkeit bestätigt werden.“ - Protokoll Stadtbildverträglichkeitsstudie, August 1998, Ziff. 5.1. - „Der positive Beitrag zum Stadtprofil im näheren Stadtraum und die geringen Einwirkungen auf das Stadtprofil im weiteren Stadtraum kann als stadtbildverträglich in hohem Maße angesehen werden.“ - Protokoll Stadtbildverträglichkeitsstudie August, 1998, Ziff. 5.8. - Auf der Grundlage dieser Stadtbildverträglichkeitsstudie wurde das Bauvorhaben der Stadtgestaltungskommission vorgelegt. Die Stadtgestaltungskommission erhielt gleichfalls das vollständige Modell mit dem Mercedesstern über der Traufhöhe des Büroturms. Auch die Stadterhaltungskommission hatte nichts gegen den Mercedes- Stern einzuwenden und hieß das Bauvorhaben am 22. September 1998 mit anderweitigen ergänzenden Empfehlungen einstimmig für gut. 4. Die Erarbeitung des Bebauungsplans Nr. 1815a Im Vorfeld des Zustandekommens des Bebauungsplanes Nr. 1815a wurde die Zulässigkeit des Mercedes-Sterns in internen Gesprächen und Abstimmungen zwischen dem Architekturbüro Lanz und dem Planungsreferat der Stadt München mehrfach angesprochen. Das Architekturbüro wies das Planungsreferat der Landeshauptstadt München in mehreren Schreiben und Gesprächen darauf hin, dass es ebenso wie die Bauherrin davon ausgehe, dass sich der Stern entsprechend dem Entwurf des Bebauungsplanes realisieren lasse und den Satzungsbestimmungen nicht zuwider laufe. Dies wurde ihr in verschiedenen internen Gesprächen (etwa im Rahmen eines Abstimmungsgesprächs bei der Lokalbaukommission am 2. Oktober 1998) bestätigt. 5
6 Weder mündlich noch schriftlich wurde die Bauherrin von Seiten des Planungsreferates auf erhebliche Bedenken der Stadt gegenüber dem Mercedes- Stern aufmerksam gemacht, die offensichtlich erst zu einem späteren Zeitpunkt entstanden waren. Aufgrund der im Vorfeld mit der Stadt einvernehmlich geführten Verhandlungen, vertraute die DaimlerChrysler AG darauf, dass das Bauvorhaben in seiner Gesamtheit – also auch mit Mercedes-Stern - plankonform sei und sah sich zur Erhebung von Einwänden im Rahmen der Bürgerbeteiligung oder der öffentlichen Auslegung des Bebauungsplanes nicht veranlasst. 5. Baugenehmigungsverfahren Nach Planungssicherheit wurde der Bauantrag in zwei Stufen eingereicht: Grund- und Hauptantrag am 10. Dezember 1999, mit Tektur (zur Situierung des Gesamtbaukörpers, Reduzierung des Turms etc.) am 4. April 2000. Dieser Bauantrag wurde in seiner Gesamtheit am 2. November 2000 genehmigt. In den eingereichten Planungsunterlagen wurde der Stern in aller Form dargestellt und damit dokumentiert, dass die Bauherrin den Stern als wesentlichen Gebäudebestandteil betrachtet. 6. Genehmigungsverfahren für den Stern Am 1. Juli 2002 beantragte die Mercedesniederlassung schließlich bei der Lokalbaukommission der Stadt München die Genehmigung für eine Reihe von Werbeanlagen am Neubau – u.a. für den beleuchtbaren Mercedesstern. Mit Bescheid vom 1. Oktober 2002 wurden zwei der beantragten Werbeanlagen genehmigt, der „Leuchtstoffröhrenstern“ blieb unerwähnt. 6
7 Entgegen den Vorverhandlungen hatte die Stadtgestaltungskommission zuvor am 17. September 2002 der Verwaltung empfohlen, den beantragten Mercedes-Stern nicht zu genehmigen. Es erfolgten furchtlose Bemühungen um eine außergerichtliche Lösung mit der Stadt. Spitzengespräche zwischen Herrn Kowalewski und Herrn Oberbürgermeister Ude sowie mit der Stadtbaurätin Thalgott führten zu keinem positiven Ergebnis. Die Einbindung der Industrie- und Handelskammer brachte keinen Erfolg. Am 28. Februar 2003 – also fünf Monate nach der Meinungsbildung in der Stadtgestaltungskommission – lehnte die Stadt München den Antrag schließlich ab. II. Der Rechtsstreit Der Antragsablehnung folgte der Rechtsstreit in chronologisch folgenden Schritten: 4. April 2003: die Mercedesniederlassung – vertreten durch unsere Kanzlei – legt gegen den Bescheid der Stadt Widerspruch ein. 16. Juni 2003: die Stadt legt den Widerspruch der Regierung von Oberbayern zur Entscheidung vor. 8. September 2003: Die Regierung von Oberbayern teilte der Stadt mit, sie wolle die Ablehnung des Antrags aufheben, weil: • das Vorhabe den Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. 1815a nicht entgegenstehe, dieser insbesondere als nichtig anzusehen sei; • das Vorhaben nicht gegen das Verunstaltungsverbot des Art. 11 BayBO verstößt; • dem Vorhaben auch sonst keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. 7
8 1. Oktober 2003: Der Stadtrat beschließt, den Bebauungsplan der Mercedesniederlassung im Hinblick auf Dachform und Werbeanlagen zu ergänzen. Zur Durchsetzung dieses Bebauungsplanes verhängt sie eine Veränderungssperre. 15. Dezember 2003: Die Regierung von Oberbayern erlässt einen Widerspruchsbescheid, der nicht nur die Ablehnung der Baugenehmigung aufhebt, sondern der (im Wege der Ersatzvornahme) selbst die Erteilung der Genehmigung enthält. Wenig später ist der Stern auf dem Dach des Firmengebäudes montiert. 16. Januar 2004: Die Stadt München, vertreten durch den Oberbürgermeister Ude, erhebt beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage gegen den Freistaat Bayern und beantragt, den Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern aufzuheben. Gleichzeitig stellt sei einen Antrag auf einstweiligen Rechtschutz gegen den Freistaat Bayern und beantragt im Einzelnen: „ I. Die Vollziehung des Bescheides vom 15. Dezember 2003,...wird ausgesetzt. II. Der beizuladenden DaimerChrysler AG,...wird aufgegeben, den ... genehmigten Mercedes-Stern bis zur Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache zu beseitigen, hilfsweise, den Mercedes-Stern bis zur Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache nicht zu drehen und nicht zu beleuchten...“ 5. Mai 2004: Das Verwaltungsgericht München entscheidet, dass der Stern bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache bleiben darf. In der Entscheidung wird bescheinigt, dass die Ablehnung der Genehmigung am 28. Februar 2003 rechtswidrig war. Entgegen der Rechtsauffassung der Widerspruchsbehörde und auch unserer Rechtsauffassung gelangte das 8
9 Verwaltungsgericht zu der Ansicht, dass die erlassene Veränderungssperre als rechtmäßig anzusehen ist und das gemeindliche Einvernehmen zu recht versagt worden war. Wegen einer Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts und der Planungshoheit der Stadt wurde der Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern aufgehoben. 7. Juni 2004: Die Stadt München legt Beschwerde gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts im Eilverfahren ein. Es wird Anschlussbeschwerde erhoben. 29. Juni 2004: Die Parteien einigen sich gütlich (Stadt München duldet den Mercedes-Stern dauerhaft). Die Rechtsmittel werden von beiden Seiten zurückgenommen. C. Das rechtswidrige Verhalten der städtischen Baubehörde Mit der Weigerung, die Genehmigung für die Aufstellung des Sterns auf dem Firmengebäude zu erteilen, wurde seitens der Stadt München gegen eine Reihe bauplanungsrechtlicher und bauordnungsrechtlicher Vorschriften verstoßen: I. Kein Entgegenstehen von § 5 Abs. 1 Bebauungsplan Nr. 1815a Die Stadt München war der Auffassung, dass die Errichtung der Werbeanlage gegen § 5 (1) des Bebauungsplanes verstoße. In ihrem Ablehnungsbescheid führte sie aus: „Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 1815a vom 2. 5. 2000, der in § 5 Abs. 1 festlegt, dass bei der Errichtung von Flachdächern nur technisch notwendige Dachaufbauten zulässig sind. Bei dem Mercedes-Stern handelt es sich um eine reine Werbeanlage und nicht um einen technisch 9
10 notwendigen Dachaufbau. Das Vorhaben widerspricht daher den Festsetzungen des Bebauungsplans... - Bescheid vom 28. Februar 2003, S. 2 - Eine Befreiung von diesen Festsetzungen kann nicht erteilt werden, da die Abweichung städtebaulich nicht vertretbar ist. Die Stadt München möchte ihre von Kuppeln, Kirchtürmen und jahrhundertealter Baukultur geprägte Stadtsilhouette nicht von aufgeständerten Werbeträgern dominieren lassen, was aber unvermeidbar geschehen würde, wenn bei einem profilüberragenden Gebäude zusätzlich über Dach die Anbringung eines aufgeständerten und beleuchteten Mercedes- Sterns gestattet würde.“ Die Ablehnung der Genehmigung konnte jedoch aus mehreren Gründen nicht auf § 5 Abs. 1 des Bebauungsplanes gestützt werden: • Bei dem Mercedes-Stern handelte es sich nicht um einen „Dachaufbau“ i.S.d. § 5 Abs. 1 (dazu nachfolgend 1.). • Mit der Festsetzung hatte die Stadt die klaren Kompetenzgrenzen des Art. 91 BayBO überschritten, die ihr der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung zur Gartenstadtsatzung beim Vollzug des Bauordnungsrechts vorgegeben hatte (BayVGH, Urt. v. 30. Mai 2003), (nachfolgend 2.). • Auch bei Auslegung der Satzungsbestimmung als bauordnungsrechtliche Vorschrift konnte die Ablehnung der Genehmigung hierauf nicht gestützt werden, denn die Stadt hatte in drei nebeneinanderliegenden Bebauungsplänen völlig unterschiedliche und widersprüchliche Regelungen hinsichtlich von Erkennungssymbolen als „Dachaufbauten“ getroffen: 10
11 o § 4 Abs. 3 Bebauungsplan Nr. 1742 – Munich City Tower; ausdrückliche Erlaubnis des 30 m hohen Antennenaufbaus, der das Ortsbild erheblich beeinflusst; o § 5 Abs. 1 Bebauungsplan Nr. 1815a DaimerChrysler; Flachdächer: Zulässigkeit von “technisch notwendigen Dachaufbauten“; o § 14 Bebauungsplan Nr. 1873; östliche Angrenzung in Richtung Hackerbrücke: Festsetzungen zu Dachaufbauten unabhängig von der Dachform; § 26: Verbot von Werbeanlagen über den festgesetzten Wandhöhen der Gebäude bzw. der Oberkante der Attika Das von der Stadt München behauptete gestalterische Ziel (Erhaltung und Gestaltung des Ortsbildes bzw. der Stadtsilhouette) konnte bereits angesichts dieser auf engem Raum bestehenden unterschiedlichen Regelungen nicht erreicht werden (nachfolgend 3.). • Das Vorhaben verstieß nicht gegen das „Verunstaltungsverbot“ des Art. 11 BayBO (nachfolgend 4.). 1. Der Mercedes-Stern kein Dachaufbau i.S.d. § 5 Abs. 1 Bebauungsplan Nr. 1815a § 5 Abs. 1 des Bebauungsplanes Nr. 1815a konnte dem Bauvorhaben schon deshalb nicht entgegenstehen, weil es sich bei dem Mercedes-Stern nicht um einen „Dachaufbau“ i.S.d. § 5 Abs. 1 des Bebauungsplanes handelte. Der Begriff „Dachaufbau“ legt bereits in seinem natürlich verstandene Wortsinn keineswegs nahe, dass hierunter alles zu verstehen ist, was sich auf dem Dach befindet. Üblicherweise versteht man unter „Dachaufbauten“: Dachgauben, Zwerchgiebel, Aufzugshäuser und ähnliche bauliche Anlagen. Das Baulexikon führt – worauf die Regierung von Oberbayern in ihrem Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 2003 verwies - zum Begriff „Dachaufbauten“ folgendes aus: 11
12 „Unter Dachaufbauten versteht man Gauben und sogenannte Laternengeschosse (Laternengeschoss = Aufbauten am Dachfirst). Die Dielen der Belichtung und Belüftung von Nutzräumen und der Erweiterung des nutzbaren Raums im Dachbereich (Zugewinn an lichter Raumhöhe im Bereich der Dachaufbauten). Dachaufbauten tragen durch die Gliederung des Daches lediglich zur Gestaltung des Dachs bei und sind bei nachträglicher Ausführung durch den Ausbau von Dachgeschossen grundsätzlich genehmigungspflichtig.“ - Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 2003, S. 5 - Mangels „Gestaltung des Daches“ waren Werbeanlagen hiernach nicht als „Dachaufbauten“ anzusehen. Auch aus der Begründung zu § 5 (1) des Bebauungsplanes war keineswegs ersichtlich, dass auch Werbeanlagen als „Dachaufbauten“ verstanden werden sollten. Hier waren als Beispielsfälle nur bauliche Anlagen mit Rauminhalt angeführt, wie etwa Treppenhäuser, Aufzugsüberfahrten und Lichtkuppeln zur Raumbelichtung. Ein Verbot für Werbanlagen war hieraus jedoch nicht abzuleiten. Dies sah schließlich auch das Bayerische Verwaltungsgericht München so und führte hierzu aus: „ Der in § 5 Abs. 1...verwendete Begriff „Dachaufbau“ ist ...mehrdeutig. Er kann bedeuten: (1) alles, was auf dem Dach aufgebaut wird. D.h. jeglicher Aufbau, auch wenn der Aufbau seiner Art oder seines typischerweise auf einem Dach errichtet wird. Beispielsweise eine Statue oder ein Kunstwerk werden erst durch die Wahl des Standortes „auf dem Dach“ zu Dachaufbauten. Ebenso verhält es sich mit Werbeanlagen. 12
13 (2) Aufbauten auf einem Dach, die ihrer Art oder ihrem Zweck nach zwar nicht zwingend, aber typischerweise auf dem Dach errichtet werden. Beispielsweise zählen hierzu Solarkollektoren oder ähnliche Anlagen zur Nutzung der Sonnenenergie... (3) Aufbauten auf einem Dach, die ihrer Art oder ihrem Zweck nach nur auf einem Dach errichtet werden und zugleich auch eine Gestaltung des Daches einer baulichen Anlage sind. Sie stellen Elemente der Dachgestaltung dar, weil sie auf die flächenhafte Wirkung des Daches Einfluss haben. Beispielsweise sind dies Dachgauben oder Dacheinschnitte...“ - Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtes München vom 5. Mai 2004, Seite 25/26 - Da sich auch aus der Begründung zu § 5 des Bebauungsplanes nicht erschließen ließ, in welchem Sinn die Stadt München den Begriff des Dachaufbaus verstanden wissen wollte, erklärte das Verwaltungsgericht kurzerhand, dass die Vorschrift des § 5 (1) zu unkonkret gefasst sei: „Wenn die Klägerin den Begriff Dachaufbauten trotz der Beispiele in der Begründung des Bebauungsplanes und des fachlichen Begriffsinhaltes uneingeschränkt im weitesten Sinne hätte verstanden wissen wollen, so hätte sie dies aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit in der Vorschrift zum Ausdruck bringen müssen.“ - Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtes München vom 5. Mai 2004, Seite 26 - Selbst den Begriff des Dachaufbaus im weitesten Sinne unterstellt, konnte § 5 Abs. 1 der Satzung die Ablehnung des Mercedes-Sterns nicht rechtfertigen. Wie das Verwaltungsgericht München abschließend feststellte, hätte – im Hinblick auf die Ermächtigungsgrundlage des Art. 91 Abs. 1 Nr. 2 BayBauO – nur ein ausdrücklich 13
14 geregeltes (teilweises oder gänzliches) Werbeverbot die Verweigerung der Genehmigung für den Mercedes-Stern rechtfertigen können. Ein solches war in § 5 Abs. 1 des Bebauungsplanes nicht enthalten. - Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtes München vom 5. Mai 2004, Seite 27 - 2. Überschreitung der Kompetenzgrenzen durch die Stadt Sofern die Stadt München behauptete, § 5 des Bebauungsplanes wolle mit seiner Regelung die „von Kuppeln, Kirchtürmen und jahrhunderteralter Baukultur geprägte Stadtsilhouette“ schützen, war bereits aus kompetenzrechtlichen Gründen an der Wirksamkeit der Regelung zu zweifeln: Nach Art. 91 Abs. 1 Nr. 1 BayBauO können die Gemeinden durch Satzung örtliche Bauvorschriften erlassen über besondere Anforderungen an die äußere Gestaltung baulicher Anlagen zur Erhaltung und Gestaltung von Ortsbildern. Vom bauordnungsrechtlichen Ortsbild ist jedoch das Ortsbild im bundesbauplanungsrechtlichen Sinn abzugrenzen (§ 34 Abs. 1 S. 2 HS 2 BauGB). Der Schutz des Letzteren kann nicht Gegenstand einer örtlichen Bauvorschrift sein, da diese der Gesetzgebungskompetenz der Länder entzogen ist. Auf Landesrecht gestützte örtliche Bauvorschriften, die in einem Bebauungsplan enthalten sind, dürfen nicht bodenrechtliche Regelungen „im Gewande von Baugestaltungsvorschriften“ sein. - Vgl. BVerwG, Urteil vom 10.07.1997 – 4 NB 15/97 -, NVwZ-RR 1998, 486 - Das von der Stadt behauptete Gestaltungsziel des § 5 Abs. 1 des Bebauungsplanes war als eine Gestaltung im bauplanungsrechtlichen Sinne zu verstehen: Bei bauordnungsrechtlichen Vorschriften liegt der Akzent auf der Gestaltung des Bauwerks; das Bauwerk selbst soll nicht unschön sein, und es soll auch nicht durch 14
15 Unschönheit seine Umgebung stören. Die zu beachtende Umgebung ist eine „potentiell kleinere“ sie beschränkt sich allein auf die „nähere Umgebung“. - ebenso Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern v. 15. Dezember 2003, S. 13 - Maßstab des § 34 Abs. 1 S. 2 HS 2 BauGB ist hingegen der „Ort“. Es kommt auf das Ortsbild, also auf das Erscheinungsbild eines größeren Bereichs der Gemeinde an. Entscheidend ist, ob sich das Vorhaben in diese weite Umgebung einpasst. Dagegen ist die Gestaltung des Bauwerks selbst nicht wichtig. - BVerwG NVwZ 2000, 1169; Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern v. 15. Dezember 2003, S. 13 - Da § 5 des Bebauungsplans nicht nur Auswirkungen auf die nähere Umgebung haben sollte, sondern primär auf das „Stadtbild“ ausgerichtete gewesen sein soll, war hierin eine „bauplanungsrechtliche“ Regelung zu sehen, die nicht in einer örtlichen Bauvorschrift geregelt werden konnte. 3. Widersprüchliche Regelungen in drei nebeneinander liegenden Bebauungsplänen Selbst wenn aber auch nur von einer Wirkung des § 5 für die „nähere Umgebung“ ausgegangen worden wäre, war § 5 des Bebauungsplanes als nichtig anzusehen, da der behauptete Sinn und Zweck dieser Regelung in der näheren Umgebung nicht erreicht werden konnte. Die Stadt hatte in drei nebeneinanderliegenden Bebauungsplänen völlig unterschiedliche und widersprüchliche Regelungen hinsichtlich von Erkennungssymbolen als „Dachaufbauten“ getroffen. Hierbei handelte es sich um die Bebauungspläne Nr. 1742 – Munich City Tower, 1815a DaimerChrysler, 1873 östliche Angrenzung in Richtung Hackerbrücke. Dabei war insbesondere zu 15
16 berücksichtigen, dass sich auf der anderen Seite der Donnersberger Brücke auf dem 85 m hohen Munich City Tower ein 30 m hoher Antennenaufbau befindet, der das Ortsbild bereits erheblich beeinflusst. Diesen Antennenaufbau hat die Landeshauptsstadt München mit der Regelung in § 4 Abs. 3 des Bebauungsplanes Nr. 1742 ausdrücklich zugelassen. Der Erhalt eines „von Kuppeln, Kirchtürmen und jahrhunderteralter Baukultur“ geprägten näheren Ortsbildes war in Anbetracht dieser Umgebung nicht mehr möglich. In diesem Zusammenhang war auch zu berücksichtigen, dass die Stadt gegenüber der DaimlerChrysler AG den Kompromissvorschlag angeboten hatte, dass Technikgeschoss auf dem Dach des Firmengebäudes um fünf Meter zu erhöhen und auf jeder Seite dieses Geschosses einen beleuchteten Mercedes-Stern in der Größe des nunmehrigen Sterns anzubringen. Dies veranlasste die Widerspruchsbehörde zu der Bemerkung: „Unter Berücksichtigung dieses Kompromissangebots vermag die Regierung von Oberbayern nicht zu erkennen, warum nach Auffassung der Landeshauptstadt München der beantragte, sich frei drehende Mercedes-Stern städtebaulich nicht vertretbar sein soll, weil er die von ,Kuppeln, Kirchtürmen und jahrhunderteralter Baukultur geprägte Stadtsilhouette’ ...dominieren würde, dass hingegen bei vier Mercedes-Sternen, die an einem erhöhten Technikgeschoss angebracht werden, dies nicht der Fall sein soll.“ - Wiederspruchsbescheid vom 15. Dezember 2003, S. 24 -. 4. Kein Verstoß gegen das Verunstaltungsgebot des Art. 11 BayBO In der Ausgabe der Münchner Abendzeitung vom 20./21. Dezember 2003 schrieb Herr Oberbürgermeister Ude unter der Überschrift „Halleluja! Ein Stern ist aufgegangen!“ über die Gestaltung des Sterns: 16
17 „Der Mercedes-Stern ist ja unbestritten ein Design-Klassiker von nobler Eleganz...“ Damit war die Frage, ob der Stern gegen das Verunstaltungsverbot des Art. 11 BayBauO verstößt, bereits beantwortet. Ein „Design-Klassiker von nobler Eleganz“ kann nicht „verunstaltend wirken“: Speziell zur Frage verunstaltender Werbeanlagen genügt es für die Annahme eines Verunstaltungsverbotes nicht schon, dass eine Anlage überhaupt auffällt oder möglicherweise nur als unschön zu bewerten sein kann; vielmehr lässt sich auch bei Werbeanlagen eine Verunstaltung erst dann annehmen, wenn die Anlage für das ästhetische Befinden eines Durchschnittsbetrachters einen verletzenden Zustand schaffen würde - BayVGH, Urt. v. 27. Oktober 1966, BayVBl. 1967, 280/281; Koch/Molodovsky/Rahm, a.a.O., Art. 11 (2001), Erl. 6.2.1. m.w.Nw. -. In diesem Sinne führte die Regierung von Oberbayern im Widerspruchsbescheid zutreffend aus: „Voraussetzung für den behördlichen Eingriff ist, dass das ästhetische Empfinden des Betrachters nicht nur beeinträchtigt, sondern verletzt wird. Eine Verunstaltung liegt nur dann vor, wenn es sich um einen krassen Missgriff handelt, der nicht nur einen unschönen, sondern einen hässlichen Anblick entstehen lässt, der bei einem nicht unbeträchtlichen ....Teil der Betrachter anhaltenden Protest und den Ruf nach Abhilfe auslösen würde...was die Umgebung im einzelnen verunstaltet, hängt von der Qualität der Umgebung und damit vom Einzelfall ab. Die hier vorhandene nähere Umgebung ist...in gestalterischer Hinsicht nicht sehr anspruchsvoll. Unter Berücksichtigung der Qualität dieser Umgebung und der konkreten Ausgestaltung des Mercedes-Sterns kann nicht davon gesprochen werden, dass dieser von einem für ästhetische Eindrücke 17
18 offenen objektiven Durchschnittsbetrachter als belastend und unlusterregend empfunden würde.“ - Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 2003, S. 29 -. II. Kein Entgegenstehen der nachträglich erlassenen Veränderungssperre Nachdem die Stadt München die Baugenehmigung zur Aufstellung des Mercedes- Sterns in rechtswidriger Weise versagt hatte und sie am 8. September 2003 von der Widerspruchsbehörde darauf hingewiesen worden war, dass der Bescheid aufzuheben sei, beschloss sie am 1. Oktober 2003 eine Änderung des streitgegenständliche Bebauungsplans. Gleichzeitig beschloss sie zur Sicherung ihres Planungsvorhabens eine Veränderungssperre nach § 14 BauGB, um die Genehmigung des Mercedes-Sterns endgültig zu verhindern. Gegen die Behauptung, dass dieses Vorgehen der Stadt legal sei und den Aufbau des zunächst rechtwidrig versagten Mercedes-Sterns im Nachhinein verhindern könne, war mit folgenden Argumenten vorzugehen: Die Veränderungssperre ist vor dem Hintergrund des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG zur Sicherung der Planung nur dann gerechtfertigt, wenn der Planaufstellungsbeschluss ein Mindestmaß dessen erkennen lässt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplanes sein soll. Die Veränderungssperre ist nichtig, wenn: • sich das aus dem Aufstellungsbeschluss ersichtliche planerische Ziel nicht erreichen lässt und • wenn der beabsichtigte Bebauungsplan einer positiven Planungskonzeption entbehrt bzw. der Förderung von Zielen dient, für deren Verwirklichung die Planinstrumente des Baugesetzbuchs nicht bestimmt sind oder wenn rechtliche Mängel schlechthin nicht behebbar sind (BayVGH, Urt. v. 3. März 2003 – 15 N 02.593 -; BVerwG NVwZ 1994, 685). 18
19 Unter diesen Voraussetzungen war die von der Stadt erlassene Veränderungssperre bereits als nichtig anzusehen, denn: • das im Aufstellungsbeschluss der Stadt nunmehr ausdrücklich benannte Ziel, „die traditionelle Stadtsilhouette Münchens zu bewahren“, durfte als bauplanerisches Ziel (entsprechend den obigen Ausführungen unter C.I.2.) nicht mittels einer örtlichen Bauvorschrift geregelt werden (so Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 2003, S. 26). • Außerdem war angesichts der Vorgeschichte und des Verlaufes des Streits um den Stern davon auszugehen, dass hier eine reine „Negativplanung“ vorgenommen worden war. Der Stadt München ging es bei der nachträglichen Änderung des Bebauungsplanes Nr. 1815a allein darum, den Mercedes-Stern zu verhindern. Bei einer reinen „Verhinderungsplanung“ fehlt es jedoch an einer tragfähigen Planungskonzeption (OVG NW, Urt. v. 27. Februar 1996 – 11a 3960/959). Selbst für den Fall, dass die Veränderungssperre nicht als nichtig anzusehen wäre, hätte die Stadt München zumindest gemäß § 14 Abs. 2 BauGB eine Ausnahme zulassen können und müssen. Denn nach der Rechtsprechung darf eine Behörde, die eine Baugenehmigung rechtswidrig abgelehnt hat, nach Erlass einer Veränderungssperre eine Ausnahme nicht versagen, wenn überwiegende öffentliche Belange nicht entgegenstehen uns sonstige Hinderungsgründe fehlen. Insofern besteht sogar ein Rechtsanspruch des Antragstellers auf eine Ausnahme (BVerwG BauR 1989, 432; NVwZ 1990, 58; NVwZ-RR 1993, 65). I D. Die Zulässigkeit einer Ersatzvornahme durch die Widerspruchsbehörde Mit Bescheid vom 15. Dezember 2003 wurde der ablehnende Bescheid der Stadt München von der Regierung von Oberbayern aufgehoben und die Baugenehmigung entgegen der von der Stadt München erlassenen Veränderungssperre erteilt. 19
20 Die Stadt München hielt dies für einen unzulässigen Eingriff in die Planungshoheit der Gemeinde. In einer Presseerklärung vom 16. Januar 2004 führte sie aus: „Eine Normverwerfung durch eine Behörde...und den direkten Durchgriff in die Planungshoheit einer Gemeinde hat es in dieser Form bisher nicht gegeben. Eine derartige Normverwerfungskompetenz ist ausdrücklich nur den Gerichten, nicht aber Behörden zugewiesen. Mit der Nichtachtung gemeindlichen Satzungsrechts ist eine Eskalationsstufe eingetreten, die weit über die Frage der gestalterischen Vertretbarkeit des Mercedes-Sterns hinausgeht. Insoweit ist allein schon deswegen die Beschreitung des Klagewegs unvermeidlich...“ Ein maßgeblicher Streitpunkt war somit die Frage geworden, ob es der Wiederspruchsbehörde rechtlich möglich war, die von der Stadt erlassene Veränderungssperre als nichtig zu verwerfen, also eine „Verwerfungskompetenz“ beanspruchen und im Wege der Ersatzvornahme die versagte Genehmigung erteilen konnte. I. Normverwerfungskompetenz der Widerspruchsbehörde Die Nichtigkeitsbeurteilung der Veränderungssperre durch die höhere Bauaufsichtsbehörde begegnete unserer Rechtsauffassung nach keinen kompetenzrechtlichen Bedenken: Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 31. Januar 2001 ausdrücklich festgestellt, dass die Aufsichtsbehörde (in dem vom BVerwG entschiedenen Fall: die Regierung von Niederbayern) bei schwerwiegenden Mängeln berechtigt ist, bei ihrer aufsichtlichen Entscheidung von der Nichtigkeit eines Bebauungsplanes auszu- gehen. „Die höhere Naturschutzbehörde kann bei der Festsetzung eines Naturschutzgebietes von der Nichtigkeit eines Bebauungsplans jedenfalls dann ausgehen, wenn die 20
21 Gemeinde Hinweisen der für das Bauwesen zuständigen Behörden auf rechtserhebliche Mängel des Bebauungsplans nicht Rechnung getragen hat und die Nichtigkeit des Bebauungsplans in einem Verwaltungsrechtsstreit des Alleineigentümers des Plangebietes von einem Gericht festgestellt worden ist.“ BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2001, NVwZ 2001, 1035 Auch im Schrifttum ist überzeugend dargelegt worden, dass die Rechtsordnung zwingend eine behördliche Inzidentverwerfung, d.h. die Nichtanwendung eines als nichtig erkannten Bebauungsplanes in einem konkreten Verwaltungsverfahren verlangen kann. vgl. zuletzt: Günther F. Herr, Schriften zum öffentlichen Recht, Band 926, Behördliche Verwerfung von Bebauungsplänen; Duncker & Humblot, Berlin, 2003 Zudem war in dem zu beurteilenden Fall zu berücksichtigen, dass es bei der aufsichtlichen Prüfung „nur“ um die Rechtswidrigkeit einer Veränderungssperre ging. Die Veränderungssperre nach § 14 und § 16 BauGB ist zwar auch eine städtebauliche Satzung wie der von ihr entsprechend zu sichernde Bebauungsplan. Sie stellt jedoch lediglich ein spezifisches Sicherungsinstrument der Bebauungsplanung dar, das für sich keine „planerischen“ Elemente und keine „planerische“ Funktion im spezifischen Sinne enthält. Zwar ist die Veränderungssperre als bauleitplanerisches Sicherungsinstrument durchaus akzessorisch zur Bebauungsplanung und damit zur gemeindlichen Planungshoheit. Ihre Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen beurteilen sich aber nach dem gesetzlichen Sicherungszweck, d.h. nach den besonderen, darauf beschränkten Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 BauGB. Ein weiteres Argument für die „Normverwerfungskompetenz der Aufsichtsbehörde“ war, dass anstelle einer Veränderungssperre grundsätzlich auch eine einfache Zurückstellung von Baugesuchen nach § 15 BauGB erfolgen kann. 21
22 Es ist indessen, soweit ersichtlich, völlig unbestritten, dass eine Aufsichtsbehörde in einem Widerspruchsverfahren über einen Bauantrag ohne weiteres die Rechtmäßigkeit und Gültigkeit einer Zurückstellung des betreffenden Baugesuches inzident überprüfen und darüber entscheiden kann. In beiden Fällen, sowohl bei der Zurückstellung eines Baugesuchs als auch bei einer Veränderungssperre, geht es bei deren Rechtmäßigkeit- und Gültigkeitsprüfung lediglich darum, ob die gesetzlichen Sicherungsvoraussetzungen vorliegen. Es handelt sich also allein um aktuelle Rechtsschutzfragen in einem möglichen oder in einem, wie hier, bereits anhängigen Baugenehmigungsverfahren. Diese Rechts- fragen fallen in die Zuständigkeit und Kompetenz der Widerspruchsbehörde, weil das Widerspruchsverfahren nicht nur ein Aufsichtsverfahren, sondern auch und vor allem ein Rechtsschutzverfahren ist. Das Verwaltungsgericht folgte dieser Rechtsauffassung nicht. Zur Nichtigkeitsverwerfung der Veränderungssperre durch die Regierung von Oberbayern führte das Gericht aus: „Der Exekutive, hier der Regierung von Oberbayern, steht aus verfassungsrechtlichen Gründen, Art. 20 Abs. 3 GG, sowie dem im Rechtsstaatgebot verankerten Grundsatz der Rechtssicherheit nicht zu, Rechtsnormen, seien sie wie vorliegend Satzungsbestimmungen des örtlichen „Gesetzgebers“ zu verwerfen. Eine Normverwerfung im Sinne einer Nichtigkeitsfeststellung ist im Hinblick auf die Selbstverwaltungsgarantie des Gemeinden bei gemeindlichem Satzungsrecht ausschließlich den Gerichten im hierfür vorgesehenen Verfahren vorbehalten. Es besteht ein „gerichtliches Verwerfungsmonopol“. - Urteil des Verwaltungsgerichts vom 5. Mai 2004, S. 43 -. 22
23 II. Zulässigkeit einer Ersatzvornahme durch die Widerspruchsbehörde Unabhängig von der Frage, ob die Veränderungssperre als nichtig und damit unwirksam angesehen werden konnte, war die Widerspruchsbehörde zur Entscheidung über die Ausnahme von einer Veränderungssperre nach § 14 Abs. 2 BauGB berufen (Art. 59 Abs. 1 BayBO; § 73 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Art. 91 Abs. 3 BayBO i.V.m. § 14 Abs. 2 BauGB setzt hierfür das „gemeindliche Einvernehmen“ voraus. Da dieses nicht erteilt wurde, war eine weitere Streitfrage, ob das gemeindliche Einvernehmen durch die Regierung von Oberbayern nach Art. 74 Abs. 1,5 BayBO wirksam ersetzt worden ist. Wir waren auch hier der Auffassung, dass dies gegeben war. Das Verwaltungsgericht folgte dem später nicht, da es davon ausging, dass das gemeindliche Einvernehmen auf der Grundlage der (seiner Auffassung nach wirksamen) Veränderungssperre rechtmäßig versagt worden war und deshalb nicht ersetzt werden konnte. Abgesehen davon kritisierte das Gericht formelle Anforderungen, die bei der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens von der Widerspruchsbehörde nicht eingehalten worden sein sollen. E. Abwehr des einstweiligen Rechtsschutzes der Stadt Nachdem die Widerspruchsbehörde die Genehmigung für die Aufstellung des Mercedes-Sterns erteilt hatte, galt es schnell zu handeln, um zu unterbinden, dass die Stadt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Vollziehung der Baugenehmigung verhindert. I. Keine Aufschiebende Wirkung einer Klage Nach § 212 a BauGB haben Widerspruch und Anfechtungsklage eines „Dritten“ keine aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 1 BauBGO. Dritter in § 212 a BauGB 23
24 ist nach feststehender Auffassung und Rechtspraxis auch eine Gemeinde, die gegen die sie rechtlich betreffende Baugenehmigung ein Rechtschutzverfahren anstrengt - OVG Lüneburg / Beschluss vom 9.3.1999, NVwZ 1005; Körber in Hoppe / Bönke / Grottefels, öffentliches Baurecht 2. Auflage 2002, § 18 Rndnr. 143 -. II. Vorläufiger Rechtschutz gem. § 80 a Abs. 3 S. 1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 VwGO Gem. § 80 a Abs. 3 S. 1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 2 VwGO hatte jedoch die Stadt grundsätzlich die Möglichkeit, eine gerichtliche Aussetzung der Baugenehmigung durch das Verwaltungsgericht zu beantragen. Ist mit dem Bauvorhaben allerdings bereits rechtmäßig begonnen oder dies bereits vor Erhebung des einstweiligen Rechtsschutzes beendet worden, so ist eine direkte Verfügung des Gerichts an die Adresse des Bauherren auf Beseitigung der Baumaßnahme nach überwiegender Ansicht unzulässig. Der Antrag der Landeshauptstadt München auf Beseitigung bzw. Verdunklung des Sterns im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes hatte dementsprechend vor dem Verwaltungsgericht München auch keinen Erfolg. 24
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