"Deutschland ohne erneuerbare Energien?" - Ein Update für die Jahre 2014 bis 2018

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"Deutschland ohne erneuerbare Energien?" - Ein Update für die Jahre 2014 bis 2018
FRIEDRICH-ALEXANDER
                                   UNIVERSITÄT
                                   ERLANGEN-NÜRNBERG
                                   TECHNISCHE FAKULTÄT

                                Diskussionspapier

      „Deutschland ohne
erneuerbare Energien?“ –
 Ein Update für die Jahre
           2014 bis 2018
           Stromkosten und Versorgungssicherheit
        ohne die Einspeisung Erneuerbarer Energien

               Lehrstuhl für Energieverfahrenstechnik
  Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
"Deutschland ohne erneuerbare Energien?" - Ein Update für die Jahre 2014 bis 2018
Diskussionspapier

                      „Deutschland ohne
            erneuerbare Energien?“ –
Ein Update für die Jahre 2014 bis 2018
                 Stromkosten und Versorgungssicherheit
             ohne die Einspeisung erneuerbarer Energien

                                                    Sebastian Kolb
                                                      Marius Dillig
                                            Thomas Plankenbühler
                                                        Jürgen Karl

                             Lehrstuhl für Energieverfahrenstechnik
                 Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
"Deutschland ohne erneuerbare Energien?" - Ein Update für die Jahre 2014 bis 2018
„Deutschland ohne erneuerbare Energien?“

Energiewirtschaftliche Schriften
des Lehrstuhls für Energieverfahrenstechnik der
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU)

Heft 4 - Oktober 2019

                                                Nürnberg, Oktober 2019

                                                 © Copyright Lehrstuhl für Energieverfahrenstechnik
                                                Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
                                                Fürther Straße 244f
                                                D-90429 Nürnberg
                                                www.evt.tf.fau.de

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"Deutschland ohne erneuerbare Energien?" - Ein Update für die Jahre 2014 bis 2018
Ein Update für die Jahre 2014 bis 2018

                                                                                     Vorwort
Als im Jahr 2000 das „Erneuerbare-Energien-        Die Studie rekonstruierte mithilfe historischer
Gesetz“ (EEG) in Kraft trat, ahnte niemand den     Börsendaten die Strompreise, die sich in die-
Erfolg dieses Gesetzes. Der Ausbau erneuer-        sen Jahren ohne die Einspeisung von Wind
barer Energien erreichte in nur wenigen Jah-       und Photovoltaik ergeben hätten. Aufgrund
ren ungeahnte Dimensionen. In nur zehn Jah-        des geringeren Stromangebots errechneten
ren, in den Jahren 2001 bis 2011, steigerte sich   sich Großhandelspreise, die im betrachteten
der Anteil des Stroms aus erneuerbaren Quel-       Zeitraum zu signifikant höheren Letztverbrau-
len am Bruttostromverbrauch von 6,6% auf           cherpreisen geführt hätten.
20,4% und machte den bundesdeutschen
                                                   Die Ergebnisse wurden im Jahr 2015 kontro-
Kernenergie-Ausstieg nach der Reaktorkata-
                                                   vers diskutiert. Heute ist der zugrundeliegende
strophe in Fukushima am 11.3.2011 erst mög-
                                                   Merit-Order-Effekt in Fachkreisen akzeptiert
lich.
                                                   und führte in den Folgejahren zu historisch
Gleichzeitig setzte eine kontrovers geführte       niedrigen Großhandelspreisen.
öffentliche Diskussion um die Kosten erneuer-
                                                   Ziel des nun vorliegenden Updates der Studie
barer Energien ein und mündete in den EEG-
                                                   ist es, diesen Merit-Order-Effekt – also die
Novellen der Jahre 2012 bis 2014, die den Zu-
                                                   Minderung des Anteils der Stromerzeugung
bau von Wind, Photovoltaik (PV) und Bio-
                                                   an den Strombezugskosten für Letztverbrau-
masse von insgesamt 10,8 GW im Jahr 2012 auf
                                                   cher – auch für die Jahre 2014 bis 2018 zu
nur mehr 5,4 GW im Jahr 2018 halbierte.
                                                   quantifizieren.
Dass die Steigerungen der Stromkosten der
                                                   Vor allem soll die Studie aber die dringende
bundesdeutschen Endverbraucher nur teil-
                                                   Notwendigkeit vor Augen führen, den Ausbau
weise dem Ausbau erneuerbarer Energien ge-
                                                   erneuerbarer Energien wieder verstärkt voran-
schuldet waren und im Gegenteil das Überan-
                                                   zutreiben.
gebot erneuerbarer Energien zu massiv fallen-
den Großhandelspreisen an den europäischen         In den nächsten Jahren werden nicht nur in
Handelsplätzen führte, war daher Gegenstand        Deutschland, sondern in ganz Europa alters-
des im Jahr 2014 von der Siemens AG beauf-         bedingt enorme nukleare und konventionelle
tragten Diskussionspapiers „Deutschland ohne       Stromerzeugungskapazitäten vom Netz ge-
erneuerbare Energien – Stromkosten und Ver-        hen. Diese müssen mit erneuerbaren Energien
sorgungssicherheit ohne die Einspeisung er-        kompensiert werden.
neuerbarer Energien in den Jahren 2011-2013“.

                                                                                                              3
"Deutschland ohne erneuerbare Energien?" - Ein Update für die Jahre 2014 bis 2018
„Deutschland ohne erneuerbare Energien?“

Wir danken den Elektrizitätswerken Schönau        stand für eine nun weltweit stattfindende Ener-
für die Beauftragung und allen beteiligten Kol-   giewende. Die dafür sorgte, dass Wind und
leginnen und Kollegen für die intensiv geführte   Photovoltaik auch in den USA, Kanada, Japan
Diskussion unserer Ergebnisse.                    und China zu den nun günstigsten Stromer-
                                                  zeugungstechnologien überhaupt wurden.
Vor allem hoffen wir, mit dieser Studie einen
Beitrag zu leisten, das in der öffentlichen       Der Vorreiterrolle der deutschen Energie-
Wahrnehmung so beschädigte Image der              wende ist es zu verdanken, dass im Jahr 2018
deutschen Energiewende zu korrigieren. Das        über 40 % der deutschen Nettostromerzeu-
Image einer Energiewende, die nicht Arbeits-      gung von erneuerbaren Energien geliefert
plätze gekostet hat, sondern im Gegenteil         wurde – für einen nachhaltigeren Umgang mit
hunderttausende Arbeitsplätze geschaffen          den Ressourcen, dem Klima und der Zukunft
hat. Einer Energiewende, die den Anstieg der      unserer Kinder.
Stromkosten nicht getrieben, sondern ge-
bremst hat und einer Energiewende, die Pate

Nürnberg, im Oktober 2019

Prof. Dr.-Ing. Jürgen Karl                              Dr.-Ing. Marius Dillig

Sebastian Kolb, M.Sc.                                   Dr.-Ing. Thomas Plankenbühler

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"Deutschland ohne erneuerbare Energien?" - Ein Update für die Jahre 2014 bis 2018
Ein Update für die Jahre 2014 bis 2018

                                                                           Kurzfassung

Die FAU-Strompreisstudie des Jahres 2015 re-            1.   Die Rekonstruktion der Strompreise der
konstruierte auf Grundlage historischer Preis-               Jahre 2014 bis 2018 ohne erneuerbare
daten des Day-Ahead-Marktes der deutschen                    Energien bestätigt die Ergebnisse der
Strombörse, welche Preise sich an der Strom-                 FAU-Strompreisstudie 2015. Erneuerbare
börse in den Jahren 2011 bis 2013 ohne die Ein-              Energien sorgten für fallende Großhan-
speisung aus Wind und Photovoltaik einge-                    delspreise und sparten bundesdeut-
stellt hätten. Die Studie hatte gezeigt, dass die            schen Letztverbrauchern insgesamt etwa
Mehrkosten aufgrund höherer Großhandels-                     40 Mrd. Euro ein. Der Strombedarf hätte
preise die Kosten der EEG-Umlage in den Jah-                 auch in den Jahren 2014 bis 2018 ohne
ren 2011 bis 2013 um etwa 28,7 Mrd. Euro                     die Einspeisung erneuerbarer Energien
überschritten hätten1.                                       nicht jederzeit gedeckt werden können.

Das hier vorliegende Update dieser Studie für           2. Die CO2-Reduktionsziele der Bundesre-
die Jahre 2014 bis 2018 bestätigt diesen Trend.            gierung können mit dem Ausbaukorridor
Zwar fielen die rekonstruierten Mehrkosten                 des EEG 2017 §4, den zusätzlichen Aus-
ohne die Einspeisung aus Wind und Photovol-                bauzielen des Energiesammelgesetzes
taik aufgrund der Inbetriebnahme mehrerer                  vom 20.12.2018 und dem „Kohlekompro-
neuer Kohlekraftwerke in den Jahren 2012 bis               miss“ vom 26.01.2019 nicht erreicht wer-
2015 zunächst geringer aus als in den Jahren               den.
davor. Aufgrund mehrerer Kraftwerksstillle-
                                                        3. Notwendig wäre eine Vervierfachung
gungen in den Jahren 2017 und 2018 hätte sich
                                                           des geplanten Ausbaus erneuerbarer
der mittlere Börsenpreis allerdings um etwa
                                                           Energien, um die Klimaschutzziele der
8,4 ct/kWh im Jahr 2017 und um 7,1 ct/kWh im
                                                           Bundesregierung nahezu zu erreichen
Jahr 2018 erhöht.
                                                           und eine Verdreifachung, um die durch-
Damit sparten die deutschen Letztverbraucher               schnittlichen Strompreise an den Strom-
durch den Merit-Order-Effekt in den Jahren                 börsen bis 2023 auf etwa 7 ct/kWh zu
2014 bis 2018 nochmals etwa 40 Mrd. Euro                   begrenzen.
ein.2
                                                    Durch eine Verdreifachung des Ausbaus er-
Eine Projektion der Entwicklung der verfügba-       neuerbarer Energien würden deutsche Letzt-
ren Erzeugungskapazität und der zu erwar-           verbraucher durch reduzierte Großhandels-
tenden Strompreise bis 2030 zeigt deutlich:         preise bis 2023 etwa 91 Mrd. Euro einsparen.

1   Basis: prognostizierte EEG-Umlage               2
                                                      Basis: EEG-Differenzkosten der nachträglichen
                                                    Jahresabrechnung

                                                                                                                 5
"Deutschland ohne erneuerbare Energien?" - Ein Update für die Jahre 2014 bis 2018
„Deutschland ohne erneuerbare Energien?“

Diese Einsparungen reichen aus, um den not-
wendigen Zubau zu finanzieren.

Ohne einen forcierten Ausbau erneuerbarer
Energien wird die entstehende „Ökostromlü-
cke“ zu steigenden Strompreisen und kriti-
schen Versorgungssituationen führen.

Kosten der EEG-Umlage (EEG-Differenzbetrag der nachträglichen Jahresabrechnung, Quelle: BMWi) und re-
konstruierte Steigerung der Großhandelspreise ohne die Einspeisung von Wind und Photovoltaik in den Jahren
2011 bis 2018

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"Deutschland ohne erneuerbare Energien?" - Ein Update für die Jahre 2014 bis 2018
Ein Update für die Jahre 2014 bis 2018

Inhaltsverzeichnis
Vorwort ........................................................................................................................................................................... 3
Kurzfassung ................................................................................................................................................................... 5
Motivation und Zielsetzung der Studie ................................................................................................................. 9
Entwicklung der Strompreise bundesdeutscher Endverbraucher ............................................................... 13
Methodik und Ergebnisse der FAU Strompreisstudie 2015 ........................................................................... 15
    Verwendete Daten ................................................................................................................................................ 15
    Ergebnisse der Studie .......................................................................................................................................... 15
    Prognostizierte Strompreise bis 2023 ............................................................................................................. 16
    Kritikpunkte an der FAU Strompreisstudie 2015 ........................................................................................... 16
Rekonstruktion der Strompreise ohne erneuerbare Energien für die Jahre 2014 bis 2018 ................. 19
    Datenbasis ............................................................................................................................................................... 19
    Grenzkosten des deutschen Kraftwerksparks in den Jahren 2014 bis 2018 .........................................20
    Erneuerbare Energien an der Strombörse .....................................................................................................20
    Berücksichtigung der Netzreserve (§13b Abs. 4 EnWG) ............................................................................20
    Rekonstruierte Börsenstrompreise ohne Wind und PV ............................................................................. 21
    Einfluss der Einspeisung erneuerbarer Energien auf die Versorgungssicherheit ...............................24
    Entwicklung der einsetzbaren Kraftwerkskapazität .....................................................................................24
    Wäre ohne Wind und PV eine höhere Kraftwerksleistung angeboten worden? ...............................26
    Das Jahr 2017 .......................................................................................................................................................... 27
    Die Betriebsdauer von Kohlekraftwerken .......................................................................................................29
Auswirkungen des Kernenergie- und Kohleausstiegs bis 2030 ................................................................... 31
    Zubau erneuerbarer Energien ........................................................................................................................... 31
    Abbau von Kernkraftwerkskapazitäten ...........................................................................................................32
    Altersbedingter Abbau von Kohlekraftwerkskapazitäten ..........................................................................32
    Altersstruktur des konventionellen Kraftwerksparks....................................................................................32
    Künftige Entwicklung der CO2-Emissionen der Energiewirtschaft ..........................................................34

                                                                                                                                                                                        7
"Deutschland ohne erneuerbare Energien?" - Ein Update für die Jahre 2014 bis 2018
„Deutschland ohne erneuerbare Energien?“

    Entwicklung der Börsenstrompreise bis 2030 ...............................................................................................36
Zusammenfassung und Fazit .................................................................................................................................42
Abkürzungen ...............................................................................................................................................................43
Anhang .........................................................................................................................................................................44
Literatur .........................................................................................................................................................................59

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"Deutschland ohne erneuerbare Energien?" - Ein Update für die Jahre 2014 bis 2018
Ein Update für die Jahre 2014 bis 2018

                                                   Motivation und
                                           Zielsetzung der Studie
Die Großhandelspreise an den europäischen              Im Jahr 2008 wurde Grundlaststrom aufgrund
Strombörsen hatten sich in den letzten Jahren          der insgesamt gestiegenen Öl- und Gaspreise
stark reduziert.                                       mit durchschnittlichen Preisen über 7 ct/kWh
                                                       gehandelt (Abbildung 1).
Im Jahr 1996 beschloss die Europäische Union
die        „Elektrizitätsbinnenmarkt“-Richtlinien      Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima
96/92/EG. Ziel war eine Liberalisierung der eu-        am 11.03.2011 kehrte sich der Trend um. Trotz
ropäischen Strommärkte. Im Jahr 2000 etab-             des Wegfalls von etwa einem Sechstel der
lierte sich in Leipzig die Europäische Strom-          deutschen Stromproduktion in Folge der Ab-
börse EEX. In den Jahren vor Fukushima war             schaltung von acht Kernkraftwerken setzte ein
ein starker Preisanstieg des dort gehandelten          starker Preisverfall an den europäischen
Stroms zu verzeichnen.                                 Strombörsen ein.

Abb. 1: „KWK-Index“ Referenzpreis für die EEG-Umlage an der Strombörse EPEX, Quelle: www.eex.com, Stand 30.3.2019

                                                                                                                    9
„Deutschland ohne erneuerbare Energien?“

Der Grund dafür war das hohe Angebot an er-       massiven Ausbau erneuerbarer Energien re-
neuerbaren Energien. Das Prinzip der Merit-       duzierten sich also für die Letztverbraucher
Order führte dazu, dass selbst in den traditio-   nicht nur die Gesamtkosten des Strombezugs.
nell „teuren“ Mittagsstunden nur noch Kraft-      Erneuerbare Energien erhöhen vor dem Hin-
werke mit geringen variablen Kosten (in der       tergrund reduzierter konventioneller und nuk-
Regel Kern- und Kohlekraftwerke) zum Einsatz      learer Kraftwerkskapazitäten auch wesentlich
kamen und damit die Handelspreise setzten.        die Versorgungssicherheit am bundesdeut-
                                                  schen Strommarkt.
Ein hohes Angebot an konventionellen Kraft-
werken bei gleichzeitig geringer Nachfrage        Ziel dieser neuen Studie ist es nun, aus den an
führte also zum Preisverfall an den Strombö-      der Strombörse öffentlich zugänglichen Daten
ren. Am Strommarkt ist dieser Effekt als Merit-   zu ermitteln, wie sich der Strompreis in den
Order-Effekt bekannt [1–7]. Die gesunkenen        Jahren 2014 bis 2018 ohne die Einspeisung er-
Großhandelspreise bewirkten zum einen, dass       neuerbarer Energien (d.h. ohne PV- und
insbesondere die von der EEG-Umlage befrei-       Windstrom) entwickelt hätte. Verwendet wur-
ten Industrieunternehmen von erheblichen          den hierzu wieder die an der Strombörse im
Strompreissenkungen profitierten und zum          sogenannten „Day-Ahead“-Handel des Spot-
anderen die EEG-Umlage – die ja den Mehr-         marktes gebildeten Angebots- und Nachfra-
preis erneuerbarer Energien gegenüber den         gekurven der dort gehandelten, mehrheitlich
an der Börse gehandelten Preisen wiedergibt       konventionellen Stromerzeugung.
– zusätzlich stieg.
                                                  Abbildung 1 verdeutlicht aber auch, dass seit
Ziel der im Jahr 2015 erschienenen FAU-Studie     2015/2016 der Zubau an erneuerbaren Ener-
„Deutschland ohne erneuerbare Energien -          gien nicht mehr ausreicht, um den Wegfall des
Stromkosten und Versorgungssicherheit ohne        Angebots an Kernenergie und konventionell
die Einspeisung erneuerbarer Energien in den      erzeugtem Strom weiterhin vollständig zu
Jahren 2011-2013“ [8,9] war es, den Merit-Or-     kompensieren. So führten beispielsweise Still-
der-Effekt für die Jahre 2011 bis 2013 zu quan-   stände in einigen deutschen Kernkraftwerken
tifizieren. Die Analyse zeigte, dass sich im      im Winter 2016/2017 zu steigenden Stromprei-
„Day-Ahead“-Handel des Spotmarktes die            sen im ersten Quartal 2017: Neben den ge-
Strompreise für das Jahr 2013 ohne Wind und       planten Wechseln der Brennelemente im
Photovoltaik aufgrund des erheblich geringe-      Kraftwerk Emsland und dem Block 2 des Kraft-
ren Stromangebots im Mittel um 5,29 ct/kWh        werks Isar produzierte auch Gundremmin-
erhöht hätten.                                    gen C über den Jahreswechsel 2016/2017 kei-
                                                  nen Strom. Dazu kam noch der fünfmonatige,
Den Kosten der EEG-Umlage von ca. 20,4 Mrd.
                                                  ungeplante Stillstand des Kernkraftwerks Phi-
Euro stehen also im Jahr 2013 Einsparungen
                                                  lippsburg 2. Gleichzeitig sorgte in den letzten
für konventionell erzeugten Strom von ca. 31,6
                                                  Januarwochen eine mehrtägige „Dunkelflaute“
Mrd. Euro gegenüber. Dies sparte für die
                                                  mit geringer Einspeisung von Windenergie vor
deutschen Letztverbraucher 2013 also insge-
                                                  allem in den Morgen- und Abendstunden der
samt ca. 11,2 Mrd. Euro ein. Über 269 Stunden
                                                  letzten Januarwochen für Preisspitzen bis zu
des Jahres hätte die Nachfrage mit der maxi-
                                                  16,3 ct/kWh.
mal im Jahr 2013 angebotenen Leistung nicht
gedeckt werden können. In diesen gewährleis-      In den Rekordsommern 2018 und 2019 sorgten
tete nur die Einspeisung erneuerbarer Ener-       Einschränkungen der Kühlleistung für konven-
gien einen stabilen Netzbetrieb. Durch den

10
Ein Update für die Jahre 2014 bis 2018

tionelle und nukleare Kraftwerke für europa-        welchen Strompreissteigerungen in den
weite Stromengpässe und steigende Strom-            nächsten Jahren zu rechnen ist und welche
preise.                                             Leistungen an erneuerbaren Energien und
                                                    Speicherkapazitäten entstehen müssen, um
Durch die Abschaltung der letzten verbleiben-
                                                    Engpassereignissen und weiteren Preissteige-
den Kernkraftwerke und den Kohleausstieg
                                                    rungen in den nächsten Jahren wirksam vor-
wird sich das Stromangebot in den nächsten
                                                    zubeugen.
Jahren weiter verringern. Ein weiteres Ziel die-
ser Studie ist es deshalb, zu quantifizieren, mit

                    zum Querlesen
                    Bereits 2015 belegte die FAU-Strompreisstudie, dass Wind und Photovoltaik
                    den bundesdeutschen Letztverbrauchern in den Jahren 2011 bis 2013 fast 30
                    Mrd. Euro einsparten.

                    Die nun vorgelegte Studie soll prüfen, ob und wie sich dieser Trend in den
                    Jahren 2014 bis 2018 fortsetzte.

                                                                                                            11
„Deutschland ohne erneuerbare Energien?“

12
Ein Update für die Jahre 2014 bis 2018

        Entwicklung der Strompreise
    bundesdeutscher Endverbraucher
Ein wesentlicher Grund dafür, dass erneuer-            Haushaltskunden um etwa 8 ct/kWh, also etwa
bare Energien in der öffentlichen Wahrneh-             1 ct/kWh jährlich. Die EEG-Umlage stieg in die-
mung noch immer als „Preistreiber“ gelten,             sen Jahren von 0,19 auf 1,12 ct/kWh Dieser
sind die in den letzten Jahren für private Letzt-      Preisanstieg setzte sich für die Haushalte bis
verbraucher gestiegenen Stromkosten.                   2012 fort. Als im Jahr 2013 die stromintensiven
                                                       Betriebe von der EEG-Umlage befreit wurden,
Tatsächlich stiegen insbesondere die Strom-
                                                       kam es im Jahr 2013 letztmalig zu einem signi-
preise privater Haushalte seit 2000 deutlich an
                                                       fikanten Anstieg der Strompreise um etwa 2
(Abbildung 2) und verdoppelten sich in zehn
                                                       ct/kWh.
Jahren nahezu [10]. In den Jahren von 2000 bis
2008, also lange vor der eigentlichen „Energie-
wende“, stiegen die Endverbraucherpreise für

Abb. 2: Steigerung der durchschnittlichen Strompreise für Haushalte und Entwicklung der EEG-Umlage
(Quelle: BDEW [10])

                                                                                                                 13
„Deutschland ohne erneuerbare Energien?“

Seit 2013 blieben die Endverbraucherpreise für   der EEG-Umlage befreit sind. Diese Unterneh-
Haushaltskunden dagegen weitgehend kon-          men können nicht nur ihren Strombezug mit
stant, der weitere Anstieg der EEG-Umlage        den niedrigen Großhandelspreisen der Strom-
wurde durch sinkende Großhandelspreise –         börse decken, sondern können zusätzlich ihre
den Merit-Order-Effekt – kompensiert.            Netzkosten nach §19 StromNEV auf bis zu 10%
                                                 des „veröffentlichten Netzentgeltes“ reduzie-
Die Endverbraucherpreise für Industriekunden
                                                 ren.
wurden maßgeblich davon bestimmt, ob die
Stromkunden als energieintensive Betriebe        Die Strompreise stromkostenintensiver Unter-
nach §64 EEG 2017 von der EEG-Umlage be-         nehmen betrugen 2018 also teilweise nur ein
freit waren.                                     Sechstel der Strompreise privater Haushalte.

Nach BDEW-Strompreisanalyse 2019 [10] be-
trug die Bandbreite des Industriestroms für
Großabnehmer im ersten Halbjahr 2018 nur 5,1
bis 17,0 ct/kWh. Dabei profitieren insbeson-
dere Unternehmen, die als „Stromkosteninten-
sive Unternehmen“ ganz oder teilweise von

zum Querlesen
Die Strompreise privater Haushalte stiegen lange, bevor die erneuerbaren
Energien signifikant zur bundesdeutschen Stromversorgung beitrugen.

Seit 2012 blieben die Strompreise privater Haushalte annähernd konstant.
Grund waren die sinkenden Börsenstrompreise in Folge des Überangebots
von Wind und Photovoltaik („Merit-Order-Effekt“).

14
Ein Update für die Jahre 2014 bis 2018

                  Methodik und Ergebnisse der
                    FAU Strompreisstudie 2015
                                                   aufgrund des erheblich verringerten Stroman-
Verwendete Daten                                   gebots im Mittel um 5,29 ct/kWh erhöht hät-
Die Großhandelspreise Deutschlands werden          ten.
an der European Power Exchange EPEX-Spot
                                                   Den Kosten der EEG-Umlage von ca. 20,4 Mrd.
mit Sitz in Paris (davor an der Leipziger Strom-
                                                   Euro standen im Jahr 2013 Einsparungen für
börse EEX) im „Day-Ahead“-Handel für jede
                                                   konventionell erzeugten Strom von ca. 31,6
Stunde des Jahres mit Auktionen bereits am
                                                   Mrd. Euro gegenüber. Der Merit-Order-Effekt
Vortag ermittelt. Die Strompreise werden aus
                                                   sparte für die deutschen Letztverbraucher
stündlich gebildeten Angebots- und Nachfra-
                                                   2013 insgesamt ca. 11,2 Mrd. Euro ein (siehe
gekurven bestimmt.
                                                   auch Abbildung 12 im Anhang).
Abbildung 3 zeigt die Angebots- und Nach-
fragekurven für den 15.01.2013, für die Zeit von
800-900 Uhr morgens. Der Marktpreis ergibt
sich beim sogenannten „market clearing“ aus
dem Schnittpunkt des aggregierten Angebots
mit der entsprechenden aggregierten Nach-
frage. Das Fehlen von Wind und Photovoltaik
hätte zu diesem Zeitpunkt die Nachfrage um
2.079,8 MWh erhöht und dadurch den
Schnittpunkt zwischen Angebots- und Nach-
fragekurve hin zu einem höheren Handelsvo-
lumen und höheren Strompreisen verschoben.
Um diesen Merit-Order-Effekt zu quantifizie-
ren, wurde für alle Stunden der Jahre 2011 bis
2013 aus den historischen Angebots- und
Nachfragekurven rekonstruiert, um welchen
Betrag sich der Strompreis ohne Wind- und
Photovoltaikeinspeisung erhöht hätte.

Ergebnisse der Studie
                                                   Abb. 3: Stundenaktuelle Angebots- und Nachfra-
Die Analyse zeigte, dass sich im „Day-Ahead“-      gekurve und prognostizierte Einspeisung für Wind
Handel des Spotmarktes die Strompreise ohne        und Photovoltaik vom 15.01.2013, 800 - 900 Uhr
Wind und PV beispielsweise für das Jahr 2013       morgens [8]

                                                                                                             15
„Deutschland ohne erneuerbare Energien?“

Über 269 Stunden des Jahres hätte die Nach-       Ergebnis der Projektion war, dass es ab 2021
frage an der Strombörse mit der maximal im        deutliche Preissteigerungen und vermehrt
Jahr 2013 angebotenen Leistung aus konven-        „netzkritische Situationen“ in Folge der wach-
tionellen Kraftwerken nicht gedeckt werden        senden Ökostromlücke und der Abschaltung
können (Abbildung 13 im Anhang). Dies be-         der letzten Kernkraftwerke geben wird.
deutet nicht automatisch, dass in diesen Situ-
                                                  Die FAU-Strompreisstudie kam 2015 zum
ationen Großstörungen („Blackouts“) entstan-
                                                  Schluss, dass es spätestens ab 2023 unabding-
den wären. Zum einen wurden Reservekraft-
                                                  bar ist, zusätzliche Erzeugungskapazitäten,
werke für Systemdienstleistungen („Regelre-
                                                  insbesondere Technologien zur Spitzenlaster-
serve“) nicht berücksichtigt, die in solchen
                                                  zeugung wie Gaskraftwerke und Speicher-
Engpasssituationen zum Einsatz gekommen
                                                  technologien, zusätzlich zur Verfügung zu
wären. Zum anderen blieben auch mögliche
                                                  stellen.
Stromimporte unberücksichtigt. Ein stabiler
Netzbetrieb war in diesen Situationen aller-
dings nur durch die Einspeisung erneuerbarer
Energien sicher gewährleistet. Für die Details    Kritikpunkte an der FAU
zur Herangehensweise wird auf die Studie [8]      Strompreisstudie 2015
verwiesen.
                                                  In der von der Veröffentlichung ausgelösten
                                                  Diskussion wurden im Wesentlichen vier Kritik-
Prognostizierte Strompreise                       punkte genannt. Kritisiert wurde, dass…

bis 2023                                            … die Daten des Day-Ahead-Handels
                                                     nicht repräsentativ für den gesamten
Die Studie prognostizierte für die Jahre 2014        deutschen Strommarkt seien;
bis 2020 weiter leicht fallende Strompreise für
den Fall, dass die Ausbauziele der Bundesre-        … unberücksichtigt bliebe, dass der Aus-
gierung für die erneuerbaren Energien (Aus-          bau konventioneller Kraftwerke durch
baukorridor nach §4, EEG 2014) erreicht wür-         den Ausbau erneuerbarer Energien mög-
den. Tatsächlich fielen die Preise noch deutli-      licherweise verhindert worden sei;
cher, obwohl der geplante Ausbaukorridor            … der Merit-Order-Effekt durch die Ver-
nicht erreicht wurde.                                wendung einer Grenzkostenkurve für den
Der Ausbaukorridor der Bundesregierung               deutschen Kraftwerkspark überschätzt
würde entsprechend bis 2021 ausreichen, um           worden sei;
die durch den Kernenergieausstieg wegfal-           … die hohen Investitionskosten für den
lende Erzeugungskapazität zu kompensieren.           Zubau erneuerbarer Energien sich in den
Für die Kompensation der sechs dann verblei-         Ergebnissen nicht widerspiegelten.
benden Kernkraftwerke Grohnde, Brokdorf,
Gundremmingen C, Isar II, Emsland und             Der erste Kritikpunkt basiert auf der Tatsache,
Neckarwestheim II in den Jahren 2021 und          dass tatsächlich nur etwa 40% des Stromauf-
2022 reicht der Ausbaukorridor der Bundesre-      kommens an der Strombörse gehandelt wur-
gierung nicht. Steigende Großhandelspreise in     den. Unstrittig ist allerdings, dass der Day-
Folge des Kernenergieausstiegs wurden ab          Ahead-Handel als Leitbörse gilt und als Letzt-
2022 prognostiziert. Ein möglicher Kohleaus-      preis auch Grundlage für bilaterale Stromlie-
stieg blieb dabei unberücksichtigt.               ferverträge bildet.

16
Ein Update für die Jahre 2014 bis 2018

Dass ein weiterer Ausbau konventioneller            Dies setzt voraus, dass bei nationalen Engpas-
Kraftwerke die rekonstruierte Strompreisstei-       sereignissen Strom aus Nachbarländern im-
gerung gemindert hätte (zweiter Kritikpunkt),       portiert werden kann. Die Versorgungssitua-
ist unstrittig. In der Studie wurde deshalb be-     tion der anderen Europäischen Länder ist al-
trachtet, wie sich der Zubau zusätzlicher Kraft-    lerdings gerade in Engpasssituation ähnlich
werke ausgewirkt hätte. Gerade in Situationen       kritisch, so dass in der Vergangenheit bei
mit hoher Nachfrage hätten zusätzliche Kraft-       Strommangel und hohen Strompreisen Strom
werke den Strompreis gemindert.                     überwiegend exportiert werden musste. An-
                                                    dere Studien quantifizieren den Einfluss er-
Fraglich bleibt allerdings, ob der Ausbau wei-
                                                    neuerbarer Energien auf den Handelspreis der
terer Kraftwerkskapazitäten aufgrund des Aus-
                                                    Strombörsen sogar gar nicht (z.B. [11]).
baus erneuerbarer Energien ausgeblieben ist.
Tatsächlich wurden bereits seit der Jahrtau-        Eine Verknappung des Stromangebots am
sendwende keine signifikanten Kraftwerkska-         deutschen Strommarkt ging in der Vergan-
pazitäten zugebaut. In den Jahren 2003 bis          genheit auch meist mit einer Verknappung des
2011 ging kein größeres Kohlekraftwerk mehr         Stromangebots in europäischen Nachbarlän-
ans Netz. Gründe hierfür waren die fehlende         dern einher. Zudem nehmen europäische An-
Investitionssicherheit aufgrund steigender          bieter bereits heute am Strommarkt des
Erdgaspreise, den Unsicherheiten eines bevor-       Marktgebiets Deutschland teil und bestimmen
stehenden CO2-Zertifikatehandels und die öf-        so auch die Angebotssituation. Die Annahme,
fentliche Akzeptanz. Zudem beträgt die Bau-         dass bei einer Verknappung des Stromange-
zeit eines Großkraftwerks bis zu zehn Jahre 3.      bots Preisanstiege mit Stromimporten gemin-
Der Bau von Großkraftwerken, die 2002 bis           dert worden wären, trifft also nicht zu.
2012 ans Netz hätten gehen können, hätte
                                                    Der verbreitetste Kritikpunkt blieb allerdings
also schon in den 90er Jahren begonnen wer-
                                                    der Vorwurf, dass die hohen Investitionskosten
den müssen. Erneuerbare Energien waren zu
                                                    für den Zubau erneuerbarer Energien sich in
diesem Zeitpunkt für die Entscheider der Ener-
                                                    den Ergebnissen der Studie nicht widerspie-
giewirtschaft kein relevanter Faktor.
                                                    gelten. Dies liegt daran, dass die Studie nicht
Der dritte Kritikpunkt, wonach der Merit-Or-        die Stromerzeugungskosten bewertete, son-
der-Effekt durch die Verwendung von Grenz-          dern ausschließlich Handelspreise.
kostenkurven überschätzt wurde, basiert im
                                                    Preise bilden sich in auf Angebot und Nach-
Wesentlichen darauf, dass andere Studien, z.B.
                                                    frage basierenden Märkten aufgrund des
[7], deutlich geringere Preissteigerungen für
                                                    Gleichgewichts von Angebot und Nachfrage
Situationen ohne Wind und PV annehmen.
                                                    und sind dadurch nur mittelbar von Produkti-
Dies resultiert daraus, dass diese Studien keine
                                                    onskosten abhängig. Bei hoher Nachfrage
Verknappung des Stromangebots bei Engpas-
                                                    stellen sich Preise ein, die weit über den Pro-
sereignissen annehmen, die in der Realität
                                                    duktionskosten eines Produkts liegen können
aber zu einem steilen Anstieg der Grenzkosten
                                                    und erhöhen dadurch den Gewinn des Anbie-
des deutschen Kraftwerksparks führt (Abbil-
                                                    ters. Eine niedrige Nachfrage führt zu Preisen,
dung 17 im Anhang).
                                                    die unter den Produktionskosten liegen kön-
                                                    nen.

3
 Beispiel: Kohlekraftwerk Neurath Blocks F und G:   übliche Planungsdauer bis zur Einreichung des Ge-
Genehmigungsantrag 2004, Inbetriebnahme 2012,       nehmigungsantrages: 2 Jahre

                                                                                                               17
„Deutschland ohne erneuerbare Energien?“

Hinzu kommt, dass das im deutschen Strom-            bei steigenden Preisen davon auszugehen,
markt geltende Marktsystem – der Energy-             dass die Nachfrage sich zum Beispiel durch die
Only-Markt (EOM) – darauf basiert, dass im           Abschaltung energieintensiver Verbraucher
stündlichen Handel „Energy only“, also nur die       reduziert hätte. Neben diesen preismindern-
gelieferte Strommenge, vergütet wird. Nach           den Effekten wurden auch preissteigernde Ef-
dem Prinzip der Merit-Order werden also nur          fekte abgeschätzt. So wurde der Einfluss netz-
die Grenzkosten eines Kraftwerks – dies sind         kritischer Situationen auf die mittleren Strom-
im Wesentlichen die verbrauchsgebundenen             preise nicht berücksichtigt, da für Situationen,
Kosten – bei der Preisbildung berücksichtigt.        in denen die Nachfrage nicht gedeckt werden
Die investitionsgebundenen Kosten (Abschrei-         kann, ein Strompreis nicht zweifelsfrei be-
bung, Kapitaldienst) und betriebsgebundene           gründbar festgelegt werden kann. Diese Er-
Kosten (z.B. Personalkosten) fallen als Fixkos-      eignisse wurden folglich nicht in die Bildung
ten auch im Stillstand an. Im Gegensatz zum          des mittleren Strompreises einbezogen, auch
„Kapazitätsmarkt“, in dem auch die Bereit-           wenn sie in der Realität mit deutlich höheren
schaft, Strom zu produzieren, vergütet wird,         Strompreisen verbunden wären. Als volkswirt-
bleiben im Energy-Only-Markt in der Vergan-          schaftlich signifikanter Effekt wurde auch die
genheit getätigte Investitionen in Kraftwerke        Rückkopplung auf den Gaspreis diskutiert.
oder Windkraftanlagen für die stündliche             Ohne Wind und PV hätte sich der Gasver-
Preisbildung und damit auch für die Strom-           brauch in Deutschland um bis zu 25% erhöht
preise der Letztverbraucher unberücksichtigt.        und zu entsprechenden Preissteigerungen für
                                                     alle Gasverbraucher geführt.
Eine eingehende Diskussion der Ergebnisse
der Studie findet sich in [1]. Hier wird insbeson-
dere auch ein möglicher Einfluss der Nachfra-
geelastizität diskutiert und abgeschätzt. So ist

zum Querlesen
Die Ergebnisse der FAU-Strompreisstudie 2015 basierten auf histori-
schen Börsenpreisen. Rekonstruiert wurde, wie sich die Strompreise an
der Börse ohne Wind und PV durch die höhere Nachfrage verändert
hätten.

18
Ein Update für die Jahre 2014 bis 2018

   Rekonstruktion der Strompreise
 ohne erneuerbare Energien für die
               Jahre 2014 bis 2018
Die Rekonstruktion der Strompreise „ohne er-        und Nachfragekurven für die unterschiedli-
neuerbare Energien“ für die Jahre 2014 bis          chen Preiszonen am Vortrag jeden Tages die
2018 erfolgte methodisch analog zur Rekon-          letztendlich geltenden Preise gebildet. Die
struktion der Strompreise für die Jahre 2011 bis    Day-Ahead-Auktion an der EPEX SPOT wird
2013 in der 2015 veröffentlichten FAU-Strom-        täglich um 12 Uhr geschlossen („Clearing“). Die
preisstudie 2015. Grundlage für die zu erwar-       Preisbildung für Deutschland basierte bis zum
tende Preissteigerung bei gegebener Nach-           30.09.2018 auf den Marktgebieten Deutsch-
frage waren wieder die für die einzelnen Jahre      land, Österreich und Luxemburg. Seit dem
aus den Angebots- und Nachfragekurven er-           01.10.2018 wird Österreich als eigenes Markt-
mittelten Grenzkosten des deutschen Kraft-          gebiet betrachtet. Neben dem Day-Ahead
werksparks.                                         Handel werden kleinere Strommengen noch
                                                    kurzfristig in den Intraday-Märkten gehandelt.
Datenbasis                                          Im Jahr 2017 betrug das Volumen des Day-
Die verwendeten Daten wurden von der euro-          Ahead-Handels an der EPEX SPOT 233 TWh
päischen Strombörse, der EPEX SPOT SE (Eu-          [12], also etwa 38,9% des deutschen Brut-
ropean Power Exchange) bezogen. Die EPEX            tostromverbrauchs [13]. Das Volumen des Int-
SPOT wurde 2008 in Paris gegründet. Im Jahr         raday-Handels betrug 2017 etwa 47 TWh. Da
2009 wurde der EEX-Spotmarkt (EEX Power             der Day-Ahead-Handel allgemein als Leit-
Spot, früher: Leipziger Strömbörse) in den          börse auch für langfristige Verträge und den
EPEX Spot Markt überführt.                          OTC-(„Over-the-Counter“)-Handel gilt, wur-
                                                    den für diese Studie im Weiteren nur die Preise
Als Handelsdaten stellt die EPEX eine Vielzahl      des Day-Ahead-Handels verwendet.
unterschiedlicher Indizes zur Verfügung. Für
den Stromhandel maßgeblich ist der Physical         Als Datenbasis für die Bestimmung der histo-
Electricity Index (Phelix). Gehandelt werden die    rischen Nachfrage und zur Berechnung der
Indizes Phelix-Baseload (Grundlast), Phelix-        rekonstruierten Nachfrage für das Szenario
Peakload (Spitzenlast) oder Phelix-Off-Peak         ohne Wind und PV dienten die tatsächlichen
(Schwachlast) und Phelix Monat (monatliche          Leistungen der solaren Stromerzeugungen,
Durchschnittspreise). Daneben werden Phelix-        der Stromerzeugung von On- und Offshore
Futures und Phelix-Future-Optionen gehan-           Windkraftanlagen sowie der an der EPEX ge-
delt. Die Basis für diese Indizes bilden die Day-   handelten überwiegend fossilen und nuklea-
Ahead-Märkte der EPEX. Im Day-Ahead Han-            ren Stromerzeugung der Versorgungsgebiete
del werden auf Basis stündlicher Angebots-          Deutschland, Österreich und Luxemburg.

                                                                                                             19
„Deutschland ohne erneuerbare Energien?“

                                                  Stroms, da Betreiber bei feststehender Markt-
Grenzkosten des deutschen                         prämie bevorzugt zu Zeiten mit hohem Bedarf
Kraftwerksparks in den Jah-                       und hohen Marktpreisen anbieten könnten.

ren 2014 bis 2018                                 Direktvermarkteter EEG-Strom wird nur teil-
                                                  weise an der Börse angeboten. Während
Die aus den Angebots- und Nachfragekurven         Windenergie (zu 95%) und Bioenergie (zu
der Jahre 2014 bis 2018 berechneten Grenz-        75%) überwiegend über die Direktvermark-
kostenkurven sind in Abbildung 17 im Anhang       tung angeboten wurde, wurde Solarenergie
dargestellt. Dabei wurde jeder jeweils am         im letzten Quartal 2018 nur zu etwa 26% di-
Markt gehandelten Erzeugungsleistung der in-      rektvermarktet [14]. Der überwiegende Teil des
nerhalb eines Jahres minimal angebotene Bör-      Solarstroms wird also nach wie vor von den
senpreis des Day-Ahead-Handels zugeordnet         Übertragungsnetzbetreibern an der Strom-
(eine detaillierte Beschreibung der Methodik      börse vermarktet. Da dieser EEG-Strom „preis-
findet sich im Anhang). Die Grenzkosten des       unabhängig“ angeboten wird, wird dieses An-
Kraftwerksparks steigen mit zunehmender Er-       gebot von den stündlichen Angebots- und
zeugungsleistung, da bei steigenden Preisen       Nachfragekurven nicht mit abgebildet.
zusätzliche und teurere Kraftwerke angeboten
werden. Insbesondere ältere Reservekraft-
werke, die ansonsten in der sogenannten
                                                  Berücksichtigung der
„Kaltreserve“ bereitstehen, werden bei höherer    Netzreserve (§13b Abs. 4 EnWG)
Nachfrage und bei höheren Preisen – in der
Regel in den Wintermonaten – in die Betriebs-     Abweichend von der FAU-Strompreisstudie
bereitschaft überführt und erhöhen so die ak-     2015 wurde für die Jahre 2014 bis 2018 ein hö-
tuell verfügbare Kraftwerksleistung. Die Grenz-   heres Angebot berücksichtigt als die maximal
kosten dieser zusätzlich angebotenen Kraft-       an der Börse angebotene Kraftwerksleistung.
werke sind in der Regel höher, da diese älteren   Dies lag daran, dass seit 2014 technisch ein-
Kraftwerke aufgrund geringerer Wirkungs-          setzbare Kraftwerke in die Netzreserve über-
grade höhere Grenzkosten (vor allem Brenn-        führt wurden (vgl. Tabelle 6 im Anhang) und
stoffkosten) für die Stromerzeugung aufwei-       nicht mehr am Strommarkt teilnahmen. Tat-
sen.                                              sächlich nahmen die Kraftwerke der Netzre-
                                                  serve (nach §13b Abs. 4 EnWG) in den letzten
                                                  Jahren nicht am Stromhandel teil. Für diese
Erneuerbare Energien an                           Kraftwerke wurde von den Betreibern aus wirt-
der Strombörse                                    schaftlichen Gründen die Stilllegung bean-
Die über die Einspeisevergütung vergüteten        tragt. Wurden diese Kraftwerke von der Bun-
erneuerbaren Energien werden als preisunab-       desnetzagentur als „systemrelevant“ bewertet,
hängige Gebote am Day-Ahead-Handel von            wurde die Stilllegung verweigert und die Kraft-
den Übertragungsnetzbetreibern vermarktet.        werke wurden in die Netzreserve überführt.
Seit der Einführung der Direktvermarktung mit     Für die Rekonstruktion der Strompreise ohne
der EEG-Novelle des Jahres 2012 wird ein ste-     erneuerbare Energien wurde aber konservativ
tig steigender Anteil der erneuerbaren Ener-      davon ausgegangen, dass die Stilllegung die-
gien auch direkt vermarktet. Dabei wird der       ser Kraftwerke ohne die Einspeisung von Wind
Unterschied der üblichen Einspeisevergütung       und Photovoltaik von den Betreibern nicht be-
zum „Marktpreis“ als „Marktprämie“ vergütet.      antragt worden wäre. Ohne die Annahme,
Dadurch versprach sich der Gesetzgeber eine
bedarfsgerechtere Erzeugung des EEG-

20
Ein Update für die Jahre 2014 bis 2018

dass die Netzreserve ohne Wind und PV voll-        Kraftwerksleistung vom Netz genommen,
ständig dem Energiemarkt zur Verfügung ste-        diese Kraftwerke waren aber in den Jahren da-
hen würde, würden sich bei der Rekonstruk-         vor offenbar nicht in dem Maße angeboten
tion der Strompreise ohne Wind und PV noch         worden, wie dies für die neuen Kraftwerke der
deutlich höhere Preissteigerungen einstellen.      Fall war.

                                                   Drastisch reduzierte sich das Kraftwerksange-
Rekonstruierte Börsenstrom-                        bot dann in den Jahren 2017 und 2018 (siehe
preise ohne Wind und PV                            auch Abbildung 16 im Anhang), zum einen
                                                   aufgrund der Stilllegung des Kernkraftwerks
Abbildung 5 zeigt die rekonstruierten Strom-       Gundremmingen B am 31.12.2017 und eines
preissteigerungen (rechter Teil der Grafik) für    mehrmonatigen ungeplanten Stillstands des
die Jahre 2011 bis 2018 am Beispiel eines          Kraftwerks Philippsburg Block II in den ersten
Durchschnittshaushaltes im Vergleich zur tat-      Monaten des Jahres 2017. Zum anderen wur-
sächlichen Strompreisentwicklung und dem           den zahlreiche konventionelle Kraftwerke still-
Anteil der EEG-Umlage (linker Teil der Grafik)     gelegt. Die Entwicklung dieses maximalen An-
für nichtprivilegierte Letztverbraucher. Auf die   gebots am Energiemarkt von 2011 bis 2018 ist
Stromerzeugung entfallen die Börsenpreise          in Abbildung 4 dargestellt. Auffallend ist, dass
und die Kosten der EEG-Umlage. In den letz-        die maximale Nachfrage (rote Linie) seit 2017
ten Jahren betrugen die Kosten für die Strom-      ohne Wind und Photovoltaik mit der maximal
erzeugung (d.h. Börsenstrompreise plus EEG-        angebotenen Kraftwerksleistung selbst im
Umlage) etwa 30% (in 2012) bis 38% (in 2018)       Sommer nicht mehr hätte gedeckt werden
der Kosten der Endverbraucher. Im Falle der        können. Durch das erhöhte Angebot in den
Stromerzeugung ohne Wind und Photovoltaik          Jahren 2014 bis 2015 fielen die Mehrkosten
entfielen auf die Stromerzeugung unter der         ohne Wind und PV an der Strombörse unter
Annahme gleichbleibender Netzkosten und            die Kosten der EEG-Umlage, wie in Abbildung
sonstiger Abgaben dagegen zwischen 28% (in         6 dargestellt. Dennoch hätte sich der reine
2014) und 39% (2017). In dem Fall wäre die         Börsenstrompreis in diesen Jahren gegenüber
EEG-Umlage natürlich nicht entstanden.             den historischen Börsenpreisen in etwa ver-
                                                   doppelt. Für die von der EEG-Umlage befrei-
Auffallend ist, dass die rekonstruierten Börsen-
                                                   ten privilegierten Letztverbraucher hätte sich
preise in den Jahren 2014 bis 2016 zunächst
                                                   also der Anteil der Stromerzeugung an den
unter das rekonstruierte Niveau des Jahres
                                                   Stromkosten etwa verdoppelt.
2013 fallen und erst im Jahr 2017 und 2018 wie-
der deutlich steigen. Dies erklärt sich aus der    Die Mehrkosten durch gestiegene Großhan-
sich stark ändernden Angebotssituation.            delspreise ohne die Einspeisung von Wind und
Nachdem in den Jahren 2012 bis 2015 insge-         Photovoltaik wären also auch in den Jahren
samt 9,8 GWel Stein- und Braunkohlekraft-          2014 bis 2018 vollständig zu Lasten stromin-
werke neu in Betrieb gingen, stieg die insge-      tensiver Unternehmen gegangen.
samt angebotene Kraftwerkskapazität von
68,9 auf 75,0 GWel (siehe auch Abbildung 4).
Zwar wurde im gleichen Zeitraum ähnlich viel

                                                                                                            21
„Deutschland ohne erneuerbare Energien?“

Abb. 4: Entwicklung der am Energiemarkt (Day-Ahead-Handel und OTC-Handel) maximal angebotenen
Kraftwerksleistung sowie der monatlichen maximalen Nachfrage (entspricht der maximalen Erzeugung der
Kraftwerke > 100 MW zzgl. Wind und PV) für die Jahre 2011 bis 2018.

Abb. 5: Entwicklung der tatsächlichen Großhandelspreise (links, mengengewichtete Jahresmittelwerte) und
der EEG-Umlage im Vergleich zu den rekonstruierten Börsenpreisen ohne Wind und PV am Beispiel der End-
verbraucherpreise eines Durchschnittshaushalts für die Jahre 2011 bis 2018.

22
Ein Update für die Jahre 2014 bis 2018

Abb. 6: Rekonstruierte Mehrkosten durch steigende Börsenpreise ohne Wind und PV für die Letztverbraucher
der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu den tatsächlichen Kosten der EEG-Umlage und Einsparungen
der deutschen Letztverbraucher durch das Überangebot an Wind und Photovoltaik. (Basis: EEG-Differenzkos-
ten der nachträglichen Jahresabrechnung [15])

Im Jahr 2017 und 2018 dann wären die Strom-            2017 und 2018 drastisch reduziert und es wäre
preise ohne Wind und PV selbst für EEG-                zu erheblich höheren Mehrkosten gekommen.
pflichtige Letztverbraucher auf das jetzige Ni-        So hätte der rekonstruierte Börsenpreis im
veau gestiegen. Entsprechend überstiegen in            Jahr 2018 ohne Berücksichtigung der Netzre-
diesen Jahren die Mehrkosten, die ohne Wind            serve als zusätzliches Angebot beispielsweise
und PV angefallen wären, die tatsächlich ent-          20,62 ct/kWh statt 10,23 ct/kWh betragen.
standene EEG-Umlage deutlich (Abbildung 6.)
                                                       Im Jahr 2016 wäre der Strompreis noch nicht
Noch deutlich höher wären die rekonstruier-
                                                       im selben Umfang gestiegen wie 2017 und
ten Mehrkosten an der Strombörse ohne Be-
                                                       2018, obwohl die maximal angebotene Erzeu-
rücksichtigung der Netzreserve (§13b Abs. 4
                                                       gungsleistung aus Großkraftwerken bereits
EnWG) ausgefallen (Abbildung 5). Der Betrieb
                                                       signifikant gesunken war. Die reduzierte Er-
dieser Kraftwerke obliegt heute den Übertra-
                                                       zeugung aus Kraftwerken > 100 MW konnte in
gungsnetzbetreibern, die Kraftwerke nehmen
                                                       dem Jahr teilweise noch mit bestehenden Er-
deshalb nicht am Strommarkt teil.
                                                       zeugungskapazitäten kompensiert werden,
Wie oben ausgeführt, wurde für die Rekon-              die nicht an der Börse gehandelt werden. Der
struktion der Mehrkosten ohne Wind und PV              Anteil der Stromerzeugung aus Erdgaskraft-
allerdings angenommen, dass für diese Kraft-           werken stieg dabei von 2015 auf 2016 um etwa
werke noch keine Stilllegung beantragt wor-            31% oder 20 TWh [13].
den wäre. Ohne diese Annahme hätte sich das
Angebot am Strommarkt gerade in den Jahren

                                                                                                                 23
„Deutschland ohne erneuerbare Energien?“

Das Ergebnis der Strompreisstudie 2015 bestä-       Auch in den letzten Jahren erhöhte sich also
tigt sich also auch in den Jahren 2014 bis 2018:    durch die Einspeisung erneuerbarer Energien
Wind und PV konnten dank des Merit-Order-           die Versorgungssicherheit, da aufgrund des
Effekts den Börsenstrompreis signifikant sen-       fehlenden Zubaus am konventionellen Kraft-
ken und den bundesdeutschen Letztverbrau-           werksmarkt seit Ende der neunziger Jahre eine
chern im Betrachtungszeitraum Mehrkosten in         Deckung des Bedarfs ohne Wind und Photo-
Höhe von 40,1 Mrd. Euro ersparen.                   voltaik nicht mehr hätte gewährleistet werden
                                                    können.

Einfluss der Einspeisung
                                                    Entwicklung der einsetzba-
erneuerbarer Energien auf
                                                    ren Kraftwerkskapazität
die Versorgungssicherheit
                                                    Maßgeblich für die Steigerung der mittleren,
Die in den Jahren 2014 bis 2016 verbesserte
                                                    rekonstruierten Börsenpreise ist wie bereits er-
Angebotssituation führte auch zu einer Ab-
                                                    wähnt die maximal zur Verfügung stehende
nahme netzkritischer Situationen, in denen das
                                                    Kraftwerkskapazität. In Situationen, in denen
Angebot im Marktgebiet die Nachfrage nicht
                                                    die maximal zur Verfügung stehende Kraft-
mehr gedeckt hätte (Abbildung 7).
                                                    werkskapazität nicht mehr ausreicht, um die
Die Anzahl dieser kritischen Marktsituationen       Nachfrage zu decken, steigt der Börsenpreis
reduzierte sich auch durch die Berücksichti-        steil an (vergleiche Abbildung 17 im Anhang).
gung der Netzreserve in den Jahren 2014 bis         Situationen, in denen der Bedarf nicht mehr
2015 drastisch, bevor in den Jahren 2017 und        gedeckt werden kann, wurden für die Berech-
2018 an 212 bzw. 424 Stunden des Jahres das         nung der mittleren Preissteigerung wie schon
maximal verfügbare Angebot nicht ausge-             für die FAU-Strompreisstudie 2015 nicht be-
reicht hätte. Trotz vollständig eingesetzter        rücksichtigt, da diesen Fällen kein eindeutiger
Netzreserve wäre im Jahr 2018 am 01.03.2018         Preis zugeordnet werden kann.
um 1100 bis 1200 Uhr ein Leistungsdefizit von bis
                                                    Die Rekonstruktion der Börsenpreise ohne
zu 14,6 GW entstanden.
                                                    Wind und Photovoltaik der letzten Jahre zeigt,
Bundesweit herrschten am 01.03.2018 sehr            wie stark sich das Angebot an einsetzbaren
niedrige Temperaturen (-11,2 bzw. -11,6 °C in       konventionellen Kraftwerken auf den mittleren
München und Berlin), die zu einem besonders         Börsenpreis auswirkt.
hohen Stromverbrauch führten. Zu diesem
                                                    Auffällig ist vor allem das variierende Angebot
Zeitpunkt trugen Wind und Photovoltaik im-
                                                    im Marktgebiet in den letzten Jahren. Dieses
merhin 49,6 GW bei und sicherten so die
                                                    Angebot ist nicht mit dem Handelsvolumen
Stromversorgung. Selbst ohne Berücksichti-
                                                    gleichzusetzen, da stets nur ein Teil des Kraft-
gung des Stromexports zu diesem Zeitpunkt
                                                    werksparks im stundenaktuellen Day-Ahead-
von 11,2 GW [16] hätte sich für diesen Zeitpunkt
                                                    Handel angeboten wird.
ohne Wind und PV ein Defizit von etwa 3 GW
ergeben.

24
Ein Update für die Jahre 2014 bis 2018

Abb. 7: Entwicklung der netzkritischen Handelsperioden mit Unterdeckung am Spotmarkt (maximal verfügbares
Angebot < Nachfrage) und der Leistungsbetrag der Unterdeckung 2011 bis 2018

Die jeweils maximale verfügbare Kraftwerks-             unter einer Altersgrenze von 40 Jahren lagen,
leistung kann für jede Stunde des Jahres aus            mussten 2018 schon in erheblichem Umfang
dem außerbörslichen Handelsvolumen und                  noch ältere Kraftwerke angeboten werden.
dem Maximalwert der Angebotskurve berech-
                                                        Dies lag daran, dass gerade in den 70er Jahren
net werden (siehe Abbildung 14 im Anhang).
                                                        des letzten Jahrhunderts ein massiver Zubau
In den letzten Jahren lag die an der Börse ma-          an Kohlekraftwerken stattfand. In dieser Zeit
ximal angebotene Kraftwerksleistung stets un-           entstanden vor allem Braun- und Steinkohle-
ter der insgesamt am Strommarkt vorhande-               kraftwerke mit Leistungen um oder über
nen Kraftwerksleistung. Aus dem Quotienten              300 MWel. Ältere und kleinere Kraftwerke wur-
zwischen vorhandener und maximal angebo-                den offensichtlich seit 2011 in der „Kaltreserve“
tener Kraftwerksleistung lässt sich also unmit-         nur sehr selten eingesetzt und leisteten kaum
telbar die maximale Verfügbarkeit des Kraft-            einen Beitrag zur Preisbildung an der Börse.
werksparks berechnen.
                                                        Die in den Jahren 2016 bis 2018 nach §13g
Die Analyse der Altersstruktur des Kraftwerk-           EnWG in die „Sicherheitsreserve“ überführten
sparks zeigt, dass in den letzten Jahren zuneh-         Braunkohlekraftwerksblöcke in Frimmersdorf
mend auch sehr alte Kraftwerke mit angebo-              und Niederaußem sind die ältesten Kraftwerke
ten werden mussten (vergleiche die in Abbil-            dieser 300 MW-Klasse. Sie wurden in den Jah-
dung 18 im Anhang dargestellte verfügbare               ren 1966 bis 1971 in Betrieb genommen und
und angebotene konventionelle und nukleare              müssen im Bedarfsfall innerhalb von 10 Tagen
Kraftwerkskapazität). Während 2011 überwie-             betriebsbereit sein. Der Block C des Kraftwerks
gend Kraftwerke angeboten wurden, die noch              Neurath soll im Oktober 2019 mit 46 Jahren in

                                                                                                                  25
„Deutschland ohne erneuerbare Energien?“

die Sicherheitsreserve überführt werden.           ohne Wind und PV mehr Erzeugungsleistung
Demgegenüber sind die anderen Kraftwerke           am Markt angeboten worden wäre.
der Sicherheitsreserve, die Kraftwerke Busch-
                                                   Ob ohne Wind und PV mehr Kraftwerke ge-
haus und Jänschwalde erst in den Jahren 1985
                                                   baut worden wären, wurde oben bereits dis-
und 1987 resp. 1989 in Betrieb genommen
                                                   kutiert. Dass seit der Inbetriebnahme des
worden.
                                                   Kraftwerks Niederaußem Block K im Jahr 2002
Möglicherweise haben diese Kraftwerke also         bis 2012 keine großen Kohlekraftwerke und
aufgrund ihrer Fahrweise ihre technisch-wirt-      nur sehr wenige Gaskraftwerke neu in Betrieb
schaftliche Altersgrenze bereits nach 34, 32       gegangen sind, lag an den Unsicherheiten
und 30 Jahren nahezu erreicht und ein Wei-         aufgrund der Liberalisierung des Strommark-
terbetrieb war gegenüber den Vergütungen           tes und den damit verbundenen Investitionsri-
für die Sicherheitsreserve nicht wirtschaftlich.   siken, nicht an den damals von den Entschei-
                                                   dern noch nicht ernst genommenen Anfängen
                                                   des Ausbaus erneuerbarer Energien.
Wäre ohne Wind und PV                              Kritischer ist die Tatsache zu betrachten, dass
eine höhere Kraftwerksleis-                        die am Markt maximal angebotene Kraft-
                                                   werksleistung signifikant unter der rechnerisch
tung angeboten worden?                             verfügbaren Erzeugungsleistung lag. So wur-
Dass die rekonstruierten Strompreise immer         den im Jahr 2018 nur maximal 64,3 GW ange-
dann stark steigen, wenn die Nachfrage ohne        boten, obwohl nach Tabelle 1 rechnerisch eine
Wind und PV die innerhalb eines Jahres maxi-       Erzeugungsleistung von 76,9 GW verfügbar
mal angebotene Erzeugungsleistung erreicht         gewesen wären [18]. Dies lässt die Vermutung
hätte, liegt daran, dass die Grenzkostenkurve      zu, dass die Differenz theoretisch noch zur
des Kraftwerksparks für diese Leistungen über-     Verfügung steht und im Falle ohne Wind und
proportional stark ansteigt.                       PV das Angebot erhöhen hätte können.

Dieser überproportional starke Anstieg des         Allerdings ist die tatsächlich einsetzbare Er-
Strompreises bei drohenden Versorgungs-            zeugungsleistung nach dem „Bericht der deut-
engpässen trat in der Vergangenheit wieder-        schen Übertragungsnetzbetreiber zur Leis-
holt auf und führte beispielsweise in den hei-     tungsbilanz 2016-2020“ [19] um etwa 15,5 GW
ßen Sommern der Jahre 2001 und 2004 wie-           zu reduzieren (Tabelle 1). Die nach diesen Aus-
derholt zu Strompreisen von 50 bis 60 ct/kWh       fällen, Revisionen und Systemdienstleistungen
und im Januar 2003 in Folge eines Kraftwerks-      tatsächlich vermarktbare, „anbietbare“ Erzeu-
ausfalls von über 1,70 €/kWh [17]. In den Jah-     gungskapazität liegt also tatsächlich in der
ren 2011 bis 2018 lagen die maximalen Strom-       Größenordnung der maximal angebotenen
preise am Day-Ahead-Markt dagegen bei le-          Erzeugungskapazität. Tatsächlich hätte also
diglich 16,4 ct/kWh (24.01.2017, 700-800 Uhr)      nicht mehr konventionelle Kraftwerksleistung
und 21,0 ct/kWh (08.02.2012, 1800-900 Uhr).        angeboten werden können.
Dass also eine Verknappung des Angebots zu         Unsicherheiten bei der Bilanzierung der tat-
überproportional starken Preisanstiegen führt,     sächlich anbietbaren Erzeugungskapazität er-
ist an historischen Engpassereignissen belegt.     geben sich aus dem Angebot der Wasserkraft-
Einer der Hauptkritikpunkte der FAU Strom-         werke. Die Erzeugungsleistung dieser Kraft-
preisstudie 2015 war allerdings die Frage, ob      werke wird auch am Strommarkt vermarktet

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