Deutschland auf dem Weg aus der Gaskrise: Wie sich Klimaschutz und Energie-souveränität vereinen lassen - Ariadne-Kurzdossier - Deutschland auf ...

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Deutschland auf dem Weg aus der Gaskrise: Wie sich Klimaschutz und Energie-souveränität vereinen lassen - Ariadne-Kurzdossier - Deutschland auf ...
Ariadne-Kurzdossier

Deutschland auf dem Weg
aus der Gaskrise: Wie sich
Klimaschutz und Energie-
souveränität vereinen lassen
Deutschland auf dem Weg aus der Gaskrise: Wie sich Klimaschutz und Energie-souveränität vereinen lassen - Ariadne-Kurzdossier - Deutschland auf ...
Autorinnen und Autoren

                     » Prof. Dr. Gunnar Luderer                    » Dr. Frederike Bartels                       » Markus Blesl
                        Potsdam-Institut für                          Potsdam-Institut für                         Universität Stuttgart – Institut für
                        Klimafolgenforschung                          Klimafolgenforschung                         Energiewirtschaft und Rationelle
                                                                                                                   Energieanwendung

                     » Alexander Burkhardt                         » Prof. Dr. Ottmar Edenhofer
                        Universität Stuttgart – Institut für          Potsdam-Institut für Klimafolgen-
                                                                                                                 » Dr. Ulrich Fahl
                        Energiewirtschaft und Rationelle                                                            Universität Stuttgart - Institut für
                                                                      forschung & Mercator Research
                        Energieanwendung                                                                            Energiewirtschaft und Rationelle
                                                                      Institute on Global Commons and
                                                                                                                    Energieanwendung
                                                                      Climate Change

                     » Annika Gillich                              » Dr. Andrea Herbst                           » Prof. Dr. Kai Hufendiek
                        Universität Stuttgart – Institut für          Fraunhofer-Institut für System-               Universität Stuttgart - Institut für
                        Energiewirtschaft und Rationelle              und Innovationsforschung                      Energiewirtschaft und Rationelle
                        Energieanwendung                                                                            Energieanwendung

                     » Markus Kaiser                               » Lena Kittel                                 » Dr. Florian Koller
                        Fraunhofer-Institut für Solare               Universität Stuttgart - Institut für           Deutsches Zentrum für
                        Energiesysteme                               Energiewirtschaft und Rationelle               Luft- und Raumfahrt - Institut
                                                                     Energieanwendung                               für Verkehrsforschung

                    » Dr. Christoph Kost                           » Dr. Robert Pietzcker                        » Dr. Matthias Rehfeldt
                       Fraunhofer-Institut für Solare                Potsdam-Institut für                           Fraunhofer-Institut für System-
                       Energiesysteme                                Klimafolgenforschung                           und Innovationsforschung

                    » Felix Schreyer                               » Dennis Seibert                               » Dr. Luisa Sievers
                      Potsdam-Institut für                           Deutsches Zentrum für                           Fraunhofer-Institut für System-
                      Klimafolgenforschung                           Luft- und Raumfahrt - Institut                  und Innovationsforschung
                                                                     für Verkehrsforschung

Beitragende Modelliererinnen und Modellierer:
Falk Benke (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung), Heike Brand (Universität Stuttgart – Institut für Energiewirtschaft und Ratio-
nelle Energieanwendung), Özcan Deniz (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt – Institut für Fahrzeugkonzepte), Alois Dirnaich-
ner (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung), Anna Grimm (Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung), Robin Has-
se (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung), Johanna Hoppe (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung), Drin Marmullaku
(Universität Stuttgart – Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung), Tilman Matteis (Deutsches Zentrum für Luft-
und Raumfahrt – Institut für Verkehrsforschung), Tudor Mocanu (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Institut für Verkehrs-
forschung), Simón Moreno (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung), Marius Neuwirth (Fraunhofer-Institut für System- und Innova-
tionsforschung), Ines Österle (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt – Institut für Fahrzeugkonzepte), Michaja Pehl (Potsdam-In-
stitut für Klimafolgenforschung), Arunava Putatunda (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt – Institut für Verkehrsforschung),
Renato Rodrigues (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung), Jonathan Siegle (Universität Stuttgart – Institut für Energiewirtschaft
und Rationelle Energieanwendung), Pascal Weigmann (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung)
Deutschland auf dem Weg aus der Gaskrise: Wie sich Klimaschutz und Energie-souveränität vereinen lassen - Ariadne-Kurzdossier - Deutschland auf ...
Dieses Papier zitieren:
Gunnar Luderer, Frederike Bartels, Markus Blesl, Alexander Burkhardt, Ottmar
Edenhofer, Ulrich Fahl, Annika Gillich, Andrea Herbst, Kai Hufendiek, Markus Kaiser,
Lena Kittel, Florian Koller, Christoph Kost, Robert Pietzcker, Matthias Rehfeldt, Felix
Schreyer, Dennis Seibert, Luisa Sievers (2022): Deutschland auf dem Weg aus der
Gaskrise: Wie sich Klimaschutz und Energiesouveränität vereinen lassen. Kopernikus-
Projekt Ariadne, Potsdam.
https://doi.org/10.48485/pik.2022.004

Kontakt zu den Autorinnen und Autoren: Frederike Bartels, fbartels@pik-potsdam.de

Das vorliegende Ariadne-Kurzdossier wurde von den oben genannten Autorinnen und
Autoren des Ariadne-Konsortiums ausgearbeitet. Es spiegelt nicht zwangsläufig die
Meinung des gesamten Ariadne-Konsortiums oder des Fördermittelgebers wider.
Die Inhalte der Ariadne-Publikationen werden im Projekt unabhängig vom Bundesmi-
nisterium für Bildung und Forschung erstellt.

Herausgeben von                                                                           Bildnachweis
Kopernikus-Projekt Ariadne                                                                Titel: NASA / Unsplash
Potsdam-Institut für Klimafolgen-
forschung (PIK)
Telegrafenberg A 31
14473 Potsdam

Oktober 2022
Deutschland auf dem Weg aus der Gaskrise: Wie sich Klimaschutz und Energie-souveränität vereinen lassen - Ariadne-Kurzdossier - Deutschland auf ...
INHALT

   Zusammenfassung                                                             1
   1.    Einleitung und Hintergrund                                            4
         1.1 Energie- und Klimakrise                                           4
         1.2 Ausgangslage zur Gasversorgung in Deutschland                     7
         1.3 Szenarien zur Auswirkung der Energiekrise auf die Energiewende   9
   2.    Sektorale Potenziale zur Minderung der Abhängigkeit von fossilen
         Ressourcen                                                           11
         2.1 Energiewirtschaft                                                11
         2.2 Gebäude                                                          14
         2.3 Industrie                                                        17
         2.4 Verkehr                                                          22
   3.    Effekte auf das Gesamtsystem                                         25
         3.1 Gasnachfrage und Angebot bis 2025                                25
         3.2 Auswirkung auf die Erreichung der Klimaziele                     26
   4.    Schlussfolgerungen                                                   30
   Literaturangaben                                                           33
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ZUSAMMENFASSUNG

    Dieses Kurzdossier analysiert die Auswir-     2022). Die Bundesregierung hat entspre-
    kungen der Energiekrise auf die Trans-        chend einen Abwehrschirm im Umfang
    formation des deutschen Energiesys-           von 200 Mrd. € zur Abmilderung der Fol-
    tems zur Klimaneutralität 2045 sowie          gen für Verbrauchende und Unterneh-
    Strategien zur Beseitigung der Abhän-         men angekündigt – eine zumindest in
    gigkeit Deutschlands von russischen Erd-      Bezug auf das Energiesystem bislang
    gasimporten.                                  beispiellos große fiskalische Intervention.

    Die Energiekrise infolge des russischen       Erste Auswirkungen auf die deutsche
    Angriffskrieges auf die Ukraine hat tief-     Gasnachfrage sind erkennbar: Bei Klein-
    greifende Auswirkungen auf die deut-          verbrauchenden, im wesentlichen in der
    sche und europäische Energiewirtschaft.       Gebäudewärme, sind die Abweichungen
    Am markantesten ist dabei der massive         vom Verbrauchsniveau der Vorjahre bis-
    Anstieg der Gaspreise: Der für Deutsch-       her allerdings vor allem witterungsbe-
    land und Nordwest-Europa maßgebliche          dingt. Die Stromerzeugung aus Gas ist
    Gaspreis am niederländischen Gashan-          reduziert gegenüber 2021, gemessen am
    delspunkt TTF notierte im August 2022         langjährigen Mittel aber konstant. Die In-
    das mehr als zehnfach über dem lang-          dustrie hingegen reagiert deutlich sensi-
    jährigen Mittel vor der Krise. Infolge des-   bler auf die hohen Preise: Bisher ist der
    sen, sowie aufgrund relevanter Sonderef-      industrielle Gaseinsatz im Jahr 2022 um
    fekte im europäischen Stromsystem –           etwa 20% gegenüber den Vorjahren zu-
    wie Sicherheitsabschaltungen einer gro-       rückgegangen.
    ßen Zahl französischer Kernkraftwerke,
    einer geringen Stromerzeugung aus             Das noch immer hohe Gasverbrauchsni-
    Wasserkraft sowie Logistikproblemen bei       veau nicht nur in Deutschland, sondern
    Steinkohle aufgrund des Dürresommers          auch in anderen Ländern der EU, ver-
    – gab es eine vergleichbare Vervielfa-        schärft die extreme Sensitivität des Gas-
    chung des Großhandelspreises für              marktes auf geopolitische Entwicklun-
    Strom. Auch Steinkohle und Erdöl wur-         gen. Auf Basis bestehender Lieferver-
    den durch den weitgehenden Verzicht           hältnisse und Planungen schätzen wir,
    auf Importe aus Russland teurer, wenn         dass Deutschland bei einem Ausfall rus-
    auch in deutlich geringerem Umfang.           sischer Gaslieferungen in den nächsten
                                                  Jahren bei zusätzlichem Import substan-
    Dass diese Energiepreisschocks dramati-       zieller Mengen LNG (liquefied natural
    sche Effekte haben, belegen Studien: Ins-     gas) ein Gasangebot von ca. 600 TWh/a
    besondere für einkommensschwache              aus verlässlichen Lieferländern und ein-
    Haushalte, die mit Erdgas heizen, kann        heimischer Förderung sichern kann –
    die Mehrbelastung durch hohe Energie-         eine Reduktion von ca. 30% im Vergleich
    preise mehr als 20% des Haushaltsein-         zum Vorkrisenniveau. Den Verbrauch auf
    kommens betragen (Kalkuhl et al.,             dieses Niveau zu senken erhöht die geo-

1
Deutschland auf dem Weg aus der Gaskrise: Wie sich Klimaschutz und Energie-souveränität vereinen lassen - Ariadne-Kurzdossier - Deutschland auf ...
politische Resilienz Deutschlands und ist                                        Für die einzelnen Sektoren ergeben sich                                                                darfsgerechtes Heizen und intelligen-
somit in der aktuellen Gaskrise der Kern-                                        dabei folgende Kerneinsichten:                                                                         te Steuerung. Zusammen mit einem
baustein zur kurzfristigen Wiedererlan-                                                                                                                                                 beschleunigten Hochlauf von Wärme-
gung der Energiesouveränität. Ein derar-                                         1. Energiewirtschaft: Auf einem Pfad zur                                                               pumpen, dem Anschluss an Fern- und
tiger Nachfragerückgang leistet auch                                                Energiesouveränität ermöglichen in                                                                  Nahwärmenetze und einer stärkeren
einen fairen Beitrag Deutschlands zur                                               erster Linie die Realisierung der Aus-                                                              energetischen Sanierung des Gebäu-
Minderung der Gasknappheit auf dem in-                                              bauziele erneuerbarer Energien und                                                                  debestands lassen sich im Gebäude-
tegrierten europäischen Markt und trägt                                             ein kurzfristig stärkerer Einsatz von                                                               sektor bis 2023 gut 30% des Gasbe-
damit zu einer Reduktion der Gaspreise                                              Kohlekraftwerken, die teils aus der                                                                 darfs einsparen.
bei. Die Begrenzung der Gaspreise wie-                                              Reserve reaktiviert oder später als ge-
derum ist entscheidend, um die Kosten                                               plant stillgelegt werden, einen Rück-                                                            3. Industrie: Auf hohe Erdgaspreise
der Gaskrise für Verbrauchende, Indus-                                              gang der Gasverstromung bis 2023                                                                    kann die Industrie kurz- bis mittelfris-
trie und den Fiskus beherrschbar zu hal-                                            um bis zu 50% bzw. bis 2025 um bis                                                                  tig in Teilen mit dem Wechsel auf an-
ten.                                                                                zu 80%. Dabei hängen die Einspar-                                                                   dere Energieträger und Rohstoffe (Mi-
                                                                                    möglichkeiten auch von der Entwick-                                                                 neralölprodukte [Heizöl, LPG, Naph-
Entsprechend fokussiert sich der im Rah-                                            lung der Stromnachfrage in Deutsch-                                                                 tha], Biomasse) reagieren. Eine be-
men dieser Studie durchgeführte Modell-                                             land und dem Export in Nachbar-                                                                     schleunigte Elektrifizierung der
vergleich auf ein Szenario Energiesouve-                                            länder sowie der Möglichkeit der tat-                                                               Dampfbereitstellung ermöglicht es,
ränität, das neben der Erreichung der                                               sächlichen dauerhaften Reaktivierung                                                                den Gaseinsatz zu reduzieren. Da-
Klimaschutzziele für 2030 (Minderung                                                der heutigen Reserveanlagen ab. So                                                                  rüber hinaus ist in einem Energiesou-
der THG-Emissionen um 65% ggü. 1990)                                                führt auch die gerade beschlossene                                                                  veränitätsszenario auch mit Produkti-
und 2045 (Netto-Null Treibhausgasemis-                                              Laufzeitverlängerung für zwei der drei                                                              onsdrosselung und dem Import ener-
sionen) auch die vor allem für die nächs-                                           verbliebenen Kernkraftwerke bis April                                                               gieintensiver Vorprodukte (z.B.
ten Jahre relevante Verbrauchsminde-                                                2023 vor allem zu zusätzlichen                                                                      Ammoniak) zu rechnen, insbesondere
rung für Erdgas einhält. Neben Gesamt-                                              Stromexporten und senkt die Klima-                                                                  wenn das Vertrauen in den Energie-
systemmodellen, die integrierte sektor-                                             gasemissionen, trägt aber nur unwe-                                                                 träger Erdgas, als Brücke hin zu CO2-
übergreifende Zielerreichungspfade ent-                                             sentlich zu Gaseinsparungen in                                                                      freien Produktionsprozessen, nach-
wickeln, kommen auch detaillierte Sek-                                              Deutschland bei.                                                                                    haltig beschädigt ist. Bis 2025 kann
tormodelle zum Einsatz, die die spezi-                                                                                                                                                  sich der Gaseinsatz so um gut 50%
fischen Gaseinsparpotenziale in den Sek-                                         2. Gebäude: Das größte Potenzial, um                                                                   reduzieren.
toren Industrie, Stromerzeugung und                                                 im Gebäudesektor den Gasverbrauch
Gebäude sowie synergetische Einsparun-                                              kurzfristig zu reduzieren, liegt in einer                                                        Aus Gesamtsystemsicht sind folgende
gen fossiler Kraftstoffe durch eine be-                                             Anpassung des Heizverhaltens der                                                                 Erkenntnisse besonders relevant:
schleunigte Verkehrswende untersuchen.                                              Menschen – beispielsweise durch Ab-
                                                                                    senken der Raumtemperatur, be-                                                                   1. Klimapolitik und CO2-Bepreisung
                                                                                                                                                                                        würden bei einer Normalisierung der
                                                                                                                                                                                        Energiepreise im Laufe der 2020er
                                                                                                                                                                                        Jahre zu einem mäßigen, ab 2030 zu
    Abbildung Z: Sektorale Gaseinsparungen im Szenario Energiesouveränität im                                                                                                           einem starken Rückgang des Erdgas-
    Vergleich zur Gasangebotslücke. Umrandete Balken zeigen Potenzialabschätzun-                                                                                                        verbrauchs führen. Die Klimaneutrali-
    gen aus Sektormodellen („Bottom-up“), ausgefüllte Balken zeigen Ergebnisse aus
    Gesamtsystemmodellen. Quelle: Eigene Darstellung                                                                                                                                    tät 2045 impliziert auch einen nahezu
                                                                                                                                                                                        vollständigen Ausstieg aus der Nut-
                                                                                                                                                                                        zung von Erdgas und anderen fossilen
                                                                                                                                                                                        Energieträgern bis 2045. Die Klima-
                                Bottom-Up

                                                                                  Bottom-Up
                                            Bottom-Up

                                                        REMIND

                                                                                              REMIND
                                                                 REMod

                                                                                                       REMod
                                                                         TIMES

                                                                                                               TIMES

                                                                                                                                                                                        ziele und CO2-Bepreisung sind für
                                                                                                                       0
                                                                                                                                                                 Gebäude
                                                                                                                                                                                        sich genommen allerdings nicht aus-
                                                                                                                             Nachfrageminderung [TWh/a]
    Gasangebot [TWh/a]

                         800
                                                                                                                       100                                       Energiewirtschaft      reichend, um in den nächsten Jahren
                                                                                                                       200
                                                                                                                                                                 Industrie
                                                                                                                                                                                        den Gasverbrauch um 30% zu sen-
                         600
                                                                                                                                                                                        ken.
                                                                                                                       300

                                                                                                                       400
                                                                                                                                                                                     2. Die Potenziale in den Einzelsektoren
                         400
                                                                                                                       500                                                              Gebäude, Energiewirtschaft und In-
                                                                                                                                                          LNG (über EU)                 dustrie sind prinzipiell ausreichend,
                         200                                                                                                                              LNG (deutsche FSRUs)          um in den Jahren bis 2025 den jähr-
                                                                                                                                                          eigene Gasförderung
                                                                                                                                                                                        lichen Gasverbrauch Deutschlands
                                                                                                                                                          Importe aus NO, NL
                                                                                                                                                          Importe aus Russland          auf ein Niveau zu begrenzen, das ein
                          0
                               2023                       2025                                  2030                                                                                    hohes Maß an Energiesouveränität
                                                                                                                                                                                        und insbesondere die Unabhängig-

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Deutschland auf dem Weg aus der Gaskrise: Wie sich Klimaschutz und Energie-souveränität vereinen lassen - Ariadne-Kurzdossier - Deutschland auf ...
keit Deutschlands von russischen           fossiler Energiepreise steigen die
    Erdgasimporten ermöglicht. Hierzu          volkswirtschaftlichen Kosten des
    ist jedoch eine deutliche Trendwende       Energiesystems im Energiesouveräni-
    in der Energiewirtschaft und Gebäu-        tätsszenario gegenüber dem Klima-
    dewärme notwendig, die bisher kaum         schutzreferenzszenario. Allerdings
    Verbrauchsminderungen realisieren          sind die CO2-Grenzvermeidungskosten
    konnten.                                   im Energiesouveränitätszenario zur
                                               Erreichung der Minderungsziele 2030
3. Die Gesamtsystemmodelle zeigen:             nur halb so hoch. Die Klimaziele kön-
   Alle Verbrauchssektoren müssen zur          nen in diesem Fall also mit geringerer
   Gaseinsparung beitragen. Erhebliche         CO2-Bepreisung erreicht werden.
   Unsicherheit besteht jedoch bezüg-
   lich der Aufteilung der Minderungs-
   anforderungen auf die verschiede-
   nen Sektoren. Diese Unsicherheiten
   sind insbesondere bestimmt durch
   Heizverhalten, Witterung und Wärme-
   pumpenhochlauf (Gebäudesektor)
   bzw. Ausbau und Erzeugung von
   Wind- und PV-Strom, Kohleverstro-
   mung, Stromnachfrage und Entwick-
   lungen auf dem europäischen Strom-
   markt (Energiewirtschaft).

4. Aufgrund der unmittelbaren Inzidenz
   von Preissignalen und der hohen
   Preiselastizität reagiert die industriel-
   le Gasnachfrage kurzfristiger und be-
   sonders direkt auf die Gasknappheit.
   Je geringer die Einsparleistung bei
   der Gebäudewärme und der Energie-
   wirtschaft, desto höher ist der Ein-
   spardruck bei der Industrie – mit ent-
   sprechend stärkeren negativen Aus-
   wirkungen auf energieintensive Bran-
   chen und die Konjunktur.

5. Das Ziel der Energiesouveränität –
   im Sinne einer grundsätzlichen Be-
   grenzung der Abhängigkeit von ein-
   zelnen Energielieferanten, kurzfris-
   tig insbesondere von russischen
   Erdgaslieferungen – und die Klima-
   schutzziele sind kein Widerspruch.
   Im Gegenteil: Die Reduktion des Gas-
   verbrauchs um 250 TWh allein führt
   zu einer CO2-Minderung von 50 Mt
   CO2 pro Jahr gegenüber dem Mittel
   von 2017-2021. Ein Teil der Gasmin-
   derung geht zwar mit einem Brenn-
   stoffwechsel auf Kohle oder Heizöl
   einher, die dadurch entstehenden
   Mehremissionen sind aber durch den
   europäischen Emissionshandel, der
   die maßgeblichen Sektoren Energie-
   wirtschaft und Industrie abdeckt und
   die Höhe der CO2-Emissionen be-
   grenzt, gedeckelt. Aufgrund höherer

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Deutschland auf dem Weg aus der Gaskrise: Wie sich Klimaschutz und Energie-souveränität vereinen lassen - Ariadne-Kurzdossier - Deutschland auf ...
1. EINLEITUNG UND
                                               HINTERGRUND
                                            1.1 Energie- und Klimakrise                  versorgung von Importen war in den
                                                                                         letzten Jahren groß (Abbildung 1): gut
                                            Der 24. Februar 2022 markiert eine Zä-       69% der Primärenergie wurden 2021 im-
                                            sur in der Energiepolitik der Europäi-       portiert, mehr als 95% des benötigten
                                            schen Union. Spätestens seit dem Ein-        Mineralöls, 89% des eingesetzten Erdga-
                                            marsch Russlands in die Ukraine ist klar,    ses und 100% der Steinkohle (AGEB,
                                            dass sich Deutschland und die EU nicht       2022a).
                                            länger auf ihren wichtigsten Energieliefe-
                                            ranten verlassen können. Vielmehr be-        Dabei ist Deutschland in besonderer Wei-
                                            steht durch die in Folge des völker-         se von Russland als Energielieferant ab-
                                            rechtswidrigen Angriffskriegs einge-         hängig geworden, was sich am deutlichs-
                                            tretene Entwicklung die geopolitische        ten beim Erdgas zeigt: Im Durchschnitt
                                            Notwendigkeit, sich vom Import von rus-      der Jahre 2016-2020 lag der Anteil Russ-
                                            sischem Gas, Öl und Kohle weitgehend         lands an den Erdgasimporten nach
                                            unabhängig zu machen – einerseits um         Deutschland bei etwa 50%, in 2020 und
                                            das Portfolio der Wirtschaftssanktionen      2021 sogar bei 55%. Die restliche Gas-
                                            gegenüber Russland zu stärken, ande-         versorgung wird in Deutschland vor al-
                                            rerseits um das geopolitische Erpres-        lem durch Importe aus Norwegen (Anteil
                                            sungspotenzial Russlands gegenüber           von ~30% an Importen in 2016-20), den
                                            Deutschland zu mindern.                      Niederlanden (Anteil von ~20% an den
                                                                                         Importen in 2016-20) und zu einem klei-
                                            Die Abhängigkeit der deutschen Energie-      nen Anteil durch eigene Gasförderung si-
                                                                                         chergestellt (BP, 2022).

                                                                                         Am Erdgasbedarf haben die privaten
    Abbildung 1: Primärenergieverbrauch, Importe und Anteil Russlands an den Im-
    porten von Mineralöl, Erdgas und Steinkohle nach Deutschland im Jahr 2021.           Haushalte und der GHD-(Gewerbe-Han-
    Quelle: AGEB (AGEB, 2022a)                                                           del-Dienstleistungen)-Sektor mit 41% in
                                                                                         2016-2020 den größten Anteil, wobei
                                                                                         Erdgas dort vor allem für Raumwärme
                                                                                         und Warmwasser eingesetzt wird. Die In-
                                                                                         dustrie folgt mit einem Anteil von 26% in
                                                                                         2016-2020 (ohne nicht-energetische
                                                                                         Nutzung). Allen voran benötigen die che-
                                                                                         mische Industrie, die Ernährungsindus-
                                                                                         trie, die Metallerzeugung und -bearbei-
                                                                                         tung und die Papier- und Glasherstel-
                                                                                         lung Erdgas. Schließlich wurden
                                                                                         2016-2020 im Mittel 18% des Erdgases
                                                                                         in Deutschland verstromt und 6% wur-
                                                                                         den zur Erzeugung von Fernwärme ge-

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Deutschland auf dem Weg aus der Gaskrise: Wie sich Klimaschutz und Energie-souveränität vereinen lassen - Ariadne-Kurzdossier - Deutschland auf ...
Abbildung 2: Erdgaseinsatz nach Sektoren in Deutschland.                               ten Liquefaction- und Regaskapazitäten
    Quelle: AGEB (AGEB, 2022b)                                                             in den USA bzw. in Europa bestimmt,
                                                                                           weshalb sich Preisdifferenzen etablieren
                                                                                           konnten.

                                                                                           Direkte Auswirkungen hat das auf die
                                                                                           Kosten für Erdgasimporte nach Deutsch-
                                                                                           land. Bereits 2021 lagen diese knapp
                                                                                           70% über dem Mittel der Jahre
                                                                                           2016-2020; im ersten Halbjahr 2022 ver-
                                                                                           vierfachten sich die Kosten für den Erd-
                                                                                           gasimport gegenüber demselben Zeit-
                                                                                           raum in 2016-2020 (BAFA, 2022a).

                                                                                           Nachdem Gaslieferungen über Nord
                                                                                           Stream 1 nach Deutschland vollständig
                                                                                           eingestellt sind und ein mutmaßlicher
                                                                                           Sabotage-Akt den Gastransport über
nutzt (AGEB, 2022b) (Abbildung 2).            russischen Lieferungen durch die Routen      Nord Stream 1 auch in Zukunft unmög-
Bereits im Spätsommer 2021 kündigte           über die Ukraine, über Polen und durch       lich machen wird, kann eine weitere Ver-
sich die Energiekrise an: Die Kombinati-      Nord Stream 1. Den vorläufigen Höhe-         schärfung dieser Versorgungssituation
on aus gedrosselten russischen Gasliefe-      punkt erreichten die Gasmarktpreise
rungen in die EU (-25% in Q4 2021 vs. Q4      Ende August 2022, nachdem Lieferun-
2020 (International Energy Agency,            gen durch Polen und Nord Stream 1 voll-
                                                                                            BOX 1: MASSEINHEITEN
2022)), dem globalen Anstieg der Gas-         kommen eingestellt wurden: Am nieder-
nachfrage infolge der wirtschaftlichen        ländischen Gashandelspunkt TTF (Title
                                                                                            FÜR DEN ENERGIEGE-
Erholung nach der Corona-Pandemie             Transfer Facility) wurde Erdgas zur Liefe-    HALT VON ERDGAS
und einer reduzierten europäischen Gas-       rung im folgenden Monat (der sogenann-        In der Energiewirtschaft, Statistik
förderung führte zu einem deutlichen          te Frontmonat; das liquideste kurzfristi-     und Energieforschung werden eine
Preisanstieg auf dem globalen Gasmarkt        ge Produkt) kurzfristig zum 18-fachen         Vielzahl verschiedener Maßeinheiten
mit Preisspitzen im Oktober und Dezem-        seines durchschnittlichen Preises aus         genutzt, um Erdgasmengen zu quan-
ber 2021. Neben dem europäischen Gas-         2017/2018 gehandelt. Das Frontmo-             tifizieren. Im Einklang mit bestehen-
preis stieg der Preis für kurzfristige LNG-   nats-Produkt am asiatischen JKM (Japan        den Konventionen der Energiestatis-
Importe nach Asien. Auch der US-ameri-        Korea Marker, ein Index für kurzfristig       tik und Energiemodellierung wird in
kanische Gasmarktpreis zog an, aber in        importiertes LNG nach Südost-Asien)           dieser Studie der Energiegehalt in
geringerem Umfang.                            und am US-amerikanischen HH (Henry            TWh(Hu), also in Bezug auf den un-
                                              Hub) verzeichneten das 9- bzw. 3,5-fache      teren Heizwert (Hu), angegeben.
Fortgesetzt hat sich diese Entwicklung        ihres Preises aus 2017/18 (Abbildung 3).      In der Gaswirtschaft werden Energie-
mit dem Angriff Russlands auf die Ukrai-      Arbitragemöglichkeiten zwischen den           mengen hingegen vorwiegend in Be-
ne und der folgenden Drosselung der           Märkten sind letztlich durch die begrenz-     zug auf den oberen Heizwert (Ho)
                                                                                            (oder Brennwert) angegeben, der im
                                                                                            Gegensatz zum unteren Heizwert
    Abbildung 3: Großhandelspreise für Erdgas (Frontmonats-Produkt TTF, HH und              auch die Kondensationswärme des
    JKM). Quelle: ICIS, ICE, Platts, Tullet Prebon                                          entstehenden Wasserdampfs berück-
                                                                                            sichtigt. Unter Normbedingungen
                                                                                            lassen sich der untere und der obere
                                                                                            Heizwert gemäß der Formel Hu =
                                                                                            0.90238 x Ho ineinander umrechnen.
                                                                                            (AGEB, 2022c).
                                                                                            Lediglich im Zusammenhang mit
                                                                                            Marktpreisen für Erdgas wird im Fol-
                                                                                            genden ausnahmsweise der Energie-
                                                                                            gehalt basierend auf dem oberen
                                                                                            Heizwert verwendet, da eine Korrek-
                                                                                            tur auf den unteren Heizwert der
                                                                                            gängigen Methode an den Gasbör-
                                                                                            sen widersprechen würde.

5
Deutschland auf dem Weg aus der Gaskrise: Wie sich Klimaschutz und Energie-souveränität vereinen lassen - Ariadne-Kurzdossier - Deutschland auf ...
erwartet werden. Eine exakte Einschät-        Abbildung 4: Monetäres Importvolumen (rechte Skala) und Grenzübergangspreis
zung der Importkosten würde vollständi-       für Erdgas (linke Skala); Statistik bis einschließlich H1 2022, danach geschätzt.
ge Informationen über Preisformeln der        Quelle: BAFA (BAFA, 2022a, 2022b, 2021), Destatis (Destatis, 2022a), Powernext, ei-
                                              gene Schätzung.
bestehenden Langfrist-Lieferverträge
(LTCs) mit Norwegen und den Niederlan-
den, wie auch detaillierte Kenntnisse
möglicher neuer LTCs für LNG vorausset-
zen. Vereinfacht ergeben sich unter der
Annahme, dass ab dem zweiten Halbjahr
2022 etwa 50% des Erdgases zu aktuel-
len Marktpreisen beschafft werden müs-
sen, für das Gesamtjahr 2022 die 6-fa-
chen und für das Jahr 2023 die 10-
fachen Kosten für Gasimporte nach
Deutschland gegenüber den mittleren
Kosten in 2016-20201 (Abbildung 4).

Basierend auf der aktuellen BIP-(Brutto-
Inlands-Produkt)-Prognose des Sachver-
ständigenrats (Sachverständigenrat,           Abbildung 5: Treibhausgasemissionen in Deutschland, Statistik bis einschließlich
                                              2021, KSG-Ziele ab 2030. Quellen: UBA (Umweltbundesamt, 2022a)
2022) machen allein die Kosten für den
Gasimport in 2022 bzw. 2023 dann fast
3% bzw. fast 4% des deutschen BIPs aus
(in 2016-2020 waren es im Mittel 0,4%).

Neben der Ukraine-Krise ist die Klimakri-
se das bestimmende Thema der europäi-
schen Energiepolitik. Der Hitzesommer
in Europa, Waldbrände und Dürren un-
terstreichen den Handlungsbedarf. Die
EU hält an den Zielen des European
Green Deal fest: bis 2030 eine 55%-ige
Minderung der THG-Emissionen gegen-
über 1990 und die Erreichung der Klima-
neutralität bis 2050. Deutschland strebt
eine Minderung von 65% in 2030 gegen-
über 1990 sowie die Klimaneutralität bis
2045 an (Abbildung 5).                      Grundsätzlich besteht also eine große                                     einer verstärkten Gasnutzung gegeben
                                            Synergie zwischen Klimaschutz und der                                     sein: Durch die heutige Investition in
Da die Potenziale für CO2-Senken in         Reduktion der Importabhängigkeit von                                      schwimmende LNG-Terminals (Floating
Deutschland gering sind, erfordert das      fossilen Ressourcen. Weil russisches Erd-                                 Storage and Regas Units, FSRUs) und
Ziel der Klimaneutralität insbesondere      gas für Deutschland einen besonders ho-                                   den Abschluss von neuen Lieferverträgen
auch einen fast vollständigen Ausstieg      hen Stellenwert hat, ist es für die Ener-                                 werden zusätzliche Gasbezugsquellen er-
aus der Nutzung fossiler Energieträger      giesouveränität im Kontext der Ukraine-                                   schlossen und Gasmengen für den deut-
(Lübbers et al., 2022; Luderer et al.,      Krise besonders wichtig, wie schnell die                                  schen Markt über einen längeren Zeit-
2021). Trotz der geringeren spezifischen    Erdgasnutzung reduziert werden kann.                                      raum fest kontrahiert. Des Weiteren
CO2-Emissionen pro eingesetzter Einheit     Aus Sicht des Klimaschutzes besteht die                                   könnten der durch aktuelle, regionale
Energie hatte Erdgas in 2021 einen An-      Sorge, dass die aktuelle Energieknapp-                                    Preisspreads (z.B. US HH vs. europäischer
teil von fast einem Viertel an den ener-    heit zwar kurzfristig die Nutzung von                                     TTF) beschleunigte Ausbau von Exportin-
giebedingten CO2-Emissionen, der Anteil     Erdgas reduziert, gleichzeitig aber zu-                                   frastruktur (z.B. US-Verflüssigungskapa-
von Mineralölen lag sogar etwa bei ei-      sätzliche CO2-Emissionen durch den er-                                    zitäten oder russische Gaspipelines nach
nem Drittel (Abbildung 6). Für die Klima-   satzweisen, stärkeren und längeren Ein-                                   China) und die priorisierte Erschließung
neutralität müssen also nicht nur Kohle,    satz von Öl- oder Kohle erzeugt.                                          neuer Gasfelder in einigen Jahren zu ei-
sondern auch Erdöl und Erdgas bis 2045                                                                                nem überversorgten globalen Gasmarkt
durch erneuerbare Alternativen ersetzt      Mittelfristig – also in der zweiten Hälfte                                mit vergleichsweise niedrigen Gasprei-
werden.                                     des Jahrzehnts – könnte sogar das Risiko                                  sen führen.

                                             1 Weitere Annahmen: der Preis für die restlichen 50% ergibt sich aus der Relation von BAFA-Grenzübergangspreis zu Marktpreisen am TTF im
6                                           ersten Halbjahr 2022 (Schätzung für durchschnittliche Preise in LTCs); der Gasverbrauch in 2022/23 entspricht dem aus 2021.
Abbildung 6: CO2-Emissionen nach Energieträgern in Deutschland.                       tatsächlichen Gasflüsse im ersten Halb-
    Quelle: Umweltbundesamt (2022a)                                                       jahr 2022 erscheint es realistisch, dass
                                                                                          Ersatzmengen von 200 TWh/a in 2022
                                                                                          erreicht oder sogar etwas übertroffen
                                                                                          werden (IEA, 2022a). Damit würden 45%
                                                                                          der russischen Mengen ersetzt und die
                                                                                          angebotsseitige „Lücke” in 2022 auf 250
                                                                                          TWh/a reduziert.

                                                                                          Demgegenüber bezifferten kurz nach Be-
                                                                                          ginn des Ukraine-Kriegs entstandene
                                                                                          Studien das kurzfristige Gaseinsparpo-
                                                                                          tenzial in Deutschland auf 17-28% pro
                                                                                          Jahr (AGORA Energiewende, 2022; Bach-
                                                                                          mann et al., 2022b; BDEW, 2022b; Holz
                                                                                          et al., 2022), was basierend auf dem Ver-
                                                                                          brauch von 2021 160-250 TWh/a ent-
Entsprechend adressiert diese Studie die      trag des Bundes gecharterte FSRUs be-       spricht (Abbildung 7). Mit einer Redukti-
Fragen, (1) welche Auswirkungen die ak-       reits Ende 2022 in Betrieb gehen sollen,    on von ca. 40% wird das größte
tuelle Energiekrise auf die Energienut-       eventuell ergänzt um ein drittes privates   Einsparpotenzial (prozentual) dabei der
zung und die Energiewende in Deutsch-         FSRU, gefolgt von zwei weiteren „Bun-       Energiewirtschaft zugeschrieben – maß-
land hat; (2) mit welchen Strategien          des-FSRUs” bis zum Winter 2023/24           geblich durch einen Rückgang der Gas-
insbesondere der kurz- bis mittelfristigen    (BMWK, 2022a).                              verstromung. In Bezug auf die Nachfra-
Gasknappheit begegnet werden kann;                                                        gesektoren wird eine deutlich höhere
und (3) welche mittel- bis langfristigen      Im ersten Halbjahr 2022 waren die Be-       Sensitivität in der Industrie (Potenzial im
Auswirkungen sich daraus für den Klima-       mühungen um Ersatz für russisches Gas       Mittel 20% des Verbrauchs der Vorjahre)
schutz ergeben. Dazu wird die aktuelle        bzw. Mehrmengen zur Befüllung der           als im Gebäudesektor (Einsparungen im
energiewirtschaftliche Situation betrach-     Speicher durchaus erfolgreich: In           Mittel 12%) vermutet, was auch in der im
tet (Abschnitt 1.2), mit detaillierten Mo-    Deutschland wurden im ersten Halbjahr       Industriesektor teilweise möglichen kurz-
dellen werden sektorspezifische Einspar-      2022 gut 35% russisches Gas weniger         fristigen Substitution von Erdgas durch
potenziale, insbesondere für Erdgas,          verbraucht als im ersten Halbjahr des       andere Energieträger begründet ist.
analysiert (Abschnitte 2.1-2.4), und          Vorjahres. Der Einsatz von norwegischem
schließlich werden – mit Hilfe von Ge-        Gas ist um gut 50% gestiegen, der von       Tatsächlich wurden in Deutschland im
samtsystemmodellen – Klimaschutzpfa-          niederländischem dagegen um etwa 5%         ersten Halbjahr 2022 gegenüber demsel-
de mit identischen Emissionszielen unter      gesunken (eigene Berechnungen inklusi-      ben Zeitraum in 2021 knapp 15%, also
der Randbedingung einer starken Be-           ve Speicherveränderungen auf Basis          rund 80 TWh weniger Erdgas verbraucht.
schränkung der Erdgasverfügbarkeit un-        AGSI, 2022; BDEW, 2022a; BNetzA,            Temperaturbereinigt wurde allerdings
tersucht (Abschnitte 3.1 und 3.2).            2022a). Gleichzeitig wurden die Lieferun-   nur ein Rückgang von rund 8% erreicht
                                              gen von Erdgas nach Deutschland aus         (BDEW, 2022c). Trotz der extremen Preis-
1.2 Ausgangslage zur Gasversorgung in         Belgien (Grenzpunkt Eynatten) deutlich      steigerungen auf dem Spotmarkt, die
   Deutschland                                gesteigert. Auf dieser Route, die LNG aus   zum Teil auch noch nicht bei den End-
                                              den Terminals Dunkerque und Zeebrug-        kunden angekommen sind – blieben die
Bei mittleren Netto-Importen nach             ge nach Deutschland transportiert, sind     Gaseinsparungen damit deutlich unter
Deutschland von 820 TWh/a Erdgas in           im ersten Halbjahr 2022 etwa 100 TWh        den Erwartungen.
2017-2021 (AGEB, 2022b) würde ein voll-       mehr Gas geflossen als noch im ersten
ständiger Wegfall russischer Lieferungen      Halbjahr 2021 (IEA, 2022a), wobei darin     Aus vorliegenden Verbrauchsdaten lässt
ohne weitere Maßnahmen eine „Gas-Lü-          auch Transitmengen enthalten sind, die      sich abschätzen, dass sich der größte
cke” von bis zu 450 TWh/a verursachen.        russisches Gas in Mittel-/Südosteuropa      Teil dieses Rückgangs aus Einsparungen
Um diese Abhängigkeit von russischen          ersetzen.                                   in der Industrie ergibt (Abbildung 8): So
Lieferungen abzumildern, bemühen sich                                                     hat die Industrie ihren Gasverbrauch in-
Deutschland und die Europäische Union         Verschiedene Studien schätzten – größ-      nerhalb der ersten neun Monate des Jah-
um Ersatzlieferungen anderer Produzen-        tenteils bereits im Frühsommer des Jah-     res 2022 gegenüber demselben Zeit-
ten – sowohl via Pipeline (z.B. aus Algeri-   res 2022 – das Potenzial für kurzfristige   raum der letzten 5 Jahre um rund 17%
en, Aserbaidschan oder Norwegen) als          Ersatzlieferungen nach Deutschland auf      reduziert (eigene Berechnungen auf Ba-
auch in Form von Flüssiggas (LNG, z.B.        etwa 80-200 TWh/a (AGORA Energie-           sis Fraunhofer ISE, 2022; THE, 2022;
aus Katar oder den USA). Für den Import       wende, 2022; European Commission,           BNetzA, 2022a), mit anwachsenden Ein-
von LNG setzt Deutschland auf eigene          2022; Holz et al., 2022; IEA, 2022b; Lau    sparungen im Zeitverlauf (-25% im drit-
LNG-Terminals, von denen zwei im Auf-         et al., 2022; OIES, 2022). Auf Basis der    ten Quartal 2022). Bei Kleinverbrauchen-

7
Abbildung 7: Kurzfristiges Einsparpotenzial (~2022/23) laut verschiedener Studi-                                                                             eine Erhöhung der Gasverstromung um
    en zur Energiekrise, prozentual bzw. in absoluten Zahlen vom Erdgasverbrauch                                                                                 4% für das erste Halbjahr 2022 (eigenen
    des jeweiligen Sektors vor der Energiekrise. Quelle: AGORA Energiewende, 2022;                                                                               Berechnungen auf Basis Fraunhofer ISE,
    Bachmann et al., 2022b; BDEW, 2022b; Holz et al., 2022
                                                                                                                                                                 20222).

                                                                                                                                                                 Während der Trend in der Industrie of-
                                                                                                                                                                 fenbar robust ist, können Einsparungen
                                                                                                                                                                 bei der Gebäudewärme erst mit belast-
                                                                                                                                                                 baren Daten aus der beginnenden Heiz-
                                                                                                                                                                 saison tatsächlich empirisch belegt wer-
                                                                                                                                                                 den. Ab wann und in welchem Maße die
                                                                                                                                                                 Rückführung von Kohlekraftwerken aus
                                                                                                                                                                 der Reserve in den Markt zu signifikan-
                                                                                                                                                                 ten Rückgängen bei der Gasverstromung
                                                                                                                                                                 führt, muss sich ebenfalls noch zeigen.

                                                                                                                                                                Zusammenfassend zeigen die aktuellen
                                                                                                                                                                Daten, dass die Bemühungen zur Be-
                                                                                                                                                                schaffung von Ersatzlieferungen für aus-
den – im wesentlichen Gebäudewärme –                                           kalten September 2022 liegen allerdings                                          bleibendes russisches Gas und zum Auf-
sind die Abweichungen im ersten Halb-                                          bisher nur vorläufige Daten vor, die kein                                        füllen der Gasspeicher bisher erfolgreich
jahr vom Verbrauchsniveau des Vorjah-                                          klares Bild zeichnen: während laut Bun-                                          sind und die durch globale Verfügbarkeit
res zwar mit -16% ebenfalls deutlich, al-                                      desnetzagentur (BNetzA, 2022a, Stand                                             und Infrastruktur begrenzten Potenziale
lerdings ist zu berücksichtigen, dass die                                      19.10.2022) ein Rückgang um 19% ge-                                              weitgehend ausschöpfen – wenn auch zu
Witterung in 2022 deutlich milder war.                                         genüber dem 5-Jahres-Mittel zu verzeich-                                         einem sehr hohen Marktpreis. Die reali-
Temperaturbereinigt haben Haushalte                                            nen ist, ergibt sich laut THE, 2022 ein Zu-                                      sierten Nachfrageminderungen hinge-
                                                                                                                                                                 Gasverbrauch     Industrie               Gasverbrauc
und GHD basierend auf eigenen Berech-                                          wachs um 16%. Die Stromerzeugung aus                                             gen  bleiben deutlich  unter dem Niveau,
                                                                                                                                                                                                            und Kleinve
nungen auf Basis von Zahlen der Bun-                                           Erdgas ist im ersten Halbjahr 2022 um                                         100das erforderlich ist, um von 0%russischen
                                                                                                                                                                                                       100
desnetzagentur (BNetzA, 2022a) im ers-                                         17,9% gegenüber dem Vorjahr zurückge-                                            Erdgaslieferungen unabhängig zu wer-
                                                                                                                                                              80                              -20%      80
ten Halbjahr nur knapp 3% weniger                                              gangen (Destatis, 2022b), gegenüber                                              den. Damit waren die nordwesteuropäi-
                                                                                                                                                 TWh/Monat

                                                                                                                                                                                                                TWh/Monat
Erdgas nachgefragt. Für die Sommermo-                                          dem Mittel der letzten 5 Jahre – in denen                                      60schen Gasmärkte hochgradig       vulnerabel
                                                                                                                                                                                              -40%      60
nate Juli/August ist nun ein Rückgang                                          allerdings auch umfangreiche Kohleka-                                            gegenüber Angebotsschwankungen.
                                                                                                                                                                40                                     -60%                 40
um 23% gegenüber dem 5-Jahres-Mittel                                           pazitäten stillgelegt wurden bzw. in die
zu verzeichnen, für den vergleichsweise                                        Reserve gewechselt sind – ergibt sich                                            20Seit   Anfang September sind-80%
                                                                                                                                                                                               die Preise20

                                                                                                                                                                0                                      -100%                0
                                                                                                                                                                     Jan Mrz Mai Jul Sep Nov                                     Jan Mrz Mai
    Abbildung 8: Gasverbrauch der Industrie, der Haushalte und Kleinverbraucher und der Kraftwerke im Jahr 2022 im Vergleich                                                   2
                                                                                              2017-21           2022 vs.5-J.-Mittel                                                                                              2017-21
    zum 5-Jahres-Mittel. Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis: (THE, 2022, Stand 10.10.2022; BNetzA, 2022a, Stand 19.10.2022;
                                                                                              5-J.-Mittel       2021                                                                                                             5-J.-Mittel
    Fraunhofer ISE, 2022).
                                                                                                                                                                     2022                                                        2022

                           Gasverbrauch Industrie                                 Gasverbrauch Haushalte                                                          Gasverbrauch Kraftwerke
                                                                                   und Kleinverbraucher
                   100                                   0%                    100                                              20%                             50                                   40%

                      80                                 -20%                  80                                               0%                              40                                   20%
                                                                                                                                                    TWh/Monat
       TWh/Monat

                                                                   TWh/Monat

                      60                                 -40%                  60                                               -20%                            30                                   0%

                      40                                 -60%                   40                                              -40%                            20                                   -20%

                      20                                 -80%                   20                                              -60%                            10                                   -40%

                      0                                  -100%                   0                                              -80%                             0                                   -60%
                           Jan Mrz Mai Jul Sep Nov                                   Jan Mrz Mai Jul Sep Nov                                                         Jan Mrz Mai Jul Sep Nov

                           2017-21           2022 vs.5-J.-Mittel                     2017-21                      2022 vs.5-J.-Mittel                                2017-21              2022 vs.5-J.-Mittel

                           5-J.-Mittel       2021                                    5-J.-Mittel                  2021                                               2018-21              2021

                           2022                                                      2022                                                                            2022

                       Gasverbrauch Kraftwerke
                      50                               40%

                                                                               2 Der Gasverbrauch der Kraftwerke wird auf Daten zur Stromerzeugung aus Erdgas laut Energy-Charts (Fraunhofer ISE, 2022) mit einem mittle-
                      40                               20%
                                                                               ren Wirkungsgrad von 0,5 abgeschätzt. Der Gasverbrauch der Industrie basiert auf dem Gasverbrauch für RLM-Kunden (für die Jahre 2017-20
          TWh/Monat

                                                                               laut (THE, 2022, Stand 10.10.2022), für die Jahre 2021/22 laut (BNetzA, 2022a, Stand 19.10.2022), reduziert um den Gasverbrauch der Kraftwer-
                      30                               0%
                                                                               ke. Der Gasverbrauch der Haushalte und Kleinverbraucher entspricht für die Jahre 2017-20 dem Verbrauch der SLP-Kunden laut (THE 2022,
8                                                                              Stand 10.10.2022) und für 2021/22 dem Verbrauch der Haushalte laut (BNetzA, 2022a).
                      20                               -20%
an den europäischen Märkten zunächst           Dieses Szenario ist durch folgende Cha-           grund der hohen Energiepreise
nicht weiter gestiegen, verbleiben jedoch      ristika und Annahmen bestimmt:                    werden energieintensive Industrie-
auf einem Vielfachen des Preisniveaus                                                            prozesse teilweise in das weniger
vor der Krise. Das hohe Risiko einer phy-      ▶ Die weitgehende Einstellung russi-              stark von der Energieknappheit
sischen Gasknappheit in Deutschland              scher Energielieferungen an die EU              betroffene Ausland verlagert.
und weiten Teilen Europas im kommen-             führt zu substanziellen Knappheiten,        ▷   Im Gebäudesektor wird insbeson-
den Winter und ggf. darüber hinaus be-           die sich insbesondere kurzfristig beim          dere eine Beschleunigung der in-
steht jedoch weiterhin.                          Erdgas, aber auch bei Rohöl und                 vestiven Maßnahmen – wie der
                                                 Steinkohle in sehr hohen Importprei-            energetischen Sanierung und dem
Angesichts der begrenzten Möglichkei-            sen niederschlagen (s. Abbildung 9).            Wechsel von Heiztechnologien –
ten, das Gasangebot über die bisherigen          Mittelfristig führen eine Diversifizie-         angenommen. Des Weiteren wird
Planungen hinaus auszuweiten, kommt              rung der Bezugsquellen sowie ein                eine große Bereitschaft zu energie-
der Nachfrageseite eine Schlüsselrolle           Rückgang der Nachfrage zu einer gra-            sparendem Heizverhalten auf-
zu. Entsprechend untersuchen wir in mo-          duellen Normalisierung. Aufgrund des            grund der hohen Energiepreise
dellgestützten Szenarien Minderungspo-           Umstiegs auf LNG und teurere Be-                und der Aufmerksamkeit für die
tenziale für den Gasverbrauch in den             zugsquellen bleibt der Erdgaspreis al-          Energiekrise angenommen, die al-
Einzelsektoren, um dann deren Effekte            lerdings auch langfristig deutlich über         lerdings bis 2030 abklingt.
auf die Transformation des gesamten              dem Vorkrisenniveau.                        ▷   Im Verkehrssektor werden die Ef-
Energiesystems in Deutschland einzu-                                                             fekte der ebenso gestiegenen Ben-
ordnen.                                        ▶ Basierend auf einer Schätzung für be-           zin- und Dieselpreise quantifiziert.
                                                 stehende und zusätzliche nicht-russi-           Des Weiteren werden insbesondere
1.3 Szenarien zur Energiesouveränität            sche Gasbezüge (Abschnitt 3.1) wird             Maßnahmen zur Verkehrsverlage-
    und Klimaschutz                              die Verfügbarkeit von Erdgasimpor-              rung beleuchtet, die die – unter
                                                 ten für Deutschland ab dem 2. Halb-             dem Eindruck der Energiekrise –
Im Kontext der aktuellen Krise besteht           jahr 2022 auf 2000 Petajoule (PJ)               gesteigerte Bereitschaft der Bevöl-
aus Sicht der Energiesouveränität die            (entsprechend ~550 TWh) pro Jahr                kerung, fossile Energien einzuspa-
höchste Priorität darin, den Gasver-             beschränkt. Zusammen mit der ein-               ren, aufgreifen und synergetisch
brauch Deutschlands und Europas kurz-            heimischen Förderung ergibt sich da-            mit dem Erreichen der Klimaziele
fristig auf ein Maß zu begrenzen, das aus        mit ein maximales jährliches Primäre-           2030 sind.
verlässlichen Lieferländern gedeckt wer-         nergieangebot von 600 TWh.                  ▷   Bei der Strom- und Fernwärmeer-
den kann. Hauptgegenstand der vorlie-                                                            zeugung wird zusätzlich zu einem
genden modellgestützten Szenarienana-          ▶ In den Einzelsektoren werden Maß-               schnellen Ausbau von Wind- und
lyse ist der Zielpfad Energiesouveränität        nahmen berücksichtigt, die zusätzlich           Solarenergie auch die kurzfristige
(KN2045_EnSov) für Deutschland, der              zu den hohen Preisen zur Minderung              Reaktivierung von Reservekraft-
bei gleichzeitiger Einhaltung der Klima-         des Gasverbrauchs beitragen. Diese              werken betrachtet. Die reduzierte
ziele in 2030 und der Klimaneutralität in        Maßnahmen werden in den Sektor-                 Verfügbarkeit der Kernenergie in
2045 die Abhängigkeit von Energieim-             modellen detailliert untersucht:                Frankreich im Winter 2022/23 wird
porten aus Russland beendet.                     ▷ In der Industrie werden der kurz-             in diesem Zusammenhang ebenso
                                                    fristige Fuel-Switch, wie auch tech-         berücksichtigt.
                                                    nische Effizienz und Materialeffizi-     ▷   Der Hochlauf der einheimischen
                                                    enz weitgehend ausgereizt; auf-              Elektrolyse-Kapazität wird auf
                                                                                                 5-15 GWel beschleunigt. Dennoch
                                                                                                 können Wasserstoff und syntheti-
    Abbildung 9: Angenommene Großhandelspreise für die Energieträger Erdgas,
                                                                                                 sche CO2-freie Brennstoffe bis
    Rohöl und Steinkohle im Szenario Energiesouveränität, Statistik für 2020. Quelle:
    eigene Schätzung, IEA, Powernext, ICE                                                        2030 nur einen sehr kleinen Bei-
                                                                                                 trag zu Klimaschutz und Energie-
                                                                                                 souveränität leisten.

                                                                                           Aufbauend auf dem bereits für die Ariad-
                                                                                           ne-Report „Deutschland auf dem Weg
                                                                                           zur Klimaneutralität” (Luderer et al.,
                                                                                           2021) etablierten Ansatz eines Modell-
                                                                                           vergleichs werden verschiedene Szenari-
                                                                                           enrealisierungen unter Einsatz mehrerer
                                                                                           Modellsysteme entwickelt. Einerseits
                                                                                           kommen Modelle mit hoher sektoraler
                                                                                           Auflösung zum Einsatz, um die unter ma-
                                                                                           ximaler Priorisierung erreichbaren Gas-

9
verbrauchsminderungspotenziale für die
Gebäudewärme (REMod Modell), die In-
dustrie (FORECAST) und die Stromerzeu-
gung (E2M2), bzw. Mineralölverbrauchs-
minderungen im Verkehr (DLR CAST/
DEMO), abzuschätzen. Hierbei ist zu
beachten, dass insbesondere die unter-
stellten Nachfrageänderungen und Pro-
duktionsverlagerungen nicht nur durch
Preisanreize des Marktes, sondern auch
durch zusätzliche Politikinterventionen
und das Verhalten von Verbrauchenden
und Firmen bestimmt sind. Die daraus
resultierenden Effekte sind daher sehr
unsicher.

Ergänzend zu den Sektormodellen be-
rechnen die Gesamtsystemmodelle RE-
MIND, TIMES PanEU und REMod darüber
hinaus Szenarienrealisierungen, in de-
nen die Einsparanforderungen sektor-
übergreifend und im Einklang mit den
Emissionsminderungszielen kostenopti-
mal erreicht werden. Dieser Ansatz er-
möglicht, einerseits sektorspezifisch de-
tailliert und andererseits gesamtwirt-
schaftlich konsistent robuste Eigenschaf-
ten und relevante Unsicherheiten der
Transformationspfade zu untersuchen.

In der Gegenüberstellung des Szenarios
Energiesouveränität (KN2045_EnSov)
mit dem Klima-Referenzszenario Techno-
logiemix (KN2045_Ref) (analog zum
Technologiemix-Szenario in Luderer et
al., 2021) werden in der Analyse die Aus-
wirkungen der Gaskrise auf Energiewen-
depfade und Klimaschutz abgeschätzt.

10
2. SEKTORALE POTENZIALE
                                                 ZUR MINDERUNG DER
                                                 ABHÄNGIGKEIT VON
                                                 FOSSILEN RESSOURCEN

                                              Die Energieverbrauchsstrukturen und         men und Anstrengungen, schätzen wir
                                              damit auch die Potenziale und Heraus-       die Potenziale zur Minderung insbeson-
                                              forderungen für die Reduktion fossiler      dere des Erdgasverbrauchs in den Sekto-
                                              Energienutzung sind vielfältig und hoch-    ren Energiewirtschaft, Gebäudewärme
                                              gradig sektorspezifisch. Wir nutzen daher   und Industrie ab. Zusätzlich untersuchen
                                              Detailmodelle mit hoher Auflösung für       wir, wie durch eine beschleunigte Ver-
                                              die sektoralen Detailanalysen. Unter der    kehrswende auch der Mineralölbedarf
                                              Randbedingung hoher fossiler Ressour-       gedämpft werden kann.
                                              cenpreise (Abbildung 9) und der Annah-
                                              me substanzieller zusätzlicher Maßnah-      In allen Sektoren gibt es substanzielle
                                                                                          Umsetzungshemmnisse und Unsicher-
                                                                                          heiten bezüglich der Einsparpotenziale.
                                                                                          In den Sektoren Verkehr und Gebäude-
     Abbildung 10: Anteil der verschiedenen Energieträger an der Nettostromerzeu-         wärme sind diese insbesondere vom Nut-
     gung in Deutschland 2021. Quelle: Fraunhofer ISE, Energy-Charts
                                                                                          zerverhalten abhängig, in Energiewirt-
                                                                                          schaft und Industrie hingegen von Regu-
                                                                                          lierung und Marktentwicklung. Die hier
                                                                                          abgeleiteten Potenziale sind angesichts
                                                                                          dieser Hemmnisse als obere Abschät-
                                                                                          zung der erreichbaren Einsparungen an-
                                                                                          zusehen. Wie in Abschnitt 3 gezeigt, wer-
                                                                                          den in den Gesamtsystemmodellen auf
                                                                                          Basis der Systemoptimierung in der Re-
                                                                                          gel etwas geringere Einsparungen reali-
                                                                                          siert.

                                                                                          2.1 Energiewirtschaft
                                                                                          2.1.1 Einleitung

                                                                                          Erdgas spielte in den vergangenen Jah-
                                                                                          ren in der Energiewirtschaft eine bedeu-
                                                                                          tende Rolle. Während die Gasverstro-
                                                                                          mung an der gesamten Bruttostrom-

11
erzeugung in den Jahren 2015-2021             gen, einschließlich der Gaskraftwerke,       Durch die sehr hohen Gaspreise wird ein
11-20% ausmachte (Fraunhofer ISE,             im Rahmen der Dekarbonisierung zu-           Teil dieser Flexibilität bereits marktge-
2022), sind Gaskraftwerke vor allem als       nehmend durch erneuerbare Stromer-           trieben genutzt, da Gaskraftwerke (an-
regelbare Ersatztechnologie für aus dem       zeugung ersetzt. Bis 2030 wird dies je-      ders als beispielsweise während der Co-
Strommarkt ausscheidende Kernenergie-         doch nicht vollständig möglich sein.         rona-Pandemie in 2020) klar am Ende
und Kohlekraftwerkskapazitäten und in                                                      der Merit Order stehen, also aufgrund
der Kraft-Wärme-Kopplung relevant. In         2.1.2 Strategien zur Reduzierung des         der hohen variablen Kosten bei der
vielen Transformationsszenarien fungiert            Erdgaseinsatzes                        Stromerzeugung zuletzt zum Zuge kom-
Erdgas in diesem Zusammenhang als                                                          men.
„Brücke” auf dem Weg zu einer erneuer-        Der Einsatz von Erdgas in der Strom-
bar basierten Stromerzeugung. Vor dem         und Wärmeerzeugung (Energiewirtschaft        Zum Oktober 2022 kommen, wie in der
Hintergrund der aktuellen Gaskrise            und Industriekraftwerke) lag im Zeit-        Einleitung beschrieben, zusätzliche Koh-
muss diese Rolle hinterfragt werden.          raum 2016 bis 2020 zwischen 200 und          le- und Ölkraftwerke aus der Reserve in
                                              225 TWh/a (AGEB, 2022b), in 2021 bei         den Markt (BMWK, 2022b), was weitere
Erste Maßnahmen zur Reduktion der             221 TWh/a, was etwa 25% der Gasnach-         Gaseinsparungen ermöglichen sollte.
Gasverstromung wurden bereits getrof-         frage in Deutschland entspricht. Einfluss-   Dies hängt allerdings davon ab, ob die
fen: Auf Basis des Gesetzes zur „Bereit-      faktoren für den Gaseinsatz sind CO2-        entsprechenden Kraftwerke, inklusive
haltung von Ersatzkraftwerken zur Redu-       und Brennstoffpreise, die die Position       Brennstofflogistik und Personal, mit der
zierung des Gasverbrauchs im Strom-           von Gaskraftwerken in der Merit Order        relativ geringen Vorlaufzeit auch kurzfris-
sektor” (BMWK, 2022b) können Öl- und          bestimmen, die Einspeisung von erneu-        tig reaktiviert werden können.
Kohlekraftwerke aus der Netzreserve           erbaren Energien, die Höhe des Strom-
und Sicherheitsbereitschaft ab dem 1.         bedarfs und die Verfügbarkeit anderer        Weniger Flexibilität gibt es für den Ein-
Oktober 2022 eingesetzt sowie im Rah-         Kraftwerke. Diese Einflüsse müssen euro-     satz von Erdgas in der KWK-(Kraft-Wär-
men des Kohleausstiegs zur Stilllegung        paweit berücksichtigt werden, da die         me-Koppelung)-Fernwärmeerzeugung,
vorgesehene Anlagen länger betrieben          Strommärkte in Europa umfassend ver-         der in 2016-2020 etwa 50-60 TWh/a
werden. Inwiefern tatsächlich eine Re-        bunden sind und sich der Stromhandels-       ausmachte. Diese Menge entspricht rund
duktion des Gasbedarfs in der Strom-          saldo Deutschlands je nach Marktsituati-     einem Viertel der gesamten Gasnachfra-
und Fernwärmeerzeugung durch diese            on teilweise deutlich verändert. Insbe-      ge der Strom- und Wärmeerzeugung
Maßnahmen erreicht wird, hängt von der        sondere hat das Herunterfahren einer         (AGEB, 2020a). Kurzfristig kann nur ein
Möglichkeit ab, die betreffenden Anlagen      Vielzahl von Kernreaktoren in Frankreich     Teil der Fernwärmeerzeugung durch
dauerhaft in einen marktbezogenen Be-         aufgrund von Wartung und Reparatur           Fuel-Switch ersetzt werden, wenn im
trieb zurückversetzen können. Hier gibt       und eine vergleichsweise geringe Strom-      gleichen Fernwärmenetz unterschiedli-
es anlagenspezifisch seitens der Betrei-      erzeugung aus Wasserkraftwerken in Eu-       che Brennstoffe eingesetzt werden kön-
ber unterschiedliche Signale (EnBW,           ropa aufgrund der Dürre im Sommer            nen bzw. bivalente Erzeugungsanlagen
2022; Handelsblatt.com, 2022; Uniper,         2022 zu vergleichsweise hohen Stromex-       (Gas/Öl) vorhanden sind. Daher wird in
2022).                                        porten Deutschlands in die Nachbarlän-       den kommenden Jahren zur Sicherstel-
                                              der geführt.                                 lung der Fernwärmeversorgung dauer-
Auch der Weiterbetrieb der drei verblie-                                                   haft ein gewisser Gasbedarf benötigt.
benen deutschen Kernkraftwerke, die           Insgesamt bietet die Stromerzeugung
Ende des Jahres außer Betrieb gehen           ein substanzielles Flexibilitätspotenzial    Es bestehen also grundsätzlich folgende
sollten, könnte grundsätzlich entlastend      zur Reduzierung des Gasverbrauchs.           Optionen, den Gaseinsatz im Energiesek-
wirken. In welchem Umfang sich dies in
einer tatsächlichen Reduktion des Erd-
gasbedarfs in diesem Sektor auswirkt,
                                               Abbildung 11: Erdgasverbrauch in der Strom- und KWK-Wärmeerzeugung im Sze-
hängt jedoch auch noch von anderen             nario KN2045_EnSov. Quelle: IER Uni Stuttgart, E2M2
Faktoren ab, wie beispielsweise der Last-
entwicklung oder der Verfügbarkeit der
französischen Kernkraftwerke (EDF,
2022). Insbesondere deren Nichtverfüg-
barkeit könnte die möglichen Gaseinspa-
rungen durch oben genannte Maßnah-
men deutlich reduzieren.

Der Bedarf an konventioneller Stromer-
zeugung wird entscheidend durch das
Ausbautempo bei Wind- und Solarener-
gie bestimmt. Mittelfristig wird die Erzeu-
gung aus fossilen und nuklearen Anla-

12
Abbildung 12: Bandbreite für variable Kosten der Stromerzeugung aus Gas-, Stein-      werke zur Verfügung stehen. Auf Basis
     und Braunkohle im Szenario KN2045_EnSov. Quelle: IER, E2M2 auf Basis von              der Energiepreispfade im Szenario Ener-
     Marktdaten für 2020 und Szenario-Preispfaden für Energie, CO2 in 2023/25.             giesouveränität sind diese bis ins Jahr
                                                                                           2025 zu deutlich geringeren variablen
                                                                                           Kosten zur Stromerzeugung einsetzbar
                                                                                           als Gaskraftwerke (siehe Abbildung 12)
                                                                                           und tragen damit erheblich zur Reduzie-
                                                                                           rung der Stromerzeugung aus Gas bei.

                                                                                           In den hier gezeigten Zahlen für 2023
                                                                                           sind die Auswirkungen der geplanten
                                                                                           Laufzeitverlängerungen bei Kernkraft-
                                                                                           werken noch nicht berücksichtigt. Eine
                                                                                           Sensitivität mit einem Weiterbetrieb der
                                                                                           zwei Kernkraftwerke Neckarwestheim 2
                                                                                           und Isar 2 bis Mitte April 2023 zeigt je-
                                                                                           doch, dass die Auswirkungen auf den
                                                                                           Gasverbrauch eher gering ausfallen. Die
                                                                                           zusätzliche Stromerzeugung aus Kerne-
tor zu reduzieren, wobei die sich die Um-      um bis zu knapp 80% gesenkt werden.         nergie von ca. 6 TWh ersetzt ca. 1 TWh
setzungszeiten von oben nach unten er-         Hierbei ist unterstellt, dass in 2023 die   Stromerzeugung aus Steinkohle und 1
höhen:                                         verfügbare Leistung der Kernkraftwerke      TWh Stromerzeugung aus Gas. Die restli-
▶ Verstärkte, verlängerte Nutzung der          in Frankreich im ersten Halbjahr noch       chen 4 TWh ersetzen keine inländische
   Kohlekraftwerke, auch durch Reakti-         reduziert ist, schrittweise bis Juni 2023   Stromerzeugung, sondern sorgen für ei-
   vierung der Reservekraftwerke in den        steigt, und danach wieder auf dem lang-     nen höheren Export ins Ausland. Die
   Markt,                                      jährigen Niveau liegt. Des Weiteren wird    Gaseinsparungen in Deutschland durch
▶ Laufzeitverlängerung der letzten drei        angenommen, dass alle Reservekraft-         diese Maßnahme belaufen sich auf 2,1
   verbliebenen Kernkraftwerke,                werke in Deutschland für den Markt re-      TWh Erdgas und die Emissionen der
▶ Reduzierung der Strom- und Fernwär-          aktiviert werden können.                    deutschen Stromerzeugung sinken um
   menachfrage,                                                                            1,3 Mt CO2. Im europäischen Stromsys-
▶ Schnellerer Ausbau der Erneuerbaren.         Gegenüber dem Vorkrisenjahr 2019 gilt       tem können allerdings insgesamt 6,8
                                               es zunächst bis 2023 einen weggefalle-      TWh Erdgas eingespart werden und die
Über die bestehenden Marktanreize hin-         nen Grundlastsockel an Stromerzeugung       Emissionen sinken um 3,3 Mt CO2.
aus wird das Potenzial dieser Optionen         aus Kernkraftwerken zu ersetzen. Dazu
durch Politikinterventionen bestimmt,          muss neben der gestiegenen Erzeugung        Für das Jahr 2025 wird angenommen,
insbesondere im Bereich der Laufzeitver-       aus erneuerbaren Energien auch der ver-     dass die temporäre Reaktivierung von
längerung und Reaktivierung konventio-         stärkte Einsatz von fossilen Kraftwerken    Reservekraftwerken ausgelaufen ist. Aus
neller Kraftwerke und dem Ausbau er-           beitragen. Die Spannbreite der Grenz-       diesem Grund, und vor allem wegen des
neuerbarer Energien.                           kosten in Abbildung 12 macht deutlich,      weiteren Ausbaus der erneuerbaren
                                               dass es unter Vorkrisenbedingungen          Energien, geht die Kohleverstromung be-
2.1.3 Wirkung auf Endenergie und Gasbedarf     eine Überlappung der Grenzkostenberei-      reits bis 2025 dann wieder deutlich zu-
                                               che von Erdgas und Steinkohle gab. Mit      rück. Dass dennoch Einsparungen beim
Für das beschriebene Szenario Energie-         den höheren Gaspreisen in 2023 und          Gaseinsatz bis 2025 möglich sind, liegt
souveränität ergibt sich das folgende          2025 verschwindet diese Überlappung.        neben dem Ausbau der erneuerbaren
Gaseinsparpotenzial auf Basis von Mo-          Kohle wird dadurch immer vor Erdgas         Energien, an einem negativen Importsal-
dellierungen mit dem Strommarktmo-             eingesetzt, ist höher ausgelastet und er-   do nach Deutschland und einer bis Mitte
dell E2M2. Eine detaillierte Beschreibung      setzt einen Teil der Stromerzeugung aus     des Jahrzehnts leicht rückläufigen
des Modells findet sich in Sun (2013).         Erdgas.                                     Stromnachfrage.

Abbildung 11 zeigt die Entwicklung des         Entsprechend eigener Berechnungen           Bis zum Jahr 2030 ist schließlich wieder
Erdgasverbrauchs für die Strom- und            nach dem Gesetz zur „Bereithaltung von      ein leichter Anstieg des Gaseinsatzes zu
KWK-Wärmeerzeugung im Szenario Ener-           Ersatzkraftwerken zur Reduzierung des       verzeichnen, was sich vor allem aus nied-
giesouveränität. Aufgrund von hohen            Gasverbrauchs im Stromsektor” (unter        rigeren Gaspreisen, einem steigenden
Brennstoffpreisen und einem starken Er-        Berücksichtigung der Kraftwerksliste        Strombedarf, dem weiteren Ausstieg aus
neuerbaren-Ausbau gemäß der Ziele der          und Zu- und Rückbauplanung der              der Braunkohle und wieder steigenden
Ampelkoalition kann der Einsatz von Gas        BNetzA (BNetzA, 2022b, 2022c)), wird        Stromexporten ergibt.
in der Strom- und Fernwärmeerzeugung           angenommen, dass in 2023 etwas über
bis 2023 um bis zu 50% und bis 2025            10 GW zusätzliche Öl- und Kohlekraft-

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Abbildung 13: Veränderung der Stromerzeugung aus verschiedenen Energieträ-            bereitgestellt und spielt eine untergeord-
     gern und daraus resultierendes Minderungspotenzial der Erdgasverstromung im           nete Rolle (BMWK, 2022c). Für Raumwär-
     Szenario KN2045_EnSov gegenüber Vorkrise (Mittelwert aus 2017-2021); Band-            me und Warmwasser ist Erdgas heute
     breite (graue Box) des Minderungspotenzials aller Gesamtsystemmodelle. Quelle:
     IER Uni Stuttgart, E2M2; Vorkrise (AGEB, 2022b); Bandbreite: REMIND, TIMES Pa-        der wichtigste Energieträger: 2019 wur-
     nEU, REMod                                                                            den mit 49,3% knapp die Hälfte aller
                                                                                           Wohngebäude in Deutschland mit Erd-
                                                                                           gas beheizt. Öl und Fernwärme liegen
                                                                                           mit 30,4% bzw. 6,6% aller Wohngebäude
                                                                                           deutlich hinter Erdgas auf Platz zwei und
                                                                                           drei (BDEW, 2019). Insgesamt machte
                                                                                           Erdgas 2019 35% des Endenergiebedarfs
                                                                                           im Gebäudesektor aus (AGEB, 2021).
                                                                                           Die derzeitige Energiekrise führt mit den
                                                                                           gestiegenen Energieträgerpreisen (siehe
                                                                                           Kapitel 1.3, Eckpunkte Szenario Energie-
                                                                                           souveränität) zu steigenden Heizkosten.
                                                                                           Die Höhe und Geschwindigkeit der Stei-
                                                                                           gerung hängt von insbesondere von den
                                                                                           folgenden Kriterien ab: dem Wärmever-
                                                                                           brauchsniveau, der Vertragssituation,
                                                                                           der Heizungstechnologie (hierbei trifft es
                                                                                           vor allem Endkunden mit Heizungslö-
Eine Reduzierung des Gasverbrauchs im          ▶ Erzeugung aus Wind und PV, abhän-         sungen, die stark vom Erdgas abhängen)
Stromsektor ist immer mit der Verände-            gig von der Geschwindigkeit des Aus-     und möglichen politischen Eingriffen in
rung der Erzeugung mehrerer Energie-              baus der Erneuerbaren,                   die Energiemärkte (Kalkuhl et al., 2022a,
träger bzw. der Stromnachfrage und des         ▶ Entwicklung der Stromnachfrage und        2022b).
Stromaustauschs verbunden. Abbildung              des Stromhandels mit europäischen
13 schlüsselt diese Veränderungen auf,            Nachbarländern.                          Energieeinsparungen im Gebäudesektor
wodurch die Beiträge der einzelnen Ener-                                                   (d.h. vor allem in der Raumwärme und
gieträger zur Gasreduzierung in 2023,          Schließlich sind auch die Wechselwirkun-    Warmwasser) sind deswegen nicht nur
2025 und 2030 sichtbar werden. Ein po-         gen mit anderen Sektoren relevant. Bei-     politisch gewollt, um unabhängiger von
sitiver Wert stellt dabei eine höhere Er-      spielsweise hängt die Stromnachfrage        fossilen Importen zu werden, sondern
zeugung gegenüber dem Ausgangsjahr             davon ab, wie sehr andere Sektoren          werden über die Kosten zur Notwendig-
dar, negative Werte eine geringere Er-         durch beschleunigte Elektrifizierung Erd-   keit für viele Bürgerinnen und Bürger.
zeugung. Dadurch ergibt sich in der Bi-        gas und Emissionen einsparen. Des Wei-      Gleichzeitig sollen die THG-Emissionen
lanz ein positives Einsparpotenzial für        teren entstehen durch die verstärkte,       im Gebäudesektor schnell reduziert wer-
Gas, da eine höhere Erzeugung zur Ein-         verlängerte Kohleverstromung deutliche      den: 2021 betrugen die Emissionen im
sparung von Gas beitragen, während             Mehremissionen. Um den Klimaeffekt          Gebäudesektor 115 Mt CO2. Bis 2030
eine geringere Erzeugung anderer Ener-         dieser Maßnahmen aufzufangen, ist es        müssen sie gemäß KSG auf 67 Mt CO2
gieträger aber einen zusätzlichen Gasbe-       essentiell, dass die Begrenzung der ver-    sinken, das bedeutet eine Reduktion um
darf bedeuten kann.                            fügbaren Zertifikate im EU-ETS bis 2030     42% im Vergleich zum Jahr 2021 (Um-
                                               nicht aufgeweicht wird. So können diese     weltbundesamt, 2022b).
Die Bandbreite der Gasverstromung              Mehremissionen im Zeitverlauf und/oder
über alle in dieser Studie genutzten Ge-       durch andere Sektoren wieder kompen-        Im Folgenden werden zunächst qualita-
samtsystemmodelle hinweg ist aller-            siert werden.                               tiv mögliche Strategien zur Einsparung
dings groß und reicht vom beschriebe-                                                      von Erdgas beschrieben. Anschließend
nen deutlichen Rückgang in 2023-2030           2.2 Gebäude                                 wird die Reduktion von Erdgas entlang
gegenüber 2017-2021 bis hin zu einem           2.2.1 Einleitung                            dieser Punkte aufgeschlüsselt und quan-
konstanten bzw. leicht steigenden Ein-                                                     titativ eingeordnet. Dazu dienen Model-
satz von Erdgas im Energiesektor bis           Mit Blick auf den Erdgaseinsatz sind die    lergebnisse des Energiesystemmodells
2030. Diese Bandbreite spiegelt die we-        zwei wichtigsten Anwendungsgebiete im       REMod für das Szenario Energiesouverä-
sentlichen Unsicherheiten und Heraus-          Gebäudesektor die Bereitstellung von        nität (KN2045_EnSov). Zuletzt werden
forderungen wieder, die mit den Gasein-        Raumwärme und Warmwasser mit                die Ergebnisse mit dem Referenzszena-
sparungen einhergehen:                         59,5% bzw. 12,2% des Endenergiebe-          rio Technologiemix (KN2045_Ref) vergli-
▶ Verfügbarkeit anderer Kraftwerke             darfs 2019. Ein Großteil der übrigen An-    chen.
    (insbesondere der wieder aktivierten       wendungsgebiete im Gebäudesektor, wie
    Reserve und der Kernenergie in             Beleuchtung, IKT oder mechanische
    Frankreich),                               Energie, wird schon heute über Strom

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